"Das Judentum in der Musik" von Richard Wagner. Einordnung und Analyse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

28 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Fassung von 1850
2.1 Biographische Einordnung
2.2 Der Text
2.2.1 Einleitung
2.2.2 Hauptteil
2.2.3 Der Schluss

3 Fassung von 1869
3.1 Biographische Einordnung
3.2 Änderungen gegenüber der ersten Version

4 Resümee

1 Einleitung

Richard Wagner veröffentlichte den Aufsatz Das Judentum in der Musik zwei Mal. Die erste Veröffentlichung im Jahre 1850 erfuhr eine weitaus geringere Resonanz als die zweite von 1869. Der Text wurde viel diskutiert und gab Anlass zu zahlreichen kontroversen Diskussionen, vor allem, was seinen „bemerkenswerten“[1] Schluss angeht.

Ziel dieser Arbeit ist es, den Text selbst zu analysieren und seine Argumentations-strukturen zu beleuchten. Dabei soll versucht werden, zumindest ansatzweise darzustellen, inwiefern er typisch für seine Zeit ist und was ihn besonders macht. Seine Rezeptionsgeschichte kann aus Platzgründen nur sehr eingeschränkt behandelt werden.

Es soll aber deutlich gemacht werden, dass Wagner sich mit diesem Text einen Platz in der Geschichte des Antisemitismus „gesichert“ hat, ganz unabhängig von der Frage, inwieweit er damit den Weg für die spätere deutsche Geschichte geebnet hat oder nicht.

2 Fassung von 1850

Die erste Fassung erschien im Jahre 1850 in der September-Ausgabe der 1834 von Robert Schumann gegründeten Neuen Zeitschrift für Musik in Leipzig. Als Autor gab Richard Wagner sich nicht zu erkennen, er veröffentlichte seinen Text anonym unter dem fiktiven Namen K. Freigedank. Das Pseudonym war in bewusster Absicht gewählt: Es spielte darauf an, dass in diesem Text jemand seine Gedanken frei äußern wollte, ohne falsche Rücksichtnahme auf gesellschaftliche Konventionen und Beschränkungen, wie es sie laut Aussage des Textes hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Christen und Juden viel zu lange gegeben hatte.

2.1 Biographische Einordnung

Über die Frage, welchen Stellenwert der Text in der Geschichte des Wagnerschen Antisemitismus einnimmt, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Es herrscht Uneinigkeit über die Frage, ob das Judentum in der Musik den Anfang von Wagners Umschwung zum Antisemitismus markiert, oder ob er vielmehr nur das Ergebnis eines längeren Prozesses in Wagners Leben war, der schon wesentlich früher eingesetzt hatte und der sich dann schließlich in dem 1850 erschienenen Text manifestierte.

Als Vertreter der ersten Auffassung sind in erster Linie die beiden israelischen Historiker Jakob Katz und Paul Lawrence Rose zu nennen. Beide sind der Auffassung, dass in der Zeit vor Erscheinen des Judentum in der Musik kein Antisemitismus in Wagners Äußerungen festzustellen sei. Mit der Veröffentlichung dieser Schrift startete Wagner, so Rose, seine „Karriere als Antisemit“[2]. Auch Katz schreibt:

Die politische Wende ist durch einen Ausbruch an antijüdischen Gefühlen gekennzeichnet, der in seinem Das Judentum in der Musik niedergelegt ist ...[3]

Jens Malte Fischer ist anderer Meinung. Für Fischer ist Wagners Antisemitismus

„... weder um 1850 noch um oder kurz vor 1848 explodiert, sondern das Ergebnis eines langen Prozesses [...], der sich aus persönlichen Erlebnissen kleinerer und größerer Natur, aus Beeinflussungen durch Lektüre und Gespräche, aus dem Rivalitätsgefühl gegenüber Meyerbeer und Mendelssohn und manchen anderen Faktoren zu einem antisemitischen Syndrom zusammensetzt.“[4]

