Arm trotz Arbeit - das Phänomen der "working poor"


Facharbeit (Schule), 2009

27 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

2. „Working poor" – Eine Annäherung an den Begriff

3. Determinanten von Armut trotz Erwerbstätigkeit
3.1 Der Einfluss der Sozio-Demografie
3.1.1 Faktor Alter
3.1.2 Faktor Geschlecht
3.1.3 Faktor Bildung
3.2 Der Einfluss des Haushalts
3.3 Der Einfluss der Erwerbstätigkeit
3.3.1 Faktor Teilzeitjob
3.3.2 Faktor Niedriglohn
3.3.3 Faktor Selbstständigkeit

4. Auswirkungen der Erwerbsarmut gezeigt an einem Praxisbeispiel

5. Lösungsansätze
5.1 Erhöhung der individuellen Löhne
5.1.1 Mindestlöhne
5.1.2 Existenzsichernde Lohnsubventionen
5.2 Erhöhung des Haushaltseinkommens
5.2.1 Bedingungsloses Grundeinkommen
5.2.3 Erwerbsförderung von Frauen
5.2.4 Bildungs- und Qualifizierungsoffensive

6. Fazit

Anhang

Leitfragengestütztes Experteninterview mit Constanze Müller, Koordinatorin von Brückenjobs in einer Beschäftigungsinitiative

Über das Leben als „working poor“ – Interview mit einer Betroffenen

Glossar

Literaturverzeichnis

Vorwort

Das Thema, mit dem ich mich in dieser Facharbeit auseinander setze, „Working poor – arm trotz Arbeit“, umfasst sehr unterschiedliche und zugleich vielschichtige Teilaspekte. Vor diesem Hintergrund habe ich mich bei der Planung und ersten Vorstrukturierung der Arbeit entschlossen, das Hauptaugenmerk auf Einflussgrößen, Auswirkungen und mögliche Lösungsansätze zu „working poor“ zu legen. Zur Erarbeitung der Thematik selbst habe ich eine Literaturrecherche und eine Analyse von Fach- und Zeitungsartikeln durchgeführt. Ergänzend habe ich ein leitfragengestütztes Experteninterview mit einer Koordinatorin von Brückenjobs geführt. Des Weiteren konnte ich eine von „working poor“ betroffene Mutter zweier Kinder befragen, die mir einen Einblick in ihre persönliche Erwerbsbiografie gegeben hat.

Entstanden ist eine Arbeit, die einen zusammenfassenden Überblick zu „Working poor – arm trotz Arbeit“ gibt, ohne jedoch damit den Anspruch erheben zu wollen und zu können, für die in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft kontrovers diskutierte Thematik ein Patentrezept zur Problemlösung zu präsentieren.

1. Einleitung

Arm trotz Arbeit?! In diesem Satz scheint zunächst ein Widerspruch zu stecken. Armut: Damit assoziieren die meisten Menschen Obdachlose, Arbeitslose, Rentner und Alleinerziehende, also im Wesentlichen Personengruppen, die nicht erwerbstätig sind und deshalb nicht genug Geld zum Leben haben. Dass es aber auch Menschen gibt, die mit und trotz Arbeit arm sind, registrieren nicht nur in Deutschland recht Wenige als real existierendes Problem. Viele gehen wie selbstverständlich davon aus, dass Jemand, der arbeiten geht, auch genug finanzielle Mittel zum Leben zur Verfügung hat.

Armut trotz Erwerbstätigkeit, dieses im Amerikanischen als „working poor“ bezeichnete Phänomen, ist vor allem durch den US-amerikanischen Journalisten und Pulitzer-Preisträger David K. Shipler mit dessen Buch „The working poor“ (Shipler, 2005) geprägt und weltweit bekannt geworden. Shipler schildert den Alltag von erwerbstätigen Armen am Beispiel von einfachen Industriearbeitern, Servicekräften oder Erntehelfern in den USA. Inzwischen ist deutlich geworden: Das Phänomen „working poor“ ist kein ausschließlich US-amerikanisches Problem, sondern eines, das auch in den europäischen Wohlfahrtsstaaten vorzufinden ist. Dabei ist die Betrachtung der von Shipler beschriebenen hart arbeitenden, aber schlecht bezahlten Arbeitskräfte allerdings nur eine von vielen Seiten der „Armut von Erwerbstätigen“ (Lohmann, 2007, S. 11).

