Persönlichkeitsstörungen mit dem Schwerpunkt Borderline


Diplomarbeit, 2010

90 Seiten, Note: 1.3


Leseprobe


Gliederung:

1. Einleitung

2. Begriffsklärung
2.1 Der Normalitätsbegriff - Was ist psychisch krank?
2.2 Psychopathologie
2.3 Symptom und Syndrom
2.4 Die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM IV

3. Persönlichkeitsstörung
3.1 Allgemeine Definitionen
3.2 Spezifische Persönlichkeitsstörungen
3.2.1 Paranoide Persönlichkeitsstörung
3.2.2 Schizoide Persönlichkeitsstörung
3.2.3 Dissoziale / Antisoziale Persönlichkeitsstörung
3.2.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung
3.2.5 Zwanghafte / Anankastische Persönlichkeitsstörung
3.2.6 Vermeidende / Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
3.2.7 Abhängige / Dependente Persönlichkeitsstörung
3.2.8 Narzisstische Persönlichkeitsstörung
3.2.9 Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörungen

4. Grundlagen der Borderline – Persönlichkeitsstörung
4.1 Historie
4.2 Epidemiologie
4.2.1 Häufigkeit
4.2.2 Vergleich mit anderen psychischen Erkrankungen
4.3 Ursachen
4.3.1 Konstitutionelle Faktoren
4.3.1.1 Genetik
4.3.1.2 Neurologische und biochemische Fehlfunktionen
4.3.2 Umwelteinflüsse
4.3.2.1 Einfluss von Eltern und Familie
4.3.2.2 Borderline als Folge eines Traumas
4.3.3 Fazit

5. Klassifikation
5.1 Klassifikation nach Otto Kernberg
5.2 Klassifikation nach der ICD 10
5.3 Klassifikation nach dem DSM IV
5.4 Zusammenfassung
5.5 Explizite Beschreibung einzelner Kriterien
5.5.1 Identitätsstörung
5.5.2 Impulsivität
5.5.3 Impulsivität in selbstschädigenden Bereichen
5.5.3.1 Essstörungen
5.5.3.2 Substanzmittelmissbrauch
5.5.4 Selbstverletzendes Verhalten
5.5.4.1 Suizidales Verhalten
5.5.5 Zwischenmenschliche Beziehungen
5.5.5.1 Angst vor dem Alleinsein
5.5.6 Zusammenfassung
5.6 Komorbidität

6. Der Umgang mit der Erkrankung
6.1 Vom eigenen Erleben des Krankseins zur Diagnose

7. Therapien
7.1 Pharmakotherapie
7.2 Die Dialektisch-Behaviorale Therapie nach Marsha M. Linehan
7.2.1 Grundannahmen
7.2.2 Die Rolle und das Aufgabenfeld des Therapeuten
7.2.3 Behandlungskomponenten
7.2.4 Studien
7.3 Psychotherapie nach Clarkin, Yeomans, und Kernberg
7.3.1 Die psychoanalytische Sichtweise
7.3.2 Grundannahmen zur Borderline- Persönlichkeitsstruktur
7.3.3 Die Vereinbarungen zwischen dem Patienten und dem Therapeuten
7.3.4 Die Methode der Psychotherapie
7.4 Vergleich

8. Kinder und Jugendliche mit einer Borderline–Persönlichkeitsstörung
8.1 Gibt es Kinder und Jugendliche mit einer Borderline- Persönlichkeitsstörung?
8.2 Ein Beispiel
8.3 Ein Modell der schulischen Betreuung

9. Schlussbetrachtung

10. Literaturverzeichnis

1.Einleitung

Innerhalb meines Studiums zur Diplompädagogin habe ich mehrere Praktika absolviert. Um die für mich geeignete Praktikumsstelle zu finden, habe ich mir im Vorherrein Gedanken darüber gemacht in welchem Bereich ich nach dem Studium arbeiten möchte. Seit meiner Schulzeit interessiere ich mich besonders für den Bereich der psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter. Es ist für mich sehr faszinierend zu betrachten, welche Auswirkungen eine psychische Erkrankung auf das ganze Bewusstsein und soziale Leben einer Person haben kann. Aus diesem Grund habe ich meine Aufmerksamkeit vor allem auf Institutionen gerichtet, die dieses Klientel betreuen. Dabei bin ich auf eine psychiatrische Klinik in Schleswig - Holstein aufmerksam geworden. Diese ist in 4 Geschäftsbereiche, Pflege, Behandlung, Forensik und Eingliederung unterteilt, die miteinander vernetzt sind. Mein erstes 8-wöchiges Praktikum habe ich dann dort in einer Wohngruppe der Eingliederungshilfe absolviert. Die 9 männlichen Bewohner haben alle eine forensische Vorgeschichte und kommen direkt aus dem geschlossenen Vollzug. Die Diagnosen waren sehr vielfältig und reichten von Schizophrenie bis zu Persönlichkeitsstörungen. Das Ziel der Arbeit in diesem Bereich ist es das Klientel nach einem langen Aufenthalt in der Forensik Schritt für Schritt wieder auf ein Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Es werden gemeinsam lebenspraktische Fähigkeiten erarbeitet und die Umsetzung geübt, dazu gehört unter anderem der Umgang mit freiem Ausgang, das selbstständige Verwalten des Geldes, die eigenständige Regelung von behördlichen Angelegenheiten und das Übernehmen von Verantwortung für sich selbst und das eigene Handeln.

Nach diesen 8 Wochen habe ich für mich festgestellt, dass die Arbeit mit psychisch kranken Menschen genau das Richtige für mich ist und dementsprechend das 6-monatige Praktikum ebenfalls in diesem Bereich stattfinden soll.

