Motive und Motivationen im Ehrenamt

Eine empirische Analyse am Beispiel der Oxfam Deutschland Shops GmbH


Diplomarbeit, 2008

102 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Abstract

Abbildungsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. THEORETISCHER HINTERGRUND
2.1 Freiwilliges Engagement der Menschen
2.1.1 Strukturwandel des Ehrenamtes
2.1.2 Motivwandel des Ehrenamtes
2.1.3 Wertewandel des Ehrenamtes
2.2 Begriffsklärungen
2.2.1 Ehrenamtliches Engagement
2.2.2 Bürgerschaftliches Engagement
2.2.3 Freiwilliges Engagement
2.2.4 Motive
2.2.5 Motivationen
2.3 Theoretische Einbettung der Motive und Motivationen
2.3.1 Das „alte“ Ehrenamt
2.3.2 Das „neue“ Ehrenamt
2.3.3 Motivationstheorien
2.3.3.1 Inhaltstheorien
2.3.3.2 Prozesstheorien

3. EMPIRISCHER HINTERGRUND UND ERGEBNISSE
3.1 Oxfam als Fallbeispiel
3.1.1 Oxfam Deutschland e.V
3.1.2 Oxfam Deutschland Shops GmbH
3.1.3 Shopleitung
3.2 Die empirische Erhebung
3.2.1 Die Erhebungsmethode
3.2.2 Die Untersuchungssituation
3.2.3 Die Auswertungsmethode
3.2.3.1 Offenes Codieren
3.2.3.2 Axiales Codieren
3.2.3.3 Selektives Codieren
3.3 Darstellen der Ergebnisse
3.3.1 Freude an der Tätigkeit
3.3.2 Identifikation mit der Tätigkeit
3.3.3 Gutes tun - Helfen
3.3.4 Freizeit gestalten
3.3.5 Anerkennung
3.3.6 Soziale Einbindung
3.3.7 Lerngelegenheiten
3.3.8 Erfolg
3.3.9 Reziprozität
3.3.10 Qualifikationen ausbilden und erwerben
3.3.11 Selbstverwirklichung
3.3.12 Institutionelle und inhaltliche Identifikation
3.4 Darstellen möglicher Motivationsmaßnahmen
3.4.1 Anerkennung durch Shopreferenten
3.4.2 Anerkennung durch Mitarbeiter
3.4.3 Wünsche – Bedürfnisse
3.4.4 Formaler Rückhalt
3.4.5 Entschädigungen
3.4.6 Darstellung von Oxfam
3.4.7 Zufriedenheit
3.4.8 Existente Maßnahmen
3.5 Diskussion der Ergebnisse
3.5.1 Motive
3.5.2 Motivationsmaßnahmen

4. SCHLUSSBEMERKUNGEN
4.1 Methodenkritik
4.2 Fazit und Zukunftsaussichten

Literaturverzeichnis

Anhangverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere, dass ich diese Diplomarbeit selbständig angefertigt, alle Hilfen und Hilfsmittel angegeben und alle wörtlich oder dem Sinne nach aus Veröffentlichungen oder anderen Quellen, insbesondere dem Internet, entnommenen Inhalte kenntlich gemacht habe.

Henrike Göhl

Hamburg, 2008-11-06

Abstract

Das ehrenamtliche Engagement hat an Bedeutung und Intensität zugenommen. Früher war es ein „Amt der Ehre“, heute haben sich die Art der Tätigkeiten und auch die Motivlage der Ehrenamtlichen stark gewandelt. Mittlerweile gibt es sogar seit fast 10 Jahren die von der Bundesregierung gegründete „Enquête-Kommission“, welche sich ausgiebig mit Fragen zur Ehrenamtlichkeit beschäftigt und zahlreiche Studien zum Thema durchführen lässt.

Neben vielen anderen wichtigen Fragen zum Thema stellt sich auch die Frage nach den Motiven der Ehrenamtlichen. Auch da gibt es mittlerweile einige Studien, in denen sich zu diesem Thema wissenschaftlich geäußert und gezielt auf die Ehrenamtlichenpflege und Motivation eingegangen wird.

Die vorliegende Arbeit, die sich mit der Erfragung der Motive für eine freiwillige Tätigkeit als Shopleitung bei der Oxfam Shops Deutschland GmbH beschäftigt, wurde mit Hilfe von Leitfadeninterviews bei 8 freiwillig Tätigen durchgeführt. Sie geht der Frage nach den Motiven der ehrenamtlich tätigen Shopleitungen nach und versucht ansatzweise die Ergebnisse auf mögliche Motivationsmaßnahmen zu analysieren. Es wird davon ausgegangen, dass sich die Art und die Prioritäten der Motive geändert haben. Altruistische Orientierungen im Sinne einer Dienst- und Pflichterfüllung treten in den Hintergrund. Die individuellen Erwartungen, die eigene Lebenserfahrung sowie die Erweiterung der eigenen Kompetenzen begleiten den Wunsch der Mitgestaltung des persönlichen Lebensumfeldes umso mehr.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Bedürfnispyramide nach Maslow

Abbildung 2: Bedürfnisebenen im Arbeitsleben von Maslow und Herzberg

Abbildung 3: Erwartungsmodell nach Vroom

Abbildung 4: Codierparadigma für sozialwissenschaftliche Fragestellungen nach Strauss

1. EINLEITUNG

Das Ehrenamt ist ein gesellschaftliches Phänomen, welches seit den 70-iger Jahren[1] einen starken Wandel erfahren hat

Es wird in den öffentlichen Medien und in der Politik schon längst nicht mehr von dem „Amt der Ehre“ gesprochen, in dem die Angehörigen des Gemeinwesens entsprechend dem antiken Ideal des politischen Gemeinwesens als Stadt- und Bürgerrepublik für seine Gestaltung und Existenz verantwortlich waren (vgl. Stecker, 2002: 54), auch nicht mehr von selbst- und ehrenamtlich verwalteten Kommunen, auch nicht nur von der Nachbarschaftshilfe, sondern von einem bürgerschaftlichen Engagement, welches auch staatspolitisch an Bedeutung zugenommen hat und weiter zunehmen wird.

