Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom - Eine kritische Auseinandersetzung mit einer medizinischen Diagnose


Hausarbeit, 2010

18 Seiten, Note: 13,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. ADS
2.1 Definition
2.2 Diagnose
2.2.1 Mögliche Konsequenzen der Diagnose ADS
2.2.2 Mögliche Funktionen der Diagnose ADS

3. Entstehung ADS
3.1 Medizinisch-biologisches Entstehungsmodell
3.2 Bio-psycho-soziales Modell
3.3 Kritik des bio-psycho-sozialen Modells

4. Die Bedeutung von Ritalin zur Behandlung von ADS
4.1 Kritik an der Behandlung mit Ritalin

5. Psychoanalytische Betrachtungen zur Entstehung von ADS

6. Frankfurter Präventionsstudie

7. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der vorliegenden Hausarbeit beschäftige ich mit dem Thema des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms[1]. ADS ist die inzwischen am häufigsten bei Kindern und Jugendlichen gestellte Diagnose. Die Anzahl der diagnostizierten Fälle hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Diese Tatsache hat mich dazu angeregt, mich eingehender mit dem Phänomen ADS zu beschäftigen. Beim Einlesen in die Thematik habe ich sehr schnell festgestellt, dass mehrere höchst unterschiedliche Herangehens- und Betrachtungsweisen der Ursachen und damit auch eine Vielfalt an, als geeignet propagierte, Therapieformen für ADS existieren. Ein Erklärungsansatz, der in diesem Kontext eine große Rolle spielt, ist die medizinisch-biologische Betrachtungsweise, diese erscheint mir jedoch wesentlich zu kurz zu greifen. Aus diesem Grund habe ich nach Erklärungsmodellen gesucht, die auch die psychische Ebene in ihre Betrachtungen mit einbeziehen. Ich beschäftige mich daher in meiner Hausarbeit mit der Frage nach alternativen Erklärungs- und Behandlungsmöglichkeiten bei ADS und deren konkrete Auswirkungen auf die pädagogische Praxis.

Dabei werde ich im Folgenden zunächst das ADS definieren sowie einige Diagnosekriterien nach dem DSM IV kurz vorstellen. Anschließend folgt eine Erläuterung der möglichen Konsequenzen einer Diagnosestellung, da eine ‚Etikettierung’ mit der Diagnose ADS für das einzelne Individuum durchaus bedeutsame Folgen haben kann, die so auf den ersten Blick nicht unbedingt ersichtlich scheinen.

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit dem medizinisch-biologischen Ursachenmodell zur Entstehung von ADS. Hier gehe ich auf die verschiedenen angenommenen organischen Ursachen, von einer vorgeburtlichen Hirnschädigung bis hin zur Hypothese der Störung des Dopaminstoffwechsels, näher ein. Als nächstes erläutere ich einige kritische Betrachtungsweisen zu diesem Modell, um dann im vierten Kapitel näher auf die Behandlung mit Ritalin und der kritischen Auseinandersetzung mit der medikamentösen Therapie einzugehen.

In Kapitel fünf beschäftige ich mich mit einer alternativen Sichtweise im Rahmen von psychoanalytischen Betrachtungen zur Entstehung von ADS und der Funktion der auftretenden Symptome. Abschließend folgt im sechsten Kapitel eine kurze Darstellung der Frankfurter Präventionsstudie, welche beispielhaft die praktische Umsetzung der psychoanalytischen Sichtweise auf ADS darstellen soll.

2. ADS

2.1 Definition

ADS steht als Kurzform für das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, ADHS bezieht auch Hyperaktivität in das Störungsbild mit ein, dieses wurde erstmals im Jahr 1932 als hyperkinetische Erkrankung im Kindesalter klassifiziert und stellt einen Oberbegriff für auffälliges Verhalten in den Kategorien Aufmerksamkeit, Impulsivität und Aktivität dar.[2]

Anders ausgedrückt haben Menschen mit ADS häufig Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit auf ein konkretes Ziel zu lenken und über einen längeren Zeitraum dort zu belassen, zumindest wenn die Aufgabe keine besondere Faszination ausübt. Dazu kommen Schwierigkeiten, innere Impulse oder Bedürfnisse je nach Situationsangemessenheit zurückzustellen, sie werden oft direkt in Handlungen umgesetzt.[3]

2.2 Diagnose

Das Bundesministerium für gesundheitliche Aufklärung geht davon aus, dass in Deutschland zwischen zwei bis sechs Prozent der Kinder und Jugendlichen von 6 bis 18 Jahren von ADS betroffen sind[4], damit hat sich ADS zu der am häufigsten diagnostizierten Störung bei Kindern entwickelt.[5]

Um eine Diagnose nach dem DSM IV zu rechtfertigen, müssen in den beiden Kategorien jeweils mindestens sechs Symptome vorliegen, dies können zum Beispiel für den Bereich der Unaufmerksamkeit sein:

„b. hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder bei Spielen aufrecht zu erhalten

c. scheint häufig bei Ansprache nicht zuzuhören

d. führt immer wieder Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen

h. lässt sich durch äußere Reize leicht ablenken“[6]

Für den Bereich der Impulsivität und Hyperaktivität sind dies unter anderem:

„a. zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum

d. steht in der Klasse oder in anderen Situationen, in denen Sitzen bleiben erwartet wird, immer wieder auf

e. ist häufig ‚auf Achse’ oder handelt oftmals, als wäre er/sie ‚getrieben’

i. unterbricht und stört andere häufig“[7]

Nach diesen Kriterien können von AD(H)S betroffene Menschen „ihr Handeln und Fühlen erheblich schlechter und schleppender kontrollieren, arbeiten unsystematisch, sind leicht abzulenken, ungeduldig und sie erkennen Grenzen und Gefahren schlecht“[8].

Dabei ist für die Diagnosestellung weiterhin wichtig, dass die Symptomatik schon vor dem 7. Lebensjahr des Kindes zu beobachten ist und eine ‚klinisch bedeutsame Beeinträchtigung’ durch die Symptome in mindestens zwei Lebensbereichen (Schule, zu Hause…) auftritt.[9]

Trotz dieser umfangreichen Diagnosekriterien gibt es bis heute „keine spezifischen biologischen Marker oder psychologische Testverfahren, die das Vorliegen einer ADHS beweisen“,[10] somit beruht die Diagnosestellung immer ausschließlich auf klinischen Beobachtungen und Befragungen der Betroffenen und ihres Umfelds.

2.2.1 Mögliche Konsequenzen der Diagnose ADS

Nach Riedesser, Schmela und Wenke beschreibe ich im Folgenden einige Bereiche, auf die sich negative Konsequenzen einer ADS-Diagnose unter anderem erstrecken können:[11]

- Vereichfachung eines an sich komplexen Problems:
Durch die Konzentration auf die Diagnosekriterien bestehe die Gefahr des Außerachtlassens der möglichen Ursachen von ADS die außerhalb des medizinisch-psychologischen Modells liegen und eher im sozialen Bereich zu finden sein können.
- Auf eine Behandlung mit Medikamenten ausgerichtete Sichtweise:
Die rein auf die Symptome von ADS ausgerichtete Sichtweise begünstige die Konzentration auf eine vorrangige medikamentöse Behandlung im Gegensatz zu einer möglichen mehr (tiefen-)psychologisch ausgerichteten Therapie
- Eine mögliche Stigmatisierung der Betroffenen:

Eine Diagnosestellung bringe immer auch die Gefahr einer Stigmatisierung und Abspaltung ‚unerwünschter Symptome’ von der eigenen Persönlichkeit mit sich. Dies könne auch zur Folge haben, dass die Verantwortung für das eigene Handeln von den betroffenen nicht mehr vollständig übernommen wird, im Sinne von einer Haltung: ‚Ich habe ADS, wenn ich mich auffällig verhalte, bin das nicht ich sondern der Auslöser ist meine Krankheit und ich kann nichts dafür’. Diese Haltung könne besonders bei Kindern dazu führen, dass sie keinen Grund mehr sehen, ihr eigenes Handeln und Verhalten kontrollieren zu wollen.

- Bild einer ‚Unfähigkeitskrankheit:

Eine Orientierung auf die Diagnostik bringe weiterhin das Bild einer ‚Unfähigkeitskrankheit’ mit sich und würde so positive Bewältigungsansätze bei Eltern, Pädagogen und Therapeuten, besonders aber bei den betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst, erheblich erschweren.

2.2.2 Mögliche Funktionen der Diagnose ADS

Wenke sieht ADS nicht als Krankheit sondern als ein kulturell erzeugtes Objekt, an dessen Anfang eine Irritation des sozialen Umfelds der Betroffenen steht. Diese Irritation, dass das Verhalten der unruhigen Kinder den an sie gestellten Erwartungen zuwiderläuft, würde dann in der eigenen Wahrnehmung umgewandelt in eine ‚biologische Störung’ die es zu diagnostizieren und zu behandeln gilt. Die Diagnose habe dabei eine beschwichtigende und vom eigenen Lebensstil ablenkende Funktion. Sie mache aus dem zunächst nicht verständlichen Verhalten der Kinder etwas auf der medizinischen Ebene nachvollziehbares und sozial Anerkanntes. Damit würden vermeintlich irrationale und ängstigende Anteile im Verhalten des Kindes auf eine medizinische Ebene ‚verbannt’ und damit leichter auszuhalten. Auf diese Weise sei es nicht nötig, sich mit eigenen Erwartungen, Ängsten, Schwächen und Schuldgefühlen zu konfrontieren.[12]

