Die Door-in-the-face-Technik im persönlichen Verkauf

Eine empirische Untersuchung


Diplomarbeit, 2010

134 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


INHALT

Abkürzungsverzeichnis

Symbolverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Ziel und Gang der Arbeit

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Grundlegende Kennzeichnung der Door-in-the-face-Technik
2.1.1 Begriffsbestimmung und theoretische Einordnung der Door-in-the-face-Technik
2.1.2 Ethische Gesichtspunkte der Door-in-the-face-Technik
2.2 Schlüsselbedingungen zur Anwendung der Door-in-the-face-Technik
2.3 Erklärungsansätze der Wirksamkeit der Door-in-the-face-Technik
2.3.1 Die Norm reziproker Zugeständnisse als Schlüsselmechanismus
2.3.2 Alternative Ansätze zur Belegung des Door-in-the-face-Effekts
2.4 Der Einfluss der Gruppenzugehörigkeit des Forderungsstellers auf den Door- in-the-face-Effekt
2.5 Übertragbarkeit der Door-in-the-face-Technik auf den persönlichen Verkauf
2.5.1 Kennzeichnung des persönlichen Verkaufs
2.5.2 Anwendung der Door-in-the-face-Technik im persönlichen Verkauf
2.5.3 Ableitung der zu untersuchenden Hypothesen

3 Empirische Untersuchung zur Anwendung der Door-in-the-face-Technik im persönlichen Verkauf
3.1 Untersuchungsdesign und Methoden der Datenauswertung
3.1.1 Kennzeichnung des Experiments als geeignetes Untersuchungsdesign
3.1.2 Beschreibung der Szenarien und deren Entwicklung
3.1.3 Operationalisierung der Variablen
3.1.4 Vorstellung der statistischen Auswertungsverfahren
3.2 Durchführung der empirischen Untersuchung
3.2.1 Aufbau der Untersuchungsunterlagen
3.2.2 Charakterisierungen des Untersuchungsablaufs und der Stichprobe
3.3 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
3.3.1 Vorbereitende Untersuchungen
3.3.2 Überprüfung der aufgestellten Hypothesen
3.3.3 Weiterführende Analysen

4 Schlussbetrachtungen
4.1 Diskussion der empirischen Ergebnisse
4.2 Resümee und Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Symbolverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Schlüsselmoderatoren der Door-in-the-face-Technik

Abb. 2: Alternative Erklärungsansätze des Door-in-the-face-Effekts

Abb. 3: Stellung des persönlichen Verkaufs im Marketing-Mix

Abb. 4: Items zur Überprüfung der Wirksamkeit der Door-in-the-face-Technik

Abb. 5: Adjektivpaare zur Bestimmung der Glaubwürdigkeit des Verkäufers

Abb. 6: Grafische Skala zur Einschätzung der Gruppenzugehörigkeit des Verkäufers

Abb. 7: Verteilung der Probanden auf die vier Untersuchungsgruppen

Abb. 8: Interaktion der Faktoren in Bezug auf den Transportaufwand

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Gruppenbildung durch Kombination der Faktorstufen

Tab. 2: Multivariate Tests bei Anwendung der MANOVA

Tab. 3: Verkürzte Darstellung der Auswertungen der MANOVA

Tab. 4: Auszug der Auswertung der Kovarianzanalyse der Hauptuntersuchung

Tab. 5: Auszug der Kovarianzanalyse im Rahmen der weiterführenden Analyse

Tab. 6: Multivariate Tests zur Überprüfung eines Wahrnehmungskontrasts

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

Überzeugen ist ein fester Bestandteil des täglichen Lebens, überall und zu jeder Zeit sind Menschen von Beeinflussungsversuchen umgeben (Gass & Seiter, 2007). Ob
Eltern ihre Kinder, der Arzt seine Patienten, der Pfarrer die Gläubigen oder aber Politiker ihre Wähler: Allesamt versuchen ständig – entweder unbewusst oder ganz gezielt – den Gegenüber von eigenen Meinungen und Absichten zu überzeugen (vgl. Perloff, 2008; Cialdini, 2002; Woll, 1998). Für Unternehmen und deren Kommunikation ist es nicht minder erforderlich, überzeugend zu wirken (vgl. Schwerin & Newell, 1981): So sollen z.B. Werbemaßnahmen gezielt Kundenbedürfnisse wecken, Gratisproben Lust auf Mehr machen und Verkäufer ihre Kunden von der Notwendigkeit eines Produktkaufs überzeugen (vgl. auch Cialdini, 2002; Nerdinger, 2001).

Im Rahmen einer wissenschaftlichen Betrachtung beantwortet die Persuasionsforschung Fragen bezüglich des bewussten Prozesses des Überzeugens. Sie stellt ein viel umfassendes Forschungsgebiet dar, das sich mit dem Ziel der Änderung von Meinungen, Einstellungen, Absichten sowie Motivationen und somit letztendlich auch konkreten Verhaltensweisen durch jede erdenkliche Art von Beeinflussungsquellen beschäftigt (Gass & Seiter, 2007). Enger umrissen ist dahingegen der Bereich der zwischenmenschlichen Überzeugung, der sich häufig auf die direkte Interaktion zweier Personen konzentriert (Perloff, 2008). Unzertrennlich einher geht damit der Begriff der Compliance [1], der explizit auf offenkundige Verhaltensänderungen Bezug nimmt, die durch den Einfluss des Gegenübers ausgelöst werden (Gass & Seiter, 2007; Simons, Morreale & Gronbeck, 2001). Dazu stellen sowohl Praxis als auch Theorie eine Reihe von Techniken zur Verfügung, stets verbunden mit der Frage: Was führt dazu, dass eine Person das tut, was eine andere möchte?“ (Cialdini, 2002, S. 15).

Für Unternehmen und deren Vertreter sind in diesem Zusammenhang erfolgreiche Überzeugungsstrategien u.a. im Rahmen des persönlichen Verkaufs von besonderer Bedeutung (Homburg & Krohmer, 2006). Durch den direkten Kontakt zwischen Verkäufer und Kunde, der den persönlichen Verkauf in seinen Grundzügen kennzeichnet, bestehen zahlreiche Möglichkeiten der gegenseitigen Einflussnahme (vgl. Nerdinger, 2001). Compliance erlangende Techniken bieten dabei dem Verkäufer die Gelegenheit, seinen Einfluss auf den Kunden zu erweitern (Dillard, Anderson & Knobloch, 2002), da durch ihre Anwendung Zustimmung zu ansonsten eher schwer erreichbaren Anfragen generiert werden kann (Wang, Brownstein & Katzev, 1989). Vor allem in der letzten Phase des Verkaufsgesprächs – dem Abschluss einer Verkaufsaktion – finden solche Taktiken Verwendung (vgl. Homburg & Krohmer, 2006). Dieser Abschnitt entscheidet schlussendlich über Erfolg und Misserfolg sämtlicher vorangegangener Anstrengungen und wird von vielen Verkäufern als besonders diffizil empfunden (Namokel, 2002). Erschwerend kommt noch hinzu, dass sich Unternehmen in der wirtschaftlichen Praxis seit langem Käufermarkt-Verhältnissen[2] ausgesetzt sehen (Bänsch, 2006), in denen der hohe Wettbewerb um die Kundschaft auch die Arbeitsweisen vieler Verkäufer verändert (Dalrymple, Cron & DeCarlo, 2004). Der große Verkaufsdruck, der auf Händlern unter diesen Verhältnissen lastet, führte zur Anwendung aggressiver Verkaufstechniken („hard selling“), die bis heute nachhaltig das schlechte Image von Verkäufern prägen (Nerdinger, 2001).

Eine solche aggressive Vorgehensweise ist mittlerweile kaum noch angebracht, da zunehmend der Einklang von Angebot und Kundenbedürfnissen durch die Befriedigung gestiegener Kundenerwartungen in den Mittelpunkt des Unternehmensinteresses rückt (Dalrymple, Cron & DeCarlo, 2004, Nerdinger, 2001). Somit bedarf es sanfter Techniken zur Beeinflussung, deren Prozesse eher indirekt, feinsinnig sowie unbewusst ihre Wirkung entfalten. Auf die Untersuchung solcher Techniken konzentriert sich die Forschung der sozialen Einflussnahme mittlerweile verstärkt (Cialdini & Goldstein, 2004). Eine der bekanntesten und meist gebrauchten unter ihnen stellt die sogenannte Door-in-the-face-Technik dar, mit der sich die vorliegende Arbeit im Folgenden ausführlich befasst. Sie ist ein Beispiel für Taktiken, die auch als „compliance gaining without overt pressure“ (ebenda, S. 592)bezeichnet werden, da sie dem Gegenüber den Eindruck vermitteln sollen, die Zustimmung zu einer Anfrage aus eigenem und freiem Willen und nicht unter Druck getätigt zu haben (Pascual & Guéguen, 2005; Nawrat, 1993; vgl. auch Freedman & Fraser, 1966).

Die Door-in-the-face-Technik (DITF-Technik) zählt zu einer der am häufigsten und detailliertesten un­tersuchten Überzeugungstaktiken (vgl. Pascual & Guéguen, 2005; O’Keefe & Hale, 1998). Seit ihrer Einführung in die sozialpsychologische Literatur durch Cialdini, Vincent, Lewis, Catalan, Wheeler & Darby (1975) wurde sie in mittlerweile 35-jähriger Forschungsgeschichte in mehr als 70 Publikationen[3] thematisiert. In ihren Ursprungsversuchen beobachteten Cialdini et al. im Durchschnitt eine Verdopplung der Zustimmungsrate durch die Anwendung der DITF-Technik[4] gegenüber einer normalen Anfrage. Später durchgeführte Metaanalysen bestätigen die grundsätzliche Vorteilhaftigkeit ihrer Anwendung (vgl. Pascual & Guéguen, 2005; O’Keefe & Hale, 2001; O’Keefe & Hale, 1998; Dillard, Hunter & Burgoon, 1984). Allerdings beschränkte sich das Interesse der Forschung bisher zumeist auf karitative Zwecke, in der die Anwendung der Technik zur erfolgreicheren Sammlung von Spenden (z.B. Abrahams & Bell, 1994; Wang, Brownstein & Katzev, 1989; Schwarzwald, Raz & Zvibel, 1979), zum Überzeugen von Personen zum Blutspenden (z.B. Cialdini & Ascani, 1976) oder aber zur Teilnahme an gemeinnützigen Aktionen (z.B. Goldman, McVeigh & Richterkessing, 1984; Cialdini et al., 1975) gebraucht wurde. In einem von verstärkt wirtschaftlichen Interessen geprägten Umfeld fand die DITF-Technik hingegen bisher kaum wissenschaftliches Interesse (Heinzle, 2009). Dabei besteht – wie sich im Folgenden zeigen wird – insbesondere im Bereich des persönlichen Verkaufs Forschungsbedarf.

1.2 Ziel und Gang der Arbeit

In der verkaufsorientierten Literatur wird häufig vom Gebrauch der DITF-Technik durch Verkaufsleute berichtet (vgl. z.B. Prack, 2008; Bänsch, 2006; Gass & Seiter, 2007).[5] Im Gegensatz dazu steht jedoch die Anzahl wissenschaftlicher Studien zu dieser Thematik: Mit den Arbeiten von Heinzle (2009) sowie Ebster & Neumayr (2008) liegen lediglich zwei Abhandlungen vor, die explizit diesen Sachverhalt untersuchen. Da diese zudem unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen, lassen sie keine Verallgemeinerung hinsichtlich der Anwendbarkeit der DITF-Technik im persönlichen Verkauf zu. Aus diesem Grund soll die empirische Untersuchung der vorliegenden Arbeit in einem ersten Schritt weitere Ansatzpunkte zur Verfügung stellen, inwiefern der DITF-Mechanismus als Verkaufstechnik wirksam ist.

Zweitens steht der Einfluss der Gruppenzugehörigkeit des Verkäufers auf die Wirksamkeit der DITF-Technik im Fokus der Betrachtungen. Forschungsarbeiten der Gruppen- und Sozialpsychologie liefern diesbezüglich Anhaltspunkte, die eine Übertragung in den Kontext der DITF-Technik möglich erscheinen lassen. Neben einer generellen Anwendbarkeit der DITF-Technik als absatzsteigernde Verkaufstaktik würden ebenso Erkenntnisse bezüglich des Einflusses der Gruppenzugehörigkeit des Verkäufers wertvolle Hinweise für die praktische Ausgestaltung des Verkaufsmanagement liefern. Daher stellt ein Erkenntnisgewinn in diesem Bereich ein zweites Ziel der vorliegenden Arbeit dar.

Zur Erreichung der formulierten Ziele der Arbeit werden im Kapitel 2 zunächst die theoretischen Grundlagen zur Anwendung der DITF-Technik als eine Überzeugungsstrategie gelegt. Dabei wird detailliert auf die Ursprünge der Technik, ihre Wirkungsweise und beeinflussende Faktoren eingegangen. Ein weiterer Schwerpunkt des zweiten Kapitels beleuchtet, inwiefern die Zugehörigkeit des Beeinflussers zu der sozialen Gruppe des Beeinflussten Auswirkungen auf die DITF-Technik haben kann. Die Ausführungen bezüglich desTransfers der DITTF-Technik auf Situationen des persönlichen Verkaufs greift anschließend die präsentierten Grundlagen der Überzeugungstaktik auf, um aus diesen sowie weiteren Forschungserkenntnissen Schlüsse zu ziehen, die im weiteren Verlauf der Arbeit unmittelbar für die Ausgestaltung der empirischen Untersuchung herangezogen werden. Zusammen mit der Ableitung und Formulierung der Forschungshypothesen bildet dieser zentrale Abschnitt den Abschluss des theoretischen Teils undstellt die Verbindung zur empirischen Untersuchung der vorliegenden Arbeither.

Kapitel 3 befasst sich in drei Schritten mit der empirischen Untersuchung zur Anwendbarkeit der DITF-Technik im persönlichen Verkauf. Dazu werden zunächst das verwendete Untersuchungsdesign sowie die Methoden der Datenauswertung beschrieben, wobei – aufbauend auf den theoretischen Ausführungen der Arbeit – schwerpunktmäßig auf die Beschreibung und Entwicklung von Szenarien zur Illustration einer Verkaufssituation eingegangen wird. Knappe Darlegungen über die Durchführung der empirischen Untersuchung schließen sich im zweiten Teil des Kapitels an, ehe die Analyseergebnisse der erhobenen Daten und damit das Kernstück der vorliegenden Arbeit präsentiert und zur Überprüfung der formulierten Hypothesen herangezogen werden.

Die kritische Diskussion der Ergebnisse, ein zusammenfassendes Fazit sowie ein Ausblicksowohl in Hinsicht auf die Anwendung der DITF-Technik als auch weiterer Forschungsschwerpunkte bilden den Schlussteil der vorliegenden Arbeit, die dem Bereich der Markt- und Werbepsychologie zuzuschreiben ist, da ihre Ausführungen psychologische Prozesse und deren Anwendung in einem wirtschaftlichen Umfeld betrachten, die konkret auf die Erhöhung des Absatzes von Unternehmen ausgerichtet sind (vgl. Rosenstiel & Neumann, 1991). Hingewiesen sei abschließend noch darauf, dass zur Wahrung der Übersichtlichkeit innerhalb dieser Arbeit als Bezeichnung von Personengruppen – wie in etwa Verkäuferin und Verkäufer – lediglich die männliche Form verwendet wird, die weibliche Variante sei dabei selbstverständlich stets mit gemeint.

2 Theoretische Grundlagen

2.1 Grundlegende Kennzeichnung der Door-in-the-face-Technik

Die Door-in-the-face-Technik stellt nachweislich ein geeignetes Instrument zur Beeinflussung der Verhaltensweisen anderer Menschen dar (Mowen & Cialdini, 1980; vgl. auch Pascual & Guéguen, 2005 sowie O’Keefe & Hale, 2001) und ist somit als Hilfsmittel der sozialen Einflussnahme zu kennzeichnen (O’Keefe & Hale, 1998). Welche Methodik der DITF-Technik dabei zugrunde liegt, steht im Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen. Dabei nähert sich zunächst der Abschnitt 2.1.1 anhand einer Begriffsbestimmung der Vorgehensweise dieser Überzeugungstaktik. Anschließend dienen die Ausführungen des Kapitels 2.1.2 einer kurzen ethischen Betrachtung des Beeinflussungsprozesses, indem sie die DITF-Technik als eine persuasive Maßnahme weiterführend von den negativ besetzten Tatbeständen der Nötigung und der Manipulation abgrenzen.

