Das Wort hat der Herr Bundeskanzler / die Frau Bundeskanzlerin

Eine Analyse der Redefunktionen in den Regierungserklärungen zum Amtsantritt der Bundeskanzler von 1949 bis 2005


Examensarbeit, 2008

149 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Bedeutung der Regierungserklarung in der Bundesrepublik Deutschland
2.1 Was ist eine „Grofie Regierungserklarung44?
2.2 Die politische Aufgabe einer Grofien Regierungserklarung
2.3 Die Textsorte „Regierungserklarung“

3 Die Analyse der Redefunktionen einer Groben Regierungserklarung
3.1 Die Redefunktion des Informierens
3.1.1 Die Bedeutung in der GroBen Regierungserklarung
3.1.2 Die sprachliche Ausgestaltung
3.1.2.1 Berichtstil
3.1.2.2 Angabe von Statistiken, Zahlen und Prozenten
3.1.2.3 Bewertungen des gegenwartigen Zustands
3.1.2.4 Phrasen zu vordringlichen Problemen
3.1.2.5 Argumentationsweise
3.1. 2.6 Aufzahlungen
3.1.2.7 Ansprechen einzelner Ressorts
3.1.2.8 Programmatische Vorhaben im Futur und mittels Sprechaktverben..
3.1.2.9 Zusammenfassung
3.1.3 Der Umfang in den GroBen Regierungserklarungen
3.2 Die Redefunktion des Solidarisierens und Integrierens
3.2.1 Die Bedeutung in der GroBen Regierungserklarung
3.2.2 Die sprachliche Ausgestaltung
3.2.2.1 Solidarisieren und Integrieren durch die 1. Person Plural
3.2.2.2 Inkludierendes Vokabular
3.2.2.3 Berufung auf Elemente der Verfassungsordnung
3.2.2.4 Beschworen gemeinsamer Werte, Tugenden und Eigenschaften
3.2.2.5 Phrasen zur deutschen Einheit
3.2.2.6 Zusammenfassung
3.2.3 Der Umfang in den GroBen Regierungserklarungen
3.3 Die Redefunktion der Selbstdarstellung und Imagepflege
3.3.1 Die Bedeutung in der GroBen Regierungserklarung
3.3.2 Die sprachliche Ausgestaltung
3.3.2.1 Formulierungen zur positiven Selbstdarstellung
3.3.2.2 Phrasen zur negativen Darstellung des politischen Gegners
3.3.2.3 Zitate
3.3.2.4 Rhetorische Figuren
3.3.2.5 Schlagworter
3.3.2.6 Zusammenfassung
3.3.3 Der Umfang in den GroBen Regierungserklarungen

4 Abschliebende Bemerkungen

Anhang

Die GroBen Regierungserklarungen in Textform

Datentabellen der quantitativen Untersuchungen

Abkurzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Das Wort hat der Herr Bundeskanzler/die Frau Bundeskanzlerin“ - mit dieser standardi- sierten Formulierung, die seit der ersten Regierungserklarung von KONRAD ADENAUER im Jahr 1949 unverandert blieb, erteilt der Bundestagsprasident im Plenum des Deutschen Bundestags dem neugewahlten Bundeskanzler1 das Wort. Nach seiner offiziellen Amt- saufnahme tritt der Regierungschef an das Rednerpult und verliest seine Regierungserkla- rung vor dem vollbesetzten Bundestag. Neben samtlichen Bundestagsabgeordneten sind ebenso alle wichtigen Medienvertreter vor Ort, damit die nun folgende Rede live im Fern- sehen ubertragen und am nachsten Tag in den Zeitungen kommentiert werden kann.

Was der Bundeskanzler in den kommenden Minuten zur geplanten Regierungspolitik sa- gen wird, wird in erheblichem MaBe die vor ihm liegende Legislaturperiode bestimmen. Kaum eine politische Rede des Kanzlers erringt deshalb mehr Aufmerksamkeit. „Regie- rungserklarungen werden hierzulande wie Evangelien angekundigt, und das Publikum wird darauf eingestimmt, den Propheten eines neuen Zeitalters zu horen“2, schrieb 1998 ein Redakteur der Suddeutschen Zeitung als Reaktion auf die damalige Regierungserkla­rung von Gerhard Schroder. Wird die Antrittsrede den hohen Erwartungen der Bundes- tagsabgeordneten, der Medien, der Burger und dem Ausland entsprechen? Jede einzelne Formulierung dieser Rede wird im Nachhinein analysiert und beurteilt werden. Die Regie- rungsarbeit der nachsten vier Jahre wird an dieser ersten Erklarung, die auch als „Visiten- karte der Regierung“3 bezeichnet wird, gemessen und noch Jahrzehnte spater wird man sich ausgewahlter Passagen erinnern. Die Wortwahl dieser Rede wird demzufolge mit besonderer Bedachtsamkeit abgestimmt. Obwohl die Regierungserklarung nicht allein der Feder des Bundeskanzlers entstammt, kann sie doch als Zeugnis politischer Sprache gel- ten, deren Analyse Gegenstand dieser Staatsexamensarbeit sein wird.

Gleichwohl die Regierungserklarung zu den wichtigsten Textsorten der politischen Spra­che zahlt, ist eine sprachwissenschaftliche Untersuchung mehrerer Antrittsreden im Ver- gleich bisher nur unzureichend vorgenommen worden. Als Teil eines Grenzgebiets zwi- schen der Politikwissenschaft und der Germanistik finden sich entsprechende Publika- tionen in beiden Disziplinen.

In den 1970er Jahren entstanden zwar drei Textsammlungen von Regierungserklarungen, deren wissenschaftliche Analyse jedoch auf wenige Beitrage und Aufsatze beschrankt blieb. Hans-Ulrich Behn4 und Peter Pulte5 veroffentlichten 1971 bzw. 1973 unkommen- tierte Texteditionen der Antrittsreden deutscher Bundeskanzler von 1949 bis 1969, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung findet dort allerdings nicht statt. Erst in dem 1979 von Klaus von Beyme veroffentlichten Sammelband „Die groBen Regierungserklarungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schmidt“6 werden erstmals in der etwa 50 Seiten starken Einleitung die Funktionen und Konzeptionen von Regierungserklarungen thematisiert. Daruber hinaus existiert dort keine systematische Analyse, da die entspre- chenden Regierungserklarungen unkommentiert beigefugt sind. In seiner 1997 erschie- nenen Monographie „Der Gesetzgeber“7 geht von Beyme kurz auf das Thema der Regie­rungserklarungen ein und untersucht zudem einige Reden von HELMUT Kohl, orientiert sich dabei aber an den Ergebnissen seiner Kommentierung von 1979.

Ein weiterer VorstoB auf diesem Gebiet gelang Carl Bohret, als er 1977 den Aufsatz „Poli- tische Vorgaben fur ziel- und ergebnisorientiertes Verwaltungshandeln aus Regierungser- klarungen?“8 veroffentlichte, der wesentliche funktionelle Kategorien von Regierungser­klarungen enthalt, jedoch dabei sein Augenmerk auf die verwaltungstechnische Relevanz der Reden legt. Bohret orientiert sich in seinen Darstellungen ausdrucklich an normativen Aspekten fur Regierungserklarungen und erhielt dafur 2005 von Klaus Stuwe den Vor- wurf einer zu „ideale(n)“9 und damit nicht praxisrelevanten Betrachtungsweise.

Die 1989 erschienene Analyse von Maximilian Gottschlich, oswald Panagel und Manfred Welan10 beschrankt sich auf den Untersuchungsgegenstand der Reden osterreichischer Bundeskanzler, bietet aber gleichwohl erste Uberlegungen zur funktionalen, prozessualen und verfassungsrechtlichen Perspektive. Ihre Ergebnisse konnen nur im Vergleich zur Betrachtung deutscher Regierungserklarungen herangezogen werden.

Als eine der ersten genuin sprachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dieser politischen Textsorte erschien 1983 die Studie „Herrschaft und Sprache“11 von Wolfgang Bergsdorf, dem ehemaligen Redenschreiber von Bundeskanzler Kohl. Bergsdorf widmet sich darin der Entwicklung politischer Terminologie in Deutschland seit 1945 und er- forscht dazu unter anderem einen GroBteil der Regierungserklarungen bis 1980.

Es folgten 1992 bzw. 2002 einige inhaltsanalytische Publikationen von Manfred G. Schmidt12 sowie Guido Van den Berg und Silke Vagt13, in denen primar die Ziele der poli­tischen Akteure und die inhaltliche Ausrichtung der Regierungserklarungen Gegenstand der Arbeiten sind; sprachwissenschaftliche oder funktionale Fragestellungen spielen dage- gen keine Rolle.

Vorreiter fur den Komplex der politischen Rhetorik waren die Erscheinungen von Hans- Dieter Zimmermann14, Andreas Dorner15, Franz Simmler16 und Alexander Kirchner17. In ihren Werken wird vorrangig den Besonderheiten der politischen Sprache - meist in Form von untersuchten Reden - Aufmerksamkeit geschenkt. Im Vordergrund dieser Publika­tionen stehen historische Uberblicke zur Entwicklung der Rhetorik sowie der allgemeine Redeaufbau und die Auflistung rhetorischer Mittel.

Als neuere Arbeit, die sich mit Regierungserklarungen oder politischer Rede insgesamt beschaftigt, ist zunachst das Uberblickswerk „Das Wort hat der Herr Bundeskanzler. Eine Analyse der GroBen Regierungserklarungen von Adenauer bis Schroder“18 des Politikwis- senschaftlers Karl-Rudolf Korte von 2002 zu nennen. Anfangs geht dieser auf die politi- schen Funktionen von Antrittsreden ein und analysiert spater jeweils eine Regierungser- klarung pro Kanzler uberwiegend inhaltlich und fugt die entsprechenden Texte anschlie- Bend unkommentiert an. Vereinzelt werden auch sprachliche Merkmale zur Beweis- fuhrung herangezogen, wobei die sprachwissenschaftliche Betrachtung meist oberflachlich bleibt und wissenschaftliche Termini ausspart. Des Weiteren gibt der Sprachwissenschaft- ler Armin Burkhardt mit seinem 2003 erschienenen Buch „Das Parlament und seine Spra- che“19 erstmals einen Uberblick uber die Formen parlamentarischer Kommunikation und deren typische Sprachformen. Die Regierungserklarung als eine spezielle Form parlamen­tarischer Sprache wird bei ihm dagegen nicht gesondert aufgefuhrt.

Als wichtigster Ausgangspunkt dieser Staatsexamensarbeit fungiert die zur Thematik neuste Veroffentlichung des Politikwissenschaftlers Klaus Stuwe „Die Rede des Kanzlers. Regierungserklarungen von Adenauer bis Schroder“20 von 2005, der neben der Unter- suchung der verfassungsrechtlichen Grundlagen, Entstehung, Aufbau und Inhaltsanalysen auch eigene Funktionskategorien der Regierungserklarungen aufstellt, die als Orientierung fur diese Arbeit dienen sollen. Seine als Habilitationsschrift eingereichte Studie stellt die derzeit umfangreichste Arbeit zu allen Antrittsreden bis 2002 dar und bezieht zugleich sprachliche Besonderheiten der Regierungserklarungen mit ein. Dennoch fehlen auch hier sprachwissenschaftliche Termini und seine Darstellung bleibt weitgehend auf die politi- sche Perspektive begrenzt. Die jungste Antrittserklarung von Angela Merkel vom No­vember 2005 ist noch nicht Gegenstand vergleichender Untersuchungen gewesen. Diese Arbeit versucht mit der sprachwissenschaftlichen Analyse aller Antrittsreden, inklusive der Rede von 2005, einen weiteren Beitrag zur bisherigen Forschung zu leisten.

Immer wieder wird seitens der Medien und aus der Wissenschaft der Vorwurf laut21, die jungst zuruckliegenden Regierungserklarungen wurden im Vergleich zu vorherigen - wie die politische Rede im Allgemeinen - mit der Verwendung von leeren Phrasen die eigent- liche Argumentation fur die jeweilige Regierungspolitik vermissen lassen. Tatsachlich gewinnt man als Rezipient der Antrittsrede von Merkel den Eindruck, ihre Rede wurde maBgeblich aus universellen Aussagen und unbestimmten Begriffen bestehen, wahrend verbindliche Ankundigungen und inhaltliche Darlegungen ihrer Position fehlten. Ist diese Schlussfolgerung eine vorschnelle Diagnose?

Drangender denn je stellt sich bei der Rezeption von Regierungserklarungen die Frage nach der tatsachlichen Intention dieser Rede. Worin besteht die eigentliche Aufgabe dieser besonderen politischen Rede? Zum Einen muss dabei die Funktion der Regierungserkla­rung im politischen System der Bundesrepublik Deutschland betrachtet werden, zum An- deren ist es vonnoten die Funktionen einzelner Redepassagen innerhalb einer Regierungs- erklarung zu untersuchen, um daraus Konsequenzen fur ihre Gesamtfunktion zu ziehen. Welche Absicht verbirgt sich hinter bestimmten Formulierungen des Bundeskanzlers? Wichtig ist es dabei, nicht nach idealen Funktionen, d.h. erwunschten, Aufgaben zu fra- gen, sondern textorientierte Gesichtspunkte zu ermitteln. Welche Redefunktionen lassen sich in den vorliegenden Regierungserklarungen erkennen?

Aus der bereits genannten einschlagigen Literatur eignen sich fur die bevorstehende Ana­lyse besonders die von Stuwe erarbeiteten Funktionskategorien22, die dieser direkt aus den Regierungserklarungen ableitete. Fur die Antrittsreden hat er sechs Redefunktionen aus- gemacht: die Redefunktion des Informierens, des Appellierens, des Dankens, des Solidari- sierens und Integrierens, die Demonstration fur das Ausland und die Redefunktion der Selbstdarstellung und Imagepflege.

Die Intention dieser Arbeit ist es nun, folgende Hypothese zu uberprufen:

Im historischen Verlauf der Antrittsreden deutscher Bundeskanzler von 1949 bis 2005 ist hinsichtlich der Quantitat tendenziell eine Abnahme der Informationsfunktion und parallel eine Zunahme der Funktionen des Solidarisierens bzw. Integrierens und der Selbstdarstel- lungsfunktion zu verzeichnen und daruber hinaus ein Qualitatswandel dieser Redefunk- tionen zu beobachten.

Diese Hypothese begrundet die Auswahl von nur drei der eben vorgestellten sechs Rede- funktionen, die in den Antrittserklarungen vergleichend herausgearbeitet werden sollen. Demzufolge gilt es im Weiteren, die Redefunktionen des Informierens, Solidarisierens bzw. Integrierens und der Selbstdarstellung bzw. Imagepflege genauer zu betrachten.

Die vermutete Funktionsverschiebung in den Reden vom Informieren hin zum vermehrten Solidarisieren bzw. Integrieren und Selbstdarstellen bzw. Pflegen des Images muss in zwei Dimensionen untersucht werden: Zum Einen mussen zuerst „fassbare“ sprachliche Beson- derheiten ausgemacht werden, die es rechtfertigen, dass einzelne Redepassagen den jewei- ligen Funktionen zugeordnet werden konnen. Diese sprachliche Ausgestaltung der jewei- ligen Redefunktion soll in ihrer historischen Entwicklung ebenfalls untersucht werden und eine Aussage uber den Qualitatswandel der entsprechenden Funktion erlauben. Eine sol- che Veranderung ware folglich als eine qualitative zu bezeichnen. Die Entscheidung fur die dabei untersuchten sprachlichen Mittel stellt keinen Anspruch auf Voll standi gkeit, sondern versucht allenfalls besonders bedeutsame und fur die jeweilige Funktion typische sprachliche Merkmale aufzunehmen. Zum Anderen ist es dann moglich, die Frage zu be- antworten, ob und in welchem quantitativen Umfang sich eine Funktionsverschiebung in den Regierungserklarungen feststellen lasst. Eine ausschlieBlich quantitative Analyse ohne qualitative Betrachtung wurde keine ausreichende Beweisgrundlage bilden, da die bloBe Haufigkeit sprachlicher Einheiten und Strukturen kein geeignetes Kriterium fur Schluss- folgerungen darstellt. Die elementare Fragestellung, die zum Schluss beantwortet werden soll, lautet daher: 1st eine qualitative und/oder eine quantitative Veranderung der Rede- funktionen in der historischen Aufeinanderfolge der Antrittserklarungen von 1949 bis 2005 festzustellen?

Gegenstand dieser sprachwissenschaftlichen Untersuchung sind die 20 GroBen Regie­rungserklarungen der deutschen Bundeskanzler von Konrad Adenauer (1949) bis An­gela Merkel (2005).23 Der Begriff Grofie Regierungserklarungen meint diejenigen pro- grammatischen Regierungserklarungen der Bundeskanzler, die beim Amtsantritt der je- weiligen Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag abgegeben werden. Entweder wurden diese Reden zu Beginn einer neuen Legislaturperiode gehalten, wenn Wahlen zum Deutschen Bundestag vorausgegangen waren oder nach einem Kanzlerwechsel, der inner- halb einer laufenden Legislaturperiode stattgefunden hatte. Der konkrete Anlass fur die Regierungserklarung war in beiden Fallen die Wahl des Kanzlers durch den Bundestag, wie sie nach Art. 63 und 67 GG festgeschrieben ist.

Die eigentliche Grundlage fur die nachfolgende funktionale Analyse bilden die Antrittsre- den in Textform, die von den stenographischen Berichten des Deutschen Bundestags24 im Wortlaut wiedergegebenen werden. Jedes im Plenarsaal des Deutschen Bundestags ge- sprochene Wort wird auf diese Weise seit 1949 dokumentiert und ist in allen groBeren Bibliotheken, nach Jahrgangen und Wahlperioden geordnet, leicht zuganglich. Eingegan- gen wird in dieser Arbeit ausschlieBlich auf die Rede des Kanzlers - Zwischenrufe durch die Politiker im Plenum und seine Reaktionen auf Zwischenrufe werden nicht betrachtet. Nach den einleitenden Worten wird im Kapitel 2 dieser Arbeit eine ausfuhrliche Defini­tion des Begriffs Grofie Regierungserklarung vorgenommen, um den Gegenstand der Un­tersuchung klar zu umreiBen. Ferner wird dort auf die politische Funktion der Regierungs­erklarung im System der BRD eingegangen und anschlieBend die Textsorte „Regierungs- erklarung“ definiert. Was kennzeichnet diese Textsorte und wie ist sie gegenuber anderen politischen Textsorten abgrenzbar?

Das dritte Kapitel widmet sich schlieBlich dem Schwerpunkt dieser Arbeit: der illokutio- nar ausgerichteten Textanalyse25 hinsichtlich der Redefunktionen einer Regierungserkla- rung nach Klaus Stuwe. Nachdem jede Funktion in ihrer Bedeutung fur diese politische Redeform erlautert worden ist, werden typische sprachliche Merkmale vorgestellt und in ihrer Veranderung in der Aufeinanderfolge der Regierungserklarungen verglichen. Wel- chen Stellenwert hat beispielsweise die Informationsfunktion in Regierungserklarungen und wie hat sich die Angabe von Zahlen und Statistiken im Laufe der letzten 50 Jahre ver- andert? Die vorgenommene Analyse wird mit einzelnen Zitaten aus den Antrittsreden der Bundeskanzler belegt, die selbstverstandlich nur eine Auswahl darstellen und als exempla- risch gelten konnen.

Auf diese qualitative folgt eine quantitative Analyse, in welcher der Anteil der jeweiligen Funktionen am Gesamttext herausgestellt wird. Die daraus ableitbare Tendenz der Ab- oder Zunahme der Redefunktionen soll am Ende zur Verifizierung oder Falsifizierung der Ausgangsthese dienen. Ist die GroBe Regierungserklarung tatsachlich einem funktionalen Wandel unterlegen?

2 Die Bedeutung der Regierungserklarung in der Bundesrepublik Deutschland

2.1 Was ist eine „GroBe Regierungserklarung“?

Als „Absichtserklarung“26 der Regierung oder „richtungsweisende Rede“27 verstanden, leitet sich die Existenz einer Regierungserklarung - nach mehrheitlicher Meinung fuhren- der Politikwissenschaftler28 - rechtlich gesehen maBgeblich aus der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers ab. Danach bestimmt er als Regierungschef die Richtlinien der Politik und tragt die Verantwortung fur diese (siehe Art. 65 GG). Derartige Richtlinien bestimmt er, so die Argumentation, indem er in einer politischen Rede die Grundsatze seines politi- schen Konzepts darlegt und damit sowohl eine gewisse Schwerpunktsetzung betreibt als auch die von ihm praferierten Problemlosungen offenbart. Zur Beweisfuhrung dieser ver- fassungsrechtlichen Herleitung der Regierungserklarung kann ein Kommentar des ehema- ligen Bundesprasidenten Roman Herzog zum Grundgesetz angefuhrt werden, in dem er feststellt: „Eine Bundestagsrede kann ebenso eine politische Richtlinie enthalten wie eine formliche Regierungserklarung“29. Herzog fuhrt hier neben der Bundestagsrede auch die Regierungserklarung als Beispiel an, in der politische Richtlinien manifestiert werden konnen. Im Grundgesetz oder der Geschaftsordnung der Bundesregierung sucht man ver- gebens nach Artikeln oder Paragraphen, welche die Abgabe einer solchen Erklarung ex- pressis verbis festschreiben bzw. regeln; nicht einmal der Begriff „Regierungserklarung“ an sich wird im Grundgesetz erwahnt. Einzig nach einer Interpretation des Art. 43 GG Abs.1, in dem der Bundesregierung parlamentarisches Rederecht garantiert wird - d.h. dass diese „jederzeit“ vom Bundestag gehort werden muss - wird ein Bezug zur Regie- rungserklarung impliziert. Aus den geltenden rechtlichen Rahmenbestimmungen kann also nicht geschlussfolgert werden, dass der Bundeskanzler oder die Bundesregierung zur Ab- gabe einer Regierungserklarung verpflichtet waren. Vielmehr hat sich die Abgabe von Regierungserklarungen durch den Bundeskanzler seit der Grundung der BRD im Jahre 1949 immer mehr etabliert. Nach Ansicht von Karl-Rudolf Korte haben sich dabei in der politischen Praxis vier Varianten einer Regierungserklarung herausgebildet:

1. Regierungserklarungen auf Grund bedeutsamer nationaler oder internationaler Er- eignisse
2. Regierungserklarungen aus Anlass der jahrlichen Haushaltsberatungen
3. Berichte zur Lage der Nation im geteilten Deutschland
4. Antrittserklarungen eines neugewahlten Kanzlers.30

Da ausschlieBlich die im Punkt vier genannten Antrittsreden Gegenstand dieser Arbeit sind, werden die anderen drei Formen im Folgenden nur kurz erlautert. Die erste Variante einer Regierungserklarung, die als „rasche programmatische Reaktion“31 auf aktuelle nati- onale oder internationale Ereignisse verstanden wird, ist vorwiegend auf eine Ressort- thematik, etwa AuBenpolitik, begrenzt. Als Beispiel fur diese „traditionelle“ Form ist die „Regierungserklarung von Bundeskanzler Gerhard Schroder zu den Anschlagen in den Vereinigten Staaten von Amerika“32 vom 12. September 2001 zu nennen, in der er haupt- sachlich die Problematik der internationalen Sicherheit thematisiert. Diese Art von Regie­rungserklarung bildet die am haufigsten vertretene der vier Varianten.

Den Regierungserklarungen aus Anlass der jahrlichen Haushaltsberatungen gilt in der Re­gel ein groBes mediales Interesse, da die Opposition in der daran anschlieBenden Debatte in oft popularer Weise Kritik an der Regierungspolitik ubt und argumentative Schwach- stellen aufzudecken versucht. Exemplarisch fur diese zweite Variante ist die Regierungs­erklarung von Merkel „Wir durfen unsere Zukunft nicht verbrauchen“33 im Rahmen der Debatte zum Haushalt 2007 vom 6. September 2006 anzufuhren. In dieser Variante der Regierungserklarung werden insbesondere inhaltliche Schwerpunkte thematisiert, deren Finanzierung umstritten ist und fur die mit Hilfe dieser Rede nachdrucklich geworben werden soll.