Eine Diagnosestellung könne auf der anderen Seite aber auch eine positive, entlastende Funktion sowohl für die Eltern und das übrige soziale Umfeld wie auch für das Kind selbst haben. Sie könne dazu beitragen, mehr Verständnis für das Verhalten des Kindes zu entwickeln und gerade bei Eltern dazu führen, das Verhalten des Kindes nicht mehr als Antwort auf eigenes erzieherisches Versagen zurückzuführen und somit eine größere Gelassenheit herbeiführen, welche sich wiederum positiv auf die Eltern-Kind-Interaktion auswirken könne. Um diese positiven Folgen einer Diagnosestellung zu ermöglichen, sei es besonders wichtig im Rahmen der Übermittlung der Diagnose nicht nur den defizitorientierten Symptomen Raum zu geben, sondern auch die besonderen Ressourcen und Fähigkeiten des Kindes ausreichend zu betonen.[13]

3. Entstehung ADS

Vielfach wird aktuell von einem multifaktoriellen Entstehungsbild ausgegangen, wonach biologische und konstitutionelle Faktoren die Entstehung maßgeblich beeinflussen. Psychosoziale Faktoren spielen eher eine Rolle bezogen auf die Stärke der Ausprägung und den Verlauf von ADS.[14]

3.1 Medizinisch-biologisches Entstehungsmodell

Von einigen Wissenschaftlern wird eine strukturell bedingte Störung der Hirnfunktionen als Ursache für ADS vermutet, diese würde häufig durch eine Unterversorgung mit Sauerstoff vor oder während der Geburt ausgelöst und würde beim Kind eine Verzögerung der kindlichen Entwicklung sowie Konzentrationsstörungen hervorrufen. Anatomisch sei hiervon besonders der präfrontale Cortex als Sitz von Reizhemmungsmechanismen, der Selbstkontrolle und dem Setzen von Prioritäten betroffen. Diese Bereiche ließen sich mittels neuerer Untersuchungsmethoden wie Computer- und Kernspintomograpie gut identifizieren.[15]

Eine weitere Hypothese die zurzeit von vielen Autoren vertreten wird, ist die einer angenommen Störung des Dopaminstoffwechsels im Gehirn. Dopamin ist ein Neurotransmitter und als solcher zuständig für die Reizweiterleitung zwischen einzelnen Synapsen. Das Störungsmodell geht hier davon aus, dass bei von ADS betroffenen Menschen eine zu hohe Zahl von Dopamintransportern vorliegt, welche dazu führen, dass zwischen den Synapsen nicht ausreichend Dopamin vorhanden ist, um Reize ‚in normalem Maße’ weiterzuleiten.[16] An dieser Stelle setzt auch die medikamentöse Behandlung von ADS an, auf die ich im vierten Kapitel noch genauer eingehen werde.

In diesem Zusammenhang wird auch die Erblichkeit von ADS diskutiert, so spricht laut Drüe „die Eindeutigkeit vieler Zwillings- und Adoptionsstudien seit langem geradezu zwingend für eine hohe Erblichkeit des ADHS“.[17] Dabei wird davon ausgegangen, dass eine große Anzahl von Genen für die Steuerung des Gehirnstoffwechsels verantwortlich ist und diese im Fall eines ‚Gendefektes’ negativ beeinflusst.[18]

[...]


[1] Im Folgenden kurz ADS/ADHS.

[2] Vgl. Wenke (2006), S. 65.

[3] Vgl. Droll (2004). S. 68-69.

[4] Vgl. Amft (2006), S. 77.

[5] Vgl. Wenke (2006), S.64.

[6] Heinemann/Hopf (2006), S. 10-11.

[7] Heinemann/Hopf (2006), S. 10-11.

[8] Prinzig (2004), S. 15.

[9] Vgl. Heinemann/Hopf (2006), S. 10-11.

[10] Krause/Krause (2004), S. 30.

[11] Vgl. Riedesser (2006), S. 111-117; Schmela (2004), S. 64-71; Wenke (2006), S. 84.

[12] Vgl. Wenke (2006), S. 78-80.

[13] Vgl. Schmela (2004), S. 72-75.

[14] Vgl. Schmela (2004), S. 23.

[15] Vgl. Krause/Krause (2004), S. 32-33; Schmela (2004), S. 23-24.

[16] Vgl. Krause/Krause (2004), S. 33-36; Schmela (2004), S. 24.

[17] Drüe (2007), S. 116.

[18] Vgl. Krause/Krause (2004), S. 28-29.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom - Eine kritische Auseinandersetzung mit einer medizinischen Diagnose
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
13,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
18
Katalognummer
V157713
ISBN (eBook)
9783640704736
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
ADHS, Ritalin, Psychoanalyse
Arbeit zitieren
Lisa Schmidhuber (Autor:in), 2010, Das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom - Eine kritische Auseinandersetzung mit einer medizinischen Diagnose, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/157713

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