2.1.1 Begriffsbestimmung und theoretische Einordnung der Door-in-the-face-Technik

Unter den zahlreichen Überzeugungstaktiken, die zur sozialen Einflussnahme gebraucht werden, nimmt die DITF-Technik allein wegen ihrer Namensgebung eine exponierte Stellung ein (Perloff, 2008). Das Bild einer sprichwörtlich in das Gesicht des Gegenübers geschlagenen Tür stellt zugegebenermaßen eine sehr treffende Beschreibung ihrer Vorgehensweise dar (vgl. dazu nachfolgend: Cialdini et al., 1975, siehe u.a. auch Felser, 2007; Weyant, 1996). Ihr Grundwesen besteht nämlich darin, zunächst eine extrem hohe Anfrage zu stellen, die mit Sicherheit Ablehnung findet. Erst anschließend – nachdem die erste Forderung durch den Adressaten Zurückweisung fand – wird eine moderate Bitte, deren Erfüllung von Beginn an als wünschenswert angesehen wurde, hervorgebracht. Weniger dramatische Bezeichnungen wie rejection-then-moderation-procedure (Cialdini et al., 1975), reciprocal concessions procedure (Cialdini & Trost, 1998) oder Neuverhandeln-nach-Zurückweisungs-Taktik (Cialdini, 2002), unter denen die DITF-Technik in der Literatur alternativ zu finden ist, spiegeln das grundsätzliche Vorgehen dieser Beeinflussungstaktik ebenfalls wider.

Die DITF-Technik stellt eine Strategie zur Erzielung von Compliance dar (Martens, Kelly & Diskin, 1996). Compliance bezieht sich dabei stets auf eine Verhaltensänderung, die durch eine konkrete Forderung ausgelöst wird (Cialdini & Goldstein, 2004) und ist somit von altruistischem Verhalten zu unterscheiden, da dieses eine freiwillige Handlung ohne vorherige Aufforderung widerspiegelt (Foehl & Goldman, 1983). Darüber hinaus ist Compliance als Verhalten, das auch als Fügsamkeit bezeichnet wird, vom Begriff der Akzeptanz abzugrenzen: Fügsame Handlungsweisen repräsentieren lediglich eine kurzzeitige Anpassung an die Forderung, während Akzeptanz mit einer tatsächlichen Einstellungsänderung einhergeht (Wiswede, 2004). Primäres Ziel der Anwendung von Compliancetechniken besteht also darin, eine Zustimmung zu einer spezifischen Anfrage zu erhalten, ohne dabei eine Modifizierung langfristig ausgerichteter Einstellungen zu berücksichtigen (Boster, Mitchell, Lapinski, Cooper, Orrego & Reinke, 1999; Mowen & Cialdini, 1980).

Die Untersuchung des Themengebiets „Compliance“ konzentriert sich beinahe ausschließlich auf Zwei-Personen-Interaktionen und damit auf den Sachverhalt des sozialen bzw. zwischenmenschlichen Einflusses (Gass & Seiter, 2007; Dillard, Anderson & Knobloch, 2002). Der Schwerpunkt wird dabei nicht auf die gegenseitige Beeinflussung der Interaktionspartner gelegt, sondern vielmehr auf das Verhalten des Senders (Gass & Seiter, 2007) – stets verbunden mit dem Ziel, die eigenen Pläne und Absichten zu realisieren (Nerdinger, 2001). So handelt es sich auch bei der DITF-Technik um eine geplante, vorgefertigte Verfahrensweise, durch die der Forderungssteller versucht, die Interaktion der Gesprächspartner zu kontrollieren (vgl. im Folgenden: Dillard, Anderson & Knobloch, 2002). Einfluss wird somit primär einseitig ausgeübt, verbunden mit der Intention, eine bestimmte Verhaltensweise des Gegenübers auszulösen.[6] Ein Vorteil der DITF-Technik besteht darin, dass ihre Anwender ohne Ausübung von offenkundigem Druck beeinflussend wirken können, indem sie den zu Beeinflussenden während der gesamten Prozedur einen freien Entscheidungsspielraum gewähren (Pascual & Guéguen, 2005; Cialdini & Goldstein, 2004).

Zur Erreichung seiner Ziele geht der Anwender der DITF-Technik wie beschrieben in zwei Schritten vor. Techniken, die mehrere Botschaften in geplanter Reihenfolge einsetzen, werden als sequenzielle oder multiple Anfragen zur Erlangung von Compliance bezeichnet (vgl. O’Keefe, 2002; Hale & Laliker, 1999) und sind der Gruppe der „message factors“ (O’Keefe, 2002, S. 215) bzw. „message strategies“(Dillard, Hunter &Burgoon, 1984, S.461) des Überzeugens zuzuordnen.[7] Die erste Anfrage soll dabei einen Verhaltensprozess initiieren, der die Zustimmung zur zweiten wahrscheinlicher macht (Wang, Brownstein & Katzev, 1989). Die Anwendung von Strategien mit sequenziellen Charakter[8] beruht also auf dem Glauben, dass die Befolgung der von Anfang an gewünschten Forderung am Ende des zweistufigen Prozesses eher eintritt als bei einer einfach vorgetragenen Bitte (Abrahams & Bell, 1994; Tybout, Sternthal & Calder, 1983). Somit wird deutlich, „Persuasion, quite frequently, is a process that requires that a number of steps be enacted in the right order.“(Gass & Seiter, 2007, S. 208)

2.1.2 Ethische Gesichtspunkte der Door-in-the-face-Technik

Generell ist der Prozess des Beeinflussens als wertfrei anzusehen (Rosenstiel & Neu­mann, 1991). Dennoch wird dem Überzeugen anderer häufig ein unethisches Ausmaß vorgeworfen (Gass & Seiter, 2007). Auch wenn ethische Fragen im Rahmen des Beein­flussens häufig sehr kompliziert sind (Simons, Morreale & Gronbeck, 2001), soll eine nähere Betrachtung dieser Thematik Aufschluss darüber geben, ob die DITF-Technik als eine angewandte Form beeinflussender Maßnahmen als unethisch bzw. unmoralisch zu werten ist. Dazu bedarf es zunächst einer genaueren Betrachtung, was den Überzeugungs- bzw. Beeinflussungsprozess ausmacht. O’Keefe (2002) identifiziert sechs Merkmale, die jeder echten Überzeugung[9] beiwohnen. So lässt sich von einer Beeinflussung sprechen, sobald (a) ein Beeinflussungsziel sowie (b) ein Vorhaben, dieses Ziel zu erreichen, besteht. Darüber hinaus liegt eine Beeinflussung erst dann vor, wenn (c) der Versuch zur Einflussnahme tatsächlich erfolgreich war, indem (d) eine Veränderung zumindest im mentalen Standpunkt des Beeinflussten realisiert wurde[10],herbeigeführt durch (e) eine Art von Kommunikation. Als letzter Faktor muss (f) ein gewisses Maß an Freiheit in Form eines freien Willens, einer freien Auswahl oder ähnlichem für den Beeinflussten bestehen, damit von einer persuasiven Maßnahme gesprochen werden kann (vgl. zu ähnlichen Definitionen u.a. auch Perloff, 2008; Gass & Seiter, 2007).

Gerade die letztgenannte Bedingung spielt zur Differenzierung zwischen einer persuasiven Maßnahme und dem Tatbestand der Nötigung [11] die entscheidende Rolle (vgl. zur ausführlichen Darstellung dieser Thematik: Perloff, 2008). Der Prozess des Überzeugens findet stets in einem Umfeld freier Entscheidungsmöglichkeiten statt, in dem der Beeinflusste fähig ist, dem Beeinflussungsversuch zu widerstehen. Nötigung hingegen lässt sich durch das Auftreten folgender konstituierender Merkmale beschreiben (vgl. Feinberg, 1998; siehe ergänzend auch: Simons, Morreale & Gronbeck, 2001):

1. Der Einfluss wird unter der Androhung von Konsequenzen ausgeübt.
2. Der Beeinflussende versucht sein Gegenüber zu einer Handlung gegen dessen Überzeugungen zu bewegen.
3. Der Einfluss findet unter starker Einschränkung der Freiheit des Beeinflussten statt.

Sowohl Perloff (2008) als auch Gass & Seiter (2007) weisen darauf hin, dass die Linie zwischen Beeinflussung und Nötigung manchmal fließend sein kann und eine Bewertung häufig im Auge des Betrachters liegt. Da die DITF-Technik jedoch eine persuasive Maßnahme darstellt, die ohne Ausübung von öffentlichem Druck abläuft und dabei dem Beeinflussten stets die Möglichkeit bietet, den Forderungen nicht nachzukommen (Pascual & Guéguen, 2005), ist sie in keinem Fall als Nötigung anzusehen.

Ist eine Abgrenzung zum Bereich der Nötigung noch relativ leicht vorzunehmen, so erscheint dies zum Thema der Manipulation bereits schwieriger, werden beeinflussende Maßnahmen häufig doch mit dieser gleichgesetzt (Hewstone & Martin, 2007; Gass & Seiter, 2007;Rosenstiel & Neumann, 1991). Da das Beeinflussen anderer Menschen allerdings einen Tatbestand darstellt, der ständig zwischen Menschen abläuft (Woll, 1998), scheint es angebracht, „Manipulation als eine spezifische Form der Beeinflussung von anderen Formen wenigstens akzentuierend abzuheben.“ (Rosenstiel & Neumann, 1991, S. 34, Hervorhebung im Original enthalten). Soll nun eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob der Einfluss durch die DITF-Technik als Manipulation zu werten ist, so bedarf es in einem ersten Schritt der Kennzeichnung dieses Begriffs. Den Ausführungen von Rosenstiel & Neumann (1991) folgend werden manipulative Handlungsweisen durch vier Punkte bestimmt:

1. Der Einfluss durch den Beeinflussenden erfolgt bewusst und zur Sicherstellung des eigenen Vorteils.
2. Mit seinem Beeinflussungsversuch nimmt der Beeinflussende keinerlei Rücksicht auf den Vorteil des Gegenübers.
3. Zur Sicherstellung des Einflusses werden bewusst Techniken gebraucht, die durch den Beeinflussten entweder gar nicht oder aber nur zum Teil erfasst werden können.
4. Obwohl eine faktische Beeinflussung vorlag, behält der Beeinflusste weiterhin den Eindruck, seine Handlung aus freien Stücken getätigt zu haben.

Werden diese Merkmale zur Bewertung der DITF-Technik herangezogen, sind auf den ersten Blick drei der vier Bedingungen der Manipulation erfüllt (vgl. dazu die Ausführungen bezüglich Manipulation von Nerdinger, 2001): So versucht der Beeinflussende durch den bewussten Einsatz der Technik (Bedingung 3), einen Vorteil für sich herauszuholen (1. Merkmal, z.B. Erhöhung von Spendenzahlungen, Verkauf einer größeren Anzahl von Produkten). Dabei gibt der Beeinflusste seine Zustimmung zur zweiten Anfrage unter dem Eindruck, frei zu handeln (4. Merkmal, vgl. Pascual & Guéguen, 2005). Nicht ganz so eindeutig ist hingegen die Bestätigung der zweiten Bedingung. Zwar lässt sich davon ausgehen, dass der Beeinflussende zur Erreichung seiner Ziele nicht auf den Vorteil des Beeinflussten explizit achtet, allerdings ist dadurch nicht unmittelbar zu schlussfolgern, dass dies zu einem Nachteil des Beeinflussten führt.[12] Somit lässt sich anhand der Manipulationskriterien von Rosenstiel & Neumann nicht eindeutig klären, ob die DITF-Technik als manipulierend anzusehen ist. Eine endgültige Entscheidung scheint situationsabhängig und beobachterspezifisch.

Zweckmäßig zur abschließenden Beurteilung persuasiver Maßnahmen erscheint die Ansicht von Gass & Seiter (2007). Ihren Ausführungen folgend lässt sich die moralische Qualität des Beeinflussens vordergründig nicht von den verwendeten Überzeugungsmittel, sondern vielmehr von den Absichten ihrer Anwender ableiten. Eine Strategie für sich genommen ist grundsätzlich als neutral einzustufen, erst durch die Paarung mit einem bestimmten Motiv lässt sich eine Wertung vornehmen. So soll gemäß der Worte der Autoren geschlussfolgert werden: „We don’t deny that persuasion can be used in manipulative ways. Persuasion is a tool. Tools can be misused. In such cases, however, one should blame the tool’s user, not the tool.“ (S. 349)

2.2 Schlüsselbedingungen zur Anwendung der Door-in-the-face-Technik

Wie anhand der Ausführungen des Kapitels 2.1.1 dargelegt, wird mithilfe der DITF-Technik schrittartig in einem zweistufigen Prozess Einfluss ausgeübt. Dieser Vorgang unterliegt allerdings gewissen Bedingungen, in denen Variablen auf den Zusammenhang zwischen der Anwendung der DITF-Technik und der Erhöhung von Compliance einwirken (Weyant, 1996). Diese werden auch als Moderatoren[13] der DITF-Technik bezeichnet. Die Metaanalysen von O’Keefe & Hale (2001, 1998) identifizieren fünf moderierende Schlüsselvariablen, die allesamt für sich genommen einen signifikanten Einfluss auf die Wirksamkeit der DITF-Technik ausüben. Diese sind übersichtshalber in Abbildung 1 dargestellt und werden im Folgenden erläutert.[14]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Schlüsselmoderatoren der Door-in-the-face-Technik

(Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung O’Keefe & Hale, 2001, S. 35)

Bereits in der ersten Untersuchung der DITF-Technik durch Cialdini et al. (1975) konnte nachgewiesen werden, dass die Anwendung der DITF-Technik ausschließlich dann zu erhöhten Zustimmungsraten führt, wenn sowohl die erste, große als auch die anschließende kleinere Forderungen von derselben Person vorgetragen werden. Diverse Metaanalysen unterstützen zudem diese Feststellung (vgl. Dillard, Hunter & Burgoon, 1984; Fern, Monroe & Avila, 1986 sowie O’Keefe & Hale, 1998). Die Bedeutung dieses Moderators wird zusätzlich dadurch unterstrichen, dass sich die Verwendung unterschiedlicher Forderungssteller im Durchschnitt sogar signifikant negativ auf die erfolgreiche Durchführung der DITF-Technik auswirkt (vgl. O’Keefe & Hale, 2001). In diesem Zusammenhang weisen O’Keefe & Hale (1998, 2001) zudem darauf hin, dass neben der Gleichheit des Forderungsstellers auch die Konsistenz bezüglich des Begünstigten [15] für das Auftreten des erwünschten DITF-Effekts über beide Forderungen hinweg gewahrt werden muss.

Darüber hinaus liegen Erkenntnisse dahingehend vor, dass die persönliche Anwesenheit des Forderungsstellers einen positiven Einfluss auf den DITF-Effekt besitzt und somit „face-to-face“-Situationen gegenüber telefonischen Anfragen vorgezogen werden (vgl. O’Keefe & Hale, 1998). Allerdings bedeutet dies im Umkehrschluss nicht zwangsläufig, dass die DITF-Technik ohne eine direkte Interaktion zwischen Forderungssteller und -empfänger keinen Erfolg zeigt. So konnte sie in jüngeren Untersuchungen u.a. im Rahmen eines webbasierten Ansatzes zur Sammlung von Spenden (vgl. Guéguen, 2003) sowie einer telefonischen Anfrage zur Teilnahme an einem Rassismusseminar (vgl. Rodafinos, Vucevic & Sideridis, 2005) erfolgreich eingesetzt werden.

Ein weiterer Faktor, der die Wirksamkeit der DITF-Technik beeinflusst, ist in der Zeitspanne zwischen den beiden Anfragen zu sehen (vgl. u.a. Abrahams & Bell, 1994). So ist der Effekt der DITF-Technik nicht nur größer, wenn sich die zweite Forderung unmittelbar an die erste anschließt (O’Keefe & Hale, 2001). Liegt eine Pause von mehr als einem Tag zwischen den Bitten, so ist der Metaanalyse von Dillard, Hunter & Burgoon (1984) folgend die Technik gänzlich uneffektiv (vgl. zu diesem Ergebnis auf Einzelebene auch die Untersuchungen von Cann, Sherman & Elkes, 1975 sowie Shanab & O’Neill, 1979). Eine Pause zwischen den Anfragen scheint es dem Empfänger zu erschweren, einen Zusammenhang zwischen den beiden Forderungen zu erkennen (Shanab &Isonio, 1980).

