„LUTHER“: Ein Film von Eric Till (2003) und sein Bild von Luther


Examensarbeit, 2008

75 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Allgemein: Geschichte im Film
1.2 Einfluss von historischen Filmen auf das Geschichtsbewusstsein
1.3 Welcher Gattung ist „LUTHER“ zuzuordnen?
1.4 Künstlerischer Eigenwert vs. Historizität

2. „LUTHER“
2.1 Kurz: Der Inhalt
2.2 Einseitig oder verzerrt dargestellte Elemente
2.2.1 Das Gewittererlebnis bei Stotternheim
2.2.2 Die Romreise
2.2.3 Der Reichstag zu Worms
2.2.4 Der Bauernkrieg
2.2.5 Die Ehe mit Katharina von Bora
2.2.6 Der Reichstag von Augsburg
2.2.7 Das Bild der katholischen Kirche
2.3 Fiktive Elemente
2.3.1 Das Begräbnis des Selbstmörders
2.3.2 Die arme Hanna mit ihrer verkrüppelten Tochter Grete
2.3.3 Luther überreicht Friedrich von Sachsen die Übersetzung des Neuen Testaments
2.4 Kontroverse Elemente
2.4.1 Der Thesenanschlag
2.5 Exkurs: Friedrich der Weise
2.6 Fehlende Elemente
2.6.1 Theologische Inhalte
2.6.2 Politische Inhalte
2.6.3 Die Kehrseite Luthers
2.7 Filmsprachliche Elemente:
2.7.1 Die Darsteller
2.7.2 Schnitt, Kameraführung, Licht, Kostüme und Musik
2.7.3 Die Örtlichkeiten

3. Rezeptionsgeschichte des Filmes
3.1 Rezensionen aus der Fachdidaktik: „LUTHER“ im Unterricht?
3.2 Evangelische Kirchenblätter: „LUTHER“ als angemessene Würdigung des Reformators?
3.3 Die Katholische Seite: Verunglimpfung des katholischen Klerus in „LUTHER“
3.4 Die Historische Fachwissenschaft: „LUTHER“: hagiographisch und verfälscht?
3.5 Tageszeitungen / Zeitschriften: „LUTHER“ - ein gelungener Spielfilm?

4. Martin Luther in der Geschichte und in anderen Filmen
4.1 Instrumentalisierung Luthers in der Geschichte
4.2 Frühere Lutherfilme und ihre Lutherbilder

5. Fazit
5.1 Einordnung des Films
5.2 Das Lutherbild in „LUTHER“
5.3 Einbettung in Zielsetzung von „LUTHER“
5.4 Eventuelle Parallelen oder Neues in „LUTHER“

6. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Allgemein: Geschichte im Film

„Außer Thesen nichts gewesen.“[1], so kommentierte DIE WELT den unter der Regie Eric Tills[2] entstandenen historischen Spielfilm „LUTHER“[3] aus dem Jahre 2003, wobei hier auf die Reduktion der Filmhandlung auf Martin Luthers 95 Thesen und somit die Aussparung relevanter Aspekte der Reformation angespielt wird. Statt einer umfassenden Darstellung sieht der Autor des Artikels in Tills Film mehr eine pro-protestantische Darstellung des Reformators.

Gegenstand dieser Arbeit soll demnach die Untersuchung des im oben genannten Film erzeugten Lutherbildes sein.

Eine umfassende Analyse verlangt dazu zunächst nach einer Konsultation der Fachwissenschaft zu ihrem Lutherbild, welches auf seine Übereinstimmung mit der im Film vermittelten Hauptaussage untersucht werden soll.

Vorweg ist auf die Behandlung historischer Sachverhalte im Medium Film einzugehen, wobei zu fragen ist, welcher Art historischen Films „LUTHER“ zuzuordnen ist und inwiefern er als historischer Film mit Dokumentarfunktion oder als bloßen Spielfilm einzustufen ist.

In der Literatur wurden hierzu zahlreiche Differenzierungen von Filmproduktionen vorgenommen.

So haben sich etwa Bodo von Borries[4], Helmut Korte[5], Gerhard Schneider[6] oder Joachim Paschen[7] mit der Nutzung des Mediums Film im Zusammenhang mit historischen Themen auseinandergesetzt. Von Borries unterscheidet zwischen Dokumentationen, welche sich in historische Film- und Bilddokumente, historische Kompilationsfilme, geschichtliche Filmfeatures und historische Spiel-Dokumentationen gliedern. Den Dokumentationen stellt er die Spielfilme gegenüber, welche sich in historisierende Abenteuerfilme, historische Rühr- und Ausstattungsfilme, historische Problem- und Gesellschaftsfilme und geschichtliche Dokumentarfilme aufteilen.

Was einen Film nun explizit zu einem Kompilationsfilm oder einem Abenteuerfilm macht, soll hier nicht detailliert ausgeführt werden. Zu betonen ist allerdings, dass diese Klassifikation nach Borries nicht uneingeschränkt gelten kann und die meisten Filmproduktionen Elemente verschiedener Kategorien in sich vereinen.

1.2 Einfluss von historischen Filmen auf das Geschichtsbewusstsein

Weiterhin ist auf die besondere Wirkung und Eindringlichkeit des Mediums Film im Gegensatz zu anderen mit historischen Inhalten arbeitenden Medien einzugehen. So gewannen derartige Filmproduktionen mit den sich stetig verbessernden technischen Instrumentarien in den letzten Jahren zunehmend an Popularität und nehmen dementsprechend auch immer entscheidenderen Einfluss auf die Qualität des Geschichtsbewusstseins des Publikums. Als Erklärung für die wachsende Beliebtheit von historischen Filmen ist vor allem die vom Zuschauer empfundene Realitätsnähe, kombiniert mit einer spannenden Inszenierung zu nennen.[8] Mehr als jedes Geschichtsbuch erreicht der gut inszenierte historische Film den Zuschauer auf der affektiven Ebene und kann so eine Öffnung gegenüber der Materie bewirken.[9]

Jenes an sich positiv zu verortende Interesse an der Vergangenheit der eigenen Kultur darf allerdings nicht über mögliche Kehrseiten hinwegtäuschen: So ist beim Konsum historischer Produktionen stets zu beachten, dass es sich nie um objektive Darstellungen handeln kann und das Gesehene dementsprechend nicht als die anschauliche Alternative zum Geschichtsbuch einordnet werden darf, sondern sich immer der Einseitigkeit und dem Streben nach Unterhaltung bewusst gemacht werden muss.[10] Dementsprechend führt Borries in seinem Aufsatz einige Filmproduktionen an, in welchen von der Wissenschaft als relevant eingestufte historische Inhalte aufgrund mangelnder Publikumsanziehung oder organisatorischem Aufwand gestrichen worden, was dann unweigerlich zu realitätsfernen Produkten geführt hat.[11] Und so kann sich der eigentliche Vorteil des Mediums Film – der durch die Bildhaftigkeit und Anschaulichkeit erleichterte Zugang zur Thematik – genauso zum Nachteil wandeln. Denn gleichgültig, ob die Inhalte authentisch oder stark vereinfacht sind, ist der Zuschauer beim Konsum von Filmen gefährdet, das von realen Personen dargestellte Szenario als Tatbestand anzunehmen.[12] Demnach dürfen historische Filme nicht lediglich isoliert präsentiert werden, sondern muss genauso der kritische und reflektierte Umgang mit dem Material geübt werden.[13] Dies gilt insbesondere für Geschichtslehrer, die sich mittlerweile nach den Biologie- und Geographielehrern am häufigsten des Mediums Film bedienen, und es somit zu einem allseits gebilligten Anschauungsmittel im Unterricht haben werden lassen.[14] Infolgedessen ist zu festzustellen, dass Geschichtslehrer einerseits den von Filmen ausgehenden Gefahren – nämlich durch Vereinfachungen oder Verdrehungen von Tatsachen für das Geschichtsbewusstsein fatale Trugschlüsse – gezielt entgegenwirken müssen, sich aber andererseits auch nicht durch die genannten Unzulänglichkeiten ganz dem Medium Film verschließen sollten,[15] da es in seiner Anschaulichkeit und Lebendigkeit andere Medien eben leicht übertrumpft.[16]

Besagten Gefahren kann anhand der Vermittlung der so genannten Medienkompetenz entgegengewirkt werden, welche die Fähigkeit beinhaltet, Filme sowohl auf ihre historische Authentizität[17] als auch auf die jeweilig verwandten filmischen Mittel und die intendierte Wirkung zu untersuchen.[18]

1.3 Welcher Gattung ist „LUTHER“ zuzuordnen?

Im Fall von „LUTHER“ ist demnach zu konstatieren, dass es sich um einen historischen Spielfilm, welcher sich historischer Fakten bedient, nicht aber dokumentarischen Ansprüchen genügen kann[19] und wie später noch auszuführen ist, auch nicht will. Weiterhin könnte man „LUTHER“ zwischen Borries' Gattungen „Historisierender Abenteuerfilm“, welcher durch den Fokus auf Abenteurer- oder Heldengestalten zu erkennen ist, und „Rühr- und Ausstattungsfilm“, welcher zu meist eine große historische Figur zum Mittelpunkt hat, mit der sich der Zuschauer zu identifizieren hat,[20] einordnen.

Dabei ist anzumerken, dass die Aussagekraft von „LUTHER“, weil er formal ein auf Fiktion basierender Spielfilm ist, dennoch nicht zu unterschätzen ist. Zwar vermag er es eventuell nicht, die geschichtlichen Inhalte wissenschaftlich und authentisch zu vermitteln und wie oben angesprochen objektiv zu sein, gibt er aber immer Auskunft über die ihn produzierende Gegenwart. Deswegen ist letztlich jeder Spielfilm nicht immer als zuverlässige Quelle über die Vergangenheit aber definitiv als Zeugnis über die ihn produzierende Generation zu betrachten.[21] Joachim Paschen führt hier als Beispiele die in den zwanziger und dreißiger Jahren produzierten italienischen Filme über das Römische Imperium an. So erfährt der Zuschauer hier mehr über das damalige Eroberungsstreben des faschistischen Italiens als über Nero oder die Punischen Kriege. Genauso verhält es sich mit den in den dreißiger Jahren entstandenen Filmen über Bismarck oder Friedrich II.: Mehr denn die preußische Vormacht wirkte sich hier der Wunsch der Nationalsozialisten nach Machterweiterung auf die Filmgestaltung aus.[22]

Für diese Arbeit ergibt sich hieraus, dass fiktive Elemente, Aussparungen oder Verfälschungen im Folgenden erst erkannt und dann auf ihre Intention und Wirkung untersucht werden müssen.

1.4 Künstlerischer Eigenwert vs. Historizität

Neben jener Skepsis gegenüber in Filmen präsentierten Inhalten darf auch der künstlerische Eigenwert eines Films nicht vernachlässigt werden. Demnach ist ein historischer Film nicht als wertlos zu erachten, weil er fiktive Elemente beinhaltet oder historische Ereignisse einseitig präsentiert. Hier ist zu fragen, ob es überhaupt die Intention des Films ist, die historischen Ereignisse korrekt abzubilden oder ob primär ein auf Unterhaltung zielendes Produkt erschaffen werden soll. Handelt es sich um einen Spielfilm, müssen entsprechende Maßstäbe bei der Untersuchung angelegt werden und Abweichungen vom Forschungsstand auf ihren Hintergrund überprüft werden.

Im Fall vom Spielfilm „LUTHER“ ist daher zu untersuchen, inwieweit die Vermengung von Fakten und Fiktion problematisch werden und zur problematischen Interpretationen beitragen kann.

Dem gegenüberzustellen ist der von der Forschung unabhängige künstlerische Wert des Films, welcher sich durch eine ansprechende und fesselnde Inszenierung definiert.

Demzufolge muss nach einer knappen Inhaltsangabe zunächst die Überprüfung der Historizität durchgeführt werden. Hierbei sind etwa signifikante Szenen wie die des Thesenanschlags oder des Reichstags zu Worms zu betrachten. Genauso muss in diesem Zusammenhang fiktiven Elementen wie Luthers Begräbnis des Selbstmörders nachgegangen werden. Zu differenzieren ist hierbei zwischen gänzlich fiktiven Elementen, im Film einseitig oder verzerrt dargestellten Ereignissen und ausgesparten Episoden. Mithilfe jener unter Zuhilfenahme der Biographien von Thomas Kaufmann[23], Volker Leppin[24] und Horst Herrmann[25] festgestellten Differenzen zwischen Film und fachwissenschaftlichen Ergebnissen soll so ein Teil des gezeichneten Lutherbildes erfasst und auf sich eventuell ergebende Probleme untersucht werden.

Ferner wird ein knapper Exkurs zur Darstellung Friedrichs des Weisen vorgenommen, der in der Rezeption vielfach als eigentlicher Protagonist des Films beschrieben wird und daher als relevant einzustufen ist.

Neben der inhaltlichen Dimension wirkt ebenso die filmsprachliche Darstellung auf das erzeugte Lutherbild ein, weswegen auch die benutzten technischen Instrumentarien untersucht werden. So soll herausgearbeitet werden, welche filmischen Mittel wie Kameraführung, Schnitt, Licht, Musik oder Farben in welcher Form herangezogen wurden. Auch Aspekte wie die Darstellerwahl und die Örtlichkeiten schlagen sich auf das Lutherbild nieder und werden entsprechend beleuchtet.

In diesem Zusammenhang ist ebenso die Rezeptionsgeschichte zu berücksichtigen, da sich Stimmen aus der Fachwissenschaft, der Geschichtsdidaktik und auch der Presse mannigfaltig geäußert haben und wiederum Rückschlüsse auf das weitgefächerte Spektrum der an „LUTHER“ gestellten Ansprüche zulassen. Dazu werden unter anderem ein von Herbert Heinzelmann verfasstes Filmheft der Bundeszentrale für politische Bildung[26], das Presseheft der Produktionsfirma NFP- teleart[27] und Rezensionen aus verschiedenen Zeitungen herangeführt.

Weiterhin sind die in der Geschichte zahlreich vorhandenen Lutherbilder zu berücksichtigen. So wurde sich seiner in der Politik, in der Literatur und auch in einigen Filmen bedient und das Lutherbild hierbei nach Bedarf modifiziert.

Schließlich soll das im Film erzeugte Lutherbild charakterisiert werden. Hierbei ist zu fragen, inwieweit es den fachwissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht, welche Züge Luthers dem Zuschauer als dominant präsentiert werden und welche Hintergründe eventuelle Verzerrungen oder Aussparungen haben mögen. Auch sind mögliche Effekte auf das Publikum – ob im Kinosaal oder Klassenraum – zu untersuchen: Strebt der Film mehr kurzweilige Unterhaltung oder doch eine möglichst objektive und umfassende Darstellung der Vita Luthers an?

Zuletzt soll das in „LUTHER“ erzeugte Lutherbild mit jenen oben beschriebenen historischen Lutherbildern in Relation gesetzt werden, um eventuelle Stereotypen oder Wandlungen registrieren zu können.

Die Arbeit bezieht sich hier unter anderem auf Aufsätze von Horst Beintker[28], Werner Löser[29] oder Esther Pia Wipfler[30].

2. „LUTHER“

2.1 Kurz: Der Inhalt

Der Film setzt mit Luthers Gewittererlebnis ein. Hieraufhin schwört er, Gottes Werk zu studieren, sollte er das Unwetter überleben und tritt sodann in das Erfurter Kloster ein. Wiederholt werden dort Luthers Zweifel an Gott in Szene gesetzt, welche er durch eine von seinem geistlichen Vater Staupitz initiierte Romreise überwinden soll. Luther wird allerdings eben dort mit sämtlichen Missständen der katholischen Kirche konfrontiert und präsentiert sich enttäuscht und verunsichert.

In seinem Glauben noch stärker erschüttert kehrt Luther in das Erfurter Kloster zurück. Als Student der Theologie in Wittenberg erregt Luther dort bald Aufsehen, indem er einen Selbstmörder auf einem christlichen Friedhof bestattet, inbrünstig über die Gnade Gottes predigt und dann als Doktor der Theologie in seinen Vorlesungen die Ablasspraxis und den Reliquienkult verspottet. Ferner lernt er die arme Hanna mit ihrer verkrüppelten Tochter Grete kennen, welche im weiteren Verlauf des Films immer wieder auftreten.

Als Luther nun vom Petersablass erfährt, verfasst er seine 95 Thesen und schlägt selbige an die Tür der Wittenberger Kirche. Hierauf wird Luther sodann nach Augsburg zitiert und ihm die Exkommunikation angedroht. Im Gespräch mit Kardinal Cajetan weicht Luther nicht, wie ihm kurz zuvor geheißen, von seinem Standpunkt ab, sondern greift die Erhabenheit und Unfehlbarkeit des Papstes an. Dies hat zur Folge, dass Rom ihn nun als ernstzunehmendes Problem einstuft.

Im Folgenden verbietet Leo die Schriften Luthers und droht ihm den Bann an. Luther, nun zunehmend kämpferisch auftretend, verbrennt mit seinen Anhängern, zu denen auch sein ehemaliger Dozent Karlstadt zählt, jene Bannandrohungsbulle und bekennt sich jetzt unverhohlen zu seiner Missbilligung des Papstes. Friedrich von Sachsen, dessen Sympathie zu dem Mönch offensichtlich ist, erwirkt beim Kaiser Karl, dass Luther seine nächste Anhörung nicht in Rom, sondern Worms bekommt und ihm ferner sicheres Geleit zugesichert wird.

Auf dem Reichstag zu Worms soll Luther sich dann zu seinen Schriften bekennen. Auch nach einem Tag Bedenkzeit weigert sich Luther zu widerrufen, solange ihm nicht mithilfe der Schrift Gottes das Gegenteil bewiesen werden könne. Um sich des Problems Luther schnell zu entledigen, ordnet Kardinal Aleander im Anschluss an den Reichstag die Beseitigung Luthers auf dem Rückweg von Worms an. Friedrich von Sachsen kommt den von Aleander bestellten Häschern zuvor und lässt Luther auf die Wartburg entführen. Hier verwendet jener nun sämtliche Energie auf die Übersetzung der Bibel ins Deutsche.

In Wittenberg übernimmt indes Karlstadt die Führung der Reformbewegung und lässt radikale Tendenzen erkennen.

Der sich nun ausbreitende Bauernkrieg wird knapp als brutale Schlacht der Reformer unter Karlstadt gegen die katholische Kirche präsentiert. Luther zeigt sich von den Entwicklungen schockiert und distanziert sich öffentlich von der radikalen Bewegung. Unmittelbar danach begegnet Luther seiner zukünftigen Frau, der ehemaligen Nonne Katharina von Bora. Ohne weitere Überleitung kommt es zum ersten persönlichen Aufeinandertreffen von Luther und Friedrich von Sachsen. Als ein Geschenk überreicht Luther dem Kurfürsten seine Bibelübersetzung.

Auf dem Reichstag zu Augsburg widersetzen sich die Kurfürsten, der Forderung des Kaisers, alle Priester, welche die neue Lehre predigen, abzusetzen. Melanchthon verliest schließlich die Confessio Augustana.

Im Abspann wird der Verlauf der weiteren Lebensjahre Luthers umrissen und noch einmal seine enorme Bedeutung für die protestantische Kirche und die deutsche Sprache betont.

2.2 Einseitig oder verzerrt dargestellte Elemente

Im Folgenden werden nun einige Schlüsselszenen vorgestellt, durch welche das entstehende Lutherbild besonders geprägt wird und die darum gegenüber anderen Szenen vorgezogen wurden, welche für die Fragestellung weniger relevant erachtet wurden. Konzentriert wurde sich somit auf Verzerrungen oder Aussparungen, welche frappierend mit dem Lutherbild der Forschung kollidieren und so eventuell als fragwürdig zu erwachten sind.

Zu differenzieren ist bei der Szenenauswahl zunächst zwischen verschiedenen Kategorien: Einmal sind die verzerrt oder einseitig präsentierten Hergänge wie der Reichstag zu Augsburg zu beleuchten, dann ist auf die frei erfundenen Episoden wie das Begräbnis des Selbstmörders und die Kontroverse des Thesenanschlags einzugehen, um nach einem Exkurs zu Friedrich dem Weisen schließlich die vollständig ausgesparten Aspekte zu identifizieren.

2.2.1 Das Gewittererlebnis bei Stotternheim

Die Gewitterszene, welche auch gleichzeitig die Anfangsszene des Films ist, zeigt Luther hetzend auf einem schlammigen Feldweg in einem Gewitter. Er ist aufgelöst vor Angst und verspricht Gott verzweifelt, sein Werk zu studieren, falls jener ihn das Unwetter überleben lasse.

Diese Szene geht mit den Forschungsergebnissen konform. Nach Kaufmann ist Luther im Jahr 1505 tatsächlich von einem Blitzschlag in der Nähe des Dorfs Stotterndorfs verschreckt und zu seinem Gelübde „Hilff du, S. Anna, ich will ein monch werden.“ (Watr 4; 440, 9f) motiviert worden. Anzumerken sei allerdings, dass dem Gewitter nicht die alles entscheidende Rolle zugesprochen werden dürfe. Zu berücksichtigen ist auch Martin Luthers damalige persönliche Situation: Das begonnene Jurastudium, welches wohl eher den Wünschen seines Vaters denn seinen eigenen entsprach, und eine vom Vater geplante Heirat waren Aspekte, die ebenfalls Einfluss auf seine Zuwendung zum Mönchsdasein genommen hätten. Auch die zu jener Zeit in Erfurt ausbrechende Pest mag Luther inspiriert haben, sich mit dem Sinn des Lebens und der Heilsfrage zu befassen und die Antworten in der Bibel zu suchen.[31]

Die Entscheidung Luthers für ein Leben als Mönch auf die im Gewitter empfundene Todesangst zu reduzieren, dürfte in erster Linie mit dramaturgischen Gründen zu erklären sein. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben, ein ungeliebtes Studium, die Aussicht auf eine unerwünschte Eheschließung oder gar eine kursierende Pest sind einmal schwer kompakt und anschaulich darzustellen und verkomplizieren ferner die Handlung, was so zu Desinteresse und Überforderung auf Seiten des Zuschauers führen könnte. Demnach ist es fraglich, ob eine akkurate Wiedergabe der Einflüsse der Qualität des Films zuträglich gewesen wäre und ob sie sich auf die Aussage des Films verändernd ausgewirkt hätte. Bezüglich der Darstellung Luthers ist allerdings zu betonen, dass dem Zuschauer bereits in diesen ersten Minuten des Films die ausgeprägte Gottesfurcht Luthers vor Augen geführt wird.

2.2.2 Die Romreise

Luther wird von seinem geistlichen Vater Staupitz nach Rom geschickt, um dort seine Zweifel an Gott überwinden zu können. In Rom angekommen wird der Mönch allerdings mit zahlreichen Missständen des katholischen Klerus konfrontiert. So beobachtet er Mönche zusammen mit Prostituierten, den kommerzialisierten Handel mit Heiligenfiguren, die pompöse Selbstinszenierung des Papstes Julius, der in einer goldenen Ritterrüstung durch Rom reitet oder die ruppigen Mönche, welche ihm nur einen Moment vor der Reliquie, dem Schädel Johannes' des Täufers, gewähren, um ihn dann unsanft wegzuzerren.

Die folgende Szene wird dem Zuschauer sodann als ein Wendepunkt in Luthers Denken präsentiert: Vor dem Vatikan kauft Luther für seinen Großvater Heinrich Luther einen Ablassbrief, um ihn aus dem Fegefeuer zu erlösen. Wie befohlen steigt er die Stufen zum Vatikan hoch und betet auf jeder Stufe ein Vaterunser, wobei er von zahllosen anderen Gläubigen umgeben ist. Oben angekommen betrachtet er die gläubige Menschenmenge und den unterhalb der Treppe wie eine Massenabfertigung präsentierten Ablassverkauf. An dieser Stelle scheint er sich seiner Verachtung des Ablasshandels bewusst zu werden und zerknüllt seinen Ablassbrief.

Volker Leppin stellt den Hergang von Luthers Romreise etwas anders dar: So war es nicht Johannes von Staupitz, der Luther nach Rom schickte, sondern Johannes Natin, der damalige Leiter des Studiums der Augustiner im Erfurter Kloster. Natin hat Luther gesandt, um in Rom gegen die von Staupitz erdachten Pläne der Zusammenführung der sächsischen und thüringischen Ordenszweige zu protestieren, da man um seine Autorität und die Erhaltung der eigenen Ordensregeln fürchtete.[32]

Dieser Konflikt soll hier nicht weiter behandelt werden, allerdings wird deutlich, dass der auf der Seite Natins stehende Luther nicht in Staupitz' Angelegenheiten nach Rom aufgebrochen war, sondern vielmehr, um dessen Plänen zu widersprechen.

Luther, der im Übrigen mit einem Mitbruder nach Rom gereist war, ist dann tatsächlich mit dem lasterhaften Klerus konfrontiert worden, hat mittelalterlich fromm die Reliquien besichtigt und ist die Treppe vor dem Vatikan betend Stufe für Stufe hochgekrochen, um seinen Großvater aus dem Fegefeuer zu befreien.[33] Nicht als zutreffend zu bezeichnen, ist nach Leppin allerdings die im Film dargestellte Verstörtheit und Bestürzung Luthers. So war es damals allgemein bekannt, dass in Rom mehr Untugend herrschte als anderswo und der Klerus hieran maßgeblich beteiligt war. Schon in Bocaccios Decamerone wurde von einem aus Rom zurückkehrenden Juden erzählt, der sodann zum Christentum konvertiert, weil eine Religion, deren Führer so viel Sünden begingen und die dennoch so populär sei, wahrhaft heilig sein müsse. Daher wird Luther von den in Rom gewonnenen Eindrücken eher irritiert denn geschockt gewesen sein[34] und hat sich das im Film auf der Treppe vor dem Vatikan als Schlüsselerlebnis präsentierte Zerknüllen des Ablassbriefes somit nicht abgespielt.

Auch an dieser Stelle ist abermals zu fragen, wie sich eine akkurate Wiedergabe der Ereignisse ausgewirkt hätte. Ein Martin Luther, der durch das sündhafte Rom läuft, die ihm von seinem Orden aufgetragene Angelegenheit erledigt, die Reliquien besichtigt, einen Ablassbrief erwirbt, um dann wieder nach Erfurt zurückzureisen, wäre dem Publikum womöglich langweilig erschienen. Ferner ist anzumerken, dass Luthers entstehende Abneigung gegen Rom durchaus authentisch ist, sich aber eben nicht wie im Film in einer Szene – auf den Stufen vor dem Vatikan – entlädt, sondern Produkt einer langen Entwicklung ist, welche filmisch nur schwer in Szene zu setzen ist.

Die Entscheidung, Luther von den Zuständen Roms bestürzt zu zeigen und ihn entrüstet einen Ablassbrief zerknüllen zu lassen, hat sowohl auf die Dramaturgie des Films als auch auf die Darstellung seiner Persönlichkeit erheblichen Einfluss. So verschafft sie dem Film einen anschaulichen Wendepunkt, an welchem aus dem unsicheren und verzweifelten Luther der verstehende und zuversichtliche Reformator wird.

2.2.3 Der Reichstag zu Worms

In Worms wird der nervöse Luther von einer begeisterten Menschenmenge empfangen. Der ebenfalls anwesende und besorgte Staupitz versucht vergeblich, Luther davon zu überzeugen, sich im anstehenden Verhör zu beugen und von seinen Schriften zu distanzieren.

Der Reichstag wird als Versammlung prunkvoll gekleideter Männer präsentiert. Der Kaiser, Kardinal Aleander, Friedrich der Weise, weitere ranghohe Persönlichkeiten und auch viele Zuschauer sind zugegen. Luther steht in der Mitte des Raumes, vor ihm seine Schriften „Die 95 Thesen“, „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“, „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ und „An den Christlichen Adel deutscher Nationen“. Nachdem Luther zugegeben hat, die Schriften verfasst zu haben, fragt ihn der Vorsitzende des Verhörs, ob er die ketzerischen Schriften widerrufe. Der Vorsitzende ist in diesem Fall Johannes Eck, was der Zuschauer allerdings nur erfahren kann, indem er den Abspann liest und hier den Charakter Johannes Eck findet, da der Vorsitzende nicht namentlich angesprochen wird.

