"El casamiento engañoso" als Einleitung zu "El coloquio de los perros"

Überlegungen zu Cervantes "Novelas Ejemplares"


Seminararbeit, 2008

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Struktur, Thematik und Struktur als Thematik in El casamiento engañoso
1. Struktur des Erzählten
2. Tektonik der Täuschung
3. Eine poetologische Lesart

III. El casamiento engañoso im Zusammenspiel mit El coloquio de los perros
1. Strukturelle Einbindung
2. Sein und Schein als Thema beider Novellen
3. Die Selbstreflexion der Novelas ejemplares

IV. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Der vorletzte Text in Cervantes’ Novellensammlung Novelas ejemplares wird häufig als Einleitung der letzten Novelle, El coloquio de los perros, angesehen. Bereits der Schlusssatz von El casamiento engañoso legt eine solche Interpretation nahe, indem hier die folgende Novelle explizit in den Erzählrahmen eingeordnet wird.[1]

Wie genau ist dieser offensichtliche Zusammenhang einzuschätzen? Was bedeutet es, die Novelle als Einleitung der folgenden Novelle zu lesen? Ist es möglich, die vorletzte Novelle der Sammlung anhand ihrer konstitutiven Charakteristika auf El coloquio de los perros zu beziehen und daraufhin beide Texte in ihrem Zusammenwirken auf die Novellensammlung als Ganzes?

Im ersten, ausführlicheren Teil dieser Arbeit soll eine intensive Textanalyse die Bearbeitung dieser Fragestellung ermöglichen. El casamiento engañoso wird so in Hinblick auf seine Erzählstruktur und dabei insbesondere auf die Organisation durch unterschiedliche Erzählerfiguren betrachtet. Als zentral fällt hierbei der thematische Aspekt der Täuschung ins Auge, dessen poetologische Bedeutungsdimension aufgezeigt werden soll. Indem so die strukturell und thematisch konstitutiven Eigenschaften der Novelle herausgearbeitet werden sollen, wird die Basis dafür geschaffen, die Novelle in einem zweiten Teil dieser Arbeit einerseits als Hinleitung auf die Folgenovelle verstehen zu können und anderseits das Zusammenspiel beider Texte in seiner funktionalen, nicht nur formalen Dimension zu erschließen.

II. Struktur, Thematik und Struktur als Thematik in El casamiento engañoso

1. Struktur des Erzählten

Die Erzählstruktur das Casamiento ist geprägt durch den hohen Stellenwert, der dem Bericht Campuzanos zukommt. In diesem Sinn findet sich eine relativ lange Textpassage[2], in der Campuzano, als Erzähler seiner eigenen Geschichte, schildert, wie er Estefanía kennenlernt, wie er um sie wirbt, wie schließlich die Hochzeit und letzten Endes die Aufdeckung des Umstandes erfolgt, von Estefanía betrogen worden zu sein. Diese Textpassage, die aus einem reinen Monolog Campuzanos besteht, geht über in einen Teil, in welchem Peralta, der Zuhörer und Gesprächspartner Campuzanos, diesen immer wieder unterbricht.[3] Hierbei findet eine Reflexion der erzählten Ereignisse statt, indem der Betrug selbst zum Thema gemacht wird und in dessen Bestandteile des Betrügens und Betrogen Werdens aufgeschlüsselt wird. Des Weiteren schildert Campuzano den Grund für seinen Krankenhausaufenthalt, der damit als Pointe seiner Binnenerzählung aufgefasst werden kann.

Die damit in aller Kürze paraphrasierte Erzählung Campuzanos ist eingerahmt von einer Erzählebene, auf welcher die Begegnung Campuzanos mit Peralta verhandelt wird. Vor dem längeren Monolog Campuzanos wird dieser Rahmen gestaltet, indem die Novelle mit dem Szenario einsetzt, dass ein Soldat aus dem Krankenhaus kommt und auf seinen Freund trifft. Darauf folgt ein Dialog zwischen Campuzano und Peralta auf der Straße, woraus eine Einladung zum Essen hervorgeht. Campuzano nimmt diese an, doch zuerst gehen die beiden in die Kirche. Am Ende der Novelle wird dieser Rahmen geschlossen, indem nach dem geschilderten Monolog Campuzanos und der Reflexion seiner Erlebnisse durch die Einschübe Campuzanos erneut ein Dialog beider Figuren steht, der sich von der Binnenerzählung abgrenzt. Es erfolgt dort eine Ankündigung des Gesprächs zwischen den Hunden Cipión und Berganza, also der Verweis auf einen von Campuzano selbst geschriebenen Text.