Zuletzt sei noch auf einen für die empirische Untersuchung dieser Arbeit wesentlichen Moderator eingegangen. Damit die DITF-Technik einen signifikant positiven Effekt erzielt, bedarf sie der Anwendung hinsichtlich prosozialer Themen (Dillard, Hunter & Burgoon, 1984). Ebenso belegen die Überblickstudien von O’Keefe & Hale (2001, 1998), dass bei Vorliegen von Forderungen, die einem nichtsozialen Anliegen entsprechen, die DITF-Technik im Durchschnitt über alle Studien keinen Effekt aufweist. Allerdings besteht hinsichtlich dieses Moderators keine Einigkeit in der Literatur (vgl. Dillard, 1991; Fern, Monroe & Avila, 1986). So sieht z.B. Patch (1986) in den Ergebnissen seiner Untersuchung einen starken Widerspruch zu den Schlüssen der Metaanalyse von Dillard, Hunter & Burgoon (1984).[16]

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die fünf präsentierten Moderatoren einen enormen Einfluss auf die Wirkung der DITF-Technik ausüben können. „When any of the five key moderators was not optimal for DITF effects, the obtained mean effect size was not significantly positive.“ (O’Keefe & Hale, 1998, S. 21). Einschränkend erwähnen die Autoren jedoch, dass zum einen die optimale Ausgestaltung aller fünf Moderatorvariablen keine Garantie für einen positiven DITF-Effekt liefert. Zum anderen ist es im Rahmen der DITF-Technik ebenso möglich, unter teilweiser Nichtberücksichtigung der benannten Moderatorbedingungen Zustimmungsraten zu steigern.

2.3 Erklärungsansätze der Wirksamkeit der Door-in-the-face-Technik

Die DITF-Technik stellt wie beschrieben eine Methode zur Steigerung von Compliance dar. Zwar ist in der Literatur deren Wirkungskraft unbestritten, es besteht jedoch keine Einigkeit über die Mechanismen, die der Technik zugrunde liegen und somit den DITF-Effekt erklären. Um die Wirkungsweise dieser Überzeugungstaktik zu verdeutlichen, stehen mehrere Erklärungsansätze bereit (vgl. zu Übersichtszwecken u.a. Lecat, Hilton & Crano, 2009; Guéguen, 2003; O’Keefe & Hale, 1998). Dabei ist allerdings auffällig, das bislang keines der im Folgenden vorgestellten Konzepte vollständig belegen kann, warum im Rahmen des sequentiellen Vorgehens der DITF-Technik die Ablehnung einer zunächst großen Bitte zur Erhöhung der Zustimmungsraten bezüglich einer zweiten, kleineren Forderung führt (vgl. Cialdini & Goldstein, 2004). In den beiden nachstehenden Unterkapiteln werden insgesamt fünf Erklärungsversuche, die in der Literatur besondere Beachtung gefunden haben, vorgestellt und u.a. anhand der in Kapitel 2.2 eingeführten Moderatorvariablen kritisch diskutiert.

2.3.1 Die Norm reziproker Zugeständnisse als Schlüsselmechanismus

Der gängigste Ansatz zur Erklärung der Wirksamkeit der DITF-Technik basiert auf der Grundlage einer Reziprozitätsnorm und wird bereits in der Ursprungsuntersuchung von Cialdini et al. (1975) als zugrunde liegender Mechanismus der DITF-Technik diskutiert. Reziprozität stellt eine der stärksten sozialen Gesetzmäßigkeiten dar, die in allen menschlichen Kulturen existiert (Nerdinger, 2001; Gouldner, 1960). Sie wirkt wie eine implizite Regel, das zurückzugeben, was man zuvor von anderen bekommen hat (Cialdini, 2002). Die Bezeichnung des Gesetzes der Reziprozität als „moralisches Gedächtnis der Menschheit“ (Levine, 2003, S. 101) unterstreicht die Bedeutung dieser sozialen Norm innerhalb der Gesellschaft. Ihre Wirkungsweise entfaltet die Reziprozitätsnorm durch zwei zentrale Prozesse (vgl. hier und im Folgenden: Whatley, Webster, Smith & Rhodes, 1999; vgl. dazu auch Cialdini, 2002). So folgen Personen der Norm zum einen aufgrund einer stark internalisierten Ansicht, dass der wechselseitige Prozess von Geben und Nehmen den richtigen Umgang untereinander widerspiegelt (private Reziprozität). Zum anderen besitzt die Norm der Reziprozität einen öffentlichen Aspekt, der einen gesellschaftlichen Druck zu gegenseitigen Zugeständnissen aufbaut, um zukünftige soziale Beziehungen nicht zu gefährden. Dass eine solche Norm tatsächlich in der menschlichen Gesellschaft vorhanden ist, belegen zahlreiche experimentelle Studien (Cialdini, Green & Rusch, 1992; siehe zu Überblickszwecken u.a. Cialdini & Sagarin, 2005; Whatley et al., 1999). So zeigt u.a. Regan (1971), dass die Zustimmung zu einer Bitte alleine durch das Ausrichten eines (ungewollten) Gefallens gesteigert werden kann und erklärt dies mit einem Verpflichtungsgefühl des Empfängers, diesen Gefallen zu erwidern. Darüber hinaus lassen sich reziproke Handlungsweisen im Rahmen von verhandelnden Situationen, in denen Zugeständnisse der einen Seite durch ein Entgegenkommen der anderen belohnt werden, nachweisen (Perugini, Gallucci, Presaghi & Ercolani, 2003; vgl. dazu auch die Untersuchungen von Benton, Kelley & Liebling, 1972 sowie Gallucci & Perugini, 2000).

Auf solche Verhandlungssituationen stützen Cialdini und Kollegen ebenso die Erklärung des DITF-Effekts anhand einer Variation der Reziprozitätsnorm (vgl. dazu und nachfolgend: Cialdini et al., 1975). Der Rückzug des Forderungsstellers von einer sehr großen auf eine moderate Bitte, der das Vorgehen der DITF-Technik kennzeichnet, lässt sich als Zugeständnis ansehen. Dieses auch als Konzession bezeichnete Entgegenkommen sollte gemäß der Reziprozitätsnorm ebenfalls durch ein Zugeständnis der anderen Seite beantwortet werden. Cialdini et al. formulieren zur Verdeutlichung des Sachverhalts eine Norm reziproker Zugeständnisse: „You should make concessions to those who make concessions to you.“ (S. 206) Liegt eine Situation vor, in der lediglich zwischen zwei Antwortmöglichkeiten gewählt werden kann (z.B. Zustimmung vs. Nichtzustimmung; Kauf vs. Nichtkauf), besteht der einzige Weg zur Erwiderung des Entgegenkommens darin, von einer zunächst ablehnenden Position bezüglich des ersten, sehr großen Angebots auf eine zustimmende hinsichtlich der zweiten, moderaten Bitte umzuschwenken.

Der Erklärungsansatz der reziproken Zugeständnisse hat in der Forschungsliteratur breiten Zuspruch gefunden (vgl. u.a. Lecat, Hilton & Crano, 2009; Reeves, Baker, Boyd & Cialdini, 1991). So wurden Bedingungen zur erfolgreichen Anwendung der DITF-Technik identifiziert, die mit einer Erklärung der Compliancesteigernden Taktik anhand reziproker Zugeständnisse einher gehen (vgl. zu Übersichtszwecken z.B. Cialdini & Trost, 1998; Abrahams & Bell, 1994). Im Einzelnen weisen bereits Cialdini et al. (1975) darauf hin, dass die Formulierung eines Zugeständnisses in Form einer zweiten, kleineren Bitte essentiell für den Erfolg der DITF-Technik ist. Darüber hinaus dient die Erkenntnis, dass eine größere Zeitspanne zwischen der ersten und zweiten Forderung den DITF-Effekt verringert (siehe Kapitel 2.2), der Bestätigung des Reziprozitätsansatzes (vgl. Cann, Sherman & Elkes, 1975). Eine zweite, sehr spät vorgetragene Bitte wird demnach nicht mehr als rechtmäßiges Zugeständnis des Forderungstellers angesehen, sondern vielmehr als eine neue, eigenständige Anfrage (vgl. Mowen & Cialdini, 1980). Für den Adressaten der Forderung besteht aus diesem Grund keine soziale Verpflichtung, diese mit einem Entgegenkommen seinerseits zu erwidern (Cialdini & Goldstein, 2004). Ebenso dient der starke positive Einfluss eines gleichbleibenden Forderungsstellers auf den DITF-Effekt (vgl. u.a. Dillard, 1991 sowie die weiterführenden Angaben des Kapitels 2.2) als ein weiterer Aspekt zur Bestätigung des Ansatzes reziproker Zugeständnisse (Cialdini et al., 1975). Nur wenn die Person, die zuvor eine sehr große Bitte vortrug, mit einer abgeschwächten Anfrage ihr Entgegenkommen signalisiert, kann der Empfänger der Bitte die zweite Anfrage als Konzession wahrnehmen und ist somit bereit, auf diese mit einem Zugeständnis seinerseits im Rahmen der Reziprozitätsnorm zu reagieren (Perloff, 2008; Abrahams & Bell, 1994).

