Zum Polenbild in Deutschland


Hausarbeit, 2007

29 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entwicklung des deutschen Polenbildes in den letzten Jahrhunderten
2.1. Vor dem Novemberaufstand
2.2. Im Vormärz
2.3. Von der Paulskirche bis 1945
2.4. Nach dem Zweiten Weltkrieg

3. Stereotyp der langen Dauer „Polnische Wirtschaft“
3.1. Begriffsentstehung
3.2. Der Begriff der „polnischen Wirtschaft“

4. Zum aktuellen Polenbild in Deutschland
4.1. Zur Darstellung in den deutschen Medien
4.2. Empirische Betrachtungen

5. Folgen des deutschen Polenbildes für die deutsch-polnischen Beziehungen

6. Resümee

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Am 28. September 2007 hebt das Landgericht Karlsruhe einen Spruch einer Amtsrichterin auf, die einen ebay-Kunden verurteilt hatte, der ihrer Meinung nach offensichtliches Diebesgut gekauft hatte: „die Ware stammte aus Polen - da müsse man Verdacht schöpfen“1. Dieses Gerichtsverfahren zeigt, wie tief bestimmte Stereotype von Polen in der deutschen Bevölkerung verwurzelt sind - aber gleichzeitig auch, dass es Bemühungen gibt, diese zu überwinden. In meiner Arbeit möchte ich zeigen, wie diese Stereotype historisch entstanden sind und welchen Einfluss sie heute auf die deutsch- polnischen Beziehungen haben.

Das Polenbild in Deutschland ist heterogen: es hat im Laufe der Geschichte nie eine Zeit gegeben, in der alle Deutsche, unabhängig von Stand und Schicht, eine einheitliche Meinung über Polen hatten. Dennoch lassen sich Tendenzen des Polenbildes in Deutschland nachweisen. Daher möchte ich im Kapitel „Die Entwicklung des deutschen Polenbildes in den letzten Jahrhunderten“ zeigen, in welchen historischen Epochen jeweils ein positives oder negatives Polenbild in der deutschen gesellschaftlichen Wahrnehmung dominierte. Das Kapitel gliedert sich entlang der Zäsuren, die in der deutsch-polnischen Geschichte als entscheidend gelten: der polnische Novemberaufstand von 1830/31, die Polendebatte in der Frankfurter Paulskirche 1848 und das Jahr 1945. Ich beginne mit meinem historischen Überblick in der Zeit der polnischen Teilungen, da die polnische Staatlichkeit in dieser Zeit endete und der in dieser Zeit weit verbreitet Geist der Aufklärung entscheidend war für das Denken in nationalen Kategorien.

Im folgenden Kapitel erläutere ich, ein Stereotyp der langen Dauer, dass der „polnischen Wirtschaft“ näher. Ich gehe dabei von der Konzeption des Stereotyps „polnische Wirtschaft“ von Hubert Orłowski aus. Dieses Kapitel gliedert sich in die Nachzeichnung der Begriffsentstehung und eine weitere Analyse des Ausdrucks „polnischer Wirtschaft“. Vor dem Hintergrund der historischen Polenbilder möchte ich schließlich das aktuelle Polenbild in Deutschland näher betrachten. Als Quellen verwende ich hier zum einen Artikel in aktuellen Zeitungen, zum anderen empirische Studien. Bei letzteren diente mir hauptsächlich das Werk „Polen und Deutsche. Gegenseitige Wahrnehmungen nach der Osterweiterung der Europäischen Union“ von Mateusz Fałkowski und Agnieszka Popko, die Aufgrund einer Meinungsumfrage in Deutschland und Polen aktuelle empirische Ergebnisse vorstellen.

Abschließend beschäftige ich mich mit den Folgen des deutschen Polenbildes für die deutsch-polnischen Beziehungen. Dabei versuche ich nicht, alle Streitigkeiten und Konflikte der letzten Jahre genau nachzuzeichnen, sondern einen Überblick über die generelle Tendenz zu geben. In diesem Kapitel geht es mir auch nicht darum zu zeigen, wer wie viel „Schuld“ an den gegenwärtigen Divergenzen trägt, sondern darum nachzuvollziehen, wie die deutsche Wahrnehmung Polens die deutsch-polnischen Beziehungen beeinflusst. Ein Ziel dieses Kapitels liegt unter anderen darin zu zeigen, dass die deutsch-polnischen Beziehungen nicht mit den deutsch-französischen Beziehungen vergleichbar sind.

2. Entwicklung des deutschen Polenbildes in den letzten Jahrhunderten

„Man muss…zugeben, dass das deutsche Volk von allen Völkern Europas dem polnischen am ablehnendsten gegenübersteht.“ 2

2.1. Vor dem Novemberaufstand

Gegen Ende der polnischen Adelsrepublik, in der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert setzte in Europa verstärkt der Prozess der Nationenbildungen ein. Durch viele Polen-Reisende aus Westeuropa, die Denkweisen der Aufklärung vertraten, wurde ein negatives Polenbild gezeichnet: von einem rückständigen halbzivilisierten Staat, einer unregierbaren Adelsrepublik, von einer reformbedürftigen, mittelalterlichen Staatsform, die im Gegensatz zur bürgerlichen Rationalität und zur Modernität steht. Aufklärer wie Voltaire und Diderot befürworteten eine Reform der Adelsrepublik zu einem modernen, zentralistischen Staat mit aufgeklärtem Absolutismus. Andere entwarfen wiederum Programme zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur. Westeuropäische Politiker jener Zeit setzen vor allem darauf, das Interesse ihres Landes gegenüber und in Polen zu sichern. All dies erklärt, warum gegen Ende des 18. Jahrhunderts viele Schriften über Polen verfasst wurden. Und so schrieb beispielsweise Jean-Jacques Rousseau über „Polen, dieses entvölkerte, verwüstete, unterdrückte, seinen Angreifern offene Land, dieses Polen zeigt mitten im Unglück und in der Anarchie noch das ganze Feuer der Jugend; es wagt, eine Verfassung und Gesetze zu verlangen, als ob es eben erst geboren wäre. Es liegt in Ketten und erörtert dennoch die Mittel, sich frei zu erhalten.“3 Dagegen schrieb Voltaire: „Alle verständigen Leute sind sich darin einig, dass Polen immer das unglücklichste Land Europas sein wird, solange dort Anarchie herrscht. Ein kleiner Hausgeist hat mir [Voltaire; N. Gatzke] ins Ohr geflüstert, dass Sie [Katharina II.; N. Gatzke] […] Polen befrieden werden.“4 Aber vor allem in Deutschland wurde der Untergang der polnischen Adelsrepublik als zwangsläufiger Prozess betrachtet5. Beruhend auf einer Unkenntnis der polnischen Kultur6 wurde die Zukunft der Polen in den annektierten Gebieten nur in der Assimilation gesehen, wie zum Beispiel in Goethes Essay zur Einführung der deutschen Sprache in Polen7 deutlich wird. In dieser Zeit tauchte auch der Begriff „polnische Wirtschaft“ zum ersten Mal auf.

2.2. Im Vormärz

Mit dem Novemberaufstand setzte eine emotionale Neubewertung Polens ein, die Aufbruchstimmung der polnischen Aufständischen erfasste auch beachtliche Teile des deutschen Bürgertums. Letzteres verglich den polnischen Unabhängigkeitskampf mit der Herstellung der Einheit in einem demokratischen Staat in Deutschland. Der deutlichste Ausdruck dessen ist das Hambacher Fest am 27. Mai 1832 „für Eure und unsere Freiheit“. Es herrschte eine regelrechte Polenbegeisterung in Deutschland, die starken Ausdruck in zahllosen Flugschriften, Zeitungsberichten, und -artikeln, Gedichten und Liedern fand. Vor allem in West- und Süddeutschland entstanden Polenhilfsvereine, die Mittel für polnische Flüchtlinge aufbrachten. Diese Stimmung in der deutschen Bevölkerung spiegelte aber nicht nur ein Verständnis für Polen, sondern vor allem auch das eigene unerfüllte Streben des deutschen Liberalismus wieder8. Die Nichtexistenz eines polnischen Staates erleichterte die Zuneigung zu Polen: Da es kein staatliches Gebilde war, sondern ein unscharfes Gebiet „jenseits der Weichsel“, konnte es je nach Bedarf dem östlichen oder westlichen Kulturraum zugeordnet werden. Somit konnte eine Differenz zwischen Slawen und Polen gemacht werden, wobei erstere Barbarei, letztere Zivilisiertheit und Teilnahme am abendländischen Individualismus repräsentieren. Damit entstanden zwei gegensätzliche Tendenzen im Bild über Polen, auf der einen Seite wurden den Polen Attribute wie: tapfer, mutig und heldenhaft zugeschrieben, auf der anderen Seite galten sie als disziplinlos, sprunghaft und unberechenbar9.