Dieser Prozess ist laut Fischer bei seinem ersten Paris-Aufenthalt vom September 1839 bis April 1842 initiiert worden. Fischer bezeichnet diese Zeit in Paris als Inkubationszeit, in der die Grundlagen für das gelegt wurden, was dann ein Jahrzehnt später durch die Veröffentlichung des Judentum in der Musik offen zum Ausdruck kommt. Zu diesem von den bisherigen Ansichten des überwiegenden Teils der Forschung unterschiedlichen Ergebnis kommt Fischer dadurch, dass er „die Briefe Wagners einer noch genaueren Lektüre unterzieht, als das Katz, Rose und andere Forscher getan haben.“[5]

Aufschlussreich ist in dem Zusammenhang etwa ein Brief, den Wagner schon 1835 – also rund 15 Jahre vor Erscheinen des Judentum in der Musik – an seinen Freund Theodor Apel schreibt. Darin heißt es:

[...] da mich meine pekuniären Verlegenheiten gegenwärtig so bedrängen [...], - Weinrechnungen – Schneiderrechnungen (denn unsereins hat hier ja gar keinen Kredit), das verfluchte Judengeschmeiß [...].[6]

Fischer betont bei dem Zitat die für den Antisemitismus typische Verallgemeinerung eines einzelnen Falls.

Hinzufügen lässt sich, dass das – angebliche – Fehlverhalten eines einzelnen Menschen mit seiner Religion, seiner Herkunft in Zusammenhang gebracht wird, die Anlass gibt zu einer Ausdrucksweise, die sich im mildesten Fall als verächtlich bezeichnen lässt. Die kausale Ableitung der Eigenschaft eines Menschen von seiner ethnischen Herkunft oder von biologischen, also in seiner „Natur“ liegenden Eigenschaften, ist ein zentrales Merkmal für jede Form von Nationalismus und Rassismus, auch für den Antisemitismus. Die Briefstelle spricht für Fischers These, nach der sich Wagners Antisemitismus keineswegs erst in der Zeit der ersten Erscheinung des hier behandelten Textes auszuprägen begann.

Neben der angeführten Briefstelle führt Fischer noch weitere Einzelheiten aus dieser Zeit Wagners an, die ihn zu folgendem Ergebnis kommen lassen:

Jedes dieser Beispiele für sich genommen erscheint marginal. Zusammen jedoch ergeben sie eine Ahnung davon, daß[7] sich ein Ressentiment gebildet hat, das man noch nicht als konsequenten Frühantisemitismus bezeichnen kann, das aber doch mehr ist als eine gelegentliche und zufällige Erregung über diesen oder jenen Juden.[8]

Fischer betont jedoch, dass Wagner zur gleichen Zeit mit Juden auch freundschaftlich verkehrte. Dies ist als Ausdruck für einen latenten, noch unreflektierten Antisemitismus zu werten, der sich in den folgenden Jahren dann zu einem antisemitischen Syndrom ausweiten sollte.

Wagner kam im September 1839 mit hohen Erwartungen in die französische Hauptstadt. Sein Aufenthalt dort war jedoch nicht von Erfolg geprägt, er litt unter großen finanziellen Schwierigkeiten. Um sich über Wasser zu halten, arbeitete er bei dem jüdischen Musikverleger Maurice Schlesinger, dem gegenüber er zwar keine direkte antisemitische Haltung zu erkennen gab, dessen Geschäftstüchtigkeit er jedoch wiederholt abschätzig betonte[9] – auch hierin zeigt sich ein Topos antisemitischer Rhetorik.

Prägend für Wagner und folgenreich für die Entwicklung seiner antisemitischen Einstellung war seine Beziehung zu Giacomo Meyerbeer. Meyerbeer beherrschte die Pariser und europäische Opernszene und Wagner hatte sich mit der Bitte um Unterstützung bei seinem Bemühen, sich in der Pariser Musikszene zu etablieren, an ihn gewandt. Diese Hilfe gewährte Meyerbeer ihm, außerdem unterstützte er ihn finanziell auf großzügige Weise.