Ziel dieser Facharbeit ist es, zunächst einen Überblick darüber zu geben, was nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen heute unter „working poor“ in Deutschland zu verstehen ist. Zunächst wird dazu der Begriff „working poor“ selbst erläutert. Danach werden verschiedene Determinanten von Armut trotz Erwerbstätigkeit erörtert. Anhand eines Praxisbeispieles werden Auswirkungen von Armut trotz Erwerbstätigkeit dargelegt.

Nach der dann folgenden Darstellung und Diskussion unterschiedlicher Lösungsansätze zur Bekämpfung von „Armut trotz Erwerbstätigkeit“ folgt abschließend das Fazit mit einem Ausblick auf zukünftig anzugehende Problem- und Fragestellungen.

2. „Working poor" – Eine Annäherung an den Begriff

Armut trotz Erwerbstätigkeit, so kann der Begriff „working poor“ wörtlich übersetzt werden, ohne dass damit gleichzeitig erklärt ist, was genau unter „working poor“ zu verstehen ist. Um es gleich vorweg zu nehmen: Eine einheitliche und allgemein gültige Begriffsdefinition lässt sich an dieser Stelle nicht präsentieren, denn das würde voraussetzen, dass „Armut“ und „Erwerbstätigkeit“ klar, eindeutig und einheitlich beschrieben und bestimmt wären. Das ist in der Realität nicht der Fall, weshalb an dieser Stelle lediglich eine Annäherung an den Begriff „working poor“ nach heutigem Verständnis vorgenommen wird.

Während in der älteren amerikanischen und deutschen Literatur noch davon ausgegangen wurde, dass „working poor“ mit gering qualifizierter und gering bezahlter Beschäftigung gleichzusetzen ist (Klein & Rones, 1989), (Gardner & Herz, 1992), weisen neuere wissenschaftliche Untersuchungen darauf hin, dass es nicht allein die gering bezahlten Jobs sind, die als Ursache von Armut von Erwerbstätigen identifiziert werden können (Strengmann-Kuhn, 2003, S. 8-9). So spielt beispielsweise der Haushaltskontext, also die Lebenssituation der Betroffenen, eine entscheidende Rolle dafür, ob ein Einkommen für die Deckung des Lebensunterhaltes ausreicht oder nicht. Auch normal verdienende Erwerbstätige, die als Alleinversorger den Unterhalt ihrer Familie abzudecken haben, zählen öfter als manch andere Personen zur Gruppe der so genannten erwerbstätigen Armen. Die Berücksichtigung dieses Aspektes setzt allerdings voraus, dass „Armut von Erwerbstätigen“ im Sinne der allgemeinen Armutsforschung definiert wird. Diese geht ihrerseits von allen in einem Haushalt verfügbaren Ressourcen aus und nicht allein von der Verteilung der Erwerbseinkommen (Lohmann, 2007, S. 91). Ein solch umfassenderes Verständnis von „Armut von Erwerbstätigen“ hat sich in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion mittlerweile etabliert. So wird in der europäischen Sozialberichterstattung ein entsprechender Indikator verwendet (Bardone & Guio, 2005).

In der Europäischen Sozialcharta (Europarat, 1996) wurde zuvor bereits bestimmt, dass ein für eine Erwerbstätigkeit gezahlter Lohn grundsätzlich existenzsichernd sein soll. Mit ihr wurde von den und für die europäischen Mitgliedsstaaten festgelegt, wie hoch das Arbeitseinkommensniveau sein soll, das nirgendwo unterschritten werden darf. Ausgangspunkt für die Berechnung dieses Niveaus ist der Durchschnittslohn im jeweiligen Land.

Die „Lohnarmutsgrenze“ liegt laut Europarat bei 60 Prozent des durchschnittlichen Vollzeiterwerbseinkommens eines Landes. Nur wenn ein Land nachweisen kann, dass auch unter der ermittelten Einkommensgrenze ein angemessener Lebensstandard garantiert ist, ist eine solche Grenze noch vereinbar mit der Europäischen Sozialcharta. Heruntergebrochen auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen liegt die „ Armutsrisikoschwelle “ nach dem so genannten NRW-Konzept bei 50 Prozent des Nettoäquivalenzeinkommens[1] (Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, o.A.). Zur Klärung der Frage, ab wann eine Person vollerwerbstätig ist, lässt sich Folgendes anführen: Nach einer Abgrenzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, des Forschungsinstitutes der Bundesagentur für Arbeit, gilt als „vollerwerbstätig, wer pro Jahr mindestens 1820 Stunden beschäftigt war.“ (Rhein, 2009, S. 4). Dies entspricht einer ganzjährigen Beschäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden. Ausgehend von dieser Definition sind „working poor“ demnach Menschen, die mit einem Vollzeit-Job weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns eines Landes verdienen. In einem Einpersonenhaushalt liegt diese Schwelle in Nordrhein-Westfalen bei einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 637 Euro, bei einem Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern im Alter von unter 14 Jahren bei 1720 Euro (Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Soziales des Landes NRW, o.A.).

3. Determinanten von Armut trotz Erwerbstätigkeit

In diesem Kapitel wird dargestellt, welche Determinanten Einfluss auf Armut trotz Erwerbstätigkeit haben. Dabei wird der Bereich Sozio-Demografie in Alter, Geschlecht, Bildung, der Bereich Haushalt in Familien mit Kindern, Alleinverdienern und Doppelverdienern und der Bereich Erwerbstätigkeit in die drei Aspekte Teilzeitbeschäftigung, Niedriglohnbeschäftigung und Selbstständigkeit unterteilt (siehe unten). Alle diese Bereiche sind Bestimmungsgründe des Armutsrisikos auf der Mikroebene (Lohmann, 2007, S. 31). Inwiefern das Armutsrisiko von den oben genannten Faktoren abhängt, ist in einer Vielzahl von Studien untersucht worden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die Determinanten von Armut trotz Erwerbstätigkeit[2]

3.1 Der Einfluss der Sozio-Demografie

3.1.1 Faktor Alter

Der Einfluss des Faktors Alter auf Armut trotz Erwerbstätigkeit stellt sich uneinheitlich dar. Alter kann grundsätzlich als Indikator für Berufserfahrung interpretiert werden, wobei durchschnittlich eher jüngere Erwerbstätige von Armut betroffen sind (Lohmann, 2007, S. 32). Strengmann-Kuhn stellt in seinen Untersuchungen fest, dass die höchsten Armutsquoten Personen unter 25 Jahren haben. In der Gesamtbevölkerung beträgt die Armutsquote der unter 25-Jährigen 17,5 Prozent. Bei den erwerbstätigen Armen sind 9,4 Prozent unter 25 Jahre alt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass junge Erwachsene auch dann, wenn sie erwerbstätig sind, oft ein Einkommen unter der Einkommensgrenze haben (zum Beispiel eine Friseurin in den ersten Gesellenjahren). Betrachtet man die Gesamtbevölkerung, nimmt die Armutsquote mit zunehmendem Alter ab. Lediglich für die Gruppe der 56- bis 65-Jährigen nimmt sie wieder leicht zu (Strengmann-Kuhn, 2003, S. 81).

3.1.2 Faktor Geschlecht

Untersucht man das Verhältnis der erwerbstätigen Männer und Frauen in Deutschland, so ist festzustellen, dass sowohl relativ als auch absolut mehr Männer als Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Wird nun ausschnitthaft die Gruppe der erwerbstätigen Armen untersucht, so zeigt sich ein durchaus überraschendes Ergebnis. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass Frauen die Mehrheit dieser Gruppe stellen, haben diese nur einen Anteil von 42,4 Prozent (Strengmann-Kuhn, 2003, S. 80). Zwar gibt es ein Einkommensdifferenzial zwischen Männern und Frauen. Jedoch sind die Gründe für die erhöhte Armutsgefährdung von Männern leicht zu erschließen: Männer stellen die absolute Mehrheit der deutschen Bevölkerung. 27,5 Millionen Männer und 26,9 Millionen Frauen leben in Deutschland. Die Erwerbsquoten liegen bei 69,2 Prozent bei den Frauen und bei 81,6 Prozent bei den Männern (Bundesagentur für Arbeit, 2009). Errechnet man nun die relative Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen und Männern, so sind 54,6 Prozent der Erwerbstätigen Männer, 45,4 Prozent sind Frauen. Aus der höheren Beteiligung der Männer[3] am Arbeitsmarkt insgesamt resultiert deren durchschnittlich höhere Gefährdung für Erwerbsarmut (Strengmann-Kuhn, 2003, S. 79ff).[4]