Der Wandel in den 70-iger Jahren bezieht sich aber hauptsächlich auf einen Wandel zu einem freiwilligen „neuen“ Engagement, welches seinen Ursprung in den sozialen Bewegungen der 60-iger Jahre, wie den Umwelt-, Frauen-, und Gesundheitsbewegungen hat (vgl. Beher/Liebig/Rauschenbach, 1998: 17). Die Diskussionen gehen allerdings auch dazu über, dass das „alte“ Ehrenamt in Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Parteien und Gewerkschaften rückläufig ist und neue Formen des Ehrenamtes an Bedeutung gewinnen. Das wird im ersten Teil des 2. Kapitels anhand der Diskussionen über einen Struktur-, Werte- und Motivwandel erläutert.

Das „neue“ Ehrenamt zeichnet sich überwiegend durch Selbstorganisation, ein hohes Maß an Flexibilität, Interesse an der Bewältigung eigener Problemsituationen und einem politischen Veränderungswillen aus (vgl. Moschner, 2002: 5).

Um ein einheitliches Verständnis der in der Öffentlichkeit vielfältig verwendeten Begriffe wie „bürgerschaftliches“, „ehrenamtliches“ und „freiwilliges“ Ehrenamt zu erzielen, werden diese Begriffe im 2. Kapitel dieser Arbeit definiert und versucht voneinander abzugrenzen.

Im Zuge der stattfindenden Diskussionen und des aktuellen Wandels des Sozialstaates wird der Bürger immer mehr in die Eigenverantwortung genommen. Es geht immer mehr um die Anerkennung von Menschen als Träger bestimmter Rechte und Freiheiten[2]. Die Reformen des Sozialstaates lösen Erwartungen von einer finanziellen Entlastung durch Einbezug bürgerschaftlicher Beiträge (Krankenhäuser, Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, etc.) eines angeblich unbezahlbar gewordenen sozialen Sicherungssystems, bis hin zu einer stärkeren Einbindung der Bürger in die öffentliche Politik aus. Eine Stärkung von Bürgertugenden, um die sozialmoralischen Grundlagen in einer „Ellenbogengesellschaft“ wiederherzustellen, sowie ein Spektrum an sinnvollen freiwilligen Handlungsfeldern, die jedoch keine herkömmliche Erwerbsarbeit sind (vgl. Heinze/Olk, 2001: 12), sollen helfen, die vorhandenen und drohenden moralischen Defizite der Solidargemeinschaft zu minimieren. Sich ehrenamtlich zu engagieren und sich somit eigenverantwortlich zu verhalten, wird von der Regierung mit geeigneten Maßnahmen gefördert.

Im Oktober 2007 wurde z.B. das "Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements"[3] im Bundesrat verabschiedet und tritt rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft. Mit dem Gesetz sollen das Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht großzügiger geregelt und Spender, Stiftungen, Vereine, Übungsleiter und die Spendenbereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern unterstützt werden.

Ausgehend von dieser Entwicklung des ehrenamtlichen Engagements, wirft der aktuelle politische und wissenschaftliche Diskurs weitere Fragen auf. Eine dieser Fragen ist unter anderem die Frage nach der Motivation von ehrenamtlich Tätigen, um die entdeckte kostbare gesellschaftliche, ökonomische und politische Ressource nachhaltig zu fördern (vgl. Stecker, 2002: 10)

Neben einem inhaltlichen Wandel des Ehrenamts findet auch ein Wandel der Motive für eine ehrenamtliche Tätigkeit statt. Das „alte“ Ehrenamt wurde in Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Parteien zumeist aus altruistischen Motiven ausgeübt. Wobei hier altruistische Motive als Selbstlosigkeit, Uneigennützigkeit und als Gegensatz zu Egoismus definiert werden. Heute ist dieser Gegensatz oft aufgehoben, indem eine Reflektion des Altruismus oft auf den Egoismus verweist.

Der Wandel der Motive geht von altruistischen Motiven über egoistische Motive bis hin zu organisationsgebundenen Motiven. Es kann nicht über allgemein gültige Motive im freiwilligen Engagement gesprochen werden, da die Motive von den Organisationen, der persönlichen Lebensphase und dem individuellen Verständnis eines Ehrenamtes jedes Einzelnen abhängig sind. Welche Motive und Motivationstheorien existieren, ist Gegenstand des letzten Teils des 2. Kapitels.

Die folgende Arbeit wird sich mit der Frage nach den Motiven von freiwillig engagierten Mitarbeitern an dem Fallbeispiel der von Oxfam Deutschland e.V. betriebenen Oxfam Deutschland Shops GmbH beschäftigen, welche im 3. Kapitel vorgestellt wird.

Die Mittel für die Arbeit des Oxfam Deutschland e.V. kommen aus mehreren Quellen: privaten Spenden, Projektzuschüssen aus dem Bundeshaushalt, Zuwendungen für Kampagnenarbeit und Projekten, von den Oxfam-Schwesterorganisationen sowie aus den Erträgen der Oxfam Shops. Das Konzept von Oxfam Shops Deutschland ist einfach: „Oxfam macht Überflüssiges flüssig“[4]. Die Oxfam Shops funktionieren ähnlich wie herkömmliche Second – Hand – Läden. Die oberste Priorität ist nicht das günstige Einkaufen, sondern gespendete Kleidung, Haushaltswaren, Bücher, Schuhe und verschiedene Kleinigkeiten zu den höchstmöglichen Preisen zu verkaufen, umweltfreundliches Recycling zu betreiben und einen Gewinn für den Verein zu erzielen. Der Gewinn dieser Shops wird dem Oxfam Deutschland e.V. gespendet.

Der Oxfam Deutschland e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, internationale soziale Hilfsprojekte zu fördern, sowie weltweit Kampagnenarbeit zu betreiben, um Aufklärung zu sichern und Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit voranzutreiben.

Die Aufgabe dieser Arbeit ist herauszufinden, welcher Art die Motive für das Engagement in diesen von der Oxfam Shops Deutschland GmbH geführten Shops sind und welche Maßnahmen schon getroffen wurden und getroffen werden müssen, um eine bleibende Motivation der Mitarbeiter zu erzielen. In der Lohn- und Erwerbsarbeit kann die Motivation neben anderen Faktoren auch über finanzielle Anreize stattfinden. Der ehrenamtlich Tätige ist nicht durch finanzielle Anreize, wie Provisionen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu motivieren. Seine ehrenamtliche Tätigkeit wird nicht mit Geld entlohnt.

Um gute und treffende Ergebnisse bei der Erhebung zu erzielen, wurde die Erhebungsmethode des qualitativen, offenen und teilstandardisierten Leitfadeninterviews gewählt. Die Erhebungsmethode schien für diese Arbeit am effektivsten. Sie wird zusammen mit der Auswertungsmethode der Grounded Theory im 3. Kapitel vorgestellt.

Da es der Rahmen dieser Arbeit nicht zulässt, repräsentative Aussagen über die Motive von ca. 1500 Mitarbeitern zu treffen, wurden die Interviews mit acht zufällig ausgewählten von ungefähr 50 ehrenamtlich tätigen Shopleitungen geführt. Im letzten Teil des 3. Kapitels wird eine Auswertung der Ergebnisse vorgenommen und mögliche Motivationsmaßnahmen vorgestellt, die Oxfam Deutschland bei Bedarf für die Motivation der Shopleitungen einsetzen kann.

Die Schlussbemerkungen umfassen die Methodenkritik und das Fazit, welches empfehlende Hinweise für ein weiteres Vorgehen und Umgehen mit den Motivationsmaßnahmen in der Oxfam Shop Deutschland GmbH geben soll.

Um den Sprachgebrauch der Arbeit so verständlich wie möglich zu gestalten, wurde absichtlich auf eine männliche und weibliche Form verzichtet. Es wurde vordergründig nur die männliche Form verwendet. Die Häufigkeit und die Wahl der Form stellen keine Wertung dar.

2. THEORETISCHER HINTERGRUND

2.1 Freiwilliges Engagement der Menschen

Die gesellschaftliche Veränderung und das Einhergehen eines Wachstums des freiwilligen Engagements erfordern für seine Analyse einen Blick auf den Prozess der Veränderung. In den nächsten Kapiteln wird anhand des Strukturwandels, des Motivwandels und des Wertewandels versucht, den Veränderungsprozess des Engagements einzuordnen.

2.1.1 Strukturwandel des Ehrenamtes

„Nur kein Ehrenamt

Willst Du froh und glücklich leben, laß kein Ehrenamt dir geben!
Willst du nicht zu früh ins Grab lehne jedes Amt gleich ab! Wieviel Mühen, Sorgen, Plagen wieviel Ärger mußt Du tragen; gibst viel Geld aus, opferst Zeit - und der Lohn? Undankbarkeit! Ohne Amt lebst Du so friedlich und so ruhig und so gemütlich,

Du sparst Kraft und Geld und Zeit, wirst geachtet weit und breit. So ein Amt bringt niemals Ehre, denn der Klatschsucht scharfe Schere schneidet boshaft Dir, schnipp-schnapp, Deine Ehre vielfach ab. Willst du froh und glücklich leben, laß kein Ehrenamt dir geben! Willst du nicht zu früh ins Grab lehne jedes Amt gleich ab! Selbst Dein Ruf geht Dir verloren, wirst beschmutzt vor Tür und Toren, und es macht ihn oberfaul jedes ungewaschne Maul! Drum, so rat ich Dir im Treuen: willst Du Weib (Mann) und Kind erfreuen, soll Dein Kopf Dir nicht mehr brummen, laß das Amt doch and'ren Dummen.“[5]

Dieses Gedicht beschreibt das „alte“ Ehrenamt in all seinen Facetten und rät davon ab, ein solches anzunehmen. In den letzten 20 Jahren ist eine starke Veränderung des Ehrenamtes zu beobachten und mittlerweile auch empirisch untersucht wurden. Es kann gesagt werden, dass ein „neues“ Ehrenamt in die Gesellschaft Einzug gehalten hat und sich charakteristisch von dem „alten“ Ehrenamt abhebt.

Das freiwillige Ehrenamt hat immer noch seit den 80-iger Jahren Konjunktur, denn die Potentiale des Staates scheinen teilweise immer noch erschöpft und es wird sich der neuen Allzweckwaffe des „Bürgerschaftlichen Engagements“ bedient. Es kristallisierte sich heraus, dass eine gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt nur durch individuelle Nutzenmaximierung erreichbar wird.

Derzeit gibt es einen immer noch andauernden Gründungsboom freiwilliger Vereinigungen im Bereich Kultur, Umwelt und Internationales. Durch eine aktive Bürgerschaft entstehen soziale Bewegungen. Dies wird durch die Wertewandelforschung dokumentiert (vgl. Zimmer, 2000: 9 f.).

Seit der Nachkriegszeit zeichnet sich auch eine Modernisierung des Ehrenamtes ab. Diese Modernisierung bezieht sich auf eine Pluralisierung und auf eine Individualisierung. Die Pluralisierung besagt, dass die Engagementbereiche nicht mehr nur die Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien sind, sondern nun auch Bereiche der Ökologie, der Kultur, der Bildung, der Gesundheit und der sexuellen Ausrichtung dazugekommen sind. Außerdem wird oft bewusst auf eine formale Struktur verzichtet, da informelle Strukturen viel Flexibilität und Gestaltungsmöglichkeiten zulassen. Die Individualisierung des Ehrenamtes bezieht sich auf eine geringere und unverbindlichere Bindung zu einem Engagement, welches aber nicht mit mehr Unzuverlässigkeit gleichgesetzt werden kann. Die heutigen Lebenswege der Bürger sind weniger starr vorgezeichnet, es gibt weniger soziale Zwänge und das Arbeitsfeld kann relativ individuell gestaltet werden. Ein „kooperativer Individualismus“ wird als Trend des Wertwandels von Klages benannt. Die Gemeinwohlorientierung und das Interesse an Selbstentfaltung schließen sich nicht aus, sondern bilden eine Synthese (vgl. Enquête-Kommission, 2002: 50 f).

Die Veränderungen kann man anhand vielfältiger Merkmale ausmachen. Durch die Organisation gemeinnütziger Aufgaben, welche sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Markt, Staat, Drittem Sektor[6] und den privaten Haushalten bewegen, vollzieht sich der Strukturwandel anhand von Motiven, Formen der Mitarbeit und durch die Art der Einbindung. Die selbst gewählten Zugänge zu einem Engagement gewinnen an Bedeutung. Man wird nicht mehr zwangsläufig durch eine Mitgliedschaft im Verein oder die Zugehörigkeit in der Kirche ein ehrenamtlich engagiertes Mitglied. Die Tätigkeit wird hauptsächlich selbst gesucht, um sie individuell abstimmen zu können. Auch für viele Arbeitgeber wird es wichtiger, eine ehrenamtliche Tätigkeit im Lebenslauf nachlesen zu können. Es weist auf Charaktereigenschaften wie das Interesse an Weiterbildung, das Ausbilden und Erweitern von Fähigkeiten, das Aneignen von Wissen, eine gewisse Teamfähigkeit und auf eine soziale Verträglichkeit hin (vgl. Schumacher, 2003: 69 f.). Ein ehrenamtlich engagierter Mensch wird heutzutage meist mit offenen Armen aufgenommen.

