Theorien der Entwicklung und Unterentwicklung


Hausarbeit, 2002

20 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Was bedeutet Entwicklung?
Nachhaltige Entwicklung und Globalisierung

Was bedeutet Unterentwicklung?
Handlungsfelder der Entwicklungspolitik

Entwicklungstheorien
Die Modernisierungstheorie
Demographische Theorien
Die Hinterlassenschaft des Kolonialismus
Die Dependenztheorie
Autozentrierte Entwicklung

Fazit

Literaturverzeichnis

Was bedeutet Entwicklung?

Und was bedeutet Unterentwicklung? Wieso sind einige Länder weit entwickelt, andere nicht? Diese Kernfragen, die nicht nur Soziologen, sondern Vertreter aus allen Disziplinen interessieren und auch die Öffentlichkeit bewegen, sollen im Folgenden erläutert und an Beispielen illustriert werden.

Bei der Entwicklungsdebatte dominiert meist die ökonomische Sichtweise, aber zum Teil schmerzhafte Erfahrungen haben wiederholt gezeigt, dass auch andere Aspekte berücksichtigt werden müssen, besonders wenn es um die Konzeption von Entwicklungshilfe geht. Aus dieser Erkenntnis heraus ist eine intensive Debatte über die soziokulturellen Faktoren von Entwicklung und Unterentwicklung entstanden und die Integrationswilligkeit der beiden ehemals verfeindeten Flügel gestiegen. Die grundlegenden Aspekte dieser Debatte werden im Folgenden dargelegt.

In der heutigen Zeit lautet die Antwort auf diese Frage „Was bedeutet Entwicklung?“ häufig: wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt. Doch fehlt bei dieser Definition schon der kulturelle oder politische Aspekt. Für einen Ökonomen bedeutet Fortschritt etwas anderes als für einen Mediziner, für einen Politiker etwas anderes als für einen Informatiker. Es kann sogar soweit kommen, dass das eine Fortschrittsmerkmal für den anderen eher einen Rückschritt bedeutet: Gewinnmaximierung wäre positiv in den Augen des Unternehmers, aber ein Menschenrechtler würde darin Ausbeutung sehen. Schon der Brandt-Bericht wies auf die schwierige Definition von Entwicklung hin:

Entwicklung „bezeichnet, weit gefasst, den erwünschten sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt – und es wird immer unterschiedliche Auffassungen darüber geben, was erwünscht ist“. (Brandt-Bericht 1980:64)

Auch der zeitliche Aspekt ist von Bedeutung für die Definition von Entwicklung: Was in der Antike als hochentwickelt galt, wäre für unsere Zeit ein Rückschritt. Die Römer, Griechen, Ägypter u.ä. standen zu ihrer Zeit ganz oben auf der Entwicklungsskala und würden dies vielleicht immer noch tun, wären ihre Kulturen nicht untergegangen. Diese Kulturen erfreuten sich zwar eines großen wirtschaftlichen Wohlstandes, unter anderem auch weil sie sich erfolgreich in den „Welt“markt integrierten – dass dies für Fortschritt unabdingbar sei, stellt auch der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, Prof. Horst Siebert, in „Die Angst vor der Globalisierung“ heraus – aber es scheint, dass immaterielle Werte, allen voran der Erwerb von Weisheit, einen höheren Rang als in unserer Industriegesellschaft einnahmen.

Für Gottfried Leibnitz bedeutete Entwicklung „das Auswickeln von etwas Eingewickelten“, während Kant schon genauer definierte, dass „alle Naturanlagen eines Geschöpfs bestimmt sind, sich einmal vollständig und zweckmäßig auszuwickeln.“ Kant erkannte aber auch die Bedeutung der Selbstinitiative: Die Menschen müssen „durch ihre eigene Tätigkeit die Entwicklung … zustande bringen.“ Diese Erkenntnis wird z.T. erfolgreich auf heutige Tätigkeiten im Bereich Entwicklungshilfe angewendet („Hilfe zur Selbsthilfe“). Vielen Ländern wäre mehr damit geholfen, wenn man mit ihnen intensivere Handelsbeziehungen aufnehmen würde und sie fair in den Weltmarkt integrieren würde als mit jeder einseitigen Aufbauhilfe (Stehr 2001:6).