Als einen Sonderfall der Regierungserklarung, die Korte als dritte Variante kategorisiert, kann man die „Berichte zur Lage der Nation im geteilten Deutschland“ bewerten. Seit Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger am 3. Marz 1969 vor dem Bundestag den ersten Bericht dieser Art abgab, erfolgte diese thematische Erklarung der Regierung bis 1989 jahrlich. Kiesingers VorstoB lag damals ein Beschluss des Deutschen Bundestags vom 28. Juni 1967 uber einen interfraktionellen Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP zugrun- de, der die Bundesregierung zu einem regelmaBigen Bericht zur Lage der Nation auffor- derte.34 Den letzten Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation im geteilten Deutschland gab Bundeskanzler Kohl am 8. November 1989 ab35, also einen Tag vor dem Fall der Berliner Mauer.

Der vierten Variante von Regierungserklarungen - den Antrittsreden deutscher Bundes­kanzler - gilt in der nachfolgenden Analyse dieser Arbeit die ausschlieBliche Aufmerk- samkeit. Die ersten programmatischen Erklarungen der Kanzler, die sie direkt im An­schluss an ihre Wahl durch den Deutschen Bundestag halten, tragen nachfolgend - wie in der einschlagigen Literatur - den Titel „GroBe Regierungserklarungen“. Das Adjektiv grofi ist in diesem Fall nicht normativ-wertend gemeint, bezeichnet also nicht die groBe Leistung, die mit diesen politischen Reden verbunden ist, sondern hat einen „strukturellen und machtpolitischen Hintergrund“36. Strukturell deshalb, weil sich nur in dieser unmittel- bar an seine Wahl anschlieBenden Rede dem Kanzler die Moglichkeit bietet, offentlich sein politisches Gesamtkonzept darzulegen. Weder wird dieser Erklarung eine formelle Abstimmung, noch ein Misstrauensvotum oder eine andere Sanktionsmoglichkeit folgen, was dem Redner einen gewissen machtpolitischen Spielraum eroffnet. Grofi ist diese Re- gierungserklarung auch, weil in ihr der Konsens der Koalitionsparteien auf allen wichtigen Politikfeldern vorgestellt und begrundet wird, sodass sich in einer sehr offentlichen Art und Weise verbindliche Ubereinstimmungen der Regierungsparteien demonstrieren lassen. Korte formuliert in diesem Zusammenhang: „Sie [die Rede] markiert den maximalen poli­tischen Handlungsspielraum des Kanzlers“37. Denn alle Entscheidungen, die inhaltlich uber das Wesen dieser Regierungserklarung hinausgehen, mussen von den Koalitionspart- nern erneut verhandelt werden. Da diese Rede einen weiten Ausblick auf die gesamte Ta- tigkeit der Regierung in der kommenden Legislaturperiode bietet, ist sie laut Beyme „als Dokument fur die geistige Entwicklung des politischen Klimas und der groBen Kontrover- sen am reprasentativsten“38. Aus den eben genannten Grunden sind die Antrittsreden der Bundeskanzler zurecht als Grofie Regierungserklarungen zu bezeichnen.

Zwischen 1949 und 2005 wahlte der Deutsche Bundestag acht verschiedene Bundeskanz- ler, wobei die meisten Kanzlerwechsel nicht durch vorangegangene Bundestagswahlen erfolgten, sondern aus den verschiedenen Grunden innerhalb einer Wahlperiode - sozusa- gen wahlerunabhangig - geschahen. Ludwig Erhard loste 1963 aus Altersgrunden Ade­nauer ab, wahrend Kiesinger 1966 mit der Bildung der grofien Koalition auf das Ende der christdemokratisch-liberalen Koalition reagierte und damit Erhard folgte. Nachdem Willy Brandt 1974 auf Grund der „Spionage-Affare“ zuruckgetreten war, ubernahm schliefilich der derselben Regierungspartei angehorende Helmut Schmidt das Amt des Bundeskanzlers, das wiederum Kohl 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum gegen seinen Vorganger erhielt.39 Viele der Grofien Regierungserklarungen wurden dem- zufolge nicht unmittelbar nach Bundestagwahlen gehalten, sondern nach einem voll- zogenen Kanzlerwechsel. Mit Ausnahme von Kiesinger und der amtierenden Bundes- kanzlerin Merkel hielten alle Regierungschefs mehrere Antrittsreden, wobei eine weitere Grofie Regierungserklarung Merkels selbstverstandlich nicht ausgeschlossen ist. Die Anzahl der Antrittserklarungen pro Bundeskanzler variiert von zwei (Erhard, Brandt, Schroder) bis funf Reden (Kohl). Auch wenn der damalige Vizekanzler Erhard die Regierungserklarung im Jahr 1961 stellvertretend fur den erkrankten Adenauer hielt40, wird sie in der nachstehenden Analyse dennoch als vierte - und letzte - Antrittsrede Ade­nauers verstanden, da dieser zweifellos am Entstehungsprozess derselben mitwirkte.

2.2 Die politische Aufgabe einer Grofien Regierungserklarung

Bevor auf die einzelnen Redefunktionen innerhalb der Grofien Regierungserklarungen eingegangen wird, ist die Frage der allgemeinen politischen Funktion dieser speziellen Redeform im System der BRD zu beantworten, damit die grundsatzlichen Anspruche der Rezipienten an eine Antrittsrede deutlich werden. In welchem politischen Kontext steht eine Grofie Regierungserklarung?

Die hierzulande „wie Evangelien angekundigt[en]“41 Regierungserklarungen schuren bei den Adressaten hohe Erwartungen. Die Offentlichkeit erwartet eine Analyse der derzei- tigen innen- und aufienpolitischen Lage und erhofft sich Antworten auf die Frage, auf wel- che Weise die vom Bundeskanzler benannten Probleme gelost werden sollen. Die Koali- tionspartner wunschen eine offizielle Bekraftigung ihrer gemeinsamen Positionen, die bereits zuvor verbindlich im Koalitionsvertrag fixiert wurden, und die Opposition „lauert“ auf Anhaltspunkte fur die kunftige politische Auseinandersetzung mit der Regierung. Das Ausland wird sich auf Grund der ersten Regierungserklarung ein Bild des neuen Amtsin- habers machen und reagiert gegebenenfalls sehr sensibel auf Aufierungen aus dem aufien- politischen Abschnitt der Rede, welcher die Beziehung zu anderen Landern, sowie die existierenden internationalen Konflikte thematisiert. Auch die Medien erwarten eine in- haltlich prazise und stilistisch geschliffene Rede des Kanzlers und sie werden samtliche „Mangel“ der Rede als Schwachstellen des neugewahlten Regierungschefs deuten. Wie versucht eine Antrittsrede diese vielschichtigen Erwartungen zu erfullen? Worin besteht die politische Aufgabe einer Grofien Regierungserklarung?

Carl Bohret verweist in seinem - wohl am meistzitierten - Funktionskatalog auf vier Aus- sageelemente, denen eine „ideale“ Regierungserklarung gerecht werden sollte: analytische Zustandsbeschreibungen der gegenwartigen Lage Deutschlands, konzeptionelle Aussagen hinsichtlich der Grunduberzeugungen der Regierung, programmatische Aussagen uber Zielvorgaben der Regierungsparteien zu den aufgezahlten Problemen und durchsetzungs- orientierte Aussagen zu Mitteln und Verfahren der Problemlosung.42 Aus diesen geforder- ten Bestandteilen der Rede lassen sich grundsatzliche Funktionen der Regierungserklarung ableiten, die vornehmlich in einer „Standtortbestimmung“43 und einem prasentierten „Ent- scheidungspaket“44 bestehen. Diese Begriffe sind von Karl-Rudolf Korte innerhalb seiner politischen Funktionsanalyse von Regierungserklarungen gepragt worden, wenngleich er sie um zwei weitere erganzt. Neben einer Standortbestimmung und einem Entscheidungs- paket ist eine Antrittsrede zugleich Fuhrungsinstrument eines Bundeskanzlers und stellt daruber hinaus ein zeitgeschichtliches Dokument dar, welches Inhalt und Sprache - ein- schliefilich des herrschenden Zeitgeistes - einer bestimmten Kanzlerschaft fur nachfol- gende Generationen konserviert.45 Bernd Guggenberger verweist im Zusammenhang mit der politischen Funktion auch auf Hoffnungen der Offentlichkeit, sodass in der Antrittsre­de zudem „die symbolische Berucksichtigung von Publikumserwartungen eine Rolle spielt“46.

Dabei ist die Berucksichtigung der zuvor genannten Kriterien durch den Bundeskanzler durchaus nicht ausreichend, damit eine Grofie Regierungserklarung eine positive Reso- nanz erhalt. Diese politische Rede muss ebenso „in die Zeit passen (Zeitgerechtigkeit), ein Konzept erkennen lassen (Sachgerechtigkeit) [und] an einem konsensfahigen ,Menschen- bild’ orientiert sein (Menschengerechtigkeit).“47 Dass die realen Antrittserklarungen nur selten allen idealen Anforderungen entsprechen, ist schon auf Grund der uberhohten An- spruche zu erwarten. So kommt es bisweilen am nachfolgenden Tag zu negativen Medien- einschatzungen wie: die Rede sei zu „geschaftsmafiig“ (Adenauer), „bieder-pathetisch“ (Kohl) oder „allgemein“ (Schroder).48

Im Unterschied zu den tagespolitischen Reden und Debatten im Bundestag kommt die Grofie Regierungserklarung einer zusammenfassenden Darstellung der mittel- bis lang- fristigen konzeptionellen und programmatischen Vorhaben der Regierung gleich, die schliefilich auch ihre Bedeutung im politischen System der BRD charakterisiert und die ihr zukommende, besondere offentliche Aufmerksamkeit erklart. Selbstverstandlich bilden die Kompromisse aus den Koalitionsvereinbarungen die inhaltlichen „Richtlinien“ fur eine Antrittsrede, an die sich der Bundeskanzler zu halten hat, wenn er die Stabilitat seiner Re­gierung nicht gefahrden will.49 Da die Wahl des Kanzlers „ohne Aussprache“ (Art. 63 GG Abs. 1) durchgefuhrt wird, d.h. er zuvor nicht die Moglichkeit einer mundlichen oder schriftlichen Stellungnahme hat, ist die Regierungserklarung die erste Gelegenheit des neugewahlten Regierungschefs, das Parlament uber seine Ansichten und die Plane der Regierung zu informieren. Zweifellos ist es ein gunstiger Zeitpunkt zu Beginn der neuen Amtszeit das geplante Regierungsprogramm in Grundzugen darzustellen und damit gleichzeitig die Richtlinien der Politik zu definieren. Die Ergebnisse der Koalitionsver- handlungen und regierungsinterner Absprachen konnen prasentiert, innen- und aufienpoli- tische Ziele vorgestellt und einzelne Themen zur „Chefsache“50 deklariert werden, um auf diese Weise Fuhrungs- und Handlungskompetenz zu demonstrieren. Insbesondere zu Be­ginn einer Legislaturperiode besteht ein grofier Bedarf, verbindliche Leitlinien fur kunftige Regierungspolitik formal festzuhalten. Diese formelle Festlegung ist vonnoten, weil der Koalitionsvertrag rechtlich gesehen nur die Vertragspartner (Parteien und Fraktionen) bin- det, nicht aber Bundeskanzler und Kabinett (Regierung).51

Zusammenfassend lasst sich daher sagen, dass die Grofie Regierungserklarung als ein Fuhrungsinstrument des Bundeskanzlers (speziell als Ausdruck seiner Richtlinienkompe- tenz) angesehen werden kann und sich aus der Verantwortung der Regierung gegenuber dem Parlament ableitet. Obwohl sich strukturell betrachtet keine unmittelbaren Konse- quenzen aus der Antrittsrede wie eine Abstimmung uber oder Abwahl des Kanzler erge- ben, bildet sie dennoch den Mafistab kunftigen Regierungshandelns fur Kabinett, Regie- rungsparteien und Mehrheitsfraktionen. Durch diese offizielle Stellungnahme zu politi- schen Themen und der Formulierung von grundsatzlichen Zielvorgaben ist dem Kanzler die Chance zur Entfaltung eines grundlegenden Selbstverstandnisses gegeben. Des Weite- ren erhalt er die Moglichkeit, durch seine erste amtliche Rede eine grofitmogliche Zu- stimmung durch die Offentlichkeit und alle wichtigen politischen Akteure zu erreichen. Durch das Unterbreiten eines Gesamtkonzepts kann er die an der Regierung beteiligten Parlamentsfraktionen auf kunftige Vorhaben „einschworen“52 und geplante Einzelgesetze in einen konzeptionellen Gesamtzusammenhang betten. Bis zum Ende der Legislaturperi- ode kann der Kanzler mit dem Verweis auf seine erste Erklarung eventuelle Widersacher aus den eigenen Reihen disziplinieren, inhaltliche Schwerpunkte konsequent verfolgen und ebenso Erfolge als solche auszeichnen, wenn seine damaligen Versprechungen reali- siert worden sind. Man kann daher resumieren, die Grofie Regierungserklarung ist das „Fundament“ fur die Politik einer neuen Legislaturperiode.