Um dieses Engagement konstruktiv zu fördern und ihm genügend Raum zu schaffen, muss keine Moralreform, sondern eine Institutionsreform entstehen, damit die erforderlichen Strukturen für das wachsende Ehrenamt geschaffen werden können. Früher war das traditionelle Ehrenamt in die Strukturen der Parteien, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Vereine eingebunden, heutzutage muss die Passung zwischen den Akteuren und den Institutionen verbessert werden (vgl. Dörner, 2008: 41).

Schüll benennt die Einzelkomponenten dieses Strukturwandels mit:

1. der Reduzierung der Bleibe- und Bindungsbereitschaft
2. der Erhöhung des Konkretionsgrades der Aufgabenstruktur und Veränderung der Identifikationsanknüpfung (organisationsbezogene Ehrenämter mit undurchsichtigen Aufgabenstellungen und/oder multiplen Einsatzfeldern verlieren gegenüber thematischen Ehrenämtern mit fest umrissenen Aufgabengebieten immer mehr an Attraktivität)
3. der Verlagerung der organisatorischen Orte
4. der Erschließung neuer Tätigkeitsfelder
5. der Erhöhung der Qualifikationsanforderungen und des Anspruchsniveaus
6. der Ausweitung selbstbestimmter Gestaltungsanteile
7. der Individualisierung des Zugangsweges
8. der Entidealisierung der Motive (vgl. Schüll, 2003: 67 ff.).

Die Ursachen für einen Strukturwandel werden in der Literatur vielfältig diskutiert. Im nächsten Kapitel wird Bezug auf den auch an Bedeutung zugenommenen Motivwandel genommen.

2.1.2 Motivwandel des Ehrenamtes

Mit dem Strukturwandel geht ein Motivwandel der ehrenamtlich Beschäftigten einher. Das traditionelle Ehrenamt zeichnete sich durch die Werte wie der Erwerb von Ansehen, Erfüllung der Bürgerpflicht, Aufrechterhaltung der Ordnung und einer selbstlosen Aufopferung für Andere aus. Das neue Ehrenamt hingegen ist selbstbezogener. Es ist von „unten“ gewollt und nicht von „oben“ aufgedrückt, wie es im 19. Jahrhundert empfunden wurde. Außerdem wollen Menschen mit ihren eigenen individuellen Erfahrungen im freiwilligen Engagement eine große Rolle spielen. Somit stehen Spaß und Kommunikation, sowie persönliche Herausforderungen und Mitbestimmungsmöglichkeiten ganz oben an erster Stelle (vgl. Eberhard, 2001: 185). Es gibt nicht nur ein Motiv, sondern es tragen mehrere Motivbündel zu einem Engagement bei.

Die Autoren Anheier und Toepler unterscheiden 4 Motivbündel. Das sind:

1. altruistische Motive, wie das Solidaritätsgefühl, das Mitgefühl und das Mitleid für Arme und Notleidende, die Identifikation mit den Menschen in Not und somit den benachteiligten Menschen Hoffnung zu schenken und ihnen die Menschenwürde und ihre Achtung zurückzugeben oder zu bestätigen.
2. instrumentelle Motive, wie die Möglichkeit neue Erfahrungen zu machen und neue Fähigkeiten zu erlangen, sowie einen sinnvollen Nutzen aus der Freizeit zu ziehen und diese für neue Kontakte und persönliche Zufriedenheit zu nutzen, und um eine sinnvolle Beschäftigung zu haben.
3. moralisch-obligatorische Motive, wie einen humanitären Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, politischen Verpflichtungen und Wertkonzeptionen nachzukommen, sowie moralische oder religiöse Pflichten wahrzunehmen.
4. gestaltungsorientierte Motive, wie das Interesse an gesellschaftlichen Missständen, sowie eine aktive Partizipation, soziale Integration und Mitbestimmung (vgl. Anheier/Toepler, 2001: 19).

Altruistische Motive treten in den Hintergrund und die Bereicherung der eigenen Lebenserfahrung, die Erweiterung der individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen sowie der Wunsch nach der Mitgestaltung des persönlichen Lebensumfeldes nehmen zu (vgl. Enquête-Kommission, 2002: 52). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Motivationsstrukturen durch neuartige Verbindungen von sozialem Gemeinschaftsgefühl, persönlicher Betroffenheit, Selbstbestimmungs- und Selbstverwirklichungsmotiven sowie über einen politischen Veränderungswillen angeführt werden. Ein Ehrenamt dient der Identitätssuche, soll biografisch passen und in einem Interessensfeld liegen, welches den aktuellen Themen wie Kultur, Ökologie und Gesundheit angepasst werden kann. Es kristallisiert sich ein Trend zur Semiprofessionalität heraus, denn die ehrenamtliche Beschäftigung wird oft von „Billiglohnarbeit, Erwerbsersatzarbeit und/oder Honorartätigkeiten“ überlagert (vgl. Beher/Liebig/Rauschenbach, 2000: 13 ff.) Hinzu kommt die Ausübung anhand bevorstehender Berufspläne oder als Alternative zur Erwerbslosigkeit (vgl. Schumacher, 2003: 69). Anstelle der bedingungslosen Hingabe und dem Verzicht auf die eigene Bedürfnisbefriedigung tritt nun der Wunsch nach einem Ehrenamt, welches frei gewählt werden kann, sich zeitlich anpassen lässt und die eigenen Kräfte und Möglichkeiten nicht übersteigt.

Mit den Motiven zu einem Engagement haben sich auch die Formen verändert. Diese neuen Formen zeichnen sich durch ein hohes Maß an Selbstorganisation, Flexibilität, einem politischen Veränderungswillen und an einem großen Interesse an der Bewältigung eigener Problemsituationen aus (vgl. Moschner, 2002: 2).

2.1.3 Wertewandel des Ehrenamtes

Ein Wertewandel, wie er seit ungefähr 30 Jahren diskutiert wird, ist fast einzig und allein nur mit empirischen Untersuchungen begründbar. Eine Trendbefragung des Institutes für Demoskopie in Allensbach (IFD) zeigt auf, dass das Leben bis Mitte der 60-iger Jahre in den alten Bundesländern primär als Aufgabe gesehen wurde und Anfang der 80-iger dahingehend eine Umorientierung stattfand, dass sich die Ansprüche an die Arbeit verschoben haben. Eine interessante, abwechslungsreiche und verantwortungsvolle Arbeit nahm an Bedeutung zu. Der Wunsch nach verkürzten Arbeitszeiten begründete sich in der wachsenden Bedeutung der Freizeitgestaltung. Ganz im Sinn von Herzberg wollte die soziale- und kommunikative Komponente gelebt werden. Der Anspruch im Sinne von Herzberg an materielle Bedürfnisbefriedigung ist ebenfalls gestiegen (vgl. Nerdinger, 1995: 46 f.). Die Aktualität und die andauernden Diskussionen um einen Wertewandel hat die Vorstellung wieder erwachen lassen, dass durch Maslows[7] Motiv der Selbstverwirklichung die Motivatoren im Sinn von Herzberg[8] angeregt werden. Ergänzend kann gesagt werden, dass der „Spaßfaktor“ als Handlungsmotivation stark gestiegen ist. Die traditionelle Leistungsideologie verblasst und viele Bürger haben ihre Wertvorstellungen dahingehend geändert, dass die alten Muster der „Pflicht- und Akzeptanzmotive“ immer mehr nachlassen und Werte wie die kreative Selbstverwirklichung, Spaß und Anspruch an hohe Erlebnisqualitäten immer mehr in den Vordergrund getreten sind.

Bei dem Beantworten der Frage, wie ein Wandel zustande kommen kann, helfen die zwei Hypothesen von Inglehart. Er stellt 1970 zwei Hypothesen auf. Die eine Hypothese nennt er Sozialisationshypothese und begründet diese mit einer Prägung in der Kindheit. Wenn die Bedürfnisse in der Kindheit unzureichend befriedigt wurden, lernen diese Menschen die erwünschten situativen Merkmale zu schätzen. Diese Merkmale werden für das weitere Leben richtungsweisend. Diese Werte bezeichnet er als materialistische Werte. Nach Maslow wäre das die erste Stufe der Bedürfnispyramide – die physiologischen Grundbedürfnisse. Die andere Hypothese ist die Mangelhypothese und wird von ihm als postmaterialistisch bezeichnet. Darunter fallen Merkmale wie Zugehörigkeit, Anerkennung und Selbstverwirklichung, die in Maslows Pyramide ganz oben stehen. Er ordnet die materielle Wertvorstellung eher der Nachkriegsgeneration und die postmaterialistischen Werte eher der jüngeren Wohlstandsgeneration zu (vgl. Inglehart, 1989: 90 ff.) Anhand seiner Studien kann man erkennen, dass die Zahl der Postmaterialisten im Vergleich zu den Materialisten enorm zugenommen hat. Inglehart hat dazu 1989 erneut eine Untersuchung gemacht, welche die Ergebnisse der Studie von 1970 eindeutig bestätigt (vgl. Inglehart, 1989: 103).

In der Werteforschung der Speyerer Gruppe um Helmut Klages beschäftigt man sich mit Typologien von Mustern unterschiedlicher Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen. Diese Typologien sind im unterschiedlichen Maße eher von Pflicht- oder Selbstentfaltungswerten geprägt. Die Pflichtwerte haben Kategorien wie Anpassung, Verantwortung oder Pflichtbewusstsein und die Selbstentfaltungswerte zeichnen sich durch Autonomie, Individualismus und Selbstverwirklichung aus. Klages legt weiterhin fünf Typen von Menschen fest, die von unterschiedlichen Wertenorientierungen geprägt sind. Diese Typen bezeichnet er als:

1. nonkonforme Konventionalisten (Pflichtwerte)
2. ordnungsliebende Idealisten (Selbstentfaltungswerte)
3. aktive Realisten (Pflicht- und Selbstentfaltungswerte)
4. hedonistische Materialisten (Wettbewerb- und Konsumwerte)
5. perspektivlose Resignierte (ohne Wertorientierungen) (vgl. Gensicke 2000 (b); zitiert nach: Braun/Klages 2001: 54 f.).

Es wird erkenntlich, dass sich bei Klages die Gemeinorientierung und die Selbstentfaltung, wie unter 3. erkennbar, nicht ausschließen, sondern ein gemeinsames Motivbündel bilden. Das Bild des „neuen“ Ehrenamtes ist also nicht „neu“, sondern hat sich gewandelt und die Gemeinwohlorientierung spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Diese wurde in ihrer Bedeutung durch die Selbstverwirklichung und die persönliche Entfaltung abgelöst.

2.2 Begriffsklärungen

Bei einer Auseinandersetzung mit dem Thema „Ehrenamt“, stößt man bei der Recherche nach Informationen auf mehrere gebräuchliche Formen des Begriffes „Ehrenamt“. Man hört den Begriff des „bürgerschaftlichen Engagements“, des „freiwilligen Engagements“ und des „ehrenamtlichen Engagements“. Man stellt jedoch schnell fest, dass diese Begriffe manchmal synonym und manchmal nicht synonym verwendet werden. Viele Autoren wie zum Beispiel Schüll oder Roth/Simoneit haben anhand verschiedener Kriterien versucht, diese Begriffe voneinander abzugrenzen. Auch die Enquête-Kommission[9] hat anhand verschiedener Kriterien versucht, diese drei Begriffe in ihrer Bedeutung getrennt zu benutzen (vgl. Radtke, 2007: 14). Dass diese Versuche sich in ihrem Resultat sehr ähneln, weist auf die Undurchsichtigkeit dieser Begriffe in ihren Definitionen hin. Eindeutige und einschlägig gebräuchliche Definitionen gibt es in der heutigen Literatur nicht. Jeder Autor begründet am Anfang seiner Arbeiten seine Begriffswahl und untermauert diese mit dem Blickwinkel, aus dem er auf den Inhalt seiner Arbeit schaut.

Im folgenden Teil soll versucht werden, die Begriffe so gut wie nötig voneinander abzugrenzen, um den Begriff „freiwilliges Engagement“ für diese Arbeit zu definieren.

Im Ergebnis der Literaturrecherche ist klar geworden, dass die Begriffe „Motiv“ und „Motivation“ ebenfalls unbedingt voneinander getrennt zu sehen sind. In dieser Arbeit geht es um Motive und Motivationen. Somit ist es unabdingbar, die beiden Begriffe „Motiv“ und „Motivation“ voneinander abzugrenzen.

2.2.1 Ehrenamtliches Engagement

Der Begriff „Ehrenamt“ findet sich als eine der ersten soziologischen Erörterungen bei Max Weber wieder. Max Weber benennt zwei Voraussetzungen zur Erlangung eines „Ehrenamtes“. Die eine Voraussetzung ist die ökonomische Lage, welche die Abkömmlichkeit von der Familie und eine gewisse Flexibilität garantieren muss. Die zweite ist der Genuss eines gewissen Ansehens in der Gesellschaft. Das weibliche Geschlecht war zur damaligen Zeit noch von der Übernahme von Ehrenämtern ausgeschlossen (vgl. Weber, 1921/1990: 170).

Im heutigen Sinne steht der Begriff in einem anderen Zusammenhang. Im Laufe der Zeit hat sich eine „freiwillige, unbezahlte und gemeinnützige Tätigkeit“ hauptsächlich in Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Selbsthilfegruppen herausgebildet (vgl. Roth/ Simoneit, 1993: 143; zitiert nach: Radtke 2007: 13). Radtke orientiert sich in ihrer Definition stark an den Kriterien, welche die Enquête-Kommission aufgestellt hat. Diese Kriterien sind: Freiwilligkeit, keine Ausrichtung auf einen materiellen Gewinn, Gemeinwohlorientierung und Öffentlichkeit (vgl. Radtke, 2007: 15). Eberhard hat diese und noch zwei weitere Kriterien fünf Jahre eher aufgestellt. Sie benennt zusätzlich das Vorhandensein eines organisatorischen Rahmens (Familie, Nachbarschaft und Freundeskreis ausgeschlossen) und den Einsatz für andere, womit sie die bloße Mitgliedschaft in einem Verein ausschließt, außer man geht einer Trainertätigkeit oder einer Tätigkeit als Vorstandsmitglied nach (vgl. Eberhard, 2002: 187).

Man kann deutlich erkennen, dass sich die Autoren in dieser Begriffsdebatte teilweise einig sind, überschneiden und auch ergänzen. Otto ergänzt diese Kriterien noch mit dem Aspekt der Mindestdauer in einem „Ehrenamt“. Das „ehrenamtliche Engagement“ ist für ihn nur mit den genannten Kriterien und einer gewissen Verbindlichkeit und Mindestdauer so zu definieren (vgl. Otto/Schmidt/Steffen, 2003: 24). Weiterhin hat schon Joachim Winkler im Jahr 1988 das Kriterium der Motive mit herangezogen, um den Versuch einer definitorischen Bestimmung des Begriffes der „ehrenamtlichen“ Tätigkeit erfolgreich werden zu lassen. Peter Schüll hat in seiner Studie „Motive Ehrenamtlicher“ von 2003 die Kriterien nach Beher/Liebig/Rauschenbach für eine Begriffsbestimmung um den Aspekt der „Motive“ und den Aspekt der „sozialen Reichweite“ erweitert. Die Kriterien nach Beher/Liebig/Rauschenbach sind die Vergütung, die Dauer, die zeitliche Intensität, der Aktivitätsgrad, die Freiwilligkeit, die organisatorische Anbindung, die formale Legitimation, der Professionalitätsgrad, der Objektbezug und der Adressat des Ehrenamtes (vgl. Beher/Liebig/Rauschenbach, 2002: 106).

In dieser Arbeit geht es nur indirekt um die Begriffsbildung. Deswegen ist es nicht weiter ausschlaggebend, sich die weitere Argumentation von Beher/Liebig/Rauschenbach für die Begriffsbildung- und verwendung anzuschauen.

Es ist festzuhalten, dass der Begriff „ehrenamtlich“ indirekt auf ein Amt der Ehre hinweist, ein öffentliches Amt darstellt und mindestens an eine öffentliche Institution gebunden sein muss. Eine Schöffentätigkeit ist z.B. aus dem Begriffsverständnis der Autorin ein tatsächliches Ehrenamt, welches verbindlich ausgeübt werden muss. Ehrenämter werden nach Otto, Schmid und Steffen aus „Pflicht“ angenommen, um Kompetenzen zu erlangen und biografische Lücken zu schließen (vgl. Otto/Schmid/Steffen, 2003: 25).

2.2.2 Bürgerschaftliches Engagement

Der Begriff des „bürgerschaftlichen“ Engagements bezieht sich auf die Zeit, aus der die Gesellschaftsform der Bürgerlichen Gesellschaft[10] entstanden ist. Das Herausbilden eines dritten Sektors – der bürgerliche Mittelstand – und die anfängliche eigene Wahrnehmung der Bürger, ließen den Staat und die Gesellschaft ein in sich homogenes Herrschaftsgefüge der bürgerlichen-politischen Gesellschaft bilden (vgl. Koenen; zitiert nach: Kneer/Nassehi/Schroer, 2001: 89).

Leider war die „Bürgerliche Gesellschaft“ von Anfang an durch Inkonsistenzen belastet, sodass sie bald mehr als nur noch eine Idee, sondern als ein Beschreibungskonzept verstanden werden konnte. Nach einer Reihe von herben Enttäuschungen über missglückte Reformversuche die „Bürgerliche Gesellschaft“ zu transzendieren oder weiterzuentwickeln, hat man angefangen, sich seit Ende der 70-iger Jahre wieder auf die Leistungsfähigkeit der Bürger und ihrer Institutionen zu besinnen (vgl. Koenen; zitiert nach: Kneer/Nassehi/Schroer, 2002: 76). Diese Leistungsfähigkeit soll den Ordnungssinn, den Leistungswillen, die Sparsamkeit (rationale Lebensführung nach Max Weber), die Arbeitsorientierung und den Anspruch auf politische und gesellschaftliche Teilhabe umfassen. Zu der politischen Teilhabe gehören nach Heinze und Olk das Engagement des Bürgers für das Gemeinwohl, die Identifikation mit einer politischen Gemeinschaft, wie zum Beispiel mit der Lokalgemeinde, der Region, der Nation und zwischenstaatlichen Gebilden wie z.B. der Europäischen Union (vgl. Heinze/Olk, 2001: 14). Weiterhin wird bei Heinze und Olk in ein Engeres und in ein Weiteres Begriffsverständnis unterschieden, wobei das Engere sich noch einmal in ein gesellschaftliches und in ein individuelles Begriffsverständnis unterteilt. Auf gesellschaftlicher Ebene bedeutet der Begriff eine moderne „Zivil- oder Bürgergesellschaft“, welche sich jenseits von Markt, Staat und privaten Haushalten befindet und sich durch öffentliche, gemeinwohlorientierte politische Diskurse und daraus folgende politische Handlungsformen charakterisiert und damit nachhaltig zur Weiterentwicklung der Demokratie beiträgt.

Im Sinn der individuellen Ebene ist der Begriff „bürgerschaftlich“ Ausdruck für zivilgesellschaftliche Aktivbürger, die an der Erörterung öffentlicher Belange sowie an der Artikulation der daraus resultierenden gemeinwohlorientierten politischen Tätigkeiten interessiert sind und die nötigen Handlungskompetenzen aufweisen.

Das weitere Begriffsverständnis kann man auch als „Steigerungs- und Ausweitungsbegriff“ bezeichnen. Im weiteren Verständnis geht es um Selbsthilfe, zivilen Ungehorsam, freiwillige Tätigkeiten, politischen Protest, aber auch um politische Partizipation. Das weitere Begriffsverständnis bedeutet einen Oberbegriff für unzählige Spielarten von freiwilliger, unbezahlter und gemeinwohlorientierter Tätigkeiten für „alte“ und „neue“ Formen des Ehrenamtes wie das Engagement in Kirchen, Genossenschaften, Tauschringen, Vereinen, Schöffentätigkeiten u.a. (vgl. Heinze/Olk, 2001: 14 f.) Eberhard geht noch über diese Kriterien hinaus und fügt zur Begriffsbildung noch den Aspekt der Motivation zum Engagement hinzu. Diesen Aspekt findet sie wichtig für die Definition des „bürgerschaftlichen“ sowie des „freiwilligen“ Engagements (vgl. Eberhard, 2001: 188).

Zusammenfassend kann man zur Begriffsbestimmung des „bürgerschaftlichen“ Engagements sagen, dass „bürgerschaftlich“ den direkten Bezug des Bürgers zur Öffentlichkeit, zur Politik und zum Gemeinwohl ausdrückt. „Bürgerschaftliches“ Engagement geht über Selbsthilfe und Hilfe von Notbedürftigen hinaus und weist eindeutig auf eine Partizipation und ein großes Interesse an größeren Zusammenhängen hin. Die Engagierten versuchen nicht nur Defizite auszugleichen, sondern sie fragen auch nach deren Ursachen und nach den Möglichkeiten der Behebung (vgl. Eberhard, 2001: 189).

2.2.3 Freiwilliges Engagement

Im Laufe der Literaturrecherchen und der vorangegangen Definitionsversuche bildete sich immer mehr der Begriff des „freiwilligen“ Engagements in seiner Verwendung für diese Arbeit heraus.

Schaut man sich Studien zur Erforschung der Benutzung der verschiedenen Begrifflichkeiten an, so kommt man nach Klages zu dem Schluss, dass 50 % der befragten Menschen ihre Tätigkeit mit dem Begriff der „Freiwilligenarbeit“ beschreiben würden. Lediglich ein Drittel verstand „Ehrenamt“ als treffenden Begriff für seine Tätigkeit (vgl. Braun/Klages, 2001: 203).

„Freiwilliges“ und auch „bürgerschaftliches“ Engagement werden in einer verbalen Konjunktur des Ehrenamtes oft synonym verwendet. Einige Autoren finden jedoch, dass „freiwilliges“ sowie „ehrenamtliches“ Engagement von dem Begriff des „bürgerlichen“ Engagements abgelöst werden. Diese Meinung wird in dieser Arbeit nicht geteilt. In dieser Arbeit geht es nur um „freiwilliges“ Engagement in Abgrenzung zu „bürgerschaftlichem“ Engagement, da der Begriff des „ehrenamtlichen“ Engagements in den Augen der Autorin ein „alter“ und damit überholter und abgelöster Begriff für diese Arbeit darstellt.

Unter dem Begriff des „freiwilligen“ Engagements existiert ein individualistisch-liberales Verständnis. Das Engagement wird hier als Tausch interpretiert, welches die Solidarität als Resultat innehat. Den Hintergrund bilden eher altruistische Voraussetzungen, wie der Gewinn von Lebenssinn und innerer Befriedigung (vgl. Beher/Liebig/Rauschenbach, 2000: 25). Die grundsätzlichen Kriterien eines „freiwilligen“ Engagements stimmen größtenteils mit den Kriterien des „bürgerschaftlichen“ Engagements überein. Die gemeinsamen Kriterien sind Freiwilligkeit, Unbezahltheit, das Vorhandensein eines organisatorischen Rahmens und der Einsatz für andere oder für eine Sache. Eine „freiwillige“ Tätigkeit kann jeder frei wählen. Man kann sich anhand seiner Kompetenzen, Qualifikationen und Vorlieben die beste Tätigkeit herausfiltern.

Die Unterschiede des „freiwilligen“ zum „bürgerschaftlichen“ Engagement zeigen sich eindeutig in der Verbindung zur Gemeinde, zur Nation, zum Staat und zur Europäischen Union. „Bürgerschaftliches“ Engagement findet hauptsächlich als aktiver Bürger für andere Bürger, die Gemeinde oder den Staat statt. Der Bürger fühlt sich in der Pflicht und möchte dieser nachgehen.

„Freiwilliges“ Engagement orientiert sich in erster Linie nicht am Patriotismus, sondern schaut auch nach individueller Bedürfnisbefriedigung, nach eigener Weiterentwicklung, nach Hilfe auch außerhalb des eigenen Staates und nach Erfüllung von Gemeinschaft, Hilfe und sinnvoller Tätigkeit. Die Motive für eine „freiwillige“ Tätigkeit können extrem vielfältig sein, wobei sie bei „bürgerschaftlichem“ Engagement meist auf die Bürgerpflicht und das Recht zur Teilhabe am gesellschaftlichen Ganzen zu beschränken sind.

Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Versuche der Begriffsdefinition rein diskursiv sind. Es gibt keine einheitlichen Definitionen und die Grenzen sind unscharf gezogen und verschwimmen im großen Diskurs zum Ehrenamt. Für diese Arbeit wurde der Begriff des „freiwilligen“ Engagements in Abgrenzung zum „bürgerschaftlichem“ Engagement herausgearbeitet und verwendet[11].

