Die deutsche Identität

Gedanken zur Identitätsfrage Deutschlands


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2010

20 Seiten


Leseprobe


DIE DEUTSCHE IDENTITÄT

GEDANKEN ZUR IDENTITÄTSFRAGE

DEUTSCHLANDS

Befaßt man sich mit diesem Thema, das von eminenter Tragweite für jeden Einzelnen ist, so läuft man Gefahr, in eine politische Nische gerückt zu werden. Das zeugt häufig von einem ungelösten Identitätsproblem seitens jener, die einem in eine ideologische Schublade stecken möchten. Die verschiedenen kulturbedingten Wahrnehmungsfilter eines jeden, wie auch die des Schreibers selbst, werden ohnehin zu verschiedenen Interpretationen der einen und derselben Worte führen. - Jemand ein Etikett aufkleben und ihn dadurch zu kategorisieren bedeutet nicht selten,daß jene, die dies für nötig halten, möglicherweise ihre eigene vermeintliche, wahrscheinlich schwache Identität auf Kosten anderer konsolidieren wollen.

Die Identitätsfrage ist aber deshalb von vitaler Bedeutung, weil sie sowohl unsere individuellen psychophysischen Strukturen und Funktionen bestimmt als auch die der Gesellschaft, weil ja jede Gesellschaft aus diesen so geprägten Individuen besteht, und die Gesellschaft verstärkt dann ihrerseits die Identität ihrer Mitglieder positiv, indem sie ihre authentische kulturelle Identität entweder bestärkt oder aber unterminiert. Es ist ein Kreislauf, der sich positiv oder negativ verstärkt. Da es ein Kreislauf ist, führt dieser volens nolens, zum Besseren oder Schlechteren, ein gewisses Eigenleben und bedarf der Beobachtung. Leidet die Identität,so ist die Kultur krank und bedarf einer ebenso sorgsamen Beobachtung wie ein Patient.

Die Identität ist stark mit der psychischen individuellen und sozialen Gesundheit und ihren Wechselwirkungen verbunden und die psychische Ebene hat wiederumeinen Einfluß auf das physische individuelle undkollektive Wohlergehen. Die psychosomatische Gesundheit insgesamt bestimmt das soziale Wohlergehen, das politische Wohlverhalten und den ökonomischen Wohlstand. Der individuelle und kulturelle Aspekt der Identitätdeterminiert also in gewisser Weise Wohl und Wehe der Welt.

Manche glauben, daß die Befassung damit eine historische Rückwärtswendung sei, genau jener, der man zu entfliehen trachtet. Doch ist es nicht genau diese Rückwendung, in der man auch die Kontinuität und die Zukunft finden kann, die eine gesunde Identität erfordert, um auch gegebenenfalls an ihr zuarbeiten, zumindest aber um sie bewußt zu machen, sie zu hinterfragen, denn wir alle wurden in ein kulturelles Umfeld hineingeboren und haben eine Sozialisierung erfahren, die weitgehend jenseits unserer Kontrolle lag und müssen daher herausfinden, inwieweit diese soziale Konditionierung der Eltern, Lehrer und Vorgesetzten bereits Verzerrungen aufgrundderen Sozialisierung aufweist, die auch ihre Leistung als Eltern, Lehrer und Vorgesetzte beeinträchtigten und uns somit mitprägten und mitprägen. Andere sind der Ansicht, daß das im Zeitalter der wissenschaftlich-technisch-wirtschaftlichen Globalisierung nicht mehr von Bedeutung sei, da die nationalen und kulturellen Konturen und Profile auf der Weltkarte einem vermeintlichen Universalismus weichen, der nun alle Bereiche der menschlichen Gesellschaft erfaßt und durchdrungen habe und in Analogie zum Sprichwort „Das Schicksal setzt den Hobel an undhobelt alles gleich“ in „Die Globalisierung setzt den Hobel an und hobelt alles gleich“ umformuliert werden könne. Doch mittlerweile wissen wir, daß wir zwar eine weltweite technologische Konvergenz,aber andererseits gleichzeitig eine zunehmende kulturelle Divergenz beobachten können. Das heißt, daß auch hier die kulturelle Identität eine wachsende Rolle spielt.

Begegnung der kulturellen Diversität mit sich selbst findet an allen Orten, sowohl im Inland als auch im Ausland statt, das heißt, die kulturgrenzüberschreitenden Begegnungen, die nunmehr unabhängig von Zeit und Raum sind - sie werden durch die elektronische Kommunikation überbrückt - finden auch imInland im Wohnbereich, am Arbeitsplatz, in den verschiedenen institutionellen Umgebungen des sozialen, wirtschaftlichen, akademischen und politischen Umfeldes unausweichlich statt und nicht zuletzt natürlich auch international in der nunmehr in quasi jeder Hinsicht globalisierten, planetaren Gesellschaft, sei es auf den virtuellen Plattformen auf Distanz oder auf dem diplomatischen Parkett von Angesicht zu Angesicht, in den Managementkonferenzräumen oder wissenschaftlichen Labors und Symposien… All das bedeutet, daß der Mensch allerorts nun sowohl stärker mit anderen kulturellen Identitäten und als eine Folge davon mit seiner eigenen und desweiteren der daraus entstehenden Frage nach der Interdependenz und den Wechselwirkungen der kulturellen Identitäten konfrontiert wird.

Die Identität der globalen Akteure, ihre mentale Software - eine Begriffsprägung in Anlehnung an die Terminologie des digitalen Zeitalters - gewissermaßen, prägt ihre kulturgrenzüberschreitenden Interaktionen und Transaktionen und erfordert daher eine Kenntnis derselben. Zusätzlich zu den hinterfragbaren allgemeinkulturellen Kulturparametern der empirischen Kulturforschung ist auch eine kulturspezifische Betrachtung erforderlich, insbesondere, wenn es sich um ein Land wie Deutschland, mit einem etwas komplexen historisch-kulturellen Erbe handelt. Denn, betrachtet man internationale Wechselwirkungen, so scheint es, als ließen sich internationale Analytiker scheinbar rational von den empirischen Forschungsdaten leiten, während sie aber insgeheim in der Praxis häufig ihre Stereotypen inbezug auf Landeskulturen wie zum Beispiel der deutschen beibehalten. Die emotionale Ebene scheint im Vergleich zur rationalen Ebene ein Eigenleben zu führen und sich bisweilen der rationalen Steuerung zu entziehen. Das trifft auch auf Kulturexperten zu, die offenbar nicht über ihren eignen Schatten, den Schatten ihrer Vorurteile springen wollen oder können.

Warum konnte niemand im Land der Dichter und Denker die Frage nach der deutschen Kultur zufriedenstellend lösen, weder für die nationalen noch für die internationalen Erfordernisse? Warum tun sich die verschiedenen Generationen immer noch so schwer? Warum kapitulieren anderweitig scheinbar brillante Intellektuelle vor dieser vermeintlichen Peanuts-Frage für die einen, aber Enigma für die anderen? Warum können Spitzenpolitiker und nicht einmal Kulturgelehrte ihre profunden Stereotype angemessen managen? Man erinnere an die Qualifizierung des deutschen SPD Abgeordneten im Europaparlament als KZ Aufseher seitens des italienischen Staatschefs Silvio Berlusconi, während hundertausende seiner Landsleute in diesem Land ihren Lebensunterhalt verdienen. Ich erinnere mich an einen Workshop an der Universität Cambridge/UK, bei dem dieser Vorfall zum Anlaß für ein quasi rituelles Deutschland-Bashing genommen wurde, das später seitens der dozierenden britischen interkulturellen Management Workshop Leiter auch auf so manche andere Nation, wie beispielsweise den Erbfeind Frankreich, oder den früheren ideologischen Feind Rußland ausgedehntwurde. Warum spricht man in der englischsprachigen Managementliteratur von der Inhumanität des deutschen Managements oder dem „Schuhmachersyndrom“, um „Kompetenz aber der Sympathie entbehrend“ auszudrücken? Gewiß, interkulturell betrachtet kann die starke Aufgaben-, Expertise- und Regelfokussierung einiges davon erklären. Die Stereotypenforschung erklärt auch einiges. Offenbar sind über Generationen verstärkte, tiefverwurzelte und daher hochemotionalisierte Prozesse von wenigen steuerbar und man postuliert apriori, ethnozentrisch und parochial,implizit oder explizit, die Einzigartigkeit und Überlegenheit der eigenen Kultur. Verleiht es den Genuß der Macht, ein Existenzrecht, das der andere nicht in demselben Maße hat? Ist es der Versuch, den Fremdkulturen in einer bestimmten Hack- und Rangordnung seine gemeinsame Menschlichkeit abzusprechen und diese für sich allein zu beanspruchen, um seine eigene Identität ohne Abstriche kulturgrenzüberschreitend durchzusetzen?Diese Hierarchisierung der menschlichen Legitimation wird dann als Rechtfertigung für interkulturelle Verhaltensmuster herangezogen. Ein solides kulturelles Identitätsbewußtsein ist somit unabdingbar für interne und externe kulturelle Interaktionen, sowie auch für das Selbstbild. In diesem Sinn etwa sollen die nachfolgenden Gedanken - und die Gedanken sind ja frei, wie der deutsche Dichtung sagt und singt-verstanden werden.

