Bedrohte Wahrheit. Der Islam und die modernen Naturwissenschaften


Fachbuch, 2010

229 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Geschichte der islamischen Welt I
Früharabische Reiche
Mohammed und die Zeit der Kalifen
- Mohammed
- Die vier „rechtgeleiteten“ Kalifen von Medina
Die Herrschaft der Umayyaden
Das Kalifat der Abbasiden in seiner Blütezeit

Intermezzo
Historisch-kritische Betrachtung der Zeit des frühen Islam
- Offene Fragen
- Christentum in vor- und frühislamischer Zeit
- Eine alternative Sicht der islamischen Frühzeit
Die Frage der Legitimation des Herrschers

Geschichte der islamischen Welt II
Vom Großemirat zur Mongolenherrschaft
Die Fatimiden in Ägypten
Al-Andalus, Spanien unter muslimischer Herrschaft
Mongolenreiche
- Das Reich der Il Khane
- Die Timuriden

Besonderheiten der islamischen Kultur I
Islamisches Recht
- Das sunnitische Recht
- Besonderheiten des schiitischen Rechts
Religion und Theologie
- Der Koran
- Prophetenüberlieferung (Sunna und Hadith)
- Islamische Glaubensrichtungen
= Die Kharijiten
= Die Qadariten
= Die Mutaziliten und die rationale Theologie (Kalam)
- = Die Schiiten
- Die Zwölfer-Schiiten
- Die Siebener-Schiiten oder Ismailiten
= Die Sunniten
- Engel und Djinnen

Intermezzo
Toleranz im Islam

Besonderheiten der islamischen Kultur II
Philosophie
- Das griechische Erbe und seine Übernahme durch den Islam
- Philosophie in der griechischen Tradition
- = im persisch-irakischen Osten
- al-Kindi
- ar-Razi (Rhazes)
- al-Farabi (Abunaser)
- Ibn Sina (Avicenna)
- al-Ghazali
= in al-Andalus
- Ibn Bajja (Avempace)
- Ibn Tufayl (Abubacer)
- Ibn Rushd (Averroes)
Islamische Philosophie
= Die Sufi-Bewegung
= Suhrawardi und die Philosophie der Erleuchtung

Naturwissenschaften in der Kultur des mittelalterlichen Islam
Gedanken zum Thema Naturwissenschaften
- Der Begriff „Natur“
- Naturwissenschaften als Welterklärungsmodell
- Entwicklung der frühen Naturwissenschaften
Arabische Buchkultur
Das Zeitalter der Übersetzungen und der kulturelle Aufbruch in Bagdad
- Die Bewahrung des griechischen Erbes
- Die Übersetzungen ins Arabische und der kulturelle Aufbruch
- Ausgewählte Übersetzer
= Hunayn ibn Ishaq
= Thabit ibn Qurra
= Qusta ibn Luqa
Wissenschaftliche Zentren
- Bibliotheken
- Sternwarten
- Hospitäler
- Die Madrasa
Die wichtigsten wissenschaftlichen Ergebnisse des islamischen Mittelalters
- Astronomie und Mathematik
= Die griechischen Grundlagen
= Indische Einflüsse
= Astronomie in der islamischen Welt
= Mathematik
- Alchemie
- Medizin
- Experimentelle Wissenschaften
Zwei berühmte Wissenschaftler des islamischen Mittelalters
- Omar Khayyam
- Nasir ad-Din at-Tusi
Weitere Entwicklung der Naturwissenschaften im Islam und im Abendland

Islam und Naturwissenschaften in der Gegenwart
Geistige Strömungen im modernen Islam
- Das Eindringen des Westens
- Erste Reaktion auf die abendländische Moderne
- Islamischer Fundamentalismus
Die derzeitige Situation
Innerislamische Diskussion der rationalen Wissenschaften
Wie könnte die Zukunft aussehen?

Literatur

Personenregister

Vorwort

„Bedrohte Wahrheit“ steht für den Konflikt zwischen dem Weltbild einer orthodoxen Religion und dem Welterklärungsmodell der modernen Naturwissenschaft. Die offenbarte religiöse Wahrheit sieht sich von der rationalen Wissenschaft bedroht. Die rationale Wissenschaft hingegen ist dort eingeschränkt, wo Religionsgelehrte die Macht ausüben. Dieses Buch schildert den Konflikt zwischen dem Islam und dem rationalen Denken und spannt dabei den Bogen von der Blütezeit der Wissenschaften im multikulturellen, multireligiösen Bagdad des 9. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart.

Jedes Buch hat seine Geschichte. Im Jahre 2006 veröffentlichte ich bereits ein Buch, in dem ich darlegte, warum die modernen Naturwissenschaften sich ausgerechnet im Europa des 17. Jahrhunderts entwickelten und warum es ihnen nur dort gelang. Ich betrachtete damals die mittelalterliche Hochkultur Chinas und die der islamischen Welt im Vergleich zu Europa, um herauszuarbeiten, was das Europa des 17. Jahrhunderts von diesen konkurrierenden Kulturen unterschied. In China und im Islam hätte die Entwicklung, die im Europa des 17. Jahrhunderts ablief, bereits Jahrhunderte früher ablaufen können, wenn die gesellschaftlichen (China und Islam) und philosophischen (China) Voraussetzungen vorhanden gewesen wären, die in Europa maßgeblich wurden.

Leser des damaligen Buches beklagten, daß die Schilderung der mittelalterlichen islamischen Welt der Wissenschaften dort zu knapp abgehandelt wurde. So begann ich mit diesem Projekt, das sich jedoch im Laufe der Arbeit verselbständigte, indem es nicht nur die Wissenschaften in der Welt des mittelalterlichen Islam beschreibt, sondern vor allem die Stellung des Islam zu den rationalen Wissenschaften von den Anfängen bis zur Moderne.

Um den Argumenten, vor allem für den allgemein-interessierten Leser, eine Basis zu geben, wird die Geschichte der islamischen Welt bis zum 15. Jahrhundert kurz skizziert, sowie die Gedankenwelt des Islam, seines Umfeldes und seiner Wurzeln knappumrissen.

Fremdsprachliche, vor allem arabische, Namen werden in einer in der populären Literatur gebräuchlichen Weise geschrieben, da die philologisch exakte Schreibweise den Nicht-Fachgelehrten meist nur verwirrt. Alle verwendeten wissenschaftlichen Monographien sind im Literaturverzeichnis aufgeführt. Zeitschriftenaufsätze und Internetquellen finden sich in den jeweiligen Fußnoten.

Meiner lieben Frau, Gabriele Wulff, danke ich für die vielen Anregungen und Verbesserungsvorschläge. Die Verantwortung für Inhalt und eventuelle Fehler liegt jedoch allein bei mir.

September 2010 Karl Wulff

Einleitung

Dieses Buch handelt von dem Konflikt zwischen traditionellem Denken in der islamischen Welt und den modernen Naturwissenschaften. Es versucht, die zugrundeliegenden Probleme bis zu ihren historischen Wurzeln zurückzuverfolgen und dann einer rationalen Analyse zuzuführen. Bücher, welche fachübergreifend das Verhältnis der Naturwissenschaften zu anderen Bereichen der Kultur untersuchen, werden üblicherweise von Nicht-Naturwissenschaftlern verfaßt. Dabei gerät die Darstellung der Naturwissenschaften meist in eine Schieflage. Deshalb wagt der Autor dieses Bandes einmal den umgekehrten Weg und stellt das Thema dieses Buches aus der Sicht eines Naturwissenschaftlers dar.

Zwei Meldungen aus Saudi-Arabien sollen in die Problematik einführen:

1. Im August 2008 veröffentlichte der saudiarabische Religionsgelehrte al-Fauzan ein von ihm verfaßtes Religionsgutachten von rechtlicher Relevanz, eine sogenannte Fatwa, in welcher er klarstellte, daß die Sonne täglich einmal um die Erde kreise. Damit verwarf er die gesamte moderne Kosmologie. Seine Begründung war, daß dies so im Koran stünde. Der sei eine heilige Schrift und daher seien seine Aussagen wahr. Die Worte der Wissenschaft hingegen seien nicht heilig und daher auch nicht wahr.
2. Im September 2009 wurde auf einem riesigen Gelände nördlich der Hafenstadt Djiddah, auch in Saudi-Arabien, die King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) feierlich eingeweiht. Hier soll an die ein Jahrtausend zurückliegende Blütezeit der Wissenschaften in der islamischen Welt angeknüpft werden. Für das Projekt KAUST werden gewaltige finanzielle Mittel bereitgestellt. Das Fernziel ist, dort eine Forschungsuniversität aufzubauen, die einmal den führenden Einrichtungen der westlichen Welt Konkurrenz machen kann.

Der Konflikt, der sich hier abzeichnet, besteht in einem tiefverwurzelten Widerspruch besonders zwischen dem sunnitischen Islam, dem ca. 80 % aller Muslime angehören, und den modernen Naturwissenschaften. Beide weltanschaulichen Systeme liefern uns Modelle der Welterklärung, die gegensätzlicher nicht sein könnten.

Der Islam[1] stellt ein in sich abgeschlossenes Weltbild dar: Mohammed war der letzte der von Gott gesandten Propheten. Durch ihn sprach Gott zum allerletzten Mal zu den Menschen. Diese Botschaft Gottes offenbart sich im Text des Koran und in den Aussprüchen und Verhaltensweisen des Propheten Mohammed (Hadithe und Sunna). So wurde der prophetischen Urgemeinde aus Mohammed und seinen Anhängern bereits alles religiöse Wissen zuteil, das die Menschheit überhaupt erlangen kann. Da der Islam, im Unterschied z. B. zum Christentum, alle Bereiche menschlichen Lebens reguliert, trifft dieser Anspruch auch auf sämtliche übrigen, auch säkularen, Formen des Wissens zu. Das Denken ist damit rückwärtsgewandt auf die Utopie der prophetischen Urgemeinde gerichtet.[2] Auf der Grundlage dieser idealisierten Sicht ihrer Anfänge erhoben die Muslime den Anspruch, alle Erscheinungen des Diesseits endgültig und abschließend erklären zu können.[3] Jede Art der Erkenntnissuche im profanen Bereich stellt unter diesen Umständen strenggenommen den Tatbestand der Blasphemie dar. Diese Auffassung ist jedem gläubigen Muslim zu eigen. Wie Prof. Tilman Nagel darlegt:

Solche Vorstellungen sind nicht etwa Zeugnisse eines ‚islamistischen‘ Radikalismus, sie prägen vielmehr das Welt- und Selbstverständnis der erdrückenden Mehrzahl traditionsverwurzelter Muslime und sind daher von kaum zu überschätzendem politischen und gesellschaftlichen Gewicht“.[4]

Hinzu kommt in der arabischen Welt eine Sprachbarriere. Das Klassische Arabisch und das daraus abgeleitete Literarische Arabisch sind heilige Sprachen, die sich der Aufnahme einer säkularen modernen Terminologie widersetzen. Das Klassische Arabisch ist die Sprache, in der Gott dem Propheten seine Offenbarungen zukommen ließ. Es ist die Sprache, in welcher der Koran als Gottes Wort seit Ewigkeit, parallel zu Gott, im Transzendenten existiert, es ist die Sprache in welcher der Gläubige Zwiesprache mit Gott hält, und es ist die „Verkehrssprache“ im zukünftigen Jenseits.

Das Weltbild eines strenggläubigen Muslim ist also nicht offen, sondern abgeschlossen. Es ist, wie Prof. Dan Diner es ausdrückt, „sakral versiegelt“.[5]

Die modernen Naturwissenschaften hingegen sind ein offenes Gedankensystem. Sie haben das Ziel, ein möglichst genaues Abbild der Wirklichkeit zu gewinnen. Dabei entwerfen sie Theorien, um Zusammenhänge zu erklären und um Voraussagen zu machen. Sie entdecken aber auch reine Tatsachen, wie z. B. in der Beobachtung, daß die Sonne im Mittelpunkt unseres Planetensystems steht und nicht die Erde, wie man früher glaubte. Die Naturwissenschaften kennen – im Gegensatz zu Religion und Ideologie – keine „Heiligen Schriften“ und keine Autorität „der Alten“. Einzige Autorität ist das Wahrheitskriterium, und das bedeutet meistens die Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung bzw. Meßergebnis. Jede naturwissenschaftliche Theorie muß in sich die Möglichkeit bieten, falsifiziert, d. h. durch neue Daten widerlegt oder erweitert zu werden. Eine Theorie, die von vornherein diese Möglichkeit ausschließt, ist keine Theorie im Sinne der Naturwissenschaften.

Die Naturwissenschaften beanspruchen auch nicht, eine „letzte Wahrheit“ gefunden zu haben. Ihre Aussagen bleiben immer vorläufig als eine Annäherung an die Wirklichkeit, die zwar immer genauer sein kann, jedoch nie endgültig erreicht sein wird. Die einzige ideologische Verpflichtung der Naturwissenschaften ist die Annahme, daß es in der Welt „mit rechten Dingen“ zugeht, d. h. daß sich das Naturgeschehen einer rationalen Analyse unterziehen läßt.

Die modernen Naturwissenschaften sind nicht, wie vielfach geschrieben wird, die Folge einer technischen Entwicklung. Sie sind vielmehr ein Kind der griechischen Naturphilosophie und entwickelten sich eine lange Zeit parallel zur Technik. Mit dem Hauptwerk Isaak Newtons, den Principia Mathematica Philosophiae Naturalis (Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie), dessen erster Band im Jahre 1687 im Druck erschien, vollzog sich die Loslösung der Naturwissenschaften von der Naturphilosophie: Die modernen Naturwissenschaften waren geboren.

Seit dem frühen 20. Jh. basiert die Entwicklung der modernen Technik auf naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung. Die Technik ist damit zur Angewandten Naturwissenschaft geworden.

Die heutigen Naturwissenschaften erheben zu Recht den Anspruch einer universellen Gültigkeit. Es gibt weder europäische oder westliche Naturwissenschaften, noch ostasiatische und auch keine islamischen. Es gibt nur eine einzige Naturwissenschaft, die im Grund von allen Menschen dieser Welt betrieben werden kann, sofern sie eine entsprechende Ausbildung absolviert haben. Die Grundbedingung dafür ist jedoch ein freiheitliches Umfeld, in dem ohne weltanschauliche Grenzen, politische oder andere Zwänge vorurteilsfrei und rational gedacht werden kann.

Das Ziel dieses Buches ist es, durch Freilegen der historischen Wurzeln und Zusammenhänge zur Klärung der Probleme beizutragen, welche die islamische Welt mit den modernen Naturwissenschaften hat, die ja einen wesentlichen Teil unserer modernen Welt darstellen. Das Buch wendet sich nicht an den Orientalisten, sondern an den allgemein-interessierten Leser. Um diesem die Lektüre zu erleichtern, beginnen wir mit einem kurzen Überblick über die Geschichte und Kultur der islamischen Welt.

Der erste Teil behandelt die Geschichte der islamischen Welt bis zum Ende der Mongolenreiche im Osten und der christlichen Rückeroberung der iberischen Halbinsel im Westen.

Der zweite Teil widmet sich den Besonderheiten der islamischen Kultur, vor allem dem Recht, der Scharia, die im Islam die zentrale Position einnimmt, wie der Glaube im Christentum. Ferner gibt er einen Überblick über die Entwicklung philosophischen Denkens im Islam von der Übernahme der griechischen aristotelisch-neuplatonischen Tradition bis hin zu spezifisch islamischer Philosophie. Einige muslimische Philosophen neuplatonisch-aristotelischer Tradition, wie Avicenna und Averroes, sind auch Teil unserer abendländischen Philosophiegeschichte geworden.

Im Hauptteil findet der Leser eine knappe Darstellung der Entwicklung der Naturwissenschaften in der islamischen Kultur, von der Übernahme des griechisch-hellenistischen Erbes in der Frühzeit des Abbasiden-Kalifats bis zum Ende der Mongolenherrschaft der Timuriden. Hier werden gleich drei Vorurteile in Frage gestellt, die einen Teil der Literatur durchziehen:

1. Die islamischen Wissenschaftler waren nicht immer buch- und autoritätsgläubige Verwalter des griechischen Erbes. Unter ihnen gab es vielmehr eine bedeutende Anzahl kritischer und äußerst kreativer Denker, welche die Autorität ihrer Vordenker systematisch in Frage stellten und Naturwissenschaften fast in modernem Sinne betrieben.
2. Die wissenschaftliche Blüte der frühen Abbasidenzeit hatte ihre Wurzeln nicht in der Religion des Islam. Sie war hingegen das Ergebnis der politischen Ereignisse. Als Folge der arabischen Eroberungen wurden die verschiedenen regionalen kulturellen Strömungen, die sich auf der Basis des hellenistischen Erbes in den einzelnen Nachfolgestaaten des Alexanderreiches ausgeformt hatten, wieder zusammengeführt. Die dadurch gebildete „kritische Masse“ an Gelehrsamkeit war die eigentliche Ursache für die kulturelle Revolution, die damals von Bagdad ausging. Der Islam war dort zu jener Zeit nur eine Religion unter mehreren. In den folgenden Jahrhunderten entwickelte er sich jedoch in den arabischen Herrschaftsgebieten zur vorherrschenden Glaubensrichtung. Die Gelehrten jener späteren Epoche waren dann durchweg Muslime.
3. Auch die These von einem abrupten Niedergang der naturwissenschaftlichen Betätigung ab etwa dem 12. Jh. ist nicht haltbar. Die Wissenschaften entwickelten sich vielmehr, strukturell der antiken Tradition folgend, weiter. D. h. es gab immer wieder – durch Jahrzehnte oder Jahrhunderte voneinander getrennt – bedeutende Forscher, die dann, von einem Mächtigen geschützt und gefördert, ihrer Arbeit nachgehen konnten. Eine Stagnation erfolgte erst ab dem 16. Jahrhundert.