Zwar stellt die soziale Norm der Reziprozität die gängigste Erklärung zur Begründung der Wirksamkeit der DITF-Technik dar (Turner, Tamborini, Limon &Zuckermann-Hyman, 2007), jedoch finden sich in der Literatur ebenso Erkenntnisse, die gegen einen Nachweis des DITF-Effekts anhand reziproker Zugeständnisse sprechen. So verweisen u.a. Tusing & Dillard (2000), O’Keefe & Hale (2001, 1998) sowie Fern, Monroe & Avila (1986) darauf, dass die Größe des Zugeständnisses[17] keinen Einfluss auf den DITF-Effekt hat. Ihren Interpretationen folgend müsste ein stärkeres Zugeständnis gemäß der Reziprozitätsnorm jedoch das Entgegenkommen des Adressaten wahrscheinlicher werden lassen, was wiederum zu einem stärker ausgeprägten DITF-Effekt führen sollte. Diesen Kritikpunkt relativieren Cialdini & Goldstein (2004) allerdings, indem sie betonen, dass bei einer dichotomen Entscheidungsmöglichkeit des Adressaten „any retreat sizeable enough to be perceived as a genuine concession will activate the mechanism for a concession in return.“ (S. 600)[18] Zweifel an der Reziprozitätsnorm zur Erklärung der Wirksamkeit der DITF-Technik werden zudem auf der Tatsache gestützt, dass anhand dieses Ansatzes nicht die Vorteilhaftigkeit prosozialer Forderungen erklärt werden kann (O’Keefe & Hale, 1998; vgl. Kapitel 2.2). Dies widerspricht der impliziten Annahme der Reziprozitätserklärung, unabhängig von der Art der Forderung stets ein Entgegenkommen der anderen Seite mit einem persönlichen Zugeständnis zu erwidern (Tusing & Dillard, 2000). Zusätzliche Kritik liefern darüber hinaus Studien, die explizit die Messung von Verpflichtungsgefühlen in ihre Arbeiten einbeziehen. Sie belegen, dass die Anwendung der Door-in-the-face-Technik entweder nicht zu einem erhöhten Auftreten von Verpflichtungsgefühlen – wie es im Rahmen des Reziprozitätsansatzes postuliert wird – beiträgt (vgl. Millar, 2002a) oder aber Gefühle dieser Art, die durch die Kennzeichnung der zweiten Forderung als Zugeständnis entstehen, nicht mit
Compliance einhergehen (vgl. Abrahams & Bell, 1994).

Auch wenn der Reziprozitätsansatz als zu unbestimmt kritisiert wird, so weist er dennoch weiterhin viele Anhänger auf (Dillard, Anderson & Knobloch, 2002). Speziell Hale & Laliker (1999) verteidigen in ihrem Beitrag die Erklärung des DITF-Effekts mittels reziproker Zugeständnisse, indem sie u.a. methodische Schwächen der Metaanalysen anbringen und alternative Ansichten hinsichtlich der kritisierten Schwachpunkte der Reziprozitätsnorm präsentieren.[19] Dennoch sollen aufgrund der dargelegten Zweifel an der Erklärungsgüte der Norm gegenseitiger Zugeständnis im folgenden Abschnitt weitere, zum Teil gegensätzliche argumentierende Ansätze hinsichtlich der Wirksamkeit der DITF-Technik aufgezeigt und kritisch gewürdigt werden.

2.3.2 Alternative Ansätze zur Belegung des Door-in-the-face-Effekts

Da die Reziprozitätserklärung nicht zur vollständigen Zufriedenheit den Wirkmechanismus der DITF-Technik darlegen kann, stehen seit jeher alternative Ansätze zur Belegung des DITF-Effekts im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Wie in Abbildung 2 ersichtlich, lassen sich diese in Anlehnung an Lecat, Hilton & Crano (2009) zur besseren Übersichtlichkeit in zwei Gruppen aufteilen.[20] Während sich kognitive Erklärungsansätze auf die Vorgänge innerhalb des Empfängers beziehen, stützen sich soziale Erklärungsansätze auf zwischenmenschliche Phänomene zum Nachweis des DITF-Effekts.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Alternative Erklärungsansätze des Door-in-the-face-Effekts

(Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Lecat, Hilton & Crano, 2009, S. 180f.)

Selbstpräsentation

Menschen streben danach, von ihrer Umgebung nicht als taktlos, sondern als helfendes Individuum angesehen zu werden (vgl. dazu und nachfolgend: Pendleton & Batson, 1979). Insbesondere bei Vorliegen prosozialer Forderungen wird im Selbstpräsentationsansatz eine weitere Erklärungsmöglichkeit für die Wirksamkeit der DITF-Technik gesehen. Demnach führt die Ablehnung einer ersten Bitte zu Bedenken auf Seiten des Adressaten, in einem negativen Licht wahrgenommen zu werden. Um den Wunsch nach einer positiven Selbstpräsentation anschließend aufrecht zu erhalten, steigt die Bereitwilligkeit, einer zweiten, moderaten Forderung nachzugeben. Vergleichbar zum Reziprozitätsansatz passen ebenfalls die Moderatoren des gleichen Forderungsstellers sowie der Zeitspanne zwischen den Anfragen in das Erklärungskonzept der Selbstpräsentation (vgl. Bell, Abrahams, Clark & Schlatter, 1996). Darüber hinaus bestünde bei einer Bestätigung dieses Erklärungsansatzes nicht wie beim Reziprozitätsansatz das Problem, die fehlende Auswirkung der Größe des Zugeständnisses auf den DITF-Effekt deuten zu müssen (vgl. ebenda).

Wie allerdings sowohl Lecat, Hilton & Crano (2009) als auch O’Keefe & Hale (1998) anführen, besteht wenig empirische Unterstützung zur Aufrechterhaltung dieses Erklärungsansatzes. So scheitern Reeves et al. (1991) daran, die Ergebnisse von Pendleton & Batson (1979) nachzubilden. Dabei betonen sie, dass in der ursprünglichen Untersuchung zur Selbstpräsentationshypothese die Anwendung der DITF-Technik zwar verstärkte Bedenken hinsichtlich der Selbstdarstellung hervorruft, jedoch keine Anstrengungen unternommen werden, zu zeigen, dass diese Bedenken auch zu einer erhöhten Zustimmungsrate führen. Insbesondere der Versuch, einen solchen praktischen Effekt anhand der Argumentation des Selbstpräsentationsansatzes zu ermitteln, scheitert in der Untersuchung von Reeves et al. (1991). Vergleichbares berichten auch Abrahams & Bell (1994), die feststellen, dass bei Anwendung der DITF-Technik Imagebedenken zwar auftreten, sobald eine zukünftige Interaktion mit dem Forderungssteller erwartet wird, diese allerdings nicht zu erhöhter Compliance führen.

Eine neue Sichtweise auf die Theorie der Selbstwahrnehmung stellt Murray Millar
bereit (vgl. dazu im Folgenden: Millar, 2002a). So sei die fehlende empirische Unterstützung dieses Erklärungsansatzes möglicherweise auf die jeweiligen Untersuchungssituationen zurückzuführen, da stets für den Empfänger fremde Personen die DITF-Technik anwandten. Unter Bekannten sei dagegen aufgrund längerer und weitreichenderer Interaktionsbeziehungen von einem erhöhten Selbstpräsentationsdruck auszugehen. Millars Ergebnisse belegen diese Vermutung, indem sie nachweisen, dass die Teilnehmer der DITF-Bedingungen stärkere Sorgen bezüglich der Selbstdarstellung äußern, sobald eine bekannte Person als Forderungssteller in Erscheinung tritt und diese sowohl mit erhöhter verbaler als auch verhaltenswirksamer Zustimmung einhergehen. Zusammenfassend äußert Millar, dass der Selbstpräsentationsmechanismus nicht die einzige Möglichkeit darstellt, DITF-Effekte zu erklären. Trotzdem belegen die Ergebnisse, „that the self-presentation mechanism is important in the door-in-the-face
procedure when a friend makes the request.“ (S. 303f.)