Der Redenschreiber von Brandt, Klaus Harpprecht, umschrieb das Ansehen der Grofien Regierungserklarung folgendermafien: „[B]ei keinem anderen Bereich der Regierungsar- beit verknupfen sich die tausend Faden so intensiv wie bei der Redaktion dieser Erklarung. Das Zentrum der Macht wird hier tatsachlich zum Gehirn der gesamten Exekutive“53. In der Erarbeitung dieser Antrittsrede ist die Regierung inklusive des Regierungschefs dem- nach gezwungen, in enger Zusammenarbeit und uber Abteilungsgrenzen hinweg ein Ge- samtkonzept zu erstellen, auf dessen Grundlage die dann folgende Regierungsarbeit basie- ren wird.

Aus den soeben angesprochenen politischen Funktionen kann die Schlussfolgerung gezo- gen werden, dass Grofie Regierungserklarungen eine Hauptaufgabe im politischen System erfullen und auf Grund der vielfaltigen Anspruche an sie als „multifunktional“54 bezeich- net werden konnen. Die an die Antrittsreden gestellten Erwartungen sind so mannigfaltig, dass sie in verschiedenen sprachlichen Formulierungen im Text realisiert werden mussen und sich in mehreren Sprach- bzw. Textfunktionen55 ausdrucken, welche im Kapitel 3 separat analysiert werden.

2.3 Die Textsorte „Regierungserklarung“

Die Sorgfalt, mit der die Antrittsrede eines wieder- bzw. neugewahlten Kanzlers konzi- piert wird, lasst darauf schlieBen, dass diese Erklarung von den beteiligten Akteuren als bedeutsames politisches Kommunikationsmittel angesehen wird. Neben dem Bundeskanz- ler sind zugleich Angehorige der Regierungsadministration, Politiker der Koalitionspartei- en, Vertraute des Kanzlers, externe Berater aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie profes- sionelle Redenschreiber fur Aufbau, Inhalt und sprachliche Ausgestaltung der Regierungs- erklarung verantwortlich.56 Dennoch tragen die Reden die Handschrift des jeweiligen Kanzlers, denn sie entstehen unter seiner Leitung und in seinem Verantwortungsbereich, dem Bundeskanzleramt.57 Daruber hinaus ist es der Kanzler, der mit der Auswahl seines „Teams“ bereits maBgebliche formale und inhaltliche Entscheidungen fur die spatere Rede trifft.

Die Beitrage, aus denen sich die spatere GroBe Regierungserklarung zusammensetzt, ent- stammen mehreren Bereichen. Die Bundesministerien (Ressorts) liefern ihren Teil in Form von ausformulierten Redepassagen, Auflistung von Vorhaben oder einfachen Infor- mationssammlungen und lassen dem Bundeskanzler auf diese Weise die thematischen Grundlagen fur seine Erklarung zukommen. Eine weitere Textvorlage bildet der bereits erwahnte Koalitionsvertrag, der die inhaltlichen Kompromisse der Regierungsparteien fixiert. Eingang finden ebenso Textfragmente von externen Beratern (Wissenschaftler, Zeitzeugen etc.) und sogar Umfrageergebnisse, mit denen die Wirkungsweise bestimmter Schlag- bzw. Schlusselworter und Leitformeln ausgetestet wurden.58 Wie aus diesen Einzelteilen in wenigen Tagen schlieBlich eine politische Antrittsrede aus einem Guss entsteht, liegt im Verantwortungsbereich des jeweiligen Kanzlers und der per- sonlichen Berater und Redenschreiber, die er beauftragt hat. Jede GroBe Regierungserkla- rung hat ihren eigenen Aufbau und einen unterschiedlich groBen Anteil der Mitwirkung des Kanzlers - abhangig von dem Zeitpunkt, an dem er sich in den Entstehungsprozess einbringt. Infolgedessen kommt es zu erheblichen strukturellen Unterschieden der Reden, wozu Stuwe bemerkt:

Es gibt lange und kurze Reden, systematischere und unsystematische, konkrete und unkonkrete, allgemein und detailliert gestaltete. Einige Kanzler (wie Kohl) liebten das enumerative Vorgehen, andere (wie Schroder) bevorzugten themenorientierte Gliederungen.59

Trotz des Einflusses durch ein Team von Redenschreibern kann gleichwohl gesagt wer- den, dass die Kanzler versuchen, die Antrittsreden nach ihren personlichen Vorlieben hin- sichtlich thematischer Orientierung, Aufbau und Formulierungen zu gestalten. Letztlich sind sie es, die die Rede vor der Zuhorerschaft prasentieren und mit der sie identifiziert werden wollen.

Um die Textsorte „Regierungserklarung“ naher zu beschreiben, muss eine Definition des Begriffs „Textsorte“ vorangestellt werden. Karl Ermert erklart Textsorten als „konventio- nell geltende Muster fur komplexe sprachliche Handlungen“60. Solche Muster entstehen sodann als typische Verbindungen von situativen, kommunikativ-funktionalen und struk­turellen, d.h. grammatischen und thematischen, Merkmalen.61 In eben der Situation des monologischen Vortragens im Plenum des Deutschen Bundestages, in dem ihm ungeteilte Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird, befindet sich der neugewahlte Bundeskanzler. Im Allgemeinen konnen Textsorten in die zwei GroBklassen „fiktionale Texte“ und „nichtfiktionale Texte“ unterschieden werden, wonach die Antrittsreden zu den nichtfikti- onalen Texten oder auch Gebrauchstexten zu zahlen sind, da sie nicht um der Kunst wil- len, sondern fur einem Zweck geschaffen wurden. Was die GroBe Regierungserklarung, situativ betrachtet, als eine Rede vor einer politischen Korperschaft anbetrifft62, so unter- stellt Alexander Tillmann grundsatzlich jedem politischen Sprechen, auf Basis seines pragmatischen Politikbegriffs, die Intention der Meinungs- und Handlungsbeeinflussung von Rezipienten (Persuasion63 ) zum ubergeordneten Ziel des Machterwerbs bzw. - erhalts.64 Die sich daraus notwendig ergebende Frage lautet demzufolge: Wie kann der Sprecher (Bundeskanzler) kommunikativ Einfluss auf die Einstellungen der Adressaten (Offentlichkeit, politische Akteure etc.) ausuben? Tillmann gibt dazu zwei kommunikative Verfahrensweisen an, die politische Textsorten zugleich in zwei Gruppierungen einteilen. Wahrend das proklamativ parteilich-politische Sprechen politische Positionen uber einen inhaltlich weiten Bereich - etwa viele Ressortfragen - verkundet, spricht man von propa- gandistisch parteilich-politischem Sprechen, wenn in einem zumeist begrenzten Inhaltsbe- reich fur politische Positionen geworben wird.65

Dieser Unterscheidung nach ist eine GroBe Regierungserklarung als eine proklamative politische Textsorte zu charakterisieren, welche politische Standpunkte aus einem inhalt- lich weiten Spektrum enthalt und zudem durch ihre Darlegung von Einzelaspekten zu be- stimmten, politischen Fragen primar auf die Rationalitat der Rezipienten abzielt. Das Wer- ben um Zustimmung fur politische Inhalte ist in Antrittsreden zwar indirekt enthalten, bildet aber nicht das Hauptanliegen, da im Anschluss an diese Rede keine Abstimmung oder Wahl stattfindet. Tillmann unterscheidet in seiner textfunktionalen Analyse weiterhin zwischen den „traditionellen“ Regierungserklarungen - womit die ersten drei nach Korte vorgestellten Varianten gemeint sind - und den GroBen Regierungserklarungen, fur die er den Terminus „Regierungsprogramm“ benutzt.

In ihrer Realisierung sind diese Regierungsprogramme auf Grund der fundamentalen und umfassenden politischen Positionen als „implikativ“66 zu bestimmen, welche - dies sei hier der Vollstandigkeit halber erwahnt - von den „Regulativen“ (Koalitionspapier) und den „Explikativen“ (Regierungs- und Oppositionserklarung) unterschieden werden kon- nen. Wahrend in Regulativen und Explikativen expressis verbis unterschiedliche politische Positionen erlautert und einander gegenuber gestellt werden, kommen in Implikativen (GroBe Regierungserklarung) grundlegende Positionen nur in Form von vorgestellten Pro- grammen vor, also implizit. Eine Gegenuberstellung kontrarer politischer Einstellungen oder Argumentationen findet in GroBen Regierungserklarungen meist nicht statt, wahrend laut Tillmann in „traditionellen“ Regierungserklarungen durchaus fur eine und gegen eine andere thematische Positionierung geworben werden kann (Schroders Einstellung zu weiteren Schritten nach den Anschlagen vom 11. September 2001). Eine Antrittsrede ist darum - laut der Kategorisierung von Tillmann - ein implikativ proklamativer politischer Textsortenuntertypus.67

Gegenuber der ebenfalls implikativ proklamativen politischen Textsorte „Parteipro- gramm“, welches sich uber einen zunachst unbegrenzten Zeitraum erstreckt, ist dieses „Regierungsprogramm“ mit einem Geltungsbereich von einer Legislaturperiode68 relativ begrenzt. Auf der gleichen Ebene der implikativ proklamativen Textsorten in Tillmanns Taxonomie ist das „Wahlprogramm“ angesiedelt69, das zur Antrittsrede in keinem Wider- spruchsverhaltnis stehen sollte, wenn die Glaubwurdigkeit der Regierung erhalten bleiben soll.

Die Hauptmotivation der politischen Rede in Form des Machterwerbs bzw. -erhalts, auf die Tillmann zurecht hinweist, sollte durch das Ziel einer beabsichtigten Interessendurch- setzung erganzt werden. Das mit der Regierungserklarung verbundene Ziel des Bundes- kanzlers kann in diesem Fall nicht ausschlieBlich in dem Machterwerb bzw. -erhalt gese- hen werden, sondern es enthalt zudem die Absicht der Durchsetzung bestimmter Interes- sen. Derartige Intentionen konnen nicht explizit, d.h. wortlich, in den Regierungserkla­rungen nachgewiesen werden. Vielmehr ist es vonnoten dieses Hauptziel in mehrere kommunikative Teilziele zu gliedern, die sich annahernd in den von Stuwe aufgestellten Redefunktionen wiederfinden. Um politische Interessen durchzusetzen und Macht zu er- werben bzw. sie zu erhalten, wird in den Antrittsreden informiert, appelliert, gedankt, so- lidarisiert und integriert, das Ausland mit einbezogen und schlieBlich Selbstdarstellung bzw. Imagepflege ausgeubt.

Alle Redeabschnitte, die einer der sechs von Stuwe aufgestellten Redefunktionen zuge- ordnet werden konnen, ergeben miteinander addiert nahezu den gesamten Redetext. Es verbleibt jedoch ein Bruchteil an Passagen in der jeweiligen Erklarung, der zu keiner der genannten Funktionen gehort, wozu unter anderem inhaltliche Uberleitungen und die An- kundigung von spater folgenden Themenbereichen in der Rede zahlen.

Nach einer vorangestellten Definition des Terminus „Redefunktion“ sollen im nachfol- genden Kapitel 3 die qualitativen Veranderungen bezuglich der sprachlichen Ausgestal- tung sowie der quantitative Umfang der drei ausgewahlten Redefunktionen nach Klaus Stuwe (Informations-, Solidarisierungs- bzw. Integrations- und Selbstdarstellungs- bzw. Imagepflegefunktion) im Mittelpunkt der funktionalen Analyse stehen.

3 Die Analyse der Redefunktionen einer Grofien Regierungserkla­rung

Damit die terminologische Ebene der Redefunktion abgesichert ist, bedarf es zunachst einer Definition des Terminus „Funktion“. Die nachstehenden Unterpunkte 3.1, 3.2 und 3.3 widmen sich dann dem systematischen Vergleich der drei Redefunktionen des Infor- mierens, Solidarisierens bzw. Integrierens und der Selbstdarstellung bzw. Imagepflege in den jeweiligen Grofien Regierungserklarungen.

