Immigration und Entchristianisierung


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2010

14 Seiten


Leseprobe


IMMIGRATION UND ENTCHRISTIANISIERUNG

Die Immigration mit der Entchristianisierung unseres Kulturkreises des Abendlandes gleichzusetzen ist zunächst gewagt und bedarf einer Präzisierung. Das ist keinesfalls eine zwingende Notwendigkeit, denn beispielsweise Spanien ist aus 800 Jahren maurischer Kolonisierung als ein christlich so starkes Land hervorgegangen, dass es die Fackel des Christentums erfolgreich nach Amerika und andere Teile der Wett tragen konnte. Die geistige Kraft echter Religion transzendiert zeit-räumliche Umfeldbedingungen. Das ist die Quelle ihrer Kraft und Ihre Unzerstörbarkeit. Es gibt andere historische Beispiele dafür. Solange die Wurzel intakt ist und die Kraftquelle nicht versiegt, ist das Leben und der Fortbestand hier wie auch in anderen Bereichen gesichert. Und hier handelt es darüber hinaus um die Quelle aller Quellen, den geistigen Urquell der nicht versiegen braucht, wenn man sich dazu bekennt. Das belegt beispielsweise auch der Zeitalter überdauernde Fortbestand christlicher Enklaven des koptischen, maronitischen oder syrischen Christentums im muslimischen Umfeld Ägyptens, des Libanons und Syriens. Die geistigen Gesetze der Metaphysik entziehen sich bisweilen den materiellen der Physik.

Sowohl die Christianisierung als auch die Entchristianisierung scheint mit Migrationsströmen einherzugehen. In welcher Weise diese das Gleichgewicht eines geistig kulturelles System und somit das institutionelle Umfeld und schließlich die Gesellschaft insgesamt bedingen, scheint eher von der Art der Migration als von der Tatsache der Migration als solcher abzuhängen. Systemanalytisch und im Lichte der historischen Erfahrung betrachtet, kommt es weniger auf Migration an sich, sondern darauf an, was die Migranten mit sich bringen und zwar nicht an Gut und Geld, sondern an geistig-spirituellen Werten. Diese Werte fließen durch deren Gegenwart und den Ausdruck ihrer Werte als Verhaltensformen in ihrer Lebensweise in den geistig-materiellen Raum der Zielkulturen ein. Das geistig-kulturelle Gleichgewicht der Zielkultur und ihrer Mitglieder oder des Gastlandes, das in der Regel ein offenes System ist, darf durch die Werte und Normen - die bisweilen parochial- ethnozentrischen Inputs - die durch die Geisteskultur der Migranten (Wanderer) in dieses hineinfließen können in seinem uneingeschränkten Fortbestand und seiner Selbstverständlichkeit nicht verändert werden. Kulturspezifische Strukturen und Funktonen sind nicht relativierbare, unveräußerliche menschliche Attribute, die niemals zur Disposition stehen. Alles andere käme einer importierten Kulturrevolution gleich. Kultureller Wandel dagegen optimiert den Fortbestand. Diese Ordnung ist im Interesse der Einwanderer, sowie der Einheimischen gleichermaßen, denn ihre Beeinträchtigung würde das geistig-kulturell-religiöse Gleichgewicht unterminieren, das auch die wirtschaftliche Basis und somit die Lebensbasis beider Gruppen bedingt. Beide müssen also ein vitales Interesse an Integration unter Aufrechterhaltung der geistig-kulturellen Strukturen des Ziellandes haben. Dies erfordert einen Geist der kulturellen Erkenntnis, des daraus folgenden gegenseitigen Respektes und der Rücksichtnahme. Wenn einer sich Vorteile auf Kosten der Integrität oder der Tangierung des menschlichen Potentials des anderen verschaffen möchte - und auch die individuelle intrakulturelle Diversität nicht respektiert - dann ist das ein gravierender Fauxpas mit Konsequenzen, der durch Ignoranz oder ethisches Fehlerhalten bedingt ist. Die Assymetrie der Perspektiven spielt auch eine Rolle. Der Migrant ist manchmal vergleichbar mit dem schlechten Hirten der Bibel oder einem Legionär, die eine andere Agenda als die Einheimischen haben. In Krisen können sich die ersteren gegebenenfalls - soweit sie nicht definitiv assimiliert sind - auf Ihre heimatländische Basis zurückziehen, während die Einheimischen nicht ausweichen können und die „Suppe auslöffeln“ müssen. Es war ein Poker. Natürlich hat der Migrant seine spezifischen Herausforderungen, kulturell, materiell, geistig wie körperlich - Kulturschock…- und Existenzkampf, die kulturell potenziert sind und Empathie und ethisch angemessene Begegnung erfordern.

Ein Mensch mag als Bettler kommen, aber er bringt ein prall gefülltes Konto an geistig-kulturell-religiösen Bedingtheiten mit sich. Immigration kann man also niemals rein wirtschaftlich betrachten, denn über die geistig-kulturell-religiöse Dimension wird das soziale und wirtschaftliche System längerfristig eingeholt und zum Besseren oder Schlechteren desselben beitragen. Kurzfristiger wirtschaftlicher Gewinn könnte sich also längerfristig als soziokulturelles Debakel entpuppen, denn man war sich nicht bewusst, welche Geister man rief. Das faustische Motiv, in dem der vermeintliche Erfüllungsgehilfe sich irgendwann in zunehmendem Maße als Herr aufführt ist durchaus eine zutreffende Metapher. Deshalb bedarf die Immigrationsfrage eines Augenmaßes, das die Sachen systemanalytisch, historisch und ganzheitlich betrachtet - aber nicht nur analytisch mit der Vernunft, sondern auch mit der menschlichen Qualität des Herzens und immer im Interesse aller Beteiligten -, insbesondere wenn man seinen sozioökonomischen Vorsprung nicht verlieren, sondern ausbauen möchte. Nur die ganzheitliche geistig-wirtschaftlich- soziokulturelle und langfristige Betrachtung kann die faustische Gefahr eines Fehlkalküls mit seinen sozialen Konsequenzen beherrschen.

In Ländern, wie Großbritannien beispielsweise hat die katholische Religion durch osteuropäische, insbesondere polnische Einwanderer sowohl an Masse, als auch an Vitalität gewonnen. Das hat kürzlich ein schottisches Kirchenoberhaupt für Schottland bezeugt. Die Werte, die Einwanderer in andere Länder mit sich bringen können gleichermaßen zur Vitalisierung oder Marginalisierung der christlichen Religion der Einwanderungsländer beitragen.

Es wäre interessant, die nicht christliche Einwanderungsstatistik mit der Kirchenaustritts-Statistik zu korrelieren und zu prüfen inwieweit geistige Klimaveränderungen Individuen bedingen können, obschon es hier keinen monokausalen Zusammenhang gibt. Wenn der Trend aber fortsetzt, wird das dadurch ausgelöste geistige Klima sich dahin akzentuieren, dass das Christentum, wie Papst Benedikt es bereits angedeutet hat, in Richtung einer minoritären gegenkulturellen Strömung zum kulturell-religiösen Mainstream wird, vergleichbar mit den urchristlichen Gemeinden. Doch wer hat wirklich analysiert, warum das so ist, statt darüber zu lamentieren. Glaube sollte ja schließlich eine Quadratur des Intellekts und des Herzens sein. Hier sind in der Tat beide erforderlich, um die rechte Erkenntnis zu gewinnen. Die importierten Werte werden aber nicht nur durch einwandernde Personen transportiert, sondern auch aktiv außen gesucht und von den Einheimischen insbesondere aus Asien mitgebracht. Im geistigen Bereich und im Bereich der Werte finden die Prozesse auf subtile Weise statt. Es ist kein Wunder, dass gerade die protestantischen Länder das Hauptkontingent der geistig-kulturell Suchenden nach und in Asien stellen, allen voran die USA und Deutschland, denn das mystisch reduzierte, kurz gefasste katholische Christentum in der Form des Protestantismus und seiner weltweit über hundert Varianten findet in Asien genau diese magisch-mystisch-emotionale Ergänzung, die der Protestantismus abgespeckt haben wollte und nur das Wort netto predigen wollte, ohne seine seelische Erfahrung zu vermitteln. Das ist intern induzierte geistig-kulturelle Migration.

Jahrhunderte von implizitem Religionskrieg in diesem Land, die Dialektik mit Rom, die nun eine Lösung mit einem deutschen Papst finden könnte, haben unter anderen Faktoren den Humus für die dritte Option externer geistiger Importe empfänglich gemacht oder zu Indifferenz und einem Blasé-Zustand geführt. Die etablierten Kirchen sollten sich einer Gewissenerforschung nicht entziehen. - Endgültige Aussöhnung mit Rom, ökumenischer Schulterschluss und Vertiefung des christlichen Erbe an der Authentizität der reinen Quelle, die inklusiv und nicht exklusiv ist, könnten das geistig-kulturelle System fruchtbar erneuern und gegen interne und externe Anfechtungen gefeit machen.

Es besteht eine historische Parallele einer Loslösung von Rom und der christlichen Zivilisation des Abendlandes und eines progressiven Neuheidentums - die geistige Evolution hat ein sehr langfristiges Gedächtnis - und der Eskalation des deutschen Militarismus und Martialismus, der die Antithese einer spirituellen Ethik ist. Reformation - Marxismus - und Faschismus sind eskalierende Materialsierungen der Reheidnisierung und des Atheismus: Loslösung von der christlich-römischen Zivilisation der Abendlandes durch die Reformation, dann die Negation derselben als kultureller Wert im Marxismus und schließlich der Versuch der effektiven Ausrottung derselben mit Stumpf und Stil seiner jüdischen Wurzeln und die Füllung des Vakuums durch heidnische und magische Werte, denn auch die geistige Natur hasst das Vakuum. Das entstandene geistige Vakuum wird gegenwärtig durch die dritte Option (weder katholisch noch lutherisch) mit einem esoterischen Wirtschaftssektor inklusive Tourismus bedient, denn der Materialismus ist ein Fass ohne Boden, der niemals Erfüllung verleiht. Daher ziehen zahllose als geistige Migranten um die Welt um erfüllende geistige Ressourcen zu erschließen. Inwieweit das auf ein Individuum zutrifft, muss er selbst herausfinden und entsprechend handeln.

Wenn man genauer hinschaut, erkennt man, dass das Heidentum noch immer nicht ganz überwunden ist. Das ist das, was die Deutschen so unberechenbar macht. Doch in der Unberechenbarkeit, bedingt durch die Unfähigkeit sich selbst zu verstehen und der Unmöglichkeit anderer die Deutschen zu verstehen - wie der britische Autor eines Deutschlandführers kürzlich formulierte - steckt eine Logik. Die Nachbarn bringen es auf einen Punkt, obwohl man es grano cum salis verstehen muss, denn diese haben ihrerseits, wie alle Menschen, die als Menschheit insgesamt der Vervollkommnung entgegenstreben, ihre kulturspezifische und individuelle Stärken- und Unzulänglichkeitenbilanz. Bei dieser Betrachtung von einer höheren Warte ist eine kritische Analyse nicht kulturpolitisch unkorrekt, sondern im Gegenteil ein Reifungsindiz. Für bikulturelle Beobachter erscheinen beispielsweise deutsche Kinder wilder (plus sauvage), die französischen dagegen disziplinierter. Sogar die sehr säkularisierten Briten sind schockiert über das Nuditätsbedürfnis der Deutschen im Tourismusumfeld. Nacktheit und Wildheit, um nur diese beiden zu nennen, sind Attribute anderer, noch nicht vollkommen integrierter Evolutionsphasen. Weitere Negativa, die ich selbst in internationalen Managementkreisen erfahren habe, möchte ich übergehen: Mangelnde Humanität ist ihr gemeinsamer Nenner: Nacktheit, Wildheit und Inhumanität sind heidnische Attribute, die nicht mit Natürlichkeit verwechselt werden dürfen. Offenbar wurde das vorchristliche noch nicht ganz integriert, sowie eine Gesellschaft und eine Nation mit einer starken kulturellen Identität und spirituellen Werten geschaffen. Sie sind bisweilen noch mit ihrer eigenen kollektiven und individuellen Menscherdung in einer Weise befasst, deren Werte von anderen Kulturen in dem Sinne abweicht, dass der soziale Tenor inhuman erscheint und die Spiritualität und Solidarität, das menschliche und göttliche Mysterium, das heißt eine Grundströmung des Altruismus und der Liebe durch profanere Werte erstickt wurden. In Abwesenheit eines derartigen Grundstroms sind eskalierende Kriege der Vergangenheit und Konflikte der Gegenwart und der Zukunft verständlich.

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Details

Titel
Immigration und Entchristianisierung
Veranstaltung
Kulturanthropologie
Autor
Jahr
2010
Seiten
14
Katalognummer
V159018
ISBN (eBook)
9783640770267
ISBN (Buch)
9783640770410
Dateigröße
463 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
MIgration, intrakulturell, interkulturell, transkulturell
Arbeit zitieren
D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deissler (Autor:in), 2010, Immigration und Entchristianisierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159018

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