Schuld

Ebenfalls durch soziale Prozesse ist derschuldbasierte Ansatz von O’Keefe & Figgé (1997) geprägt (vgl. dazu auch Millar, 2002b). Der Sichtweise der Autoren folgend baut sich durch die Ablehnung der ersten Bitte ein Schuldempfinden[21] im Forderungsempfänger auf. Durch die unmittelbar folgende Präsentation der zweiten Anfrage bietet sich ihm jedoch die Möglichkeit, das als unangenehm empfundene Gefühl durch seine Zustimmung zu dieser wieder abzubauen. Ein solcher Prozess des Erregens und anschließenden Reduzierens von Schuld stellt somit den zugrunde liegenden Mechanismus zur Erklärung des DITF-Effekts dar.[22] Gemäß den Überlegungen von O’Keefe &Figgé lässt sich die Wirksamkeit der DITF-Technik durch all das steigern, was entweder zu einem Schuldaufbau bezüglich der ersten Bitte oder aber zu einem Schuldabbau durch die zweite Bitte beiträgt.

Die Stärke des schuldbasierten Erklärungsansatzes wird vordergründig in seiner Vereinbarkeit mit den Schlüsselmoderatoren der DITF-Technik gesehen(O’Keefe & Hale, 1998). Insbesondere die Vorteilhaftigkeit prosozialer Forderung lässt sich – neben weiteren Moderatoren[23] – anhand eines schuldbasierten Ansatzes nachvollziehbar erklären: So führe auf der einen Seite die Ablehnung der ersten Anfrage in einem sozialen Kontext zu einem höheren Ausmaß an Schuldgefühlen als bei nichtsozialen Forderungen (O’Keefe & Hale, 1998), das Befolgen der zweiten Bitte auf der anderen Seite wiederum zu einem stärkeren Abbau der Schuldgefühle, sobald es sich um einen prosozialen Grund handelt (O’Keefe & Figgé, 1997; vgl. zu einem weiteren Nachweis: O’Keefe & Figgé, 1999). Kritiker des Ansatzes argumentieren hingegen, dass beim Vorhandensein schuldhafter Gefühle die Konsistenz des Forderungsstellers keinen Einfluss auf den DITF-Effekt haben dürfte, da die Befolgung einer zweiten Forderung – unabhängig vom Gegenüber – in jedem Fall zu einer Verringerung der negativen Empfindungen führen sollte (vgl. Dolinski, Nawrat & Rudak, 2001). Da ein gleichbleibender Forderungssteller aber als ein essentieller Moderator der DITF-Technik angesehen wird (vgl. die Ausführungen des Kapitels 2.2), verringert dieses Ergebnis den kritischen Ansichten von Cialdini & Goldstein (2004) folgend die Aussagekraft des schuldbasierten Ansatzes.

Schwierigkeiten des Nachweises einer tatsächlich empfunden Schuldreduzierung durch die Zustimmung zu einer zweiten Anfrage führten zu einer Überarbeitung des Konzeptes dahingehend, dass der DITF-Effekt nicht durch einen direkten, sondern antizipierten Schuldabbau hervorgerufen wird (vgl. O’Keefe & Figgé, 1999). Unterstützung erhält diese Sichtweise durch eine Arbeit von Millar (2002b), in der die Rolle von Schuld im Rahmen der DITF-Technik bestätigt wird. Die höchsten Raten an Compliance werden demnach sowohl hinsichtlich verbaler Zustimmung als auch tatsächlichen Verhaltens beobachtet, sobald die Ablehnung der Eingangsforderung mit starken Schuldgefühlen und die Zustimmung zur zweiten Bitte mit hoher, antizipierter Schuldreduktion verbunden sind.

Dialoginvolvement

Ein weiterer durch zwischenmenschliche Vorgänge determinierter Ansatz zur Erklärung der Wirksamkeit der DITF-Technik beruht auf dem Konzept des Dialoginvolvements (vgl. dazu nachfolgend Dolinski, Nawrat & Rudak, 2001). So führt – hervorgerufen durch den sequentiellen Charakter der DITF-Technik – die Verwicklung des Forderungsempfängers in ein Gespräch zur Steigerung der Compliancerate. Den Ergebnissen der Studie von Dolinski, Nawrat & Rudak folgend stellt die Involvierung in einen Dialog für sich selbst bereits eine effektive Technik der sozialen Beeinflussung dar. Darüber hinaus steht nach Meinung der Autoren ihr Ansatz im Einklang mit drei zentralen
Moderationseffekten der DITF-Technik, die bei den vorhergenannten Erklärungen zum Teil nur unbefriedigend gedeutet werden konnten. So sei es wenig überraschend, dass zum ersten die Größe des Zugeständnisses keinen Einfluss auf den DITF-Effekt besitzt, schließlich ist nicht das Entgegenkommen des Forderungsstellers, sondern der Dialog zwischen den Gesprächsteilnehmern entscheidend für die erhöhte Zustimmungsbereitschaft des Forderungsempfängers. Zudem lässt sich erklären, warum zur erfolg-reichen Anwendung der Technik beide Forderungen durch dieselbe Person hervorgebracht werden müssen. Nur unter dieser Bedingung entsteht überhaupt ein Dialog. Darüber hinaus ist die Ineffektivität der DITF-Prozedur belegbar, sobald die Anfragen zeitlich zu weit auseinander liegen, da dadurch ebenfalls kein Dialog zwischen den Gesprächspartner mehr vorliegt. Cialdini & Goldstein (2004) betrachten diesen Erklärungsansatz jedoch kritisch, da er den essentiellsten Fakt der DITF-Technik – nämlich dass die zweite Anfrage zwingend eine kleinere sein muss als die erste – nicht begründen kann.

Wahrnehmungskontrast

Als möglicher kognitiver Erklärungsansatz des DITF-Effekts wird das Phänomen des Wahrnehmungskontrasts angesehen, auch wenn es nur relativ wenig Beachtung in der Forschung gefunden hat (Millar, 2002b). So wird die zweite Bitte im Rahmen der DITF-Prozedur – verglichen mit der als Anker fungierenden großen ersten Anfrage – als kleiner wahrgenommen, als sie tatsächlich ist und löst somit den DITF-Effekt aus (vgl. Miller, Seligman, Clark & Bush, 1976). Unterstützt wird diese Sichtweise zudem durch die Arbeit von Shanab & O’Neill (1979), die zum Ausdruck bringt, „that perceived contrast is the critical factor influencing compliance.“ (S. 240)

Zieht man allerdings die bereits erwähnten Moderatorvariablen zur Überprüfung dieses Ansatzes heran, so erscheint eine Erklärung des zustimmungssteigernden Effekts mittels Wahrnehmungskontrast inakzeptabel: Demnach sind anhand eines wahrgenommenen Kontrasts nicht die Bedingungen bezüglich des gleichbleibenden Forderungsstellers sowie der Vorteilhaftigkeit eines prosozialen Umfelds erklärbar (vgl. O’Keefe & Hale, 1998). In den überprüfenden Studien von Goldman, McVeigh & Richterkessing (1984) sowie Abrahams & Bell (1994) findet eine Erklärung mittels Wahrnehmungskontrast darüber hinaus keine Bestätigung. Cantrill & Seibold (1986) beobachten ebenso, dass eine große erste Anfrage keinen Kontrasteffekt auszulösen vermag und somit keine kausale Verbindung zwischen einer Wahrnehmungsverschiebung und Compliance herzustellen ist.[24] Infolgedessen ist zu konstatieren, dass der DITF-Effekt kaum durch den Zugang des Wahrnehmungskontrasts allein zu erklären ist (Lecat, Hilton & Crano, 2009), auch wenn Dillard (1991) es womöglich zu früh hält, „to rule out the operation of perceptual processes as at least a partial account of sequential request effects.“ (S. 285) Als ergänzender, der Reziprozitätsnorm überlagernden Effekt wird er somit zum Teil weiterhin angesehen (vgl. Nerdinger, 2001).

[...]


[1] Der Begriff „Compliance“ lässt sich z.B. durch die Worte „Befolgen“ und „Nachgeben“ (Hewstone & Martin, 2007) sowie „Willfährigkeit“ (Cialdini, 2002) ins Deutsche übersetzen. Im Rahmen der Forschung hat sich allerdings auch im deutschsprachigen Raum die Verwendung des Terminus „Compliance“ etabliert.

[2] Käufermarkt-Verhältnisse sind typischer Weise dadurch gekennzeichnet, dass das Angebot die Nachfrage überwiegt und die Kunden somit eine große Auswahl an Alternativen haben (Bänsch, 2006; Nerdinger, 2001).

[3] Diese Angabe wurde nach Eingabe des Stichwortes „Door-in-the-face“ in die Datenbank „PsycInfo“ gewonnen.

[4] Die Steigerung der Zustimmungsrate zu einer Anfrage durch die Anwendung der DITF-Technik soll im Folgenden auch als Door-in-the-face-Effekt (DITF-Effekt) bezeichnet werden.

