Interkulturelles Management - Intercultural Management


Fachbuch, 2009

154 Seiten


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Aspekte des Interkulturellen

2. Ein Silberstreifen am Horizont

3. Was ist Kultur?

4. Kritische Zwischenevaluation

5. Das Zwiebelmodell

6. Das Eisbergmodell

7. Formulierung eines Kultur-Management Gesetzes

8. Der Diagnostiker-Profiler. Das 3D-12-Oktaven DOME-Transcultural Management Modell (TM)

9. Die Optimierung des Diagnostiker-Profilierers

10. Kulturdimensionen

11. Geometrie der Kulturdimensionen

12. Kulturebenen

13. Interkulturelle Managementstile

14. Das Management globaler Business Teams

15. Intrapsychisches Prozessmanagement und interkulturelles Kommunikationsmanagement

16. Reisebiographie 1 - Heimat: Vaterland und Muttersprache

17. Reisebiographie 2 - Von den geistig-kulturellen und den persönlichen Wurzeln 116

18. Reisebiographie 3 - Von der Vertiefung der geistigen Wurzeln

19. Strategies, Synergies, Solutions

Literatur

Geleitwort

Vorwort

Der Zweck dieses Informationsressource über interkulturelles Management besteht nicht so sehr in der Wiederholung oder Neuformulierung der interkulturellen Forschungsergebnisse der führenden Autoren in diesem Bereich, sondern vielmehr in dem Versuch, auf der Basis der geistigen Traditionen des Ostens und des Westens, sowie den etablierten westlichen Wissenschaften ein innovatives Werkzeug für das Kulturmanagement zu entwickeln, das den State-of-the-Art der Interkulturellen Forschung einschließt, aber diesen in eine erweiterte Formel einbezieht und somit das Interkulturelle in einem ganzheitliches Menschenbild kontextualisiert, in dem das Phänomen Kultur beherrschbarer wird.

Nach der Skizzierung des offiziellen Wissens wird mit jedem Kapitel multiperspektivistisch die Integration dieses Wissens in ein erweitertes Transkulturelles Management Modell und ein transkulturellen Management Prinzip veranschaulicht. Schwerpunkte:

- State-of-the-art des interkulturellen Know-hows
- Formulierung eines wissenschaftlich fundierten transkulturellen Management Prinzips
- Konstruktion eines transkulturellen Profilers

Aufbauend auf der transdisziplinären Synergie der Natur- und Geisteswissenschaften diverser Zeiten und Zivilisationen wird eine integrierende globale Management Formel für das dritte Millennium vorgestellt. - Die Weiterentwicklung des Interkulturellen zum Transkulturellen ist Gegenstand von „Transcultural Management - Transkulturelles Management“. Diese Erörterung bildet den deutschsprachigen Teil von „Transcultural Management - Transkulturelles Management“.

If some schools of thought argue that we learn from history that we learn nothing from it and keep repeating its patterns, it may be due to the impediment of our „mental software“. Thus, any sustainable change management has to begin with the examination of what is called mental software.

1 Aspekte des Interkulturellen

Die Globalisierung der Weltwirtschaft und die damit einhergehende Begegnung aller Kulturen konfrontiert uns mit Herausforderungen, für die es bislang keine Präzedenz gibt. Über Jahrhunderte war die systematische Begegnung mit anderen Kulturen meist mit negativem Vorzeichen besetzt und fand in Form militärischer Auseinandersetzungen statt. Darüber hinaus gab es seit Jahrhunderten auch Kaufleute, die lokal nicht vorhandene Güter in fremden Breiten beschafften. Die Imperative der Globalisierung haben weltweite Präsenz erforderlich gemacht. Wir sind weltweit präsent und die Welt ist präsent bei uns, so dass der Grossteil des Umsatzes namhafter Konzern nicht im Inland, sondern im Ausland erzielt wird. Umgekehrt besteht die Bevölkerung in unseren Breiten bis zu einem Viertel und mehr aus Menschen anderer Kulturen. Die interkulturelle Erfahrung auf militärischem und kolonialem Wege war eine ziemlich einseitige, bei der eine Partei der anderen mehr oder weniger ihren Willen aufzuzwingen suchte. Da heute beinahe in jedem Haus, nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Land, sowie an jedem Arbeitsplatz Menschen vieler Kulturen aufeinander treffen, ist es ein Gebot der Stunde, die Frage der Interkulturalität, der sich kaum noch jemand entziehen kann, in einer solchen Weise zu stellen, dass sie sich zum Nutzen aller Beteiligten auswirken kann. Alles andere führt zu unüberschaubaren Konflikten, wie es der Angriff auf das World Trade Center am 11. September 2001 in New York, die Londoner und Madrider Attentate, der noch schwelende Karikaturenstreit, sowie die Krawalle in der Pariser Banlieue zeigten. Weltweit gärt es. In allen westlichen Ländern, diesseits und jenseits des Atlantik wird die interkulturelle Debatte meist unter dem negativen Vorzeichen des Terrorismus, meist defensiv, als Immigrations-Integrations- oder als Wertedebatte geführt, das heisst, meist einseitig, wie es uns das kriegerisch-koloniale Paradigma über die Jahrhunderte gelehrt hat. Seit September 2001, ja schon seit Bushs Irak-Feldzug, lebt die gesamte Weltöffentlichkeit im Bann interkultureller globaler und lokaler Spannungen, die die gesamte Medien- und somit Öffentlichkeitsaufmerksamkeit monopolisieren. Kriege, Terrorismus. Konfrontation am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld mit ethnisch-kulturellen Fragestellungen lassen keinen mehr teilnahmslos zuschauen. Alle diese Symptome haben einen kulturellen, bzw. interkulturellen Kern als Ursache, der natürlich durch soziale, wirtschaftliche und politische Faktoren verstärkt wird. Das ist der soziale und politische Aspekt des Interkulturellen.

Doch genau so wichtig ist der ökonomische Aspekt des Interkulturellen, dem wir uns hier schwerpunktmässig widmen wollen: Internationale Joint Ventures, Mergers and Acquisitions, Post-Merger Integration etc., sowie alle Aktivitäten über kulturelle Grenzen hinweg fordern ein hohes Mass an interkultureller Kompetenz. Die Interkulturalität und somit nationales und internationales Diversitätsmanagement scheinen sich also zu einem Schlüsselkonzept in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu verdichten und somit den Harvard Professor Samuel Huntington zu bestätigen, der der Ansicht ist, dass die Kultur im 21. Jahrhundert dieselbe Rolle spielen würde, die Faschismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert gespielt haben: eine zentrale, determinierende geschichtliche Rolle.

Nun gibt es drei prinzipielle Antworten auf die Diversität vor unseren Augen: In den sogenannten universalistischen Kulturen, wie den Vereinigten Staaten beispielsweise, verbietet das Gesetz die Diskriminierung der Menschen aufgrund ihrer ethnischen, kulturellen Zugehörigkeit. Man möchte per Gesetz die Gleichheit durchsetzen. Das heisst, man trägt der Diversität wenig Rechnung, sei es in der Gesellschaft oder auch in den Betrieben. Eine andere Antwort wäre partikularistischer Natur und würde heissen, dass man kulturelle Diversität nicht minimisiert und nicht verdrängt, sondern sie als das sieht, was sie ist, nämlich Diversität und verschiedene Modelle der Koexistenz entwickelt, die die Unterschiedlichkeit anerkennen und respektieren. Eine dritte Antwort besteht darin, dass man die Diversität systematisch sucht, um sie als strategischen Erfolgsfaktor zu nutzen. Die dritte Antwort ist die des interkulturellen Managements. In Antwort 1 sieht man von der Diversität ab, in Antwort 2 sieht man die Diversität und respektiert sie, in Antwort 3 sieht man sie, respektiert sie und darüber hinaus sucht man sie strategisch zu nutzen. Zwischen Verneinung und synergistischer Nutzung der Diversität gibt es viele Nuancen und Stufen der interkulturellen Entwicklung, die unter anderem in Milton Bennetts IDM-Modell (Interkulturelles Entwicklungs-Modell) in sechs Entwicklungsstufen systematisch erfasst wurden. Das Modell dieses amerikanischen Kulturforschers besteht aus drei ethnozentrischen und drei weiterführenden ethnorelativen Entwicklungsstufen interkultureller Sensibilisierung und Bewusstheit. Eine Standortbestimmung auf dieser interkulturellen Entwicklungsskala zeigt uns interkulturelle Entwicklungsdefizite und Entwicklungspotenziale auf. Diese Erörterung kann bestimmt dazu beitragen, von der ethnozentrischen Phase der Stufen eins bis drei in die ethnorelative Phase der Stufen vier bis sechs fortzuschreiten, ja selbst weit darüber hinaus, wenn man meinen ganzheitlichen Ansatz miteinbezieht. Nachfolgend eine kurze Skizzierung des IDM-Modells, das Teil des von mir entworfenen interkulturellen/transkulturellen Profilers (Kap. 8) ist:

Stufe 1 (Verneinung): Man kann überhaupt keine kulturellen Unterschiede erkennen.

Stufe 2 (Defensive Einstellung): Fremdkulturelles wird negativ bewertet.

Stufe 3 (Minimisierung): Man erkennt Unterschiede in der objektiven Kultur im Bereich der Sitten und Gebräuche an, betrachtet aber die Grundwerte aller Menschen als gleich.

Stufe 4 (Akzeptanz): Man erkennt und würdigt kulturelle Unterschiede.

Stufe 5 (Adaptation): Man entwickelt die Fähigkeit des kybernetischen Denkens, das heisst, die Fähigkeit, die kulturelle Überschneidungssituation von der Warte aller beteiligten Kulturen, bzw. deren Repräsentanten zu betrachten zu können. Man sollte aber nicht alle Mitglieder einer Gesellschafts- oder Nationalkultur in einen Topf werfen. Auch wenn man Hofstedes Dimensionen und deren Indexwerte für die Beschreibung von Kulturen und deren Vergleich verwendet, ist es ratsam, entsprechend neuerer kultureller Forschung, diese Werte zu präzisieren, indem man eine Aufteilung in sogenannte kulturell Normale, Marginale und Hypernormale vornimmt, entsprechend dem Grad, in dem die kulturellen Wertepräferenzen durch die Vertreter der Kultur zum Ausdruck kommen. Darüber hinaus hat auch noch jeder Einzelne sein singuläres kulturelles Profil. Die Gausssche Normalverteilung bringt das anschaulich zum Ausdruck.

Stufe 6 (Integration): Hier wird der kulturelle Perspektivenwechsel zur zweiten Natur und zu einem Kreativitätsfaktor durch die Nutzung der verschiedenen verfügbaren kulturellen Alternativen und Optionen, die man in seine Sichtweise miteinbezieht.

2001 war also ein Paukenschlag, der das 21. Jahrhundert einläutete und aller Welt deutlich machte, dass es eine neue Ost-West Kulturfront, eine interkulturelle Verwerfung gibt und zwar die zwischen moslemischem Fundamentalismus und dem nicht-moslemischen Westen. Die Islamisten sprechen von einem Kreuzzug gegen den Islam, westliche Staatsmänner sprechen von einem weltweiten Krieg gegen den Terror und Schurkenstaaten. Beide legitimieren ihre Anschauung durch ihre kulturellen Werte, die Werte, die aus der Religion abgeleitet werden auf der einen Seite, gegen die Werte der westlichen Demokratien auf der anderen Seite. Der Kampf der Kulturen ist also ein Kampf der Werte. Die Wertigkeit der Werte entzieht sich aber eines objektiven Massstabs. Sie sind kulturbedingt.

An der ökonomischen Front beobachten wir globale Unternehmenszusammenschlüsse, die hart daran arbeiten müssen, Ihre unterschiedlichen - wenn auch westlichen – Kommunikations- und Managementkulturen auf einen Nenner zu bringen. Der Arcelor Chef sagte kürzlich, dass der Zusammenschluss mit dem indischen Stahl-Giganten Mittal aus kulturellen Gründen unmöglich sei.

Politisch wie wirtschaftlich, national wie international, privat wie gesellschaftlich, ist die Interkulturalität eine zentrale Gegebenheit und Erfolg oder Misserfolg in zentralen Bereichen des Lebens - vielleicht sogar die Überlebenschancen der Menschheit - hängen mehr und mehr von der Fähigkeit ab, Diversität und insbesondere interkulturelle und internationale Diversität erfolgreich zu managen.

Erfolgreiches Kulturmanagement besteht aber nicht nur darin, dass man die mit der Diversität verbundenen Konfliktpotentiale entschärft, sondern vielmehr, dass man lernt, widersprüchliche Werte darüber hinaus als strategischen Erfolgsfaktor zu nutzen. Kulturell bedingte Konflikte zu vermeiden oder interkulturelle Konfliktlösung - falls sie bereits mangels interkultureller Kompetenz entstanden sind - und systematische Nutzung scheinbar widersprüchlicher kultureller Bedingtheiten, kultureller Hintergründe, national wie international, um optimalere Lösungen und Leistungen zu Wege bringen, als es in einem monokulturellen Umfeld möglich wäre, sind Ziele der interkulturellen Kompetenzentwicklung. Die erfolgreiche Lösung dieser Fragen ist eine Antwort auf zentrale ethische, politische, ökonomische und individuelle Fragestellungen und Probleme, denen sich der Mensch an der Schwelle des dritten Jahrtausends bisweilen hilflos, ja sogar fassungslos, ausgesetzt fühlt und sieht.

Konkrete Ziele der interkulturellen Kompetenzentwicklung im transnationalen Management sind unter anderem folgende:

1. Kulturelle Diversität erkennen, verstehen und sie in den menschlichen Gesamtzusammenhang einordnen können.
2. Die Bedeutung einer Ethik kultureller Verantwortung verstehen.
3. Konditionierung verstehen und überwinden lernen.
4. Synergiebewusstsein und Synergietechnik erwerben.
5. Selbstvertrauen im Umgang mit anderen Kulturen erwerben, das auf interkultureller Kompetenz, interkultureller Ethik und interkultureller Noetik gründet.
6. Die eigene Kultur verstehen, akzeptieren und transzendieren lernen.
7. Jedes kulturelle Interfacing (kulturübergreifende Erfahrung) nach dem neuesten
Stand der interkulturellen Forschung analysieren, verstehen und steuern können.
8. Ein neues transkulturelles Management Paradigma kennen lernen, eine Forma Mentis, die hier als noetisches interkulturelles Management bezeichnet wird, die

das bestehende interkulturelle Expertenwissen ergänzt.

Alle dies Ziele erfordern, dass wir zunächst den Begriff „Kultur“ klären, Kriterien festlegen, wie man denn Kultur verbindlich definieren und verschiedene Kulturen beschreiben und vergleichen kann, also eine Sprache für die Thematisierung von Kultur entwickeln, die es bislang, zumindest für den Grossteil der Menschheit, nicht gibt. Und da es diese nicht gibt, muss Hand in Hand damit einhergehend die gleichermassen fehlende Sensibilisierung, die Bewusstheit und das Wissen entwickelt werden, um Kultur erfolgreich zu managen.

Wir haben keine angemessene Sprache dafür. Das deutet daraufhin, dass unsere kulturelle Programmierung unbewusst ist. Das ist die zentrale Herausforderung: Kultur ist weitgehend unbewusst, und wir haben keine entwickelte Sprache, um sie zu thematisieren. Somit ist der Intellekt nicht in der Lage, sie zu managen. Das bedeutet, dass eine Sensibilität, eine Bewusstheit für Kultur geschaffen, eine angemessene Sprache, sowie Kategorien entwickelt werden müssen - kulturelles Wissen und Kompetenzen - die der Intellekt nutzen kann, um Kultur bewusst zu managen. Das nennt man kulturelle Intelligenz oder interkulturelle Kompetenz.

Der Aufbau der folgenden Abhandlung ist wie folgt: Zunächst wird der Begriff Kultur definiert. Darauf wird ein systematisches Modell der bislang zentralen Erkenntnisse der interkulturellen Forschung präsentiert. Die als Dimensionen zur Unterscheidung von Kulturen oder Kulturdimensionen bezeichneten Kategorien werden im einzelnen beschrieben. Die Möglichkeiten und Grenzen dieses Ansatzes werden verdeutlicht werden, bevor der Versuch unternommen wird, das bestehende Wissen durch ein optimiertes Modell zu erweitern.

2 Ein Silberstreifen am Horizont

Auf der Ebene der Phänomene erscheinen die verschiedenen Wertepräferenzen, deren Summe man als Kultur, zumindest als den impliziten Teil der Kultur bezeichnen kann, widersprüchlich und unvereinbar. Wir beschreiben und klassifizieren die Kulturen und stellen fest, dass sie teilweise unvereinbar bis gänzlich antagonistisch sind. Auf dieser Ebene können wir die so genannten culture clashes (kulturbedingten Konflikte) nicht lösen, zumindest nicht mit der aristotelischen Logik, derzufolge sich, sinngemäss, widersprüchliche Positionen im selben Raum gegenseitig ausschliessen. So hat die westliche Welt über Jahrtausende gedacht. Alsdann lenken wir den Blick rückwärts auf den Beobachter der verschiedenen Kulturen und Werte und stellen fest, welche mentalen Prämissen zu der Differenzierung der Kulturen geführt haben. Wir lernen nicht nur Verschiedenheit systematisch zu beschreiben, sondern auch ihre Genese (Entstehung) zu erklären und finden somit noch einige Bausteine für das Management diversitätsbedingter Herausforderungen. Durch die Verknüpfung der kulturellen Differenzen mit der zugrunde liegenden mentalen Systematik haben wir kausale, und nicht nur deskriptive Erkenntnis über die Diversität, was uns befähigt, das kulturelle Interfacing (kulturübergreifende Erfahrung) besser zu steuern, prophylaktisch, mediativ und strategisch, synergistisch. Es bleibt aber dennoch Stückwerk, Meilensteine im Hinblick auf die Überwindung kultureller Konflikte. Zur Überwindung bedarf es der Herangehensweise, die ich im Kapitel über das noetische Management-Paradigma beschreibe. Voraussetzung dafür ist, dass der Blick auf das Bewusstsein selbst geschärft und erweitert wird. Folgende Bedingungen sollten erfüllt werden:

Der Blick, den der Verstand bereits auf der Suche nach Erklärung auf sich selbst gelenkt hat, muss geschärft und erweitert werden, die mentale Software in eine Gesamtperspektive des menschlichen Geistes, des Bewusstseins an sich, gestellt werden.

Die Einstellung zur Diversität muss objektiviert werden, denn

a. Durch Äonen von Konditionierung, geschweige denn die systematische Konditionierung für Zwecke der Machtkonsolidierung und Erweiterung wie im Nationalismus beispielsweise, haben wir gelernt - und das ist Teil unserer universellen mentalen Software - Unterschiede als bedrohlich wahrzunehmen. Die Erkennung dieses Kausalzusammenhangs zwischen der Konditionierung und diesem konditionierten Reflex kann bereits den durch das kulturelle Interfacing erzeugten Kulturschock mildern.
b. Wenn man Diversität mit Heterogenität übersetzt, so ist zu sagen, dass diese in den Naturwissenschaften wie Physik und Biologie antientropisch eingestuft wird, also ein Wachstums und Lebensfaktor und kein Auflösungsfaktor ist.
c. Beim Menschen sind jedoch beide Optionen möglich. Heterogenität, bzw. Diversität kann entweder entropische oder antientropische Züge annehmen. Der Mensch in seiner Freiheit und Verantwortung muss hier eine Entscheidung treffen, die auf Erkenntnis um diese Ambivalenz beruht (daher die Erfordernis der interkulturellen Intelligenz), damit aus der Diversität kein Destruktionsfaktor wird.

Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, das heisst, wenn der Geist die der Diversität zugrunde liegenden Gesetzmässigkeit versteht und sie in den Gesamtzusammenhang des menschlichen Bewusstseins stellt, während er gleichzeitig von seiner ethischen Verantwortung im Licht der Erkenntnis der Diversität als Destruktions- und Kreationsfaktor Gebrauch macht, muss es keinen kulturellen Konflikt geben. Es ist ein Lernprozess, der Evolution bedeutet.

Oft wird die emotionale, die körperliche und geistige Identitätsfrage, in rechtlicher und ethischer Terminologie diffus als Würde oder in anderer analytische Terminologie als persönliche Unversehrtheit und Integrität bezeichnet, vernachlässigt, wo doch Gefühle, körperliche Identität (Körperschema beispielsweise) und geistige Identität die kritischsten Faktoren sind, weil sie uns in unserer ureigensten Natur treffen und betreffen.

Der Evolutionsprozess vom Ein-Prinzip Imperialismus über Synergie und Ethik zur Noetik ist eine zunehmend höhere Strukturierung, die die kulturspezifischen Strukturen nicht auslöscht, sondern ihre Konfliktpotentiale entschärft, indem sie diese in eine höhere Logik, eine Universallogik integriert, die die kulturspezifischen, partikularistischen Charakteristika in einen Schutzmantel hüllt, um sie zu schützen, das heisst, um ihren antientropischen Charakter, sowie auch gegen ihre entropischen Eigenschaften zu schützen; denn die Diversität ist Quelle der Synergie, wie auch von destruktiven Potentialen. Das Interfacing von kulturellen Präferenzen ist Ursache von circuli vitiosi oder circuli virtuosi (Trompenaars Terminologie), von kreativen und destruktiven Wechselwirkungen.

3 Was ist Kultur?

Der gängige westliche Kulturbegriff bezieht sich auf die Veredelung des menschlichen Geistes durch Kunst, Bildung und Wissenschaft. Dieser klassische Kulturbegriff wird auch als Kultur I bezeichnet. Kultur II dagegen ist das, womit wir uns schwerpunktmässig im Interkulturellen befassen. Ersteres bezieht sich eher auf das Individuum, letzteres auf die Kollektivität. Während nicht jeder zwangsläufig Kultur I besitzt, da diese ja von der individuellen Entwicklung und Verfeinerung des menschlichen Geistes abhängig ist, besitzt jeder eine oder auch mehrere - im Fall der Bikulturalität beispielsweise - im Hinblick auf Kultur II. In der Tat, während alle Menschen ihr jeweils individuelles Niveau im Hinblick auf Kultur I haben, gilt im interkulturellen Bereich das Prinzip der kulturellen Relativität. Dieses besagt, dass es keinen verbindlichen Massstab für die Qualifizierung einer Kultur in Bezug auf eine andere als über- oder unterlegen gibt. Demzufolge, ob australischer Aborigine oder US Yankee (Nordamerikaner), gibt es keine Höher- oder Minderwertigkeit, ungeachtet der Tatsache, dass der erstere einer 30 000 Jahre alten Kultur, die letztere einer vielleicht 300 Jahre alten High-tech Zivilisation angehören und dass die einen den Busch, die anderen den Weltraum explorieren. Dieser Kulturbegriff bezeichnet demnach etwas viel Grundsätzlicheres als die kulturellen Artefakte (alles was der Mensch geschaffen hat). Der Begriff Kultur II bezieht sich auf unsere Wertepräferenzen, Einstellungen und Verhaltensweisen in Bezug auf andere Menschen, uns selbst, die Umwelt, Zeit und Raum. Hier kann es kein über- oder unterlegen geben, weil die Lebensbedingungen ja überall einzigartig sind. In New York City und im australischen oder afrikanischen Busch sind die Umfeldbedingungen derart entgegengesetzt, dass jemand sehr wahrscheinlich nicht überleben würde, wenn er versuchte, die Verhaltensmuster einer Megalopolis auf den Busch zu übertragen, obwohl beide vielfach als Dschungel bezeichnet werden. Technisch gesprochen haben wir es hiermit dem kultur- oder sozialanthropologischen Kulturbegriff zu tun und dieser wird beispielsweise von einem der renommiertesten interkulturellen Forscher und Consultants, dem Niederländer Fons Trompenaars sehr bezeichnend und im Einklang mit dem oben beschriebenen, sinngemäss als die Reaktion auf die Herausforderung des Menschen durch die Umwelt in sehr konkretem Bezug auf sein Überleben und Fortbestand in der Gemeinschaft beschrieben. Im Dschungel muss man mit einer Machete (Buschmesser) umgehen können, in einer High-tech Schmiede mit Software-Algorithmen. Man kann den Kulturbegriff folgendermassen kontrastiv systematisieren:

Kultur ist nicht (kein)... sondern Kultur ist...

1. neuroethologisch (angeborenes Verhalten) erlerntes Verhalten
2. individuelles Phänomen ein kollektives Phänomen
3. nicht generationsspezifisch generationsübergreifend
4. konkret, explizit symbolisch, implizit
5. universal, genetisch verankert veränderlich durch Lernen, Erfahrung und Anpassung
6. strukturlos fraktal, selbstähnliche Muster reproduzierend
7. Selbstzweck ein bedingt bewusstes Steuerungsinstrument des Sozialverhaltens

Apfelthaler (2002) hat, basierend auf Höcklin, unter anderem folgende Definitionen des Begriffs KULTUR in englischer Sprache zusammengetragen: Nachfolgend einige Übersetzungen ins Deutsche, beginnend mit Tyler:

1. Tyler (1871) Kultur ist jenes komplexe Ganze, das Werte, Glaubenssätze, Moral, Gesetze, Gebräuche und alle anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten umfasst, die der Mensch als Mitglied der Gesellschaft erworben hat.

2. Herskovitz (1948) Kultur ist der durch den Menschen entstandene Teil seiner Umwelt.

3. Kroeber & Kluckhohn (1952) Tradierte Verhaltensmuster und Werte, Ideen und andere verhaltensprägende symbolische Systeme.

4. Van Maanen & Schein (1979) Die gemeinsamen Werte, Glaubenssätze und

Erwartungen einer Bezugsgruppe.

5. Louis (1983) Drei Aspekte

- Inhalte (Bedeutung und Interpretation),
- Spezifisch für eine
- Gruppe

6. Harris und Moran (1987) Eine offensichtlich menschliche Fähigkeit der Anpassung

an Bedingungen, einschliesslich der Fähigkeit, diese Fähigkeit der Beherrschung

der Umweltbedingungen und das diesbezügliche Wissen den kommenden

Generationen zu vermitteln.

7. Hall and Hall (1987) Insbesondere ein System der Generierens, Sendens, Speicherns

und Verarbeitens von Information.

8. Jenks (1993) Kultur ist

- eine allgemein Geistesverfassung,

- der Stand der intellektuellen und moralischen Entwicklung einer

Gesellschaft,

- die Gesamtheit der Künste und intellektuellen Errungenschaften,

- die gesamte Lebensweise eines Volkes

9. Höcklin (1995) Kultur ist

- ein System gemeinschaftlicher Bedeutungen, das Menschen hilft, den

Ereignissen und Gegenständen ihres Lebens Sinn zu verleihen;

- relativ, das heisst, es gibt keine Absolute, an der eine Kultur messbar wäre.

Es gibt kein „besser oder schlechter, sondern nur ein anders“ im Kontext der

Kulturen;

- Gelernt, das heisst, nicht durch Vererbung determiniert, sondern von der

- Umgebung gelernt;

- Gruppenbezogen, also ein kollektives Phänomen

Kultur ist also ein weitgehend unbewusstes Steuerungsinstrument für die Gesellschaft zur Sicherung ihres Fortbestands. Deshalb hat jede Gesellschaft Interesse, ihr speziell angepasstes verhaltensregulierendes, unbewusstes Programm über die Sozialisierung von Generation zu Generation weiterzureichen. Somit bildet es die Brücke zwischen chaotischen und voraussehbaren humanisierten und harmonisierten Denk- und Verhaltensweisen. Die Überbrückung der umfeldbedingten spezifischen Prägungen dieser Verhaltensweisen zwischen verschiedenen Gruppenkulturen erfordert demzufolge eine Parallelverarbeitung oder Multiprozessierung von Information. Die Herausforderung dieser mehrfaktorierten Umwelt erfordert also weitere kulturelle Anpassung für die Sicherung seines Fortbestands. Diese Anpassung kann in Form des Erwerbs interkultureller oder transkultureller Kompetenz geschehen.

Die kulturelle Bedingtheit, menschliche Verhaltensdeterminierung durch sukzessive Sozialisationsprozesse ist nicht die einzige, wenn auch eine wesentliche Komponente der mentalen Gesamtinfrastruktur. Geert Hofstede, der niederländische Pionier der interkulturellen Forschung (Cultures and Organisations. Software of the Mind, 2005), unterscheidet drei Ebenen der mentalen Programmierung, wie er es als ehemaliger IBM-Mitarbeiter nennt, die die Einzigartigkeit dieser kleinsten kulturellen Einheit, die der Mensch darstellt, ausmachen. Bild 1 stellt die Hierarchie dieser Programme, die Ebenen der Einzigartigkeit der menschlichen mentalen Programmierung, dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 1. Ebenen der Einzigartigkeit der mentalen Programme

Quelle: Hofstede Geert und Gert Jan, Cultures and Organisations, 2005

Alle Menschen, ohne kulturelle, geographische oder ethnische Einschränkung haben Teil an einer in der Phylogenese, die eine Replizierung der Ontogenese darstellt, verankerten ererbten menschlichen Natur. Gefühle wie Liebe, Angst, usw. sind hier angesiedelt. Das ist der Sockel der Pyramide. Wie diese Gefühle zum Ausdruck gebracht werden, hängt von der Sozialisierung in der Gruppe und einmaligen Persönlichkeitsfaktoren ab. Jedes Individuum hat eine einzigartige Geschichte, Biographie und Erbanlage. Die mentalen Programme der Spitze der Pyramide sind also ererbt und erlernt. Die Lern- und Erfahrungsprozesse in der Gruppe, der das Individuum von Geburt an angehört, stellen die kulturspezifische mentale Software bereit, die eine prägende Wirkung auf die Ausformung der Persönlichkeit haben. Eine kulturelle Mehrprogrammierung kann stattfinden, wenn Individuen Sozialisierungsprozessen in mehreren Kulturen ausgesetzt sind, was natürlich die Frage des interkulturellen Brückenschlags und der Harmonisierung in einer und derselben Person aufwirft. Der englische Begriff Third Culture Kid (Vater gehört Kultur A an Mutter Kultur B, deren Integration in einer third culture, einer „Drittkultur“ durch das Kind) ist bezeichnend dafür. Doch auch Expatriate Managers (das heisst, ins Ausland entsandte Manager), globale Nomaden in vielen Bereichen müssen diese Integration leisten, es sei denn, sie verweigern die Zielkultur oder sie werden einheimisch (going native). Das ganze dazwischen liegende Spektrum ist möglich und wurde im Interkulturellen Entwicklungs-Modell (IDM) von Milton Bennett, sowie im interkulturellen Anpassungsmodell von Ting-Toomey systematisiert.

Kultur ist also definierbar als gruppenspezifische mentale Programmierung, die das Individuum sukzessive in Elternhaus, Schule und Ausbildung am Arbeitsplatz usw. erfahren hat. Oftmals werden aber schon die in der ersten Kindheit erworbenen Rollenpaare und Rollenmodelle in den darauffolgenden reproduziert. (z. B. Eltern-Kind, Lehrer-Schüler, Vorgesetzter-Mitarbeiter). Hofstede (1980, 2003, 2005) sagt: „Kultur ist die mentale Programmierung des Geistes, die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von anderen unterscheidet.“

4 Kritische Zwischenevaluation

Mittlerweile hat Hofstede so manche Kritik an seinem Kulturverständnis und seinen Forschungsmethoden entschärfen können. Als Pionier hat Hofstede einen tieferen Einblick in sein Werk als alle Kritiker. Er hat nicht alles ausformuliert, was für ihn implizit klar war. Doch „kulturkritisch“ betrachtet ist das Modell aber dem Zeitgeist zuzuordnen und somit kulturrelativ, ohne dass es Anspruch auf universelle Wahrheit erheben könnte.

Ob Forscher oder Kritiker, jeder ist auf seine Weise relativ, da eines jeden Erkenntnis durch den Filter und Schleier seiner relativen Wahrnehmung bedingt sind. Das Talmud Diktum, demzufolge wir

„die Dinge nicht so sehen wiesiesind,

sondern wiewirsind“

findet auch in der Kulturforschung seine Anwendung. Doch den Schleier der Erkenntnis etwas weiter zu lüften ist im Hinblick auf die Suche nach einer umfassenderen Erkenntnis der Wahrheit der Auftrag der Scientific Community (der Gemeinschaft der Wissenschaftler). Die Synergie (Zusammenwirken) der kultur- und Disziplin-kontingenten Optiken erschliesst uns mehr und mehr des Gesamtbildes der Realität und erlaubt uns ihr effektiver zu begegnen. In diesem Sinne ist die nachfolgende Relativierung des Pioniers der modernen interkulturellen Forschung zu betrachten:

1. Es verwendet die Terminologie des digitalen Zeitalters
2. Ist eine modellhafte Vereinfachung des Menschen als kybernetisch gesteuerte Input-Output Maschine, die dem Prinzip Freiheit und Verantwortung nicht genügend Rechnung trägt.
3. Wie in der Quantenphysik und Philosophie wendet sich der Blick des Bewusstseins, nachdem es Jahrhunderte nach aussen geblickt hat und den äusseren Raum zu überschauen glaubt, in einer Pendel - Gegenbewegung rückwärts, auf den Wahrnehmenden selbst, den inneren Raum.
4. Ist vielleicht eine Analogie zur Taxonomie und Kategorienbildung, die in der Botanik und Zoologie beispielsweise seit Jahrhunderten stattgefunden hat. Nun kategorisiert der Mensch seine eigene Natur, nachdem der äussere Raum taxonomisch erfasst wurde.
5. Somit erscheint der Geist der interkulturellen Forschung selbst als ein kulturbedingtes Phänomen.
6. Es besteht die Gefahr eines kulturellen, reduktiven Determinismus und
Schubladendenkens und eine Verstärkung und Verwissenschaftlichung von
Stereotypen höherer Legitimation.
7. McSweeney (2002) ist einer der prominentesten und ikonoklastischsten Hofstede

Kritiker. Er soll nur der Vollständigkeit halber angeführt werden, da sich der Autor selbst dieses vehementen Kritikers, der seine gesamte Methodologie mehr als hinterfragte, angenommen hat. Schließlich spricht die vielfältige Replizierung der Forschung Hofstedes, über seine IBM-Studie hinaus, für die Validität seiner Arbeit.

Auch wenn wir die Forschung Hofstedes hier wie auch später noch einmal kritisch evaluieren, bleibt er dennoch ein führender Sozialwissenschaftler, zurecht unter den Top- Ten des Jahrhunderts, der natürlich seine Epoche und Kultur widerspiegelt. Solange wir jedoch nichts Besseres an seine Stelle setzen können, sollten wir ihn jedoch nicht aus Neid verwerfen. Schliesslich ist alles menschliche Stückwerk. Eine Überbewertung von und Überidentifikation mit kulturellen Profilen könnte jedoch ihrerseits eine mentale Konditionierung in die Wege leiten, die in dem Masse gar nicht vorhanden ist und eine Verarmung darstellen, die die menschliche geistige Freiheit einschränkt. Eine höhere Philosophie besagt, dass die menschliche Freiheit und Selbstverantwortung höher zu bewertende Kategorien sind. Ausgewogenheit und Angemessenheit sind hier wie anderweitig angebracht. Common sense, Empirie und Ethik genau so wichtig wie Modelle als Spiegelbilder der Realität. Relativieren und nicht verabsolutieren, weniger Kritisieren als Kontextualisieren in einem menschlichen und situativen Gesamtzusammenhang, das ist der Tenor dieser Abhandlung. Das setzt eine Würdigung der verschiedenen wissenschaftlichen Beiträge zur interkulturellen Forschung im Interesse aller Menschen voraus. Denn es ist ihr Schicksal, das damit verknüpft ist.

Doch Hofstede relativiert sich auch selbst, wenn er die sogenannte mentale Programmierung, eine Vorprogrammierung, eine Teilprogrammierung nennt, innerhalb derer der Mensch noch die Freiheit der Entscheidung behält.

In diesem Sinne verweist auch Keith Goodall (2002) von der Judge Business School, Cambridge, auf einen weiterführenden, weniger deterministischen, interpretativen oder verhandlungsbasierten Ansatz von Brannen and Salk und auf Giddens, wenn es um strategische interkulturelle gemeinsame Projekte multikultureller Konzerne geht. Laut Giddens ist der interkulturelle Manager ein wissender und verständiger Akteur, dessen Programmierung keine unabdingbare, irreversible ist. Und Brannen and Salk (2000) betrachten die interkulturellen Referenzsystemen als wichtige aber unzulängliche Prognosesysteme für die Herausbildung von Organsiationskulturen in komplexen kulturellen, das heisst, kulturübergreifenden Systemen. Statt Kultur mechanistisch und verdinglichbar zu verstehen, das heisst, technisch prognostizier- und steuerbar, privilegieren sie einerseits einen differenzierteren und andererseits einen umfassenderen verhandlungsbasierten Ansatz im Hinblick auf die Herausbildung einer komplexen Organisationskultur über kulturelle Grenzen hinweg. Dieser innovative Ansatz, der die Herausbildung einer komplexen Organisationskultur als Verhandlungsprozess thematisiert, kann in der Fallstudie „Partnering Across Borders: Negotiating Organizational Culture in a German-Japanese Joint Venture“ bei den Autoren Brannen and Salk (2000) vertieft werden.

5 Das Zwiebelmodell

Eine andere Sichtweise von Kultur wird im sogenannten Zwiebeldiagramm verdeutlicht. Es wird als solches bezeichnet, weil es gleich einer Zwiebel verschiedene Schichten in

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild1. Quelle: Hofstede Geert und Hofstede G. J., Cultures and Organisations, 2005

unterschiedlichen Tiefen kultureller Programmierung veranschaulicht. Darüber hinaus bringt Hofstede in diesem Modell den Unterschied zwischen Gesellschaftskultur und Organisationskultur auf einen klaren Nenner. Siehe Bild 1

Die äusseren Schichten des Zwiebeldiagramms bestehen aus Symbolen, Helden und Ritualen, die unter dem Begriff kulturelle „Praktiken“ zusammengefasst werden können. Während in der Unternehmenskultur der Schwerpunkt auf den Praktiken liegt, sind die Werte das Spiegelbild der nationalen oder regionalen Gesellschaftskultur. Die Grundannahmen oder Grundwerte bilden Kern und Zentrum des Modells. Diese werden in der primären Sozialisierung in der Kindheit vermittelt und sind im Alter von 10 Jahren im Unbewussten verankert. Ob etwas sauber, schön, wahr oder gut ist im Gegensatz zu den entgegengesetzten Kategorien ist über diese Zeit hinaus schwerlich umzuerziehen. Dies macht auch die Adaptation in andern als der Ausgangskultur schwierig. Die Assimilation und Integration in anderen Zielkulturen ist deshalb schwierig, weil, besonders jenseits eines bestimmten Alters, die sehr früh erworbenen Grundannahmen für nicht Gruppenmitglieder schwer erlernbar sind. Im Gegensatz zu den Praktiken die sichtbar, leichter erlern- und veränderbar sind, sind die Grundannahmen und Werte unsichtbar, implizit. Die Schichten im einzelnen:

1. Symbole bestehen aus Worten, Gesten und Objekten.
2. Helden sind die in einer Gesellschaft angesehenen Vorbilder, die die bevorzugten Grundtugenden einer Kultur verkörpern.
3. Rituale haben scheinbar keinen praktischen Nutzen. Sie geben der Gruppenkultur Kohäsion und Kontinuität. Ihr Nutzen ist sozialer Natur.
4. Werte und Grundannahmen. Die Grundannahmen bilden als dichotomistische Urkonstrukte, die in der frühesten Lebensphase erworben werden, eine mentale Basisinfrastruktur und beziehen sich daher auf hygienische, sittliche und ethische Ge- und Verbote. Darauf baut eine spezifischere mentale Infrastruktur der Werte, bez., die Wertepräferenzen auf, die gleichermassen dichotomistisch, das heisst mit einem Plus- und einem Minuspol versehen sind und die die Anthropologen wie Kluckhohn und Strodtbeck, Hall und Hall, Trompenaars und Hampden-Turner oder Hickson and Pugh als Cluster mehrerer Dimensionen in sogenannten Kulturmodellen oder interkulturellen Referenzrahmen in der zweiten Hälfte des

zwanzigsten Jahrhunderts systematisch erfasst haben.

Die Modelle überschneiden und ergänzen sich teilweise, da alle mit einer relationalen Kategorienbildung der Beziehung der Menschen untereinander, zu sich selbst, zu Zeit und Raum befasst sind, und je nach Zielsetzung abstrakter oder konkreter, spezifischer (Management, insbesondere Personalmanagement) oder diffuser (allgemeinkultureller) formuliert sind. Im interkulturellen Consulting ist die Erkennung der konkreten Dichotomie, deren Abstraktion auf eine höhere Ebene, sowie deren Rückübersetzung in eine praktische, möglichst synergetische dritte Ebene erforderlich.

Ähnliche Kulturmodelle wurden von vielen Forschern entwickelt und sind allgemein akzeptiert. Die oben genannten, sowie Ed Schein und Spencer Oatey beispielsweise haben Kultur ähnlich modelliert. Sie alle bringen unter anderem einen Determinismus vom Kern zur Peripherie zum Ausdruck, das heisst, dass die Denkweisen, Einstellungen, Verhaltensmuster und Artefakte einer Kultur von der mentalen Software, den darunter verborgenen impliziten Werten, den Wertepräferenzen, bestimmt werden. Die Dichotomie sichtbare und unsichtbare Dimensionen der Kultur und ihre Wechselwirkungen kommen insbesondere im Eisbergmodell, das im folgenden Kapitel erläutert wird, zum Ausdruck.

6 Das Eisbergmodell

Das Eisbergmodell ist eine plastischere Optik des Zwiebelmodells. Die Spitze des Eisbergs entspricht der sichtbaren Manifestation von Kultur, insbesondere den Verhaltensmustern. Siehe Bild1.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild1. Quelle: Univ. Cambridge, Persönl. Arbeitsmaterialien des Autors, 2004

Die diesen zugrunde liegenden Werte, die mentale Software oder die gruppenspezifische kollektive Programmierung, die allein imstande ist, diesen Verhaltensmustern Sinn zu geben, sie zu deuten, und somit Falschattributionen zu vermeiden, liegt unsichtbar unter dem Wasserspiegel. Der Grossteil davon ist unbewusst oder latent bewusst, implizit, wie der Zwiebelkern. Jede interkulturelle Arbeit erfordert daher eine Sensibilisierung für diese Dialektik des Manifestierten und des Nichtmanifestierten der Kultur. Idealerweise ist es die Fähigkeit wie F. Scott Fitzgerald sagt, „zwei entgegengesetzte Gedanken gleichzeitig im Bewusstsein zu haben und dennoch handlungsfähig zu bleiben“. Laut ihm ist das ein Kennzeichen vorzüglicher Intelligenz. Doch eigentlich müssen mindestens vier Dinge gleichzeitig dem Bewusstsein präsent sein, da ja mindestens zwei Individuen an einem kulturübergreifenden Interfacing teilnehmen, das heisst zwei Verhaltens-/Handlungsebenen mit der jeweils dazugehörigen sinngebenden mentalen Software. In einer online oder face-to-face Konferenz (persönliche Begegnung) eines globalen Business Teams beispielsweise, mit einer grösseren Zahl von Teammitgliedern ist es besonders für den Teamleiter wichtig, die beiden Ebenen der Teammitglieder in ihren wechselwirkenden Dynamiken zu verstehen und zu steuern, und zwar so, dass die Teamenergien je nach Bedarf und Phase gebündelt oder gestreut werden können. Hier ist also multidimensionales Managen von Komplexität erforderlich, wenn man die potentiellen interkulturellen Synergien ausschöpfen will. In jedem Fall verläuft die interkulturelle Kompetenzentwicklung hier, wie auch in anderen Bereichen über die Phasen Sensibilisierung, Bewusstheit - Wissen - Kompetenzen, beginnend in aller erster Linie mit

a. Kultureller Selbstbewusstheit, Sensibilisierung für die eigenen Wertepräferenzen, die eigene kulturelle Konditionierung, indem man sie aus dem Unbewussten in den diskursiven, kognitiven Bereich emporhebt, um sie im Alltagsbewusstsein möglichst synergetisch in Anwendung zu bringen, in dem wir ohne interkulturelles Training der mentalen Software nicht bewusst sind, sie aber ausagieren und Opfer ihre Ambivalenz werden können. Ebenso ist zu erkennen, dass wir permanent die Gegenwart durch bewusste und unbewusste Erinnerung an die Vergangenheit selbst schaffen und gleichermassen die Zukunft analog antizipieren. Zusammenfassend muss man also die Werte in Zusammenhang mit den Verhaltensweisen sehen, die mentale Software muss in das Licht des Bewusstseins gerückt werden, sie muss sprachlich, rational verarbeitet werden und der Konditionierungsmechanismus der Gegenwart und Zukunft prägt, muss bewusst gemacht werden, am besten durch interkulturelles Training. Bewusstmachung hat kein Ende. Leider muss man auch biologisch bedingte kulturelle Konstante erkennen und beherrschen, wie beispielsweise die Tatsache, dass der Mensch Züge eines Herdentieres aufweist, das seine eigene und die fremde Art gleich einem Tier instinktiv wahrnimmt und verarbeitet - mit entsprechenden Folgen. Das kann vor allem eklatant in kulturellen Umfeldern zutage treten, die ingroup-kollektivistische Wertepräferenzen haben, deren Ich stark gruppenabhängig ist und die letztendlich die Formel Peter gleich Paul gleich Maria leben. Nicht minder destruktiv ist der superindividualistische Egozentriker, der beispielsweise als korporativer Rambo auch eine Firma seinen Interessen opfert und weder gruppenbezogene Scham noch individuelle Schuld verspürt. Auch der Geschlechterkampf, die „sexual competition“ (Konkurrenzgebaren zwischen den Geschlechtern) ist eine kulturelle Erscheinung, die die Lebensqualität bisweilen kompromittieren kann.

