Kultureller Bürgerkrieg in Deutschland


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2010

22 Seiten


Leseprobe


Vor vielen Jahren, als ich Student in Paris war, stand ein Forschungsseminar mit dem Titel „La Guerre Civile" (Der Bürgerkrieg) unter der Leitung des Direktors des Studien- und Forschungsbereichs Politische Wissenschaft mit dem Spezialgebiet internationale Politik auf meinem Programm. Dies möchte ich aus mehreren Gründen anführen, obwohl mein Exposé nicht mehr an die wissenschaftlichen Standards von damals anknüpfen kann, da ich mich durch die Immersion in meine deutsche Heimatkultur wieder von den geistigen Standards und Methoden dieser tausendjährigen Universität entfernt habe. Die deutsche Kultur hat mich diesbezüglich wiedereingeholt und sie entspricht nicht jener Kultur, weder akademisch noch allgemeinkulturell. - Sie ist verschieden, doch das Gesetz der kulturellen Relativität besagt, dass es keinerlei objektive Maßstäbe zur Qualifizierung einer Kultur als einer anderen über- oder unterlegen gibt. Die

Diversität ihrer Wertepräferenzen lässt keinen qualitativen Schluss zu. Der Savannenbewohner und der Gelehrte der Eliteuniversität werden sozialanthropologisch in der interkulturellen Forschung in dieser Hinsicht gleichgestellt. Die persönliche Erfahrung und die Betrachtung lehren einem aber, dass es doch noch andere Kriterien der persönlichen Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit einer Kultur gibt. - Dinge, die dort als Edelstein gelten, werden hierzulande wie von unwissenden Kühen zertrampelt, die die Werte anderer Kulturen weder erkennen noch respektieren und noch viel weniger synergistisch integrieren können. Das nennt man Wertepräferenzen - und ihre Spielarten über kulturelle Grenzen hinweg. Es bestätigt Blaise Pascals (1623-1662) Dictum, demzufolge „die Wahrheit diesseits der Pyrenäen ein Irrtum jenseits der Pyrenäen ist." Die historischen Polarisierungen führen zu kulturellen Verwerfungen, die des einen Hochkultur in des anderen Unterbewusstsein verdrängen und umgekehrt. Wer mehrere Kulturen im Bewusstsein aktiv hat, wird in ethnozentrischen, schwachen und sicherheitsbedürftigen Kulturen als störend betrachtet. Not invented here. Abgelehnt! Die wenigen Promille der globalen Nomaden sind bislang noch eine Speerspitze der Menschheit, die eher in den Ökosystemen der Weltmetropolen gedeiht und verkehrt.

Dennoch möchte ich zunächst auch veranschaulichen, was positiv gelebte Interkulturalität an Mehrwert und Synergiepotential entsprechend dem Algorithmus Diversität - Kreativität - Innovation - Wertschöpfung bedeuten kann, sofern die kulturelle Diversität optimal gemanagt wird. Schlecht gemanagte multikulturelle Teams beispielsweise führen dagegen, laut einer der weltführenden Kulturspezialistinnen, die selbst ein Dritt-Kultur-Mensch mit einer deutschen Mutter in Kanada ist, zu einer schlechteren Teamleistung als monokulturelle Teams, während gut gemanagte eben eine bessere Performance als monokulturelle Teams aufweisen. Daraus kann man folgern, dass die Wertigkeit der Multikulturalität von der Art und Weise abhängt, wie sie gehandhabt wird und nicht per se durch Attribute wie gut oder schlecht zu qualifizieren oder abzuqualifizieren ist.

Wir haben ein Jahr lang als interdisziplinäres Forschungsteam (Juristen, Ökonomen, Politikwissenschaftler etc.) bestehend aus vielen nationalkulturellen Repräsentanten alle Bürgerkriege seit dem zweiten Weltkrieg analysiert. Meine Aufgabe war insbesondere die EDV-technische Systematisierung der vom multikulturellen, interdisziplinären Team im Doktoratszyklus, dritten oder Forschungszyklus der politischen Wissenschaften/Internationale Politik gesammelten Erkenntnisse.

Während ich an einer seit tausend Jahren interkulturell befruchtenden Universität Geopolitik vertiefte und eine planetar skaliertes Forschungsobjekt im multikulturellen Team interdisziplinär bearbeitete, lebte ich mit Studenten und Forschern von über hundert Nationalkulturen in der Internationalen Universitätsstadt von Paris, die nach dem ersten Weltkrieg entstanden ist, um kulturellen Konflikten wie Kriegen geistig entgegenzuwirken. Dort habe ich im tunesischen, im japanischen und in der Fondation Heinrich Heine, dem deutschen Haus gelebt. Meine Sportkameraden waren vor allem im kanadischen Haus, so auch ein libanesischer Informatiker, mit dem ich mich über die Möglichkeiten der computerseitigen Bearbeitung sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse austauschte. Auch hier führte die freundschaftlich-wohlwollende Kombination von

Interkulturalität und Interdisziplinarität zu einem damals selbst für den Fachbereichsdirektor Prof. Marcel Merle, der das Seminar leitete, zu einem perfektionistischen Produkt. Er assoziierte mich als Deutschen daher stereotyp mit Perfektionismus und als ich eine Forschungsarbeit über die Entstehung des Terrorismus in Deutschland präsentierte, hat diesen großen Sozialwissenschaftler möglicherweise seine Habilitation über die Nürnberger Prozesse wiedereingeholt, denn die Terrorismusthematik und die besagten Prozesse haben mich in einen kulturellen Kontext gestellt, der für ihn nicht eben sehr positiv war und das hat seine Evaluation meiner ansonsten perfektionistischen Arbeit sehr nach unter nivelliert, da sie einen Multiplikationskoeffizienten von 4 hatte. Das kultursensitive Thema hat mich vom Spitzenranking verdrängt. So spielt Kultur bei Gelehrten und weniger Gelehrten und alle sind „Kinder" ihrer Kultur, ob russischer Professor oder Aborigine, mit der dadurch bedingen mentalen Software (das Werteprofil) und den weiter dadurch bedingtem Einstellungen und Verhaltensmustern. Das kulturelle Selbstreferenzkriterium, durch dessen Linse wir das Fremdkulturelle wahrnehmen, rückt dieses schnell in ein unvorteilhaftes und stark emotionalisiertes Licht. Obwohl Intellektuelle darum wissen oder dies wissen sollten, können sie sich den Prozessen häufig nicht entziehen. Das hat mich meine spätere Erfahrung an der gleichermaßen beinahe 1000-jährigen Tradition der Universität Cambridge gelehrt, wo erleuchtete Geister wie Newton und Einstein ihre geistigen Spuren hinterlassen haben (sollten).

Doch nun zur Thematik im engeren Sinn: Obwohl die computergestützte Untersuchung der weltweiten Bürgerkriege in weiter Ferne liegt, scheint mir, dass es eine Parallele zwischen vielen wirtschaftlich-kulturell motivierten Bürgerkriegen mit ihren extern-internen Wechselwirkungen und den heutigen latenten wirtschaftlich­kulturellen Konflikten mit ihren intern-externen Verflechtungen gibt. Zu jenem Zeitpunkt gab es aber noch keine sozialanthropologische empirische Kulturforschung à la Hofstede. Die Kulturvariable im Ranking der Kriegsmotive schien mir aber damals unabdingbar und ich habe sie eingeführt, da sie quasi omnipräsent war. Hofstede hat seine maßgebliche interkulturelle Forschung im Jahr 1980 publiziert. Mein Vertiefungsdiplom der Internationalen Politik wurde im Jahr 1979 ausgestellt und vieles wurde im Jahr zuvor erarbeitet.

Unsere interkulturelle Forschungsarbeit ist eine Spirale der interkulturellen Virtus(Tugend) gewesen, was wir dagegen analysiert haben, waren Beispiele von kriegsmotivierenden Spiralen der interkulturellen Vitiositas (Laster), also kulturell lasterhafte im Gegensatz zu unserer kulturell tugendhaften Spirale oder kulturelle Synergie versus negativer kultureller Synergie - die inhärente Ambivalenz von Kultur und Kulturmanagement. Auch diese Tugend-/Lasterspiralen Terminologie wurde erst in der folgenden Dekade von dem anglo-niederländischen Forschertandem Trompenaars/Hampden-Turner eingeführt, ebenso wie das interkulturelle Synergiekonzept.