[5] Beispielsweise stellt die Taktik von Einzelhandelsverkäufern beim Vorstellen mehrerer Artikel von zunächst hochpreisigen zu etwas moderat gepreisten Produkten überzuleiten („talking the top of the line“) eine Anwendungsmöglichkeit der Technik dar (Cialdini, 2002).

[6] Nerdinger (2001) weist darauf hin, dass eine derartig einseitige Einwirkung auf den Gegenüber stets mit dem „Problem der Manipulation“ (S. 171) verbunden ist. Um diesen Hinweis Rechnung zu tragen, wird im anschließenden Abschnitt 2.1.2 näher auf die Frage eingegangen, ob die DITF-Technik als manipulative Maßnahme zu werten ist.

[7] Im Rahmen der Beeinflussung durch die Botschaft werden Überlegungen diskutiert, inwieweit z.B. der Aufbau der Argumentation, der Inhalt der Nachricht oder aber der Einsatz multipler Anfragen entscheidend für den Erfolg des Beeinflussungsversuchs sind (vgl. Gass & Seiter, 2007; O’Keefe, 2002). Weitere Kategorien des Einflusses sind in den Faktoren „Quelle“, „Kontext“ und „Empfänger“ der persuasiven Botschaft zu sehen (vgl. zu weiteren Ausführungen diesbezüglich O’Keefe, 2002).

[8] Weitere Beispiele multipler Anfragestrategien stellen z.B. die Foot-in-the-door-Technik (Freedman & Fraser, 1966) und die Disrupt-then-reframe-Technik (Davis & Knowles, 1999) dar. Verwiesen sei an dieser Stelle für einen Überblick an Überzeugungstaktiken auf Pascual & Guéguen (2005) sowie zu deren Vorgehensweise auf Perloff (2008).

[9] Der Zusatz des Adjektivs „echt“ bezieht sich dabei auf den Fakt, dass im Rahmen des Überzeugens und Beeinflussens zahlreiche Grenzfälle auftreten können, bei denen zumindest eine der zu nennenden Bedingungen nicht erfüllt ist (vgl. Gass & Seiter, 2007; O’Keefe, 2002).

[10] Auch wenn das Ziel einer beeinflussenden Maßnahme letztendlich häufig in einer Änderung von Verhaltensweisen besteht, so wird dieses in der Regel durch eine Veränderung der Denkweisen erreicht (O’Keefe, 2002).

[11] Eine Unterscheidung zwischen „Überzeugen“ und „Nötigen“ ist von Bedeutung, weil beide Begriffe Ausprägungsformen sozialer Einflussnahme darstellen (Perloff, 2008).

[12] Zur Veranschaulichung sei dafür das Beispiel der Spendengenerierung unter Anwendung der DITF-Technik betrachtet. Zwar ist die Zustimmung des Beeinflussten zur Anfrage des Forderungsstellers mit einer finanziellen Ausgabe und damit einem offensichtlichen Nachteil verbunden, allerdings erfüllt die Zusage zur Bitte unter Umständen das Bedürfnis des Beeinflussten, gemeinnützig tätig zu sein. Eine Abwägung dieser beiden Aspekte liegt anschließend stets im Auge des Betrachters.

[13] Moderatoren stellen Einflussgrößen dar, die die Wirkung einer unabhängigen Variablen auf die abhängige verändern (Bortz & Döring, 2006).

[14] Zur Vermeidung redundanter Informationen werdenhier lediglich kurze Ausführungen zu den dargestellten Moderatoren gemacht, da auf die Erkenntnisse dieses Abschnitts im weiteren Verlauf der Arbeit mehrfach zurückgegriffen wird. So lassen sich anhand der Aussagen und Bedeutung der Moderatoren nicht nur praktische Hinweise zur Implikation der DITF-Technik ableiten, sie dienen in der Forschungsliteratur vor allem auch dazu, Erklärungsansätze für beobachtbare DITF-Effekte zu entwickeln und zu diskutieren. Auf diese wird im nachfolgenden Teilabschnitt 2.3 ausführlich eingegangen.

[15] Unter dem Begünstigten der DITF-Technik wird die Person bzw. Personengruppe verstanden, die von der Erfüllung der Forderung im Rahmen der Technik profitiert (O’Keefe & Hale, 1998).

[16] Eine weitere abweichende Sichtweise wird zudem im Kapitel 2.3.1 vorgestellt.

[17] Das Ausmaß des Zugeständnisses lässt sich als Differenz zwischen den Größen der ersten und zweiten Bitte interpretieren (vgl. O’Keefe, 1999; Dillard, 1991).

[18] Einer ähnlichen Ansicht folgen auch Hale & Laliker (1999). Ausführliche kritische Betrachtungen dazu finden sich hingegen bei Tusing & Dillard (2000).

[19] Als Beispiel sei hierfür ihre Sichtweise bezüglich der Vorteilhaftigkeit prosozialer Forderungen erwähnt. Hale & Laliker sehen anstelle eines prosozialen Effekts eher einen Einstellungseffekt. Demnach bestimmt die Einstellung des Forderungsempfängers gegenüber dem Forderungssteller bzw. der durch ihn vertretenden Organisation die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Anwendung der DITF-Technik. Diese Ansicht ist konsistent mit der Reziprozitätserklärung, da man ein Zugeständnis eher denjenigen zu Teil kommen lässt, denen man positiv gegenüber eingestellt ist.

[20] Die im Folgenden vorgestellten Ansätze bilden lediglich eine Auswahl hinsichtlich der zumeist diskutierten sowie aktuellsten Erklärungsmöglichkeiten. Weitere Versuche zur Begründung des DITF-Effekts stellen die Verfügbarkeitshypothese (Tybout, Sternthal & Calder, 1983) als kognitiver Ansatz bzw. das Modell der würdigen Person (Foehl & Goldman, 1983), das als ein Vorläufer des schuldbasierten Ansatzes angesehen werden kann, dar.

[21] Unter Schuld soll in diesem Zusammenhang ein unangenehmer emotionaler Zustand eines Individuums verstanden werden, der durch den Glauben zustande kommt, etwas Falsches getan zu haben bzw. dadurch, dass andere diese Auffassung vertreten (vgl. Baumeister, Stillwell & Heatherton, 1994).

[22] Einen ähnlichen Ansatz zur Erklärung des DITF-Effekts liefern Tusing & Dillard (2000). Ihre Position der sozialen Verantwortung lässt sich als Ergänzung zum schuldbasierten Ansatz ansehen: Während letztgenannter den für den DITF-Effekt verantwortlichen Prozess betont, werden durch das Konzept der sozialen Verantwortung notwendige Voraussetzungen der DITF-Technik in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt. So seien beide Ansätze nach Meinung der Autoren „two pieces of the same puzzle“ (Tusing & Dillard, 2000, S. 9).

[23] Zu nennen sind hier wiederum die bereits erwähnten Effekte hinsichtlich der Zeitspanne zwischen der ersten und zweiten Forderung sowie der Konsistenz des Forderungsstellers (vgl. die Ausführungen des Kapitels 2.2). So führe erstens eine zu lange Pause zwischen erster und zweiter Anfrage zur Abschwächung der Schuldgefühle, zweitens bestehe bei einem gleichbleibenden Forderungssteller die direkte Möglichkeit des Schuldabbaus gegenüber der durch die Ablehnung der ersten Bitte geschädigten Partei (vgl. O’Keefe &Hale, 1998; O’Keefe & Figgé, 1997).

[24] Dieses Ergebnis bestätigt sich zudem durch eine Analyse bezüglich des Wahrnehmungskontrasts im Rahmen der Untersuchung von Millar (2002b). Zwar findet durch Anwendung der DITF-Technik eine Wahrnehmungsverschiebung statt, jedoch ist dadurch keine Vorhersage von Compliance möglich.

Ende der Leseprobe aus 134 Seiten

Details

Titel
Die Door-in-the-face-Technik im persönlichen Verkauf
Untertitel
Eine empirische Untersuchung
Hochschule
Universität Rostock  (Lehrstuhl für Wirtschafts- und Organisationspsychologie)
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
134
Katalognummer
V157703
ISBN (eBook)
9783640707560
ISBN (Buch)
9783640707515
Dateigröße
1152 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
persönlicher Verkauf, Psychologie, Verkaufspsychologie, Door-in-the-face, DITF, Verkauf
Arbeit zitieren
Dipl.-Kfm. Thomas Flöter (Autor:in), 2010, Die Door-in-the-face-Technik im persönlichen Verkauf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/157703

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