Um in unterentwickelten Ländern Entwicklung zu erreichen, wird allgemein versucht, diese auf das Niveau der westlichen Industriestaaten zu heben (siehe auch die Erläuterungen zur Modernisierungstheorie). Diese Vorgehensweise ist auch innerhalb der industrialisierten Welt zu beobachten, wo viele Staaten ihre Wirtschaft an die der USA anzugleichen versuchen (z.B. durch Einführung amerikanischer Managementsysteme) und sich dadurch mehr schaden als voranbringen (Malik 2002). Doch kann man die Industrieländer als alleingültiges Vorbild nehmen? Ist es notwendig, möglich und vernünftig, die ganze Welt zu verwestlichen, zu industrialisieren? Weder ist es gesund, nur ein einziges Modell gelten zu lassen, noch ist es vernünftig, die gleichen Prozesse auf alle Entwicklungsländer, welche von ihrer Situation und Bedürfnislage höchst unterschiedlich gestaltet sind, anzuwenden. Märkte und Produkte sind blind für diese Differenzen, ebenso scheinen es Entwicklungsstrategen zu sein. Dabei gibt es z.B. größere sozioökonomische Unterschiede zwischen Lateinamerika und Afrika als zwischen Lateinamerika und Nordamerika. (Nuscheler 2002:2) Um diese Unterschiede berücksichtigen zu können, führt z.B. das deutsche Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung vor der Einführung neuer Entwicklungsprogramme stets eine Analyse soziokultureller Gegebenheiten der entsprechenden Staaten durch (Wieczorek-Zeul 2001:2). Immer öfter ist die Rede von einer wachsenden Vereinheitlichung der Kulturen, z.B. durch Konzerne, die mit ihren global einheitlichen Produkten einheimische Waren verdrängen („McWorld“-These, Begriff angelehnt an die weltweit operierende Fast-Food-Restaurantkette McDonalds).

Jedenfalls hat die moderne Kommunikationstechnik den Wunsch nach westlichem Lebensstil, Konsumgewohnheiten und Werten schon längst in die Köpfe der Bewohner der Entwicklungsländer getragen, viel stärker noch als es die Kolonialzeit tat, als man schon von einer fatalen „Kolonialisierung der Gehirne“ sprach. Zumindest ist bekannt, dass „eine Verallgemeinerung des westlichen Lebensstils den ökologischen Selbstmord der Menschheit bedeuten würde“ („Grenzen des Wachstums“, Bericht an den Club of Rome, 1972). Noch im Juni 2002 warnte Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

„Wenn ein Land wie China das kopierte, was die USA praktizieren: 20,2 Tonnen energiebedingte CO²-Emission pro Kopf der Bevölkerung, dann ginge uns allen die Luft aus. Zum Vergleich: China emittiert 1,9 Tonnen pro Kopf.“ (Wieczorek-Zeul 2002:2)

Der Erfolg des Kapitalismus, der unsere westliche Welt zu sog. entwickelten Ländern gemacht hat, basiert auf dem Rationalisierungsdiktat von Angebot und Nachfrage, mit dem sich zur Zeit der Industrialisierung die Einstellung zu Zeit Raum und Arbeit änderte. Nicht nur bestimmte Produktionsweisen gehören dazu, sondern auch neue Eigentums- und Organisationsformen, Verhaltensweisen und Normen, die traditionelle Werte z.T. aushebeln oder ihnen einen anderen Stellenwert zuschreiben. Während Muße und Nachdenklichkeit in nicht- bzw. vorindustriellen Gesellschaften zu Tugenden zähl(t)en, sind sie für den wirtschaftlichen Fortschritt, der eine industrielle Gesellschaft dominiert, hinderlich („Zeit ist Geld“). Je mehr die negativen Konsequenzen der Zweckrationalisierung der Gesellschaft überwiegen, desto eher stellt man auch das Vorbild des Kapitalismus in Frage. Schon jetzt stoßen die industrielle Produktion und ihre umwelt- und sozialzerstörerischen Auswirkungen an die Grenzen des Erträglichen (Evers 2001:465f.).