3.1.3 Faktor Bildung

Der Faktor Bildung ist für das Armutsrisiko von Erwerbstätigen von besonderer Bedeutung. In den Blick zu nehmen sind hier sowohl die Schulbildung als auch die Berufsausbildung, die beide großen Einfluss auf das Armutsrisiko haben. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass Personen, die sich noch in Ausbildung befinden, sehr häufig in Haushalten mit einem Einkommen unter der Armutsgrenze leben. Insgesamt lässt sich sagen, dass ein erworbener Schulabschluss die Armutsquote deutlich absenken kann. Je höher der Bildungsabschluss ist, desto geringer fällt das Armutsrisiko aus (Strengmann-Kuhn, Armut trotz Erwerbstätigkeit, 2003, S. 82-84). Der Einfluss der Berufsausbildung auf das Armutsrisiko von Erwerbstätigen lässt sich zusammenfassend so beschreiben: Für Erwerbstätige ohne Berufsausbildung ist die höchste Armutsquote zu beobachten. Auch hier gilt: Je höher qualifiziert die Berufsausbildung ist, desto geringer fällt das Risiko aus, zum arbeitenden Armen zu werden. Für Deutschland hat Strengmann-Kuhn in seinen Untersuchungen festgestellt: „Die knappe Mehrheit der erwerbstätigen Armen verfügt über eine Berufsausbildung, es ist aber relativ häufig maximal ein Hauptschulabschluss vorhanden.“ (Strengmann-Kuhn, 2003, S. 84). Aktuellere Untersuchungen belegen dies (Lohmann, 2007, S. 30ff).

3.2 Der Einfluss des Haushalts

Betrachtet man das Armutsrisiko von Erwerbstätigen, so stellt man fest, dass dieses nicht allein vom bloßen Lohn Einzelner, sondern wesentlich vom Haushaltskontext abhängt. Mit einem Lohn, von dem ein Alleinlebender gut leben kann, kommt ein Alleinerziehender mit mehreren Kinder womöglich nicht aus. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob in dem jeweils betrachteten Haushalt noch andere Erwachsene (z.B. erwachsene Kinder) leben und ob diese und wenn ja, in welchem Umfang diese erwerbstätig sind (Andreß & Krüger, 2006). Unter den verschiedenen Haushaltstypen fällt auf, dass bei Alleinerziehenden die Armutsquote mit 24 Prozent überdurchschnittlich hoch ist, obwohl dieser Haushaltstyp nur einen Anteil von drei Prozent an der Gesamtbevölkerung ausmacht (Rhein, 2009, S. 7). Die Armutsquote bei kinderlosen Paaren liegt zudem niedriger als bei einer kinderreichen Familie. Dies ist in der Regel darin begründet, dass kinderlose Paare meist zwei volle Erwerbseinkommen zur Deckung des Lebensunterhaltes zur Verfügung haben, während Familien mit vielen Kindern nicht selten von nur einem Erwerbseinkommen leben müssen.[5]

3.3 Der Einfluss der Erwerbstätigkeit

Die Art und der Umfang der Erwerbstätigkeit beeinflussen maßgeblich das Risiko zum „working poor“ zu werden. Unterschieden werden können Erwerbspersonen in regulären Arbeitsverhältnissen und in atypischen Arbeitsverhältnissen. Dabei sind Menschen, die nicht „normal“ beschäftigt, also z. B. weder unbefristet noch in Vollzeit arbeiten, stärker gefährdet, arm trotz Arbeit zu werden. Deutlich erkennbar ist in den letzten Jahren die deutliche Zunahme von atypischen Beschäftigungsverhältnissen, wobei die regulären Arbeitsverhältnisse nach wie vor die Mehrheit stellen.[6]