Im Oktober 2007 habe ich dann in der gleichen Einrichtung in Schleswig Holstein mein zweites Praktikum begonnen. Es handelt sich dabei auch um einen Bereich der Eingliederung, allerdings ist dieser anders strukturiert, als der vorherige. Auf diesem Wohnbereich leben 24 männliche Bewohner, die alle einen Unterbringungsbeschluss gemäß § 1906 BGB Abs. 1 u.2 haben, das heißt es handelt sich hierbei um einen geschlossenen Bereich, der jedoch keine Vollzugseinrichtung ist. Die Klientel hier ist sehr unterschiedlich. Das Alter reicht von 18 bis momentan 50 Jahren. Auch die Diagnosen sind sehr verschieden. Es gibt Bewohner mit einer Alkoholabhängigkeit und damit verbundenen Anzeichen vom Korsakow-Syndrom, Personen die unter Schizophrenie leiden mit teilweise sehr starken Wahnvorstellungen und Klienten, die durch den Missbrauch von psychotropen Substanzen an einer psychischen Störung leiden. Ebenso besteht bei einem großen Teil der Bewohner eine Persönlichkeitsstörung mit verschiedenen spezifischen Ausprägungen. Wie bereits erwähnt, sind die Bewohner betreuungsrechtlich untergebracht, dieses jedoch aus verschiedenen Gründen. In vielen Fällen erfolgte dieser Beschluss wegen Eigengefährdung, bei manchen auch wegen Fremdgefährdung. So gibt es Bewohner, die sich in einer akuten Phase massiv in den unterschiedlichsten Arten selbst verletzen oder unter Einfluss von Drogen und Alkohol fremdaggressiv übergriffig werden und auch bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sind.

Da es sich hierbei um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe handelt ist das oberste Ziel, dass die Klienten lernen mit ihrer Erkrankung umzugehen und wieder in die Gesellschaft integriert werden können. Die Aufenthaltsdauer variiert, je nach Diagnose und Klientel zwischen einem halben Jahr und mehreren Jahren. Im Anschluss an den Aufenthalt wechseln die meisten Bewohner in eine offene betreute Einrichtung, in der sie weiterhin unterstützt werden.

Nach Beendigung des Praktikums fand ich dann auf diesem Bereich eine Anstellung. In den mittlerweile fast 2 Jahren, die ich jetzt dort arbeite, konnte ich mir ein Bild von den unterschiedlichsten psychischen Erkrankungen machen. Besonders Bewohner mit der Diagnose einer Persönlichkeitsstörung speziell Borderline stellten sich mir hierbei sehr unterschiedlich dar. Einerseits sind es die Personen, die am häufigsten den Kontakt zu den Mitarbeitern suchen, die dann aber auch den größten Abstand brauchen. An einem Tag wollen sie die komplette Aufmerksamkeit, sind immer präsent und am nächsten Tag entziehen sie sich vollständig und halten sich vor allem in ihrem Zimmer auf. Weiterhin ist es sehr auffallend, dass sie sich bestimmte Mitarbeiter heraussuchen , mit denen sie dann über ihre Probleme sprechen, andere werden dabei völlig ignoriert und auch nur sehr schwer toleriert. Momentan leben auf dem Wohnbereich 8 Bewohner mit einer Persönlichkeitsstörung, wobei 2 davon als Hauptdiagnose Borderline haben. Diese Beiden sind wie erwähnt sehr präsent und ich habe häufig Kontakt mit ihnen in den unterschiedlichsten Formen. Entweder wollen sie reden, Karten spielen, spazieren gehen u.s.w. oder sie machen durch selbstverletzendes Verhalten und / oder Alkoholmissbrauch auf sich aufmerksam. Obwohl beide Männer die gleiche Diagnose haben, zeigen sie erst einmal relativ unterschiedliche Verhaltensmuster. Ihr Handeln löste viele Fragen in mir aus, da ich oft Schwierigkeiten habe, es zu verstehen oder nachzuvollziehen.

Sind sie wirklich so verschieden oder liegt es eher an der Komplexität des Krankheitsbildes selbst? Kann man sie überhaupt direkt miteinander vergleichen? In welcher Intensität, Art und Weise beeinflusst die Borderline-Persönlichkeitsstörung ihr Verhalten? Warum sind sie so unvorhersehbar?

Ein weiteres Problem für die Bewohner selbst, stellt auch die geschlossene Unterbringung dar. Sie sehen sich selbst nicht als direkt gefährdet oder gefährlich an und können deshalb auch nicht die Notwendigkeit dieses Beschlusses nachvollziehen. Sie sind der Meinung, dass sie einfach nur weggesperrt wurden, weil sie als „unbequem“ empfunden werden und sie zweifeln an der Notwendigkeit dieser Maßnahme. Sie fühlen sich nach ihren eigenen Angaben aussortiert und weggeschlossen. Andererseits erwähnen sie auch, dass dieses ein Gefühl von Sicherheit hervorruft, da sie nicht auf sich selbst gestellt sind und die Verantwortung für ihre Entscheidungen in die Hände des Personals bzw. des Betreuers legen können. Dieses Gefühl beschreibt auch Berit Anders in ihrer Biographie.

„Wie bin ich nur auf diese geschlossene Psychiatriestation gekommen- ich wollte doch nur nicht allein zu Hause sein? Ich bin auf die geschlos- sene Station gekommen, weil ich einem Arzt gesagt habe, daß ich mich am liebsten umbringen würde. Der Raum ist groß. Er ist wie ein Glaskas- ten-von außen einzusehen. Bett an Bett . Ich habe mein Bett zwischen Halbverrückten und Ganzverrückten. Beim Essen treffe ich die weniger Verrückten, die auch irgendwas hergebracht hat. So wie mich. Es ist ziemlich schlimm hier. Die Stationsschwester sagt, ich gehörte hier nicht her. Ich will auch so schnell wie möglich wieder weg von hier. Und dann bekomme ich Angst vor dem `Wieder weg`. Und dann will ich wieder weg. Und dann kommt wieder die Angst. Wenn ich nicht hergehöre-wo gehöre ich dann hin? Ich brauche Hilfe. Ich weiß nicht was mit mir ist. Ich weiß nur, daß es mir entsetzlich schlecht geht. Nach ein paar Tagen komme ich in ein kleineres Zimmer zu den weniger Verrückten. Der Sta- tionsarzt unterhält sich oft mit mir über Literatur-ich lese gerade den `Wendepunkt´ von Klaus Mann. Und über Musik. Ich spüre sein Irritiert- sein, ich wirke so normal in der Unterhaltung. Irgendwann fragt er nach. Wie erklärt man einen Alptraum während man ihn träumt?“

(Anders 2004, S.19f)

Dieses Zitat zeigt auch diese ambivalenten Gefühle, das Hin- und Hergerissen sein. Man sollte sich an dieser Stelle fragen, ob diese Form der Unterbringung für diese Erkrankung die Richtige ist. Ist eine geschlossene Unterbringung angebracht? Wenn ja, für wen und wie lange?

Diese Fragen und noch einige mehr haben sich für mich durch die enge Zusammenarbeit mit diesen beiden Bewohnern ergeben. Ich habe dieses Thema für meine Arbeit gewählt, da es mich sehr interessiert und es sich hierbei offensichtlich um ein sehr komplexes Krankheitsbild handelt. Ich möchte die obengenannten Fragen beantworten und noch auf einige andere Aspekte eingehen, die im Zusammenhang mit dieser Störung eine wichtige Rolle spielen.

Anfangs werde ich einige Begrifflichkeiten klären, weil sie im Verlauf der Arbeit immer wieder Verwendung finden und für die Verständlichkeit unumgänglich sind. Dabei wird in erster Linie auf die Klassifikationssysteme ICD 10 und DSM IV eingegangen, da die Krankheit anhand dieser diagnostiziert wird.

Da es sich bei Borderline um eine spezifische Persönlichkeitsstörung handelt, werde ich diese psychische Erkrankung anschließend allgemein definieren, einordnen und die spezifischen Persönlichkeitsstörungen kurz erläutern. Im ICD 10 gibt es zusätzlich zu den neun angeführten spezifischen Persönlichkeitsstörungen noch eine zehnte. Diese wird als emotional-instabile Persönlichkeitsstörung bezeichnet. Ich werde an dieser Stelle nicht näher auf diesen Typ eingehen, da hierunter auch der Borderline-Typ eingeordnet wird, den ich dann im späteren Verlauf der Arbeit genauer erklären werde.

Im 4. Kapitel werde ich die Grundlagen der Borderline-Persönlichkeitsstörung näher betrachten, um einen allgemeinen Einblick in die Erkrankung zu erhalten. Dabei wird zunächst ein historischer Überblick über die Krankheit Borderline bzw. über die Begriffsentstehung gegeben. Weiterhin werde ich in diesem Abschnitt auf die Epidemiologie eingehen, auch im Vergleich zu anderen Erkrankungen. Für den weiteren Verlauf ist es unbedingt notwendig hier die Ursachen der Störung zu betrachten, da sie in vielen Fällen die Grundlage für die später zu bearbeitenden Therapiemöglichkeiten bilden. Hierbei werden mehrere mögliche Aspekte wie die konstitutionellen Faktoren und die Umwelteinflüsse angeführt und erläutert.

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung wird in der ICD-10 und dem DSM-IV klassifiziert. Das heißt es gibt bestimmte Kriterien, die bei der Diagnose dieser Erkrankung erfüllt sein müssen. Im 5. Abschnitt werden diese anhand der genannten Klassifikationssysteme betrachtet, dazu wird auch die Symptomatik nach Otto F. Kernberg beschrieben, da er in vielen Fällen die Grundlage für weitere Ergebnisse geliefert hat. Im Anschluss werden einige der Kriterien noch einmal explizit aufgezeigt und anhand von Fallbeispielen erklärt.

Es gibt bestimmte Symptomkomplexe, die in der Literatur sehr häufig erwähnt werden und als besonders charakteristisch für die Erkrankung gelten, dabei werde ich v.a auf die Merkmale der ICD-10 und des DSM IV eingehen, da diese die offizielle Klassifikation darstellen. Dadurch kann das Verhalten von Borderline-Patienten in den vielfältigen Dimensionen genau untersucht und analysiert werden.

In einigen Fällen tritt die Erkrankung in Komorbidität mit anderen Störungen auf und da dieses unter Umständen zu einer Veränderung bzw. Verzerrung des Krankheitsbildes führen kann werden einige Beispiele dafür erwähnt.

Wie muss es sein, wenn ein Arzt einem Borderline diagnostiziert? Bis jetzt hat man sein Leben immer irgendwie gestaltet. Sicherlich gab es auch Schwierigkeiten, aber keiner wusste woran es liegt. Jetzt haben die Probleme einen Namen und lassen sie sich hoffentlich lösen. Wie geht es nun weiter? Im 6. Kapitel geht es um den Umgang mit der eigenen Erkrankung.

Da nun geschildert wurde, welche Symptome eine Borderline-Persönlichkeitsstörung beschreiben und wie der Borderliner mit der Diagnose umgehen kann, muss geklärt werden, wie es danach weitergeht. Welche Therapie ist am besten geeignet? Der 7. Abschnitt befasst sich mit Therapiemöglichkeiten dieser Störung. Es gibt eine Vielzahl an Therapien, die bei der Borderline-Störung eingesetzt werden. Hier sind beispielsweise Traumatherapien, Psychoedukation, Pharmakotherapien, die Psychotherapie und die dialektisch-behaviorale Therapie zu nennen. Ich werde mich auf die drei letzt genannten beschränken, da sie am häufigsten angewendet und direkt für das Störungsbild beschrieben werden. Dabei wird auf die Herangehensweise, die Konzeption und deren Aussicht auf Erfolg eingegangen. Diese verschiedenen Therapien sehen unterschiedliche Ursachen für die Störung und setzen dementsprechend an anderen Punkten an. Im Anschluss werden die Therapieansätze miteinander verglichen.

Im 8. Kapitel geht es darum, die Erkrankung Borderline mit der Sonderpädagogik in Verbindung zu bringen. In Bezug darauf werde ich die Frage klären, ob es Kinder und Jugendliche mit Borderline gibt und man dann von einer psychischen Störung oder eher von einer Verhaltensauffälligkeit spricht. Abschließend werden beispielhaft Maßnahmen aufgeführt, die den Umgang mit solchen Kindern exemplarisch darstellen.

In der gesamten Arbeit wird immer mit Fallbeispielen gearbeitet, um die Ausführungen zu verdeutlichen und praktisch noch einmal erklären zu können. In erster Linie wird es sich dabei um die beiden oben genannten Bewohner, die hier aus Gründen der Anonymität und des Datenschutzes als F. und O. bezeichnet werden, handeln. O. ist bereits seit über 2 Jahren auf dem Wohnbereich und F. seit fast einem Jahr. Die im weiteren Verlauf angeführten Daten und Beobachtungen sind der Dokumentation der Einrichtung entnommen. Dazu gehören unter anderem das richterliche Gutachten, die Biographie, die Dokumentation über das Tagesgeschehen, die Medizindokumentation, Verlaufsberichte und die aktuelle Hilfeplanung. Es werden auch Erfahrungsberichte miteinbezogen. Dadurch ist es möglich die Gefühle und Probleme aus der Sicht eines Borderliners nachvollziehen zu können und einen besseren Einblick in die Gefühlswelt und Komplexität dieser Erkrankung zu erhalten. Vielleicht ist es sogar möglich das Verhalten etwas zu verstehen?

2. Begriffsklärung

2.1 Der Normalitätsbegriff – Was ist psychisch krank?

Persönlichkeitsstörungen werden ganz allgemein den psychischen Erkrankungen beziehungsweise Störungen zugeordnet. Eine Klärung dieses Begriffes ist aus diesem Grund unbedingt erforderlich, da dieser Fachausdruck im Verlauf der Arbeit immer wieder auftreten wird.

Im Allgemeinen kann gesagt werden, dass grundsätzlich alles als „normal“ gilt was einer bestimmten gesellschaftlichen Norm entspricht. ( Payk, 2007, S.48 ff., Scharfetter, 2002, S. 6 ff., Vollmoeller, 2001, S. 108) In jedem Kulturkreis gibt verschiedene Normen, die allgemein akzeptiert und beachtet werden. Payk zählt verschiedene Arten von Normen auf, die seiner Meinung nach teilweise mehr oder weniger geeignet sind. So nennt er beispielsweise die statistische Norm, die zwar die Durchschnittswerte der Bevölkerung erfasst, jedoch werden dabei die individuellen Fähigkeiten und Besonderheiten des Einzelnen nicht betrachtet. Die subjektive Norm hält er für ebenfalls ungeeignet, da hier das subjektive Empfinden allein betrachtet wird und dies nicht als Richtlinie für allgemein gültige Diagnosen gelten kann. Im Gegensatz dazu hält er die funktionale Norm als Parameter für den Begriff Normalität geeignet, da hier subjektive Empfindungen und objektive Leistung Beachtung finden. (Payk, 2007, S. 48 ff.) Scharfetter beschreibt die statistische Norm als diejenige die „normal sein“ am ehesten darstellen kann, da sie in der Lage ist Menschen mit gewissen übereinstimmenden Merkmalen, wie Alter, Geschlecht, soziales Umfeld u.s.w. miteinander zu vergleichen und so abweichende Verhaltensweisen aufzeigt. Die Schwierigkeit ist, dass es keine Norm gibt, die für alle Menschen auf der Erde gültig sein kann, da die gesellschaftlichen Hintergründe und Traditionen nicht überall gleich sind. (Scharfetter, 2002, S. 6 ff.)

Abnormes Verhalten stellt laut Payk und Scharfetter also eine Abweichung von den jeweils geltenden Normen dar. Diese Abweichungen können positiv oder negativ sein. Hochbegabung gehört dabei zu den positiven Merkmalen und bei schwer negativ abweichendem Verhalten ist die psychische Gesundheit gefährdet. (Payk, 2007, S. 48 ff., Scharfetter, 2002, S.6 ff.)

„Psychisch krank ist, wer sein subjektives Wohlbefinden und/oder seine objektive Leistungsfähigkeit nachhaltig und für längere Zeit eingebüßt hat und sich in seinem Sozialgefüge nicht zu behaupten vermag (modifizierte funktionale Norm)“ (Payk, 2007, S.54).

„Krank ist im Selbstverständnis des `Patienten´ und im Urteil seiner Um- welt, wer, aus welchem Grund immer, an sich und der Welt über das lan- des- und gruppenübliche Ausmaß hinaus (sic Norm!) qualitativ oder/und quantitativ leidet (Leidensaspekt, engl. sickness, illness), wer mit den gegebenen nicht allzu extremen Verhältnissen bis zu einem lebensbe- einträchtigenden Maß nicht zurecht kommt, wer in der Lebens- und Weltbewährung versagt (Versagensaspekt), wer infolge seines hochgra- digen Andersseins nicht in lebendige Verbindung zu anderen Menschen treten kann (Beziehungsaspekt).

(Scharfetter, 2002, S.13)

2.2 Psychopathologie

Psychopathologie kann ganz allgemein als die „Lehre von den Leiden der Seele“(Peters 1997, S.422) beschrieben werden. Sie gehört zu dem Fachgebiet der Psychiatrie und befasst sich mit der krankhaften Veränderung von psychischen Funktionen und Eigenschaften, diese werden definiert, beschrieben, aufgelistet und zugeordnet. Weiterhin werden auch die Zusammenhänge von Genetik, Umwelt und den Krankheitsbildern gekennzeichnet (Payk, 2007, S. 1ff). Das Ziel der Psychopathologie ist es Symptome zu erkennen und zu beschreiben, um sie im Anschluss verstehen zu können. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass sich nicht nur auf das Krankhafte fixiert, sondern auch das Gesunde hervorgehoben wird, damit man weiß was zu verstärken ist (Scharfetter, 2002, S. 1ff).

2.3 Symptom und Syndrom

Scharfetter und Payk stellen Symptome als die kleinste beschreibbare Einheit einer psychischen Störung dar. Symptome sind kleine Bausteine, die Veränderungen in der menschlichen Psyche beobachtbar machen. Sie werden in objektiv beobachtbare und subjektiv selbst empfunden unterschieden. Die einzelnen Symptome können jedoch nicht auf eine bestimmte psychische Erkrankung schließen lassen. Sie treffen Aussagen über Abnormitäten im Verhalten und können näher betrachtet werden. Die verschiedenen Symptome stellen Zeichen dar, die nicht unmittelbar eine Diagnose liefern. Weiterhin gibt es eine Vielzahl von Symptomen, die bei dem Großteil der Krankheitsbilder auftreten.

Sollte es der Fall sein, dass eine bestimmte Gruppe von Symptomen häufig in einem bestimmten Zusammenhang auftritt bezeichnet man diese als Syndrom. Das Syndrom kann also als ein Symptomkomplex bezeichnet werden, der dem weiteren Diagnoseverlauf dient, die psychische Erkrankung aber auch nicht konkret beschreibt, da auch Syndrome noch zu allgemein sind und sie nur einzelne Merkmale beschreiben, die bei unterschiedlichen Diagnosen auftreten. Wichtig ist auch, dass beide Begriffe nicht in der Lage sind Aussagen über mögliche Ursachen zu treffen (Payk, 2007, S. 43ff; Scharfetter, 2002, S. 24ff).

Es muss also immer ein Komplex von Merkmalen vorhanden sein, damit eine psychische Störung eindeutig diagnostiziert werden kann. Darauf werde ich im späteren Verlauf meiner Arbeit noch einmal eingehen.

2.4 Die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM IV

Die ICD-10 Classification of Mental and Behavioural Disorders (ICD-10) ist ein Klassifikationssystem für Krankheiten jeder Art. Ausschließlich das Kapitel V (F) befasst sich mit der internationalen Klassifikation psychischer Erkrankungen. In diesem Werk sind die verschiedenen psychischen Erkrankungen aufgeführt. Sie werden jeweils nach bestimmten Merkmalen bzw. Symptomen kategorisiert und die Krankheit dann codiert. Dadurch sind die einzelnen Krankheitsbilder voneinander unterscheidbar und der Diagnostiker hat die Möglichkeit anhand dieses Systems das Krankheitsbild zu untersuchen und es der dementsprechenden Krankheit zuzuordnen.

Zum Anfang der 60er Jahre hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) damit begonnen sich durch Forschungsprojekte und Zusammenarbeit mit vielen anderen Institutionen für die Verbesserung der Klassifikationssysteme von psychischen Erkrankungen einzusetzen. So kam es zur 8. Auflage der ICD-10. Durch das zunehmende Interesse an der Klassifikation wurde dann weiterhin an der Überarbeitung und Verbesserung der ICD-10 gearbeitet, so dass im Jahr 1992 durch die WHO die 10. Auflage dieser international anerkannten Klassifikation herausgegeben wurde. Darin enthalten sind im Gegensatz zu den vorherigen Auflagen viele Verbesserungen. Es wird aber auch erwähnt, dass es einer ständigen Weiterbearbeitung bedarf, damit neue Erfahrungen und Erkenntnisse wiederum zur Verbesserung beitragen können. (Sartorius, 2008, S.16ff.) Laut den Autoren ist dieses System als eine Leitlinie für die diagnostische Arbeit zu sehen und bei der Erfüllung eines Großteils der Kriterien gilt die Diagnose als sicher. Bei manchen Klienten kann es auch dazu kommen, dass mehrere Diagnosen erfolgen können. Diese sollten dann nach den Autoren ist Haupt- und Zusatzdiagnosen unterschieden werden, wobei die Hauptdiagnose die akute Problematik darstellen sollte. (Dilling, Mombour & Schmidt, 2008, S.5ff.)

Das DSM-IV ist ein von der American Psychiatric Association in Englisch herausgegebenes Klassifikationsschema für psychische Erkrankungen. Es wurde mit dem Ziel entwickelt die Krankheitsbilder einheitlich darstellen zu können beziehungsweise als Hilfestellung bei der Erstellung von Diagnosen. Dabei liefert dieses System dann Kriterien, die es der behandelnden Person erleichtern sollen eine zuverlässige Diagnose treffen zu können. Wichtig dabei ist nach den Autoren zu beachten, dass diese Kriterien als eine Art Wegweiser oder Richtlinie zu deuten sind, nicht jeder kann dadurch Diagnosen fällen. Es benötigt eine qualifizierte Ausbildung um vorhandene Symptome, die sich auch überschneiden, einem bestimmten Kriterium zuordnen zu können beziehungsweise um eine endgültige Klassifizierung vorzunehmen. Die einzelnen Erkrankungen werden codiert und zu jeder Störung sind die passenden ICD-10 Codierungen ausgewiesen. In einigen Fällen ist die Übereinstimmung nur teilweise gegeben, dieses wird dann separat aufgezeigt. Die psychischen Störungen werden hier unterteilt in verschiedene Subtypen, damit das Krankheitsbild möglichst detailliert beschrieben werden kann. Sollte es der Fall sein, dass auf einen Patienten mehrere Diagnosen zutreffen, so wird laut den Autoren, die aktuell akuteste Beeinträchtigung als Hauptdiagnose gewertet.

Die Klassifikation des DSM-IV beruht aus einem System von 5 Achsen. Diese spiegeln alle verschiedenen Bereiche, die beachtet werden sollten, um Hilfestellungen für weiteres Vorgehen geben zu können. Auf der Achse I sind klinische Störungen und andere klinisch relevante Probleme, Achse II Persönlichkeitsstörungen und geistige Behinderung, Achse III umfasst medizinische Krankheitsfaktoren, Achse IV psychosoziale und umgebungsbedingte Problem und die Achse V stellt eine globale Beurteilung des Funktionsniveaus dar. Durch diese Aufteilung in verschiedene Achsen werden Informationsbereiche dargestellt, die in der Lage sind psychische Erkrankungen komplex zu beschreiben und ähnliche Krankheitsbilder miteinander zu vergleichen. Weiterhin wird dadurch die bestehende Gefahr reduziert, dass sich die diagnostizierende Person lediglich auf das akute Verhalten bezieht und die anderen Faktoren außer Acht lässt. Das DSM-IV kann auch ohne die Verwendung des multiaxialen Systems angewendet werden, dabei werden dann die einzelnen Diagnosen mit der Hauptdiagnose am Anfang angegeben. (Saß, Wittchen, Zaudig & Houben 2003, S. 1ff.)

In Deutschland werden die psychischen Erkrankungen nach der ICD-10 verschlüsselt, diese gilt also als verbindlich. Im Anhang dieses Buches werden diverse Wissenschaftler aufgezählt, die an der Überarbeitung beteiligt waren, insgesamt aus 40 verschiedenen Ländern, daran ist zu erkennen, dass diese Klassifikation wirklich einen allgemein gültigen Charakter hat, da so viele unterschiedliche internationale Meinungen und Anregungen eingeflossen sind und es nicht das Werk eines Einzelnen ist. Es ist also weitestgehend objektiv und überall auf der Welt für die Diagnostik psychischer Erkrankungen anwendbar. In der Zusammenfassung ähneln sich diese Klassifikationssysteme, da in beiden die Kriterien der verschiedenen psychischen Erkrankungen dargestellt werden, die zu einer zuverlässigen Diagnose unerlässlich sind. Weiterhin ergänzen sie sich gegenseitig, denn manche Störungen werden in dem einen ausführlicher dargestellt als in dem anderen und umgekehrt.

3. Persönlichkeitsstörung

3.1 Allgemeine Definitionen

In der ICD-10 und im DSM-IV werden Persönlichkeitsstörungen übereinstimmend als Störungen beschrieben, die sich in erster Linie durch Veränderungen im Verhalten beschreiben lassen. Diese Abweichungen zeigen sich im Vergleich zu der Mehrheit der Bevölkerung im sozialen Umfeld. Bereiche, wie die Wahrnehmung und Interpretation von Personen und Situationen, die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehung, angemessene kontrollierbare Emotionalität und das Denken sind eingeschränkt und weichen deutlich von der Mehrheit ab. Dieses Verhalten beeinflusst die Person in vielen psychischen und sozialen Lebensbereichen und ist in dieser Form sehr stabil, starr und andauernd. Der Betroffene selbst leidet unter diesen Verhaltensmustern und den sich daraus ergebenden Beeinträchtigungen.

In den beiden Klassifikationssystemen wird weiterhin auch beschrieben, dass der Beginn dieser Störung in der Kindheit bzw. Adoleszenz liegt und die Ursache weder eine andere psychische Erkrankung noch eine hirnorganische Schädigung ist. Die Persönlichkeitsstörungen werden in 10 spezifische Persönlichkeitsstörungen unterteilt. Hierbei gibt es zum Großteil auch Übereinstimmungen. Einzelne Typen sind anders unterteilt beziehungsweise wird speziell der Borderline-Typ anders eingeordnet, dazu werde ich im späteren Verlauf der Arbeit zurückkommen. (Dilling et al, 2008, S. 241 ff., Saß et al, 2003, S. 255 ff.)

Auch Bronisch, Bohus, Dose, Reddemann und Unckel (2005) verweisen in Ihrem Buch auf die Definition der ICD-10 und des DSM-IV und fügen hinzu, dass zu einer objektiven Beurteilung des betrachteten Verhaltens nicht von der Idealnorm ausgegangen werden kann, sondern von einer statistischen Norm ausgegangen werden muss.

König erwähnt in seinen Ausführungen ebenso die Abweichungen des sozialen Verhaltens und die damit verbundenen Probleme, die sich dem Betroffenen in der täglichen Lebensführung daraus ergeben. (König, 2004, S. 61ff.)

Persönlichkeitsstörung ist laut Sachse ein Begriff, der diese Störung nur sehr unzureichend beschreiben kann, da es nach seiner Meinung diese Begrifflichkeit eine Störung der Person als Ganzes impliziert und es dadurch zu einer gewissen Abwertung und Stigmatisierung der betroffenen Person kommen kann. Er bezieht in diese Erkrankungen auch Störungen des Denkens, Handelns und Fühlens mit ein, wie sie auch in den beiden Klassifikationssystemen angeführt werden, misst jedoch den Schwierigkeiten in der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen den größten Stellenwert zu. Durch die Anführung mehrerer Autoren zeigt er, dass auch andere den Schwerpunkt dieser Störung in diesem Bereich sehen. Er selbst beschreibt Persönlichkeitsstörungen direkt als Beziehungs- oder Interaktionsstörungen. (Sachse 2002, S. 9 f., 2004, S. 9 f.)

Im Vergleich der einzelnen Definitionen ist zu erkennen, dass es keine gravierenden Unterschiede gibt. Bei allen wird die Persönlichkeitsstörung als eine Störung beschrieben, die das Denken, Fühlen, Verhalten und die zwischenmenschliche Interaktion wesentlich beeinflusst und Auswirkungen auf das gesamte soziale Umfeld hat. Im DSM-IV und in der ICD-10 werden die Kriterien ohne eine bestimmte Priorität aufgezählt, während König und Sachse vor allem auf die Schwierigkeiten im Verhalten bzw. im Umgang mit anderen Personen eingehen und dies als Kern dieser Störung betrachten.

3.2 Spezifische Persönlichkeitsstörungen

3.2.1 Paranoide Persönlichkeitsstörung

Personen, die an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung leiden, zeichnen sich v.a. durch Misstrauen aus. Dieses bezieht sich auf viele Bereiche ihres Lebens, z.B. haben sie Schwierigkeiten damit, wenn andere Personen egal ob Bekannte, Freunde oder Familienangehörige sie kritisieren, dabei ist es irrelevant ob diese Kritik gerechtfertigt ist oder nicht. Sie können nur schwer verzeihen und sind sehr nachtragend. Diesen Personen fällt es generell nicht leicht in Kontakt mit ihren Mitmenschen zu treten, weil sie jede Handlung oder Aussage der anderen misstrauisch gegenüber stehen und immer das Gefühl haben, dass der Gegenüber ihnen etwas Böses will. Er fühlt sich bedroht, verraten und ausgenutzt. Vertrauen aufzubauen stellt dementsprechend eine fast unüberwindbare Hürde dar. Da sie in jeder Interaktion ungerechtfertigt eine Art Angriff sehen, reagieren sie häufig aggressiv und wehrhaft. Ein weiteres auftretendes Symptom ist der starke Zweifel an der Treue des eigenen Partners, der sich ebenfalls als stark überzogen und irrational darstellt. ( Dilling et al, 2008, S.247., Sachse, 2004, S.110f., Saß et al, 2003, S.256)