In Bezug auf transnationale Management-Entwicklung ist die Interdependenz zwischen Selbstmanagement und Management von Kulturen zu betonen. Dieses Selbstmanagement ist der Schlüssel zum transkulturellen Management. Warum ist das so? Die „Unschärfe“ der äusseren Wahrnehmung wird durch die Mikrophysik, die Psychowissenschaften und die Philosophie nahelegt. Die Wahrnehmung allgemein und die kulturelle Wahrnehmung im besonderen wird in Bild 1, die kulturelle Nicht-Bewusstheit wird im Bild 3 verdeutlicht. Beide Mechanismen werden durch den vergangenheitsbedingten Perzeptions- Antizipationsmechanismus (Bild2) verstärkt und führen zu Projektionen, Falschattributionen und -antizipationen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 2. Quelle: Universität Cambridge. Memory-Anticipation Model, 2004. Persönliche Arbeitsunterlagen des Autors.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bild 3. Quelle: Universität Cambridge, 2004. Persönliche Arbeitsunterlagen des Autors

b. Kulturelle Fremd-Bewusstheit. Wie bei der kulturellen Selbstbewusstheit, ist hier auch die gesamte Logik der Konditionierung zu sehen. Er, der oder die andere, ist denselben Gesetzen unterworfen, wie jeder einzelne und nicht zuletzt man selbst. Es handelt sich um einen Sensibilisierungsprozess, der in einem hohen Mass an Bewusstheit gipfelt und Kulturblindheit transzendiert, der der Diversität aufgrund der unterschiedlichen Umfelder als Resultat der Anforderungen durch das Milieu gewahr wird, sieerkennt, anerkenntund wissensmässig, analytischkennt, woraus interkulturellesKönnenund interkulturelle Kompetenz resultiert.

c. Sensibilisierung und Bewusstheit, die Bewusstwerdung und Bewusstmachung der eigen- sowie fremdkulturellen Prägung durch kulturspezifische mentale Software muss durch möglichst präzises empirisches kulturelles Wissen in Form der kulturdimensionalen Kennziffern gestützt und die Wertedifferenzen mit den dazugehörigen Normen und Verhaltensmuster bekannt sein.

d. auf dieser Basis kann die Nutzung und Entwicklung interkultureller Techniken, Kompetenzen, Instrumente und Werkzeuge für das internationale Diversitätsmanagement beginnen. Tests, Briefings, Psychometrische Diagnostik, CAGE-Distanzanalyse, Internationaler Profiler, kulturelle Lernstile, Management Simulationen, Interkulturelle Entwicklungs-, Lern- und Adaptationsmodelle, Synergietechnik und viele andere kommen vor allem in der interkulturellen oder transkulturellen Kompetenzentwicklung zum Einsatz; nicht zuletzt auch der von mir systematisierte Transkulturelle Management Profiler, ein ganzheitliches, integriertes transkulturelles Management Instrument, das in den folgenden Kapiteln vorgestellt werden wird. Dies transzendiert interkulturelle Kommunikationskompetenz, denn es gilt, die Komplexität und Multidimensionalität, die verschiedenen Ebenen der Analyse, die Business- und die Kulturerfordernisse gleichermassen zu beherrschen: Joint Ventures, Post-Merger Integration, GBTs (Globale Business Teams), interkulturelle Verhandlungsführung sind Highlights der Anwendung interkultureller Kompetenzen.

e. Darüber hinaus ist sicherlich auch eine ethische, altruistische oder allozentrische Forma Mentis, eine interkulturell-ethische Geisteshaltung erforderlich, die die rein idiozentrische, primäre interkulturelle Technik und Geisteshaltung nicht nur transzendiert, sondern sogar als strategischer Erfolgsfaktor eingestuft werden kann. Aufgrund der Ambivalenz der Diversität ist sie sogar unabdingbar für nachhaltiges interkulturelles Management. Insbesondere im Bereich der interkulturellen Verhandlungsführung wurde dies jüngst auch in Beiträgen der Harvard Business Review erkannt und thematisiert. Zumindest versucht man in der Theorie über reines Deal-Making (Geschäftsabschluss-Denken) hinauszugehen. Denn was nützt es, wenn man einen hervorragenden Vertrag auf dem Papier hat, dieser aber nicht honoriert werden kann. Die Übernahme von Verantwortung, auch für die Belange des Vertragspartners, ist ein ethischer Ansatz im ureigenen Interesse.

f. Über die von mir systematisierte Ethik-Dimension hinaus führe ich die noetische Dimension ein, die als noetische Managementkompetenz die Punkte a bis e integriert und transzendiert, die gesamte multidimensionale Logik optimiert und auf einen Nenner bringt, denn es besteht Gefahr in der Komplexität zu irren.

Somit würde sich folgendes Diagramm zur Visualisierung interkultureller Arbeit ergeben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Noetik kann als absolute Nabe eines Kreislaufes Bewusstheit-Wissen-Ethik-Kompetenzen-Noetik betrachtet werden, aus dem alle Variablen hervorgehen und in die alle interkulturellen Evolutionsprozesse und Trainingsprozesse münden. Sie ist die Transzendenz in der Immanenz der Peripherie und in der Immanenz ist die Transzendenz verdichtet. Bewusstseinstechnisch sind sie zwei Aspekte des holistischen Ganzen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 154 Seiten

Details

Titel
Interkulturelles Management - Intercultural Management
Autor
Jahr
2009
Seiten
154
Katalognummer
V158694
ISBN (eBook)
9783640739349
ISBN (Buch)
9783640739653
Dateigröße
2165 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
in Deutsch mit englischen Komponenten
Schlagworte
interkulturelles Management, transkulturelles Management, internationales Diversitätsmanagement, intercultural management, cross-cultural management, transcultural management, international diversity management, multicultural management, management interculturel, gestón intercultural
Arbeit zitieren
D.E.A./UNIV. PARIS I Gebhard Deissler (Autor:in), 2009, Interkulturelles Management - Intercultural Management, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/158694

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Interkulturelles Management - Intercultural Management



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden