Die Veränderung des Kapitals nach Pierre Bourdieu

Untersuchung und Vergleich verschiedenster Begrifflichkeiten des Kapitals


Projektarbeit, 2010

26 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


1. Einleitung und Problemstellung

In seiner Abhandlung über ‚Die verwandelte Klassengesellschaft‘ postulierte Michael Vester im Jahre 1994 einst, dass jede Forschung neben der Professionalität ihrer Untersuchungsweise vor allem an ihrer Fragestellung zu erkennen sei. Angelehnt an das Eingangszitat war das Ziel der vorliegenden Modularbeit die Untersuchung und der gleichzeitige Vergleich verschiedenster Begrifflichkeiten des Kapitals. Die traditionelle Vorgehensweise bei der Bemessung der Profitabilität einer Gesellschaft oder eines Unternehmens sowie dessen spezifischen Wachstumsmöglichkeiten beruht in der traditionellen Betrachtung auf ökonomischen und buchhalterischen Wertgrößen, wie Jahresüberschüssen, Dividendenzahlungen und Umsätzen. Sie sind zunächst mit dem Vorteil belegt, mit relativ einfachen Mitteln aus Jahresabschlussbilanzen (z.B.) erfasst werden zu können. Im Laufe der Untersuchungen wird sich herausstellen, dass Unternehmensbewertungen und jeweiliges Kapital nicht ausschließlich aus dieser Perspektive gedacht werden können. Vor allem in Kapitel 3 – 5 wird verdeutlicht, welche Ordnungsgrößen und Kapitalsorten ergänzt werden müssen, um den Wert einer Instititution messen zu können. Es besteht die Notwendigkeit, weitere Erklärungsmuster bezüglich des Kapitals auszumachen, um alle tatsächlich vorhandenen gesellschaftlichen Strukturen zu erfassen. Die Arbeit leistet so die Erforschung einer Fragestellung entlang der Auffassungen Pierre Bourdieus, welche es schließlich zulassen, die untersuchten Kapitaltypen auf die Unternehmung und neue digitale Strukturen zu übertragen.

2. Der Kapitalbegriff

Innerhalb des hier stattfindenden Forschungsprozesses ist es zunächst elementar, das Kapital durch die Abstraktion von Begrifflichkeiten und Kategorien als solches begreifbar zu machen. Um das Wesen des Kapitals und dessen Aussage erfassen zu können, ist es dabei notwendig, sich mit den von Karl Marx geprägten Begrifflichkeiten von Ware, Wert, Geld, Mehrwert und Kapital (u.a.) auseinanderzusetzen. Marx‘ 1890 verfasstes Werk und seine auf Produktionsverhältnisse konzentrierten angewandten Untersuchungsmethoden bilden bis heute einen Grundstein der Kapitaltheorie ab und kennzeichnen die ökonomische Formation der Gesellschaft wesentlich. Kennzeichnend ist die Entwicklung einer dialektisch-materialistischen Methodik, welche gleichzeitig eine Voraussetzung schafft, die kapitalistische Gesellschaft bis ins Innerste zu untersuchen.

Zentraler Ausgangspunkt zur Untersuchung des Kapitals und dessen Wirkungsweisen ist die Warenzirkulation. Den Ursprung einer Kapital zirkulation und deren verschiedenen Wertigkeiten findet Marx dabei in der Verwandlung von Geld in Kapital. Hierbei unterscheide sich der Kapitalkreislauf vor allem insofern vom einfachen Zirkulationsprozess ((W)are - (G)eld - (W)are[1] ), als dass dieser nicht den Gebrauchswert selbst, sondern das Geld zum zentralen Gegenstand der Zirkulation habe. So lässt sich der Prozess umformulieren, sodass sich eine Anordnung von (G)eld – (W)are – (G)eld[2] ergibt. Es wird gar nachgewiesen, dass sich eingesetzte Geldmittel nicht ausschließlich durch den Kauf von Produktionsmitteln, sondern ferner durch den Einkauf von „Arbeitskraft als Ware“[3] in wertes Kapital umwandeln lassen. Es lässt sich annehmen, dass sich arbeitende Lohnempfänger und Kapitalbesitzer durch den Besitz einer solchen Ware ähnlich seien. Diese Vermutung lehnt Marx jedoch ab, so führt er den Wandel von Arbeitskraft in den jeweiligen Gebrauchswert an und hebt dabei die Bedeutung eines absoluten Mehrwert-Begriffs für die Untersuchungen hervor.[4] Aufgrund der Tatsache, dass Arbeitskraft zur Ware werde, sei festzulegen, dass sie ebenso der Bestimmung eines Wertes untertänig sei. Die Begrifflichkeit des Mehrwertes beschreibe, so Marx, das Anwachsen einer vorliegenden Wertsumme in Form von Kapital durch den direkten Einsatz angewandter Arbeitskraft. Im Wesentlichen sei der kapitalistische Produktionsprozess somit ein „Produktionsprozeß (sic) von Mehrwert“[5]. Die Verwandlung des in monetärer Form vorgezogenen (Geldwert-)Kapitals bzw. die Vergrößerung desselben um eine erweiterte Wertigkeit findet sich somit in folgender Formel wieder: (G) – (W) – (G)‘.[6] Der Leser verdeutliche sich, dass die Entstehung eines Mehrwertes hierbei der Bedeutung des Wertes an sich erhaben ist[7] und nicht mit Profit gleichgesetzt werden kann.

Die Ablehnung des Bildes eines Lohnarbeiters und Kapitalisten als gleichwertige Warenbesitzer wird ferner durch folgendes Zitat verdeutlicht: „Der ehemalige Geldbesitzer schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach(,) als sein Arbeiter; der eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschäftseifrig, der andre scheu, widerstrebsam, wie jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat(,) als die – Gerberei.“[8]

In seiner Betrachtung nimmt Marx die Einteilung zweier Kapitalanteile vor, dem konstanten Kapitalanteil zum Einen sowie dem variablen Kapitalanteil zum Anderen. Während ersterer einen unveränderten Faktorenanteil im Produktionsprozess und die Umsetzung in Produktionsmittel beschreibt, begreift variables Kapital ferner die Umsetzung in Arbeitskraft als veränderbare Wertgröße. Diese ist in ihrer Ausprägung als subjektiver Faktor nicht festgelegt, sodass neuer Wert hier unabhängig vom Wert einer solchen Arbeitskraft entsteht. Innerhalb des Arbeitsprozesses, so Marx, erheben die beiden Kapitale Anspruch an unter sich verschiedenen Anteilen der Entstehung des jeweiligen Produktwertes. Die vorgestellte Aufteilung ermöglicht dem Wissenschaftler die Berechnung eines Maßes der Ausbeutung. Eine Mehrwertrate (m ‘) als „Grad der Ausbeutung“[9] sei dabei beschrieben durch das Verhältnis zwischen dem erzielten Mehrwert und der zuvor eingesetzten Größe des (variablen[10]) Kapitals.

Da die Arbeit auf Pierre Bourdieus wissenschaftstheoretischer Grundlage beruht, sei zu erwähnen, dass er selbst das ökonomische Kapital als geeignete Basis einer Institutionalisierung in Form des Eigentumsrechtes handelt.[11] Anders als Marx begreift er selbiges also nicht als Grundlage des Eigentums an Produktionsmitteln, vielmehr findet er hierin die wichtigste und gleichsam allen anderen Kapitalsorten zugrunde liegende Form des Kapitalzustandes.[12]

Interessant hierzu ist die kommunikationswissenschaftlich angelegte, ökonomische Kapitalauffassung Manfred Knoches (1999), welcher das Kapital selbst als handelnden Akteur begreift und gleichzeitig in direkten Bezug zum Unternehmertum der Medienindustrie setzt. Es findet eine Auseinandersetzung mit den Bewegungsgesetzen des Kapitals und des Medienkapitals im Speziellen statt. Da die Medienindustrie, so die Auffassung, als „profitträchtiger Teilbereich“ der kapitalistischen Wirtschaft zu verstehen sei, bedeutet seine Theorie einen Entwurf, welcher Medien und deren Ökonomie sowie einen aktuellen strukturellen Wandel ins Zentrum der Betrachtung rücken. Das Kapital selbst nehme insofern eine zentrale Rolle ein, als dass es als „augenscheinlich hauptsächliche(r) Strukturwandler der Medienindustrie“ fungiere.[13] Aus diesem Grunde ergebe sich eine permanente Neuorganisation bzw. Neuordnung durch (inter-)nationale Kapitalbewegungen innerhalb verschiedenster medialer Sektoren.[14]

Innerhalb der ersten Untersuchungen des Kapitalbegriffs setzt sich auf offensichtliche Weise eine Kapitalvorstellung durch, welche ökonomisch ausgerichtet ist, kurz: als ‚ökonomisches Kapital‘ beschrieben werden kann. Dieses schließt „alle Formen des materiellen Besitzes“ sowie den durch Geld geprägten Tauschhandel ein[15] und erweitert die Marx’sche Tradition des Eigentums an Produktionsmitteln. Da im Zuge der Forschung jedoch ein „Ökonomismus“[16] mitnichten angebracht erscheinen würde, das gesellschaftliche Leben sowie - zu späterem Zeitpunkt - die Unternehmensführung nicht auf eine ökonomische Betrachtung beschränkt werden soll, werden die Kapitalsorten im Folgenden erweitert und anhand Pierre Bourdieus „Erweiteter Kapitaltheorie“ das ökonomische durch die Form des kulturellen, des sozialen, sowie durch die Form des symbolischen Kapitals ergänzt.

3. Erweiterung des Kapitalbegriffs nach Pierre Bourdieu

Da die Gesellschaft „akkumulierte Geschichte“[17] beschreibe, und die in ihr lebenden und handelnden Menschen sich unter keiner Bedingung zu „austauschbaren Teilchen“ wandeln und somit in ihrer Rolle reduziert werden dürften, entwirft Pierre Bourdieu in seiner Schrift über ‚Die verborgenen Mechanismen der Macht‘ eine Kapitaltheorie, welche allen dem gesellschaftlichen Leben innewohnenden „Wechselspiele(n)“[18], vielschichtigen Erscheinungsformen sowie Machtverhältnisse in ihrer Andersartigkeit gerecht zu werden sucht. So erkennt er: „ Wie (…) jedermann weiß (sic), haben auch scheinbar unverkäufliche Dinge ihren Preis“ [19] Es wird die Auffassung vertreten, dass neben dem Ökonomischen gar zunächst scheinbar Unverkäufliche Dinge ihren Preis besitzen könnten.[20] So ließen sich gerade diese nur aus dem Grunde so schwerlich in Geldmengen verwandeln, „weil sie mit der Absicht einer ausdrücklichen Verneinung des Ökonomischen hergestellt“ würden[21]. Dies beinhaltet überdies nicht, dass sich die jeweiligen Kapitalsorten ihrerseits ausschlössen. Vielmehr bedeuten die folgenden Darstellungen eine Erweiterung des Ökonomischen, sodass die Gesellschaftsstrukturen in ihrer Vollständigkeit erfasst werden.

[...]


[1] Jahn, Wolfgang (1983) : S. 35

[2] Jahn, Wolfgang (1983) : S. 35

[3] Jahn, Wolfgang (1983) : S. 42

[4] Durch die Entdeckung des Mehrwertes hebt Marx sich von zuvor getätigten Erklärungsversuchen verschiedener Ökonomen ab. Friedrich Engels hierzu : „ Mit der Entdeckung des Mehrwerts war hier plötzlich Licht geschaffen, während alle früheren Untersuchungen, sowohl der bürgerlichen Ökonomen wie der sozialistischen Kritiker, im Dunkel sich verirrt hatten.“ (Engels, Friedrich (1967) : S. 3)

[5] Jahn, Wolfgang (1983) : S. 43

[6] Wobei G‘ zu lesen sei als vermehrter Geldbetrag bzw. Mehrwert ( G + g ).

[7] Vgl. Marx, Karl; Engels, Friedrich (1967) : S. 205 – 209

[8] Marx, Karl; Engels, Friedrich (1967) : S. 190/191

[9] Jahn, Wolfgang (1983) : S. 49

[10] Da konstantes Kapital keinen Einfluss auf eine produzierte Mehrtwertmasse ausübe, so Marx, könne selbiges bei der Erfassung der Rate des Mehrwertes nicht berücksichtigt sein. (Vgl. hierzu Engels, Friedrich (1967) : S. 39)

[11] Vgl. Fuchs-Heinritz, Werner; König, Alexandra (2005) : S. 161

[12] Es sei von einer Auffassung Abstand genommen, welche einerseits die grundlegende Bedeutung des ökonomischen Kapitals verkennt, noch einen „Ökonomismus“ verbreitet, welcher allen anderen Energieformen angeblich vorausginge.

[13] Knoche, Manfred (1999) : S. 150

[14] Als Beispiel wirft der Wissenschaftler die Frage nach dem Miteinbezug des Digitalen als erweitertes Aktionsfeld auf.

[15] Fuchs-Heinritz, Werner; König, Alexandra (2005) : S. 161

[16] Fuchrs-Heinritz, Werner; König, Alexandra (2005) : S. 162

[17] Bourdieu, Pierre (1997) : S. 49

[18] Bourdieu, Pierre (1997) : S. 49

[19] Bourdieu, Pierre (1997) : S. 52

[20] Vgl. Bourdieu, Pierre (1997) : S. 52

[21] Bourdieu, Pierre (1997): S. 52

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Veränderung des Kapitals nach Pierre Bourdieu
Untertitel
Untersuchung und Vergleich verschiedenster Begrifflichkeiten des Kapitals
Hochschule
Bauhaus-Universität Weimar  (Fakultät Medien)
Veranstaltung
Theorie und Praxis der Medienwirtschaft
Note
1,5
Autor
Jahr
2010
Seiten
26
Katalognummer
V161381
ISBN (eBook)
9783640765287
ISBN (Buch)
9783640765423
Dateigröße
544 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Modularbeit im Rahmen des Projektmoduls "Ökonomische Theorien"
Schlagworte
Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, Symbolisches Kapital, Kulturelles Kapital, Soziales Kapital, Ökonomie der Aufmerksamkeit, Bourdieu, Medienunternehmen
Arbeit zitieren
Sandra Winzer (Autor:in), 2010, Die Veränderung des Kapitals nach Pierre Bourdieu, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161381

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