3.2.2 Schizoide Persönlichkeitsstörung

Die schizoide Persönlichkeit hat ebenfalls Probleme im Umgang mit anderen Personen. Sie sind eher Einzelgänger, haben keine engen Vertrauten und weigern sich feste Beziehungen einzugehen. Lob und Kritik gegenüber sind sie scheinbar gleichgültig, selbst sexuelle Kontakte sind für die Betroffenen nicht interessant. Insgesamt werden Personen, die unter dieser Störung leiden als emotional sehr distanziert dargestellt. Es fällt ihnen schwer ihre eigenen Gefühle, egal ob liebevoll oder ärgerlich zu äußern. Sie wirken dadurch kalt und unnahbar auf die Mitmenschen. Generell sind sie nur in Ausnahmefällen in der Lage Freude an Aktivitäten zu empfinden. (Dilling et al, 2008, S.248., Sachse, 2004, S.101f., Saß et al, 2003, S.257)

3.2.3 Dissoziale / Antisoziale Persönlichkeitsstörung

Dissozialen Persönlichkeiten fällt es äußerst schwer sich an gesetzliche und gesellschaftliche Normen zu halten. Dabei werden die Gefühle von den Mitmenschen außer Acht gelassen und rücksichtslos übergangen. Sie sind verantwortungslos und missachten sämtliche Regeln, sind dabei unfähig die eigene Schuld zu erleben bzw. sind sie nicht in der Lage aus den gemachten Fehlern zu lernen, auch wenn diese Konsequenzen getragen haben. Die Person sucht zuerst die Fehler bei Anderen und beschuldigt dementsprechend Unschuldige. Durch die ständige hohe Reizbarkeit und die niedrige Frustationsgrenze zeigt sie häufig gewalttätiges Verhalten, ohne im Nachhinein Reue empfinden zu können. (Dilling et al, 2008, S.248 f., Saß et al, 2003, S.258 f.)

3.2.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung

Das Ziel von Betroffenen mit dieser Störung ist es stets im Mittelpunkt zu stehen. Situationen in denen dies nicht der Fall ist, stellen sich für sie als sehr unangenehm dar. Um dieses zu vermeiden setzen histrionische Persönlichkeiten sehr stark ihr Aussehen ein, welches ihnen sehr wichtig ist. Sie kleiden sich übertrieben verführerisch um so die komplette Aufmerksamkeit zu bekommen. Das Verhalten ist dementsprechend sexuell sehr provokant und auffallend. Die Meinung anderer Personen über sich selbst ist für Betroffene von starker Bedeutung und somit sind sie leicht beeinflussbar. Die Person neigt dazu sich selbst zu dramatisieren, verhält sich theatralisch und drückt seine Gefühle sehr übertrieben aus. Die Affektivität ist oftmals oberflächlich und labil. (Dilling et al, 2008, S.250 f., Sachse, 2002, S.18 f., 2004, S.48 f., Saß et al, 2003, S.260 f.)

3.2.5 Zwanghafte / Anankastische Persönlichkeitsstörung

Menschen mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung sind übermäßig vorsichtig. Es ist für sie von großer Bedeutung eine ständige und detaillierte Kontrolle über alle Dinge zu haben, die in ihrem Leben stattfinden. Der Betroffene ist dadurch ständig mit Regeln, Plänen, Organisationen, Listen und ähnlichem beschäftigt. Es hindert ihn dann oftmals an der Ausführung der eigentlichen Tätigkeit. Dieses zwanghafte Verhalten und die übertriebene Leistungsbezogenheit behindern die Person am Aufbauen von zwischenmenschlichen Beziehungen. Er ist so auf die gewissenhafte Erledigung der Pläne fixiert, dass Freizeit und Vergnügen eine untergeordnete Rolle spielen. Durch den Perfektionismus und die Pedanterie fällt es dem Betroffenen äußerst schwer Aufgaben an Dritte abzugeben, da die Möglichkeit besteht, dass sie nicht genau nach seinen Plänen arbeiten bzw. sie sich denen nicht unterordnen. Die zu bewältigenden Aufgaben können teilweise nicht erledigt werden, da die eigens angestrebte Perfektion Vorrang hat. (Dilling et al, 2008, S.251., Sachse, 2004, S.122f., Saß et al, 2003, S.263 f.)

3.2.6 Vermeidende / Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung

Die vermeidende Persönlichkeit zeichnet sich durch ein sehr geringes Selbstbewusstsein aus, dass sich in vielen Lebensbereichen äußert. Im beruflichen und sozialen Bereich versucht diese Person enge Kontakte zu vermeiden. Sie ist davon überzeugt, dass sie selbst im Vergleich zu anderen minderwertig ist, findet sich nicht attraktiv und hält sich für sozial unfähig. Es herrscht eine ständige Besorgnis darüber von anderen Menschen nicht gemocht zu werden, da eine große Angst vor Kritik und Ablehnung vorhanden ist. Auf Beziehungen zu anderen Personen kann sich der Betroffene nur einlassen, wenn er sicher ist gemocht zu werden, da er ein Schamgefühl vermeiden will. (Dilling et al, 2008, S.251 f., Sachse, 2004, S.64., Saß et al, 2003, S.262)

3.2.7 Abhängige / Dependente Persönlichkeitsstörung

Das selbstständige Treffen von Entscheidungen im Alltag stellt ein großes Problem für Menschen mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung dar. Sie benötigen dabei die Hilfe anderer Personen in Form von Ratschlägen oder überlassen die Entscheidung komplett den anderen, da sie sich dazu nicht in der Lage fühlen. Alleinsein stellt eine große Angst dar, weil das Gefühl besteht alleine nicht für sich sorgen zu können. Die Betroffenen benötigen enge Bindungen zu anderen Menschen, um das Gefühl zu haben es ist jemand vorhanden, der sich um sie kümmert. Aus Sorge vor dem Verlassen werden, ordnen sie sich dieser Person oftmals sehr stark unter und zeigen sich komplett anspruchslos ihr gegenüber. (Dilling et al, 2008, S. 252, Sachse, 2004, S.73 f., Saß et al, 2003, S. 262 f.)

3.2.8 Narzisstische Persönlichkeitsstörung

Macht, Erfolg und Größe sind Kriterien, die Personen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung stark beeinflussen. Der Betroffene hält sich selbst für übermäßig wichtig und überlegen gegenüber anderen. Er stuft das eigene Verhalten als besonders und einzigartig ein, dadurch entwickelt er starke Neidgefühle, dass jemand besser sein könnte, ist aber auch davon überzeugt, dass andere neidisch auf ihn selbst sind. Der Betroffene möchte von anderen bewundert werden und nutzt dazu Beziehungen zu Mitmenschen aus. Generell ist er nicht bereit die Gefühle anderer zu tolerieren, da er selbst von seinem grenzenlosen Erfolg überzeugt ist. (Dilling et al, 2008, S.253, Sachse, 2002, S.147 f., 2004, S.28 f., Saß et al, 2003, S.261)

3.2.9 Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung

Passiv-aggressive Persönlichkeiten können in keiner Weise Autoritäten akzeptieren, verachten sie, da es ihnen sehr schwer fällt Aufgaben zu erledigen zu denen sie keine Lust haben. Der Betroffene protestiert heftig gegen gestellte Aufträge, egal ob gerechtfertigt oder nicht. Sie reagieren ungehalten, ärgerlich und trotzig auf diese ihrer Meinung nach sinnlosen Forderungen. Sollten sie nicht in der Lage sein dieser Aufgabenstellung aus dem Weg zu gehen, erledigen sie diese Arbeit nur sehr langsam, unbefriedigend und behaupten Teile vergessen zu haben. Darüberhinaus können sie mit gut gemeinten Vorschlägen anderer nicht umgehen und versuchen die Arbeit ihrer Mitmenschen zu sabotieren. (Dilling et al, 2008, S.251, Sachse, 2004, S.64)

Im Vergleich der einzelnen spezifischen Persönlichkeitsstörungen ist deutlich zu erkennen, dass das Verhalten des Betroffenen verändert ist. Dieses wirkt sich einschränkend auf den gesamten Alltag und die Umwelt aus.

4. Grundlagen der Borderline-Persönlichkeitsstörung

4.1 Historie

Heute ist der Begriff Borderline sehr aktuell und bekannt. Wir werden heute häufig u.a. durch die Medien mit diesem Krankheitsbild konfrontiert. In Zeitungen, im Fernsehen und im Internet sind oftmals Artikel zu diesem Thema.

Die Bezeichnung Borderline heißt übersetzt Grenzlinie, da sie lange nicht als eine eigenständige Erkrankung angesehen wurde. Patienten mit diesen Symptomen wurden als Grenzgänger benannt, da sie eine Form aus Neurose und Psychose darstellten und nicht einordbar waren. (Dulz & Schneider, 2004, S.3 ff. Gneist, 2004, S.10, Herpertz & Saß, 2000, S.115) Im Jahr 1884 wurde der Begriff „Borderland“ erstmals von Hughes, einem englischen Psychiater, genutzt. (Dulz & Schneider, 2004, S.3 ff., Herpertz & Saß, 2000, S. 115)

Die Betrachtung dieses Krankheitsbildes entwickelte sich in 2 unterschiedliche Richtungen. Zum einen wurden diese Patienten als Psychopathen bezeichnet. Vergleicht man die Symptomatik ist sehr deutlich die Parallele zu erkennen. Die andere Richtung ist die von Freud 1893 als Hysterie bezeichnete Erkrankung, auch hier entsprechen die Symptome in vielen Aspekten der heutigen Borderline-Symptomatik. (Dulz & Schneider, 2004, S.3 ff., Herpertz & Saß, 2000, S. 115, Kernberg, 1983, S.21ff.)

Stern hat „Borderline“ 1938 offiziell zur Klassifikation eines bestimmten Krankheitsbildes eingeführt. Er hat diesen Begriff verwendet um nicht klassifizierbare Störungen zu beschreiben, die sich auf der Grenze zwischen Neurose und Psychose befinden. ( Herpertz & Saß, 2000, S.115, Dulz & Schneider, 2004, S.3 ff, Linehan, 1996a, S.3 f.) Er verfasste einen ausführlichen Artikel über die „Borderline-Gruppe der Neurosen“, sieht die Störung als eine Form des Narzissmus, die weit über Neurosen hinausgeht. Dieser Artikel hat auch heute noch Gültigkeit und beschreibt eine Vielzahl der Symptome.

1949 beschreiben Hoch und Polatin die Merkmale einer Borderline-Störung bezeichnen sie jedoch als „pseudoneurotische Schizophrenie“

Im Jahr 1967 beginnt Otto F. Kernberg über das Thema Borderline zu publizieren. Er spricht dabei von einer „Borderline-Persönlichkeitsorganisation“. Kernberg geht von „einer borderlinespezifischen Ebene des psychischen Funktionierens“. ( Dulz & Schneider, 2004, S.5) aus. Neben den auftretenden Symptomen wendet er sich v.a. den störungsspefizifischen Abwehrmechanismen zu. Die Theorien Kernbergs sind heute die Grundlage für sehr viel weiterführende Literatur zu diesem Thema.

Im Jahr 1979 ist das Krankheitsbild erstmals im DSM-III aufgeführt worden. In den folgenden Ausgaben des DSM wurden die Kriterien kaum verändert, lediglich neu angeordnet. (Dulz & Schneider, 2004, S.3ff.)

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Ende der Leseprobe aus 90 Seiten

Details

Titel
Persönlichkeitsstörungen mit dem Schwerpunkt Borderline
Hochschule
Universität Rostock
Note
1.3
Autor
Jahr
2010
Seiten
90
Katalognummer
V160242
ISBN (eBook)
9783640739295
ISBN (Buch)
9783640739639
Dateigröße
737 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Borderline, Grenzgänger, Sozialpädagogik, Sonderpädagogik, Psychologie, Persönlichkeitsstörung
Arbeit zitieren
Mireill Steinert (Autor:in), 2010, Persönlichkeitsstörungen mit dem Schwerpunkt Borderline, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/160242

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