Tiergestützte Interventionen in der Sozialen Arbeit

Wie der Einsatz eines Therapiebegleithundes Kindern und Jugendlichen helfen kann


Bachelorarbeit, 2010

67 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1. Ausgangssituation
1.1. Die Aufgabe Sozialer Arbeit
1.2. Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen
1.2.1. Lebensbereich Familie
1.2.2. Lebensbereich Schule und Ausbildung
1.2.3. Lebensbereich Freizeit
1.2.4. Aus der Lebenswelt resultierende Probleme
1.3. Tiergestützte Intervention als Methode der Sozialen Arbeit
1.3.1. Tiergestützte Aktivität (TGA)
1.3.2. Tiergestützte Pädagogik (TGP)
1.3.3. Tiergestützte Therapie (TGT)
1.3.4. Geeignete Interventionsformen für Kinder und Jugendliche

2. Grundlagen
2.1. Erklärungsmodelle
2.1.1. Biophilie Hypothese
2.1.2. Du-Evidenz
2.1.3. Ableitung aus der Bindungstheorie
2.2. Das Zusammenleben von Mensch und Tier
2.2.1. Die Ambivalenz des Zusammenlebens von Mensch und Tier
2.2.2. Tierschutz und Tierethik
2.2.3. Die besondere Beziehung von Kindern zu Tieren
2.2.3.a Kleinkindalter
2.2.3.b Grundschulalter
2.2.3.c Pubertät
2.2.3.d Probleme in der Kind-Tier-Beziehung
2.3.Mensch und Hund
2.3.1.Die Besonderheit der Mensch-Hund-Beziehung
2.3.2.Kommunikation und Interaktion zwischen Mensch und Hund
2.4.Voraussetzungen für den professionellen Einsatz eines Hundes
2.4.1.Ausbildung von Mensch und Hund
2.4.2.Eignung des Klienten
2.4.3.Hygiene und Verletzungsgefahr

3. Methodische Rahmung
3.1. Grundmethoden der tiergestützten Arbeit
3.1.1. Die freie Begegnung
3.1.2. Die Hort-Methode
3.1.3. Die Brücken-Methode
3.1.4. Die Präsenz-Methode
3.1.5. Die Methode der Integration
3.2. Interaktionsformen in der Tiergestützten Intervention
3.2.1. Organisationsformen
3.2.2. Funktionsformen
3.2.3. Organisations- und Funktionsaspekte in der Interaktion

4. Einwirkungsbereiche und Fördermöglichkeiten bei Tiergestützter Intervention
4.1. Wahrnehmung
4.2. Kognition und Lernen
4.3. Kommunikation
4.4. Emotionalität
4.5. Soziabilität
4.6. Körper und Motorik

5. Resümee

Quellenverzeichnis

Literaturhinweise

Internetquellen

Texte

Informationen zum Thema der Tiergestützten

Intervention

Informationen zum Thema der Tiergestützten

Intervention und Ausbildungsmöglichkeiten

Weitere Internetquellen

Vorwort

Schon in meiner Kindheit wurde ich von Tieren geradezu magnetisch angezogen. Dieser Zustand riss nie ab, verschärfte sich eher noch. Mit dem ersten Hund war dann die Leidenschaft für den "treuesten Freund des Menschen" endgültig geweckt.

Ich kann mich an ein Leben ohne Hunde nicht mehr erinnern, und möchte es auch gar nicht.

So kam es, dass ich sehr schnell Tiere in mein Ausbildungs- und Berufsleben integrierte. Was ganz klein anfing, mit einem Terrarium voller Insekten im Kindergarten, entwickelte sich weiter.

Nach tiergestützter Arbeit mit einem Hund, mit Kindern und Jugendlichen, steht für mich fest, dass ich diesen Weg weiter gehen werde.

Somit ergab sich die Motivation für das Thema dieser Arbeit quasi von selbst.

Danken möchte ich an dieser Stelle meiner Tochter, Kim Mandy, für ihre unendliche Geduld und Unterstützung, in der Zeit, in der diese Arbeit entstand. Außerdem zeigt sie mir täglich - zusammen mit meinem Hund - wie wertvoll diese vierbeinigen Vertrauten für die Entwicklung von Kindern sind.

Des Weiteren danke ich Lea Lohr für die großartige Unterstützung und Entlastung. Nicht zu vergessen die für mich wertvolle Arbeit als Lektorin. Außerdem gilt mein Dank meiner langjährigen Freundin Simone Meißner, die in ihrer Funktion als Lektorin dieser Arbeit "den letzten Schliff" verlieh. Nicht zu vergessen ein weiterer wichtiger Lektor (und großartiger Kaffeelieferant), Jimmy Eichholz. Auch hier ein herzlicher Dank.

Last, but not least danke ich ganz herzlich den beiden betreuenden Dozenten: Professor Kühne für seine Unterstützung beim Sortieren meiner Ideen und Gedanken, sowie Professor Eger für seine Mühen.

Coverbild: morguefile.com

Einleitung

Tiergestützte Interventionen erfreuen sich innerhalb Sozialer Berufe - und somit auch in der Sozialen Arbeit selbst - zunehmender Popularität und damit auch Verbreitung. "Deutschland hat im internationalen Vergleich den Vorsprung anderer Nationen weitgehend aufholen können." 1 Leider ist es nach wie vor so, dass die Praxis der Theorie weit voraus ist. Vielfach werden beispielsweise Schulhunde mit in den Unterricht genommen, ohne dass Hund oder Hundehalter irgendeiner Ausbildung oder Prüfung unterzogen wurden.2

Allerdings ist die Bedeutung einer Ausbildung, um den Hund professionell einsetzen zu können, nicht zu unterschätzen.

Ein geschulter Hundehalter erkennt beispielsweise Signale seines Hundes, die auf Stress und eine mögliche Überforderung hinweisen und kann adäquat darauf reagieren. Werden solche Zeichen stets durch Unwissenheit übersehen, kann dies nicht nur für den Hund gesundheitliche Schädigungen nach sich ziehen: das Tier könnte, ist es ansonsten auch noch so sanftmütig und friedfertig, aggressiv reagieren. Schlecht oder gar nicht ausgebildete Hundehalter, die ihren Hund für die Arbeit einsetzen, gehen somit ein hohes Risiko für den Hund, den Klienten und auch sich selbst ein. Ab gesehen davon ermöglicht eine fundierte Ausbildung von Mensch und Tier einen fokussierten Einsatz des Tieres und optimiert damit die Förderung und Unterstützung des Klienten.3

Tiergestützte Interventionen nehmen nach wie vor eine Randposition innerhalb der Sozialen Berufe ein; auch wenn der Bekanntheitsgrad steigt und die Professionalisierung zunehmend gefordert und angestrebt wird, was diese Arbeit unterstützt.

Außerdem soll aber auch fachfremden Lesern verdeutlicht werden, dass es sich bei Tiergestützter Arbeit nicht um eine "mystische, lapidare Kuschelei" handelt. Vielmehr soll herausgestellt werden, dass der Einsatz von Tieren auf professioneller Basis sowohl dem Führer des Tieres, als auch dem Tier selbst und sogar dem Klienten viel abverlangt. Andererseits wird aber auch gezeigt, dass Tiergestützte Interventionen die Möglichkeit einer ganzheitlichen Förderung beinhalten, die punktuell an den vorhandenen Ressourcen des Klienten ansetzen.

1. Ausgangssituation

1.1. Die Aufgabe Sozialer Arbeit

Deutschland definiert sich selbst im Grundgesetz als ein "sozialer Bundesstaat"4.

"[Mit dieser Definition verpflichtet sich die staatliche Macht]

soziale Unterschiede - v.a., aber nicht nur materieller Natur -

innerhalb des Gemeinwesens auszugleichen, um Teilhabe möglichst aller an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zu gewährleisten." 5

Die Erfüllung dieser Aufgabe wird vom Staat unter anderem an das Berufsfeld der Sozialen Arbeit delegiert.

Der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit präzisiert die ihm zugetragene Verantwortung in seinen berufsspezifischen Prinzipien folgendermaßen:

"In jeder Gesellschaft entstehen soziale Probleme. Diese zu

entdecken, sie mit ihren Ursachen und Bedingungen zu

veröffentlichen und einer Lösung zuzuführen, ist der gesellschaftlichüberantwortete Auftrag Sozialer Arbeit." 6

Nun sind selbstverständlich die auftauchenden Probleme innerhalb einer Gesellschaft vielfältig, ebenso wie die betroffenen Menschen unterschiedlichen Alters, Herkunft, Geschlechts und Weiteres. All jene zu beleuchten würde den Rahmen dieser Arbeit um ein Vielfaches sprengen, weshalb nun im Verlauf ein Arbeitsfeld und eine Klientengruppe genauer betrachtet werden sollen.

Soziale Arbeit lässt sich, nach Johannes Schilling in die Bereiche Sozialarbeit und Sozialpädagogik aufteilen, wobei beide eigene historische Wurzeln besitzen.7 Den Unterschied beschreibt er folgendermaßen:

"Sozialarbeit als Almosenwesen und Armenfürsorge vor allem für Erwachsene versteht sich als Ersatz für schwindende familiäre und verwandtschaftliche Sicherungsleistungen.

Sozialpädagogik als Jugendfürsorge und Anstaltserziehung sieht sich dagegen als Ersatz für schwindende familiäre und verwandtschaftliche Erziehungsleistungen." 8

Wie hier und auch in Schillings vorangegangenen Ausführungen ersichtlich ist, richtet sich die Sozialpädagogik vor allem an das jüngere Klientel, genau genommen an Kinder und Jugendliche. Wobei hier auch erwähnt werden muss, dass auch in diesem Fall nicht klar getrennt werden kann. Beispielsweise können sich sozialpädagogische Maßnahmen auch an erwachsene Klienten mit einer Behinderung richten.

Um aber die Möglichkeiten dieser Arbeit nicht zu überschreiten, soll sich hier nun im Verlauf auf Kinder und Jugendliche als Adressaten der Sozialen Arbeit beschränkt werden. Gesetzliche Grundlage hierfür ist vor allem das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII).

Um dem Auftrag Sozialer Arbeit gerecht zu werden, soll nun die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen betrachtet werden. Dies dient dem Zweck, Ursachen für mögliche soziale Probleme zu skizzieren, um im Anschluss einen von vielen möglichen Lösungsversuchen anzubieten.

1.2. Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen

Die Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche9 haben sich in Deutschland im Zuge gesamtgesellschaftlicher Veränderungen gewandelt. Wir leben in einer pluralistischen Leistungsgesellschaft, die einerseits viele Möglichkeiten zur Entfaltung und Selbstverwirklichung bietet, andererseits aber auch Risiken und vor allem Unsicherheiten birgt .10

Es gibt keine klaren Werte mehr, an denen junge Menschen sich orientieren können. Die ökonomische und soziale Ausgangslage ist denkbar schlecht, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Es hat sich ein demografischer Wandel vollzogen.

"Die jugendliche Bevölkerung schrumpft zahlenm äß ig, weil immer weniger Kinder geboren werden. Demgegenüber steigt der Anteil der 65-Jährigen immer stärker an." 11

Außerdem erreichen aufgrund der guten medizinischen Versorgung immer mehr Menschen das hohe Alter.

Die Lebensphasen haben sich insgesamt deutlich verändert.

"Das Durchschnittsalter für das Eintreten [von der Kindheit in die] Pubertät liegt bei 11,5 Jahren für Mädchen, Jungen folgen ein Jahr später." 12

Die Verschiebung des Zeitpunkts der Geschlechtsreife um fünf Jahre nach vorne (von 1800 bis 2000), ist vermutlich auf eine umwelt- und ernährungsbedingte Beschleunigung der entsprechenden Hormonproduktion zurückzuführen.

Außerdem hat das Jugendalter kein eindeutig definiertes Ende mehr. Früher markierte die Gründung einer eigenen Familie und der Eintritt in das Berufsleben den Übergang in das Erwachsenenalter. Heute fallen diese Orientierungspunkte meist weg, da Heirat und Berufseinstieg spät oder gar nicht erfolgen. War Jugend früher nur eine Übergangsphase vom Kindes- in das Erwachsenenalter, so ist sie heute ein eigener Lebensabschnitt, der sich im Durchschnitt über 15 Jahre erstreckt.13

Von der bereits erwähnten guten Versorgung durch das Gesundheitssystem profitieren auch die jüngeren Mitglieder unserer Gesellschaft; so sind beispielsweise Kinderkrankheiten weitgehend besiegt.14 Nichts desto trotz sind gesundheitliche Probleme bei Kindern und Jugendlichen heute stärker verbreitet, als noch vor einigen Jahren.

"Auffällig ist [...] eine starke Ausprägung von Gesundheitsstörungen, die auf eine unzureichende Balance zwischen den körperlichen, psychischen, sozialen und physischen Umweltbedingungen zurückzuführen sind [...]. Hierunter fallen Störungen des Immunsystems, des Ernährungsverhaltens und der Nahrungsverarbeitung, des Stoffwechsels und der Verarbeitung von Leistungs- und Konfliktanforderungen. Wie neuere Studien zeigen, sind Kinder aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen hiervon besonders stark betroffen[...]." 15

Eine etwas differenziertere Betrachtung der Lebensbereiche Familie, Schule und Ausbildung, sowie Freizeit liefert mögliche Erklärungen hierfür. Allerdings sei im Vorfeld erwähnt, dass es im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich ist, noch differenzierter auf die höchst komplexen und für die Kinder und Jugendlichen anspruchsvollen bis schwierigen Lebensbedingungen einzugehen.

1.2.1. Lebensbereich Familie

Die Pluralisierung der Lebensformen führte zu einer Veränderung der Familienstrukturen in Deutschland.

"Neben einer zunehmenden Bildung von Stieffamilien zeigt sich in den letzten Jahren ein Trend hin zu Familienformen, die es früher nicht bzw. selten gab, wie zum Beispiel Einelternfamilien, nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern und Scheidungsfamilien." 16

Gerade Letzteres deutet auf psychisch belastende Familiensituationen für Kinder und Jugendliche hin. Die Anzahl der jährlich von der Scheidung der Eltern betroffenen Kinder ist hoch (2008: 150 187 Kinder)17. Ursache hierfür kann unter anderem sein, dass der Wert eines Kind sich verändert hat. Früher waren Kinder Mitverdiener und Altersvorsorge. Heute werden mit dem Kind Werte wie Sinngebung und Glück verbunden, was dazu führen kann, dass die Eltern sich auf das Kind fixieren und ihre Beziehung aus den Augen verlieren.18 Unter anderem kann die Trennung von einem Elternteil bei Scheidung der Eltern zu Bindungsschwierigkeiten beim Kind führen.

Das Armutsrisiko von Familien mit Kindern ist deutlich erhöht. Kinder von Alleinerziehenden sind deutlich häufiger von Armut betroffen als Kinder, die mit beiden Elternteilen aufwachsen, was wohl auch an der hohen Arbeitslosenquote unter Alleinerziehenden liegt.

"Der erhöhte Anteil von Alleinerziehenden im SGB II kann mit der besonderen Lebenssituation von Alleinerziehenden erklärt werden. Alleinerziehende haben es aufgrund der zeitlichen und finanziellen Mehrbelastung durch die Familie schwerer, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ohne Leistungen der Grundsicherung auszukommen." 19

Der sozioökonomische Status der betroffenen Kinder und Jugendlichen ist schlecht, was ein Risiko für eine gesunde emotional-soziale und kognitive Entwicklung darstellt. Hinzu kommt, dass Kinder von Alleinerziehenden oft Einzelkinder sind.20 Weiterhin entscheiden sich heutige Paare aufgrund des finanziellen Risikos und damit verbundener Existenzängste seltener für Kinder.21 Als Folge haben Kinder weniger oder nur erschwerter soziale Kontakte zu Gleichaltrigen und können ihre sozialen Kompetenzen unter Umständen nicht ausreichend trainieren. Um der Armutsfalle zu entgehen und aus Gründen der Selbstverwirklichung sind in intakten Familien oftmals alle verfügbaren Elternteile berufstätig, so dass sich die Zeit der Kinder und Jugendlichen mit der Familie reduziert.

Nichts desto trotz erfreut sich die Familie einer hohen Wertschätzung durch Jugendliche und der Erziehungsstil der Eltern wird überwiegend derart positiv empfunden, dass ein Großteil ihn übernehmen würde.22 Auch das Erziehungsverhalten der Eltern hat eine Veränderung erfahren. Mit dem Wert eines Kindes hat sich auch das Eltern-Kind-Verhältnis gewandelt. Zum einen ist die Beziehung stark emotionalisiert: Kinder werden überbehütet und müssen seltener Pflichten übernehmen (z.B. im Haushalt), wodurch sie möglicherweise nicht lernen, Verantwortung zu übernehmen.23 Oftmals sind Eltern außerdem nicht in der Lage, ihren Kindern Grenzen zu setzen. Andererseits ist der Umgang mit Kindern stark pädagogisiert und rationalisiert.24 Beispielsweise finden sich bereits für eine pränatale Erziehung zahlreiche Elternratgeber. Außerdem ist nicht zu vergessen, dass gerade Kinder aus von Armut betroffenen Familien in einer angespannten Familiensituation aufwachsen. Die Eltern sind oft überfordert und nicht in der Lage, sich adäquat um ihre Kinder zu kümmern.

Die hohe Wertschätzung, die Familie erfährt, erklärt Hurrelmann folgendermaßen:

"Die besondere Priorität der Familie drückt vor allem aus, dass Jugendliche sich vom privat-familiären Bereich den Rückhalt erwarten, den sie angesichts einer Lebensumwelt benötigen, in der Berufswege im Speziellen und Lebensläufe im Allgemeinen immer schwieriger steuer-, geschweige denn planbar werden." 25

1.2.2. Lebensbereich Schule und Ausbildung

Die Anforderungen, die die Bereiche Schule und Ausbildung an Kinder und Jugendliche stellen, sind hoch; Bildung wird daher immer früher angeboten. In der Deutschen Demokratischen Republik besuchten bereits 1980 alle Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren einen Kindergarten. Nach der Wiedervereinigung stieg die Betreuungsquote auch in den alten Bundesländern. Mittlerweile wurde ein Bildungsanspruch für alle Kinder im Vorschulalter formuliert. Bildung im Elementarbereich soll unter anderem auf die Schule vorbereiten.26

Dem gegenüber "ist die Verweildauer im allgemeinen Schulsystem gegenwärtig um mindestens zwei bis drei Lebensjahre angestiegen." 27 Ursache hierfür sind unter anderem die Ausweitung der Pflichtschulzeit, sowie ein Anstieg des Besuchs einer weiterführenden Schulform. Die Zeit, die der Mensch im Bildungssystem verbringt hat sich verlängert.

Die Leistungsmotivation ist gerade bei Mädchen und weiblichen Jugendlichen sehr hoch, da sie davon ausgehen, dass sie sich durch ein hohes Bildungsniveau eine günstige Position auf dem Arbeitsmarkt verschaffen können. Damit wollen sie den Unsicherheiten, die die gesellschaftliche und vor allem auch wirtschaftliche Situation in Deutschland mit sich bringt, entgegenwirken. Die Zuversicht, sich innerhalb unserer pluralistischen, leistungsorientierten Gesellschaft zu behaupten und sein Leben individuell positiv gestalten zu können, ist im Allgemeinen sehr groß.28

"[Allerdings] zeigt sich dem gegenüber eine nach wie vor deutliche Benachteiligung von Kindern aus Arbeiterfamilien und Familien mit Migrationshintergrund im Schul- und Hochschulsystem [...]." 29

Jugendliche, die nicht über die nötige Selbstorganisation und Unterstützung in ihrem Umfeld verfügen, um dem vorherrschenden Leistungsdruck gerecht zu werden, haben eine schlechte Prognose hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Ihre prekäre Lage ist den Jugendlichen bewusst, der Ausfall aus dem Bildungssystem droht. Viele können keinen Hauptschulabschluss erreichen.30

Eine verlängerte Bildungszeit bringt eine längere finanzielle Abhängigkeit von den Eltern mit sich. So stehen die Jugendlichen in dem Spannungsfeld, einerseits unabhängig und autonom sein zu wollen und (sofern sie über 18 Jahre alt sind) zu können, andererseits aber nicht über die nötigen monetären Mittel zu verfügen.

1.2.3. Lebensbereich Freizeit

Besonders für Kinder, die in der Stadt aufwachsen, haben sich die Lebensbedingungen deutlich verändert.

Die zunehmende Verbauung und Verplanung führte zu einem Rückgang natürlicher Umgebungen in den Städten; Kinder und Jugendliche haben kaum noch Zugang zu Wäldern, Wiesen und auch Tieren. Im Gegensatz dazu werden die Spielräume heute geplant und jungen Menschen zugewiesen (Spielplätze, Jugendzentren). Luft, Wasser, Boden und auch Nahrung sind verschmutzt und mit Schadstoffen belastet. Die Umgebung ist recht reizarm; die Sinne werden nicht besonders angesprochen, im Spiel werden Fantasie und Kreativität nicht viel Raum gegeben.31 Hinzu kommt eine hohe Verkehrsdichte und damit ein erhöhtes Risiko für Kinder und Jugendliche. Auch hierdurch wird unweigerlich der Bewegungsradius von Kindern eingeschränkt. Allgemein zeigt sich eine zunehmende Bewegungsarmut.

Sylvia Greiffenhagen, deutsche Politikwissenschaftlerin schreibt: "Störungen der Mobilität, Übergewicht, gesundheitliche Beeinträchtigungen unterschiedlichster Art, Störungen des Raumgefühls und der Raumorientierung, Anfälligkeit für Stürze und andere Unfälle, Aggressivität und Gewalt seien unter anderem die Folgen des weit fortschreitenden Bewegungsverlustes der Kinder in Deutschland[...]." 32

Zudem beklagt sie, dass durch die Zersiedlung der Städte nicht mehr viele Kinder auf einem Raum leben. Anders als früher ist es oft nicht mehr möglich, sich eigenständig zu verabreden, sondern die Kinder sind darauf angewiesen, von ihren Eltern gefahren zu werden.

"Spielen wird zum Termingeschäft. Feste soziale Bindungen werden durch häufig wechselnde Funktionsbezogene ersetzt." 33 Das weitere Auseinanderleben von Kindern führt zum Einen zu einer Unduldsamkeit gegenüber Kindern, da sie ein nicht mehr gewohntes Bild in einer Stadt sind. Zum Anderen sind Kinder und Jugendliche sozial isolierter. Ein weiterer Faktor, der sich negativ auf soziale Kontakte auswirkt, ist die Tatsache, dass die Wohnansässigkeit an einem Ort durchschnittlich gesunken ist. Kindliche Netzwerke werden durch einen Umzug oft zerschlagen, Probleme im Aufbau von Beziehungen können die Folge sein. Für Kinder aus finanziell schwächer gestellten Familienkonstellationen verschließen sich zudem oft viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung; sie können nicht mit Freunden ins Kino gehen oder einen Sportverein besuchen. Eine Überflutung von Konsumgüterangeboten überfordert die desorientierten Kinder und Jugendlichen zusätzlich.

Das Freizeitverhalten von Kindern hat sich generell in den Innenbereich verlagert. 51% der Stadtkinder halten sich fast nur noch im Haus auf.34 Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen für Kinder und Jugendliche vor allem elektronische Medien wie der Fernseher, Spielkonsolen oder der Computer einschließlich eines Internetzuganges. Der starke Medienkonsum beschränkt deutlich die Zeit für Hausaufgaben, Sport, soziale Unternehmungen und Umwelterfahrungen aus erster Hand. Eine Folge davon sind nicht selten schulische Misserfolge, Defizite in den Sozialkompetenzen und ein Mangel an wichtigen Umwelterfahrungen.35

Eine übertriebene Abschirmung von Umweltreizen führt dazu, dass das Immunsystem keine Resistenzen aufbauen kann und sich letztendlich selbst attackiert.36 Gesundheitliche Schäden sind, wie Eingangs erwähnt, vermehrt zu verzeichnen.

1.2.4. Aus der Lebenswelt resultierende Probleme

Die meisten Kinder und Jugendlichen bewältigen die gegebenen Umweltbedingungen und können sich erfolgreich in die Gesellschaft und Arbeitswelt integrieren.

Allerdings gilt dies nicht für alle Kinder und Jugendlichen. Immer häufiger zeigen Kinder (besonders aus benachteiligten Familien) Verhaltensauffälligkeiten, deren Ursache wahrscheinlich die Anforderungen der beschriebenen Lebenswelt und demgegenüber nur unzureichende Bewältigungsmöglichkeiten sind.37

Zusammengefasst handelt es sich vor allem um folgende Probleme:38

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Diesen Problemen präventiv oder kurativ entgegen zu wirken, ist die Aufgabe Sozialer Arbeit.

1.3. Tiergestützte Interventionen als Methode der Sozialen Arbeit

Soziale Arbeit bedient sich zur Bearbeitung sozialer Probleme Methoden. Angelika Ehrhardt definiert diese wie folgt:

"Unter Methoden ist eine Arbeitsform/ ein Arbeitsprinzip zu verstehen, das sich auf ein bestimmtes Klientensystem [...] bezieht, und bei dem i.d.R. Hilfsmittel eingesetzt werden, um ein bestimmtes Ziel im Umgang mit einem sozialen Problem zu erreichen[...]." 39

Das Erreichen des angestrebten Ziels ist jedoch, aufgrund eines vorherrschenden Technologiedefizits40, nicht garantiert. Tiergestützte Interventionen sind eine anwendbare Methode, eingesetztes Hilfsmittel ist das Tier.

Der gesamte Bereich der Tiergestützten Interventionen ist noch recht jung. 196941 veröffentlichte der amerikanische Kinderpsychologe Levinson ein Buch42, womit die Entwicklung und Erforschung angestoßen wurde. Derzeit entwickelt sich der Bereich stark weiter; so findet sich beispielsweise mittlerweile eine Vielzahl an Literatur und Internetseiten; zunehmend werden auch Ergebnisse aus dem Bereich der Forschung vorgestellt.

Es existieren aber nach wie vor keine allgemein anerkannten Begriffsdefinitionen oder Richtlinien. Verschiedene Verbände haben sich in Deutschland (wie überall auf der Welt) zum Ziel gemacht Qualitätsstandarte zu entwickeln und hierfür auch den Begriff der tiergestützten Interventionen genauer zu bestimmen. Da bisher aber kaum Vernetzung und Zusammenarbeit betrieben wurden, definieren sich in den jeweiligen Verbänden Tiergestützte Interventionen teilweise etwas unterschiedlich. Im Folgenden soll nun kurz die von Vernooij und Schneider beschriebene Differenzierung Tiergestützter Interventionen vorgestellt werden:43

Die Autorinnen unterscheiden zwischen Tiergestützter Aktivität, Tiergestützter Pädagogik und Tiergestützter Therapie. Hierbei weisen sie aber darauf hin, dass nur analytisch scharf getrennt werden kann; in der Praxis gibt es oft Überschneidungen - gerade im Bereich der Tiergestützten Therapie und Tiergestützten Pädagogik.

Grundlegend für alle Interventionsformen ist zum Einen die Freiwilligkeit des Klienten (hierauf wird später noch einmal genauer eingegangen) und die Möglichkeit, unterschiedliche Tierarten einzusetzen.

[...]


1 Greiffenhagen: Tiere als Therapie S. 10

2 vgl. hierzu: Agsten: HuPäSch

3 vgl. hierzu: Vernooij/ Schneider: Handbuch der tiergestützten Interventionen

4 GG Artikel 20 Abs.1

5 Falterbaum: Sozialstaat S. 910

6 Berufsehtische Prinzipien des DBSH : 1 Ausgangslage

7 vgl. hierzu: Schilling: Soziale Arbeit S.17ff

8 Schilling: Soziale Arbeit S.123f

9 Anmerkung: Im Verlauf wird zur Vereinfachung meistens vom Kind seltener vom Jugendlichem gesprochen. Teilweise erfolgt die Wahl willkürlich, teilweise wird sie durch den Kontext vorgegeben (z.B.: beim Thema Pubertät).

10 vgl. hierzu: Hurrelmann/ Albert: "Generation 90" Herausforderungen an eine Jugend

11 Hurrelmann /Albert /Quenzel /Langness: Eine pragmatische Generation unter Druck- Einführung in die Shell Studie 2006 S. 31

12 Hurrelmann/ Albert: "Generation 90" Herausforderungen an eine Jugend S.96

13 vgl. hierzu: Hurrelmann/ Albert: "Generation 90" Herausforderungen an eine Jugend

14 vgl. hierzu: Hurrelmann: Gewalt ist ein Sympthom für fehlende soziale Kompetenz

15 Hurrelmann: Lebensphasen und Entwicklungsprobleme S.240f

16 Conrad: Veränderte Kindheit- andere Kinder- andere Räume- andere Möglichkeiten S. 1

17 Statistisches Bundesamt Deutschland: Zahl der Ehescheidungen stieg 2008 wieder an

18 vgl. hierzu: Conrad: Veränderte Kindheit- andere Kinder- andere Räume- andere Möglichkeiten S. 2

19 Bundesagentur für Arbeit: Alleinerziehende im SGB II S.6

20 vgl. hierzu: Prothmann: Tiergestützte Kinderpsychotherapie S.42f

21 vgl. hierzu: Conrad: Veränderte Kindheit- andere Kinder- andere Räume- andere Möglichkeiten

22 vgl. hierzu: Hurrelmann/ Albert: "Generation 90" Herausforderungen an eine Jugend S.102f

23 vgl. hierzu: Conrad: Veränderte Kindheit- andere Kinder- andere Räume- andere Möglichkeiten

24 vgl. hierzu: Greiffenhagen: Tiere als Therapie S. 70

25 Hurrelmann/ Albert: "Generation 90" Herausforderungen an eine Jugend S.103

26 vgl. hierzu: Krüger: Kindheit und Jugend in der Moderne

27 Krüger: Kindheit und und Jugend in der Moderne S.39

28 vgl. hierzu: Hurrelmann/ Albert: "Generation 90" Herausforderungen an eine Jugend

29 Krüger: Kindheit und Jugend in der Moderne S. 39f

30 vgl. hierzu: Hurrelmann/ Albert: "Generation 90" Herausforderungen an eine Jugend

31 vgl. hierzu: Greiffenhagen: Tiere als Therapie

32 Greiffenhagen: Tiere als Therapie S. 70f

33 Conrad: Veränderte Kindheit- andere Kinder- andere Räume- andere Möglichkeiten S. 2

34 vgl. hierzu: Greiffenhagen: Tiere als Therapie S.70

35 vgl. hierzu: Erhart / Ravens-Sieberer: Lebensqualität von Kindern in Deutschland

36 vgl. hierzu: Hurrelmann: Lebensphasen und Entwicklungsprobleme

37 vgl. hierzu: Hurrelmann: Lebensphase Jugend

38 vgl. hierzu unter anderem: Conrad: Veränderte Kindheit- andere Kinder- andere Räume- andere Möglichkeiten S. 4

39 Ehrhardt: Methoden der Sozialarbeit

40 Anmerkung: Technologiedefizit bedeutet: Anders als z.B. in der Technik bewirkt in der Sozialen Arbeit "Methode A" nicht zwangsläufig "Ergebnis B", da soziale Strukturen und Prozesse zu komplex sind, als das sie prinzipiell vorhersehbar wären.

41 vgl. hierzu: Agsten: HuPäSch S.21

42 Levinson, Boris M. : Pet Oriented Child Psychotherapy

43 vgl. hierzu: Vernooij / Schneider: Handbuch der Tiergestützten Interventionen 26ff

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Tiergestützte Interventionen in der Sozialen Arbeit
Untertitel
Wie der Einsatz eines Therapiebegleithundes Kindern und Jugendlichen helfen kann
Hochschule
Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
67
Katalognummer
V156067
ISBN (eBook)
9783640690541
ISBN (Buch)
9783640690961
Dateigröße
3158 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
tiergestützt, Hund, Kinder, Jugendliche, Soziale Arbeit, tiergestützte Therapie, tiergestützte Pädagogik, tiergestützte Aktivität, Einwirkungsbereiche, Fördermöglichkeiten, Grundmethode, Interaktionsformen, Therapiebegleithund
Arbeit zitieren
Cindy Brüninghaus (Autor:in), 2010, Tiergestützte Interventionen in der Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/156067

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Blick ins Buch
Titel: Tiergestützte Interventionen in der Sozialen Arbeit



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