Schließlich skizzieren wir im Vergleich die weitere Entwicklung ab dem 12. Jh. in der islamischen Welt und im christlichen Abendland. Es zeigt sich, daß mit den europäischen Universitäten und der an ihnen erfolgten Institutionalisierung der Naturwissenschaften ein grundlegender struktureller Wandel vollzogen wurde. Die islamische Kultur betrieb die Naturwissenschaften weiterhin innerhalb der gleichen Struktur, in der ihre antiken Vorgänger arbeiteten: Naturforschung blieb das Hobby einzelner Gelehrter. In Europa hingegen entwickelte sich die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften zu einer Massenbewegung, der eine Kontinuität anhaftete und deren Dynamik sich im Laufe der Zeit noch erhöhte. Als dann im 15. Jh. der Buchdruck mit beweglichen Lettern in Europa aufkam, wurde diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Neue Information konnte nun beliebig vervielfältigt werden und war auch nicht mehr aufzuhalten. Durch die weite Verbreitung der Lutherbibel und anderer religiöser Schriften kam es zu einer „Privatisierung“ des Religiösen und damit zu einer weiteren Trennung der sakralen und profanen Bereiche. Diese und andere gesellschaftliche Wirkungen des Buchdrucks waren der weiteren Entwicklungen der Naturwissenschaften sehr förderlich.

Die islamische Welt hingegen verschloß sich über mehr als 300 Jahre hinweg erfolgreich der Technologie des Buchdrucks, vorwiegend aus religiösen und kulturspezifischen Gründen. Zwei Faktoren waren also für die im Abendland einsetzende Dynamik verantwortlich, die Institutionalisierung der Wissenschaften an den Universitäten und der Buchdruck.

Im letzten Teil widmen wir uns der Gegenwart und den Versuchen der arabischen Welt, den Anschluß an die Moderne zu bekommen. Hier spannen wir den Bogen von den Versuchen Mohammed Alis, Ägypten Anfang des 19. Jh. nach dem Vorbild Frankreichs zu modernisieren, bis hin zu den Analysen des Arab Human Development Report von 2003 und des Arab Knowledge Report 2009, sowie der Gründung der King Abdullah University of Science and Technology in Saudi Arabien und ähnlicher Aktivitäten in der Golfregion.

Wenn wir die modernen Entwicklungen in den verschiedenen muslimischen Ländern miteinander vergleichen, so werden, wie in den zitierten Berichten von deren Autoren ausführlich dargelegt wurde, vor allem der Mangel an intellektueller Freiheit in diesen Ländern, die Barrierefunktion des Arabischen, sowie die Rentner-Ökonomie der Ölförderer-Staaten als Hindernis einer modernen Entwicklung deutlich. Es erscheint zudem vor dem historischen Hintergrund sehr zweifelhaft, ob eine Universität eine „commodity“[6] ist, die man einfach einkaufen kann, ohne daß sie in der eigenen Kultur fest verankert wird.

Die anfangs skizzierte Kluft zwischen der rationalen Weltsicht der modernen Naturwissenschaften und der eines gläubigen Muslim ist weitaus tiefer, als es von westlichen Autoren oft angenommen wird.

Ein Vordenker des modernen islamischen Fundamentalismus, Sayyid Qutb,[7] lehnte z. B. eine Beschäftigung mit den Naturwissenschaften ab, mit der (aus seiner Sicht richtigen!) Begründung, daß man als Muslim dazu ja in das Paradigma westlichen rationalen Denkens eintauchen muß, ob man will oder nicht.

Das grundlegende Problem, das der Islam mit den modernen Naturwissenschaften hat, verdeutlicht der muslimische Wissenschaftshistoriker Muzaffar Iqbal. Er macht klar, daß Begriffe, wie Religion, Wissen, Natur, im Islam eine andere Bedeutung haben als in der abendländischen Tradition; Naturwissenschaften im Islam zu praktizieren ist nach seiner Meinung nur möglich auf der Basis des Weltbildes des Korans; Iqbal stellt zudem die (merkwürdige) These auf, daß – obgleich die an der „kulturellen Revolution des 9. Jh.“ in Bagdad beteiligten Übersetzer und Gelehrten zumeist keine Muslime waren – sie alle dennoch von der Weltsicht des Korans her dachten.[8]

Verschiedene muslimische Gelehrte der Gegenwart plädieren für eine spezifisch islamische Form der Naturwissenschaften,[9] ohne allerdings das Wesen der Naturwissenschaften begriffen zu haben. Aus Sicht eines Muslim ist das Ziel jeglichen Wissenserwerbs letztenendes die Erkenntnis des Heiligen, die Erkenntnis Gottes.[10]

Die Problematik des Verhältnisses zwischen Islam und moderne Naturwissenschaften ist verschiedentlich diskutiert worden.[11] Zwischen der Weltsicht der Fundamentalisten und der Mehrzahl der Muslime besteht dabei kein grundlegender Unterschied.[12] Auf muslimischer Seite hat diese Diskussion meist apologetischen Charakter. Nicht selten wird zudem die Position vertreten, im Koran seien alle Erkenntnisse, zu denen die Menschheit überhaupt fähig sei, vorweggenommen. Das gelte auch für alle Ergebnisse der modernen Naturwissenschaften.[13]

Die Kritik der Muslime richtet sich vor allem gegen die modernen Naturwissenschaften als Welterklärungsmodell also gegen eine reine Grundlagenforschung, denn der Koran und die Prophetenüberlieferung bieten ihnen bereits ein überzeitliches geschlossenes Weltbild von unanfechtbarem Wahrheitsgehalt. Sie sind jedoch interessiert an angewandter Forschung, um an den daraus erwachsenen technischen Anwendungen zu partizipieren. Dabei übersehen sie, daß eine erfolgreiche angewandte Forschung nur auf der Basis einer soliden Grundlagenforschung möglich ist.

Geschichte der islamischen Welt I

Auf den folgenden Seiten wollen wir einen knappen und skizzenhaften Überblick geben über die Geschichte der islamischen Zivilisation. Dabei werden wir uns schwerpunktmäßig auf die Zeiträume konzentrieren, welche für das Verständnis der Entwicklung der Naturforschung in diesem politisch-kulturellen Umfeld wichtig erscheinen. Für ein detaillierteres Studium der Geschichte der islamischen Welt sei auf die einschlägige Literatur verwiesen.[14]

Früharabische Reiche

Arabien war zur Zeit des Propheten Mohammed in Stammesverbände gegliedert, die ihrerseits als Untergruppen in Clans aufgeteilt waren. Es gab nomadische, halbnomadische und seßhafte Stämme. Jeder Verband, ob Stamm oder Clan, kultivierte ein ausgeprägtes „Wir-Gefühl“ der Besonderheit und der Überlegenheit gegenüber den anderen Einheiten. Ein wesentliches Element in dieser strikten Abgrenzung gegenüber den „Anderen“ war der religiöse Kult, dem der betreffende Stamm aufgrund seiner kulturellen Tradition verpflichtet war.

Arabien stand am Vorabend der Geburt des Islam unter dem Einfluß verschiedener Hochkulturen. Der Nordwesten war hellenistisch-byzantinisch geprägt, der Norden persisch-hellenistisch und im Süden, im heutigen Jemen, fand sich die hochentwickelte und alte Kultur der Sabäer. Deren wirtschaftliche Grundlage war die Produktion von Weihrauch und der Fernhandel. Sie bildeten vor allem auch die Schaltstelle im Handel nach Indien. Nachdem sie bereits frühzeitig jüdisch und christlich beeinflußt waren, gerieten die Sabäer im 6. Jh. für einige Jahrzehnte unter die Herrschaft der christlichen Äthiopier. Zu dieser Zeit entstanden dort große christliche Kirchen.[15] Vor allem die Städte Najran und San’a waren damals bedeutende christliche Zentren. Ebenso gab es im südlichen Mesopotamien, im gesamten persischen Sassanidenreich und in Syrien große christliche Bevölkerungsanteile. Das Christentum breitete sich hier, auch noch in islamischer Zeit, weiter aus.[16] Es handelte sich bei den damaligen Christen dieser Regionen überwiegend um Monophysiten, Nestorianer und Anhänger des ostsyrischen Christentums. Ihre Sprache war Syrisch (Aramäisch).

An der Peripherie der arabischen Wüstenregion existierten bereits recht früh kleinere Herrschaftsgebiete.[17] Neben der erwähnten Zivilisation der Sabäer im heutigen Jemen waren es die Gebiete der Nabatäer mit der Stadt Petra im heutigen Jordanien als Zentrum und dann die Stadt Palmyra in Syrien. Die Kultur Palmyras war eine Mischung aus griechischen, syrischen und persischen Elementen. Sie blühte im 2. und 3. nachchristlichen Jahrhundert.

Im 6. Jh. gab es zwei wichtige christliche arabische Königreiche, das der Ghassaniden in Syrien und das der Lakhmiden im Irak. Die Umgangssprachen in diesen Reichen waren Arabisch und Syrisch, die Schriftsprache hingegen Syrisch-Aramäisch. Die Ghassaniden waren als Vasallen der Byzantiner kulturell stark von dorther beeinflußt. Die Lakhmiden waren Persien verbunden. Beide Vasallenreiche dienten den jeweiligen Großreichen als Puffer gegen die Nomaden Arabiens.

Der persische Herrscher, Chosrau II (590-628), ließ im Jahre 602 das christliche Oberhaupt der Lakhmiden, Nu’man III, ermorden. Dann setzte er einen nichtlakhmidischen Araber als Herrscher ein und stellte diesem einen persischen Gouverneur zur Seite. Dadurch schwächten die Perser ihre Position gegenüber Arabien erheblich, denn die Lakhmiden leisteten den arabischen Eroberern der Folgezeit keinen Widerstand mehr. Das zeigte sich bereits 604 als die Perser bei Kufa im Südirak eine Schlacht gegen verbündete arabische Stämme verloren.[18]

Als die Perser in den Jahren 613-614 Syrien von den Byzantinern eroberten, endete die Herrschaft der Ghassaniden. Ob sie nach der erneuten Besitznahme Syriens und Palästinas durch Byzanz nach dem Frieden mit Persien (630) wiederhergestellt wurde, ist unklar.[19]

Die arabische Halbinsel war also von Gebieten umgeben, in denen das Christentum stark präsent war und wo bereits höher zivilisierte christliche Araber lebten.

Hinzu kam vom Nordwesten her ein starker jüdischer Einfluß. Denn infolge der kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem römischen Imperium im ersten nachchristlichen Jahrhundert waren viele jüdische Gruppen in die arabische Wüste ausgewichen. So stellten z. B. in Medina, als Mohammed 622 dort eintraf, gemäß der islamischen Überlieferung Juden, die dort seit Generationen ansässig waren, die Hälfte der Bevölkerung. Der jüdisch-christliche Monotheismus war also im damaligen Arabien wohlbekannt.

Mohammed und die Zeit der Kalifen

Wir folgen mit unserer Darstellung der Anfangszeit des Islam der islamischen Überlieferung, wie sie in den historisch-biographischen Werken des frühen 9. und 10. Jh. geschildert wird. Es handelt sich dabei also um „historische Quellen“, die erst ca. 200 Jahre nach den Ereignissen entstanden sind.[20] Direkte schriftliche Quellen aus der Zeit des Propheten und der Kalifen von Medina sind nicht vorhanden. Die erste historisch faßbare Person ist der Umayyaden-Kalif Muawiya (s. u. ).

Neuere Forschungen, die allerdings nach Einschätzung ihrer Autoren noch vorläufigen Charakter haben, stellen die überlieferte Geschichte dieser Anfangszeit grundsätzlich in Frage. Wir werden später noch auf diese Probleme zurückkommen.

Mohammed

Nach islamischer Tradition begründete der Prophet Mohammed, der um das Jahr 570 herum in Mekka geboren wurde, Anfang des 7. Jh. unserer Zeitrechnung auf der arabischen Halbinsel in den Städten Mekka und Medina die neue Religion des Islam, die allerdings bereits sehr früh in ihrem Kern eine poltische Ordnung darstellte.

Auch vor der Zeit Mohammeds gab es in Arabien einen monotheistischen Glauben, Hanifiyya, der sich auf Abraham zurückführte und diese Tradition mit der Kaaba, dem heidnischen Heiligtum Mekkas verband. Zudem gab es im damaligen Polytheismus die Vorstellung von einem höchsten Schöpfergott, Allah.[21] Hallaq ist der Ansicht, daß die Hanifiyya ihre Wurzeln im jüdischen Glauben hat und der Islam damit letztlich dem Judentum entsprungen ist.[22]

Mekka war aber im Bereich seines Polytheismus auch stark vom Götterkult der Nabatäer beeinflußt, vor allem in Gestalt des Hauptgottes, Hubal, und der Göttinnen Lat, Manat und Uzza.[23] Zu Ehren dieser Götter befanden sich in Mekka und Umgebung verschiedene Heiligtümer, die Ziele von jährlichen Wallfahrten waren. Anläßlich dieser Wallfahrten wurde in Mekka ein großer Markt abgehalten. Um diese Aktivitäten zu sichern, setzte Mekka auf der arabischen Halbinsel durch, daß jedes Jahr ein viermonatiger Frieden herrschte.

Ausgehend von Südarabien war man dazu übergegangen, in den großen Oasen entlang der Karawanenstraßen Städte zu errichten. Mekka war zur Zeit Mohammeds das bedeutendste Handelszentrum in West- und Zentralarabien. Es lag an der Kreuzung zweier wichtiger Handelswege.

Mohammed war Angehöriger des Stammesverbandes der Quraisch, der in Mekka die Führungsrolle einnahm. Er wuchs als Vollwaise in seinem Clan-Verband auf und wurde Händler. Er heiratete eine Witwe, Khadijah, die das Handelsunternehmen ihres verstorbenen Ehemannes selbständig führte.[24] Nach der Legende war er damals 25 Jahre alt und Khadijah bereits 40. Das klingt allerdings unwahrscheinlich, da ihm Khadijah noch sieben Kinder gebar, von denen vor allem seine Tochter Fatima, die spätere Frau Alis, uns noch begegnen wird. Khadijah unterstützte von Anfang an Mohammeds prophetische Mission. Sie starb 619, kurz vor der Übersiedlung nach Medina.

Im Alter von 40 Jahren zog sich Mohammed – der Überlieferung nach –zeitweilig als Eremit in die Wildnis zurück, wo er die ersten Offenbarungen durch den Erzengel Gabriel erhielt. Er kehrte nach Mekka zurück und versuchte durch Predigten, seine Mitbürger zu einer weltanschaulichen und moralischen Neuorientierung zu bewegen. Die Grundlagen seines Vorstoßes waren ein kompromißloser Monotheismus sowie die Lehre von der leiblichen Auferstehung und der Vergeltung der irdischen Taten im Jenseits durch Gottes Gericht.

Die Verwaltung der Heiligtümer, die jährlichen Pilgerfahrten und der damit verbundene Markt waren eine wichtige Lebensgrundlage der Einwohner Mekkas. Mohammed stellte das nun alles in Frage: Den Kult als Basis des „Wir-Gefühls“ und als Wirtschaftsgrundlage; den Stolz auf den eigenen Stamm, indem er das Verhalten seiner Stammesbrüder öffentlich kritisierte. Weil er nur zwischen Gläubigen und Ungläubigen unterschied, innerhalb der Gruppe der Konvertiten keine Klassenunterschiede machte und v. a. Mitglieder der sozialen Unterschicht für sein Unterfangen gewann, verstieß er zudem gegen die herrschende Sozialordnung. Kein Wunder, daß Mohammed überall auf Ablehnung und zum Teil auf offene Feindschaft stieß.

Die Gesellschaft im etwa 300 km nördlich gelegenen Yathrib, dem späteren Medina, war heterogener als die in Mekka. In Medina waren Menschen unterschiedlichster Herkunft zugewandert. Es gab kaum noch Stammesstrukturen, nur noch Clans. Diese führten allerdings einen permanenten Kampf aller gegen alle. Ein Teil der Einwohner Medinas hing bereits der neuen Lehre Mohammeds an. Die Führer Medinas suchten nun aktiv nach einem Externen mit Charisma, der ihre internen Konflikte schlichtete und dauerhaft löste. Sie waren einer Islamisierung nicht abgeneigt, weil sie sich dadurch das Entstehen eines neuen, einigenden „Wir-Gefühls“ erhofften. So schloß Mohammed im Jahre 622 einen Vertrag mit Vertretern Medinas, der ihn und seine Anhänger unter den Schutz von Medina stellte und seine künftigen Aufgaben und Rechte als Schlichter von Streitigkeiten unter den Clans regelte.

Als die Oberen von Mekka von dieser Abmachung erfuhren, befürchteten sie – wie der Historiker at-Tabari (839–923)[25] berichtet – daß Mohammed sich mit Hilfe von Medina gegen sie wenden würde, und planten einen Mordanschlag. Das Attentat mißlang und Mohammed konnte entkommen. Im September des Jahres 622 verließ der Prophet mit etwa 70 Gefolgsleuten die ungastliche Stadt Mekka und zog nach Medina.