Im Allgemeinen wird unter Funktion eine „klar umrissene Aufgabe innerhalb eines gro- fieren Zusammenhanges“70 verstanden. In Anknupfung an diese allgemeinsprachliche Begriffsklarung kann die Rede- bzw. Textfunktion - abhangig davon, ob die Rede gehort oder in Textform gelesen wird - als der Sinn abgegrenzt werden, den ein Text oder eine Textpassage im Kommunikationsprozess enthalt. Rolf Eckard definiert eine Textfunktion als „die ausgedruckte oder zum Ausdruck gebrachte Kommunikations- bzw. Handlungs- absicht“71. Die wohl umfassendste Definition hierzu hat bislang Ernst-Ulrich Grofie vorge- legt, in der er die Textfunktion ebenso als die Kommunikationsabsicht des Emittenten deutet, die im Text durch bestimmte, konventionell geltende, d.h. in der Kommunikati- onsgemeinschaft festgelegte, Mittel ausgedruckt werden. Dies meint die im Text ausgebil- dete Intention.72

Wie neben Klaus Stuwe auch Klaus Brinker in diesem Zusammenhang feststellt, konnen fur einen Text durchaus mehrere Textfunktionen charakteristisch sein.73 Drei verschiedene Intentionen der Regierungserklarung sollen nun zentraler Gegenstand der Untersuchung sein. Selbstverstandlich treten die in den Redefunktionen ausgedruckten Intentionen des Emittenten nicht nur in ihrer Reinform auf, sondern durchdringen sich und erganzen ein- ander. Derartige „Mischformen“ werden uberdies nicht gesondert betrachtet, vielmehr wird jede Redepassage ihrer hauptsachlichen, d.h. der dominierenden, Intention zugeord- net. Um die Hypothese der Ab- bzw. Zunahme bestimmter Redefunktionen zu uberprufen, werden die qualitative und die quantitative Analyse fur jede Funktion miteinander kombi- niert: Wandelt sich beispielsweise die sprachliche Realisierung des Informierens in ihrer Beschaffenheit und/oder nehmen informierende Redepassagen in ihrem Umfang zu bzw. ab? Erst aus dieser Kombination aus Qualitat und Quantitat einer Redefunktion lassen sich letztlich Entwicklungen aufzeigen.

Als wichtiger Ausgangspunkt fur politische Zielformulierungen dienen fortwahrend in­formierende Passagen zu Beginn der Antrittsrede, weshalb diese Redefunktion als Erste analysiert wird.

3.1 Die Redefunktion des Informierens

3.1.1 Die Bedeutung in der Grofien Regierungserklarung

Bereits aus dem Substantiv Regierungserklarung lasst sich ein erklarender, d.h. informie- render, Charakter dieses der Regierung vorbehaltenen und durch deren Sprecher realisier- ten Redetyps ableiten. Indem der neugewahlte Bundeskanzler zur beabsichtigten Regie- rungspolitik - darin inbegriffen sind ebenfalls die Koalitionsvereinbarungen - Stellung nimmt und programmatische bzw. konzeptionelle Vorhaben vorstellt, informiert er die Offentlichkeit. Als Emittent gibt er den Rezipienten zu verstehen, dass er ihnen bestimm- tes Wissen vermitteln will.74 Die in der Antrittsrede enthaltenen, vielfaltigen Informatio- nen zur geplanten Regierungspolitik im Allgemeinen und zu politischen Einzelfragen im Speziellen sind es, auf die es die Zuhorer mit ihrer Erwartungshaltung „abgesehen“ haben. Gleichwohl sind diese politischen Konzepte nicht alleiniger Bestandteil der Informations- funktion in Regierungserklarungen. Ferner finden sich ebenso analytische Zustandsbe- schreibungen, welche die okonomische, soziale, innen- und aufienpolitische Situation der Bundesrepublik beschreiben und/oder bewerten und damit zur informierenden Funktion zu rechnen sind. Erst diese Schilderung gegenwartiger Situationen, aufgetretener Probleme und deren Ursachen vermittelt die Notwendigkeit bestimmter politischer Handlungswei- sen. Das Informieren durch den Bundeskanzler lasst sich gewissermafien auf den Drei- schritt von Beschreibung des momentanen Zustands der BRD, der damit verbundenen Ableitung drangender Probleme und die von ihm praferierten Losungswege pointieren. Uberdies konnen auch Zukunftsprognosen geaufiert werden.

Eine uberblicksartige Betrachtung der derzeitigen Lage und die Darstellung des politi- schen Rahmens, in den die Politik der kommenden Legislaturperiode eingebettet werden soil, sind Schwerpunkte jeder GroBen Regierungserklarung seit 1949 und machen sie da- mit zum „Wegweiser der politischen Landschaft“75. Im Fall einer Wiederwahl sind Re- chenschaftsberichte uber die bisher geleistete Arbeit der Regierung ebenfalls Bestandteil des Informierens. Die Information - verstanden als eine neue, transportierte Mitteilung - stellt das Wesensmerkmal der Antrittserklarung dar76, an sie werden die groBten Erwar- tungen gestellt und daher nimmt sie in GroBen Regierungserklarungen den groBten Um- fang ein, worauf in der quantitativen Analyse dieser Redefunktion im Gliederungspunkt 3.1.3 ausfuhrlicher hingewiesen wird.

Die Informierensvermittlung durch den Bundeskanzler kann auf eine direkte Art und Wei- se geschehen, indem die informative Textfunktion durch explizit-performative Verben77 wie informieren, berichten oder unterrichten realisiert wird und auch indirekt, wenn der Emittent den thematisierten Sachverhalt als wahr, falsch bzw. mehr oder weniger wahr- scheinlich darstellt (Kohl 1987: „Es gibt aber auch wie wir wissen, immer noch erheb- liche Beschrankungen des Reiseverkehrs, die abgebaut werden mussen.“78 ). Wie wir wis­sen zeigt in diesem Fall die Information an, dass der Emittent das Gesagte als wahr und bekannt einstuft.

Auf die verschiedenen sprachlichen Realisierungsvarianten und -veranderungen wird nun im Gliederungspunkt 3.1.2 naher eingegangen. Wie kann die Informationsvermittlung sprachlich realisiert werden und lassen sich dabei Veranderungen in der Darstellungsweise ausmachen?

3.1.2 Die sprachliche Ausgestaltung

3.1.2.1 Berichtstil

Wenn der Bundeskanzler uber die vorliegende Sachlage in der Bundesrepublik, uber aktu- elle Probleme und deren eventuelle Losungsmoglichkeiten oder uber die Regierungsarbeit der vergangenen Legislaturperiode spricht, sind seine Ausfuhrungen vorwiegend von den Darstellungsformen des Beschreibens, Erklarens, Erlauterns, Analysierens und Begrun- dens gepragt. Ein sachliches Informieren ahnlich einer Berichterstattung, das meist zu Beginn einer Regierungserklarung prazise und in nuchterner Sprache mit zahlreichen Fachtermini erfolgt, wird in dieser Arbeit unter dem Oberbegriff des „Berichtstils“ zu- sammengefasst. Indem die okonomische, soziale, innen- und auBenpolitische Lage in den Vorderund gestellt wird, tritt der Berichtende als Person zuruck. Der zu vermittelnde In­halt wird rational berichtet und der Schwerpunkt des Referenten liegt auf Lagebeschrei- bungen und dem Schildern programmatischer Vorhaben, wobei der Sachverhalt im Fokus des Vortrags steht.

Im Gegensatz zu den im Perfekt gehaltenen Rechenschaftsberichten, welche die Erfolge der wiedergewahlten Regierung hervorheben sollen, sind Lagebeschreibungen meist im Prasens konstruiert, da sich die thematisierten Sachlagen auf Gegenwartiges beziehen. Zu veranschaulichen ist dies an den Beispielen des im Perfekt stehenden Rechenschaftsbe- richts von BRANDT 1973: „Unsere Friedenspolitik in Europa hat sich als ein Faktor welt- weiter Entspannung bewahrt“79 und der im Prasens gehaltenen Lagebeschreibung von Schmidt 1974: „Unser Land ist - gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika - ein fuhrender, der fuhrende Handelspartner in der Weltwirtschaft“80. Abgesehen von den unterschiedlichen Tempora innerhalb der Informationsfunktion lassen sich deutliche Un- terschiede und Entwicklungen in der Art und Weise ausmachen, wie die Bundeskanzler von 1949 bis 2005 das Informieren hinsichtlich des „Berichtstils“ in ihren jeweiligen Gro- Ben Regierungserklarungen realisieren.

In den ersten vier Regierungserklarungen unter ADENAUER ist eine sehr detaillierte Schil- derung bestimmter Probleme und programmatischer Vorhaben in komplexen, langen Sat- zen festzustellen, wie folgendes Beispiel von 1953 demonstriert:

Die Bundesregierung hat in den Jahren 1949 bis 1953 finanzpolitisch sich zur Auf- gabe gesetzt, die Mittel fur die notwendigen Ausgaben des Staates - Wiederauf- bau, Erfullung der Verpflichtungen gegenuber dem Ausland, Erfullung der sozial- politisch notwendigen Leistungen - aufzubringen, die Lasten hierbei so abzuwa- gen, daB das Erstarken der deutschen Wirtschaft nicht gestort wird, bei allem aber der Grundsatz aufrechtzuerhalten, daB die junge deutsche Wirtschaft nicht durch eine ungesunde Finanzpolitik gefahrdet wird und daB deshalb grundsatzlich die laufenden Ausgaben durch laufende Einnahmen zu decken sind.81

An diesem Ausschnitt zeigt sich, dass ADENAUER keine konkreten Festlegungen trifft oder Zielvorgaben setzt, er aber weitschweifig82 darlegt, welche Aspekte bei verschiedenen Entscheidungen zu berucksichtigen sind. ADENAUER will sich nach eigenen Angaben nicht auf „Einzelheiten bis ins Letzte oder uberhaupt auf Einzelheiten merkbaren Umfangs“83 festlegen, wenngleich er die Problematiken und mogliche Folgen zukunftiger Handlungs- weisen groBzugig ausfuhrt und dazu Termini verschiedener Fachsprachen nicht scheut („Umrechnungskurs“84, „Dividendenpapiere“85 ). Die informierenden Passagen der Regie­rungserklarungen von 1949, 1953, 1957 und 1961 sind gepragt von einer rationalen86 Dar- stellung des politischen Standpunkts Adenauers bzw. der damaligen Regierung in zahl- reichen Ressorts und einer umgangssprachlichen Stilschicht87. Daruber hinaus ist eine inhaltliche Komprimierung festzustellen, womit eine Akkumulation von Fakten in kom- plex gestalteten Satzen gemeint ist. Diese Merkmale der ersten Regierungserklarungen treten im Vergleich zu spateren umso deutlicher hervor. ADENAUER referiert 1953:

Die Quelle grundlegender Schwierigkeiten ist die augenblickliche Agrarstruktur. Von insgesamt 14 ha landwirtschaftlicher Grundflache sind noch 7 ha umlegungs- bedurftig; d.h. die Halfte unserer landwirtschaftlichen Nutzflache ist so zersplittert, daB eine Mechanisierung zur Steigerung der Arbeitsproduktion erfolglos bleiben muss.88

Exemplarisch offenbart dieses Beispiel, wie Adenauer ressortspezifisch auf Themen aufmerksam macht und dabei sachlich detailliert argumentiert, sodass die Richtlinien sei­ner Politik inhaltlich gestutzt werden und er auf den rational begrundeten Standpunkt der Rezipienten abzielt. Diese ersten Regierungserklarungen sind allesamt gepragt von zahl- reichen Fachfragen und -termini („Voraussetzungen fur Kapitalbildung“89, „Erhohung des Sozialprodukts“90, „Revision des Aktienrechts“91 etc.).