3.3.1 Faktor Teilzeitjob

Teilzeitbeschäftigung als eine Form der Erwerbstätigkeit geht mit einem höheren Armutsrisiko einher. Dieses höhere Risiko von Teilzeitbeschäftigten fokussiert sich vor allem auf Frauen, die häufiger als Männer ihre Rolle zwischen Familie und Beruf abwägen (Müller, 2009). Die individuelle Familiensituation wirkt sich restriktiv auf die Erwerbsmöglichkeiten von Frauen aus. Hinzu kommt, dass Teilzeitbeschäftigte im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten durchschnittlich niedriger qualifiziert sind und außerdem durchschnittlich schlechter bezahlt werden (Fagan & Rubery, 1996).[7]

3.3.2 Faktor Niedriglohn

Bevor man den Faktor Niedriglohn im Detail betrachten kann, ist zunächst eine Definition des Begriffes selbst notwendig. Unter Niedriglohn versteht man nach internationalen Analysen einen Lohn, der bei weniger als 2/3 des durchschnittlichen Medianlohns eines Vollerwerbstätigen liegt.[8] Die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit gibt genauen Aufschluss über die Verteilung der Arbeitnehmer auf die besonders von Niedriglöhnen betroffenen Branchen (Bundesagentur für Arbeit, 2007). Insgesamt 7,1 Millionen Menschen in Deutschland gehen einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nach. Dies entspricht bei 35,2 Millionen Arbeitnehmern (Statistisches Bundesamt Deutschland, o.A.) einer Quote von 20,2 Prozent. Die Mehrheit dieser Arbeitnehmer ist im tertiären Sektor tätig. 83 Prozent der geringfügig entlohnten Beschäftigten sind dort beschäftigt. Im sekundären Sektor sind es 15 Prozent, im primären Sektor knappe zwei Prozent. Eine erhöhte Konzentration von Niedriglohnbeschäftigen ist dabei im Handel – hier wiederum verstärkt im Einzelhandel – und im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen festzustellen. Typische Berufsbilder für Niedriglöhner sind z.B. Einzelhandelskaufmann, Altenpfleger, Abfallentsorger, Gebäudereiniger oder auch Wachmann.

Menschen, die im Niedriglohnbereich tätig sind, weisen überdurchschnittlich häufig keine oder geringere Bildungsabschlüsse auf (Lohmann, 2007, S. 149ff). Frauen sind im Niedriglohnbereich verstärkt anzutreffen (Bundesagentur für Arbeit, 2007).

3.3.3 Faktor Selbstständigkeit

Ein erstaunlich großer Teil der erwerbstätigen Armen ist selbstständig tätig. 15,6 Prozent der erwerbstätigen Armen machen die Selbstständigen aus. Die Meisten von ihnen sind in Vollzeit tätig. Von allen Erwerbstätigen sind lediglich 9,7 Prozent selbstständig. Hierdurch wird deutlich, dass Selbstständige folglich überdurchschnittlich von Armut trotz Arbeit betroffen sind. Eine mögliche Ursache dafür können hohe Aufwendungen der Unternehmer sein. Von einem Umsatz von knapp 100 Euro bleiben einem Unternehmen nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank vom Juni 2006 nur 2,90 Euro Gewinn(Wodok, 2007). Dieser Gewinn ist das Einkommen des Unternehmers. Davon muss er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Hinzuzufügen ist zu diesen Zahlen, dass man das Einkommen von Selbstständigen nur schwer messen kann, da es zum Teil erheblichen Schwankungen unterliegt (Strengmann-Kuhn, 2003, S. 71-72). Diese Schwankungen können von kurzfristigen Einkommenskürzungen bis hin zu Einkommensausfall führen. Sind keine ausreichenden Rücklagen vom Selbstständigen gebildet worden, führt dies zu Armut.

4. Auswirkungen der Erwerbsarmut gezeigt an einem Praxisbeispiel

Die Auswirkungen von Erwerbsarmut auf das Leben der Betroffenen können gravierend sein. Anhand des Praxisbeispiels von Regina Koch (siehe Interview 2 im Anhang) werden hier beispielhaft einige der wichtigsten Auswirkungen von Armut dargestellt.