Den dargestellten Elementen der Handlungsstruktur entspricht die topische Strukturierung des Textes, insbesondere in der Binnenerzählung Campuzanos, indem klar definierte Schauplätze den jeweiligen Geschehnissen zugeordnet sind: „ la posada de la Solana”, “el fingido domicilio”, “la casa du una amiga”, “el hospital”. Als topische Konstante, welche die Binnenerzählung mit der Rahmensituation, also dem Treffen Campuzanos und Peraltas, verbindet, kann die Kirche „San Llorente“ angesehen werden.

Auf der Basis dieser Grundstruktur lässt sich nun ein Blick auf den Erzähler des Textes richten, wobei eher von unterschiedlichen Erzählerfigur en gesprochen werden muss. Zu Beginn der Novelle und an deren Ende findet sich ein beschreibender und kommentierender Erzähler, dessen Vorkommen den einrahmenden Textpassagen entspricht. In diesem Sinn kann hier von einem auktorialen Erzähler[4] gesprochen werden. Bezüglich der Perspektive liegt eine Außenperspektive vor. Dies wird besonders deutlich, indem zu Beginn die beiden Figuren nicht mit Namen genannt werden. Erst als sich die beiden begrüßen wird jeweils im Modus der direkten Rede zuerst der Name Campuzano und dann der Name Peralta eingeführt.[5] In dieser Erzählsituation ist von einem heterodiegetischen, extradiegetischen Erzähler auszugehen, der also nicht Teil des erzählten Universums ist.

Entsprechend der Handlungsstruktur wechselt auch die Erzählerfigur mit den unterschiedlichen Erzählebenen. In der bereits paraphrasierten Binnenerzählung ist die Figur Campuzano als Erzählerfigur anzunehmen, womit ein Ich-Erzähler vorliegt, der als homodiegetischer Erzähler seine eigene Geschichte erzählt und als intradiegetischer Erzähler eine Geschichte in der Geschichte erzählt. Dabei weist die Erzählung Campuzanos besondere Eigenschaften auf, welche die Gesprächssituation der Rahmenhandlung in den Hintergrund treten lassen und der Binnerzählung eine gewisse Autonomie verleihen.[6]

Campuzano lässt in seiner Erzählung selbst eine Erzählerfigur auftreten, und zwar Estefanía. Dieser Standpunkt lässt sich vertreten, indem in der Form direkter Rede diese weibliche Hauptfigur der Novelle innerhalb der direkten Rede Campuzanos ihrerseits zur vermittelnden Instanz wird.[7] In diesem Sinn entwirft Campuzano als erzählte Figur des auktorialen Erzählers selbst eine Erzählerfigur. Somit liegt in beschränktem Umfang ein metadiegetischer Erzähler vor.

Entsprechend der komplexen Vermittlungsstruktur der Novelle, welche anhand dieser schematischen Darstellung unterschiedlicher Erzählinstanzen in den Fokus gerückt wurde, ist zu fragen, welche rezeptionsästhetische Wirkung diese Darstellungsweise Cervantes` mit sich bringt. Wie viel weiß der Leser der Novelle, bzw. wie viel kann er wissen? Zum einen verfügt er über einen externen Blick auf die erzählte Welt durch die Vermittlungsinstanz des auktorialen Erzählers, zum anderen erfährt er die Handlungselemente der Geschehnisse um Estefanía und Campuzano nur durch die Worte des Letzteren. Somit ist die Frage nach der Zuverlässigkeit des Erzählers das zentrale Element bezüglich der rezeptionsästhetischen Komponente der dargestellten Erzählsituation. Insbesondere ist dies der Fall in Bezug auf das, was der Leser über Estefanía erfährt. Selbst wenn Estefanía in direkter Rede selbst zu Wort zu kommen scheint, ist nicht aus den Augen zu verlieren, dass der Erzähler dieser Worte kein Außenstehender ist, sondern seine eigene Geschichte erzählt. Der Leser weiß somit nicht, was Estefanía gesagt hat, sondern kann lediglich wissen, was Estfanía laut Campuzano gesagt hat.[8] Die Figuren scheinen ganz im Sinne eines dramatischen Vermittlungsmodus’ selbst zu Wort zu kommen, doch wendet sich dieser Eindruck in sein Gegenteil, indem die direkte Rede Teil der intradiegetischen Erzählung Campuzanos ist. Damit ist eine allgemeine rezeptionsästhetische Wirkung dieses Erzählers benannt. Diese pseudoautobiographische Verfahrensweise der Binnenerzählung fordert bei der Rezeption der Geschehnisse dazu auf, die Möglichkeit eines unzuverlässigen Erzählers in Betracht zu ziehen. Diesem starken Effekt ist die Erzählsituation der Rahmenhandlung zur Seite gestellt, welche durch das Vorkommen des auktorialen Erzählers von dieser deutlich markierten Unzuverlässigkeitsvermutung abweicht. Dennoch wird so auch für die Novelle als Ganzen die Frage nach dem Verhältnis von Sein und Schein aufgeworfen, der nun zuerst in ihrer thematischen und sodann in ihrer poetologischen Dimension nachgegangen werden soll.

2. Tektonik der Täuschung

Die durch Erzählstruktur und Erzählperspektive ins Zentrum gerückte Frage nach dem Zusammenhang von Sein und Schein spiegelt sich auch inhaltlich in der Novelle wieder, indem die Täuschung selbst zum Thema gemacht wird. Das dabei für die Novelle durchgängig konstitutive Motiv des Täuschens und Getäuscht Werdens lässt sich anhand seiner zentralen Elemente analysieren. Zu Beginn der Erzählung Campuzanos steht die erste Begegnung mit Estefanía, die gleichsam als Einführung des besagten Motivs zu nennen ist. Estefanías Gesicht ist von einem Schleier verdeckt, so dass Campuzano nur soviel sehen kann, wie der Stoff zulässt. Diese Verdecktheit schildert Campuzano als Steigerung seines Verlangens, wobei als dessen prägendes Bild die Hand Estefanías eingeführt wird, welche das Moment sexueller und materieller Anziehungskraft in sich vereint.[10] Durch die Farbe der Hand wird hier sowohl das semantische Feld der Unschuld, als auch das weiblicher Attraktivitätsmerkmale aufgerufen, die Ringe wiederum dienen der Hand als Schmuck und verweisen gleichsam auf Reichtum. Die Hand Estefanías lässt so ein Bedeutungsgefüge entstehen, das sowohl als Ausgangspunkt der Handlungsweise Campuzanos als auch als erste Fassung des Täuschungsmotivs zu verstehen ist. Aus der sexuellen wie materiellen Attraktivität leitet Campuzano seine Handlungsmaximen ab und das Moment der Unschuld und des Reichtums wird durch die Nähe zur verwehrten Enthüllung des Gesichts Estefanías gleichsam zu dem, was gesehen werden soll. In diesem Sinn führt der Text das Motiv der Täuschung durch eines seiner Grundelemente, die Vorspiegelung falscher Tatsachen, ein. Campuzano leitet somit sein Handeln aus den visuellen Eindrücken ab, die er gewinnen soll – damit wird die zweite Voraussetzung eines gelingenden Täuschungsmanövers eingeführt.[11] Das rückblickende Erzähler-Ich schätzt seinen damaligen Zustand, ganz im Sinn der mangelnden epistemischen Durchdringung seiner Weltaneignung, als Mangel an Urteilskraft ein und bringt somit das Phänomen des Getäuscht-Seins in Zusammenhang mit dem Begriff der “imaginación”, also mit Prinzipien des eigenen Verstandes bzw. dessen Unzulänglichkeit.[12][9]

Die eigentliche Brisanz, mit welcher der Text nun das soeben eingeführte Motiv der Täuschung entfaltet, liegt jedoch darin, dass Campuzano nicht nur seine Handlungsweise aus seinen Eindrücken ableitet, sondern vielmehr sein Handeln selbst nach den Prinzipien eines Täuschungsvorgangs auszurichten bemüht ist. Zum einen wird somit explizit ein Zusammenhang zwischen falschen Vorstellungen und verfehltem Handeln gezogen, zum anderen werden der Täuschungsversuch Estefanías und der Täuschungsversuch Campuzanos zu Elementen, die wechselseitig aufeinander verweisen. Damit wird das Motiv der Täuschung zu dem konstitutiven Moment der Novelle, indem Täuschen und Getäuscht werden als miteinander verzahnte Bestandteile ein und desselben Motivs präsentiert werden.[13]

[...]


[1]Recostóse el alférez, abrió el licenciado el cartapacio, y en el principio vio que estaba puesto este título:”(“Der Fähnrich lehnte sich zurück, der Gelehrte öffnete das Schreibheft und sah, dass an dessen Anfang folgender Titel gesetzt war:”) (537) - alle Zahlen in Klammer bezeichnen eine Seite in: Cervantes Saavedra, Miguel de: Novelas ejemplares, ed., prólogo y notas de Jorge García López, con un estudio preliminar de Javier Blasco, Barcelona: Crítica 2001 (Biblioteca clásica 49).

[2] Vgl. (524ff)

[3] Vgl. (532ff)

[4] Vgl. zu der hier verwendeten Terminologie: Stanzel, Franz K.: Typische Formen des Romans, Göttingen: Vandenhoeck &Ruprecht 1964.

[5] Vgl. (522)

[6] Insbesondere ist hier die häufig verwendete direkte Rede zu nennen, welche die Einbettung der Erzählung in den Dialog zwischen Campuzano und Peralta beinahe vergessen macht.

[7] Vgl. insbesondere(529)

[8] Dies ist z.B. der Fall, wenn Estefanía laut Campuzano äußert: „Con esta hacienda busco marido a quien entregarme y a quien tener obediencia (...)”(„ Mit diesem Vermögen suche ich nach einem Ehemann, um mich ihm ganz hinzugeben und mich ihm unterzuordnen (…)“) (525).

[9] Der Ausdruck Tektonik der Täuschung soll hier Bezug nehmen auf die Struktur des Textes, also auf dessen Aufbau und die Bewegungen, welche die Thematik von Sein und Schein als System gegeneinander wirkender und wechselseitig voneinander abhängiger Kräfte und Verschiebungen gestalten.

[10] In diesem Sinne heißt es: „(…) sacó la señora una muy blanca mano con muy buenas sortijas (…)“(„ (…) die Dame zog eine äußerst weiße Hand mit sehr wertvollen Ringen hervor (…)“) (524).

[11] Campuzano äußert rückblickend: „Beséle las manos por la grande merced que me hacía, en pago de la cual le prometí montes de oro.” (“ Ich küsste ihr die Hand auf Grund der großen Güte, die sie mir erwies, und versprach ihr dafür Berge von Gold.”) (524).

[12] Campuzano äußert rückblickend: „ „Yo, que tenía entonces el juicio no en la cabeza, sino en los carcañares (...)” (“ Ich, der ich den Verstand damals nicht im Kopf trug, sondern in den Fersen (...)” (526).

[13] In diesem Sinn gestaltet sich auch das Handeln Campuzanos: „(...) sin hacer otros discursos de aquellos a que daba lugar el gusto, que me tenía echados grillos al entendimiento, le dije que yo era el venturoso y bien afortunado en haberme dado el cielo, casi por milagro, tal compañera para hacerla señora de mi voluntad y de mi hacienda (...)” (“ (...) ohne an etwas anderes zu denken, als an die Dinge, denen die Laune, die mir Grillen in den Kopf gesetzt hatte, ihren Platz verchafft, sagte ich ihr, dass ich selig und vom Glück begünstigt sei, indem mir der Himmel, wie durch ein Wunder, so eine Gefährtin hat zukomen lassen, um sie zur Dame meines Willens und meines Besitzes zu machen (...)”) (526).

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
"El casamiento engañoso" als Einleitung zu "El coloquio de los perros"
Untertitel
Überlegungen zu Cervantes "Novelas Ejemplares"
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Note
1,0
Autor
Jahr
2008
Seiten
23
Katalognummer
V156114
ISBN (eBook)
9783640688586
Dateigröße
538 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zusammenhang der beiden Novellen aus Cervantes berühmter Novellensammlung, grundlegende poetologische Interpretation, funktionaler Zusammenhang der einzelnen Novellen.
Schlagworte
Einleitung, Cervantes, Novelas, Ejemplares
Arbeit zitieren
Andreas Schuster (Autor:in), 2008, "El casamiento engañoso" als Einleitung zu "El coloquio de los perros", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156114

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