Nach der Bundestagswahl 1961 kommt es zu einer Neuerung, die den Inhalt und die Dar- stellungsweise spaterer Antrittsreden fundamental verandern wird. Auf Druck der FDP wird die CDU dazu veranlasst, formliche Koalitionsvereinbarungen durchzufuhren, die am Ende durch ein bindendes Vertragswerk besiegelt werden.92 Erstmals flieBen nun vorher- gegangene Koalitionsabsprachen ausdrucklich in GroBe Regierungserklarungen ein und auch das Wort „Koalitionsvereinbarung“93 wird erstmals explizit zu Beginn der 1961er- Rede genannt, die Erhard stellvertretend fur den erkrankten Adenauer halt. Dieser ver- weist dort auf das selbstverstandliche Recht der neu in die Regierung aufgenommenen Mitglieder „bei der Festlegung der Einzelheiten dieser Regierungserklarung ihren person- lichen Einfluss geltend zu machen“94. Nach dem Kanzlerwechsel fuhrt ERHARD den von Adenauer gepragten „Berichtstil“ fort. Die vor der Rede stattfindenden Koalitionsge- sprache samt Koalitionsvertrag schlagen sich deshalb noch nicht in Inhalt und Darstel- lungsweise merklich nieder, weil sie der Offentlichkeit nicht vorab zuganglich gemacht werden. Der Bundeskanzler muss nach wie vor die Adressaten seiner Rede uber Einzelhei­ten der Koalitionsabsprachen informieren. So finden sich auch in den Reden von 1963 und 1965 - vornehmlich im wirtschaftlichen Teil - komplexe Satze sachlicher Sprache wieder. Viele informierende Passagen Erhards und Adenauers ahneln sich in ihrer sprachlichen Ausgestaltung. Dennoch sind ERHARDS Antrittsreden von einzelnen Bemerkungen durch- zogen, die ein deutlich groBeres Pathos95 als bei Adenauer erkennen lassen und sich von dessen „karger Pragnanz“96 losen. So formuliert er in der Einleitung 1963: Nicht nur die Bundesrepublik, sondern die ganze Welt ist im Begriff, aus der Nachkriegszeit herauszutreten. Die Volker sind in Bewegung geraten. Den Strom der Zeit konnen wir alle nicht lenken, aber wir werden unser Schiff sicher steu- ern.97

Derartig „weiche“ Aussagen in einer gehobenen Stilschicht des Textes uber die gegen- wartige Lage Deutschlands und der Welt - hier die in Bewegung geratenen Volker oder den Strom der Zeit - waren bei ADENAUER undenkbar gewesen, dessen Reden stets durch wenig Pathos gekennzeichnet waren.98 Auch scheut sich Ehrhard nicht vor Emphasen (Figur des uneigentlichen Ausdrucks) wie „Mut“99 oder „schopferische Energien des deut schen Volkes“100 mit denen er die Heldenhaftigkeit des Alltaglichen beschreibt. Kiesin- ger wendet sich 1966 vom Pathos Erhards ab und will durch eine stark sachorientierte Gliederung - verbunden mit gleichzeitiger Abwendung von einer ressortbezogenen Kon- zeption - in seiner GroBen Regierungserklarung „Neues sagen, wo jetzt Neues zu sagen und zu wagen ist“101. Die dadurch mit Abstand kurzeste Rede wird kein Vorbild fur den Aufbau kunftiger Antrittsreden.102 Kiesinger fuhrt die von ihm ausgewahlten Inhalte sorgfaltig aus und legt den Schwerpunkt weniger auf Zustandsbeschreibungen, sondern uberwiegend auf geplante MaBnahmen der Regierung, die er katalogartig aufzahlt und spater themenbezogen naher erlautert. Die wenig pathetische Rede Kiesingers erklart sich aus seinem Selbstverstandnis bzw. seiner Rolle des „Moderator[s]“103, der zwischen den ungleichen Koalitionspartnern vermitteln muss. Der Schock der Wirtschaftskrise wirkt so stark, dass nicht „schone Worte“, sondern tatkraftige Handlungen gefragt sind. Fur seine sehr sachliche Darstellung erhalt Kiesinger von den Medien Lob („detailliert[er] und konkret[er]“104 Wirtschaftteil), aber auch Tadel („Kuhle des Tons“105 ).

Der erste Machtwechsel nach 20 Jahren Regierungsbeteiligung der CDU erfordert dage- gen einen anderen Auftakt und folglich eine andere Sprache. Brandt hebt sich von vo- rangegangenen Antrittsreden insofern ab, als dass er weitgehend auf inhaltliche Festle- gungen verzichtet und vermehrt Schlagworter in seine Rede einbindet, was durch die Me­dien als „Sprache der Verstandigung“106 ausgelegt wurde. Auf den Komplex der Schlag­worter, die in der jeweiligen Rede als Schlusselworter fungieren, wird im Speziellen in der Selbstdarstellungs- bzw. Imagepflegefunktion in 3.3.2.5 eingegangen. Das von Brandt neuentdeckte Pathos, welches eine moralisch inspirierte, rational durchdachte Politik pro- pagiert107, und daruber hinaus die sprachliche Perfektion mancher Leerformeln finden groBe Anerkennung in den Medien. Wie kein Bundeskanzler vor ihm versteht es Brandt, rhetorische Stilmittel - unter verminderter inhaltlicher Anreicherung in sehr viel kurzeren Satzen - zu verwenden und damit weniger auf das Rationalitatsbedurfnis der Rezipienten, als vielmehr auf die emotionale Wirkungsweise der Rede zu vertrauen. So heiBt es im au- Benpolitischen Teil der Rede von 1969:

Wir sind frei von der Illusion, zu glauben, das Werk der Versohnung sei leicht oder schnell zu vollenden. Es handelt sich um einen ProzeB; aber es ist an der Zeit, die- sen ProzeB voranzubringen.108

Werk der Versohnung illustriert hier die recht gefuhlsbetonte Rede BRANDTS, die mit dem anfangs beschriebenen Berichtstil wenig gemein hat und nur durch einige inhaltliche Fak- ten im wirtschaftlichen Abschnitt unterbrochen wird. Der Berichtstil findet in der ersten Antrittsrede 1974 von SCHMIDT wieder mehr Raum, indem dieser versucht, Probleme und Krisen, sowie deren Bewaltigung, mit Hilfe von Fakten sprachlich zu verdeutlichen. Ent- gegen Brandt, der den Problemen eher mit einem bewusst konstruierten Pathos zu be- gegnen versucht, sollen Fakten, Zahlen und realistische Einschatzung von Interessenlagen in Schmidts Rede die bevorstehenden Herausforderungen kalkulierbarer machen.109 Mit Schlagzeilen wie „Kanzler Schmidt: Karg wie Konrad Adenauer“110 wurden insbesondere der wiedergekehrte Berichtstil Adenauers, sowie der sprachliche Kontrast zu seinem unmittelbaren Vorganger kommentiert. Auch in der umfangreichsten aller GroBen Regie- rungserklarungen von 1949 bis 2005 versteht sich SCHMIDT 1976 darauf, Aufgaben sach- lich berichtend bzw. beschreibend darzustellen:

Wir stehen auf dem Arbeitsmarkt vor allem vor den folgenden Problemen. Zum ersten werden 1977 rund 760 000 Jugendliche die Schule verlassen und in den Be- ruf gehen. Das sind 40 000 junge Menschen mehr als noch vor zwei Jahren. [...] Fur alle diese jungen Menschen werden Ausbildungsplatze und Arbeitsplatze be- notigt.111

Da Schmidt fur seine Rede von 1974 viel Kritik aus der Presse erhalt („Mehr Vorsicht als Voraussicht“ und „Mangel an Phantasie“112 ), versucht er zwei Jahre spater und insbeson­dere 1980 in einigen Abschnitten verstarkt an das Pathos BRANDTS anzuknupfen. Obwohl er nun vermehrt Schlusselworter wie „Solidaritat“113 und „Freiheit“114 einbindet, wirkt seine Sprache dennoch administrativ. Die betonte Nuchternheit und der einhergehende Berichtstil seiner Antrittsreden bilden einen auffalligen Kontrast zur gefuhlsbetonten Sprache seines Vorgangers.

Indem die Koalitionspartner in den 1980er Jahren schlieBlich dazu ubergehen, die Koaliti- onsvertrage bereits vor der Bekanntgabe der ersten Regierungserklarung zu veroffent- lichen, wird die Offentlichkeit vorab uber wesentliche personelle Entscheidungen und programmatische Vorhaben der Regierung informiert.115 Es entfallt eine wesentliche Mo­tivation des Bundeskanzlers, alle inhaltlichen Plane der Regierungskoalition erneut in sei- nen Reden zu prasentieren. Kohl geht 1994 gar davon aus: „Der Text der Koalitionsver- einbarungen ist jedermann zuganglich; ich brauche ihn hier nicht im einzelnen zu referie- ren“116. Sollte dies schlieBlich der Grund dafur sein, dass die funf GroBen Regierungser- klarungen von Kohl weniger Fakten und inhaltliche Argumentationen als die Reden sei­ner Vorganger enthalten? Nach Waldemar Schreckenberger weist die umfassende und schriftlich fixierte Koalitionsabsprache dem Bundeskanzler nur noch die Rolle zu, den Koalitionsvertrag „mit der Autoritat der Bundesregierung als staatsleitendem Verfas- sungsorgan zu versehen und in publikumswirksamer Sprache [...] zu moderieren“117. Da politische Programme nun weniger detailliert in den Antrittsreden ausgefuhrt werden mus- sen, wird der Raum fur grundlegende konzeptionelle AuBerungen frei.

In den GroBen Regierungserklarungen Kohls von 1982 bis 1994 wird wenig Konkretes ausgedruckt und sein Schwerpunkt liegt eher in der Vorstellung einer konzeptionellen Gesamtgrundlage der geplanten Regierungspolitik als auf Einzelaspekten politische Prob- leme. Dies soll die folgende Lagebeschreibung von 1982 Kohls veranschaulichen:

In den offentlichen Haushalten mussen die Gewichte starker von der konsumtiven zu mehr zukunftsorientierter Verwendung verlagert werden. Dies gilt sowohl fur die Ausgaben- wie fur die Einnahmenseite. Die Bundesregierung wird deshalb schon 1983 die Haushaltsansatze fur die regionale Wirtschaftsforderung [...] sowie fur andere Gemeinschaftsprojekte anheben.118

In seinen funf Antrittsreden wahlt Kohl eine rationale Sprache ohne viel Pathos, dennoch bleibt das Gesagte allgemein, enthalt kaum konkrete Fakten und besteht oft aus eher uni- versellen Aussagen - teilweise sogar philosophischen Passagen. Der Berichtstil wird hier nicht in dem MaBe erfullt, wie dies bei Adenauer der Fall war. So hatte Adenauer im obigen Beispiel gewiss genannt, um wie viel die Beitrage erhoht werden sollen und ware auf eventuelle Grunde dafur eingegangen. Ausdrucke wie zukunftsorientierte Verwendung oder andere Gemeinschaftsprojekte lassen die Rezipienten hinsichtlich ihrer konkreten Bedeutung allerdings im Unklaren. Im Folgenden sollen zur Verdeutlichung zwei thema- tisch ahnliche Auszuge von Adenauer (1949) und Kohl (1991) einander gegenuberge- stellt werden.

Adenauer: In starkerem MaBe, als es bisher moglich war, wird die landwirtschaftliche Produktion zu verbessern und zu veredeln sein. Wir fuhren noch immer 50% der benotigten Lebensmittel ein. Wenn die deutsche Wirtschaft bis zum Jahre 1952 eine ausgeglichene Handelsbilanz erreicht haben soll, ist es notwendig, die landwirtschaftliche Produktion sehr erheblich zu steigern, um den Verbrauch von Devisen fur die Ernahrung soweit als moglich ein- zuschranken.119

Kohl: Die Bedeutung der Landwirtschaft fur unser Land geht weit uber den Anteil am Bruttosozialprodukt hinaus. Sie liefert einen unverzichtbaren Beitrag zur kulturellen Vielfalt des Landes und zur wirtschaftlichen Entwicklung des landlichen Raumes. Eine vielseitige Struktur wird dieser Gesamtaufga- be der Landwirtschaft am ehesten gerecht.120

Beide Ausschnitte von je drei Satzen zum Ausbau bzw. zur Bedeutung der Landwirtschaft im Vergleich zeigen eindeutig, dass sich die Art und Weise des Informierens verandert hat. Abgesehen davon, dass die durchschnittliche Satzlange seit 1949 offensichtlich konti- nuierlich zuruckgeht - was ferner Klaus Stuwe in seinen Untersuchungen festgestellt hat121 - lasst sich qualitativ betrachtet ein anderer Informationsgehalt erkennen. Wahrend Adenauer mittels Prozentangaben und festen Zielvorgaben seine Argumentation zur Richtlinie des Ausbaus der Landwirtschaft inhaltlich stutzt und den Sachverhalt prazise darstellt, beruft sich Kohl auf abstrakte, ungenaue Begriffe wie Bedeutung und Beitrag der Landwirtschaft. Offenkundig wollen beide Kanzler die Rezipienten uber die gegen- wartige Situation informieren, das Niveau der Information ist jedoch ein anderes - das anfangliche Berichten gleicht spater mehr einem „Erzahlen“. Korte deutet diese Methode des „Alles-offen-lassen[s]“ als ein Fuhrungselement Kohls, der es vermeidet offentlich inhaltliche Festlegungen zu offenbaren und sich lieber auf „die Suche nach Kompromiss- formeln und Allgemeinverbindlichkeiten“122 begibt.

Neben vereinzelten Ausnahmen von Passagen hohen Informationsgehalts lassen sich mehrheitlich auch in den Regierungserklarungen von Schroder und Merkel Redepassa- gen finden, die mit dem Berichtstil Adenauers wenig zu tun haben und eher an ein Pa­thos Brandts anzuknupfen versuchen. Schroder gebraucht viele „schlichte“, allgemein gultige Ausdrucke („Deutschland ist ein Land mit einem groBartigen wirtschaftlichen Po­tential und enormen eigenen Wachstumskraften“123 ), umgangssprachliche Worter („Der Transfer von Wissenschaft zur Wirtschaft liegt in Deutschland im argen“124 ) und vage Begriffe (Ankundigung einer „bessere[n] Politik fur Deutschland“125 ). In der Antrittsrede Merkels vom Jahr 2005 ist der anfangliche Berichtstil endgultig vielen Schlusselwortern („Freiheit“ und „Gerechtigkeit“126 ), einer einfacheren und verstandlicheren Sprache („Wir brauchen einen Dialog mit dem Islam. Wir mussen einander verstehen lernen“127 ) und wie bei Schroder zahlreichen umgangssprachlichen Wendungen („Wir haben dicke Bretter zu bohren“128 ) gewichen. Der normal- bis umgangssprachliche Stil von SCHRODER und Merkel, in dem Worter unmarkiert und der Alltagskommunikation entnommen sind, un- terscheidet sich von der durchweg normalsprachlichen Stilschicht ADENAUERS und der teilweise gehobenen bei Brandt, in der auch einige rhetorisch feierliche Wendungen ih- ren Platz finden. Das prazise sachliche Berichten uber politische Inhalte und deren mog- liche konkrete Ausgestaltung in Form von Gesetzen ist uberwiegend konzeptionellen Er- klarungen im Sinne grundlegender politischer Uberzeugungen gewichen. Die Vielschich- tigkeit der Information wird abstrahiert und damit vereinfacht, bleibt aber in ihrem Kern enthalten und sorgt somit fur das Reduzieren der Problemkomplexitat im Gesamten.

3.1.2.2 Angabe von Statistiken, Zahlen und Prozenten

Wie bereits in 3.1.2.1 angedeutet wurde, bilden Statistiken, Zahlen- und Prozentangaben - entsprechend dem jeweiligen Kontext - einen wesentlichen Bestandteil der Informationen in Regierungserklarungen. Um fur die Rezipienten ein detailliertes Bild der gegenwartigen Lage zu zeichnen oder gezielte politische MaBnahmen im Einzelnen vorzustellen, nutzen die Bundeskanzler in ihren Reden zur Konkretisierung vielfach aussagekraftige Zahlen. Hat sich die Art und Weise einer derartigen Einbindung von nummerischen Fakten seit 1949 geandert?

Untersucht man Zahlen- und Prozentangaben in allen GroBen Regierungserklarungen las­sen sich betrachtliche Differenzen in Quantitat und Qualitat feststellen. Grundsatzlich kann man derartige Angaben in allgemeine (Jahreszahlen, Zeitraume oder Staatseinnah- men und -ausgaben) und spezielle (Anteil bestimmter Bevolkerungsgruppen, Preissteige- rungsraten oder Prozentangaben zu Schulabschlussen) unterscheiden. Obwohl in den An- trittsreden bestandig ein umfangreiches, inhaltliches Spektrum dargestellt wird, sind die vorzufindenden Zahlenbeispiele weniger vielfaltig als im Vorhinein zu vermuten ware. Hauptsachlich werden diese Angaben eingebunden: Wahlergebnisse, Bevolkerungszu- sammensetzung, Haushaltsvolumen, Einnahmen und Ausgaben des Bundes, staatliche Investitionshohen, Anzahl der Erwerbstatigen, Hohe der Entwicklungshilfe und Bruttoin- landsprodukt.

Hinsichtlich der Quantitat und Qualitat lassen sich drei Phasen erkennen. In der ersten Phase, welche die Regierungserklarungen von 1949 bis 1963 (mit Ausnahme von 1953) betrifft, werden uberwiegend wenige und allgemeine Zahlen- und Prozentangaben ver- wendet. Adenauer spricht beispielsweise 1949 von „1,5 bis 2 Millionen deutsche[n] Kriegsgefangene[n]“129, 1953 von „67 %“ der Bevolkerung im produktiven Alter“130 und 1961 von Bildungsinvestitionen „in Hohe von 500 Millionen DM“131. Die Regierungser- klarung von 1953 bildet insofern eine Ausnahme, als dass hier auffallend mehr Zahlenbei­spiele eingebaut werden, welche sich ebenfalls auf viel speziellere Gebiete beziehen (Stimmenverteilung im Bundestag, Anteil der Agrarflache, Wahlbeteiligung, Steigerungs- raten der deutschen Industrieproduktion). Eine Erklarung fur diese Tatsache kann leider nicht gegeben werden.

Durch wesentlich haufigere und detailliertere Zahlen- und Prozentangaben sind die Regie­rungserklarungen von 1965 bis 1980 gepragt, wodurch die zweite Phase gekennzeichnet ist. Jeder Bundeskanzler dieses Zeitraums konkretisiert seine Lagebeschreibungen und politischen Zielvorstellungen hier mit mehreren Zahlenbeispielen. Es werden uber die sonstigen Daten hinaus beispielsweise Zollanteile, Anzahl der Soldaten, Arbeitnehmer- freibetrage, Durchschnittslohne, Zahlungen an die Europaische Union, Olpreis oder pro- zentuale Verteilung der Schulabschlusse thematisiert. Als mogliche Grunde fur die detail- lierten Angaben konnte man eine zunehmende Ausdifferenzierung der Gesellschaft, nachwirkende Ereignisse (EWG-Grundung 1957, Nato-Beitritt 1955 etc.), eine insgesamt verbesserte statistische Erhebung oder verstarkt politische Detailfragen im Fokus des Inte- resses annehmen. Im Folgenden sei hier ein exemplarischer Ausschnitt aus der 1976er- Rede von Schmidt angefuhrt.

Die Zunahme der gesamten Wirtschaftstatigkeit - ich spreche vom realen Brutto sozialprodukt - wird in diesem Jahre zwischen 5 % und 6 % liegen.

[...]


1 Das Wort „Bundeskanzler“ wird hier und im Folgenden als geschlechtsneutrale Bezeichnung des Amtstra- gers gebraucht.

2 Prantl, Heribert: Die Regierungserklarung, in: SZ vom 26.11.1998, S. 13.

3 Welan, Manfried: Regierungserklarungen in Recht und Politik, in: Gottschlich, Maximilian u.a. (Hrsg.): Was die Kanzler sagten. Regierungserklarungen der 2. Republik 1945-1987. Wien/Koln 1989, S. 69.

4 Behn, Hans-Ulrich: Die Regierungserklarungen der Bundesrepublik Deutschland. Munchen 1971.

5 Pulte, Peter: Regierungserklarungen 1949-1973. Berlin 1973.

6 Beyme, Klaus von (Hrsg.): Die groBen Regierungserklarungen der deutschen Bundeskanzler von Adenauer bis Schmidt. Munchen 1979.

7 Beyme, Klaus von: Der Gesetzgeber: Der Bundestag als Entscheidungszentrum. Opladen 1997.

8 Bohret, Carl: Politische Vorgaben fur ziel- und ergebnisorientiertes Verwaltungshandeln aus Regierungs­erklarungen, in: Hartwick, Hans-Hermann/Wewer, Gottrik: Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 3. Opla­den 1991.

9 Stuwe, Klaus: Die Rede des Kanzlers. Regierungserklarungen von Adenauer bis Schroder. Wiesbaden 2005, S. 155.

10 Gottschlich, Maximilian/Panagel, Oswald/Welan, Manfred (Hrsg.): Was die Kanzler sagten. Regierungs­erklarungen der 2. Republik 1945-1987. Wien/Koln 1989.

11 Bergsdorf, Wolfgang: Herrschaft und Sprache. Studie zur politischen Terminologie der Bundesrepublik Deutschland. Pfullingen 1983.

12 Schmidt, Manfred G.: Regieren in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen 1992.

13 Van den Berg, Guido/Vagt, Silke: Die groBen Regierungserklarungen der Bundeskanzler im quantitativen Vergleich, ZParl 33 (2002), S. 463-473.

14 Zimmermann, Hans-Dieter: Die politische Rede. Der Sprachgebrauch der Bonner Politiker. Stuttgart u.a. 1969.

15 Dorner, Andreas: Politische Sprache - Instrument und Institution der Politik, in: APuZ, B 17/91.

16 Simmler, Franz: Die politische Rede im Deutschen Bundestag. Bestimmung ihrer Textsorten und Rede- sorten. Goppingen 1978.

17 Kirchner, Alexander: Die sprachliche Dimension des Politischen. Studien zu Rhetorik und Glaubwurdig- keit. Wurzburg 2000.

18 Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Das Wort hat der Herr Bundeskanzler. Eine Analyse der GroBen Regierungs- erklarungen von Adenauer bis Schroder. Wiesbaden 2002.

19 Burkhardt, Armin: Das Parlament und seine Sprache. Studien zu Theorie und Geschichte parlamentari­scher Kommunikation. Tubingen 2003.

20 Stuwe, Klaus: Die Rede des Kanzlers. Regierungserklarungen von Adenauer bis Schroder. Wiesbaden 2005.

21 Vgl. den Vorwurf vom Autor der „Zeit“ Matthias Geis zur Inhaltsleere von Schroders Rede 1998: „Es fehlt die Politik, die zur Rhetorik passt. [...] Reform ohne Zumutung - ist das die Botschaft des Kanz- lers?“ in Geis, Matthias: Der Fehlstart, in: Die Zeit vom 13.11.1998, S. 3. Des Weiteren die Kritik von Detlef Griehwelle zum Kitsch in der politischen Rede, in: Griehwelle, Detlef: Politische Rhetorik. Macht der Rede, offentliche Legitimation, Stiftung von Konsens. Wiesbaden 2000, S. 368 ff.

22 Vgl. das Inhaltsverzeichnis in Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 10 f.

23 Eine chronologische Auflistung der untersuchten GroBen Regierungserklarungen von 1949 bis 2005 be- findet sich im Anhang dieser Arbeit unter „Die GroBen Regierungserklarungen in Textform“.

24 Deutscher Bundestag (Hrsg.): Protokolle der Sitzungen des Deutschen Bundestages, 1. bis 16. Legislatur­periode. Bonn 1949 ff.; Die 20 GroBen Regierungserklarungen zum Amtsantritt der deutschen Bundes­kanzler von 1949 bis 2005 werden in digitaler Form auf CD-ROM als Anhang beigelegt.

25 In der Forschung besteht Uneinigkeit daruber, ob textuelle Grundfunktionen einem Text nur als Ganzem zuzuschreiben sind, wobei die jeweiligen Einheiten als Trager der einen textuellen Grundfunktion dienen oder ob, ein Text als illokutionares Gebilde aus verschieden illokutionar gepragten Einheiten besteht. Vgl. dazu Rolf, Eckard: Textuelle Grundfunktionen, in: Brinker, Klaus u.a. (Hrsg.): Text- und Gesprachslingu- istik. Ein internationales Handbuch zeitgenossischer Forschung, 1. Halbbd., Berlin 2000, S. 422-435.

26 Guggenberger, Bernd: Art. Regierungserklarung, in: Andersen, Uwe/Woyke Wichard (Hrsg.): Handwor- terbuch des politischen Systems (= Schriftenreihe der Bundeszentrale fur politische Bildung, Bd. 406), 5., akt. Aufl., Bonn 2003, S. 538.