Nachhaltige Entwicklung und Globalisierung

Der gegenwärtige Trend auf dem Forum der Entwicklungsdebatten läuft in Richtung nachhaltige Entwicklung. Mit dem Weltgipfel in Rio de Janeiro 1992 erhielt die Nachhaltigkeitsstrategie einen offiziellen Charakter, indem alle Staaten anhand der sog. „Agenda 21“ zu ihrer Umsetzung verpflichtet wurden. Nachhaltige Entwicklung bedeutet entsprechend dem Brundtlandbericht von 1987

„eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der heutigen Generation befriedigt, ohne damit die Fähigkeit künftiger Generationen zu beeinträchtigen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen“.

Die Entscheidungsträger haben inzwischen erkannt, dass nur eine „Politik, die ökologische Grenzen respektiert, eine hocheffiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen verwirklicht, den Ländern des Südens die volle Nutzung der Chancen der Globalisierung ermöglicht und soziale Gerechtigkeit verwirklicht“ (Wieczorek-Zeul 2002) auch den nachfolgenden Generationen ein lebenswertes Leben ermöglicht und die Fehler der intensiven Wirtschaftsexpansion und Ressourcenausbeutung durch die kapitalistischen Industrieländer nicht wiederholt werden dürfen. Wie schwer sich die Industrienationen aber mit der Umsetzung der Agenda 21 tun, bewies das zähe Ringen um Kompromisse und die Blockadeaktionen einzelner Industriestaaten auf dem Rio-Nachfolgegipfel in Johannesburg im August 2002, der unter dem Motto „People – Planet – Prosperity“ stattfand. Neben den Migrationsbewegungen und dem zunehmenden Arsenal an Massenvernichtungswaffen in der Dritten Welt stellt die Umweltzerstörung seit den 90er Jahren das größte Risiko für die globale Gemeinschaft dar, denn ein Großteil der Entwicklungsprobleme wird durch die – nicht nur von den Industrieländern, sondern oft vom Faktor Unterentwicklung selbst verursachten – Umweltzerstörungen noch verschärft (Nohlen 2001:339).

Zusätzlich angeheizt wird der Konflikt zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern durch die seit mehr als einem Jahrzehnt laufende Globalisierungsdebatte, an der sich Gegner und Befürworter aus beiden „Welten“ beteiligen. Durch die schnell steigende globale Expansion von Großkonzernen, ermöglicht durch neue Technologien und Kommunikationsmittel sowie durch politische Veränderungen (Wende in Osteuropa, Freihandel, Deregulierung von Wirtschaftsabläufen u.ä.), werden schwache Weltmarktteilnehmer noch mehr ins Abseits gedrängt, da sie sich die Teilnahme am Weltmarkt, die mit kostspieligen Investitionen verbunden ist, nicht leisten können. Befürworter der Globalisierung betonen jedoch, dass gerade durch die neuen Markt- und Kommunikationsprozesse die Integration schwächerer Marktteilnehmer gefördert werden könne. Unter den politischen und gesellschaftlichen Akteuren hat die Globalisierungsdebatte das Bewusstsein, dass globale und grenzüberschreitende Probleme nur noch gemeinsam, d.h. länderübergreifend gelöst werden können, geweckt („global governance“), wodurch auch der Bedeutungszuwachs internationaler Regierungs- und Nichtregierungs-Organisationen zu erklären ist. Jedoch soll das Thema Globalisierung hier nicht näher erläutert werden; es ist ein Themenkomplex für sich, der aber aufgrund seiner Relevanz für die vorliegende Hausarbeit immer wieder am Rande gestreift werden wird. (Einen kurzen Überblick über Globalisierung bieten Evers 2001:449 und Varwick 2000:136 sowie Rau 2002).

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Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Theorien der Entwicklung und Unterentwicklung
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (FB1 Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Soziologische Theorien
Autor
Jahr
2002
Seiten
20
Katalognummer
V16042
ISBN (eBook)
9783638209977
Dateigröße
589 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theorien, Entwicklung, Unterentwicklung, Soziologische, Theorien
Arbeit zitieren
Maria Schnurr (Autor:in), 2002, Theorien der Entwicklung und Unterentwicklung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16042

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