Die Familie Koch bestreitet ihren Lebensunterhalt zurzeit aus einer Kombination von eigenem Erwerbseinkommen und staatlichen Zuschüssen. Die monatlichen Einnahmen aus eigener Erwerbstätigkeit etc. wären ohne diese Zuschüsse so gering, dass sie nicht einmal zur Deckung der nötigsten Bedürfnisse ausreichen würden. Mit den Zuschüssen bleibt der Familie zwar absolute Armut erspart, eine Beteiligung am gesellschaftlichen Leben bleibt ihr dennoch in Teilbereichen verwehrt. So sind zusätzliche Ausgaben für zum Beispiel Kino- oder Theaterbesuche nicht finanzierbar. Das Studium, das Frau Koch gerne aufgenommen hätte, ist für sie nicht durchführbar, weil es für sie nicht bezahlbar ist.

5. Lösungsansätze

Armut trotz Erwerbstätigkeit ist ein Problem der modernen von Globalisierung geprägten Gesellschaft, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. In Wirtschaft, Politik und Gesellschaft werden unterschiedlichste Lösungsansätze diskutiert, von denen an dieser Stelle die wichtigsten dargestellt werden. Dabei lassen sich grundlegend zwei Lösungsansätze unterscheiden: Die Erhöhung der individuellen Löhne und die Erhöhung des Haushaltseinkommens (Strengmann-Kuhn, Armut trotz Erwerbstätigkeit, 2003).

5.1 Erhöhung der individuellen Löhne

Bei einer Erhöhung der individuellen Löhne wird davon ausgegangen, dass Erwerbsarmut aufgrund von niedrigen Löhnen entsteht. Ziel ist daher eine Anhebung der Löhne, die unterhalb der festgelegten Armutsdefinition liegen.

5.1.1 Mindestlöhne

Ein in der aktuellen Auseinandersetzung mit „working poor“ häufig vorgebrachter Vorschlag bezieht sich auf die Einführung von gesetzlichen oder flächendeckenden tariflichen Mindestlöhnen. Mindestlöhne sollen einen Lohn über der Armutsgrenze garantieren (siehe zu dieser Problematik auch Kapitel 1). Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer können dadurch zusätzlich motiviert werden, eine höhere Qualifizierung anzustreben. Einerseits können die Arbeitnehmer so ihre Chancen am Arbeitsmarkt erhöhen. Andererseits werden die Arbeitgeber durch die Mindestlöhne motiviert, die Qualifizierung ihrer Arbeitskräfte voranzutreiben, um so deren Produktivität auf ein Niveau über dem des Gegenwertes für den gezahlten Mindestlohns zu heben. Für die Arbeitnehmer besteht der Anreiz für die Qualifikation darin, durch diese ihren Arbeitsplatz zu sichern. Denn ohne eine zusätzliche Qualifikation läge ihre Produktivität unter dem Mindestlohn. Der Arbeitgeber würde demzufolge einen solchen Mitarbeiter auf Dauer durch einen effektiveren Mitarbeiter ersetzen lassen. „Mindestlöhne können zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern beitragen.“, führt Strengmann-Kuhn (2003, S. 205) in seiner Argumentation an. Außerdem schaffen Mindestlöhne, so seine Auffassung, Anreize für nicht erwerbstätige Frauen, ihre Arbeitskraft anzubieten.

[...]


[1] Siehe Abbildung 2

[2] Eigene Grafik basierend auf den Ausführungen von (Lohmann, 2007, S. 31)

[3] Zur Frage, weshalb Männer sich verstärkt am Arbeitsmarkt beteiligen, vgl. (Müller, 2009)

[4] siehe Abbildung 3

[5] Siehe Abbildung 4

[6] Siehe Abbildung 5

[7] Siehe Abbildung 6

[8] Definition gemäß (Europäische Kommission, 2004) und (OECD, 1996)

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Arm trotz Arbeit - das Phänomen der "working poor"
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
27
Katalognummer
V161769
ISBN (eBook)
9783640765522
ISBN (Buch)
9783640765614
Dateigröße
668 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
working poor, OECD, Armut, Hartz IV, Existenzminimum
Arbeit zitieren
Marius Beckermann (Autor:in), 2009, Arm trotz Arbeit - das Phänomen der "working poor", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161769

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Arm trotz Arbeit - das Phänomen der "working poor"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden