Politische Bildung als Herausforderung im Englischunterricht

Schulbuchanalyse zur politischen Bildung im Englischunterricht der Sekundarstufe I allgemeinbildender Realschulen in Nordrhein- Westfalen


Examensarbeit, 2009

142 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung N adine & N atalie Cosentino

2.0. Was ist Politische Bildung? N adine Cosentino
2.1. Politische Bildung
2.2. Ausgewählte Bestandteile politischer Bildung im Fokus
2.3. Medienkompetenz N atalie Cosentino br /> 2.3.1. Medienkompetenz theoretisch
2.3.2. Medienkompetenz praktisch
2.4. Antirassistische Bildung Nadine Cosentino
2.4.1. Antirassistische Bildung theoretisch
2.4.2. Antirassistische Bildung praktisch
2.5. Politische Urteilsfähigkeit Natalie Cosentino
2.5.1. Politische Urteilsfähigkeit theoretisch
2.5.2. Politische Urteilsfähigkeit praktisch
2.6. Interkulturelle Kompetenz Nadine Cosentino
2.6.1. Interkulturelle Kompetenz theoretisch
2.6.2. Interkulturelle Kompetenz praktisch

3.0. Institutionelle Vorgaben Natalie Cosentino
3.1. Kultusminster Konferenz Empfehlung für politische Bildung
3.2. Kernlehrplan Englisch der Sekundarstufe I für allgemeinbildende Realschulen in Nordrhein-Westfalen
3.2.1. Kompetenzerwartungen am Ende der Jahrgangsstufe 6
3.2.2. Kompetenzerwartungen am Ende der Jahrgangsstufe 8
3.2.3. Kompetenzerwartungen am Ende der Jahrgangsstufe 10

4.0. Vorbereitung der Schulbuchanalyse N adine & N atalie Cosentino
4.1. Lehrwerke des Englischunterrichtes – Ein Rückblick
4.2. Vorüberlegungen
4.3. Leitfaden und Kriterien der Schulbuchanalyse
4.4. Die Lehrwerke für die Schulbuchanalyse

5.0. Schulbuchanalyse N adine & N atalie Cosentino
5.1. Einführung in den Forschungsgegenstand
5.2. Leitfragengeleitete Schulbuchanalyse I
5.2.1. Lehrwerk I: English G 21 B1
5.2.2. Fallbeispiel 1: Medienkompetenz N atalie Cosentino
5.2.3. Fallbeispiel 2: Antirassistische Bildung/ interkulturelle Pädagogik N adine Cosentino
5.2.4. Fallbeispiel 3 : Antirassistische Bildung/ interkulturelle Pädagogik N adine Cosentino
5.3. Leitfragengeleitete Schulbuchanalyse II
5.3.1. Lehrwerk II: English G 21 B4
5.3.2. Fallbeispiel 1: Antirassistische Bildung N adine Cosentino
5.3.3. Fallbeispiel 2: Antirassistische Bildung/interkulturelle Bildung/ politische Urteilsfähigkeit N adine & N atalie Cosentino
5.3.4. Fallbeispiel 3: Antirassistische Bildung N adine Cosentino
5.3.5. Fallbeispiel 4: Politische Urteilsfähigkeit N atalie Cosentino
5.3.6. Fallbeispiel 5: Medienkompetenz N atalie Cosentino
5.3.7.Fallbeispiel 6: Medienkompetenz N atalie Cosentino
5.4. Leitfragengeleitete Schulbuchanalyse III
5.4.1. Lehrwerk III: English G 2000 B6
5.4.2. Fallbeispiel 1: Interkulturelle Pädagogik N adine Cosentino
5.4.3. Fallbeispiel 2: Antirassistische Bildung/ interkulturelle Pädagogik N adine Cosentino
5.4.4. Fallbeispiel 3: Medienkompetenz N atalie Cosentino
5.4.5. Fallbeispiel 4: Medienkompetenz N atalie Cosentino
5.4.6. Fallbeispiel 5: Politische Urteilsfähigkeit N atalie Cosentino

6. Diskussion N adine & N atalie Cosentino

7. Literaturliste

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit macht es sich zur Aufgabe den Englischunterricht an Realschulen in Nordrhein-Westfalen auf Elemente von politischer Bildung zu untersuchen. Dazu formulierten wir eigens eine Definition von politischer Bil- dung mit vier Kernbereichen, die unserer persönlichen Auffassung entspricht und als theoretisches Fundament für unsere Untersuchung dient. Zu diesen vier Kernbereichen zählen Medienkompetenz, antirassistische Bildung, politi- sche Urteilsfähigkeit und interkulturelle Kompetenz, die jeweils in ihrer the- oretischen und praktischen Ausführung dargestellt werden. Zudem wird das theoretische Fundament unserer Untersuchung durch die Prüfung der insti- tutionellen Vorgaben bezüglich politischer Bildung erweitert. Dabei spielen die Kulturminister Konferenz Empfehlung sowie der Kernlehrplan für das Fach Englisch eine entscheidende Rolle.

Nach der Erarbeitung eines stabilen theoretischen Fundamentes schreiten wir anschließend in die Vorbereitung der Schulbuchanalyse, welche unsere Handlungsschritte vor der eigentlichen Analyse transpiriert. Dazu zählen eine rückblickende Betrachtung verwendeter Lehrwerke des Englischunterrichts der Sekundarstufe I, sowie allgemein formulierte Vorüberlegungen. Außer- dem werden die für die Analyse maßgebenden Elemente wie der Leitfaden und die Kriterien der Analyse vorgestellt. Der letzte Handlungsschritt beinhaltet letztendlich unsere Suche nach den Lehrwerken und die entgültige Fixierung unseres Forschungsgegenstandes.

Der darauf folgende Block beinhaltet den Kern unserer Untersuchung, näm- lich die Schulbuchanalyse. Dieser beginnt zunächst mit einer Einführung in den Forschungsgegenstand, wobei dieser genauer dargestellt wird. Es handelt sich dabei um drei zu analysierende Lehrwerke, die formal beschrieben wer- den. Anschließend findet die leitfragengeleitete Schulbuchanalyse statt, in der wir einerseits die Lehrwerke auf Elemente der politischen Bildung prüfen. Andererseits möchten wir untersuchen, ob Lehrwerke des Englischunterrichts durch Inhalte und Darstellungsformen zu einer verzerrten Wahrnehmung an- glophoner Lebenswelten beitragen. Die Highlights der Schulbuchanalyse wer- den in Form von Fallbeispielen dargestellt, die jeweils ein Kriterium unserer definierten Auffassung von politischer Bildung aufweisen. Des Weiteren bein- halten die Fallbeispiele immer jeweils ein Fazit bezüglich der analyserelevan- ten Leitfragen.

Ein Resümee unserer Schulbuchanalyse ist in der abschließenden Diskussion zu erwarten, da es sich anbietet unsere Ergebnisse zunächst zu diskutieren und zu reflektieren bevor wir letztendlich zu einem Fazit bezüglich unseres Forschungsinteresses kommen. Denn letztendlich möchten wir herauszufin- den, ob politische Bildung in den Englischunterricht der Sekundarstufe I wirk- lich integriert werden kann.

2.0. Was ist P olitische Bildung?

2.1. Politische Bildung

Möchte man politische Bildung definieren, sollte man sich zuvor mit der Be- deutung von Bildung und Politik im Einzelnen auseinandersetzen, um die Essenz des Begriffs der Politischen Bildung zu erhalten. Bildung bedeutet zunächst die Vermittlung von Kenntnissen oder etwas zu erfahren. Folgt man dem Bildungsbegriff von Raingard Knauer dann ist Bildung vorerst ein in- dividueller Prozess, der abhängig von der Aktivität jedes Einzelnen ist (vgl. Knauer, 2007: 106). Bildung kann demnach nicht von Erwachsenen direkt auf Kinder übertragen werden, sondern muss selbstständig angeeignet wer- den. Dabei werden Kinder und Jugendliche, die ihren Bildungsweg noch vor sich haben, von Pädagogen begleitet, die ihnen lediglich Möglichkeiten oder Impulse zur Erweiterung von Bildungsprozessen anbieten. Daher kann man behaupten, dass „Bildung eine individuelle und gesellschaftliche Seite“ hat (Immerfall/Schöne, 2007: 100). Hartmut von Hentigs Auffassung nach findet Bildung überall statt (vgl. Knauer, 2007: 106). Das bedeutet, dass alle Be- reiche der Lebenswelt eines Kindes, wie zum Beispiel die Umgebung und so- mit alle Sozialisationsinstanzen (Familie, Peers, Schule etc.) eine erhebliche Rolle bei der Prägung eines Kindes spielen und somit auch Bildungsprozesse beeinflussen.

Politik, griechisch von „Polis, Stadt oder Stadtstaat (vgl. www.wissen.de), meint einerseits die Gemeinschaftsgestaltung und Ordnung der Welt sowie die Grundelemente Macht, Gestaltung und Werte. Andererseits ist auch das Öffentliche, beziehungsweise Gemeinschaftliche aller Bürger gemeint, was sich auch in dem modernen Politikbegriff seit der Aufklärung wiederfindet (vgl. Sauer, 2006: 141). Hinzu kommt die traditionelle Auffassung von Politik, welche Politik als ein staatlich-politisches System (Verfassungsinstitutionen eines Landes) mit kollektiven Akteuren (Parteien, Verbände, Gewerkschaften, soziale Bewegungen etc.) betrachtet (vgl. Sauer, 2006: 141).

Demnach findet Politik nur dort statt, wo Staaten, beziehungsweise ihre kol- lektiven Akteure, handeln und Entscheidungen treffen. Neben diesem engen Begriff von Politik lassen sich durchaus auch konfliktorientierte Definitionen finden, wie zum Beispiel Sauer Max Weber zitiert, der Politik als „Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung“ oder als „Kampf“ beschreibt (Sauer, 2006: 141). Eine soziologische Bezeichnung von Politik, wie zum Beispiel von Ulrich Beck, verabschiedet sich vom engen traditionellen Politikbegriff und rückt neuerdings politisches Handeln in das Zentrum von Politik (vgl. Sauer, 2006: 142). Dabei handelt es sich vor allem um politisches Handeln gegen etablierte gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen und was po- litisch verhandelbar ist und als veränderbar gilt, wer handlungsfähig ist und in soziale Verhältnisse eingreifen oder verändern kann (vgl. Sauer, 2006: 142). Die politikwissenschaftliche Antwort auf die Frage nach einer Definition von Politik bezieht sich auf eine wertgeladene Definition, die mit polity, politics und policy in drei Dimensionen unterschieden wird. Polity steht für die institu- tionelle Seite (Gesetzte, Normen, stattliche Apparate), politics bezeichnet den politischen Prozess (Interagieren, Verhandeln von Akteuren) und policy meint die Inhalte des politischen Verhandelns wie zum Beispiel in der Bildungspoli- tik (vgl. Sauer, 2006: 142).

Fasst man nun beide Begriffe Politik und Bildung zu dem Begriff politische Bildung zusammen, ergibt sich folgende Definition: Politische Bildung ist ein Prozess, der stattfindet, wenn Kinder und Jugendliche sich politisches Wissen und Können selbstständig aneignen (vgl. Knauer, 2007: 106). Da sich dieser Aneignungsprozess nicht unabhängig von äußeren Einflüssen (soziales Um- feld und dessen Sozialisationsinstanzen) vollzieht, kann man nach Tilman Grammes zwei Grundrichtungen einer politischen Erziehung feststellen.

Nämlich einmal die Staatsbürgererziehung oder auch Sozialerziehung, die eine Loyalität zum Staat, der Nation und der Gemeinschaft anstrebt. Au- ßerdem zählt die Menschenbildung zu der politischen Erziehung, da sie sich, im Hinblick auf die Emanzipation jedes Einzelnen, um die Erziehung zu einem demokratischen Staatsbürger bemüht (vgl. Grammes, 2007: 61). Es soll also eine Art bewusste/r Staatsbürger/in herangezogen werden, die sich wiederum selbstständig politisches Know How aneignen sollen. Dieses Know How besteht einerseits aus Können und andererseits aus Wissen. Politisches Können meint zunächst die Fähigkeit seine unmittelbare Lebenswelt mit zu gestalten (vgl. Pech, 2007: 197). Damit dies gelingt, muss man sich als ein selbstständiges Individuum von seiner Lebenswelt und somit von den gesellschaftlichen Ver- hältnissen regelrecht befreien. Dies geschieht indem man unterdrückende Ver- hältnisse erkennt und sie anschließend hinterfragt und kritisiert (vgl. Hufer, 2007: 141). Dabei geht es auch um die Abschaffung von Unterdrückung, Un- terordnung sowie um das Auflösen von Vorurteilen und die Durchsetzung von Selbstbestimmung (vgl. Negt, 1975: 125). Dieser Akt der Selbstbefreiung zählt zu dem Ziel der Emanzipation und ist die erste Kompetenz, die zum politischen Können gehört. Die Emanzipation wird wesentlich unterstützt von der nächs- ten Kompetenz des politischen Könnens, der Mündigkeit. Denn diese Fähig- keit ermöglicht einem über seine Lebenswelt nachzudenken, zu reflektieren, um anschließend reagieren oder handeln zu können. Laut Moegling ist Ad- ornos Auffassung bezüglich Mündigkeit, die Fähigkeit zur „selbstständige(n) bewusste(n) Entscheidung jeden einzelnen Menschens als Grundlage des Funktionierens einer Demokratie“ zu verstehen (vgl. Moegling, 2007: 73). Das Fällen einer selbstständigen Entscheidung lässt das Individuum demnach als autonomen und mündigen Bürger erscheinen, der sich im Gegensatz zum Un- tertanen nicht unterwirft und partizipatorische Mitgestaltung an der Gesell- schaft ergreift (vgl. Negt, 2002: 10).

Des Weiteren soll jedes Individuum eine Art vernunftgeleiteten Universalismus verinnerlichen, welcher eine Umstellung der eigenen Weltwahrnehmung von nationalstaatlich zu transnationalen Horizonten erfordert. Dies soll sich vor allem auf die Welt- und Selbstwahrnehmung beziehen, die in Zeiten der Globa- lisierung eine Umstellung beansprucht (vgl. Steffens, 2007: 163). Diese Wirk- lichkeitsvorstellung, die in dem geistigen Ort des Bewusstseins entsteht, kon- struiert eine subjektive Vorstellung von der Wirklichkeit. Und dort ist auch der Ursprung des Politikbewusstseins, dass sich durch subjektive Wahrnehmung konstituiert und eine eigene individuelle politische Wirklichkeit produziert. Dabei handelt es sich auch um das Bewusstsein von „falsch“ und „richtig“, also was man als solches wahrnimmt und bezeichnet. Dieses Politikbewusst- sein, das durch einen vernunftgeleiteten Universalismus erweitert werden soll, stellt in der Politischen Bildung ein wesentliches Element dar, weil man in diesem Können politisch aktiv werden kann. Genau diese politische Aktivie- rung ist das Ziel von Politischer Bildung, nämlich emanzipierte, mündige Bür- ger zu erziehen, die dann über Widerstandsfähigkeit, Kritik-, Solidaritäts- und Utopiefähigkeit verfügen und sich für Gerechtigkeit einzusetzen wissen (vgl. Hufer, 2007: 148).

Damit dieses Ziel erreicht werden kann, muss jedoch jedes Individuum neben dem politischen Können auch über politisches Wissen verfügen. Denn bei- de Bereiche stehen in Wechselwirkung zueinander, das bedeutet, dass man das eine benötigt, um das andere ausüben zu können. Also ohne politisches Wissen kann man zum Beispiel nicht autonom gesellschaftliches Geschehen hinterfragen und analysieren (vgl. Weißeno, 2008: 246). Deswegen ist eine Wissensvermittlung innerhalb der politischen Bildung unabdingbar. Doch wel- ches Wissen vermittelt werden soll, ist seit langem ein strittiges Thema inner- halb des wissenschaftlichen Diskurses über politische Bildung. Denn die Einen bevorzugen den Erwerb von Faktenwissen, also Institutionenkunde, und die Anderen behaupten, dass man darüber hinaus überlegen sollte, wie die Er- kenntnisse aus der Wissenschaft für Schüler und Schülerinnen (SuS) genutzt werden können, um mündige Bürger zu erziehen (vgl. Lange, 2008: 246). Es sollen demnach auch soziologische Erkenntnisse vermittelt werden, die sich auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Beispiel beziehen könnten.

Trotz der Debatte um das politische Wissen lassen sich zwei Modelle von po- litischer Bildung erkennen, die in der Schule denkbar wären. Da wäre zu- nächst das Modell der fünf Demokratie-Kompetenzen (Behrmann, Grammes, Reinhardt, Hampe, 2004: 324), dass folgende Erziehungsziele der politischen Bildung vorsieht. Nämlich Perspektivübernahme, Konfliktfähigkeit, sozialwis- senschaftliches Analysieren, politische Urteilsfähigkeit und Partizipationsfä- higkeit/demokratische Handlungskompetenz. Das zweite Modell strebt auch eine Demokratiefähigkeit seitens der SuS an und besteht aus drei Kernkompe- tenzen von politischer Bildung: politischer Urteilsfähigkeit, politische Hand- lungsfähigkeit und methodische Fähigkeit. Dieses Modell ist offener gehalten und lässt der Lehrperson genügend Spielraum bei der Erreicgzen auch fächerübergreifend und nicht nur im Politikunterricht fördern. Denn gerade im Geographie- und im Englischunterricht bietet es sich an, Kulturen, andere Länder und Folgen der Globalisierung zu thematisieren und kritisch zu beleuchten. Dadurch er- hält die politische Bildung eine fächerübergreifende Relevanz, die eben neue Durchführungsformen von Unterricht ermöglicht (vgl. Mambour, 2007: 160).

2.2. Ausg ew ählt e Bestandteile politischer Bildung im Fokus

Eine „universalistische Vernunftmoral“, die SuS dazu befähigt ihre Lebenswelt bezüglich ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse so- wie Ungleichheiten kritisch zu betrachten, gilt es mittels politischer Bildung im schulischen Kontext zu bewirken. Die Verwirklichung dieser Prämisse sollte jedoch nicht nur auf Politikunterricht beziehungsweise Sozialwissenschaften oder auch Gesellschaftslehre beschränkt werden und vielmehr fächerübergrei- fend vollzogen werden. Denn die Erziehung zur Mündigkeit und Emanzipation kann auch in anderen Fächern realisiert werden. Nützlich scheint dabei das bereits vorgestellte Modell der drei Kernkompetenzen, welches politische Ur- teilsfähigkeit sowie Handlungsfähigkeit und methodische Fähigkeiten als Ziel politischer Bildung fasst. Da diese drei Kernkompetenzen sehr offen formu- liert sind, kann man viele Ansatzpunkte in unterschiedlichen Fächern finden.

Wie im Englischunterricht wo man zum Beispiel in Bezug auf die drei Kern- kompetenzen Medien- und interkulturelle Kompetenz sowie eine kritische Urteilsfähigkeit schulen könnte. Außerdem bietet sich noch antirassistische Bildungsarbeit an, da sie im Umgang mit anderen Kulturen, genau wie die in- terkulturelle Kompetenz, nötig wäre, um kurz gesagt Vorurteilen oder sogar Rassismen vorzubeugen. Außerdem dient der Einsatz von antirassistischer Bildung und die Förderung von interkultureller Kompetenz der kritischen Aus- einandersetzung mit Stereotypen, die im Englischunterricht verwendet wer- den, um „fremde“ Kulturen vereinfacht darzustellen. Dabei ist vor allem die Kombination aus interkultureller Kompetenz und antirassistischer Bildung besonders geeignet, da sie sich gegenseitig unterstützen. Das bedeutet, dass Ansätze der interkulturellen Pädagogik zuerst den Zugang, beziehungsweise eine Annäherung an Kulturen initiieren.

Im Anschluss an diese Kontaktaufnahme wird antirassistische Bildung für die Reflexion, beziehungsweise für die kritische Auseinandersetzung der darge- stellten Kultur benötigt, um unter anderem die Deutlichkeit des dynamischen Kulturbegriffs zu erhellen.

Der Englischunterricht bietet des Weiteren viele Ansatzpunkte um die kriti- sche Urteilsfähigkeit von SuS zu fördern. Zum Beispiel, indem man brisante Themen des öffentlichen Diskurses wie die Todesstrafe, Arbeitslosigkeit oder Terrorismus diskutiert, einordnet und beutreilt. Dabei kann man unter an- derem auch die Rolle der Medien untersuchen und im Bezug auf Macht und Meinungsmacher im Sinne von Foucault kritisch betrachten. An dieser Stelle werden SuS befähigt methodisch zu arbeiten, da sie zum Beispiel die Grundzü- ge einer Medienanalyse beziehungsweise Diskursanalyse anzuwenden lernen. Somit wären alle vier Vorschläge zur Abdeckung der vier Kernkompetenzen von politischer Bildung bedient und für den Unterricht denkbar.

2.3. Medienkompe tenz

2.3.1. Medienkompe tenz t heore tisch

Medien nehmen fortlaufend einen immer größeren Platz im Leben der Men- schen ein. 74,8 % aller Erwachsenen sehen im Durchschnitt täglich fern, was 3,45 Stunden pro Tag bedeuten (vgl. Hachmeister, 2008: 109). Medien sind wieder zu finden in den Bereichen wie Audio, Video, Texte, Grafiken, Fotos, Animation und dienen als Mittel zur Verbreitung von Informationen und Dar- stellungen. Dabei gibt es verschiedene Formen der Übertragungsmedien wie zum Beispiel Funkwellen in Funknetze, Druckwellen in der Akustik oder Über- tragungskabel der drahtgebundenen Übertragungstechnik. Zu den Träger- und Speichermedien zählen unter anderem Papier, Folie, Filmmaterial (vgl. www.itwissen.de). Sie sind sehr komplex und man kann sie in Unterhaltungs- medien und Informationsmedien unterscheiden, welche sich in ihrer Funktion und Geltung auf den Konsumenten unterscheiden. Medien genießen seither eine hohe Faszination und durchdringen alle Bereiche des alltäglichen Lebens eines Menschen. Dazu zählen speziell Medien wie das Leit- und Massenmedium Fernsehen, Tageszeitungen oder das Internet, dass durch den Breitbandzu- gang Mitte der 1990 er zugänglich für jeden Verbraucher wurde.

Der Fernsehkonsum ist für einige Verbraucher so essentiell, dass sie damit mehr Zeit verbringen, als mit der Nahrungszubereitung und Nahrungsaufnah- me (vgl. Göttlich, 1996: 285). Bedeutsam ist auch die Funktion als sekundäres Sozialisationsfeld, welches zur Orientierung bei der Identitätsfindung, Selbst- findung, Sinndeutung und Selbstverortung dient und als Motor für die Verbrei- tung neuer Werte und Normen gilt (vgl. Bergmann, 2004: 11). Problematisch wird diese Verbreitung, wenn sie maßlos verzerrte Weltbilder produziert und reproduziert und somit eine unkontrollierbare soziale Wirklichkeit entsteht.

Es geht darum, „dass der Mensch ein kompetentes Lebewesen sei […] indem er sich äußert und handelt, als lebender Mensch erkannt wird […]“ (vgl. Baacke, 2004: 22)

Kompetenz, lateinisch competere, meint allgemein gesagt die Befähigung mittels Sachverstand zu agieren (vgl. Brockhaus, 1990: 233). In Bezug auf Medienkompetenz gewinnt nicht nur etwa die Bedienung technischer Geräte beziehungsweise Medien an Bedeutung, sondern der bewusste Umgang mit Medien, der durch das Gerinnen von erlerntem medienrelevantem Wissen zu einem praxisrelevanten Sachverstand wird, der einen letztendlich befähigt.

Kompetenz umfasst nach der Auffassung von Dieter Baacke Bildung und Erzie- hung. Erziehung erfasst dabei die pädagogische Auslegung und die methodi- sche Gestaltung, die den Kompetenzerwerb ermöglicht. Bildung wiederum meint Bildungsangebote bereitzustellen, damit sich das Individuum in seinem Lebensraum verwirklichen kann. Demnach wird Kompetenz im Rahmen von Er- ziehungs- und Bildungsprozessen vermittelt. Daraus ergibt sich, dass Kompe- tenz das Produkt von der Wechselwirkung der Begriffe Bildung und Erziehung ist.

„Insofern ist ‚Kompetenz’ der umfassendere Begriff, da er Bildung wie Erzie- hung aufeinander verweist, aber auch voneinander unterscheidet und schließ- lich beide übergreift.“

(Baacke, 2004: 22)

Zu den zu vermittelnden Kernelementen der Medienkompetenz zählt man den kritischen Umgang mit Medien, der einen analytischen, reflexiven und ethischen Zugang gestattet und die Medienkunde, die Wissen über heutige Medien beinhaltet. Ein analytischer Zugang zur Medienkritik beinhaltet das angemessene Erfassen von problematisch wirkenden gesellschaftlichen Pro- zessen, welches als Fundament für den reflexiven Umgang fungiert. Das eige- ne Wissen und Handeln über Medien wird mittels Selbstreflexion betrachtet. Darüber hinaus soll Raum zur Reflexion über den Sinn von Kommunikation durch Medien gegeben werden. Eine medienkritische Haltung ist durch ethi- sche Denkweisen beeinflusst. Es werden auf Grund einer sozialverantwortli- chen Haltung Rückschlüsse gezogen und darauf basierend Entscheidungen getroffen (vgl. Baacke, 2004: 24).

Medienkunde umfasst die Vermittlung von Wissen über aktuelle und präsente Medien auf einer informativen und instrumentell-qualifikatorischen Ebene. Die „informative Dimension“ vermittelt Kenntnisse, die einen klassischen Cha- rakter haben (Baacke, 2004: 24). Dabei wird geklärt wie viele Radiosender es gibt oder wie die Arbeit eines Journalisten generell aussieht. Außerdem geht man der Frage nach wie man Medien auswählt. Um die Bedienung und Nutzung von neuen Geräten, beziehungsweise Medien, geht es in der „instrumentell- qualifikatorischen Dimension“ (Baacke, 2004: 24). Dabei geht es um die Ver- mittlung der Handhabung immer neu erscheinender Medien wie zum Beispiel die Installation von Hardware, das Zurechtfinden in Internetforen oder Inter- netshopping. Eine weitere wichtige Maxime der Medienkompetenz ist das Er- lernen der Mediennutzung, welche zwei Dimensionen beinhaltet. Nämlich zum einen rezeptiv anwendend und zum anderen interaktiv anbietend. Ersteres be- deutet, dass man lernt wie man Programme nutzt und Letzteres vermittelt un- ter anderem Kompetenzen wie im Internet Banküberweisungen zu erledigen oder das Internet zum Einkaufen zu nutzen.

Die letzte Kernkompetenz der Medienkompetenz ist der Bereich der Medien- gestaltung, der einen innovativen und einen kreativen Charakter beinhaltet. Veränderungen des Mediensystems und der Medien können selbst mit ange- trieben werden durch kompetenten Umgang mit ihnen. Der Mediennutzer ist befähigt kreativ mit dem Angebot an Medien umzugehen, neue Ästhetiken zu schaffen und Grenzen zu überschreiten. Dabei handelt es sich durch aus auch um die Erfindung von neuen Schnitttechniken beim Film oder das Erstellen einer Internetperformanz in Portalen wie Facebook oder Myspace. Die Not- wendigkeit, die aufgeführten Kompetenzen zu erwerben, ist nicht immer als wichtig eingestuft worden, betrachtet man rückblickend die Lehre der Medi- enkompetenz. Um 1970/80 wurde die Dringlichkeit der Medienerziehung be- reits erkannt, dennoch wurde sie nicht in die Lehrpläne zur damaligen Zeit integriert.

„Die teilweise klugen und motivierenden Konzepte blieben trotzdem immer nur Arabesken in einem Schulbetrieb, der sich an Lehrpläne orientierte, die Medie- nerziehung zwar erlaubten, aber nicht zwingend vorsahen.“

(von Rein, 1996: 51)

Das Lehren der Medienkompetenz war zu dieser Zeit abhängig von den Lehr- personen, denn es lag an ihren Entscheidungen ob und wie Medien im Unter- richt behandelt und eingesetzt wurden. Dieser Zustand änderte sich in den 1990ern, als neuartige Medien den Markt eroberten und somit Popularität innerhalb der Gesellschaft gewannen. Dadurch gelang den Medien der offi- zielle Einzug in die Lehrpläne und Klassenzimmer, wobei auch der Erwerb des kompetenten Umgangs mit den neuen Medien im Blickfeld stand. Neue Medien stellen fortlaufend neue Anforderungen für den Alltag jedes Individuums.

Ziel ist meist eine erfolgreiche Bewältigung des Alltags, was eine erfolgreiche Anpassung an den Wandel erfordert. Doch diese Anpassung an neue Anforde- rungen birgt Gefahren, die durch eine neuartige Medienwelt produziert und reproduziert werden zum Beispiel „Orientierungsverlust, Zukunftsängste und Politikverdrossenheit“ (von Rein, 1996: 52). Dazu gehört auch der Wandel von Werten und Normen was zur Folge hat, dass Menschen sich umgewöhnen müs- sen. Jedoch ist das Erlernen von Kompetenzen und Fertigkeiten zur Bewälti- gung dem Menschen überlassen. Die Anpassung an wandelnde Verhältnisse garantiert die weitere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Nicht anpassen impliziert den Ausschluss von bestimmten gesellschaftlichen Geschehnissen wie zum Beispiel dem technischen Wandelel.

Ein souveräner Umgang mit Medien erfasst einen bewussten Umgang, sodass der Mediennutzer in der Lage sein sollte, entsprechend persönlicher Interes- sen und Bedürfnisse Angebote gezielt selektieren zu können. Außerdem muss man als bewusster Medienkonsument zwischen realer und vermittelter Welt unterscheiden können. Es ist wichtig, dass die nachfolgenden Generationen mit einer Selbstverständlichkeit an Medienkompetenz herangeführt werden mittels Erziehung und Bildung. „Get prepared for change“ (von Rein, 1996: 52) lautet ein Spruch, der die Notwendigkeit dieser Zukunftsaufgabe präzise for- muliert. Nichts bleibt wie es war, deswegen muss man Verstehen, dass unser Verständnis über Kommunikationsmodelle und Abläufe sich im Laufe der Zeit verändert hat und deswegen unser Verständnis nicht mehr ausreichend auf die heutige Zeit anzuwenden ist. Deswegen ist es wichtig, dass Schule die zukünf- tigen Akteure einer Gesellschaft ausreichend in Bezug auf Medienkompetenz ausstattet, sodass sie das große Angebot an Medien für ihren Alltag sinnvoll nutzen und verstehen können.

2.3.2. Medienkompe tenz pr aktisch

Die Ausbildung von SuS hin zu medienkompetenten Individuen, die einen be- wussten und auch kritischen Umgang mit Medien pflegen, gilt es in der Praxis heranzuziehen. Schule spielt eine außerordentlich große Rolle als Bildungs- stätte für Medienerziehung. Als fächerübergreifende Erziehung gedacht, kann man SuS vielfältig an verschiedene Medien heranführen und Kenntnisse ver- mitteln. Doch eine medientaugliche Ausstattung ist bis heute sehr kostspielig. Denn medientaugliche Schulen, die als Mindestausstattung pro Klassenraum einen internetfähigen Computer besitzen, kosteten bereits Ende 1996 rund 70 000 DM (vgl. von Rein, 1996: 54). Heute hat sich das Mindest-Repertoire für einen medienkompetenter Klasseraum bereits auf einen Beamer, mit dem man Referate präsentieren kann, erweitert. Dadurch werden die SuS aufgefordert mittels einer kompatiblen Software die zu präsentierenden Inhalte und das Format im Rahmen eines Referates vorzustellen. So können technische Fertig- keiten im Umgang mit neuen Medien erlernt und geübt werden.

Außerdem bietet der Unterricht fächerübergreifend betrachtet viele Möglich- keiten den Umgang mit Medien zu ermöglichen wie zum Beispiel durch Medi- enanalysen zu aktuellen Themen, was vielmehr bedeutet Tageszeitungen auf ihre Inhalte und Wirkung zu untersuchen oder auch audio-visuelle Medien (Werbung, Filme etc.) zu nutzen, um diese zu diskutieren. Aber auch die Nut- zung des Internets, welches als ein wichtiges Leitmedium für SuS ist, kann für Recherchezwecke herangezogen werden. Darüber hinaus sollen SuS auf die Qualität der Informationen hingewiesen werden, damit sie bei zukünftigen Recherchezwecken qualitative von unglaubwürdigen Quellen unterscheiden können.

Ein Beispiel aus der Praxis ist das Medienprojekt „Rap für Courage-XXL“ des Medienteams der Spiel- und Theaterwerkstatt Villigst in Kooperation mit den

„Sons of Gastarbeita“. Hierbei handelt es sich um ein Schulprojekt zur Förde- rung von medialer Ausdrucksfähigkeit und Medienkompetenz. Die neuen Lern- und Erfahrungselemente sollen in den Schulalltag integriert werden.

Während des Projekts haben die ausgewählten 18 SuS verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Dazu gehört das Schreiben eines Songtextes, dessen Aufnahme und Bearbeitung sowie der Dreh zu einem Musikvideo. Es werden außerdem Bearbeitungs- und Schnitttechniken (Postproduktion) erlernt und selbststän- dig angewendet, um schließlich ihr Ergebnis öffentlich zu präsentieren. Aus den erlebten Erfahrungen und erlernten Kenntnissen, soll ein Projektangebot für die Schule entstehen, das im Nachmittagsunterricht angeboten werden kann. So können die SuS (13 – 18 jährige) ihre Erlebnisse und ihr Wissen an andere SuS weitergeben. Das Medienprojekt bietet den SuS eine Plattform, um negative Energien, zum Beispiel durch Enttäuschungen, schlechte Noten etc. zu entladen und das Selbstwertgefühl zu steigern. Sie bekommen die Möglich- keit ihre Meinung der Öffentlichkeit zu präsentieren und positive Energien zu entwickeln. Durch das Entwickeln und die Produktion eines Songtextes wer- den Kenntnisse und Fähigkeiten in Bezug auf Schreiben und Ausdrucksform erweitert und verbessert. Kreatives agieren in der Gestaltung der Musik und des Musikclips sind erwünscht und gefordert. Medienkompetenz wird durch das Erlernen der Aufnahme- und Bearbeitungstechnik von Musik und Film ge- fördert. In 14 Projekttagen, die über drei Monate hin verteilt sind, haben die SuS die Zeit Kenntnisse zu sammeln, die ihnen einen bewussten Umgang mit Medien ermöglichen können.

2.4. Antir assistisc he Bildung

2.4.1. Antir assistisc he Bildung t heore tisc h

Die antirassistischen Erziehungsansätze, die seit den 1990 ern als Gegenre- aktion auf die vorhandenen pädagogischen Ansätze der Ausländerpädagogik und der interkulturellen Pädagogik fungiert, distanziert sich eindeutig von der Beschreibung von Kulturdifferenzen und lenkt statt dessen ihren Fokus auf die Wirksamkeit informeller und institutioneller Formen von Diskriminierung sowie der Aus- und Eingrenzung in Institutionen und latenter und offener Ras- sismus in der Gesellschaft (vgl. Flam, 2007: 44).

Dies geschieht mit der Absicht neue mögliche Erklärungsansätze für die mise- rable Lage von Schüler und Schülerinnen mit Migrationsgeschichte im deut- schen Schulsystem in den Vordergrund zu rücken. Diese neue Richtungsweise in der Pädagogik lehnt grundsätzlich solche interkulturell pädagogische Prak- tiken ab, die unter anderem Hinweise auf sozialpsychologische Erklärungs- muster sowie „Feierabendpädagogik“ geben, um sie als Mittel gegen Rechtex- tremismus einzusetzen. Gegen die „Romantisierung“ der kulturellen Einigkeit setzt antirassistische Erziehung in ihrem Anliegen auf eine kritische Ausein- andersetzung mit gesellschaftspolitischen Deutungsangeboten, um den Sus zunächst die bisherige defizitorientierte Kulturausrichtung zu negieren und anschließend den Fokus auf gesellschaftliche Ursachen der Mehrheitskultur zu richten. Sie sollten die Ursachen der Probleme nicht als ihr subjektives und individuelles Schicksal verstehen, sondern Schule als ein diskriminierendes und rassistisches System begreifen, dass verantwortlich für die Misslage zu machen ist.

Demnach ist das Anliegen von antirassistischer Erziehung die Verdeutlichung einer „Mittäterschaft“ jedes Individuums dieser Gesellschaft, von der man sich durch einen Ausstieg befreien kann (vgl. Elverich/Reindlmeier 2006: 40). Dabei sei anzumerken, dass antirassistische Erziehung Möglichkeiten zur Be- wusstheit der gesellschaftlichen Realität und deren Missstände durch kogniti- ve Verstehensprozesse durch die genannten Herangehensweisen ermöglicht. Somit grenzt sie sich von den vorangegangenen pädagogischen Bemühungen durch den moralischen Imperativ den Rassismus „auszutreiben“ ganz deutlich ab. Trotzdem gibt es in gewissen Punkten einen Bedarf an Verbesserungen, mit der antirassistischen Bildungsarbeit auseinandersetzen sollte, weil es einigen Methoden an Präzision fehlt. Ein Beispiel dazu nennt Annita Kalplaka (1994: 58), die eine Schwierigkeit darin sieht Menschen mit Migrationsgeschichte oder Rassismuserfahrung nicht als „Opfer der Verhältnisse“ zu stigmatisieren beziehungsweise sie nicht als Repräsentant einer Kultur oder Unterrichtsob- jekt zu behandeln.

Ein weiterer Kritikpunkt bemängelt die fehlende Thematisierung der Stärkung von Menschen mit Migrationsgeschichte und Diskrimnierungserfahrungen (vgl. Elverich/Scherr 2007: 186). Außerdem sei bisher die Zusammensetzung von Lerngruppen nicht ausreichend nach passenden Themen, Aufteilung der Gruppen etc., reflektiert. Fraglich bleibt auch die Vermittlung der Ursachen von Rassismen und Diskriminierung in einer Gesellschaft, da sehr komplexe theoretische Ansätze thematisiert werden, die eventuell nicht leicht zugäng- lich für jüngere Altersgruppen wie in der Grundschule oder Sekundarstufe I sind. Wie bereits Elverich und Reindlmeier in ihrer Reflexion eines Fortbil- dungskonzeptes erwähnten, ist außerdem der Umfang der Rassismustheorie in der Umsetzung im Unterricht ein zeitaufweniger Faktor, den man in der Planung berücksichtigen muss (Elverich/Reindlmeier 2006: 56). Eine beson- dere Schwachstelle weist antirassistische Erziehung im Umgang mit Jugend- lichen rechter Gesinnung auf, da sie mit ihrer Prämisse ohne manipulativen Einfluss agieren zu wollen, in Konflikt geriet. Somit kann sich antirassistische Erziehung nur als Präventionsmaßnahme verstehen, dessen Zielgruppe sich eventuell bisher unpolitisch sieht oder zumindest nicht rechts.

2.4.2. Antir assistisc he Bildung pr aktisc h

Zurzeit werden didaktische Modelle zur Umsetzung von antirassistischer Er- ziehung im wissenschaftlichen Diskurs diskutiert, die ich im weiteren Ver- lauf verkürzt darstellen werde. Dabei wird zunächst Bezug auf die von Gabi Elverich und Karin Reindlmeier formulierten fünf Prinzipien antirassistischer Bildungsarbeit genommen. Im Anschluss folgen die gemeinsam festgelegten Vorschläge von Albert Scherr und Gabi Elverich. Anitrassistische Bildungsar- beit im Sinne von Elverich und Reindlmeier (Elverich/Reindlmeier, 2006: 33) strebt eine intensive Auseinandersetzung mit Rassismus unter Berücksichti- gung der unterschiedlichen Dimensionen sowie Funktionen an, die grundle- gend für Durchführung der Prinzipien ist.

Nach dem Erwerb der theoretischen Grundlagen folgt die Durchführung des ersten Prinzips „Kultur als Prozess begreifen“, dass eine Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff veranlasst mit dem Ziel Kultur als einen dynamischen Prozess zu verstehen. Anlässlich der Reflexion der eigenen Identität soll die Zielgruppe innerhalb der Übung „Ich bin Viele“ ein persönliches Kuchendia- gramm erstellen, das ihre Prägungen und Zugehörigkeiten visualisieren soll.

Das anschließende Prinzip „Konstruktionen aufdecken“ thematisiert die Will- kürlichkeit von Zuschreibungen und ihre Wirkungsmacht auf das Alltagsbe- wusstsein und rückt diese in den Vordergrund der Reflexion. Dabei werden mit Hilfe von Bildern Assoziationen in Kleingruppen kommuniziert und zu Geschichten formuliert, die Aufschluss auf die jeweiligen „Normalitäten“ der Mitglieder liefern.

Das Prinzip 3 „die gesellschaftliche Ebene mit einbeziehen“ verdeutlicht die strukturellen Dimensionen von Rassismus, um die Wahrnehmung, beziehungs- weise das Erkennen der gesellschaftlichen Ungleichverhältnisse angestrebt wird. Denn darauf basierend wird die Mitverantwortlichkeit jedes Individu- ums verdeutlicht und auch Handlungsmöglichkeiten vorgestellt. Mit Hilfe der Übung „Wie im richtigen Leben“ wird der Mythos der Chancengleichheit auf- gegriffen, um diesen mit einem Rollenspiel vorzuführen und die vermeintliche Positionierung gesellschaftlicher Mitglieder zu verdeutlichen.

Die Perspektiven von Menschen mit Rassismuserfahrungen wahrzunehmen, beziehungsweise miteinzubeziehen ist ein Teil des vierten Prinzips „Perspek- tiven von MigrantInnen wahrnnehmen“. Hierbei sollen Menschen mit Migrati- onsgeschichte die Möglichkeit erhalten ihre Perspektive an Hand von Medien wie Filme, literarische Texte, Interviews, Biographien darzustellen. In diesem Bereich bieten sich zahlreiche schülerorientierte Ansätze an, die sich auf de- ren Lebenswelten beziehen. Wie zum Beispiel Songtexte von Künstlern und Künstlerinnen oder Interviews von Fußballern mit Migrationsgeschichte. Die- se Fülle an Darstellungen einer Lebenswelt von Menschen mit Migrationsge- schiche bietet mehrere Möglichkeiten, Rassismus als komplexe Form auf einer Metaebene zu reflektieren und zu diskutieren ohne anwesende Personen mit Migrationsgeschichte als Lernobjekt zu behandeln.

Das letzte Prinzip 5 „Nach dem Eigeninteresse suchen“ soll Teilnehmer anre- gen ihre Beziehung zur antirassistischen Bildungsarbeit zu hinterfragen. Da- bei bietet sich die Arbeit mit Ansichtskarten an, wobei unter dem Titel „Ich und Rassismus“ individuelle Assoziationen zu ausgewählten Bildern ausgetauscht und im Bezug zur eigenen Arbeit hergestellt werden sollen.

Nachdem nun konkrete Methoden antirassistischer Bildungsarbeit dargestellt wurden, folgt nun ein Ansatz von Elverich und Scherr, der sich mit der the- oretischen Auseinandersetzung mit Rassismus beschäftigt und konkretisiert. Dabei gilt zunächst eine inhaltliche Vertiefung von:

„ „rassialisierenden“ Strukturen, Ideologien, Diskursen, Vorurteilen und Feind- bildern, die zu Diskriminierungen von Menschen mit Migrationshintergrund und minorisierenden Gruppen führen bzw. mit denen diese gerechtfertigt werden.“ (Elverich/Scherr, 2007: 183)

Demnach dient zunächst die Schulung eines bestimmten Verständnisses von Rassismus als gesellschaftlich verankerte Ideologie und Praxis als Basis für anfängliche didaktische Bemühungen und Grundlagen. Um der Zielgruppe von antirassistischer Erziehung diese Mechanismen zu veranschaulichen, schla- gen Elverich und Scherr eine theoretische Vertiefung des Begriffs der Ras- sialisierung vor, wobei unter anderem hervorgehen soll, das Rassialisierung als Konstruktionsprozess, der Individuen an Hand des klassischen Rassismus und Kulturrassismus in ungleiche und ungleichwertige Kollektive fasst, funk- tioniert und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten in Bezug auf Macht und Herrschaftstrukturen sowie sozialer Ungleichheit relevant ist (vgl. Miles, 1991: 103). Neben dem Erwerb eines umfassenden Rassismusverständ- nisses auch seitens der Lehrpersonen der Mehrheitsgesellschaft beziehungs- weise „der weißen deutschen Multiplikatoren“ (Elverich/Reindlmeier, 2006:

39) strebt die antirassistische Erziehung nach Elverich und Scherr die Thema- tisierung von gesellschaftlichen Zusammenhängen und Kontextbedingungen in der Einwanderungsgesellschaft, wobei erstens historische Entwicklungen und Kontinuitäten des Kolonialismus und Nationalismus und zweitens die Rahmenbedingungen und Strukturen sozialer Ungleichheit behandelt werden können. In anbetracht dessen würde sich der Geschichts- und Politik sowie der Englischunterricht als geeigneter Kontext anbieten.

Nach dem Verständnis der hochkomplexen gesellschaftlichen Konstruktion von Rassismen soll die Zielgruppe nun zu einer kritischen Beobachtung und Analyse von kulturellen Kategorisierungen befähigt werden, mit dem Ziel der Erkenntnis eines Bedeutungszuwachses von Kulturrassismus innerhalb der Gesellschaft zu erzeugen. Auf der Kenntnis basierend, wird dann eine kriti- sche Reflexion an Hand des statischen und dynamischen mit Kulturbegriff veranlasst, welcher schlussfolgernd Kultur neu definiert und somit als verän- derbaren Prozess (vgl. Kalpaka, 2005: 391) versteht. Nach dem Versuch gesell- schaftliche Strukturen, deren Konstruktion zu transpirieren, um die Funktion von Rassismen und Diskriminierung zu verdeutlichen, soll letztendlich die Zielgruppe von antirassistischer Erziehung dazu befähigt werden eine konse- quente Antidiskriminierungsperspektive einzunehmen, um somit Mechanis- men von Ein- und Ausgrenzung zu erkennen und schließlich für mehr Chan- cen- und Verteilungsgerechtigkeit eintreten.

Einen weiteren Beitrag zur Erreichung der genannten Schlüsselqualifikation kommt aus der genuinen politischen Bildung und beinhaltet das Anstreben einer Reflexion eigener Sichtweisen und Positionen sowie die Auseinander- setzung mit den politischen, ökonomischen und ideologischen Rahmenbedin- gungen, die Rassismen hervorbringen. Dabei lernt die Zielgruppe sich selbst zu reflektieren und veranlasst das eigene Alltagswissen zu hinterfragen (Lei- precht, 2005: 335). Die Umsetzung von den bisher genannten didaktischen An- sätzen antirassistischer Bildungsarbeit ist trotzdem problematisch, da einige Hindernisse überwunden werden müssen. Welche Probleme bei der Umsetzung der genannten Inhalte und Methoden entstehen könnten, zeigen „die Stolper- steine“, die sich in Opferfalle, Moralfalle, Delegationsfalle, Nützlichkeitsfalle, Rassismus über alles Falle, Gleichsetzungsfalle sowie in Exotisierungsfalle un- terscheiden (Elverich/Reindlmeier, 2006: 42). In die „Opferfalle“ stößt man, wenn man als Lehrperson die Perspektive von Menschen mit Migrationsge- schichte nicht wahr- oder ernst nimmt und sie darüber hinaus entweder als Lernobjekt behandelt oder zu paternalistischen Haltungen ihnen gegenüber neigt. Die „Moralfalle“ bezeichnet eine Situation, in der die Lehrperson an die Solidarität und Betroffenheit appelliert, die Bedürfnisse der Lernenden jedoch in den Hintergrund rückt. Wenn weiße deutsche Multiplikatoren ihre eigene Mitverantwortung an Rassismus ausblenden und hauptsächlich auf Lernende beziehen, dann befinden sie sich in der „Delegationsfalle“. In die „Nützlichkeitsfalle“ gerät man, wenn man auf eine utilitaristisch-ökonomische Verwertbarkeit von Menschen mit Migrationsgeschichte verweist und dies als Argumentation für zum Beispiel deren Aufenthaltsrecht verwendet. Blendet man als Lehrperson andere Faktoren für Ausgrenzung wie Geschlecht oder Klasse aus und thematisiert nur Rassismus als Ausgrenzungsinstrument, be- findet man sich in der „Rassismus über alles Falle“. Die „Gleichsetzungsfalle“ beinhaltet die Relativierung von anderen Formen von Diskriminierung und ge- sellschaftlicher Benachteiligung im Vergleich zu Rassismus. Letztendlich folgt die „Exotisierungsfalle“ wo der Fokus auf die Kultur gelegt wird aus bloßem Interesse an dem „Fremden“. Dabei liegt eine starke Betonung von kulturellen Differenzen vor.

2.5. Politisc he Urteilsfähigkeit

2.5.1. Politisc he Urteilsfähigkeittheore tisch

Im alltäglichen Leben wird man gebeten seine Meinung in Bezug auf politische Kontexte zu äußern. In Meinungsumfragen und Diskussionen sind Meinungen gefragt, die auf Grund eines persönlichen Urteils entstehen. Expertenmeinun- gen sind genauso gefragt, wenn es um Debatten und Diskurse geht. Durch ihre Einschätzung bestimmter Sachverhalte werden Urteile gefällt und Meinungen gebildet. Wenn man das Wort Urteil auf seinen althochdeutschen Ursprung und seine Bedeutung untersucht, dann ergibt urteili eine Bedeutung im Sinne von erstrecken. Heute impliziert der Begriff Urteil die Vollstreckung eines endgül- tigen Urteils, wie zum Beispiel in einem Prozess (vgl. Klee, 2007: 145). Dem- nach entspricht das historische Verständnis des Urteilsbegriffs der heutigen Auffassung, nämlich der einer gerichtlichen Entscheidung. Die philosophische Auffassung geht davon aus, dass ein Urteil immer aus einer vorangegangenen Erkenntnis hervorgeht. Urteilen impliziert, dass ein logischer Schluss gezogen wurde und dieser entsprechend formuliert wird. Den Auffassungen kann man eine Gemeinsamkeit entnehmen. Ein Urteil drückt Finalität aus, dabei ist es nicht relevant, ob es sich dabei um eine juristische Entscheidung oder eine lo- gische Erkenntnis handelt. Urteile, die impulsiv-emotional geleitet sind, erfah- ren oftmals eine abwertende Haltung. Als Konsequenz wird auf die Rationalität und auf Wissen verwiesen, welches eine außerordentlich wichtige Basis für die Urteilsbildung schafft. In den meisten Fällen sind Urteile sehr gut durchdacht und argumentativ abgesichert, damit es nicht angefochten werden kann. Sind sie jedoch nicht gut durchdacht und nicht argumentativ abgesichert, so erzie- len sie eine negative Wirkung. Im Gegensatz dazu wird eine formulierte Mei- nung als angenehmer empfunden, als das Fällen eines Urteils, da man sie revi- dieren kann, im Gespräch ergänzen und gegebenenfalls erweitern kann.

Politische Urteilsfähigkeit gehört zu der Grundhaltung Politischer Bildung und zielt auf die individuelle Bewertungskompetenz von SuS ab (vgl. Klee, 2007: 142). Diese Fähigkeit beinhaltet eine angemessene Wahrnehmung und Wertung von gesellschaftlicher und politischer Realität durch das Einwirken von Politischer Bildung. Die SuS müssen in der Lage sein politische Debat- ten, Problemformulierungen etc. einordnen und nachvollziehen zu können. Im nächsten Schritt müssen diese in Bezug auf die eigene Person und auf die Gesellschaft hin beurteilen können. Es muss eine „[…] gewissenhafte, nach rationalen Kriterien vollzogene Urteilsfindung […]“ (Klee, 2007:143) nach Sutor stattfinden. Diese basiert auf einer rationalen und moralischen Dimen- sion, die als normative Grundlage der politischen Bildung fungiert (vgl. Sutor, 1971: 271). Durch didaktische Überlegungen muss es eine Möglichkeit geben, die „moralische Dimension des Politischen“ mit der rationalen Dimension zu verbinden, damit der Verstand und auch das Gewissen an der Urteilsbildung beteiligt sind (Sutor, 1971:144). Demnach sollen diese beiden Dimensionen miteinander verbunden werden. So bilden sie ein Mindestmaß an qualitativer Anforderung für eine kompetente Urteilsfähigkeit.

Massing begründet diese Verbindung darin „[…] dass Politik an die Grundwerte menschenwürdigen Handelns gebunden sein muss.“ (Massing, 2003:93) und drückt dies in seinem Grundlagenmodell für politische Urteilsfähigkeit folgen- dermaßen aus: Die Legitimität, Effizienz und Perspektive einer Urteilsbildung sind gerichtet an Politische Akteure, Adressaten einer politischen Entschei- dung und das System (vgl. Klee, 2007:144). Demnach ist die Legitimität einer Entscheidung an menschliches Handeln geknüpft, somit muss ein politisches Urteil ethisch vertretbar sein auch weil es dem Einfluss moralisch-emotionaler Beurteilungen unterliegt.

Nach dem Modell von Sutor werden neben dem Beurteilen auf einer moralisch- ethischen Ebene politisch relevante Prozesse zweckrational auch auf einer Zweck-Ebene bewertet, die eine objektivere Form der Beurteilung bildet. Er bezeichnet diesen Urteilsprozessprozess als „eine theoretische Tradition der Auseinandersetzung“ (vgl. Sutor, 1971: 271). Des Weiteren wird die politische Urteilsbildung nach Massing stark von der persönlichen Perspektive bezie- hungsweise der Positionierung innerhalb der Gesellschaft beeinflusst (vgl. Massing, 2003: 93). Somit resultiert eine subjektive Sichtweise aus individuell geprägten Erfahrungen, die daher eng verknüpft ist mit sozialer Herkunft und der gesellschaftlichen Position. Deswegen hat ein Manager auch einen anderen Blick auf politische Entscheidungen, wie zum Beispiel die Erhöhung des Hartz IV Geldsatzes, als ein Empfänger dieser Leistungen. Darüber hinaus bieten die Ansätze von Massing und Sutor verschiedene inhaltliche und perspektivische Zugangsweisen für die politische Urteilsfähigkeit. Dazu zählt unter anderem die Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Problemstellungen, die den SuS ermöglicht werden müssen, damit politische Urteilsfähigkeit prakti- ziert werden kann.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass eine analysierende und reflek- tierte Haltung im Vorfeld einer Beurteilung maßgebend ist. Dabei müssen politische Ereignisse, Probleme, Kontroversen und Fragen zu wirtschaftli- chen und gesellschaftlichen Entwicklungen unter Sach- und Werteaspekten gewertet und beurteilt werden (vgl. Weißeno, 2007: 122). Dazu gehört auch die Vergegenwärtigung von Sachverhalten und die Fähigkeit relevante von un- relevanten Daten zu unterscheiden um sie schließlich inhaltlich strukturiert wiedergeben zu können. Letztendlich erfolgt ein kompetent gefälltes Urteil auf der Grundlage dieser politischen Analysefähigkeit.

2.5.2. Politische Urteilsfähigkeit praktisch

Zu den schwierigsten Elementen der Politischen Bildung in Bezug auf die Um- setzung und Vermittlung im Unterricht gehört die Politische Urteilsfähigkeit und ist somit „[…] das schwerwiegendste Problem politischer Lehr- und Lern- prozesse überhaupt.“ (Massing, 1997: 122). Schon 1960 wurde die Urteils- bildung als relevant für den Unterricht angesehen und erkannt, dass dies ein wichtiges Element des Politikunterrichts ist. Es muss also ein Angebot entste- hen, das eine Auseinandersetzung mit gesellschafts- politischen Problemstel- lungen ermöglicht, um Urteilsbildung praktizieren zu können. Denn Urteilen bedeutet auch Lernen und zwar auf eine inhaltliche, sinnlich- emotionale und körperliche Art und Weise, was in der Schule realisierbar ist.

Wenn SuS urteilen, dann entspringt dies oft aus einem gewissen Alltagsver- ständnis. Dieses Alltagsverständnis wird schnell abwertend betrachtet, weil es auf eine mangelnde Wissensbasis und unzureichende Reflexion zurückzu- führen ist. Im Vergleich zu Urteilen, die auf wissenschaftlich fundiertem Wis- sen beruhen, werden Urteile der SuS oft als unqualifiziert wahrgenommen. Deswegen muss Schule das Ziel verfolgen, verschiedene Wissensangebote zu machen, sodass sie kompetenter im Umgang mit der Urteilsbildung werden um anschließend qualifiziert urteilen zu können. Unterricht muss den SuS vermit- teln, dass man eine Fähigkeit entwickeln kann, die einem erlaubt, zwischen Rationalität, Emotionalität und vielen anderen Faktoren zu unterscheiden, die einem eine relativierende Grundhaltung ermöglicht.

Reich macht in seinem Vorschlag zum Urteilszyklus 2004 die erkenntnisthe- oretische Perspektive zum Ausgangspunkt für kompetente politische Urteils- bildung. SuS werden als Initiatoren des Aneignungsprozesses gesehen, die mit all ihrer Kreativität und Innovation gefordert werden. Sie strukturieren Lernprozesse inhaltlich nach ihren eigenen Urteilshypothesen anstatt zu- nächst Wissen zu erarbeiten, dass für die Urteilsbildung relevant sein könnte. Im nächsten Schritt werden die eigenen Beurteilungen durch Hilfe der Mit- schüler ergänzt, verbessert oder erweitert und somit bereichert. Durch die fachdidaktische Unterstützung seitens der Lehrkraft wird durch die Phase der Rekonstruktion Wissen geordnet und analysiert. Schließlich wird der gesam- te Erkenntnisstand in einer kritischen Betrachtung in Bezug auf Ergänzung, Auslassung und Vereinfachungen hinterfragt. Diese kritische Betrachtung bietet einen Nährboden für neue Ideen, Vorschläge etc. seitens der SuS, die den Urteilsprozess bereichern (vgl. Reich, 2004: 144). Dieser oben beschrie- bene Urteilszyklus geht aus dem Verständnis hervor, dass Politik immer wieder neue zu lösende Fragen aufwirft, nachdem man eine Entscheidung gefällt hat (vgl. Ackermann, 1994: 33). Außerdem wird die individuelle Urteilskompetenz durch den zyklischen Charakter des Urteilsprozesses stets qualitativ berei- chert, der aus ständigem Kritisieren, Begründen und Enttarnen etc. besteht.

Politische Urteilsfähigkeit kann nach dem Ansatz von Weißeno auch durch eine „spezifische Struktur des Denkens“ in drei Schritten ermöglicht werden (Wei- ßeno, 2007: 122). Diese Schritte beinhalten das Vergegenwärtigen, die Analy- se und das Urteil. Als Grundlage für das Vergegenwärtigen wird eine politische Lesestrategie erwähnt, die grundlegend die SuS befähigt, politisch- fachlich relevante Konzepte zunächst zu erkennen. Dazu gehört auch das Erkennen und Kennen von politischen Strukturen und das Einordnen des Gelesenen in ent- sprechende Kontexte. Es wird betont, dass der Wert eines politischen Urteils von seiner vorangegangen Analyse zu dem Thema abhängt und immer einen normativen Charakter hat.

[...]

Ende der Leseprobe aus 142 Seiten

Details

Titel
Politische Bildung als Herausforderung im Englischunterricht
Untertitel
Schulbuchanalyse zur politischen Bildung im Englischunterricht der Sekundarstufe I allgemeinbildender Realschulen in Nordrhein- Westfalen
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,3
Autoren
Jahr
2009
Seiten
142
Katalognummer
V155904
ISBN (eBook)
9783640694617
ISBN (Buch)
9783640695720
Dateigröße
2365 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politische, Bildung, Herausforderung, Englischunterricht, Schulbuchanalyse, Bildung, Englischunterricht, Sekundarstufe, Realschulen, Nordrhein-, Westfalen
Arbeit zitieren
Nadine Cosentino (Autor:in)Natalie Cosentino (Autor:in), 2009, Politische Bildung als Herausforderung im Englischunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155904

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