Jedoch war Meyerbeer für Wagner nicht nur ein Garant für finanzielle Sicherheit und ein Agent im Pariser Musikleben – er bedeutete ihm weitaus mehr als das:

Alle Äußerungen Wagners aus dieser Zeit lassen erkennen, daß er sich keineswegs opportunistisch an Meyerbeer heranmacht, sondern daß er ihn durchaus als bewundertes Vorbild dafür ansieht, wie man in Europa und für Europa kosmopolitische Opern schreibt, die über nationale und stilistische Begrenzungen hinausgehen.[10]

In künstlerischer Hinsicht war Meyerbeers Einsatz für Wagner zwar nicht ganz so erfolgreich, wie Wagner sich das erhofft hatte, aber auch nicht so erfolglos, wie Wagners enttäuschte Reaktion es vermuten lassen könnte.

Langsam aber sicher setzte sich ein Wandel in seiner Einstellung gegenüber seinem jüdischen Gönner durch. Wagner überschätzte die Möglichkeiten Meyerbeers, der viel auf Reisen war, sich um seine labile Gesundheit zu kümmern hatte und sich deshalb nicht ausschließlich um Wagner bemühen konnte. Er interpretierte dies als mangelnde Fürsorge, schließlich als Verrat.[11]

Wagner hegte einen Groll gegen die Verbindung von Kunst und Geld, und in Paris, in der Stadt seiner Niederlage, wird dies nun zur fixen Idee, die sich mit seiner Einstellung gegenüber Meyerbeer vermischt: Meyerbeer wandelt sich in seinen Augen vom „hochherzigen Protector“[12] zum Inbegriff der „banquier-musikhurerei“[13]:

Zunächst noch vermag er zwischen der ihm unerträglichen Pariser Cliquenwirtschaft und Meyerbeer zu trennen, bald aber verschwimmt diese Trennung, und Meyerbeer wird geradezu zum Symbol dieser Cliquenwirtschaft, und daß er [...] Jude ist, [...] erhöhte den Widerwillen Wagners.[14]

Wagner selbst spricht in Briefen gar von seinem „Ekel“[15] angesichts der Verquickung von Musik und Kultur und dem Geld. Dieses Gefühl steigert sich in den folgenden Jahren und laut Fischer ist „der vorläufige Endpunkt dieses Prozesses „in der neun Jahre später erfolgenden Publikation des Judentum in der Musik zu sehen“[16].

In den sich ständig steigernden Abscheu vor der Verbindung von Kultur und Musik und Geld mischen sich zunächst nur unterschwellige, dann aber immer deutlicher werdende antisemitische Untertöne in Wagners Tiraden gegen das Pariser Musik- und Geschäftsleben[17].

2.2 Der Text

Zum Einstieg in sein Thema wählt Wagner einen scheinbaren Anlass, nämlich die Bezugnahme auf einen „unlängst“ in ebenderselben Neuen Zeitschrift für Musik erschienenen Artikel, in dem von einem „hebräischen Kunstgeschmack“ die Rede gewesen sei und zu dem er sich nun in einem eigenen Beitrag ebenfalls äußern wolle, um eben diesen Begriff „anzufechten“ und zu „verteidigen“.[18][19] Wie fadenscheinig dieser Anlass für Wagner tatsächlich gewesen sein muss, lässt sich aus dem Verlauf seiner Argumentation schlussfolgern.

Ein entfernter Bezug auf eine etwaige Diskussion eines „hebräischen Kunstgeschmacks“ – einmal abgesehen von der Absurdität eines solchen Begriffes – ließe sich dem Text im Rahmen eines weitläufigeren Sinnzusammenhangs unter Umständen noch attestieren, insofern, als unter anderem auch das angebliche (Miss-)Verhältnis von Juden zu Kunst und Kultur „behandelt“[20] wird.