Auf der einen Seite existierte also die Meinung, Polen sei von seiner Wirtschafts- und Sozialverfassung ein rückständiges Land gewesen, das sich nicht politisch und wirtschaftlich selbst effizient organisieren konnte und demnach zwangsläufig seine Staatlichkeit verlieren musste. Mit Goethes Worten: „Die Polen wären doch untergegangen, mussten nach ihrer ganzen verwirrten Sichtweise untergehen“10. Auch andere „fortschrittliche“ Personen jener Zeit vertreten Vorurteile und Stereotype, so zum Beispiel Heinrich Heine, Karl Marx, Friedrich Engels11, Ferdinand Lassalle und Karl Kautsky12. Auf der anderen Seite wurden die Polen bewundert für ihre Freiheitsliebe, ihr Eintreten für die gerechte Sache, ihren Mut, sich auch stärkeren Entgegenzustellen. Teile des deutschen Bürgertums fanden sich auch im Willen der politischen Führer nach fortschrittlichen Veränderungen wieder.

2.3. Von der Paulskirche bis 1945

Das Jahr des Volkerfrühlings 1848 markierte dann mit der Polen-Debatte in der Frankfurter Paulskirche vom 24. bis 27. Juli das Ende der polenfreundlichen Einstellung in Deutschland. Die Mehrheit der Abgeordneten folgte Wilhelm Jordan, der die Solidarität der deutschen Liberalen mit Polen als einen „Polenrausch“, einen „kosmopolitischen Idealismus“ und als „poetische Sentimentalität“ abtat.13 Anlass der Debatte waren Auseinandersetzungen um die Provinz Posen. Jordan plädierte für das Recht des Stärkeren und bezeichnete die deutschen Eroberungen in Polen als Naturnotwendigkeit14. Mit Blick auf Deutschlands Zukunft als Großmacht taten in der Folge Deutsche Liberale und Polenbegeisterte ihre früheren Äußerungen als Jugendsünden ab. Von der noch im März 1848 allseits anerkannten Forderung, dass Polen mit deutscher Hilfe wiederhergestellt werden müsse, war nun keine Rede mehr. Zugleich wird Polen in der Literatur in ein immer schlechteres Licht gerückt: Beispielsweise schreibt Ernst Moritz Arndt 1848: „die Polen und überhaupt der ganze slawische Stamm sind geringhaltiger als die Deutschen“15. In Deutschland in dieser Zeit besonders hochgeschätzte Eigenschaften wie „Ordnung, Fleiß und Sparsamkeit“ markierten einen Gegenpol zu dem den Polen unterstellten Stereotyp der „polnischen Wirtschaft“. Der Begriff war in dieser Zeit assoziiert mit Faulheit, Anarchie, Rückständigkeit, Korruption, Chaos und Egoismus. Als weiters Stereotyp findet man in den deutschen Quellen dieser Zeit das der schönen, dennoch patriotischen Polin. Als besonders gefährlich wird die Verbreitung der polnischen Sprache für die deutsche nationale Einheit gesehen und Polen wurde für die Zwecke der Realpolitik des Deutschen Kaiserreiches instrumentalisiert.

Die antipolnischen Einstellungen steigerten sich während der Kaiserzeit bis zur Weimarer Republik, als ein unabhängiger polnischer Staat wiedererstand; die bisherigen negativen Stereotype wurden nun um die angebliche Aggressivität und Militanz der Polen ergänzt. Polen wurde als „Saison- und Räuberstaat“ bezeichnet. Vor allem in der Presse steigerte sich die Verachtung bis zu dem Punkt, an dem Polen mit Ungeziefer und Bestien in Verbindung gebracht wurden16. Selbst die Wissenschaft spornte zu Gewalt und Hass an17. In traumatischen Erfahrungen von Gebietsabtretungen, Grenzkonflikten und turbulenten Abstimmungskämpfen trat nun der „polnische Reichsfeind“ für die gesamte Nation deutlich sichtbar als außenpolitischer Gegner auf und symbolisierte für Deutsche schon durch seine Existenz den Verlust einer Großmachtstellung in Europa.

[...]


1 „EBay-Schnäppchenjäger unter Hehlerei-Verdacht“, Spiegel-Online vom 25.07.07, http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,496462,00.html und „Gericht schützt eBay- Schnäppchenjäger“, Spiegel-online vom 28.09.07, beide eingesehen am 28.09.07.