27 Ebd. S. 539.

28 Vgl. dazu die Zusammenstellung mehrerer Positionen bei Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 28.

29 GG-K, Art. 65 Rn. 16. Daruber hinaus existieren analoge Argumentationen bei Achterberg, Norbert: Inne- re Ordnung der Bundesregierung, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul (Hrsg.): Handbuch des Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 2, Heidelberg 1987, S. 638. und Stern, Klaus: Das Staatsrecht der Bun­desrepublik Deutschland. Bd. 2, Munchen 1984, S. 304.

30 Vgl. Korte: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, S. 13.

31 Ebd. S. 12.

32 Regierungserklarung von Bundeskanzler Gerhard Schroder zu den Anschlagen in den Vereinigten Staaten von Amerika, Nr. 58-1 vom 12. September 2001, in: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.): Bulletin 2005. Bulletin 1996-2004 (CD-ROM).

33 Regierungserklarung von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir durfen unsere Zukunft nicht verbrauchen, in: Das Parlament vom 11. September 2006, S. 18.

34 Vgl. Korte: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, S. 13.

35 Vgl. BT-Sten. Ber. 11/13010 A-13018 C.

36 Korte: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, S. 14.

37 Ebd. S. 14.

38 Beyme: Die groBen Regierungserklarungen, S. 8.

39 Vgl. Korte, Karl-Rudolf: Konjunkturen des Machtwechsels in Deutschland. Regeln fur das Ende der Re- gierungsmacht?, in: ZParl 4 (2000), S. 833 f.

40 Vgl. Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 61.

41 Prantl: Die Regierungserklarung, S. 13.

42 Vgl. Bohret: Politische Vorgaben fur Verwaltungshandeln, in: Hartwick, H.-H./Wewer, G.: Regieren in der Bundesrepublik, S. 74 f.

43 Korte: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, S. 17.

44 Ebd. S. 17.

45 Vgl. ebd. S. 17.

46 Guggenberger: Art. Regierungserklarung, in: Andersen/Woyke: Handworterbuch des politischen Systems, S. 539.

47 Bohret: Politische Vorgaben Verwaltungshandeln, in: Hartwick/Wewer: Regieren in der Bundesrepublik, S. 73.

48 Diese und weitere Medienbeispiele bei Korte: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, S. 14.

49 Vgl. Wewer, Gottrik: Richtlinienkompetenz und Koalitionsregierung: Wo wird Politik definiert?, in: Hart­wick/Wewer: Regieren in der Bundesrepublik. Bd. 1. Opladen 1990, S. 147.

50 Frohlich, Manuel: Regierungserklarungen mit Geschichte, in: Das Parlament Nr. 48 vom 20. November 1998, S. 13.

51 Vgl. Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 40.

52 Guggenberger: Art. Regierungserklarung, in: Andersen/Woyke: Handworterbuch des politischen Systems, S. 539.

53 Harpprecht, Klaus: Im Kanzleramt. Tagebuch der Jahre mit Willy Brandt. Berlin 2000, S. 31.

54 Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 153.

55 Eine Ubersicht zu den verschiedenen textuellen Grundfunktionen in Rolf: Textuelle Grundfunktionen, in: Brinker: Text- und Gesprachslinguistik, S. 422-435. Eine Klassifikation von Sprachfunktionen bei Brin- ker, Klaus: Linguistische Textanalyse. Eine Einfuhrung in die Grundbegriffe und Methoden. 5., durchge- sehene und erganzte Aufl. Berlin 2001. Zu den Textsorten politischer Sprache vgl. Tillmann, Alexander: Ausgewahlte Textsorten politischer Sprache. Eine linguistische Analyse parteilichen Sprechens. Goppin- gen 1989.

56 Vgl. Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 69.

57 Vgl. Mertes, Michael: Fuhren, koordinieren, Strippen ziehen: Das Kanzleramt als Kanzlers Amt, in: Kor- te, Karl-Rudolf/Hirscher, Gerhard (Hrsg.): Darstellungs- oder Entscheidungspolitik. Munchen 2000, S. 64.

58 Vgl. Korte: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, S. 24.

59 Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 95.

60 Ermert, Karl: Briefsorten. Untersuchungen zu Theorie und Empirie der Textklassifikation. Tubingen 1979, S. 41 ff

61 Vgl. ebd. S. 41 ff.

62 Die Antike unterscheidet drei situative Reden: die Rede vor Gericht, die Rede vor einer politischen Kor- perschaft, die Festrede auf eine Person. Siehe dazu Art. Rhetorik, in: J.B. Metzler Verlag (Hrsg.): Metzler Lexikon Sprache, Digitale Bibliothek Bd. 34, Berlin 2004, S. 581 (CD-ROM).

63 Vgl. Art. Persuasiv, in: J.B. Metzler Verlag: Metzler Lexikon Sprache, S. 520.

64 Tillmann: Ausgewahlte Textsorten politischer Sprache, S. 75.

65 Vgl. ebd. S. 77.

66 Ebd. S. 78.

67 Vgl. ebd. S. 78 ff.

68 Eine Ausnahme bildet die GroBe Regierungserklarung von Kohl nach dem konstruktiven Misstrauensvo- tum am 01.10.1982, die explizit nur bis zum Wahltag, der fur den Marz 1983 angekundigt wurde, galt.

69 Vgl. Tillmann: Ausgewahlte Textsorten politischer Sprache.

70

Art. Funktion, in: Duden V: Das Fremdworterbuch, 9., akt. Aufl., herausgegeben von Matthias Wermke u.a. Mannheim u.a. 2007 (= Duden Band 5), S. 346.

71 Rolf: Textuelle Grundfunktionen, in: Brinker u.a.: Text- und Gesprachslinguistik, S. 422.

72 Grofie, Ernst-Ulrich: Text und Kommunikation. Eine linguistische Einfuhrung in die Funktionen der Tex- te. Stuttgart 1976, S. 68.

73 Vgl. Brinker: Linguistische Textanalyse, S. 83 f.

74Vgl. Dimter, Matthias: Textklassenkonzepte heutiger Alltagssprache. Kommunikationssituation, Text- funktion und Textinhalt als Kategorien alltagssprachlicher Textklassifikation. Tubingen 1981, S. 63 f.

75 Gottschlich: Regierungserklarungen als Modellfalle politischer Kommunikation, in: Gottschlich: Was die Kanzler sagten, S. 34.

76 Grundsatzlich nennen die meisten Lexika und Worterbucher unter dem Stichwort „Regierungserklarung“ diese Funktion an erster Stelle. Vgl. Rohring, Hans-Helmut/Sontheimer, Kurt (Hrsg.): Handbuch des deutschen Parlamentarismus. Munchen 1970, S. 421 f.; Beck, Reinhart: Sachworterbuch der Politik. Stuttgart 1986, S. 805; Schmidt, Manfred G.: Worterbuch zur Politik. Stuttgart 1995, S. 815 f.

77 Erinnert sei an die Klassifikation von Searle, John R.: Eine Taxonomie illokutionarer Akte, in: Searle, John R.: Ausdruck und Bedeutung. Untersuchung zur Sprechakttheorie. Frankfurt 1982, S. 17-50.

78 BT-Sten. Ber. 11/66 D.

79 BT-Sten. Ber. 7/122 A.

80 BT-Sten. Ber. 7/6598 C.

81 BT-Sten. Ber. 2/16 B.

82 „Weitschweifigkeit“ definiert als „Gegensatz zur Kurze und als Ausbreiten vieler unwesentlicher Anga- ben“ in Sowinski, Bernhard: Stilistik. Stiltheorien. Beobachtungen zur Sprachverwendung und Sprach- gestaltung im Deutschen. Frankfurt am Main 1991, S. 275 ff.

83 So Konrad Adenauer, zitiert bei: Kupper, Jost: Die Kanzlerdemokratie. Frankfurt am Main 1985, S. 243.

84 BT-Sten. Ber. 1/24 C.

85 BT-Sten. Ber. 2/16 D.

86 „Rationalitat“ als Stilzug definiert als „gedankliche Prazision und begriffliche Scharfe eines Ausdrucks durch zum Beispiel abstrakte Ausdrucksweisen“, siehe Sowinski: Stilistik, S. 275 ff.

87 Verwendet gemaB der Klassifikation der Stilhohe in funf Stilschichten: gehoben (Beschrankung auf eine rhetorisch feierliche Verwendung), normalsprachlich (unmarkiert, keine Verwendungsbeschrankung), umgangssprachlich (Beschrankung auf ungezwungene Alltagskommunikation), salopp (Beschrankung auf Kommunikation zwischen engen Vertrauten), vulgar (starke Verwendungsbeschrankung); siehe Flei­scher, Wolfgang/Michel, Georg/Starke, Gunter: Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. Frankfurt am Main u.a. 1993, S. 104 ff.

88 BT-Sten. Ber. 2/17 C.

89 BT-Sten. Ber. 1/25 C.

90 BT-Sten. Ber. 2/13 D.

91 BT-Sten. Ber. 2/21 A.

92 Vgl. Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 177.

93 BT-Sten. Ber. 4/22 C.

94 BT-Sten. Ber. 4/23 B.

95 „Pathos“ definiert als „Steigerung des GefuhlvoUen hinsichtlich einer feierlichen Ergriffenheit“ in So- winski: Stilistik, S. 275 ff

96 Bergsdorf: Herrschaft und Sprache, S. 181.

97 BT-Sten. Ber. 4/4192 C.

98 Vgl. Beyme: Die groBen Regierungserklarungen, S. 28.

99 BT-Sten. Ber. 4/4199 B.

100 BT-Sten. Ber. 4/4192 D.

101 BT-Sten. Ber. 5/3665 A.

102 Vgl. Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 170.

103 Korte: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, S. 148.

104 Reiser, Hans: Kiesingers Worte klangen gut, in: SZ vom 14.12.1966, S. 1.

105 Sommer, Theo: Des Kanzlers schillernder Prolog, in: Die Zeit vom 16.12.1966, S. 2.

106 Bergsdorf: Herrschaft und Sprache, S. 230 ff.

107 Vgl. ebd. S. 233.

108 BT-Sten. Ber. 6/32 D.

109 Vgl. Bergsdorf: Herrschaft und Sprache, S. 255.

110 Neumaier, Eduard: Ruckkehr aus einem gelobten Land, in: Die Zeit vom 24.05.1974, S. 1.

111 BT-Sten. Ber. 8/33 A.

112 Bergsdorf: Herrschaft und Sprache, S. 256

113 BT-Sten. Ber. 8/32 A.

114 BT-Sten. Ber. 9/25 B.

115 Vgl. Stuwe: Die Rede des Kanzlers, S. 177.

116 BT-Sten. Ber. 13/39 D und 13/40 A.

117 Schreckenberger, Waldemar: Informelle Verfahren der Entscheidungsvoibereitung zwischen der Bundes­regierung und den Mehrheitsfraktionen: Koalitionsgesprache und Koalitionsrunden, in: ZParl 3 (1994), S. 332.

118 BT-Sten. Ber. 9/7216 D.

119 BT-Sten. Ber. 1/25 B.

120 BT-Sten. Ber. 12/77 C.

121 Klaus Stuwe stellt in diesem Zusammenhang eine Entwicklung von durchschnittlichen 23 Wortern pro Satz in der ersten Regierungserklarung von Adenauer zu etwa 16 Wortern pro Satz in der Antrittsrede Schroders 1998 fest. Siehe dazu die Abbildung in Stuwe: Die Rede des Kanzlers. 141.

122 Korte: Das Wort hat der Herr Bundeskanzler, S. 227.

123 BT-Sten. Ber. 15/55 D.

124 BT-Sten. Ber. 14/55 D.

125 BT-Sten. Ber. 14/48 A.

126 BT-Sten. Ber. 16/89 D.

127 BT-Sten. Ber. 16/83 D.

128 BT-Sten. Ber. 16/78 A.

129 BT-Sten. Ber. 1/27 D.

130 BT-Sten. Ber. 2/18 C.

131 BT-Sten. Ber. 4/28 A.

Ende der Leseprobe aus 149 Seiten

Details

Titel
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler / die Frau Bundeskanzlerin
Untertitel
Eine Analyse der Redefunktionen in den Regierungserklärungen zum Amtsantritt der Bundeskanzler von 1949 bis 2005
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
149
Katalognummer
V156311
ISBN (eBook)
9783640694105
ISBN (Buch)
9783640695263
Dateigröße
953 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bundeskanzler, Reden, politische Sprache
Arbeit zitieren
Nadin Gabriel (Autor:in), 2008, Das Wort hat der Herr Bundeskanzler / die Frau Bundeskanzlerin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156311

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