Jedoch wird schnell deutlich, dass es Wagner nicht um die Diskussion eines solchen Begriffes geht – schon gar nicht um seine „Verteidigung“ -, sondern er diesen vielmehr nur zum Anlass nimmt, um sich scheinbar in eine aktuelle Diskussion einzuschalten, in der er dann seine eigenen Gedanken vertreten will, die mit einer Begriffsdiskussion nichts zu tun haben.

Schon einige Zeilen später nämlich formuliert Wagner ein neues Ziel für seinen Text:

Hier treffen wir denn auf den Punkt, der unsrem besonderen Vorhaben uns näherbringt: wir haben uns das unwillkürlich Abstoßende[21], welches die Persönlichkeit und das Wesen der Juden für uns hat, zu erklären, um diese instinktmäßige Abneigung zu rechtfertigen, von welcher wir doch deutlich erkennen, daß sie stärker und überwiegender ist, als unser bewußter Eifer, dieser Abneigung uns zu entledigen.[22]

Wagner postuliert nun als Sinn und Zweck seines Textes die Erklärung und Rechtfertigung der „instinktmäßigen Abneigung“, die „wir“ gegenüber den Juden empfinden. Er widmet dieser Erklärung tatsächlich einen großen Teil des Textes.

[...]


[1] Jahrmärker: Wagners Aufsatz Das Judentum in der Musik, S. 140

[2] Rose: Richard Wagner und der Antisemitismus, S. 124

[3] Katz: Vom Vorurteil bis zur Vernichtung, S. 183

[4] Fischer: Richard Wagners Das Judentum in der Musik, S. 59

[5] Ebd.

[6] Ebd., S. 61

[7] Bei Zitaten, die aus der Zeit der alten Rechtschreibung stammen, wird in dieser Arbeit die alte Schreibweise beibehalten.

[8] Ebd., S. 62

[9] Vgl. Fischer: Richard Wagners Das Judentum in der Musik, S. 64

[10] Ebd., S. 65

[11] Vgl. ebd. S. 66

[12] Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. I, S. 380

[13] Ebd., Bd. III, S. 408

[14] Fischer: Richard Wagners Das Judentum in der Musik, S. 66

[15] Vgl. beispielsweise den Brief an seine Mutter vom 12. September 1841: „Mich hat ein so unwiderstehlicher Ekel für diese Nichtswürdigkeiten erfaßt, daß ich mich wirklich glücklich preise, ihnen keinen Geschmack abgewonnen zu haben.“ – Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. I, S. 518

[16] Fischer: Richard Wagners Das Judentum in der Musik, S. 66

[17] Vgl. ebd., S. 66f

[18] Das Judentum in der Musik wird zitiert nach dem Abdruck in Fischer: Richard Wagners Judentum in der Musik, dort ab Seite 141.

[19] Judentum in der Musik, S. 145

[20] „Behandelt“ sollte in Anführungsstriche gesetzt werden, weil der Begriff eine rationale Untersuchung eines Gegenstandes impliziert, der in Wagners Text höchstens durch eine vorgebliche Wissenschaftlichkeit vorgetäuscht wird.

[21] Hervorhebung im Original.

[22] Judentum in der Musik, S. 145.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
"Das Judentum in der Musik" von Richard Wagner. Einordnung und Analyse
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für Musikwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar: Richard Wagners "Tristan und Isolde"
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
28
Katalognummer
V15913
ISBN (eBook)
9783638209014
ISBN (Buch)
9783638641128
Dateigröße
4578 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der Arbeit geht es nicht um "Tristan und Isolde", sondern um den Text "Das Judentum in der Musik" von Richard Wagner sowie um dessen Antisemitismus.
Schlagworte
Richard, Wagners, Judentum, Musik, Hauptseminar, Isolde“
Arbeit zitieren
Florian Görner (Autor:in), 2002, "Das Judentum in der Musik" von Richard Wagner. Einordnung und Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15913

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