Der 11. November: Ein Feiertag, den (fast) niemand feiert


Seminararbeit, 2008

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Fest im Kontext des nationalen Gedächtnisses einer Nation
2.1 Das nationale Gedächtnis
2.2 Das Fest

3. Geschichtlicher Hintergrunde: Der Erste Weltkrieg
3.1 Allgemeine Informationen
3.2 Der Krieg in Frankreich

4. Der Feiertag des 11. November
4.1 Zur Geschichte dieses Feiertags
4.2 Die Zeremonie dieses Feiertags

5. Die Zukunft des 11. November
5.1 Argumente für die unveränderte Beibehaltung dieses Feiertags
5.2 Was spricht für Veränderungen?
5.2.1 Neue Vermittlungswege
5.2.2 Ein neuer Feiertag

6. Fazit

7. Anhang

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Betrachtet man deutsche und französische Feiertage, so gibt es ein Datum, dessen Konnotation in beiden Ländern unterschiedlicher kaum sein könnte. Denkt man bei seiner Nennung in Deutschland zuerst an den Karnevalsbeginn, der im Allgemeinen feuchtfröhlich begangen wird, so handelt es sich in Frankreich um einen Tag des Gedenkens, genauer gesagt den Jahrestag des Waffenstillstands, der den Ersten Weltkrieg vor fast 90 Jahren beendete. Die Rede ist vom 11. November.

Die vorliegende Arbeit wird sich im Folgenden nicht weiter mit dem deutschen „Feiertag“ beschäftigen, zumal dieser nicht von offizieller Natur ist. Vielmehr ist sie der Bedeutung des 11. November im Frankreich von heute gewidmet. Dabei soll vor allem der Frage nachgegangen werden, inwieweit dieser Feiertag, der unter anderem die Bezeichnung Fête de l ’ Armistice trägt,1 noch von kollektiver Bedeutung ist und ob er nicht gänzlich abgeschafft oder zumindest modernisiert, d.h. den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden sollte. Hintergrund dieses Gedankens ist vor allem die Tatsache, dass die Beteiligung der Bevölkerung an den offiziellen Feierlichkeiten am 11. November vergleichsweise gering ist. Kann man daraus schließen, dass die durch diesen Feiertag übermittelten Erinnerungen und Werte nur noch schwach in der französischen Gesellschaft verwurzelt sind?

Da es zur Beantwortung der gestellten Fragen einer terminologischen Grundlage bedarf, wird sich diese Arbeit zunächst mit dem Feiertag bzw. Fest als Teil des politischen Gedächtnisses einer Nation beschäftigen. Im darauf folgenden Abschnitt wird mit dem Ersten Weltkrieg der geschichtliche Hintergrund näher beleuchtet, um danach auf die Entstehung sowie auf die Bedeutung und Entwicklung dieses Feiertages in den folgenden Jahrzehnten einzugehen.

Der letzte Teil der Arbeit wendet sich der oben genannten Frage nach der heutigen Aktualität dieses Feiertags zu. Dabei soll einerseits diskutiert werden, was dafür spricht, den 11. November als Feiertag weiterhin beizubehalten, um demgegenüber aufzuzeigen, was - im extremsten Falle - für seine Abschaffung oder zumindest für seine Modernisierung spräche.

2. Das Fest im Kontext des nationalen Gedächtnisses einer Nation

2.1 Das nationale Gedächtnis

Um die verschiedenen Phänomene des Gedächtnisses von Individuen und Gruppen besser beschreiben und analysieren zu können, hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein reicher Begriffsschatz herausgebildet. Federführend waren in Deutschland dabei besonders die Anglistin Aleida Assmann sowie ihr Ehemann, der Ägyptologe Jan Assmann. Die in ihren Büchern dargelegten Gedanken sollen die Basis der folgenden Ausführungen bilden.

Für die Beantwortung der Fragen, denen diese Arbeit nachgeht, ist dabei für uns vor allem das politische Gedächtnis von Interesse, das ebenso wie das kulturelle Gedächtnis symbolisch vermittelt wird und daher eng mit diesem verknüpft ist. Da das Verständnis des Konzeptes des politischen Gedächtnisses das des kulturellen Gedächtnisses voraussetzt, sollen dessen Eigenschaften zunächst kurz skizziert werden. Für Jan Assmann wird das kulturelle Gedächtnis vor allem durch „die Überlieferung des Sinns“2 charakterisiert. Es ist eben dieser Sinn, durch den eine Handlung zum Ritus wird, indem ihr neben der Zweck- ebenso eine Sinnbedeutung zugewiesen wird. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist dies beispielsweise das Salutieren eines Soldaten: der motorischen Tätigkeit des Bewegens der Hand zur Mütze wird der Sinn der Ehren- bezeugung beigemessen. Neben Handlungen kann jedoch auch Dingen eine sinnstiftende Bedeutung gegeben werden, so dass hier zwei symbolische Vermittlungs- formen des kulturellen Gedächtnisses unterschieden werden können. Einerseits die „symbolischen Praktiken“ wie Riten und Feste - zu denen auch der uns interessierende französische Feiertag zählt - und andererseits „materiale Repräsentationen“ in Form von Artefakten wie Texten, Denkmälern und Bildern. Durch die Tatsache, dass das im kulturellen Gedächtnis gespeicherte Wissen „von seinen lebendigen Trägern abgelöst und auf materielle Datenträger übergegangen ist,“3 weisen seine Medien außerdem eine große Festigkeit und Dauer auf, die zudem institutionell gesichert ist. Trotz alledem sind sie nicht unumstößlich, wie die Beispiele zahlreicher „Denkmalstürze“ zeigen.4