Anatomie der Diversität:

Um eine solide Identität zu erlangen, muß ein Land einer bestimmten Größe sein internes Diversitätsproblem lösen, da ab einer gewissen Dimension häufig kulturelle Variationen auftreten. Zwar ist das Stammes-Konzept wissenschaftlich unscharf, doch besteht die deutsche Diversität ursprünglich in seiner Stammesgeschichte, obwohl es eigentlich nur sechs Altstämme gab, nämlich Bayern, Schwaben, Franken, Thüringer, Sachsen und Friesen. Die deutsche Herausforderung bestand häufig in der Schaffung eines germanischen Universalismus, der gleichzeitig die Stammespartikularismen integer erhalten könnte. In interkulturellen Kategorien ist das ein typisches Universalismus - Partikularismus Dilemma, das man zumindest theoretisch durch die Dilemma Theorie lösen kann.

Wenn ein Land aufgrund von Stammeskonflikten uneins ist, wenn sie nicht dasselbe = idem (ein Grundwort von Identität) bekennen und verkörpern, dann fehlt Ihnen das vereinende, nämlich die Identität und es kann zum Spielball und Opfer des Spiels der Allianzen werden. Dann haben Drittparteien und -kräfte ein leichtes Spiel, die bestehenden Uneinigkeiten weiter zu schüren und im Sinne ihrer machtpolitischen Interessen auszunutzen, vor allem, wenn die Mitglieder der verschiedenen Stämme keine Konvergenz finden können, weil sie geistig nicht dazu in der Lage sind, oder weil ihre strukturellen und andere Differenzen tatsächlich nur eine Parallelexistenz zulassen, oder weil sie vielleicht aus Stolz… nicht wollen, bzw., und das istvielleicht am gravierendsten, weil sie das Divide-et-Impera Spiel der Feinde nicht durchschauen und sich von ihnen gegen kurzfristige Vorteile gegeneinander aufwiegeln lassen, oder weil manche absichtlich eine externe Allianz suchen, um ihre interne Machtpositionen zu stärken.

[...]

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Details

Titel
Die deutsche Identität
Untertitel
Gedanken zur Identitätsfrage Deutschlands
Veranstaltung
Interkulturelles Management
Autor
Jahr
2010
Seiten
20
Katalognummer
V159829
ISBN (eBook)
9783640792177
ISBN (Buch)
9783640792368
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
mit englischen Passagen
Schlagworte
nationale Identität, kulturelle Identität, interkulturelles Management, transkulturelles Management, globales Diversitätsmanagement, intrakulturelle Forschung, interkulturelle Forschung, intercultural management, transcultural management, identity
Arbeit zitieren
D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deissler (Autor:in), 2010, Die deutsche Identität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159829

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