Rußlands Verhältnis zum Fernen Osten


Seminararbeit, 2001

45 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Einflußfaktoren bei der Gestaltung der russischen Außenpolitik
1.1. Exogene Bedingungen
1.2. Endogene Bedingungen

2. Grundlegende Interessen und Zielsetzungen der russischen Außenpolitik im asiatisch-pazifischen Raum

3. Militär- und Sicherheitspolitik der Russischen Föderation

4. Handlungs- und Problemfelder der russischen Außenpolitik in Nordostasien
4.1. Das Verhältnis zwischen Rußland und der VR China
4.2. Das Verhältnis zwischen Rußland und Japan -
Die Kurilenfrage
4.3. Das Verhältnis zwischen Rußland und Südkorea

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Internet

Einleitung

Die vorliegende Seminararbeit befaßt sich mit der Rußländischen Föderation und ihrem Verhältnis zum Fernen Osten. Eine der zentralen Fragestellungen der Seminararbeit ist, ob die Rußländische Föderation zur Zeit eine Regionalmacht im asiatisch-pazifischen Raum darstellt oder darstellen kann. Hierbei werden vier Themenschwerpunkte herausgestellt und bearbeitet. Zuerst werden die exogenen und endogenen Einflußfaktoren ermittelt, die bei der Gestaltung der Außenpolitik der Russischen Föderation eine Rolle spielen. Bei den exogenen Bedingungen werden die geographische Lage, die Geostrategie, die Nachbarstaaten und die Außenbeziehungen der Russischen Föderation dargestellt. Als wichtige endogene Einflußfaktoren der russischen Außenpolitik werden die Verfassung und das politische System, der außenpolitische Entscheidungsprozess, die Wirtschaft und die Geschichte untersucht. Außerdem wird kurz auf die Kultur, die Ethnien, die Religion u.a. endogene Bedingungen eingegangen. Im zweiten Komplex werden die grundlegenden Interessen und Zielsetzungen der russischen Außenpolitik im asiatisch-pazifischen Raum thesenartig aufgestellt. Im dritten Teil wird die russische Militär- und Sicherheitspolitik dargelegt und erläutert. Hier werden die derzeitigen Probleme der Streitkräfte aufgezeigt und die Rüstungsexporte der Rußländischen Föderation untersucht. Im vierten Themenschwerpunkt werden die Handlungs- und Problemfelder der russischen Außenpolitik im asiatisch-pazifischen Raum aufgezeigt. Im Mittelpunkt stehen dabei das russische Verhältnis zu Japan und zur Volksrepublik China, sowie die Interessen der Rußländischen Föderation auf der koreanischen Halbinsel. Intensiv wird die Problematik der Kurilen-Frage zwischen der Rußländischen Föderation und Japan untersucht und erläutert. Auch die Grenzprobleme am Amur und Usuri zwischen Rußland und der Volksrepublik China werden aufgezeigt. Für die Erarbeitung des Themas wurde nicht nur eine Literaturrecherche durchgeführt, sondern auch verstärkt das Internet zur Informationsgewinnung genutzt.

1. Einflußfaktoren bei der Gestaltung der Außenpolitik

1.1. Exogene Bedingungen

1.1.1. Geographische Lage

Die Russische Föderation hat eine Fläche von 17.075.400 qkm. Mit über 9.000 km West-Ost-Ausdehnung und 4.000 km Nord-Süd-Ausdehnung besitzt Rußland das größte zusammenhängende Staatsgebiet der Erde. Die wichtigsten Tiefländer sind die Osteuropäische Ebene und das Westsibirische Tiefland, durch den Ural als Grenze zwischen Europa und Asien voneinander getrennt. Die größte russische Insel ist Sachalin vor der fernöstlichen Küste. Die Hauptstadt der Russischen Föderation ist Moskau mit 8,8 Millionen Einwohnern (1993). Die wichtigsten Großstädte des Landes sind St. Petersburg (5,0 Mio.), Nischni-Nowgorod (1,4 Mio.), Nowosibirsk (1,4 Mio.), Jekaterinburg (1,3 Mio.), Samara (1,2 Mio.), Omsk (1,1, Mio.) und Tscheljabinsk (1,1 Mio.)[1].

Rußland setzt sich aus 7 Verwaltungsbezirken zusammen. Diese untergliedern sich in 89 Territorialeinheiten (Subjekte der Föderation). Die Rußländische Föderation besteht, einzeln aufgeschlüsselt, aus 21 Republiken mit nichtrussischen Titularnationen und eigenen Verfassungen, 6 Regionen, 49 Gebieten, 1 Autonomen Gebiet, 10 Autonomen Kreisen mit nichtrussischen Titularnationen und 2 Städten mit Subjektstatus (Moskau und St. Petersburg). Die Gesamtfläche der 21 autonomen Republiken auf dem Territorium der Russischen Föderation und der autonomen Kreise und Gebiete beträgt etwa die Hälfte der Landesfläche. Im März 1992 wurde ein Föderationsvertrag unterzeichnet (außer Tschetschenien und Tatarstan). Unabhängigkeitsbestrebungen in weiten Landesteilen tragen mit zur Destabilisierung Rußlands bei. Die Wiedereinrichtung einer autonomen Republik der Wolgadeutschen stößt bei der heute dort lebenden Bevölkerung auf Widerstand und ist unrealistisch.

Im Unterschied zu den übrigen sowjetischen Nachfolgestaaten ist Rußland eine multinationale Föderation. Die Russen sind weder als Titularnation noch eindeutig als Staatsvolk definiert. Sie gehören zur ostslawischen Sprachengruppe und konfessionell zur russisch-orthodoxen Kirche. Die Titularnationen der Republiken und nationalen Gebietseinheiten der Rusischen Föderation gehören verschiedenen Völker- und Sprachengruppen an (ostfinnische, kaukasische, türkische, mongolische und andere) und haben einen unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergrund, darunter islamischen und buddhistischen[2].

1.1.2. Geostrategie

Geostrategisch nach Halford Mackinder (”Die natürlichen Sitze der Macht”, 1904) ist Rußland traditionell eine eurasische Landmacht auf dem Hauptkontinentalblock.

Desweiteren unterscheidet Mackinder die Ozeanische Seemacht (Vereinigte Staaten von Amerika) und den Bereich zwischen den beiden Mächten, der als Puffer- bzw. Konfliktzone betrachtet wird. Es gibt neue gestrategische Überlegungen, in denen die Volksrepublik China als neue eurasische Land- bzw. Kontinentalmacht betrachtet wird.

Zur Zeit befindet sich Rußland in einer Phase der Rekonstruktion, bei der der Wunsch nach einer weltpolitischen Großmachtrolle mit ozeanischen Weltmachtstreben durch den erhalten gebliebenen Status als Nuklearmacht unterstützt wird[3].

1.1.3. Nachbarstaaten

Die Rußländische Föderation grenzt an 18 Staaten und ihre Landgrenzen und Küstenlinien erstrecken sich über rund 61.000 km. Rußland grenzt im Westen an Polen, die Ukraine und Weißrußland, im Nordwesten an die Ostsee, an Lettland, Estland, Finnland und Norwegen, im Norden an das Nordpolarmeer, im Nordosten an die Beringstraße, im Osten an den Pazifischen Ozean, im Südosten an das Japanische Meer, Nordkorea und die Volksrepublik China, im Süden ebenfalls an die Volksrepublik China, die Republik Mongolei und Kasachstan, sowie im Südwesten an Aserbaidschan und Georgien[4].

1.1.4. Außenbeziehungen

Die Russische Föderation ist Mitglied in zahlreichen Internationalen Organisationen. Sie ist zum Beispiel Gründungsmitglied der im Dezember 1991 gegründeten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). In der GUS sind folgende Staaten Mitglied: Armenien (AM), Aserbaidschan (AZ), Belarus (Weißrußland) (BY), Georgien (GE), Kasachstan (KZ), Kirgistan (KG), Moldowa (Moldawien) (MD), Rußländische Föderation (Rußland) (RU), Tadschikistan (TJ), Turkmenistan (TM), Ukraine (UA) und Usbekistan (UZ). Die Russische Föderation ist außerdem Mitglied bei den Vereinten Nationen (VN) und hat einen ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat inne. Die UdSSR ist seit 1945 im VN-Sicherheitsrat vertreten. Rußland hat diesen Sitz am 24. Dezember 1991 übernommen. Rußland ist seit Mai 1992 Mitglied des Internationalen Währungsfonds und der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) (Weltbank). Der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA) ist die Russische Föderation im Mai 1992 beigetreten. Mitglied im Nordatlantischen Kooperationsrat (NAKR) ist die UdSSR seit ihrer Gründung 1991. In der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist die UdSSR bzw. Rußland seit Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 vertreten. Im Ostseerat ist die Russische Föderation seit seiner Gründung im März 1992 Mitglied. Dem Nichtverbreitungsvertrag von Kernwaffen gehört die UdSSR seit 01. Juli 1968 an. Mitglied im Europarat ist die Russische Föderation seit 28. Februar 1996. Der Europäische Menschenrechtskonvention und Antifolterkonvention ist Rußland am 20. Februar 1998 beigetreten. Die Konvention über den Schutz nationaler Minoritäten wurde am 1. Dezember 1998 anerkannt[5].

1.2. Endogene Bedingungen

1.2.1. Verfassung und Politisches System

Nach dem Volksentscheid vom 17. März 1991 ist Rußländische Föderation eine unabhängige Republik. Die von Boris Jelzin durchgesetzte neue Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 mit 58,4 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 54,8 Prozent (festgelegte Mindestwahlbeteiligung 50 Prozent) angenommen.

Nach Art. 11 Abs. 1 wird die Staatsmacht vom Präsidenten, der Föderationsversammlung (Staatsduma und Föderationsrat), der Regierung und den Gerichten ausgeübt.

Die Verfassung erkennt die üblichen Grundrechte, wie Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 19 Abs. 1), Meinungsfreiheit (Art. 29 Abs. 1), Pressefreiheit und Zensurverbot (Art. 29 Abs. 5), Recht auf Privateigentum (Art.35 Abs. 1) und Recht auf privaten Landbesitz (Art. 36 Abs. 1) an[6].

1.2.1.1. Legislative

Die Russische Föderation ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Nationalfeiertag Rußlands ist der 12. Juni – Tag der Souveränitätserklärung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) im Jahr 1990. Das Parlament der Russischen Föderation die “Föderationsversammlung” besteht aus der Staatsduma und dem Föderationsrat. Die Staatsduma zählt 450 Abgeordnete, von denen eine Hälfte durch Listenwahl, die andere Hälfte in Direktwahl bestimmt wird. Die erste Duma wurde im Dezember 1993 für 2 Jahre gewählt. Danach wurde die Dauer der Legislaturperiode auf 4 Jahre festgelegt. Vorsitzender der Staatsduma ist seit 17. Januar 1996 Gennadi Nikolajewitsch Selesnjow. Er ist Mitglied der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF). Selesnjow wurde am 18. Januar 2000 in dieses Amt wiedergewählt.

Die Kompetenzen der Staatsduma sind aufgrund der starken Stellung des Präsidenten geringer als zum Beispiel diejenigen des Deutschen Bundestages, aber auch nicht so gering, daß sie politisch vernachlässigt werden könnten. Ihre Haupttätigkeit ist die Verabschiedung von Gesetzen, von denen das Haushaltsgesetz normalerweise das wichtigste ist. Für die Verabschiedung von Beschlüssen und Gesetzen, die keine föderalen Verfassungsgesetze sind, genügt die einfache Mehrheit aller Abgeordneten.

Für die Verabschiedung von föderalen Verfassungsgesetzen, für das Überstimmen eines Präsidentenvetos und für die Anklageerhebung im Rahmen eines Impeachmentverfahrens gegen den Präsidenten sind zwei Drittel der Stimmen aller Abgeordneten erforderlich. Drei Fünftel der Stimmen aller Abgeordneten sind zur Einberufung einer Verfassungsversammlung nötig. Föderale Verfassungsgesetze müssen zu den in der Verfassung vorgesehenen Fragen verabschiedet werden, wobei hier nur die wichtigsten genannt werden:

- Verhängung des Ausnahmezustands über das ganze Land oder einzelne Landesteile,
- Aufnahme in die Russische Föderation und die Bildung eines neuen Föderationssubjekts innerhalb der Russischen Föderation,
- Änderung des Status eines Föderationssubjekts (aus einem Gebiet wird z.B. eine Republik),
- Verfahren zur Festlegung eines Referendums,
- Verfahrensordnung für die Tätigkeit der Regierung,
- Festlegung des Gerichtssystems,
- Verfahren des Verfassungsgerichts zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes,
- Einberufung einer Verfassungsversammlung und Änderung der Verfassung in den Kapiteln 3 bis 8, also in ihren nicht besonders geschützten Kernbereichen.

Die wichtigsten weiteren Kompetenzen der Staatsduma sind folgende: Zustimmung zur Ernennung des Regierungschefs und Beschlußfassung über die Frage des Vertrauens in die Regierung[7].

Mit der Neuwahl der Staatsduma am 19. Dezember 1999 endete die Dominanz der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation in der Staatsduma. In der neuen Duma stellen die Kommunisten und ihre Verbündeten mit 131 Mandaten nur noch ein knappes Drittel der 450 Sitze. Das Bündnis “Einheit” sowie die ihm nahestehenden Fraktion der “Volksdeputierten” und die Liberal - demokratische Partei Rußlands (LDPR) stellen ebenfalls ein gutes Drittel. “Einheit” versteht sich als Partei der Mitte und hat die Verabschiedung wichtiger Wirtschafts- und Steuergesetze angekündigt. Die liberalen und bürgerlichen Parteien (“Jabloko” und die “Union Rechter Kräfte”) stellen zusammen weniger als 100 Abgeordnete. Die Duma in ihrer heutigen Zusammensetzung steht mehrheitlich hinter der Politik des Präsidenten Wladimir Putin.

Die Parteienlandschaft strukturierte sich im Vorfeld der Duma-Wahlen neu. Das kommunistische Wahlbündnis konnte mit der “National - patriotischen Union Rußlands” (NPSR) seinen Bestand wahren. Durch die Abspaltung von ehemaligen Verbündeten büßte die KPRF ihren alten Einfluss in der Politik jedoch ein. Zur Unterstützung Wladimir Putins wurde das Wahlbündnis “Jedinstwo” (“Einheit”) neu geschaffen. Ihm schloss sich im Parlament Tschernomyrdins Bewegung “Unser Haus Russland” (NDR) an. Die Koalition der bürgerlichen Reformparteien “Union Rechter Kräfte” unter Kirijenko erzielte bei den Wahlen 8,5 Prozent. Das von Luschkow und Primakow getragene Wahlbündnis “Vaterland - Ganz Russland” erlitt eine schwere Wahlniederlage.

Die zweite Kammer der Föderationsversammlung der Föderationsrat setzt sich aus 178 Vertretern (je zwei aus jedem Föderationssubjekt) zusammen. Vorsitzender ist Jegor Semjonowitsch Strojew. Er wurde am 16. Februar 1996 gewählt. Der Föderationsrat, der sich aus Gouverneuren und Präsidenten der Regionalparlamente zusammengesetzt, ist mit umfangreichen Vollmachten ausgestattet und spielt eine wichtige Rolle als Gegengewicht zur Staatsduma. Mit der neuen Duma hat der Föderationsrat eine bessere Abstimmung der Gesetzgebungsarbeit vereinbart.

Den Regionen kommt eine durch die Verfassung gesicherte Bedeutung insbesondere in Wirtschaftsfragen zu. Die Regionalwahlen 1999 bestätigten einflussreiche Gouverneure wie Luschkow, Rossel, Prussak, Nasdratenko in ihren Ämtern. Zu Amtswechseln kam es in Nowosibirsk, Orenburg und im Moskauer Gebiet[8].

1.2.1.2. Exekutive

Staatsoberhaupt und oberster Inhaber der Exekutive ist der mit weitreichenden Vollmachten ausgestattete Präsident, der für 4 Jahre (erstmals 1996, vorher für 5 Jahre) direkt vom Volk gewählt wird. Das derzeitige Staatsoberhaupt der Russischen Föderation (RF) ist Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 26. März 2000 gewählt. Die Amtsübernahme Putins vom ersten Präsidenten der RF Boris Jelzin (1991-1999) erfolgte am 07. Mai 2000. Boris Jelzin trat Silvester 1999 aus gesundheitlichen Gründen zurück.

Der Präsident ernennt den Ministerpräsidenten und auf dessen Vorschlag die Minister, die die Duma bestätigen muß. Regierungschef bzw. Vorsitzender der Regierung der Russischen Föderation ist seit 17. Mai 2000 Michail Michailowitsch Kassjanow. Die derzeitige Regierungspartei ist das Bündnis “Einheit”. Außenminister ist seit 11. September 1998 Igor Sergejewitsch Iwanow. Der Präsident kann unter besonderen Bedingnungen durch Erlasse und Verordnungen regieren. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, leitet den Sicherheitsrat und kann den Ausnahmezustand verhängen. Die Duma muß dies jedoch bestätigen. Der Sicherheitsrat ist ein Koordinationsorgan für innen- und außenpolitische Entscheidungen von strategischer Reichweite, die die Sicherheit des Landes berühren[9].

1.2.1.3. Judikative

In der Russischen Föderation wurde erstmals ein Verfassungsgericht eingeführt, dessen Unabhängigkeit jedoch fragwürdig geblieben ist (wie auch die der gesamten Justiz). Teile des in der Union der Sozialistischen Sowetrepubliken (UdSSR) geltenden Rechts wurden in russisches Recht überführt, ansonsten ist ein wenig überschaubares, unstrukturiertes Rechtssystem entstanden. Der Bürger hat die Justiz als Mittel zur Durchsetzung seiner Rechte noch nicht identifiziert und genutzt. Diesen Anspruch kann die Justiz - u.a. gemäß eines Berichtes von amnesty international – auch noch nicht erfüllen[10].

1.2.2. Außenpolitisches Entscheidungssystem

Die verfassungsmäßige Entscheidungsgewalt in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik liegt beim russischen Präsidenten. Die Föderationsversammlung wirkt bei der Ratifizierung von völkerrechtlichen Verträgen mit. Der Sicherheitsrat ist das Konsultativgremium des Präsidenten. Dieses Gremium besteht zur Hälfte aus militärischen Vertretern. Alle Schlüsselstellen des russischen Sicherheitsapparates (z.B. Verteidigungsminister) haben Angehörige der Streitkräfte inne. Sowohl die Initativen des Präsidenten, als auch die Impulse des Außen- und Verteidigungsministeriums sowie indirekte weitere Einflüsse laufen in diesem Gremium zusammen. In der Erarbeitung der außen- und sicherheitspolitischen Konzeption muß der Verteidigungsminister die Vorgaben des vom Präsidenten geleiteten Sicherheitsrates beachten. Der Sicherheitsrat scheint sich zum Koordinationszentrum des außenpolitschen Entscheidungsprozesses herausgebildet zu haben. Insgesamt ist jedoch keine klare Entscheidungsstruktur feststellbar[11].

1.2.3. Wirtschaft

Seit 1992, dem Beginn der Transformation der Zentralverwaltungswirtschaft zur Marktwirtschaft, kam es in Rußland zu einem erheblichen Rückgang der Produktion vor allem in der verarbeitenden zivilen Industrie und auch in der Rüstungsindustrie. Einen geringeren Produktionsrückgang wies die Landwirtschaft auf. Der Lebensstandard ist in Rußland nicht so sehr abgesunken wie in den anderen GUS-Mitgliedsländern, allerdings trat eine zunehmende Differenzierung nach Berufsgruppen und Regionen in Erscheinung.

Die russische Volkswirtschaft hat sich im Jahre 1999 aus verschiedenen Gründen erholt: Durch die dramatische Abwertung des Rubel (August 1998: 6.75 Rubel/ US$, Februar 2000: 28.75 Rubel/ US$) kam es zu starken Importsubstitutionseffekten, insbesondere in der Nahrungsmittelindustrie. Das Wachstum bei Industrieprodukten betrug 1999 8,1 Prozent (gegenüber 1998). Damit verbunden war zwar der Rückgang des russischen Außenhandelsvolumens (1999: - 13,5 Prozent), aber wegen der ungleichen Entwicklung der Importe (-30,5 Prozent) und Exporte (+ 0,2%) konnte sich ein Handelsbilanzüberschuss in Höhe von 33,2 Mrd. US$ entwickeln. Günstig wirkte sich ferner der Höhenflug des Ölpreises im Gefolge der OPEC - Förderreduktion von März 1999 aus. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg 1999 um (vorläufig) ca. 3,2 Prozent (1998: - 4,6 Prozent). Das BIP lag 1999 bei etwa 446,9 Mrd. US$. Die Inflationsrate verminderte sich 1999 mit 37 Prozent deutlich gegenüber 84 Prozent im Vorjahr. Defizite gibt es allerdings weiterhin bei den Bruttokapitalinvestitionen, die sich unter den Werten von August 1998 bewegen. Auch ging das Einkommen der privaten Haushalte 1999 um 15 Prozent zurück. Die Staatsverschuldung ist erheblich. Im Jahr 2000 ist insgesamt ein Auslandsschuldendienst in Höhe von 15,2 Mrd. US$ fällig.

Eine Reihe von Strukturproblemen sind noch nicht gelöst. Die russische Regierung strebt weiterhin die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) und in der Organization for Economic Co-Operation and Development (OECD) = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an.

Die Gemeinsame Strategie der Europäischen Union (EU) für Rußland vom Juni 1999 sieht eine Intensivierung der Zusammenarbeit vor allem auf wirtschaftlichem und wissenschaftlichen Feld vor und ergänzt damit das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen vom Dezember 1997. Die Agrarproduktion konnte 1999 um ca. 2,5 Prozent gesteigert werden, dennoch lag die Getreideernte unter dem Durchschnitt der Vorjahre. Die russische Ernährungsindustrie konnte mit einer zweistelligen Zuwachsrate hingegen überdurchschnittlich zulegen. Die Telekommunikation stellt nach wie vor einen der dynamischsten Wirtschaftszweige in der Russischen Föderation mit hohen Zuwachsraten dar. Die Sektoren der russischen Volkswirtschaft sind Landwirtschaft 20 Prozent, Industrie 55 Prozent, Dienstleistung 25 Prozent. Die Währung ist 1 Rubel = 100 Kopeken[12].

1.2.4. Geschichte

Ein sehr entscheidender Faktor für die russische Außenpolitik ist die Geschichte des Landes. Im 9. Jahrhundert bilden slawische Stämme und schwedische Waräger unter Rurik die ”Rus” deren Hauptstadt Kiew wird. 1547 wird Iwan IV. (der Schreckliche) zum Zaren gekrönt. Etwa zur gleichen Zeit beginnt die Kolonisation Sibiriens. Mit der Wahl Michail Romanows 1613 zum russischen Zaren, beginnt die Romanow-Dynastie. Ein weiterer großer Vertreter dieser Herrscherfamilie ist Peter I. (der Große), welcher 1694 zum Zaren gekrönt wird. Die Romanows herrschen bis zur Oktoberrevolution 1917. Der erste für Rußland bedeutende europäische Krieg ist der Nordische Krieg von 1699 bis 1721. Von 1756 bis 1762 nimmt Rußland am 7-jährigen Krieg teil. Dies ist die Zeit des ”aufgeklärten Absolutismus” Katharinas II. (der Großen). Im Zeitraum von 1762 bis 1796 erfolgt eine Ausdehunung des russischen Machtbereiches bis an das Schwarze Meer. 1812 wird die französische Grande Armee Napoleon Bonarpartes unter der Führung des Zaren Alexander I. aus Rußland vertrieben. Von 1853 bis 1856 führt Nikolaus I. den Krimkrieg. In dieser Zeit kommt es auch zur Bauernbefreiung und zu wachsenden sozialen und politischen Gegensätzen im russischen Zarenreich. Sozialistische und anarchistische Strömungen kommen zum Vorschein. 1905 bricht der Russisch - Japanische Krieg aus. Am 22. Januar 1905 kommt es zum ”Blutigen Sonntag” in Rußland. Als Folge darauf gewährt der Zar Nikolaus II. dem russischen Volk eine ligislative Versammlung, die Duma. In der Zeit von 1914 bis 1918 kämpft Rußland im Ersten Weltkrieg gegen die Mittelmächte. Im März 1917 kommt es zur Februar-Revolution. Die (bürgerliche) Provisorische Regierung und der Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten wird gebildet. Am 15. März 1917 dankt der russische Zar ab. Am 07 November 1917 bricht die Oktoberrevolution aus. Die Bolschewisten ergreifen in Petrograd die Macht und die Provisorische Regierung wird abgesetzt. Der Rat der Volkskommissare unter dem Vorsitz von Wladimir Iljitsch Lenin übernimmt die Macht. Am 03. März 1918 wird der Deutsch-Russische Friede von Brest-Litowsk geschlossen. Am 30. Dezember 1922 wird die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) gegründet. Nach dem Tod Lenins am 21. Januar 1924 baut Stalin seine Macht als Generalsekretär des Zentralkommitees zur Alleinherrschaft aus. In der Zeit von 1936 bis 1938 findet die sogenannte ”große Säuberung” auch in den Spitzen von Partei und Militär statt. Am 23. August 1938 wird der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt geschlossen. Am 22. Juni 1941 überfällt dennoch das Deutsche Reich die Sowjetunion. Vom 04. Februar bis 11. Februar 1945 findet die Konferenz von Jalta statt. Am 05. März 1953 stirbt Stalin und Chruschtschow wird am 13. September 1953 neuer Erster Sekretär des Zentralkommitees und am 27. März 1958 auch Vorsitzender des Ministerrates der UdSSR. Am 14. Mai 1955 wird der Warschauer Vertrag geschlossen. Der XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) vom 14. Februar bis 25. Februar 1956 führt zu einer scharfen Abrechnung Chruschtschows mit Stalin. Am 14. Oktober 1964 wird Chruschtschow gestürzt und Breschnew wird Erster Sekretär des Zentralkommitees. Kossygin wird neuer Ministerpräsident. Im Mai 1972 kommt es zu einem sowjetisch-amerikanischen Gipfel auf dem die Parität der beiden Supermächte im Zeichen der ”friedlichen Koexistenz” festgehalten wird. Es beginnt die Zeit der Entspannungspolitik im Verlauf des Kalten Krieges. In der Zeit nach Breschnews Tod von November 1982 bis März 1985 herrschen die Parteichefs Andropow und Tschernenko. Am 11. März 1985 wählt das Politbüro Michail Gorbatschow zum neuen Generalsekretär der KPdSU. ”Perestrojka” und ”Glasnost” bestimmen sein Denken in der sowjetischen Politik. In der Zeit vom 04. Juli bis 16. Juli 1990 bringen die Gespräche des Bundeskanzlers Kohl mit Präsident Gorbatschow in der Sowjetunion den Durchbruch zur Einigung über die äußeren Aspekte der deutschen Einheit. Die Sowetunion unterzeichnet am 12. September 1990 den Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland. Der Warschauer Pakt löst sich am 31. März 1991 selbst auf. Am 08. Dezember 1991 begründen die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR), Belarus (Weißrußland) und die Ukraine in Minsk die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Auf dem Gipfel von Alma Ata am 21. Dezember 1991 schließen sich Aserbaidschan, Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Moldowa (Moldawien), Tadschikstan, Turkmenistan und Usbekistan an. Georgien tritt der GUS im Oktober 1993 bei. Die UdSSR löst sich somit selbst auf. Die RSFSR benennt sich am 25./ 26. Dezember 1991 in Russische Föderation bzw. Rußländische Föderation (Rußland) um. Am 03./ 04. Oktober 1993 kommt es in Moskau zu einer bewaffneten Revolte kommunistischer Kräfte. Chasbulatow und Vizepräsident Ruzkoj verschanzen sich im ”Weißen Haus” (Gebäude des Obersten Sowjet). Es kommt zum Sturm auf den Fernsehsender Ostankino. Die Revolte wird durch Präsident Boris Jelzin unter Einsatz von Streitkräften und inneren Truppen niedergeschlagen. Am 12. Dezember 1993 werden erste freie demokratische Wahlen zur neuen Föderationsversammlung durchgeführt. Auch eine neue russische Verfassung wird vom Volk per Volksentscheid angenommen. Am 31. August 1994 wird die Westgruppe der russischen Streitkräfte in Berlin verabschiedet. Am 28. Februar 1996 tritt die Russische Föderation dem Europarat bei. Am 02. April 1996 beschließen Rußland und Belarus die Bildung einer ”Gemeinschaft unabhängiger Republiken” mit supranationalen Gemeinschaftsorganen. Am 27. Mai 1997 wird in Paris die Nato-Rußland-Grundakte unterzeichnet. Am 01. Dezember 1997 tritt das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der Europäischen Union (EU) in Kraft. Am 19. Dezember 1999 wird die Duma neu gewählt. Die Kommunistische Partei verliert ihre Mehrheit im Parlament. Silvester 1999 tritt Päsident Boris Jelzin aus gesundheitlichen Gründen zurück. Wladimir Putin wird Interims-Präsident der Rußländischen Föderation. Am 28. April 2000 wird Putin direkt vom Volk für vier Jahre zum neuen russischen Präsidenten gewählt[13].

[...]


[1] http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?land_id=140&type_id=2

[2] Vgl. Götz, Roland/ Halbach, Uwe: Entwicklung und aktuelle Lage der Mitgliedstaaten der GUS, in: Faulenbach, Jürgen (Redaktion): Informationen zur politischen Bildung 249. München 1995, S. 34.

[3] Vgl. Schössler, Dietmar: Sicherheitspolitik in der nördlichen Konstellation – Entwicklungen, Chancen und Risiken. München 2000.

[4] http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?land_id=140&type_id=2

[5] http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?land_id=140&type_id=2

[6] Vgl. Vogel, Ulrich (bearb. v.): Pazifik-Politik Rußlands. Datenband. München 1994, S. 8.

[7] Vgl. Schneider, Eberhard: Das politische System der Russischen Föderation. Eine Einführung, Wiesbaden 1999.

[8] http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?land_id=140&type_id=10

[9] Vgl. Vogel: Pazifik-Politik, S. 9.

[10] Vgl. Vogel: Pazifik-Politik, S. 9.

[11] Vgl. Fahrner, Andreas: Rußland – GUS, in: Schwarz, Jürgen (Hrsg.): Konfliktregion Asien? Regionalstudienbeiträge zum internationalen Strukturwandel: Rußland/GUS, Nordostasien, Indik, ASEAN. München 1995, S. 23.

[12] http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?land_id=140&type_id=12

[13] http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?land_id=140&type_id=9

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Details

Titel
Rußlands Verhältnis zum Fernen Osten
Hochschule
Universität der Bundeswehr München, Neubiberg  (Institut für Internationale Politik und Völkerrecht)
Veranstaltung
Seminar: Außen- und Sicherheitspolitik ausgewählter Staaten des asiatisch-pazifischen Raumes
Note
1,7
Autoren
Jahr
2001
Seiten
45
Katalognummer
V15608
ISBN (eBook)
9783638206709
ISBN (Buch)
9783638717274
Dateigröße
669 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rußlands, Verhältnis, Fernen, Osten, Seminar, Außen-, Sicherheitspolitik, Staaten, Raumes
Arbeit zitieren
Martin Wolf (Autor:in)Marcus Pein (Autor:in), 2001, Rußlands Verhältnis zum Fernen Osten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15608

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