Die immer wieder auftauchende Frage nach der Existenz eines kollektiven Gedächtnisses ist es auch, die uns zur Schnittstelle zwischen kulturellem und politischem Gedächtnis bringt. Auch wenn kollektive Anteile im kulturellen Gedächtnis enthalten sind,5 so kann laut Aleida Assmann nur das politische Gedächtnis im engeren Sinne als kollektiv bezeichnet werden.6 Denn während beide über die oben beschriebenen symbolischen Praktiken vermittelt werden, wird ersteres individuell, letzteres jedoch kollektiv verarbeitet. Dadurch bildet es vor allem eine starke „Wir- Identität“ einer bestimmten Gruppe von Menschen, beispielsweise einer Nation, aus. Aus diesem Grunde wird das politische Gedächtnis auch als nationales Gedächtnis bezeichnet.

Wie im Falle des kulturellen Gedächtnisses sind bei dieser Gedächtnisformation die Konstruiertheit, der selektive Charakter sowie die hohe Stabilität auffällig. Für Aleida Assmann beginnt das nationale Gedächtnis dort, „[w]o Geschichte im Dienst der Identitätsbildung steht, wo sie von den Bürgern angeeignet und von den Politikern beschworen wird“.7 Somit sind neben dem nationalen Gedächtnis zwei weitere Konzepte von Bedeutung: Geschichte, bzw. Geschichtsschreibung und Identität. Denn es ist vor allem die Perspektive der Identität, aufgrund derer sich der Blickwinkel des nationalen Gedächtnisses von dem der Historiographie unterscheidet; stehen sich doch in vielen Fällen faktische und erinnerte Geschichte gegenüber.8 Die Folge ist ein Zustand, den der französische Begriff bataille de mémoire wohl am treffendsten beschreibt: der Vorwurf historischer Verfälschung trifft auf den der „Nest- beschmutzung“. Wir werden später darauf zurückkommen, ob die Diskussion über die Zukunft der Fête de l ’ Armistice einmal zu solch einem Kampf um die Erinnerung werden könnte.

2.2 Das Fest

Wie bereits erwähnt wurde, handelt es sich bei Festen um „symbolische Praktiken“, die Träger des kulturellen und nationalen Gedächtnisses darstellen. Der von uns betrachtete Feiertag kann als eine seiner möglichen Ausprägungsformen angesehen werden. Dabei ist auffällig, dass das Fest besonders in der Form des Feiertages einen konkreten historischen Bezug aufweist.

Weiterhin von Bedeutung sind die gesellschaftlichen Funktionen des Festes. Durch ein gemeinschaftliches und auf die Identität zentriertes Erleben stiftet es „gleichsam Bewusstsein und das Gefühl zu einer Gemeinschaft zu gehören.“9 Weiterhin dient es einer erinnernden Gruppe, sich ihre fundierende Vergangenheit zu vergegenwärtigen, um sich dadurch ihrer Identität zu vergewissern.10 Wichtig ist schließlich noch die Partizipationsform des Festes. Denn durch Zusammenkunft und persönliche Anwesenheit wird einer Gruppe ein Anteil am kulturellen, oder im Kontext der Nationalstaaten auch am politischen Gedächtnis vermittelt. Feste sind der Anlass für solche Zusammenkünfte.11 Gemeinsam mit den Riten sorgen sie „im Regelmaß ihrer Wiederkehr für die Vermittlung und Weitergabe des identitätssichernden Wissens und damit für Reproduktion der kulturellen Identität.“12

Grundlegend für das Verständnis des Festes ist außerdem die Erklärung der beiden Grundprinzipien, die für die Stiftung von Gemeinschaft sorgen. Bei diesen handelt es sich um Wiederholung und Vergegenwärtigung.13 Während erstere durch wieder erkennbare Muster Ordnung bietet, dient die zweite der Auslegung einer Überlieferung. Jeder Ritus ist durch den Doppelaspekt beider Prinzipien determiniert, wichtig ist jedoch das zwischen ihnen entstehende Spannungsfeld. Um dies zu verdeutlichen, stelle man sich eine Gerade vor, an deren Endpunkten sich beide Aspekte gegenüberstehen. Entsprechend der Lage auf dieser Gerade lässt sich der Charakter des betreffenden Festes bestimmen: je näher es dem Wiederholungsaspekt kommt, desto stärker ist es durch die Strenge seiner Ordnung geprägt, während in entgegengesetzter Richtung der ihm gegebene Freiraum überwiegt. Auch dieses Spannungsfeld, sowie seine Bedeutung für unsere Fragestellung, soll uns in der Folge noch interessieren.

Auffällig für Feste und Feiertage ist schließlich bei genauerer Betrachtung auch ihre Konstruiertheit, die eng mit der Stiftung eines bestimmten - und beabsichtigten - Sinnes verknüpft ist. Nimmt man beispielsweise Kalender oder Schulbücher vergangener Jahrzehnte oder Jahrhunderte zur Hand, so wird man ohne große Mühe auf religiös oder politisch geprägte Feiertage stoßen, die heute weder aktuell und oft auch nicht einmal mehr bekannt sind14 - ein Schicksal, das auch den 11. November in nicht allzu ferner Zukunft ereilen könnte.

3. Geschichtlicher Hintergrund: Der Erste Weltkrieg

Vor der Untersuchung der Frage nach der Aktualität der Fête de l ’ Armistice soll zunächst noch näher auf den historischen Hintergrund - den Ersten Weltkrieg - und die mit ihm verbundenen Ereignisse und Erfahrungen eingegangen werden. Dies beinhaltet sowohl eine Betrachtung der allgemeinen Konstellationen und Konsequenzen dieses Krieges als auch die genauere Beschäftigung mit seinen Auswirkungen auf Frankreich.

3.1 Allgemeine Informationen

Betrachtet man die Hintergründe dieses Krieges, so ist die Frage nach dem Auslöser wohl am leichtesten zu beantworten. Denn das am 28. Juni 1914 von einem serbischen Nationalisten verübte Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand ist unschwer als das Ereignis zu bestimmen, welches mehrere schwelende Konflikte in ein loderndes Feuer verwandelte, die sich so zu einem Weltkrieg ausweiten sollten. Was die Frage nach der Kriegsschuld angeht, so wird die Beantwortung um einiges komplizierter. Wurde nach Kriegsende im Versailler Vertrag festgeschrieben, dass der Krieg den Alliierten » durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen wurde «, so ist die spätere Forschung zu der Schlussfolgerung gelangt, dass einerseits keine der beteiligten Mächte die Absicht gehabt hätte, einen Krieg zu entfesseln, dass aber andererseits aber auch keine der involvierten Parteien einen ernsthaften Versuch unternommen hätte, den Frieden zu verteidigen.15

Dies führte dazu, dass aus einem serbisch-österreichischen Konflikt innerhalb eines Monats eine deutsch-russische Auseinandersetzung wurde, die sich kurz darauf zu einer deutsch-französisch-englischen Konfrontation auswuchs. Die unterschiedlichen Bündnissysteme, die bis dahin den Krieg vermieden hatten, sorgten nun in rasender Geschwindigkeit für eine Beschleunigung der Ereignisse.16 Die sich dabei gegen- überstehenden Kriegsparteien waren auf der einen Seite die Mittelmächte, zu denen Österreich-Ungarn, das Deutsche Reich, das Osmanische Reich und später Bulgarien

Mariä Verkündigung “, „8 septembre: la Nativité de Notre-Dame Mariä Geburt “ und „8 décembre:

l’Immaculée Conception MariäEmpfängnis “. Bei einem Blick in einen aktuellen Kalender ist von diesen Feiertagen keinerlei Spur mehr zu finden. Am 25. März ist der 50. Jahrestag der Römischen Verträge vermerkt, der 8. September firmiert als journée internationale de l ’ alphabétisation.

[...]


1 Weiterhin findet man die Benennungen Fête de la Victoire, Armistice 1918 oder Fête du Souvenir in französischen Kalendern.

2 Vgl. J. Assmann (2005), S. 21.

3 Vgl. A. Assmann (2006), S. 34.

4 Siehe dazu das von Winfried Speitkamp herausgegebene Buch Denkmalsturz (Vandenhoeck & Ruprecht 1997), dessen Beispiele von der Französischen Revolution bis zur deutschen Wiedervereinigung reichen.

5 Sowie auch in anderen „Gedächtnisformationen“ wie dem sozialen Gedächtnis. Siehe dazu A. Assmann (2006), S. 26 ff.

6 Ebd., S. 36.

7 Ebd., S. 37.

8 Vgl. J. Assmann (2005), S. 52.

9 Röseberg (2001), S. 36.

10 Vgl. J. Assmann (2005), S. 53.

11 Ebd., S. 57.

12 Ebd.

13 Röseberg (2001), S. 36.

14 Nehmen wir als Beispiel Boerner (1914), in dessen Buch auf Seite 97 u.a. folgende französische Feiertage aufgeführt sind: „2 février: la Purification MariäLichtmesse “, „25 mars: l’Annonciation, f.

15 Vgl. Schunck (1994), S. 336.

16 Vgl. Montero (2001), S. 13.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der 11. November: Ein Feiertag, den (fast) niemand feiert
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Romanistik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V161582
ISBN (eBook)
9783640750627
Dateigröße
590 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
11. November, Armistice, Waffenstillstand, Feiertag, Erster Weltkrieg, Nationales Gedächtnis, bataille de mémoire, Frankreich, Anciens Combattants
Arbeit zitieren
Fauser Henning (Autor:in), 2008, Der 11. November: Ein Feiertag, den (fast) niemand feiert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161582

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