Unter dem Kalifen Umar I, Mohammeds zweitem Nachfolger, wurde ab dem Jahre 637 der Anfang der islamischen Zeitrechnung auf den Beginn des Mondjahres, in welchem diese Übersiedlung stattfand, festgelegt. Nach unserer Zeitrechnung war das der 16. Juli 622[26]. Bemerkenswert aus unserer Sicht ist es, daß der Gründungsmythos des Islam keinen Meilenstein religiöser Art an seinen Anfang stellt, sondern ein politisches Ereignis.

War Mohammeds Anliegen in Mekka noch das einer religiösen und moralischen Erneuerung gewesen, nahm der frühe Islam in Medina immer stärker politische Züge an. Dies hing einerseits mit den dort auf den Propheten zukommenden politischen Aufgaben zusammen. Andererseits führte vor allem die Auseinandersetzung mit den medineser Juden, die zur großen Enttäuschung des Propheten seiner Glaubensrichtung nicht beitreten wollten, zu einer stärkeren Abgrenzung der Muslime als Gemeinschaft, als Umma. Da die Juden, wie bereits gesagt, die Hälfte der Bevölkerung Medinas stellten, war dieser Konflikt nur politisch, d. h. durch Kampf zu lösen. Die folgenden Auseinandersetzungen resultierten in der Vertreibung und teilweisen Vernichtung der Juden von Medina.

Wie von den Oberen in Mekka vorausgesehen, gab es zahlreiche Kämpfe mit Mekka, die im Jahre 628 in einem Waffenstillstand endeten. Zwei Jahre danach, 630, zog Mohammed – unter Bruch des Waffenstillstandsabkommens – mit einer gewaltigen Streitmacht nach Mekka und übernahm die Stadt kampflos. Durch weitere Kämpfe – jetzt mit Unterstützung Mekkas – und vor allem durch Verträge gelang es Mohammed, immer mehr arabische Stämme für seine Bewegung zu gewinnen.

Bereits in Mekka wurde Mohammed nach dem Tode seiner Frau Khadijah mit der damals sechs- oder siebenjährigen Aischa verheiratet. Er vollzog die Ehe drei Jahre später (623) in Medina.[27] Im Jahre 632 starb der Prophet. Nachfolger wurde sein Onkel, Abu Bakr, als der erste der sogenannten „Rechtgeleiteten Kalifen von Medina“.

Mohammed hatte viele Reformen und Neuerungen durchgesetzt, die für die damalige Zeit revolutionär waren. Alle diese Veränderungen legitimierte er durch entsprechende Offenbarungen des Erzengels Gabriel. Auf dieser Grundlage waren sie auch gegen tradiertes Stammesrecht durchsetzbar. Frauen erhielten, auf der Basis des bereits in Mekka herrschenden Rechts, mehr Freiheiten als ihnen in den vorislamischen Stammesverbänden gewährt worden waren. Im Glauben waren sie den Männern gleich gestellt. Im Erbrecht durften sie erstmals überhaupt erben und über eigenes Vermögen verfügen.[28] Durch den im Koran niedergelegten Rechtskodex, aus dem später die uns heute archaisch anmutende Scharia entstand, wurde für alle dem Islam unterworfenen Teile Arabiens eine bisher nie erreichte Rechtssicherheit geschaffen. Man spricht auch von der Pax Islamica.

Hatten sich in den ersten Anfängen der Bewegung des Propheten die Gläubigen noch beim Gebet nach Jerusalem gewandt, so führte Mohammed im Jahre 624 die Kaaba als islamisches Heiligtum ein, und man wendete sich fortan im Gebet gegen Mekka.[29] Dabei knüpfte er an die Lehre der Hanif an, welche die Kaaba auf Abraham, den gemeinsamen Erzvater aller drei Offenbarungsreligionen, zurückführten.

Mit der neuen Religion des Islam schuf Mohammed eine ideologische Klammer, mit der er die arabischen Stämme vereinigen konnte. Auf religiöser Basis entstand so ein neues „Wir-Gefühl“, das über unterschiedliche Stammestraditionen hinweg als Grundlage einer neuen politischen Ordnung mit universellem Anspruch diente.

Die vier „rechtgeleiteten“ Kalifen von Medina

Der Prophet hatte keinen Nachfolger bestimmt. Nach anfänglichen internen Querelen einigte man sich schließlich auf Abu Bakr (632–634) als ersten Kalifen.[30] Dieser war zuerst einmal beschäftigt, verschiedene arabische Stämme, die sich – z. Tl. unter Führung neuer „Propheten“ – von der islamischen Gemeinschaft (umma) abgewandt hatten, zu unterwerfen. Die Kämpfe führten zur endgültigen Einigung der Stämme der arabischen Halbinsel unter der Führung des Islam. Spätere Auseinandersetzungen dort waren dann immer innerislamischer Art.

Unter Abu Bakr und seinen beiden Nachfolgern, Umar I (634–644) und Uthman (644–656), konnten die Muslime ihren Machtbereich Zug um Zug weiter ausbauen. Dabei folgten sie weder einer übergeordneten Strategie noch hatten sie ein klar definiertes Kriegsziel.[31] Ebenso fehlte auch ein eindeutig festgelegter und durchsetzbarer Oberbefehl. Es gab auch keine vom Kalifen selbst befehligte Hauptstreitmacht, die vom Gegner in einer Entscheidungsschlacht hätte besiegt werden können. Statt dessen operierten weitgehend voneinander unabhängige Gruppen, die in Form von Razzien in gegnerisches Gebiet einfielen. Donner versuchte, in die z. Tl. widersprüchlichen, z. Tl. unklaren Schilderungen der Eroberungen durch spätere arabische Historiker Klarheit zu bringen. Nach seiner Interpretation waren die Armeen relativ kleine, wohl organisierte, mit klarer Kommandostruktur versehene und äußerst schlagkräftige Truppen von jeweils 2000 bis 12000 Mann.[32] Diese Art der Kriegsführung war bis ins 8. Jh. hinein für die Araber charakteristisch. Die Geländegewinne wurden vornehmlich durch schriftliche Verträge mit den von den Großreichen Byzanz und Persien unterdrückten Bevölkerungsgruppen erzielt. Die Araber boten ihnen eine größere Religionsfreiheit und geringere Steuerlast als die bisherigen Herrscher. Dieses Verfahren erwies sich als sehr effektiv, zumal es sich bald herumsprach, daß sich die neuen Herren strikt an die Verträge hielten. Die Verwaltungsstrukturen der eroberten Gebiete wurden dabei anfangs übernommen. Ein wesentlicher Faktor für die arabischen Erfolge ist darin zu suchen, daß die Großreiche innerlich geschwächt waren. Außerdem erkannte man dort zu spät die Gefahr, die neuerdings von den Arabern drohte. Denn Razzia-artige Überfälle arabischer Nomaden im Grenzgebiet hatten bisher zum Alltag gehört.

In Konstantinopel übernahm 610 Herakleios (610-641) die Herrschaft über das byzantinische Reich. Er erbte ein durch Aufstände gegen seinen tyrannischen Vorgänger Phoklas (602-610) und imperiale Überdehnung geschwächtes Reich. Zwischen 611 und 619 eroberten die Perser Syrien, Palästina und Ägypten. Im Jahre 617 überlegte Herakleios noch, die Hauptstadt des Reiches von Konstantinopel in das nordafrikanische Karthago zu verlegen. Der Patriarch von Konstantinopel, Sergius, opponierte jedoch erfolgreich und stellte dem Staat Kirchenschätze für die Reorganisation und Ausrüstung der Armee zur Verfügung.

Im Jahre 622 ging dann Herakleios zum Gegenangriff auf das persische Sassanidenreich über. Anfang 623 – noch im Jahr Eins der islamischen Zeitrechnung – erzielte er den ersten Sieg über die Perser. Aber erst im Jahre 627 gewann er die Entscheidungsschlacht bei den Ruinen des antiken Ninive und 628 stand er vor der persischen Hauptstadt Ktesiphon. Er versuchte aber nicht, die Stadt einzunehmen, sondern zog ab. Der Sassanidenherrscher Chosrau II wurde durch eine Revolte gestürzt. Sein Sohn kam als Kavad II an die Macht, regierte aber nur wenige Monate bevor er starb. Das Sassanidenreich geriet in der Folge immer mehr in den Zustand der inneren Auflösung. In einem Zeitraum von vier Jahren folgte mehr als ein halbes Dutzend Herrscher. Unter der kurzen Regierung von Buran, einer Tochter Chosraus II, wurde dann im Jahre 630 ein Friedensvertrag mit Byzanz geschlossen. Die Perser gaben Syrien, Palästina und Ägypten an Byzanz zurück, sowie die aus Jerusalem geraubte Kreuzesreliquie. Diese wurde dann 630 von Herakleios unter Triumph zurück nach Jerusalem gebracht.[33]

Im Jahre 632 begannen die arabischen Vorstöße: Nach Westen ins südliche Palästina, im Osten ins Sassanidenreich. In Palästina fand im Jahre 636 am Yarmuk, einem Nebenfluß des Jordan, eine Entscheidungsschlacht statt, welche die Byzantiner verloren. Ein Jahr später fiel Jerusalem. Zwischen 640 und 642 übernahmen die Araber die Macht in Ägypten, der Kornkammer des byzantinischen Reiches. Der Handel und der Warenaustausch über das Mittelmeer wurde dadurch aber nicht beeinflußt. Das änderte sich erst ab etwa 705.[34]

Im Jahre 641 starb Herakleios. Sein Nachfolger wurde Konstans II (641-668). Ihm verdankt Byzanz eine militärisch-zivile Verwaltungsreform, der in den nachfolgenden Jahrhunderten das oströmische Reich seine Stabilität verdanken sollte: Sie wird nach dem griechischen Namen für die damals übliche militärische Organisationseinheit, Thema, die Themen-Organisation genannt.[35] Er siedelte diese Armee-Einheiten in jeweils abgegrenzten Verwaltungsgebieten an und ließ den Soldaten Land zuteilen gegen die erbliche Verpflichtung zum Militärdienst. Jedes Thema wurde von einem Strategos geführt. Mit dieser Wehrbauernstruktur wurde vor allem Kleinasien dem byzantinischen Reich auf längere Zeit gesichert. Nach zwanzigjähriger Regierungszeit verlegte Konstans seinen Regierungssitz nach Syrakus auf Sizilien. Offenbar hatte er den Plan, Konstantinopel als byzantinische Hauptstadt langfristig gesehen aufzugeben. Im Jahre 668 fiel er in Syrakus einer Verschwörung zum Opfer. Sein Sohn, Konstantin IV (668-685), regierte wieder von Konstantinopel aus.

Im Jahre 636 errangen die Araber im Irak, westlich von Nadschaf, einen Sieg über die Perser und nahmen im darauffolgenden Jahr deren Hauptstadt, Ktesiphon (arab. al-Mada’in) ein. Im Jahre 651 wurde der letzte Sassanidenherrscher, Yezdegird III, im Ostiran ermordet. Damit war die Eroberung des Sassanidenreiches durch die Araber abgeschlossen. Die überlebenden Mitglieder des persischen Herrscherhauses fanden Asyl am chinesischen Kaiserhof in Chang’an. Wie wir noch sehen werden, erlebte Persien knapp hundert Jahre später unter den Abbasiden eine Renaissance und stellte in der Folgezeit die geistige Elite des arabischen Reiches. Bis 661 eroberten die Araber die nordafrikanischen Küstengebiete bis kurz hinter Tripolis.

So wurden zu Lebzeiten der ersten drei Kalifen der Irak, der Vordere Orient bis einschließlich Armenien und Georgien sowie große Teile Persiens erobert. Hinzu kamen Ägypten und Teile Nordafrikas. In den eroberten Gebieten wurden für die, gegenüber der einheimischen Bevölkerung zahlenmäßig unterlegenen, Eroberer Garnisonsstädte errichtet, aus denen dann später wichtige Metropolen entstehen sollten, wie z. B. die Städte Kufa und Basra im Irak. Der Islamisierungsgrad der Eroberer war noch sehr gering. Nicht alle arabischen Kämpfer gehörten bereits dem neuen Glauben an. Auch waren die Stammesunterschiede noch sehr präsent. Um die Religion als einigende Kraft zu stärken, ließ - gemäß der Überlieferung - bereits Umar I in allen Garnisonsstädten Moscheen bauen, deren primäres Ziel es war, die Eroberer auf die religiösen Werte des Islam einzuschwören.[36] Die Eroberungen waren also, auch wenn man strikt der islamischen traditionellen Geschichtsschreibung folgt, primär arabisch und nicht islamisch.

Die Verdienste Umars lagen, abgesehen von den Eroberungen, vor allem auch in dem Versuch, sein Herrschaftsgebiet zu ordnen und zu stabilisieren. So schuf er ein stabiles fiskalisches System, das u. a. einen Sold und einen Pensionsfond für Soldaten vorsah. Außerdem führte er – wie wir bereits sahen – mit dem islamischen Kalender eine neue Zeitrechnung ein. Umar wurde im Jahre 644 von einem persischen Sklaven ermordet.

Unter den potentiellen Nachfolgern gab es zwei Favoriten, Ali, den Schwiegersohn Mohammeds, und Uthman, einen Schwiegervater des Propheten. Uthman wurde gewählt. Es formierte sich jedoch eine breite Opposition, der auch Ali maßgeblich angehörte. Unter Uthmans Kalifat geriet die Herrschaft zudem noch in eine administrative und finanzielle Krise.[37]

Ein besonderes Verdienst Uthmans war die Kodifizierung des Korans. Zu seiner Zeit existierten verschiedene Textversionen mit einander widersprechenden Aussagen, die immer wieder zu Kontroversen Anlaß gaben. Uthman beauftragte eine Expertengruppe, eine verbindliche Textversion zu erstellen und ordnete an, daß alle anderen, davon abweichenden Textvarianten vernichtet würden.[38] Dann ließ er Kopien der offiziellen Textversion an alle Zentren des Reiches schicken. Uthman wurde im Jahre 656 von Aufständigen in seinem Haus in Medina ermordet. Die Rebellen ernannten Ali zum neuen Kalifen

Der neue Kalif, Ali (656–661), wurde nur von einem Teil der islamischen Glaubensgemeinschaft anerkannt. Vor allem Muawiya, Statthalter von Syrien und Verwandter Uthmans, lehnte Ali ab. Auch in Mekka bildete sich unter Beteiligung der Witwe Mohammeds, Aischa, eine starke Opposition gegen Ali. Mit dieser Gruppe kam es in der Nähe von Basra im Südirak zu Kämpfen, bei denen die Anhänger Alis siegten.[39] Diese und nachfolgende innerislamische Auseinandersetzungen werden in der islamischen Tradition als Religionskämpfe gewertet, als Streit über die richtige Form des Islam. Es sind die sogenannten „ Fitna -Kämpfe“.

Ein Jahr später (657) standen sich, wieder im Südirak, die Truppen Alis und Muawiyas gegenüber. Als Alis Seite kurz vor dem Sieg stand, sandte Muawiya Unterhändler und schlug vor, den Streit auf dem Verhandlungswege zu lösen. Ali, des Blutvergießens müde, stimmte zu. Bei den folgenden Verhandlungen unterlag Ali jedoch. Muawiya wurde zum Kalifen ernannt. Er war damit der erste Herrscher der von ihm begründeten Umayyaden-Dynastie. Ali akzeptierte die Wahl nicht und zog sich nach Kufa zurück.

Ein Teil der Anhänger Alis wandte sich von ihm ab. Diese sogenannten Kharijiten bildeten die Basis für eine eigene islamische Glaubensrichtung.[40] Ali bekämpfte die Abtrünnigen erfolgreich, wurde jedoch 661 in der Moschee von Kufa beim Morgengebet von einem Kharijiten ermordet.

Alis ältester Sohn, Hassan, fungierte ein halbes Jahr lang als Gegenkalif, trat dann aber den Anspruch an Muawiya ab. Unter Muawiyas Sohn und Nachfolger, Yazid, kam es im Irak zu einem Aufstand, der von Alis zweitem Sohn, Hussein, angeführt wurde. (Husseins Mutter war Fatima, eine Tochter Mohammeds.) In der Entscheidungsschlacht von Kerbela im heutigen Irak (680) fiel Hussein.

Aus den Anhängern Alis entwickelte sich innerhalb des Islam die bedeutende Glaubensrichtung der Schiiten.[41] Hussein gilt als der 3. Imam der schiitischen Tradition. Die über seinem Grab in Kerbela errichtete Moschee ist das bedeutendste Heiligtum der Zwölfer-Schiiten.

Die Herrschaft der Umayyaden

Mit dem Tod Alis begann im Jahre 661 die Herrschaft der Umayyaden, die bis zum Jahre 750 dauern sollte. In diesen 89 Jahren herrschten gemäß der arabischen Überlieferung nacheinander 13 Kalifen. Hauptstadt wurde Damaskus. Die Umayyaden leiten sich vom Clan der Umayya ab, der in Mekka zum Stamm der Quraisch gehörte, wie auch der Clan der Haschimiten, der des Propheten. Allerdings wurden die Umayya von dem inneren Kreis der Gefährten Mohammeds und deren Nachkommen als Gläubige zweiter Ordnung angesehen, da ihre Vorfahren sich erst sehr spät der Bewegung des Propheten angeschlossen hatten.

War die Herrschaft der Kalifen von Medina noch rein theokratisch und patriarchalisch gewesen und charismatisch legitimiert, begann Muawiya (661–680) weltlichere Regierungsformen einzuführen. Seine Macht basierte vor allem auf militärischer Stärke. Die gesamte Umayyaden-Dynastie hindurch stand die Herrschaft immer im Spannungsfeld zwischen säkularem und sakralem Herrschaftsanspruch. Muawiya umgab sich mit einem Hofstaat, führte ein Hofzeremoniell ein und schützte sich durch eine Leibgarde. Auch begann er, einen beträchtlichen Pomp zu entfalten. Kurz vor seinem Tode führte er – gemäß der islamischen Überlieferung - das Prinzip der Erbfolge bei der Auswahl seiner Nachfolger ein. Dadurch wurden die Streitigkeiten um die Nachfolge des Kalifen zwar nicht völlig beseitigt, aber doch stark eingeschränkt. Unter Muawiyas Nachfolgern wurde die Regierung weiter säkularisiert. In Rechts- und Verwaltungsfragen wurde immer seltener gefragt, wie der Prophet wohl entschieden hätte. Die Rechtsgelehrten, die in späterer Zeit auf der Basis von Koran, Sunna und Hadithen das religiös fundierte Rechtssystem der Scharia errichteten, hatten sich noch nicht formiert. Die Herrschaft der Umayyaden wurde von späteren islamischen Historikern auch als „Königtum“ diffamiert.[42]

Die Herrschaft der Umayyaden war rein arabisch dominiert. Araber genossen, allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen Vorteile. In der Verwaltung übernahm Muawiya das in Syrien bereits vorhandene byzantinische System. In der Finanzverwaltung stützte er sich auf kompetente Christen. Als Kerntruppen hatte er eine schlagkräftige und schlachtenerprobte Armee aus Syrern. Auch hatte Muawiya ein ausgeprägtes diplomatisches Geschick und er verstand es, auf Führungspositionen fähige Leute zu setzen. Er unternahm energische militärische Vorstöße in den Mittelmeerraum. Mit Hilfe einer mächtigen Flotte stieß er nach Zypern, Rhodos und Kreta vor. Byzanz reagierte prompt mit dem Bau neuer Kriegsschiffe, auf denen eine neue Waffe zum Einsatz kam, das sogenannte „Griechische Feuer“[43], dem gegnerische Schiffe weitgehend schutzlos ausgeliefert waren.

In den Jahren 674 bis 677 führte Muawiya von Land und von See einen verlustreichen und erfolglosen Angriff auf Konstantinopel. Unter Yazid I (680–683), dem Sohn und Nachfolger Muawiyas, galt es nicht nur, die Aufständigen bei Kerbela zu besiegen, sondern weitere Erhebungen kamen hinzu. In Mekka hatte sich noch Ibn al-Zubayr erhoben und als neuen Kalifen ausrufen lassen. Parallel zu diesem Aufstand führten die Kharijiten in Persien einen Guerilla-Krieg gegen die Umayyaden. Als Yazid plötzlich starb, brach ein totales Chaos aus. Die Konflikte wurden zudem beherrscht von ständigen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Nord- und Südarabern. In Syrien kam daraufhin ein entfernter Vetter Muawiyas, Marwan (683-684), an die Macht. Erst Marwans Sohn, dem Kalifen Abd al-Malik (685–705), gelang es, die Ordnung wieder herzustellen. Im Jahre 692 wurde Mekka erobert und Ibn al-Zubayr getötet. Damit waren die „Zweiten Fitna -Kämpfe“ erfolgreich beendet.

Abd al-Malik gilt als einer der bedeutenden Kalifen des frühen Araberreiches. Er begann, das Reich zu konsolidieren und langsam von einer Ansammlung eroberter Gebiete in ein einigermaßen einheitliches Imperium zu verwandeln. Ein Prozeß, der von seinen Nachfolgern weitergeführt wurde. Unter seinem Sohn, al-Walid I (705–715), erlebte das Umayyadenreich seine höchste Blüte und erreichte seine größte Ausdehnung: Es erstreckte sich von Kashgar im heutigen China bis zum Atlantik.

Im Jahre 711 setzte ein umayyadisches Heer an der Straße von Gibraltar nach Spanien über und besiegte den Westgotenkönig Roderich. Dies war der Beginn der Islamisierung der iberischen Halbinsel, die erst, im Rahmen der „Reconquista“, im Jahre 1492 nach Jahrhunderte dauernden Kämpfen mit dem Fall Granadas zu Ende gehen sollte.

Unter den Kalifen Abd al-Malik und al-Walid II (743–744) wurde in verschiedenen Bereichen Arabisch als Amtssprachen eingeführt. Als Folge wurden Griechisch und Persisch auch als Sprachen der Gelehrten allmählich durch Arabisch ersetzt. Eine Alternative gab es in dem theokratischen Staat auch nicht. Denn schließlich war ja der Koran auf arabisch abgefaßt.

Unter Sulayman (715–717) fand die letzte Belagerung Konstantinopels durch die Umayyaden statt, die von seinem Nachfolger, Umar II (717–720), im Jahre 718 erfolglos abgebrochen wurde. Dem byzantinischen Kaiser, Leo III (717-741), war es nämlich gelungen, die Bulgaren auf seine Seite zu ziehen. Diese waren der Ansicht, die Byzantiner seien, verglichen mit den Arabern, das kleinere Übel. Sie griffen die Araber zu Land gemäß einer Taktik der Nadelstiche an und schwächten sie so. Mit Hilfe des „Griechischen Feuers“ gelang es den Byzantinern, die arabische Flotte soweit auf Distanz zu halten, daß Konstantinopel nahezu ungehindert mit Nachschub versorgt werden konnte und die Versorgung der Araber weitgehend unterbunden wurde. Ein zusätzlicher Nachteil für die Araber war ein ungewöhnlich strenger Winter (717/8). Landtruppen und eine Flotte, die der neue Kalif, Umar II, im Frühjahr 718 zur Entlastung der Belagerer aussandte, konnten von den Byzantinern besiegt werden.[44] Unter Umar II geriet das Reich aufgrund einer Steuerreform, die frisch zum Islam Konvertierte bevorzugte, in eine finanzielle Krise. Der Bau christlicher Kirchen und jüdischer Synagogen war unter Umar II verboten.

Unter dem Kalifen Hischam (724–743) erholte sich das Reich und erreichte eine neue Phase der Stabilität und Blüte. Unter den folgenden vier Kalifen (743–750) kam es zu einer steten Abfolge von Aufständen, die zuletzt zum Sturz der Dynastie führten. Die Umayyaden wurden bis auf einen getötet. Dieser floh nach Andalusien und gründete dort als Abd ar-Rahman I (756–788) das Emirat von Cordoba.

Zwischen 700 und 750 war der Handel im Mittelmeer beinahe ganz zum Erliegen gekommen. Der belgische Historiker Henri Pirenne führte dies auf die maritimen Aktivitäten des Umayyaden-Kalifats zurück und sah darin einen Grund für die Verlagerung des politischen Zentrums Westeuropas von Rom nach Mitteleuropa (Karolinger-Reich).[45] Nach Lewis hingegen war die Ursache dafür eine umfassende Blockade des Seehandels der von den Arabern beherrschten Gebiete durch die Byzantiner. Deren wirtschaftliche Folgen führten nach Lewis außerdem zu den sozialen Spannungen und den nachfolgende Revolten im Umayyaden-Reich.[46]

Auf jeden Fall ging das arabische Imperium aus diesem Konflikt geschwächt hervor. Die auf die Umayyaden nachfolgenden Abbasiden verlagerten den Mittelpunkt des Araberreiches in den Irak. Die einstige Metropole Damaskus verkam zu provinzieller Bedeutungslosigkeit. Byzanz hingegen erlebte einen neuen Aufschwung.

Das Kalifat der Abbasiden in seiner Blütezeit

In den letzten Jahrzehnten der Umayyadendynastie hatte sich immer mehr Konfliktpotential angehäuft. Es betraf vor allem das Dauerthema innerislamischer Auseinandersetzungen: Die Legitimation der Herrschaft der Kalifen. Vor allem ging es hier um den Anspruch des Clans des Propheten, der Haschimiten, die Person des Kalifen zu stellen. Hinzu kamen die Konflikte zwischen Nord- und Südarabern sowie die Spannungen zwischen den Umayyaden und den im Südirak ansässigen Anhängern Alis, den späteren Schiiten. Außerdem umfaßte das arabische Großreich mittlerweile eine Vielzahl von Völkern und Ethnien, die immer noch, auch wenn sie Muslime geworden waren, gegenüber den Arabern als „Bürger zweiter Klasse“ galten. Diese Diskriminierung ärgerte vor allem die persischen Untertanen des Reiches.

Die vielschichtige Unzufriedenheit machte sich Luft in Form einer Revolte unter der Führung von Abu al-Abbas, des Nachkommen eines Onkels des Propheten, al-Abbas, der – wie Mohammed – dem Clan der Haschimiten angehörte. Die Bewegung begann ein subtiler politischer Propagandafeldzug mit dem vorgetäuschten Ziel, zu einer orthodoxen Theokratie zurückkehren zu wollen. Ein Anhänger des Abu al-Abbas, Abu-Muslim, begann im Jahre 747 in Ostpersien, im fernen Chorasan, die offene Revolte. Seine Gefolgsleute, meist Perser, bildeten eine wohlorganisierte, disziplinierte und schlagkräftige Truppe. Der Aufstand griff bald auch auf den Irak und Syrien über. Ende 749 wurde Abu al-Abbas (749-754) im irakischen Kufa zum neuen Kalifen ausgerufen. Kufa wurde als Regierungssitz erkoren.

Die Veränderungen waren revolutionär. Während das Kalifat der Umayyaden noch rein arabisch dominiert war, wurde das der Abbasiden internationaler. Es war ein Imperium der Neu-Muslime, in denen die Araber nur noch eine von vielen Ethnien waren.[47] Bald sollten die Perser im Abbasidenreich sogar die geistige und poltische Führungselite stellen.

Der Kalif gab vor, eine fromme und religiös fundierte Herrschaft auszuüben und bezog aus diesem Anspruch seine Legitimation. In Wahrheit war jedoch die Abbasidenherrschaft genau so weltlich und vielleicht sogar noch despotischer als die der Umayyaden. Auf der anderen Seite fehlte aber ein stabiler Verwaltungsapparat, der über den rivalisierenden Parteien bei Hofe stand und der von den jeweiligen Personen unabhängig und gegenüber Hofintrigen gefeit war. Dieses Manko verhinderte u. a. eine dauerhafte Stabilisierung des Reiches und des Herrschaftsanspruchs des Kalifen.[48]

Abu al-Abbas starb im Jahre 754 an einer Pockeninfektion. Sein Bruder, al-Mansur (754-775), wurde Nachfolger. Die Herrschaft der Abbasiden war zu dieser Zeit alles andere als gefestigt. Die verschiedenen Gruppierungen, die sich zum Aufstand gegen die Umayyaden zusammengefunden hatten, existierten noch und stellten ein reales Gefahrenpotential dar. Viele fühlten sich durch die Vorherrschaft der Abbasiden benachteiligt und um die Früchte des Aufstandes betrogen. Das betraf vor allem die frühen Schiiten, die Aliden, die im Grunde das Kalifat lieber bei einem Nachkommen Alis gesehen hätten.

Al-Mansur ging mit äußerster Brutalität gegen jegliche Opposition vor und konsolidierte so die Abbasidenherrschaft. Vor allem setzten er und sein Nachfolger, al-Mahdi (775-785), sich gegenüber den Anhängern Alis durch. Sie erhoben zur offiziellen Doktrin, daß der Prophet seine Nachfolge offiziell an seinen Onkel, al-Abbas, übertragen hätte. Dadurch wurde al-Mansur zum eigentlichen Begründer der neuen Dynastie.

Dem Abbasidenreich entzogen sich weite Teile Nordafrikas sowie Spanien. Im Jahre 762 ließ al-Mansur den Grundstein zur neuen Residenzstadt, Bagdad, legen, nicht weit vom persischen Ktesiphon entfernt. Der Bau wurde in vier Jahren vollendet. In kurzer Zeit entwickelte sich die neue Hauptstadt zu der (westlich von China!) wirtschaftlich und politisch bedeutendsten Metropole ihrer Zeit. Die Regierungsform wurde vom persischen Sassanidenreich übernommen. Recht bald dominierte der persische Einfluß, so daß Hitti von einer Revitalisierung des persischen Despotismus spricht.[49] Das einzige arabische Element blieb der Islam sowie das Arabische als Amtssprache. Unter al-Mansur wurde als höchstes Regierungsamt das Wesirat eingeführt. Als Wesire fungierten zuerst in Erbfolge die persischen Barmakiden, Khalid ibn-Barmak und seine Nachkommen. Sie erlangten immer mehr Macht und regierten das Reich zwischen 786 und 803 de facto als die eigentlichen Herrscher. Die Barmakiden waren (aus heutiger Sicht) Schiiten. Sie verfügten über sagenhafte Reichtümer. Allerdings war auch ihre Freigebigkeit sprichwörtlich. Der kulturellen Entwicklung gaben sie einen starken Antrieb.

Im Jahre 803 wurden die Barmakiden unter Harun ar-Raschid (786-809) entmachtet. Sie waren dem Kalifen zu mächtig geworden. Der letzte Barmakide, Gafar al-Barmaki, der berühmte Wesir und Freund des Kalifen aus Tausend und einer Nacht, wurde hingerichtet. Andere Mitglieder der Familie starben im Gefängnis. Das gewaltige Vermögen wurde eingezogen. Unter Harun ar-Raschid gab es ausgedehnte diplomatische Beziehungen zu anderen Ländern, so z.B. auch zum Frankenreich Karls des Großen.

Harun ar-Raschid wollte die Herrschaft unter seinen Söhnen al-Amin und al-Mamun als Nachfolger aufteilen. Al-Mamun (813-833) sollte den Osten des Reiches als Statthalter bekommen, al-Amin (809-813) dagegen Kalif werden. Al-Mamun sollte dann der Nachfolger al-Amins als Kalif werden. Nach Haruns Tod kam es dann aber gleich zu einem Bürgerkrieg, bei dem al-Mamun siegte. Es folgte noch ein Aufstand der Aliden und einer seines Onkels, Ibrahim ibn al-Mahdi. Nachdem auch diese besiegt waren, konnte al-Mamun endlich 819 in das inzwischen durch die Kämpfe weitgehend zerstörte Bagdad einziehen.

Al-Mamun stützte offenbar, mehr noch als seine Vorgänger, den Herrschaftsanspruch auf eine religiöse Führerrolle. So begann er seine Edikte mit den Worten: „Im Namen Gottes des barmherzigen Erbarmers“.[50]

Unter al-Mamun erreichten die Naturwissenschaften ihre erste Blüte. Al-Mamun versuchte auch, ein säkulares Rechtssystem aufzubauen und die für die weitere Entwicklung des Islam wichtige These der orthodoxen Religionsgelehrten von der Unerschaffenheit des Koran zu verbieten. Allerdings blieben beide Reformansätze ohne nachhaltigen Erfolg. Wir werden noch im Detail darauf zurückkommen.

Der Verfall der Kalifenherrschaft begann damit, daß die Nachfolger al-Mamuns in zunehmendem Maße auf – meist innerasiatische – Söldnertruppen bauten, um ihre politische Macht zu wahren. Im Laufe der Zeit wuchs die Position der Heerführer stetig, bis der Kalif machtpolitisch zu einer Marionette degenerierte. Dazu kamen eine stetige Verselbständigung der Provinzen und erhebliche fiskalische Probleme der Zentralregierung. Diese Entwicklung setzte bereits unter der Herrschaft al-Mutawakkils (847-861) ein.

Es wird immer wieder die Frage gestellt, wie weit die Islamisierung des arabischen Reiches zur Zeit der Abbasiden fortgeschritten war.

Noch bis weit ins 9. Jh. stellten die Christen in den ehemals byzantinischen und persischen Gebieten des Reiches die Mehrheit der Bevölkerung.[51] Bulliet analysierte die Entwicklung der Islamisierung des Araberreiches anhand biographischer Lexika über die infolge der Islamisierung geänderten Vornamen. Er kam dabei zu logarithmischen Wachstumskurven, wie man sie auch von biologischen Systemen kennt. Demnach erfolgte die Islamisierung Persiens rascher als die des Irak. Eine 50 %-ige Islamisierung wurde im Irak erst um das Jahr 900 überschritten, im Iran hingegen bereits um 820.[52] Zur Zeit Harun ar-Raschid war erst weniger als ein Viertel der Iraker Muslime. Auch unter al-Mamun erreichte das Ausmaß der Islamisierung noch lange nicht die 50 %-Marke. Bulliet wies noch darauf hin, daß man, solange die Muslime im Reich nur eine Minorität darstellten, weder die Gesellschaft noch die Kultur „islamisch“ nennen kann.[53] Trotz der rascher erfolgenden Islamisierung widerstand Persien der Arabisierung und konnte sein kulturelles Erbe und seine Sprache weitgehend bewahren.[54]

Intermezzo

Historisch-kritische Betrachtung der Zeit des frühen Islam

Offene Fragen

Wenn man die Überlieferung der Entstehungsgeschichte einer Religion betrachtet, gibt es immer unterschiedliche Perspektiven. Für den Gläubigen steht der Wahrheitsgehalt der Heilsgeschichte seiner Religion außer Zweifel. Aus der Sichtweise des Glaubens ist das auch voll gerechtfertigt. Der Historiker, den vor allem die gesellschaftlichen, politischen und kulturhistorischen Zusammenhänge im Umfeld der Ausformung einer neuen Religion interessieren, ist von der Natur seiner wissenschaftlichen Analyse her gehalten, jedes Detail kritisch auf seinen Wahrheitsgehalt zu hinterfragen. Wahrheit bedeutet hier wissenschaftliche Wahrheit, nicht religiöse oder Glaubenswahrheit.

Die in der heiligen Schrift des Christentums, dem Neuen Testament, enthaltenen Zeugnisse vom Wirken Jesu wurden viele Jahrzehnte später von den Evangelisten niedergeschrieben. Sie stellen – nach der in christlicher Tradition nie widersprochenen Auffassung – von Menschen verfaßte Dokumente dar, die daher für jede wissenschaftliche Analyse und Deutung offen sind. Die kritische Betrachtung ging zeitweilig sogar so weit, daß die Geschichtlichkeit der Person Jesu Christi in Frage gestellt wurde.[55]

Nähert man sich vom Standpunkt der kritischen Geschichtswissenschaft der Zeit des frühen Islam, wird es allerdings problematisch. Im Islam haben wir nämlich eine vom Christentum grundverschiedene Situation. Der Koran stellt – nach orthodoxer Auffassung – das seit Ewigkeit parallel zu Gott vorhandene und nicht von Gott in der Zeit geschaffene Wort Gottes dar. Der Koran ist daher – aus Sichtweise eines Gläubigen – keiner wissenschaftlichen Analyse zugänglich. Eine rein wissenschaftliche philologische Untersuchung einiger Koranpassagen, die in Fachkreisen weltweites Aufsehen erregte, konnte aus naheliegenden Gründen von ihrem Autor nur unter Pseudonym veröffentlicht werden.[56]

Wir wollen hier dennoch einige historische Überlieferungen kritisch hinterfragen, die für das Thema dieses Buches relevant sind. Wir beziehen uns dabei vor allem auf neuere Literatur aus dem Bereich der Orientalistik. Unberührt davon bleibt jedoch die Betrachtungsebene der Religion und die Glaubenswahrheit.

Westlichen Orientalisten fiel bereits im 19. Jh. auf, daß es bezüglich der Anfangszeit des Islam viele offene Fragen gibt, die sich aufgrund einer unzureichenden historischen Quellenlage nicht klären lassen.

Alle Berichte über den Propheten Mohammed und die Zeit der ersten vier Kalifen von Medina entstammen der islamischen Überlieferung. Die einzige „Quelle“ dafür ist ein im Original verloren gegangenes Werk des Ibn Ishaq (704-767), das wahrscheinlich um 750 entstand, also mehr als ein Jahrhundert nach den letzten Ereignissen. Dieses Buch ist nur in der Bearbeitung von Ibn Hischam (gest. ca. 830) erhalten. Teile sind auch bei at-Tabari (839-923) zitiert. Zeitgenössische Quellen über die Zeit Mohammeds und die der „rechtgeleiteten“ Kalifen gibt es nicht. Vor allem kennt man keine diesbezüglichen Schriften aus den literarisch recht hochentwickelten jüdisch-christlichen Regionen am Rande der arabischen Halbinsel. Ebenso fehlt dort jeglicher Hinweis auf eine neue Religion, den Islam.[57] Auch von byzantinischer Seite fehlen Quellen über diese Zeit. Möglicherweise sind sie im Zuge der Eroberung Konstantinopels durch die islamischen Türken im Jahre 1453 zerstört worden. Die Geschichtswerke der Byzantiner Theophanes Confessor (gest. 817) und Nikephoros I (ca. 750-828), dem Patriarchen von Konstantinopel, schöpften offenbar, bezüglich der Zeit des frühen Islam, aus den Werken der arabischen Tradition.[58] Über die Auseinandersetzungen Mohammeds mit den Juden in Medina und vor allem über deren teilweise Auslöschung ist in der jüdischen Überlieferung nicht einmal eine Erwähnung zu finden.[59] Es wird sogar von manchen Gelehrten in Frage gestellt, ob im Medina des frühen 7. Jh. überhaupt jüdische Stämme angesiedelt waren.[60] Wansbrough ordnete die gesamte Überlieferung der Geschichte des frühen Islam der literarischen Gattung der „Heilsgeschichten“ zu und vermutete, daß sie erst im 8. oder 9. Jh. entstanden sein könnte.[61] Crone[62] zeigte, daß der einzige Hinweis auf das damalige Mekka als Handelsstadt auf einer Auslegung der Sure 106, 2 des Korans[63] beruht. Es ist kein schriftlicher Hinweis aus den umliegenden Regionen (vor allem Syrien und Palästina) überliefert, der einen Handelsplatz Mekka erwähnt. Zudem, so manche Kritiker, soll auch keine der bedeutenden Karawanenstraßen der damaligen Zeit an Mekka vorbei geführt haben.

Auch die im 9. Jh. schriftlich niedergelegten Hadith-Sammlungen über den Propheten und seine Äußerungen wurden bereits von den Orientalisten des 19. Jh., wie Ignaz Goldziher[64], mit größter Skepsis betrachtet. Andere Orientalisten und Historiker wunderten sich darüber, wie rasch es den Arabern gelang, den Vorderen Orient (Syrien, Palästina und Ägypten) zu erobern.[65] Außerdem erscheint es merkwürdig, daß die Byzantiner, welche ja gerade ihre militärische Stärke beim Sieg über das persische Sassanidenreich unter Beweis gestellt hatten, diese Landnahme so ohne weiteres zuließen. Zudem gibt es weder in außerislamischen schriftlichen Quellen noch durch archäologische Funde gestützte Hinweise auf die großen militärischen Auseinandersetzungen, die nach der Überlieferung in der ersten Hälfte des 7. Jh. in Syrien und Palästina stattgefunden haben sollen.[66] Hingegen haben wir konkrete Hinweise, daß das tägliche Leben der Bevölkerung nicht gestört wurde und der Bau bereits begonnener christlicher Kirchen ohne Unterbrechung weiter ging.[67]

Christentum in vor- und frühislamischer Zeit

Bevor wir eine moderne Deutung der islamischen Frühgeschichte vorstellen, wollen wir kurz die Situation des Christentums im vorderen und mittleren Orient jener Zeit betrachten. Dabei müssen wir zwischen dem nachpaulinischen, hellenistisch geprägten griechisch-sprachigen Christentum des Mittelmeerraumes und dem des syrisch-aramäischen Kulturraumes, dem ostsyrischen Christentum, unterscheiden. Letzteres erstreckte sich von Ostsyrien über das Zweistromland bis in das persische Kernland.

Unter griechischem Einfluß wurde im hellenistisch geprägten Christentum die Vorstellung der Göttlichkeit Jesu Christi entwickelt. Denn in der griechischen Tradition unterstellte man jedem außergewöhnlichen Menschen eine göttliche Herkunft.[68] Andererseits führte die Übertragung des christlichen Glaubens in das Paradigmengebäude griechischer Sprache und griechischen Denkens zu einer „Christianisierung“ der griechischen Philosophie und damit zur Harmonisierung von Religion und rationalem Denken.[69]

Im frühen Christentum bewegten vor allem drei Problemkreise die Gläubigen und die Theologen:

1. Wie läßt sich die Lehre von der Dreifaltigkeit mit dem Prinzip des Monotheismus in Einklang bringen?
2. Wie lassen sich die beiden Wesensarten Jesu Christi, die göttliche und die menschliche, verstehen?
3. Welche Stellung hat dabei die Jungfrau Maria?

Die sich aus den unterschiedlichen Sichtweisen ergebenden Kontroversen wurden auf den Konzilen und Synoden geklärt. Dabei wurden diejenigen, welche von der Hauptrichtung des orthodoxen Dogmas abwichen, als Häretiker verurteilt und z. Tl. verfolgt. Nicht selten endeten die theologischen Diskussionen in handfesten körperlichen Auseinandersetzungen.

Das erste ökumenische Konzil fand im Jahre 325 im kleinasiatischen Nizäa statt und befaßte sich mit dem Verhältnis von Gottvater und Jesus Christus. Der Diakon der Kirche von Alexandria, Arius (250-336), hatte gelehrt, daß Gott ewig sei, Jesus ihm aber nur ähnlich (griechisch: homoi-ousios) und vom Vater erschaffen sei. Das Konzil stellte hingegen die Gleichheit von Gottvater und Jesus (griechisch: homo-ousios) fest und verurteilte Arius und seine Anhänger, die Arianer.[70] Formal ging es um den einen Buchstaben „i“ des griechischen Alphabets, jedoch mit weitreichenden Folgen.

Die Frage blieb nun, wie man sich den Mensch-Charakter Jesu erklären konnte. Hatte Jesus eine menschliche Seele, oder wohnte in seinem menschlichen Körper der göttliche Logos? Das Konzil von Konstantinopel (381) legte fest, daß Jesus eine menschliche Seele hatte.

Der Erzbischof von Konstantinopel, Nestorius (gest. ca.451), lehnte es ab, Maria das Attribut „Gottgebärerin“ (theotokos), zukommen zu lassen. Stattdessen gab er ihr das Attribut „Christusgebärerin“ (christotokos). Er wurde im Konzil zu Ephesus (431) verurteilt. Nach der gängigen Lehrmeinung wurde das nestorianische Glaubensbekenntnis später auf den Synoden von Beth Lapat (484) und Seleukia-Ktesiphon (486) auch von der ostsyrischen Kirche angenommen. Nach neueren Quellenstudien wird diese Sicht aber abgelehnt. Die Lehre des Nestorius spielte im ostsyrischen Christentum offenbar keine Rolle.[71] Demnach wird es als überholt betrachtet, die ostsyrischen Christen als „Nestorianer“ zu bezeichnen.

Eutyches von Konstantinopel (ca.378-454) vertrat die Auffassung, daß die göttliche Natur Jesu dessen menschliche Natur absorbiert habe und er deshalb nur eine Natur aufweise. Er und seine Anhänger, die Monophysiten, wurden im Konzil zu Chalkedon (451) verurteilt. Das Konzil stellte fest, daß Jesus zwei Naturen in einer Person oder einem handelnden Subjekt habe. Die Monophysiten waren vor allem im Vorderen Orient und in Ägypten vertreten. Ein Kompromiß war die Vorstellung, daß zwar zwei Naturen in Christus seien, jedoch nur ein Wille (Monotheletismus) oder zwei Naturen aber nur eine Energie (Monoenergismus). Auf der Reichssynode von Konstantinopel (5. ökumenisches Konzil, 553) wurde bekräftigt, daß Jesus in einer Person zwei Energien und zwei Willen enthalte (Dyotheletismus).

Weitere Fragen, welche die Theologen bewegten, waren z.B.: Konnte die göttliche Natur Jesu am Kreuz leiden? Ging der Heilige Geist nur vom Vater, oder auch vom Sohne aus?

Im Einzelnen waren diese Kontroversen noch vielfältiger und noch verwirrender.[72] Sie hatten vor allem nicht nur eine rein theoretische theologische Relevanz. Vielmehr waren sie verknüpft mit handfesten politischen Auseinandersetzungen, mit Aufständen, Verfolgung und Unterdrückung. Die byzantinischen Kaiser nahmen in diesen Kontroversen unterschiedliche Positionen ein, abhängig von persönlichen Vorlieben und politischem Kalkül.

Christentum ist in Persien bereits seit dem Beginn des 3. Jh. nachweisbar. Vermutlich war es dort jedoch bereits ein Jahrhundert früher angekommen. Man nimmt an, daß die ersten christlichen Gemeinden in Mesopotamien aus dem Judentum des Partherreiches hervorgingen.[73] Zur Ausbreitung des Christentums in Persien trugen auch Deportationen christlicher Bevölkerungsteile aus Syrien ins zentrale und östliche Sassanidenreich bei.[74] Dabei scheint es sich aber wohl um griechischsprachige Christen aus Westsyrien gehandelt zu haben.[75] Die ostpersische Stadt Marw war bereits seit der 2. Hälfte des 4. Jh. Bischofssitz.[76] Marw war auch der Ausgangspunkt für die Missionstätigkeit nach Zentral- und Ostasien.[77] Obgleich es unter den Sassaniden wiederholt Christenverfolgungen gab, konnte sich das Christentum in Persien fest etablieren und weiter ausbreiten.

Die Christen des syro-aramäischen Kulturraumes waren an den aus der griechischen Logik entsprungenen christologischen Spitzfindigkeiten ihrer griechischsprachischen Glaubensbrüder des Mittelmeerraumes nicht sonderlich interessiert. Anstatt sich mit logischen Konstrukten herumzuschlagen bediente sich die ostsyrische Theologie einer poetischen Sprache mit vielen Symbolen, Bildern, Paradoxa und Metaphern.[78] Nicht so sehr die Natur Jesu interessierte die „Ostsyrer“, sondern vielmehr seine Bedeutung für die Welt und die Gläubigen.[79] Sie hatten zwar von den Beschlüssen des Konzils von Nicäa (325) Kenntnis, übernahmen diese aber nicht in ihre Theologie. Auf der vom Sassaniden-Herrscher Yezdegird I (399-421) einberufenen Synode von Ktesiphon (410) wurde die ostsyrische Kirche praktisch selbständig und politisch dem Bischof der Reichshauptstadt Ktesiphon unterstellt. Auf der Synode von Markabta (424) war – im Unterschied zu früheren Synoden – bereits kein Bischof der „Westkirchen“ mehr zugegen. Zu dieser Zeit hatte sich die Autonomie der ostsyrischen Kirche endgültig gefestigt. Unter der Herrschaft der Araber und später der Mongolen und Türken entwickelte die ostsyrische Kirche eine beeindruckende Missionstätigkeit bis nach Fernost. Ihre höchste Blüte erlebte sie im 13. Jh.[80]

Allen Christen dieser Jahrhunderte, gleichgültig welcher Richtung, gemeinsam war der feste Glaube an das baldige Weltende und das unmittelbar bevorstehende Jüngste Gericht.

Eine alternative Sicht der islamischen Frühzeit

Zur Lösung der vielen offenen realhistorischen Fragen haben verschiedene Wissenschaftler in den vergangenen Jahren Erklärungsmodelle entwickelt, die von der traditionellen Sicht der Geschichte des frühen Islam z. Tl. radikal abweichen. Es handelt sich hier vor allem um Nevo und Koren (2003), Luxenberg (2000), sowie um die in den Büchern von Ohlig und Puin (2005) und Ohlig (2007) enthaltenen Beiträge von Popp, Ohlig und Luxenberg. Diese modernen Deutungen der Geschichte des frühen Islam liefern für unser Thema interessante Gesichtspunkte. Für den allgemeinen Kontext der Geschichte des Islam werfen sie jedoch eine Reihe ungelöster Fragen auf. Wie oft in solchen Fällen überwiegt die Anzahl der offenen Fragen diejenige der beantworteten. Die Sicht dieser Autoren ist - naturgemäß – unter Orientalisten sehr umstritten.[81] Es wird wohl noch viel Forschungsarbeit erfordern um hier zu einem Konsens zu gelangen.

Im folgenden wollen wir kurz in Form die wichtigsten Thesen dieser Autoren darstellen, die sich im wesentlichen auf die Auswertung von Münz- und Bauinschriften aus den relevanten Epochen beziehen:

1. Die Verlegung der Ursprünge des Islam nach Mekka und Medina Anfang des 7. Jh. war eine Projektion des 9. Jh., und stellt damit einen Mythos dar. Wie rasch eine Mythenbildung vollzogen und fest etabliert werden kann, konnte Eliade in anderem Zusammenhang darlegen. Auf der anderen Seite zeigte Eliade aber auch, daß die authentische Biographie einer bedeutenden historischen Persönlichkeit bereits nach wenigen Generationen im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft verblassen und zu einem Archetypus werden kann.[82]
2. Das Wort Quraisch für den arabischen Stamm Mohammeds der Heilsgeschichte leitet sich vom aramäischen Ausdruck für Bundesgenossen (lat. foederati) ab. Damit wurden die christlich-arabischen Vasallen der Byzantiner bezeichnet.
3. Die Eroberung und Errichtung des arabischen Weltreiches nahm ihren Ausgang nicht auf der arabischen Halbinsel. Es war vielmehr das Werk der im Irak und in Syrien ansässigen christlichen Araber. Aufgrund von Münzfunden läßt sich belegen, daß die Omayyaden und die frühen Abbasiden christliche Herrscher waren. Byzanz hatte sich bereits Anfang des 6. Jh. aus Syrien weitgehend zurückgezogen und nur einige Militärgarnisonen zurückgelassen. De facto wurde das Gebiet von den christlich-arabischen Bundesgenossen, den Ghassaniden, beherrscht. Die Gefechte in Syrien und Palästina der ersten Hälfte des 7. Jh., welche die Tradition zu bedeutenden Schlachten hochstilisiert, waren Zusammenstöße zwischen Ghassaniden und Resten arabischer Hilfstruppen Persiens.
4. Die arabische Zeitrechnung beginnt mit dem Jahr 622, dem Beginn der Offensive der Byzantiner gegen das persische Sassanidenreich und einer siegreichen Schlacht gegen die Perser im gleichen Jahr.[83] Offensichtlich benutzte man aber in der arabischen Zeitrechnung zuerst den Sonnenkalender und stellte erst in der frühen Abbasidenzeit (um das Jahr 150 arabischer Zeitrechnung) auf den Mondkalender um, als man den Ursprung der Zeitskala auf den Auszug des Propheten aus Mekka verlegte.[84]
5. Der Begriff „Islam“ wird erstmals im Jahre 72 arabischer Zeitrechnung erwähnt. Und zwar in der Inschrift im Innern des Felsendoms von Jerusalem. Nach Luxenberg bedeutet das Wort hier „Übereinstimmung“ (mit der Schrift), und zwar im Sinne einer Ablehnung der Trinitätslehre des westlichen Christentums durch die ostsyrischen Christen.[85] Das Wort „Mohammed“ oder „Muhammad“ stand ursprünglich nicht für den Eigennamen einer Person, sondern war ein Prädikat oder eine Eulogie Jesu Christi, mit der Bedeutung „Der Gepriesene“ (Benedictus). Erst im Laufe der Entwicklung vollzog sich eine „ Historisierung des muhammad-Prädikates in der Gestalt des arabischen Propheten “.[86] Ebenso war das Wort „Abd Allah“ (Knecht Gottes) ursprünglich ein christologisches Prädikat des ostsyrischen Christentums und wandelte sich erst später zu einem Eigennamen.

Auf dem Boden des vornizenischen ostsyrischen Christentums entwickelte sich im Laufe der Jahrhunderte, stark geprägt durch den spezifisch arabischen Fokus auf Riten und Gesetz, allmählich der Islam als eigenständige Religion. Wahrscheinlich kann man bereits Ende des 8. Jh. von einer spezifisch arabischen nicht-christlichen monotheistischen Religion sprechen, ohne daß sie bereits als „Islam“ in Erscheinung trat.[87]

6. Die in der Traditionsliteratur geschilderten innerislamischen, konfessionell geprägten militärischen Auseinandersetzungen („ Fitna -Kämpfe“) zwischen Ali und Muawiya, und später mit Ibn al-Zubayr, waren rein machtpolitischer Art.

Ali wird weder im Koran noch auf frühen Münzen oder Inschriften erwähnt. Sein Name taucht zuerst in der Literatur des 9. Jh. auf. Möglicherweise handelt es sich beim Wort „Ali“ (Der Erhabene) um ein weiteres christologisches Prädikat.[88]

7. Daß nach dem Tode Muawiyas kurze Zeit noch seine mißratenen Söhne regierten, wird der Legende zugeordnet. Die verworrene innenpolitische Lage wurde vielmehr erst durch Abd al-Malik (ibn Marwan) wieder geordnet. Auch dessen Vater, Marwan, wird der Legende zugerechnet. Abd al-Malik kam aus Marw (daher der Zusatz „ibn Marwan“) in der Provinz Chorasan, am Ostrand Persiens und hing noch einem vornizenischen Christentum an.

Münzinschriften aus dem Jahre 75 arabischer Zeitrechnung deuten darauf hin, daß Abd al-Malik in der Bezeichnung Khalifat Allah den Vertreter (Sprecher) Gottes, also Jesus Christus, sah. Sein eigener Titel Amir al-muminin wird nicht als „Herrscher der Gläubigen“ sondern als „Landpfleger“ übersetzt.[89] Die Münzprägungen deuten zudem darauf hin, daß man zur Zeit Abd al-Maliks in der Erwartung des nahen Weltendes lebte, das Abd al-Malik für das Jahr 77 arabischer Zeitrechnung erwartete.

Diese radikal neue Interpretation der islamischen Gründungsgeschichte wirft eine Vielzahl von Fragen auf, die von den Historikern abgeklärt werden müssen. Wenn man annimmt, die Heilsgeschichte um Mohammed und die vier rechtgeleiteten Kalifen sei ein Konstrukt späterer Zeiten, so muß sie zu einer Zeit entstanden sein, als das arabische Reich noch unter einheitlicher Führung stand und politisch noch nicht fragmentiert war. Ferner ist es erklärungsbedürftig, daß alle islamischen Sekten an dieser Heilsgeschichte festhalten. Auch die alternative Erklärung des Ursprungs der arabischen Zeitrechnung bleibt unbefriedigend. Es ist vor allem schwer einzusehen, warum eine christliche Sekte ihre Zeitrechnung mit einem - theologisch gesehen – relativ unbedeutenden politischen Ereignis beginnen läßt. Davon unbenommen ist allerdings, daß die Systematisierung der Heilsgeschichte und die Entwicklung des Mohammed-Glaubens wohl Produkte der späteren Abbasidenzeitsein können.

Schoeler setzte sich 1996 mit den Kontroversen um die kritischen Werke von Crone und Wansbrough auseinander.[90] Er kommt zum Schluß, daß die Hauptzüge der Mohammed-Heilsgeschichte in groben Umrissen richtig sein müssen, daß aber in der langen Zeit bewußt mündlicher Überlieferung ein Veränderungsprozeß wirksam war. So ist es möglich, daß es in allen Stadien des Überlieferungsprozesses zu den verschiedensten bewußten oder unbewußten Änderungen kam, also zu einer Archetypisierung der Biographie Mohammeds im Sinne Eliades. An die Zeit der mündlichen Überlieferung schloß sich die erste Phase der Teil-Verschriftung an in Form von „in der Vorlesung Mitgeschriebenem“. Erst im 9. und 10. Jh. kam der Veränderungsprozeß zum Stillstand, als die erwähnten Historiker, vor allem at-Tabari, mit ihren Werken „feste Texte“ schufen.

Wenn wir die traditionelle Sicht westlicher Gelehrter zusammenfassen ist die islamische Heilsgeschichte in groben Zügen authentisch. Im Detail unterlag sie jedoch einer ausgeprägten Archetypisierung im Sinne Eliades.

Wir haben somit, grob gesehen, drei Geschichtsbilder des frühen Islam:

1. Die islamische Heilsgeschichte,
2. Die hier skizzierte alternative Sicht der „islamischen“ Frühzeit.
3. Die ohnehin schon kritische traditionelle Sichtweise westlicher Historiker und Orientalisten,

Gleichgültig, ob man an der traditionellen Sichtweise des frühen Islam durch westliche Forscher festhält oder die soeben skizzierte Deutung befürwortet, das Ergebnis für unsere Fragestellung bleibt unverändert: Zur Zeit der kulturellen Blüte der frühen Abbasidenzeit kann man noch nicht von einem Islam im heutigen Sinne sprechen. Nur eine Minderheit in der Bevölkerung war islamisch. Das Christentum war auf jeden Fall noch die vorherrschende Religion. Wie wir später im einzelnen sehen werden, gehörten die Intellektuellen, die sich mit den Übersetzungen und der Weiterentwicklung von Mathematik und Naturforschung befaßten, vielen Glaubensrichtungen an. Nur wenige von ihnen waren in späterem Sinne Muslime. In der Mehrzahl waren es Christen.

Wir sehen daher keinen Grund, für unsere Fragestellungen im weiteren Verlauf dieses Buches von der traditionellen Sichtweise westlicher Gelehrter abzuweichen.

Die Frage der Legitimation des Herrschers

Im islamischen Denken fehlt die Trennung zwischen dem religiösen, dem rechtlichen und dem politischen Bereich. Auch fehlt hier der Begriff eines „Staates“ sowie der einer „Zivilgesellschaft“.[91] Der Machtanspruch eines Herrschers war daher immer ein absoluter. Er umfaßte alle Bereiche des Lebens.

Der Herrschaftsanspruch des Propheten Mohammed fällt unter den durch Max Weber populär gemachten Begriff der charismatischen Herrschaftsform.[92] Ein charismatischer Herrscher begründet seinen Machtanspruch allein auf außergewöhnlichen persönlichen Gaben. Er verlangt Gefolgschaft und Gehorsam von denen, an die sich seine Sendung richtet. Wenn diese an seiner Befähigung zweifeln und seine Sendung nicht mehr annehmen, bricht seine Macht zusammen. Entgegen der Verwendung des Begriffes „charismatisch“ in den heutigen Medien charakterisiert der Begriff bei Weber also eine Wechselwirkung zwischen Herrscher und Beherrschten.[93] Neben der geistigen Führung eines Propheten ist auch die weltliche Führung eines Kriegsfürsten eine charismatische. Letztere ruht auf einer wirtschaftlichen Legitimation, nämlich der Kriegsbeute. Die charismatische Herrschaft ist immer an eine außeralltägliche Situation gebunden, sei es ein geistiger Umbruch, sei es ein Krieg. Die einzige Rechtfertigung des Führungsanspruchs eines charismatischen Herrschers liegt im Erfolg des Gesamtunternehmens. Seine Herrschaft ist also äußerst labil. Treffen Personengebundenheit (Prophet) seiner Autorität mit der Wirtschaftsgebundenheit (Kriegsbeute) zusammen, so potenziert sich die Labilität, da die Erfolgsgarantie von zu vielen Parametern abhängt.[94]

Das Charisma des Herrschers entspringt, wie schon gesagt, einer außeralltäglichen Situation. Wenn diese Situation nicht mehr gegeben ist, muß das Charisma transformiert werden, um die Herrschaft zu erhalten und ihr eine stabile Struktur zu verleihen. Das Charisma muß – wie es Max Weber formulierte – den Prozeß einer „Veralltäglichung“ durchlaufen.

Der Herrschaftsanspruch des Propheten Mohammed war sowohl personengebunden als auch wirtschafsgebunden. Diese Verbindung blieb auch unter seinen Nachfolgern bestehen, wobei man hier bereits von einer Traditionalisierung des Charisma sprechen kann. Die Kalifen leiteten ihren Führungsanspruch auch von ihrer Stammesgenealogie (der Verwandtschaft zum Propheten) ab. Das auf dieser Basis unter den Umayyaden aufgebaute religiös überhöhte Ordnungsprinzip verlor unter den Abbasiden rasch an Bedeutung.[95] Die Herrschaft der Kalifen blieb jedoch weiterhin labil. Der Hauptgrund war das Fehlen eines abstrakten Staatsbegriffes im arabischen Denken. Es entfiel also die Möglichkeit, die charismatische Herrschaft ins „Institutionelle“ zu transponieren. Herrschaft war stets an die Person des Herrschers gebunden. Dabei stellte sich im Kreise der Untertanen immer wieder die Frage, ob der Kalif aufgrund seiner Herkunft und seiner Persönlichkeit ein würdiger Nachfolger des Propheten sei. Überlagert wurde dieses Bewertungskriterium durch die Frage nach dem militärischen Erfolg.

Die arabischen Stämme kannten weder Staat noch Regierung. Ihre Gesellschaftsstruktur war anarchisch. Sie hatten einen gewählten und jederzeit absetzbaren Führer, dessen Machtanspruch charismatisch, d. h. erfolgsorientiert war. Den Zusammenhalt der Gruppe bewirkte ein ausgeprägtes „Wir-Gefühl“ (der berühmte Begriff asabiya des Geschichtsphilosophen Ibn Khaldun, 1332-1406) als Abgrenzung gegenüber den Anderen und verbunden mit der Überzeugung, besser zu sein als die Anderen.[96] Bis weit in die Umayyadenzeit hinein spielte sicher das Gefühl, Araber zu sein, eine große Rolle.

Als das arabische Imperium seine größte Ausdehnung erreicht und vor allem weite Gebiete alter Hochkulturen überlagert hatte, wurde das Reich multikulturell und seine Elite setzte sich immer mehr aus Nicht-Arabern zusammen. Bereits im 10. Jh. fand die arabische Vorherrschaft über die islamische Welt ihr Ende.[97] Es entstand damit die Notwendigkeit, das „Wir-Gefühl“ auf eine neue Basis zu stellen, die dem kulturübergreifenden und multiethnischen Charakter des Imperiums Rechnung trug. Es mußte also eine diese neue Gesellschaft stützende Ideologie gefunden werden. Und das war die gemeinsame Religion, der Islam. Man unterschied nun nicht mehr zwischen Arabern und Nicht-Arabern sondern zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. So entstand ein neues kulturübergreifendes „Wir-Gefühl“.[98]

Hinzu kam, daß die ökonomische Stütze der charismatischen Führung durch den Kalifen als Kriegsherren zunehmend schwand: Die Zahl der Eroberungen wurde geringer, die Kriege an der Peripherie des Reiches kosteten mehr als sie einbrachten, die unterworfenen Völker traten vermehrt zum Islam über und standen sich damit steuerlich günstiger, womit die Steuereinnahmen sanken. Das Reich begann zudem an Überdehnung zu leiden.[99] Als Folge schwand die Zentralgewalt und das Imperium zerfiel in de facto selbständige Teile. Der Kalif konnte sich nur noch mit Hilfe fremder Militärherrscher an der Macht halten.

Innerhalb des Islam bildete sich eine Glaubensrichtung heraus, die dieser neuen Situation Rechnung trug. Es war die Geburt der heute vorherrschenden Richtung des sunnitischen Islam. Während in der frühen Abbasidenzeit noch eine Vielzahl islamischer Glaubensrichtungen miteinander konkurrierten, bildete sich im Kreise der Gelehrten und der einfachen Gläubigen immer mehr das Sunnitentum heraus. Im Jahre 1018 wurde diese Form des Islam vom Abbasiden-Kalifen al-Qadir (991-1031) zur offiziellen Doktrin des Reiches erhoben.[100] Damit wurde ein Ordnungssystem, das allein auf dem Koran und der Prophetenüberlieferung (Sunna) basierte, zur Maxime erklärt. Diese Ordnung hat den Anspruch einer absoluten, übergeschichtlichen Gültigkeit. Sie ist die gottgewollte Norm, welche alle Bereiche des Diesseits und des Jenseits umfaßt. Sie ist unveränderbar. Diese Weltsicht stand in krassem Gegensatz zu der unter al-Mamun entwickelten rationalen Theologie, die in der Weltgeschichte einen Prozeß der Entwicklung der göttlichen Ordnung zu immer höherer Vollkommenheit sah.[101] Im Richtungsstreit um die Auslegung des Islam hatten die orthodoxen Gelehrten den Sieg davongetragen. Nach dem sunnitischen System war die Ordnung des Imperiums sowie die Position des Kalifen festgelegt, unabhängig von seiner Person und unabhängig davon, wer als der militärische Machthaber die eigentliche Gewalt ausübte. D. h. die Grundlagen des muslimischen Gemeinwesens waren unabhängig vom Herrscher gesichert.[102]

Allerdings war dem Kalifen damit die Deutungshoheit für Politik, Religion und Recht endgültig genommen. Sie war in die Hände der Religionsgelehrten übergegangen.[103] Dies wird auch durch den Umstand deutlich, daß in geographischen Beschreibungen ab dem 10. Jh. nicht mehr Bagdad das Zentrum der Welt war, sondern Mekka mit der Kaaba.[104] Die medinenser Zeit des Propheten (ab 622) und die Zeit der vier rechtgeleiteten Kalifen wurde zu einer Utopie der Vergangenheit mit normativem Charakter verklärt.[105]

Geschichte der islamischen Welt II

Vom Großemirat zur Mongolenherrschaft

Die Politik des Abbasidenreiches war von Anfang an bestimmt durch die große Vielfalt der religiösen Anschauungen innerhalb des Islam. Viele Sekten, vor allem die unterschiedlichen schiitischen Glaubensrichtungen und die der Kharijiten, lehnten den Herrscheranspruch des Kalifen ab. Aufstände waren an der Tagesordnung. Die entlegenen Provinzen erhielten immer größere Selbständigkeit, indem Provinzgouverneure erbliche Dynastien einrichteten. Die jeweiligen Thronfolger wurden lokal nominiert und erst nach Amtsantritt vom Kalifen schriftlich bestätigt. Zudem litt das Reich unter zunehmenden fiskalischen Problemen, bedingt durch stetig sinkende Steuereinnahmen und steigende Kosten für Söldnerheere.[106]

Bereits im Bürgerkrieg zwischen al-Mamun und al-Amin zeigte sich die Notwendigkeit für den Kalifen, über loyale Truppen zu verfügen, unabhängig von deren Konfession. So unterhielt al-Mamuns Nachfolger, al-Mutasim (833-842), bereits ein Söldnerheer aus 70.000 Kriegssklaven (sog. Mamluken): Türken und Berbern. Da es in Bagdad zu Spannungen zwischen den Truppen und den Bewohnern kam, verlegte al-Mutasim seinen Regierungssitz in die von ihm neu gegründete Stadt Samarra, ca. 100 km nördlich von Bagdad. Die Kosten für diese Neugründung und der aufwendige Lebensstil am Kalifenhofe verschärften die fiskalischen Probleme.

Al-Mutawakkil (847-861) beendete die unter al-Mamun favorisierte rationale Theologie per Dekret und untersagte, die These vom geschaffenen Koran zu verbreiten. Im Jahre 861 wurde dieser Kalif von türkischen Heerführern ermordet. In der Folge wurden die Kalifen mehr und mehr zu Marionetten türkischer Emire, welche die eigentlichen Herrscher waren. Es war eine Zeit der Wirren. Unter al-Muqtadir (908-932) befand sich das Kalifat in einem Zustand innerer Auflösung. In Andalusien nannte sich der Emir Abd ar-Rahman Kalif, in Nordafrika entstand das Kalifat der Fatimiden und in Ostpersien herrschten die Samaniden.

Ab 945 übernahmen die persischen Buyiden, die aus der Region südlich des Kaspischen Meeres stammten, die Herrschaft im Kalifenreiche. Sie verlegten ihren Regierungssitz ins persische Schiras und unterhielten in Bagdad nur eine Residenz. Die Buyiden erhielten den Titel Amir al-umara „Heerführer der Heerführer“, waren also Großemire. Bis zum Beginn des 11. Jh. sank der abbasidische Kalif politisch auf die Stufe der völligen Bedeutungslosigkeit. Die neuen Herrscher waren Zwölfer-Schiiten und, wie die sunnitische Bevölkerungsmehrheit und die türkischen Söldner, Gegner der Siebener-Schiiten oder Ismailiten, welche durch die ägyptische Fatimidendynastie verkörpert waren.

Die Samaniden in Ostpersien mit der Metropole Buchara hatten die persische Kultur wiederbelebt. Auch sie waren Sunniten. Sie islamisierten die Turkvölker an ihrer Grenze durch friedliche Missionstätigkeit. Als diese dann in ihr Land eindrangen, verhinderten die samanidischen Schriftgelehrten einen Widerstand, da die Türken ja schließlich Glaubensbrüder seien. Das Samanidenreich kollabierte in den Jahren 999 bis 1004 und das Land südlich des Oxus geriet unter die Herrschaft der Ghaznawiden. Deren bedeutender Führer war Mahmud von Ghazna (998-1030), der sich vehement für die Ausbreitung des Sunnitentums einsetzte. In Bagdad, inzwischen war al-Qadir (991-1031) Kalif, tobte ein Bürgerkrieg zwischen Sunniten und den von den Buyiden geförderten Schiiten. Al-Qadir bestätigte formell Mahmuds Herrschaft über Ostpersien und erhielt von diesem Unterstützung gegen die Schiiten. Im Jahre 1018 erklärte al-Qadir, wie bereits erwähnt, offiziell das Sunnitentum zur Staatsideologie. Die Ghaznawiden waren, obwohl ethnisch gesehen Türken, kulturell eine persische Dynastie. Unter ihrer Herrschaft wirkte u. a. der berühmte Gelehrte al-Biruni (973-ca.1050).

Im Jahre 1040 drang, aus der Region nördlich des Oxus kommend, ein anderes Turkvolk, die Seldschuken, nach Persien ein, nachdem sie die Ghaznawiden besiegt hatten. Die Ghaznawiden hielten sich nur noch im Gebiet des heutigen Afghanistan. Auch die Seldschuken waren bereits Sunniten. Sie beendeten die letzten Reste der Buyidenherrschaft und zogen 1055 in Bagdad ein. Unter der „Schirmherrschaft“ des Abbasidenkalifats errichteten sie ein Sultanat. Unter dem Sultan Malik-Shah (1072-1091) wurde ihre Herrschaft fest etabliert. Zum ersten Mal regierte ein Turkvolk Südwestasien und hatte die politische Macht über das Kalifat. Eine Bedrohung stellte die vom ägyptischen Fatimidenreich ausgehende subversive Tätigkeit der Ismailiten dar. Die Seldschuken setzten als Gegenreaktion alles daran, das Sunnitentum zu stärken. Die sunnitische Orthodoxie fand zu dieser Zeit ihre endgültige Form. Die unpolitischen Zwölfer-Schiiten wurden geduldet, nicht jedoch die militanten Ismailiten oder Siebener-Schiiten. Die ismailitische Sekte der Nizariten hatte in Nordpersien – mitten im Machtbereich der Seldschuken – Ende des 10. Jh. ein kleines Reich gegründet, gestützt auf eine Kette uneinnehmbarer Bergfestungen. Ihr Machtzentrum war die Festung Alamut, nordwestlich des heutigen Teheran. Das primäre Ziel der Mongolen unter Hülägü bei ihrem Einfall in Persien war die Zerschlagung der Nizariten-Herrschaft. Das gelang ihnen auch 1256 mit der Eroberung der Burg Alamut. Dabei zeigte sich anhand von den Eroberern in die Hände gefallenen Büchern und wissenschaftlichen Instrumenten, daß Alamut auch ein Zentrum der Gelehrsamkeit gewesen war.[107]

Im Kampf gegen die Seldschuken war den Nizariten jedes Mittel recht, auch der Einsatz von Selbstmordattentätern. Einem solchen Attentat fiel 1092 der berühmte Wesir, Nizzam al-Mulk, der Architekt des Seldschukenreiches, zum Opfer. Ein Ableger der persischen Nizariten beherrschte zeitweilig einen Teil Syriens. Unter ihrem Herrscher, Rashid ad-Din Sinan (gest. 1193), der „Alte vom Berge“, wie ihn die Kreuzritter nannten, kämpften sie gegen die Kreuzritter sowie gegen die Ägypter unter Saladin. Auch sie sandten Selbstmordattentäter aus, um unliebsame Gegner auszuschalten. Einem solchen Attentat fiel z. B. im Jahre 1192 der König von Jerusalem, Konrad von Montferrat, zum Opfer. Die Europäer nannten die Nizariten „Assassinen“.[108] Die Kreuzzüge tangierten weder das Abbasidenkalifat, noch das Reich der Seldschuken, noch Persien.

Gegen Ende des Abbasidenkalifats gewann der Kalif noch einmal die Vorherrschaft über den Sultan. Hier sind die Kalifen al-Mutangid (1160-1170) und an-Nasir (1180-1225) zu nennen. Dieses Wiedererstarken des Kalifats war jedoch nur von kurzer Dauer. Im Jahre 1258 eroberten die Mongolen Bagdad und töteten den letzen Kalifen, al-Mutasim (1242-1258). Die in Ägypten inzwischen regierenden Mamluken-Sultane holten sich einen Nachkommen aus dem Abbasiden-Clan nach Kairo und unterhielten mit ihm und seinen Nachfolgern, um ihre Herrschaft stärker zu legitimieren, ein Scheinkalifat, das erst mit dem Einmarsch der Osmanen im Jahre 1517 sein Ende fand.

Die Fatimiden in Ägypten

Ägypten wurde von Bagdad aus bereits seit längerer Zeit „an der längeren Leine“ geführt, d. h. seine Gouverneure genossen ein hohes Maß an Selbständigkeit. Die Bevölkerung des Landes war und blieb – abgesehen von der Hauptstadt Fustat – noch über Jahrhunderte mehrheitlich christlich und jüdisch.[110] Südlich von Assuan begannen die christlichen Nubierreiche. Im Gegensatz zu Syrien, das geographisch und politisch stark fragmentiert war, blieb Ägypten aufgrund seiner geographischen Gegebenheiten immer eine zentral regierte Einheit. Der Wohlstand Ägyptens basierte vor allem auf der Landwirtschaft. Diese wiederum benötigte einen bestimmten Pegel des herbstlichen Nilhochwassers. War der zu hoch, kam es zu zerstörerischen Überschwemmungen, war er zu niedrig, resultierten im Folgejahr Ernteausfälle. Im Extremfall kam es dann zu Hungersnöten und Steuerausfällen für die Regierung.[111] Später entwickelte sich Ägypten darüber hinaus zu einem Handelsknotenpunkt, auch eine Quelle des Wohlstandes.[109]

Von 868 bis 905 regierten hier der türkische Statthalter Ahmad ibn Tulun und seine Nachkommen, die Tuluniden, weitgehend unabhängig. Es folgte eine kurze Periode der direkten Herrschaft des Kalifats von Bagdad, bis Ägypten unter den Ikshiden (935-968) wieder selbständig wurde.

Mitte des 9. Jh. war im südlichen Irak eine schiitische Geheimlehre entstanden, die sich in verschiedenen sektiererischen Zellen entwickelte. Das vierte Oberhaupt eines Zweiges dieser Sekte, Abdallah, lebte als Kaufmann getarnt in Syrien. Nachdem seine Identität offenbar wurde, floh er nach Nordafrika. Dort gewann er bei den Kutama-Berbern eine große Anhängerschaft. Mit deren Unterstützung ließ er sich im Jahre 910 zum Mahdi, Imam und Kalifen ausrufen. Legitimiert wurde der Anspruch durch einen umstrittenen Stammbaum, der den Mahdi auf Hussein ibn Ali und dessen Mutter, die Prophetentochter Fatima, zurückführte.[112] Nach dieser Genealogie werden der Mahdi und seine Nachfolger Fatimiden genannt. Wir werden uns an anderer Stelle noch ausführlich mit dem religiösen Aspekt dieser Sekte befassen.

Vom heutigen Tunesien aus herrschten die Fatimiden einige Jahrzehnte über weite Teile Nordafrikas. Ihre militärische Basis waren die Krieger der Kutama-Berber und slawische Kriegssklaven.[113] Seit dem Tode des letzten Ikshiden-Regenten, des schwarzen Eunuchen Kafur (968), war Ägypten im Chaos versunken. Als dann 969 die fatimidische Armee unter dem Feldherrn Gauhar, einem Kriegssklaven europäischer Herkunft, am Nil erschien, unterwarfen sich die Notabeln von Fustat den Fatimiden, nachdem diese ihnen bestimmte Sicherheitsgarantien gegeben hatten, vor allem auch die Wiederherstellung einer stabilen Währung. Die Fatimiden garantierten vor allem den Sunniten aber auch den übrigen Religionsgemeinschaften die Freiheit, ihren Glauben zu praktizieren.

Gauhar ließ nahe der Stadt Fustat eine Residenzstadt bauen, die – nach dem Planeten Mars (al-Qahir) – al-Qahira (Kairo) genannt wurde. Im Juni 973 hielt der Fatimiden-Kalif al-Muizz (952-975) dort seinen Einzug.

Außenpolitisch bereiteten anfangs die Qarmaten, eine ismailitische Schwestersekte die sich im Jahre 899 von den Fatimiden abgespalten hatte, Probleme. Sie beherrschten die Küstenregionen des Persischen Golfs und große Teile Arabiens. Vor allem kontrollierten sie die Karawanenwege nach Mekka.[114] Im Jahre 975 gelang es den Fatimiden, ihnen die Herrschaft über die heiligen Städte Mekka und Medina und die Kontrolle der Pilgerwege zu nehmen. Aus Syrien und Palästina konnten sie die Qarmaten zurückdrängen. Gleichzeitig expandierte Byzanz nach Osten, so daß in Nordsyrien die Interessenssphären beider Reiche aneinander stießen. Diese Situation führte wiederholt zu lokalen Konflikten.

Unter dem Kalifen al-Aziz (975-996) trat vor allem sein äußerst fähiger Wesir, Ibn Killis, hervor, ein zum Islam konvertierter Jude, der auch unter al-Muizz höhere Verwaltungsposten inne hatte. Ibn Killis ersetzte im Militär allmählich die Kutama-Berber durch verläßlichere türkische Mamluken. Da das Gros der Bevölkerung christlich oder jüdisch war, wundert es nicht, daß diese auch die Mehrzahl der Verwaltungsbeamten stellten. Es gab immer wieder Versuche von Seiten der Kalifen, die unentbehrlichen christlichen oder jüdischen Beamten durch Muslime zu ersetzen. Es gab sogar regelrechte Diskriminierungsaktionen gegen Nichtmuslime. Alle diese Aktionen blieben aber bis zum Ende des 12. Jh. erfolglos, da die nichtmuslimischen Amtsträger aufgrund ihres Fachwissens unersetzbar waren.

Die Außenpolitik der Kairoer Fatimiden war nach Osten gerichtet. Nordafrika war weitgehend selbständig, erkannte jedoch die Fatimiden formal als Oberherren an. Gleiches galt für Sizilien, das ab 948 fatimidisch war, bis es nach einigen Wirren im 11. Jh. von den Normannen erobert wurde. Diese Eroberung fand ihren Abschluß im Jahre 1148 unter König (seit 1130) Roger.

Eine der umstrittensten Persönlichkeiten der islamischen Geschichte war zweifellos der nächste Fatimidenkalif, al-Hakim (996-1021). Von seinen Gegnern ist uns das Horrorbild eines geistesgestörten Gewaltherrschers überliefert. Halm zeigt jedoch anhand zeitgenössischer Dokumente, daß al-Hakim zwar ein Exzentriker war jedoch kein krankhaftes Charakterbild aufwies.[115] Al-Hakim hatte mit zwei inneren Revolten zu kämpfen. Im Jahre 1004 erhoben sich einige westlich des Nildelta ansässigen Stämme unter der Führung eines angeblichen Umayyadenprinzen, Abu Rakwa, der sich als Gegenkalif ausrufen ließ. Nur mit Mühe konnte man dieser Bedrohung Herr werden. Im Jahre 1011 ließ der Fürst der Tayyi-Stämme in Palästina den Scherifen von Mekka als Gegenkalifen ausrufen und kündigte den Fatimiden die Gefolgschaft. Dieses Problem konnte durch Zahlung einer hohen Geldsumme an den Tayyi-Fürsten behoben werden.

Bedeutend ist al-Hakims Beitrag zur Förderung der Wissenschaften. Nachdem bereits 988 der Wesir Ibn Killis die Palastmoschee al-Azhar mit 35 juristischen Lehrstühlen ausgestattet hatte (sie wurde damit zu einer religiös-juristischen Hochschule, einer Madrasa), gründete al-Hakim eine wissenschaftliche Akademie, den Hafen der Weisheit (Dar al-Hikma), die wir weiter unten noch im Detail besprechen werden. Hier wurden alle Arten von Wissenschaft betrieben, auch Proto-Naturwissenschaften. Kernstück war eine Bibliothek von legendärem Ausmaß. Diese Institution war jedoch – und das ist ganz wichtig - keine Universität in unserem Sinne.[116] Finanziert wurde sie – zusammen mit der al-Azhar Moschee und zwei weiteren Moscheen über eine private Stiftung (waqf).[117]

Gegen Ende der Regierungszeit al-Hakims entstand in Kairo eine Sekte, die sich vom ismailitischen Glauben abspaltete. Die Sektierer lehnten jede formale Struktur, wie Riten, ab und erklärten, die Endzeit sei gekommen. Sie sahen im Kalifen al-Hakim eine Inkarnation Gottes. Nach al-Hakims Tod wurden sie verfolgt. Ihre Mitglieder fanden in den Gebirgstälern Syriens und des Libanon Zuflucht. Die Anhänger entwickelten ihre Lehre zu einer Geheimlehre. Heute kennt man sie im Vorderen Orient als Drusen.

Unter al-Hakims Nachfolgern, seinem Sohn az-Zahir (1021-1036) und seinem Enkel al-Mustansir (1036-1094) erreichte das Reich der Fatimiden zunächst seine höchste Blüte. Politisch und wirtschaftlich war es dem Byzantinischen Reich durchaus ebenbürtig. Ab ca. 1060 wurde das Fatimidenreich jedoch von inneren Krisen heimgesucht, die es an den Rand des Unterganges führten.

Beim Tod al-Mustansirs geriet das Reich in eine neue Krise. Der Wesir al-Afdal verdrängte den legitimen Nachfolger, Nizar, und setzte einen Prinzen namens Ahmad als Kalifen ein. Nizar ließ sich daraufhin in Alexandrien zum Kalifen ausrufen. Es kam zu einer militärischen Auseinandersetzung, bei der Nizars Partei besiegt wurde. Nizar wurde gefangengenommen und starb im Gefängnis. Diese Ereignisse führten zu einer Spaltung der Ismailiten. Die Anhänger Nizars sonderten sich ab und bildeten in Persien eine eigene Sekte, die wir bereits erwähnt haben. Politisch verloren die ägyptischen Fatimiden durch die Nizariten ihren Einfluß im Iran.

Im Jahre 1098/99 erschienen die Kreuzfahrer in Palästina, wodurch die poltische Landschaft im Nahen Osten grundlegend geändert wurde. Nach der Ermordung al-Amirs, der 1101 als Fünfjähriger inthronisiert wurde und 1130 dem Anschlag eines Assassinen zum Opfer fiel, ging die Herrschaft der Fatimiden endgültig ihrem Ende entgegen. Die nächsten Jahrzehnte verliefen ausgesprochen chaotisch bis der Emir von Aleppo, Nur ad-Din, Syrien einigte. Er stärkte das Sunnitentum und verdrängte dort den schiitischen Einfluß. Er führte in seinem Machtbereich die Madrasas ein. Ägypten unterstützte er militärisch gegen die Kreuzfahrer. Nur ad-Dins kurdischer Heerführer, Sirkuh, wurde Wesir in Kairo. Nach Sirkuhs Tod wurde im Jahre 1169 dessen Neffe Salah ad-Din Yusuf ibn Ayyub – im Westen bekannt als Saladin – Wesir.

Nachdem Saladin seine Macht gefestigt und systematisch ausgebaut hatte, stürzte er die Fatimidendynastie und führte Ägypten wieder unter die nunmehr sunnitische Oberherrschaft Bagdads zurück. Nach dem Tode Nur ad-Dins übernahm Saladin auch die Herrschaft über Syrien. Er rief zum Dschihad gegen die Kreuzfahrer auf, die er 1187/88 fast vollständig aus Syrien/Palästina vertreiben konnte. Saladin gründete die Dynastie der Ayyubiden, die bis 1250 über Ägypten und den Vorderen Orient herrschte. Sie wurde durch türkische Mamluken-Sultane abgelöst. Deren Herrschaft endete schließlich 1517 als das Osmanische Reich die Herrschaft in Ägypten übernahm.

Al-Andalus, Spanien unter muslimischer Herrschaft

Die Geschichte des muslimischen Spaniens und Portugals (al-Andalus) und die damit eng verwobene Geschichte Nordafrikas sind, im Detail betrachtet, von einer ungewöhnlichen Vielfalt und Komplexität.[118] Wir können hier nur einen groben Überblick geben.

[...]


[1] Falls nicht anders angegeben, ist in weltanschaulichem Zusammenhang mit „Islam“ der sunnitische Islam gemeint. Im kulturellen Zusammenhang verstehen wir unter „Islam“ die Kultur des islamischen bzw. arabischen Weltreiches und seiner Nachfolgestaaten.

[2] T. Nagel, Theologie und Ideologie im modernen Islam, in: Ahmed u. a. (1990), 1-59, hier: 52; Diner (2007), 238.

[3] Nagel (2008a), 29; s. auch die Diskussion bei Antony Black, Religion and Politics in Islam: Fundamentalism in Historical Perspective, in: Walther (2004), 371-385.

[4] Nagel (2008a), 14.

[5] Diner (2007).

[6] Ein Allerweltsprodukt.

[7] Qutb (2000), 288.

[8] Iqbal (2007), 21.

[9] Nasr (1993); s. auch Nasr (1978),, 275 ff.; Iqbal (2007), 187 ff.

[10] Qadir (1990), 5 f.; s. auch die ausführliche Diskussion bei Tibi (1992).

[11] Hoodbhoy (1991), Tibi (1992), Stenberg (1996), Edis (2007).

[12] Nagel (2008a), 13 f.; Tibi (1992), 135.

[13] „Quantenkoran“, s. Edis (2007), 101 ff.

[14] Z. B. Hitti (1958); Holt et al. (1970); Hodgson (1974); Haarmann (1987); Lapidus (1988). Zur Anfangszeit des Islam und seiner Vorgeschichte siehe vor allem Nagel (2008).

[15] Siehe z.B. Finster und Schmidt: Die Kirche des Abraha in San’a, in: Nebes (1994), 67 – 86.

[16] Berkey (2003), 24.

[17] Hitti (1958), 67 ff.

[18] Schippmann (1990), 64 f; R. N. Frye, The Political History of Iran under the Sasanians, in: Yarshater (1983), 116-180, hier: 166 ff.

[19] Hitti (1958), 80.

[20] Auf diese Problematik wiesen europäische Orientalisten bereits im 19. Jh. hin: Siehe z.B. Weil (1967 [1846-1862]), 287; Goldziher (2004 [1890]), 5 f; s. auch die Literaturübersicht bei Nevo und Koren (2003), 1 ff.

[21] Holt et al. (1970), 24.

[22] Hallaq (2009), 31.

[23] Hallaq (2005), 14, 19; Paret (1991), 16 ff.

[24] Watt und McDonald (1988), 47 ff. In Mekka hatten Frauen bereits größere finanzielle und rechtliche Eigenständigkeit als im übrigen Arabien. So erhielten sie z. B. das vom Bräutigam bezahlte Brautgeld zur freien Verfügung. Dieses Prinzip der finanziellen Unabhängigkeit der Frau wurde ins islamische Recht aufgenommen und weiter ausgebaut. Hallaq (2005), 23.

[25] Watt und McDonald (1988), 140 ff.

[26] Im damaligen Arabien galt der Mondkalender, der das Jahr in 12 Mondumläufe teilt. Die Differenz zum Sonnenjahr wurde durch Schalttage ausgeglichen. Dieser Ausgleich zum Sonnenjahr erfolgte jedoch unter islamischer Herrschaft nicht mehr, da der Koran diesen verbietet (Sure 9:37). Es gilt also das Mondjahr aus zwölf Mondmonaten mit abwechselnd 29 oder 30 Tagen. Das Jahr umfaßt damit 354 Tage. In einem Zyklus von 30 Jahren treten jedoch 11 Schaltjahre von je 355 Tagen auf. (Die Jahre 2, 5, 7, 10, 13, 16, 18, 21, 24, 26 und 29 eines Zyklus). Als Folge fallen der Jahresbeginn und die islamischen Feiertage von Jahr zu Jahr im Datum gegenüber dem Sonnenkalender um ca. 11 Tage zurück. So wandern die islamischen Feste, wie islamisches Neujahrsfest, Ashura-Fest oder der Fastenmonat Ramadan in 36 Jahren einmal entgegen dem Uhrzeigersinn durch das Sonnenjahr.

[27] Watt und McDonald (1987), 7.

[28] Haarmann (1987), 51.

[29] Nach at-Tabari mag auch der Konflikt mit den Juden Medinas ein Grund für diesen Wechsel gewesen sein. Watt und McDonald (1987), 25.

[30] Das Wort leitet sich vom arabischen Halifat, Stellvertreter, ab und bedeutete zuerst „Stellvertreter des Propheten“, später „Stellvertreter (oder Sprecher) Gottes“. Der Titel erscheint im Zusammenhang Halifat Allah (Sprecher Gottes) erstmals auf Münzen aus der Zeit des Umayyaden-Herrschers Abd al-Malik, wahrscheinlich als Antwort auf das byzantinische Protokoll. Dort hatte man nämlich begonnen, den Kaiser als Servus Dei zu bezeichnen. Nachfolger Abd al-Maliks führten diesen Titel nicht. Der Titel erscheint in Münzinschriften erst wieder unter dem Abbasiden-Kalifen al-Mamun im Jahre 823. Dieser hatte im Jahre 816 auch den Titel Imam angenommen. Das angeblich frühere Vorkommen dieser Titel und Funktionen im Protokoll der arabischen Herrscher läßt sich mittels Inschriften nicht belegen. Bei den Erwähnungen in der historisierenden Literatur (at-Tabari u.a.) handelt es sich wohl um spätere Projektionen auf eine mythische Vorzeit: Volker Popp (2006), Die frühe Islamgeschichte nach inschriftlichen und numismatischen Zeugnissen, in: Ohlig und Puin (2006), 16-123, hier: 119.

[31] A. Noth, Früher Islam, in: Haarmann (1987), 11-100, hier: 67 f.

[32] Donner (1981), 221 ff.

[33] Schippmann (1990), 72 ff.

[34] Lewis (1951), 83 f.

[35] Treadgold (1997), 314 ff; Ostrogorsky (1996 [1965]), 66 ff u. 102 f; Andrew Louth, The Byzantine empire in the seventh century, in: Fouracre (2005), 291-316, hier: 303 ff.

[36] Hallaq (2005), 31.

[37] Siehe Holt et al. (1970), 67 ff.

[38] was aber wohl nicht konsequent durchgeführt wurde, da verschiedene alternative Textversionen immer noch vorhanden sind.

[39] Dies war die sog. „Kamelschlacht“ (656), die von Aischa in ihrer Säfte auf einem Kamel beobachtet wurde. Die Führer der Revolte fielen in der Schlacht, Aischa wurde unversehrt nach Mekka zurückgeschickt.

[40] In einer moderaten Form repräsentieren sie als Ibaditen den Islam im heutigen Oman und als Minoritäten findet man sie auf der Insel Sansibar und in Teilen Nordafrikas.

[41] Abgeleitet vom arabischen Schiat-Ali, der „Partei Alis“.

[42] Holt et al. (1970), 76.

[43] Treadgold (1997), 325. Das „Griechische Feuer“ bestand wahrscheinlich im wesentlichen aus Leichtbenzin, das mit harzähnlichen Substanzen „angedickt“ war und evtl. noch Schwefelpulver enthielt. Es wurde über pumpenbetriebene Flammenwerfer gegen gegnerische Schiffe eingesetzt. Das Leichtbenzin wurde durch Destillation aus Rohöl gewonnen. Eine ausführliche Diskussion findet sich bei Needham (1986), 76 ff.

[44] Treadgold (1997), 347 f.

[45] Pirenne (1963 [1936]), 242 f.

[46] Lewis (1951), 54-97.

[47] Hitti (1958), 289.

[48] Tilman Nagel, Das Kalifat der Abbasiden, in: Haarmann (1987), 101-165, hier: 117.

[49] Hitti (1958), 294.

[50] van Ess (1992), 446.

[51] Cragg (1991), 56.

[52] Bulliet (1979), 82 f.

[53] Bulliet (1979), 2.

[54] Cragg (1991), 22.

[55] Siehe die Diskussion bei Ibn Warraq (2000), 75 ff.

[56] Luxenberg (2004). Siehe auch die Diskussionen bei Burgmer (2007) und die wissenschaftlich fundierte Kritik an den Thesen Luxenbergs bei Nagel (2008), 917 ff.

[57] Jansen (2008), 47; Nevo und Koren (2003), 242 ff.; Ohlig (2007), 223 ff.

[58] Jansen (2008), 368 f; Andrew Louth, The Byzantine empire in the seventh century, in: Fouracre (2005), 291-316, hier: 292 ff.

[59] Jansen (2008), 128 u. 317 f.

[60] Nevo und Koren (2003), 13.

[61] Wansbrough (1978), 49. Er verwendet dafür explizit den deutschen Ausdruck:“Heilsgeschichte“.

[62] Crone (1987), 204 ff.

[63] Diese gesamte Sure ( Vers 1 bis 4) lautet:“Im Namen Gottes des Allerbarmenden und Barmherzigen: (1) Für die Vereinigung der Quraisch, (2) ihre Vereinigung zur Winter- und Sommerkarawane, (3) sollen sie dem Herren dieses Hauses dienen, (4) der sie gegen Hunger nährt, und sichert gegen Furcht [ Der Koran, übersetzt u. eingeleitet von Hans Zirker (2003), 385].

[64] Goldziher (2004 [1890]), 5.

[65] A. Noth, Früher Islam, in: Haarmann (1987), 11-100, hier: 59; Andrew Louth, The Byzantine empire in the seventh century, in: Fouracre (2005), 291-316, hier: 298.

[66] Nevo und Koren (2003), 134.

[67] Nevo und Koren (2003), 91 ff.; Hugh N. Kennedy, Justinianic Plague in Syria and the Archaeological Evidence, in: Little (2007), 87-95, hier: 95.

[68] …“um die Stufe menschlicher Vollkommenheit, die er [Jesus] erreicht hat, aufrecht zu erhalten, wäre das Wort „Mensch“ in einer Welt, in der jeder Cäsar ein Gott war, ganz ungenügend gewesen.“ Rosenstock-Huessy (1956), 157.

[69] S. z. B. Wulff (2006), 234 ff.

[70] Die Arianer waren ihrerseits noch in mehrere Untergruppen gespalten, je nachdem ob sie meinten, Gottvater und Jesus seien verschieden; einander ähnlich, aber nicht wesensgleich; oder nahezu gleich. Haldon (2002), 24 ff.

[71] Winkler (2003), 43, 66 ff.

[72] Details s. z. B. Hauschild (1995), insbes. § 1 und § 4.

[73] Winkler (2003), 18 f. Nach Baumer (2005), 29, gab es um das Jahr 200 n. Chr. bereits in Transoxanien Christen.

[74] Encyclopaedia Iranica, Bd. VII (2002), „ Deportations “, 298 ff.; s. auch Baumer (2005), 65.

[75] Encyclopaedia Iranica, Bd. V (1990), „ Christianity “, 523.

[76] Winkler (2003), 26.

[77] Kawerau (1967), 23 f; nach Kawerau gibt es Hinweise auf eine Christengemeinde in Marw ab 360. Ein Bischof von Marw ist jedoch zuerst 424 dokumentiert.

[78] Winkler (2003), 44.

[79] Winkler (2003), 47.

[80] Winkler (2003), 133.

[81] Siehe z. B. Nagel (2008), 917 ff; H.-P. Raddatz (2008), Muhammad – Mensch und Gott ? Neue Ergebnisse der Islamforschung, in: Die Neue Ordnung 62, 200-216, hier: 201.

[82] Eliade (2007 [1984]), 50 ff; ders. (2002), Bd. 1, 280. Eliade verwendet hier den Begriff „Archetypisierung“ ähnlich wie „Schematisierung“. Nicht zu verwechseln mit dem Begriff „Archetypus“ bei dem Psychoanalytiker C. G. Jung.

[83] V. Popp, in: Ohlig (2007), 52 ff; Jansen (2008), 85 erwähnt (allerdings nicht mit Bezug auf den Beginn der arabischen Zeitrechnung), daß im Jahre 622 Jerusalem von den Persern befreit wurde. Auch dieses Ereignis würde den Beginn einer neuen Zeitrechnung rechtfertigen.

[84] V. Popp, in: Ohlig (2007), 59. Das würde bedeuten, daß auch die Überlieferung, daß bereits Umar I den religiösen Mondkalender im Jahre 637 eingeführt habe, ein Konstrukt späterer Zeiten ist.

[85] Ch. Luxenberg, in: Ohlig und Puin (2005), 139.

[86] Ohlig, in: Ohlig (2007), 345 f.

[87] Ohlig, in: Ohlig (2007), 312.

[88] V. Popp, in: Ohlig (2007), 82.

[89] V. Popp, in: Ohlig (2007), 87.

[90] Er wies u. a. an dem Aischa-Skandal nach, daß der Überlieferung ein historischer Kern zugrunde liegen müsse. Denn diese Geschichte zeigt Züge, die dem gewohnten Muster frommer Legenden widersprechen. Diese Elemente der Überlieferung müssen demnach authentisch sein, da sie einer Idealisierung widerstanden haben, Schoeler (1996).

[91] Serif Mardin, Civil Society and Islam, in: Hall (1995), 279-300.

[92] Weber (2005), Charismatismus: 460 ff; Umbildung des Charismas: 481 ff; Erhaltung des Charismas: 542 ff; siehe auch die ausführliche Diskussion der Weberschen Ideen bei Schluchter (1988), 535 ff.

[93] Im Prinzip wurde diese Beziehung bereits von Ibn Khaldun angedacht, allerdings mit anderer Terminologie, Ibn Khaldun, Muqaddimah, Kap. 2, § 16 [Rosenthal (1958), Bd. 1, 284 f.]; siehe auch: Nehemia Levtzion, Aspects of Islamization: Weber’s Observations on Islam Reconsidered, in: Huff u. Schluchter (1999), 153-161, hier: 159.

[94] Schluchter (1988), 544.

[95] Nagel (1981), 147 u. 280.

[96] Rosenthal (1958), Bd. 1, LXXVIII.

[97] Nagel (1981), 280.

[98] Ibn Khaldun, Muqaddimah, Kap.2, § 27 [Rosenthal (1958), Bd. 1, 306 f.]; Kap. 3, § 26 [Rosenthal (1958), Bd. 1, 414].

[99] Auch diesen Aspekt findet man bereits bei Ibn Khaldun, Muqaddimah, Kap. 3, § 46 [Rosenthal (1958), Bd. 2, 124 ff.].

[100] Griffel (2000), 109 ff.; Nagel (2008a), 403.

[101] Nagel (1981), 170 ff.

[102] Nagel (1981), 310 ff.; 338 f.; 366 ff.; siehe auch: Nagel, Tilman (2007), Machtausübung und private Gewalt im Islam, Die neue Ordnung 61, 84-98.

[103] Nagel (1981), 181 f.; 305.

[104] Nagel (1981), 286.

[105] Diner (2007), 238 f.

[106] Für mehr Details siehe: D. Sourdel, The Abbasid Caliphate, in: Holt et al. (1970), Bd. 1, 104-140; B. Spuler, The Disintegration of The Caliphate in The East, l. c., 143-174; Berkey (2003), 140-151; Tilman Nagel, Das Kalifat der Abbasiden, in: Haarmann et al. (1987), 101-165, hier: 141 ff.; sowie die Beiträge in Frye (1975), 90-305.

[107] Daftary (1996), 324 ff. Dieses Reich wurde von Hasan ibn al-Sabbah (gest. 1124) im Jahre 1090 durch die Übernahme der Burg Alamut bergründet. Die Nizariten hatten sich infolge eines Schisma, wie wir noch sehen werden, von den Fatimiden in Ägypten abgespalten. In Alamut wirkte im 13. Jh. der berühmte Gelehrte Nasir ad-Din at-Tusi, dem wir uns noch sehr ausführlich widmen werden.

[108] Davon leiten sich die engl. und franz. Worte für Mord und morden ab. Die Reste der Sekte der Nizariten sind heute unter ihrem Führer, dem Agha Khan, wieder geeint.

[109] Einzelheiten s. Halm (1991); Halm (2003); Bernard Lewis, Egypt and Syria, in: Holt et al. (1970), 175-230.

[110] H. Halm, Die Fatimiden, in: Haarmann (1987), 166-199, hier: 172.

[111] Details s. Halm (2003), 45 ff.

[112] Den gleichen Stammbaum beansprucht heute der Agha Khan. Dieser Stammbaum wurde zur Zeit der Fatimiden von den echten Nachkommen des Propheten, den Scherifen, in Frage gestellt. Die Scherifen bildeten einen sich über die ganze islamische Welt erstreckenden Adel, der sehr darauf bedacht war, seine Vorrechte (die auch materielle waren) zu verteidigen.

[113] Sogenannte Mamluken. Sie waren slawischer oder kaukasischer Herkunft, oder innerasiatische Türken.

[114] Zur Geschichte s. Halm (1991), 35 ff u. 64 ff. Im Jahre 930 hatten die Qarmaten Mekka überfallen und den schwarzen Stein der Kaaba mitgenommen; 951 einigten sie sich mit dem Abbasidenkalifat auf die Rückgabe des Heiligtums. Gegen Zahlung von Schutzgeldern sicherten sie fortan die Pilgerkarawanen.

[115] Halm (2003), 169 f.

[116] Halm (2003), 206 f; noch weniger kann man eine Madrasa mit einer Universität vergleichen. Zum Charakteristikum europäischer Universitäten und ihren Besonderheiten s. Wulff (2006), 296 ff.

[117] Eine Stiftung aus öffentlichen Mitteln war nach islamischem Recht nicht zulässig, es mußte eine Stiftung aus Privatvermögen sein, Halm (2003), 198.

[118] Gute ausführliche Darstellungen findet man z. B. in: Hans Rudolf Singer, Der Maghreb und die Pyrenäenhalbinsel bis zum Ausgang des Mittelalters, in: Haarmann (1987), 264-322; Wördemann (1985); oder dem klassischen Werk von Dozy (1972 [1913]).

Ende der Leseprobe aus 229 Seiten

Details

Titel
Bedrohte Wahrheit. Der Islam und die modernen Naturwissenschaften
Autor
Jahr
2010
Seiten
229
Katalognummer
V156296
ISBN (eBook)
9783640685356
ISBN (Buch)
9783640685424
Dateigröße
1435 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Naturwissenschaften, rationales Denken, Religion, Islam, Geschichte
Arbeit zitieren
Dr. Karl Wulff (Autor:in), 2010, Bedrohte Wahrheit. Der Islam und die modernen Naturwissenschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156296

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