2.2.4 Motive

„Es wird eine Gerichtheit auf gewisse, wenn auch im einzelnen recht unterschiedliche, aber stets wertgeladene Zielzustände angedeutet; und zwar Zielzustände,

die noch nicht erreicht sind, deren Erreichung aber angestrebt wird,

so vielfältig auch die Mittel und Wege dahin sein mögen

(Heckhausen 1980; zitiert nach: Radtke, 2007: 19).

Dieses Zitat zeigt eine Interpretation des Begriffs „Motiv“, die jeder Wissenschaft zugeordnet werden kann. Dennoch wird der Versuch unternommen, eine Begriffsdefinition oder zumindest ein Verständnis für das „Motiv“ aus soziologischer Sicht herzustellen.

Der Begriff „Motiv“[12] kann, wie obiges Zitat herauslesen lässt, aus verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen definiert werden. Die Motivationspsychologie benutzt das Motiv eher als Bezeichnung für eine primär psychologisch und sozial bedingte Handlungsverursachung. Die psychologische Motivationsforschung umfasst sämtliche Vorgänge, welche menschliches Verhalten hervorbringen, dessen Intensität bestimmen und dieses in eine gezielte Richtung lenken. Beispiele für Motive im engeren psychologischen Sinn sind Aggressionen, Ängstlichkeit, Macht, Leistung, Altruismus, sozialer Anschluss u.a. Schneider (2000) unterscheidet in verschiedene Motivsysteme. Die Motive Hunger, Ängstlichkeit, Neugier, Sexualität und andere sind für Schneider angeborene Motivsysteme. Doch Werte und moralische Inhalte sind erlernbar und somit auch Motive, die ein bestimmtes Handeln nach sich ziehen können.

Den Mittelpunkt der Motivationsforschung bildet die Frage, warum der Mensch seinen Willen, seine Fähigkeit und seine Fertigkeiten in gesuchten oder sich bietenden Gelegenheiten einsetzt und auch realisiert. Im Gegensatz zu Trieb wird angenommen, dass Motive wenigstens partiell erlernt werden können. Die Motive können entweder bewusst oder unbewusst sein[13].

[...]


[1] Nachfolgend ist hier immer die Rede vom 20. Jahrhundert, wenn die 60-iger, 70-iger, 80-iger und 90-iger Jahre erwähnt werden.

[2] Vgl. http://egora.uni-muenster.de/ethik/pubdata/

Auf-der-Suche-nach-Anerkennung-Einleitung.pdf, entnommen am 03.09.2007.

[3] Vgl. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2007, Teil 1 Nr. 50, 10.Oktober.

[4] Slogan der Oxfam Shops Deutschland GmbH.

[5] http://www.wilhelm-busch-seiten.de/werke/zitate2.html, entnommen am 17.10.2008 (Das Gedicht wird meist Wilhelm Busch (1832-1908) zugeschrieben, der wahre Autor ist nicht bekannt. Es wird auch mit Joachim Ringelnatz (1883-1934) in Verbindung gebracht.).

[6] Der Dritte Sektor zeichnet sich durch ein geringes Maß an Amtlichkeit aus. Gewinne werden nicht wie in anderen Unternehmen und Firmen ausgeschüttet, sondern in die Organisationen wieder investiert. Die Tätigkeit in einer Organisation beruht auf Freiwilligkeit und einer individuellen Entscheidung (vgl. Zimmer, 2002: 2).

[7] Die Theorie von Maslow, die die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse vor höheren Bedürfnissen voraussetzt, wird in Kapitel 2.3.3.1 genauer vorgestellt.

[8] Die Zwei-Faktoren-Theorie von Frederick Herzberg ist eine Theorie zur Arbeitszufriedenheit und Arbeitsmotivation. Die Theorie wird in Kapitel 2.3.3.1 ausführlicher dargestellt.

[9] Enquête-Kommissionen sind vom Bundestag oder von einem Landtag eingesetzte überfraktionelle Arbeitsgruppen, die langfristige Fragestellungen lösen sollen, in denen unterschiedliche ethische Aspekte abgewogen werden müssen (enquête franz. für Untersuchung). In der Enquête-Kommission soll eine gemeinsame Position erarbeitet werden. Ziel ist es, bei Problemen dieser Art zu einer Lösung zu finden, die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung (auch von dem Teil, der sich nicht durch die jeweilige Mehrheitsfraktion vertreten fühlt) mitgetragen werden kann (vgl. http://lexikon.calsky.com/de/txt/e/en/enquete_kommission.php, entnommen am 28.09.2008).

[10] Die Geschichte der „Bürgerlichen Gesellschaft“ hat ihre Anfänge zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert in England, Nordamerika, den Niederlanden, Frankreich und in Deutschland herausgebildet. Charakteristisch ist eine Einführung des 3. Standes (bürgerliche Gesellschaft), welcher Anspruch auf eine politische und gesellschaftliche Teilhabe und Repräsentierung erhebt. Stilbildend für die Durchsetzung des Bürgertums sind z.B. die nationale Einheit, der Schutz des Privateigentums, das repräsentative politische System sowie die Menschen- und Bürgerrechte. Die „Bürgerliche Gesellschaft“ zeichnet sich durch Arbeitsorientierung, Leistungswillen, Disziplin, Pflichtbewusstsein, Ordnungssinn und durch Sparsamkeit aus (vgl. Koenen; zitiert nach Kneer/Nassehi/Schroer: 2001: 77 ff.).

[11] Die Begriffe „bürgerschaftlich“ und auch „ehrenamtlich“ werden weiterhin in dieser Arbeit für Erklärungen genutzt. In dem Fallbeispiel wird hauptsächlich der Begriff „freiwillig“ verwendet.

[12] Lateinisch motus = die Bewegung.

[13] Vgl. http://www.uni-saarland.de/fak5/krause/seminar/Motivation/motiv.htm, entnommen am 02.02.2008.

Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Motive und Motivationen im Ehrenamt
Untertitel
Eine empirische Analyse am Beispiel der Oxfam Deutschland Shops GmbH
Hochschule
Universität Hamburg  (Soziologie)
Note
2,5
Autor
Jahr
2008
Seiten
102
Katalognummer
V161150
ISBN (eBook)
9783640750566
ISBN (Buch)
9783640857838
Dateigröße
926 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Ehrenamt, Motive, Motivationen, freiwilliges Engagement
Arbeit zitieren
Henrike Göhl (Autor:in), 2008, Motive und Motivationen im Ehrenamt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161150

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