Mit dem von uns erarbeitenden Forschungswerkzeug hätte man also jede Koordinate der Welt auf die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von Bürgerkriegen überprüfen können. Doch derlei Applikationen gehören in die Welt der Pentagonstrategen und in die zuständigen diplomatischen und internationalen Gremien. Das war nicht unser Begehren, obwohl man als Student damals in der amerikanischen diplomatischen Repräsentanz in Paris selbst Pentagonberichte zur Verfügung gestellt bekam. Die Zeit war noch friedlich. Und selbst der sowjetische Vertreter in der UNESCO hat einem als seriösem Sorbonne Studenten anstandslos eine persönliche „Audienz" gewährt. Der kulturelle Kontext war trotz ideologischer Bipolarisierung der Welt unbeschwerter als heute. Und der Vizepräsident der Universität hat mir eine kulturelle Empfehlung für eine Chinamission ausgestellt. Derweil hatte ich einen japanischen Budo Meister und Freunde und Freundinnen aller Kulturen dieser Erde. Eine Grundstrom des gegenseitigen Altruismus bewegte uns alle jenseits auch nur einer Spur von Konflikt. Die Diversität wurde auf einer anderen Ebene integriert. Kulturkonflikte könnten, wenigstens zum Teil auch eine aus der interkulturellen Forschung resultierende sich selbst erfüllende Prophezeiung sein, ebenso wie das Auftreten von gewisser Krankheiten schon als eine „Modeerscheinung" in Zusammenhang mit der Information darüber, entlarvt wurde.

Ich war also ein kultureller Kosmopolit, privat und fachlich. Diese Dinge erwähne ich nur deshalb, weil wir heute in vieler Hinsicht am Gegenpol, einer globalen kulturellen Mesentente, angelangt sind, wie es damals unvorstellbar war. Die beiden sind wieder ins Lot zu bringen. Kultur ist wieder synergetisch erfahrbar zu machen und zu gestalten. Das ist der Zweck des Exposés. Doch dieses deutsche Pflaster ist nicht das Paris der Intellektuellen. Die Akteure und der politische Kontext sind verschieden, auch in geschichtlicher Hinsicht. Madrid, London und Paris waren die Stationen meines Studiums. Sie alle haben Jahrhunderte Erfahrung mit den Weltkulturen. Hier hat man häufig Ausländer erst nach dem zweiten Weltkrieg und insbesondre im Zuge der ökonomisch bedingten Immigration zu Gesicht bekommen und nicht die Elite, sondern einfache Menschen, die in der Regel lediglich ihr materielles Wohl mehren wollten. Die Türken, denen ich Deutsch lehrte, hatten beim Einstufungstest auf Befragung alle nur drei bis fünf Jahre die Schule besucht. Ihre Kinder sind nun nicht selten Universitätsstudenten. Ihre Hoffnungen beim Auszug in die neue Welt haben sich also erfüllt, sodass Einheimische sogar bisweilen von Neid erfüllt sind. Und meine 10-jährige internationale Odyssee lehrt mich, was selbst die Bibel bestätigt, nämlich, dass man mit einem Vogel vergleichbar ist, der sein Nest verlässt, wenn man sein Land verlässt und sich ebenso vielfältigen Gefahren aussetzt, dass man aber andererseits einen Schatz an Erfahrungen sammelt, den man nicht in Worte fassen kann. Diese eigenen biographischen Erfahrungen, an denen ich heute noch arbeite, wollte ich voranstellen um jeglicher Einordnung in irgendeine Schublade im Vorfeld entgegenzutreten, denn jeder interpretiert die Dinge entsprechend seiner kulturellen Prägung, denn selbst unsere Wahrnehmung ist kulturbedingt und somit die gesamten intrapsychischen Informationsverarbeitungsprozesse, die somit immer kulturell zu kontextualisieren und zu relativieren sind. Da heißt, alles ist kulturbedingt, da alle geistigen Prozesse von der Wahrnehmung abhängig sind. Auch diese Analyse ist daher kulturell determiniert. Doch das Wissen darum impft einem gegen die Fallen der falschen Wahrnehmung, Interpretation, Bewertung und Urteil, die mit falschen kulturellen Filtern einhergehen können. Man fragt ständig nach der Korrektheit der Inputs in die Kreisläufe der intrapsychischen kulturellen Informationsverarbeitung und man ist ständig wie ein Seismograph um Objektivität und interkulturelle Gerechtigkeit jenseits von Stereotypisierungen bemüht. Jegliche diesbezügliche Unterstellung weise ich daher ausdrücklich zurück. Die Tragweite der Thematik für Krieg und Frieden... ist zu groß - wie aus meiner Forschung hervorgeht - als dass irgend jemand damit spaßen sollte, gleich welcher Kultur, Nation oder Religion er angehört.

[...]

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Kultureller Bürgerkrieg in Deutschland
Veranstaltung
Kulturanthropologie
Autor
Jahr
2010
Seiten
22
Katalognummer
V158999
ISBN (eBook)
9783640757329
ISBN (Buch)
9783640757718
Dateigröße
2196 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
intrakulturelles Management, interkulturelles Management, transkulturelles Management
Arbeit zitieren
D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deissler (Autor:in), 2010, Kultureller Bürgerkrieg in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/158999

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