Die Schmitt-Rawls-Synthese

Über die Ambivalenz des amerikanischen Neokonservatismus


Seminararbeit, 2010

22 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Der amerikanische Neokonservatismus

3. Das liberale Projekt John Rawls‘

4. Carl Schmitts Begriff des Politischen

5. Analyse

6. Fazit

7. Quellenverzeichnis

8. Erklärung

Abstract

Die US-amerikanische politische Strömung des Neokonservatismus, deren Programmatik insbesondere im Regierungshandeln der Administrationen von Ronald Reagan und George W. Bush zum Ausdruck kam, scheint durch eine zentrale Ambivalenz gekennzeichnet zu sein: Parallel zu einem liberalen Programm, welches die Ausweitung und das massive Vorantreiben von Demokratie und Freiheit fordert, wird eine Außen- und Sicherheitspolitik betrieben, welche durch ein Freund-Feind-Schema kodiert ist und sich an Grundlagen orientiert, die von den politischen Philosophien Carl Schmitts und Leo Strauss‘ geprägt sind, bei welchen insbesondere ersterer durch seine dezidiert anti-liberale Argumentation bekannt wurde. Diese Arbeit geht nun der Frage nach, inwieweit diese These der Ambivalenz als zentraler Eigenschaft des Neokonservatismus berechtigt ist und wenn ja, wie sie erklärt werden kann.

1. Einleitung

Der US-amerikanische Neokonservatismus ist zweifelsfrei eine politische Strömung der besonderen Art, welche zum ersten Mal als Folge des durch die „Reagan Revolution“ herbeigeführten Politikwechsels der USA in den Blickpunkt sowohl der allgemeinen als auch der wissenschaftlichen Öffentlichkeit geraten ist (vgl. Schissler 1983; Rieger 1989). Zu noch stärkerer Prominenz gelangte nicht nur die Strömung als solche, sondern auch ihre herausragenden als „NeoCons“ betitelten Vertreter nach dem 11. September 2001, insbesondere im Rahmen des Irakkriegs von 2003, nachdem zunehmend auch die Rolle der Neokonservativen in der Regierung von Präsident George W. Bush bei der Entscheidungsfindung die Außen- und Sicherheitspolitik der USA betreffend thematisiert worden war. Zweifellos bildeten die „NeoCons“ im Politik-Establishment Washingtons gerade während der ersten Legislaturperiode der Bush-Präsidentschaft 2001 – 2005 eine überaus gut vernetzte Gruppe, welche nicht nur u. a. über Vize-Präsident Richard Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und dessen Stellvertreter Paul Wolfowitz im Regierungskabinett präsent war, sondern über Publizisten wie William Kristol und Robert Kagan auch einen Fuß in der Tür der Massenmedien hatte sowie, etwa im Rahmen der Think Tanks „American Enterprise Institute“ (AEI) und „Project for a New American Century“ (PNAC), über eine politikwissenschaftlich-strategische Fundierung verfügte.

Bei aller zumeist negativen öffentlichen Aufmerksamkeit, die der US-Neokonservatismus aufgrund des Irakkriegs besonders in Europa genießt, ist eine politische und politikwissenschaftliche Einordnung dieser Strömung jedoch nicht so leicht, wie die (vorschnellen) Darstellungen der „NeoCons“ als „Kriegstreiber“ oder „Rechtsaußen-Republikaner“ oftmals zu suggerieren versuchen. Die Problematik wird bereits ersichtlich, wenn der Versuch unternommen wird, zunächst die Begriffe „Konservatismus“ und „Liberalismus“ als Kategorien zu unterscheiden und sie als solche auf die USA oder gar ihre beiden großen politischen Parteien anzuwenden. Während der politische Liberalismus in Europa besonders mit wirtschaftsliberalen Attributen assoziiert wird, für die in Amerika vor allem die Republikanische Partei steht, gilt „liberal“ in den USA in den meisten Fällen als ein Synonym für linksliberal-progressive Ansichten, die zu einem Ausbau von Wohlfahrtsstaatlichkeit tendieren und sich dort spätestens seit der Präsidentschaft Kennedys eher in der Demokratischen Partei wiederfinden. Freilich negiert all dies dennoch nicht die Erkenntnis, dass die politische Kultur Amerikas wie auch die USA selbst historisch untrennbar mit dem globalen Wirken des politischen Liberalismus verbunden sind. All diese Fakten zusammengenommen, erkennen wir bereits drei verschiedene Interpretationen der Begrifflichkeit des Liberalismus wieder.

Ganz ähnlich sieht es aus bei der Einordnung des Begriffes des Konservatismus. Während Konservatismus in Europa und gerade auch in Deutschland eine Richtung bezeichnet, die sich einerseits durch Wertkonservatismus auszeichnet, andererseits aber auch durch die Befürwortung eines „rheinischen Kapitalismus“ und Wohlfahrtsstaatlichkeit, so steht der Begriff in den USA eher für eine Skepsis gegenüber der letzteren. Auch teilt sich der US-Konservatismus auf in mehrere verschiedene Strömungen: Evangelikale und religiöse Rechte („TheoCons“) sind ebenso dazu zu zählen wie libertäre Befürworter eines klassischen Nachtwächterstaates („PaleoCons“), klassische republikanische Realisten oder eben Neokonservative. Noch komplizierter gestaltet sich unser Problem, wenn der Versuch unternommen wird, eine Strömung in Hinblick auf bestimmte Policy-Felder zu betrachten: So werden etwa im Bereich der Außenpolitik linksliberale Demokraten und neokonservative Republikaner eher zueinander finden als „NeoCons“ und Libertäre, da sich letztere oftmals durch einen strengen außenpolitischen Isolationismus auszeichnen, während Neokonservative und (Links-)Liberale trotz vieler fundamentaler Unterschiede beide eher für einen außenpolitischen Interventionismus stehen, wie etwa die Fortführung des 2001 begonnenen Afghanistan-Krieges durch US-Präsident Obama aufzeigt.

Angesichts dieser Problematiken dürfte deutlich geworden sein, dass eine politikwissenschaftliche Einordnung des Neokonservatismus in dieses Konglomerat an Strömungen und Ideologien nötig ist – insbesondere, wenn man sich die Ambivalenz der Inhalte der „NeoCons“ genauer vor Augen führt. Die neokonservativ geprägte erste Legislaturperiode Präsident Bushs war außenpolitisch geprägt von einer aggressiven liberalen Rhetorik, die zugleich einher ging mit einer Doktrin, die das globale Vorantreiben des liberalen Projekts im Sinne John Rawls‘ vereinte mit machtpolitischem Anspruch und einem Freund-Feind-Schema. In welchem Zusammenhang stehen diese Elemente? Wie vertragen sich der „Begriff des Politischen“ des radikalen Liberalismuskritikers Carl Schmitt (vgl. Schmitt 1963) mit dem modernen liberalen Projekt Rawls‘? Diese Fragen möchte ich im Folgenden versuchen zu beantworten.

Im nächsten Teil folgt eine Darstellung des US-Neokonservatismus, seiner Wurzeln, seiner Geschichte und seinem politischen Wirken in den letzten Jahrzehnten. An eine Darstellung der liberalen Theorie nach Rawls und des „Begriffs des Politischen“ nach Schmitt schließt die Analyse an, die beide Theorien hinsichtlich ihrer Rolle im Rahmen des Neokonservatismus untersuchen wird. Abschließend wird ein Fazit gezogen.

2. Der amerikanische Neokonservatismus

Bei der folgenden Darstellung stütze ich mich im Besonderen auf den Artikel „Pax Americana und gewaltsame Demokratisierung. Zu den politischen Vorstellungen neokonservativer Think Tanks“ (vgl. Homolar-Riechmann 2003).

Schon allein die Entstehung der – man kann sie in der Tat als solche bezeichnen – Bewegung des amerikanischen Neokonservatismus ist ein Vorgang voller Ambivalenzen. Im Gegensatz zu anderen konservativen Strömungen wie der religiösen Rechten war der Neokonservatismus stets gekennzeichnet durch eine starke intellektuelle Fundierung, geprägt durch herausragende Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Publizistik. Dazu zählten und zählen u. a. Intellektuelle wie Irving Kristol und dessen Sohn William, Donald Kagan und dessen Sohn Robert, Francis Fukuyama, Norman Podhoretz und dessen Sohn John sowie Samuel P. Huntington.

Die Ambivalenz des Neokonservatismus zeigt sich in den Biografien seiner Wegbereiter. Vertreter wie Podhoretz und Irving Kristol entstammen zumeist liberalen jüdischen oder katholischen Elternhäusern und sind in ihrer Jugend früh mit sozialistischem und trotzkistischem Gedankengut in Kontakt gekommen. Als Folge der Enttäuschung von linken Ideologien, welche aus den Handlungen und Aktionen des stalinistischen Regimes der Sowjetunion resultierte, wurde der Schwenk hin zum Linksliberalismus und zur Demokratischen Partei vollzogen. Der nächste Einschnitt folgte im historischen Kontext der gesellschaftlichen Umwälzungen im Amerika der sechziger und siebziger Jahre. Die Bewegung der Neuen Linken in den USA sahen die späteren neokonservativen Intellektuellen als anti-amerikanisch an, die Demokratische Partei und ihr Kurswechsel im Bereich der Verteidigungspolitik stießen bei ihnen ebenso auf zunehmende Ablehnung. Mit der Zeit distanzierte man sich vom modernen (Links-)Liberalismus der Demokraten und wandte sich der konservativen Marschroute der Republikanischen Partei zu. Eine Äußerung, die diesen Prozess prägnant zusammenfasst, stammt von Irving Kristol – er bezeichnete die „NeoCons“ als „liberals mugged by reality“ (vgl. ebd.).

Eine besondere Rolle hinsichtlich der geistigen Wurzeln des US-Neokonservatismus spielt der aus Deutschland emigrierte jüdische Philosoph Leo Strauss, zu dessen Studenten mehrere neokonservative Interpreten wie William Kristol, John Podhoretz und Paul Wolfowitz zählten. Ein wesentlicher Bestandteil Strauss‘ Philosophie ist die These der Versteckten Bedeutung, welche von einer natürlichen Hierarchie der Menschen in einer Gesellschaft ausgeht und nur einer Elite zugesteht, zentrale politische Realitäten verstehen und fassen zu können. Eine vollständig zweckorientierte, im Notfall auch auf vorsätzlichen Lügen basierende Politik, die dazu dient, die staatliche und gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten, ist die logische Konsequenz dieser Prämisse. Damit einher geht bei Strauss eine grundsätzliche Ablehnung liberaler Demokratie: Diese habe durch ihre übermäßige Toleranz in der Weimarer Republik letztlich den Aufstieg des Nationalsozialismus und somit den Holocaust mit ermöglicht. Diese These wird von Neokonservativen übertragen auf den Kalten Krieg und heutzutage auf den Umgang des Westens mit dem politischen Islam: Man beklagt die ausartende, sich etwa in unverhältnismäßig ausgeprägter Religionsfreiheit darbietende Toleranz, die letztlich zur Zerstörung der (dekadent gewordenen) westlichen Kultur führe.

An diesem Punkt zeigt sich jedoch bereits das Problem, dass uns in dieser Arbeit weiter beschäftigen wird und welchem ich mich in den nächsten Abschnitten genauer widmen werde. Neokonservative teilen zwar Strauss‘ Kritik an einer zu liberal gewordenen Demokratie, im Gegensatz zu ihm lehnen sie sie jedoch nicht ab. Sie treten hingegen für eine innenpolitisch restriktivere Variante dieses Modells ein, obschon sie gleichzeitig außenpolitisch seine globale Ausbreitung fordern und dies mit einem hegemonialen Führungsanspruch der USA verbinden. Hier wird ein maßgeblicher Unterschied sichtbar zwischen der Philosophie Strauss‘ und neokonservativen Positionen: Während Strauss die Hegemonie eines einzelnen Staates strikt ablehnte, streben Neokonservative sie an – bei gleichzeitiger Demokratisierung der islamischen Welt. Da Neokonservative von einem pessimistischen, an Hobbes und Machiavelli orientierten Menschenbild ausgehen, also eine Tendenz des Menschen hin zum Bösen annehmen, muss eine neokonservative Politik einen gewissen Argwohn institutionalisieren. Damit wird nicht ein liberales Politikmodell verneint, wohl aber das, was in der Begriffsunterscheidung von konservativ / liberal unter letzterem zu verstehen ist (s. Abschnitt 1). Ebenso einher geht mit dieser Prämisse die Eigenschaft der „NeoCons“, die diese von klassischen Konservativen und Libertären unterscheidet – die Ablehnung jedes Isolationismus und ein stark ausgeprägter Interventionismus.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die Schmitt-Rawls-Synthese
Untertitel
Über die Ambivalenz des amerikanischen Neokonservatismus
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Soziologie)
Veranstaltung
Liberalismus und Pragmatismus
Autor
Jahr
2010
Seiten
22
Katalognummer
V161297
ISBN (eBook)
9783640754045
ISBN (Buch)
9783640754441
Dateigröße
397 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schmitt-Rawls-Synthese, Ambivalenz, Neokonservatismus
Arbeit zitieren
Florian Sander (Autor:in), 2010, Die Schmitt-Rawls-Synthese, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161297

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