2 Zit. aus: Gerlach, Hellmut von, Wandlungen der deutschen Mentalität seit 1918, in: Die Zeit, 1. Jhg. 1930, in: Fischer, Peter, Die deutsche Publizistik als Faktor der deutsch-polnischen Beziehungen 1919-1939, Wiesbaden 1991, S. 24, zitiert nach: Zimmermann, Hans Dieter (Hrsg.), Mythen und Stereotypen auf beiden Seiten der Oder. Schriftenreihe des Forum Guardini, Bd. 9, Berlin 2000, S. 14.

3 Zit. aus: Rousseau, Jean-Jacques, Betrachtungen über die Regierung Polens und über deren vorgeschlagene Reform, in: Jean-Jacques Rousseau. Sozialphilosophische und Politische Schriften, München 1981, S. 566.

4 Schumann, Hans (Hrsg.), Katharina die Grosse / Voltaire. Monsieur – Madame. Der Briefwechsel zwischen der Zarin und dem Philosophen, Zürich 1991, S. 220.

5 Häufig wird in diesem Zusammenhang Schillers Diktum der Weltgeschichte als Weltgericht bemüht.

6 Bspw. urteilt Wilhelm August Schlegel nach dem Kościuszko-Aufstand, die Polen hätten keine bedeutende Literatur hervorgebracht. Vgl. Zimmermann, Hans Dieter (Hrsg.), S. 10f.

7 Vgl. ebd., S. 11.

8 Vgl. Treugutt, Stefan, Die Polen-Begeisterung in der deutschen Literatur nach 1830, in: Jeismann, Karl- Ernst (Hrsg.), Die deutsch-polnischen Beziehungen 1831 – 1848: Vormärz und Völkerfrühling. Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts für Internationale Schulbuchforschung, Bd. 22/II, Braunschweig 1979, S. 116-125, hier S. 118ff.

9 Vgl. Zimmermann, Hans Dieter (Hrsg.), S.11.

10 Zit. aus: Biedermann, Woldemar Freiherr von (Hrsg.), Goethes Gespräche mit Eckermann, Bd. VII: 1831- 1832, Leipzig 1890, S. 128, zitiert nach: Zimmermann, Hans Dieter (Hrsg.), S. 11f.

11 Vgl. Zimmermann, Hans Dieter (Hrsg.), S. 12f., vgl. auch Engels auch bei Orłowski, Hubert, Die Lesbarkeit von Stereotypen. Der deutsche Polendiskurs im Blick historischer Stereotypenforschung und historischer Semantik, Wrocław 2004, S. 153.

12 Vgl. Lawaty, Andreas / Orłowski, Hubert (Hrsg.), Deutsche und Polen. Geschichte, Kultur, Politik, München 2003, S. 275 f. oder Orłowski, Hubert, Die Lesbarkeit…, S. 153.

13 Wilhelm Jordan sagte in seiner Rede: „Die Polen sind noch immer nur ein Adelsvolk, das die weise Sparsamkeit, den anstrengenden Fleiß der Deutschen als Zeichen einer niedrigen Gesinnung, als einen

geschmutzigen Geiz ansieht.“ Nach: Lawaty, Andreas / Orłowski, Hubert (Hrsg.), S. 275.

14 Vgl. Zimmermann, Hans Dieter (Hrsg.), S. 13.

15 Zit. aus: “Polen, ein Spiegel der Warnung für uns“ (1848), nach: Orłowski, Hubert, Die Lesbarkeit…, S. 152

16 Vgl. Zimmermann, Hans Dieter (Hrsg.), S. 14.

17 Vgl. Piskorski, Jan M., „Erbfeindschaften“. Antipolonismus, Preußen- und Deutschlandhass, deutsche Ostforschung und polnischer Westgedanke, in: Becher, Ursula A.J. / Borodziej, Włodzimierz / Maier, Robert (Hrsg.), Deutschland und Polen im 20. Jahrhundert. Analysen – Quellen – didaktische Hinweise, Bonn 2004, S. 94.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Zum Polenbild in Deutschland
Hochschule
Uniwersytet Mikołaja Kopernika  (Institut für Internationale Beziehungen)
Veranstaltung
Ausgewählte Problemfelder der deutsch-polnischen Beziehungen
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
29
Katalognummer
V162600
ISBN (eBook)
9783640763825
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutschland, Polenbild, polnische Wirtschaft, deutsch-polnische Beziehungen, Stereotyp der langen Dauer, Politik, Geschichte, Medien
Arbeit zitieren
Mag. Niels Gatzke (Autor:in), 2007, Zum Polenbild in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162600

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