Auf die Frage nach dem Widerruf windet Luther sich und erbittet sich Bedenkzeit, die ihm der bis dahin schweigende Kardinal Aleander dann gewährt. Am nächsten Tag bekommt er wiederum die Frage gestellt, ob er der Verfasser der Schriften sei und sie widerrufen wolle. Nun antwortet Luther überzeugter und selbstbewusster als am Vortag, dass er seine Schriften nicht einfach widerrufen könne, weil sie sich voneinander unterschieden. Er erläutert ausführlich, welche Intentionen die verschiedenen Schriften haben. In der nun von Aleander ungnädig geforderten Antwort, erklärt Luther nur seinem Gewissen und der Heiligen Schrift verpflichtet zu sein, was es ihm unmöglich mache, seine Schriften zu widerrufen. Er endet seine Antwort mit dem Ausspruch „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir.“

Der Verlauf des Reichstags wird in der Forschung partiell vom Film abweichend geschildert.

Die erste Differenz stellt die Anwesenheit Staupitz' dar: Er war nie in Worms, um Luther persönlich ins Gewissen zu reden. Die Unterhaltung vor dem Verhör wurde von den Drehbuchschreibern frei erdacht und basiert auf Briefen, die jener Luther geschickt hatte.[35]

Der erste Tag des Verhörs selbst stimmt nach Leppin mit den Tatsachen überein. So ging es dem Reichstag tatsächlich nur um die Beantwortung zweier Fragen: Hat Martin Luther die für ketzerisch befundenen Schriften geschrieben? Ist er bereit, sie zu widerrufen? Die erste Frage hat Luther ohne zu zögern mit ja beantwortet, während er sich bei der zweiten, wie im Film, zierte und um Bedenkzeit bat. Leppin zitiert als mögliche Erklärung für das Verhalten Luthers Martin Brecht. Dieser führt Luthers Überrumpelung und Überforderung mit der Situation an: Hatte er im Verhör zweieinhalb Jahre Kardinal Cajetan zu einer inhaltlichen Diskussion bewegen können, sollte nun in keiner Weise auf Sachfragen, sondern nur auf die zwei oben genannten eingegangen werden. So wird Luthers Erkenntnis, dass er niemanden argumentativ hätte überzeugen können und ausschließlich durch das Dementi seines gesamten Werkes unbeschadet aus dem Verhör hätte gehen können, der Grund für seine Bitte nach Bedenkzeit sein. Jene wurde in der Realität im Übrigen erst nach einer Unterbrechung der Sitzung gewährt. Am nächsten Tag reagierte er dann überlegter: Wie am Vortag gab er freimütig zu, der Autor der vor ihm liegenden Schriften zu sein. Bei der Beantwortung der zweiten Frage nach dem Widerruf behielt er es sich allerdings vor, die Frage direkt zu beantworten und zunächst die im Film aufgegriffene Dreiteilung seines Werks in erstens Beschreibungen des christlichen Glaubens, zweitens die entschiedene Kritik am Papsttum und drittens die Missbilligung einzelner Mitläufer des Papstes vorzunehmen. Anders als im Film hat in der Realität nicht Kardinal Aleander, sondern der Sprecher des Reichstags Johann von Eck das Wort ergriffen und Luther aufgefordert, sich nun endlich zur Sache selbst zu äußern. Luthers Antwort hierauf ist dann gewesen, dass er, solange er nicht durch die Heilige Schrift eines besseren belehrt werden könne, nur seinem Gewissen gehorchen müsse und definitiv nicht widerrufen könne. Er beendete das Bekenntnis dann mit den Worten „Gott helfe mir. Amen.“.[36] Den Forschungsergebnissen nach, beruhen somit die im Film verwandten Worte „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ nicht auf Tatsachen, obgleich sie Luthers Sicht der Dinge nicht widersprechen. Leppin merkt hierzu an, dass die Aussage „Gott helfe mir. Amen.“ sich harmonischer in Luthers theologisches Verständnis einfüge als „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ Während das erste Schlusswort Gott gewidmet ist, stelle Luther sich in der zweiten Variante selbst in den Vordergrund, was seinem vorherigen Verhalten nicht wirklich entspräche.[37]

Dennoch ist festzuhalten, dass der Film sich bezüglich des inhaltlichen Ablaufes an die Forschungsergebnisse über den Wormser Reichstag gehalten hat. Die Entscheidung, nach jenem Bekenntnis den Satz „Gott helfe mir.“ hinzuzufügen, könnte als Bemühung um Authentizität gedeutet werden, wird hier schließlich deutlich, dass die Produzenten sich durchaus von Historikern haben beraten lassen. Dass den Erwartungen des Publikums aber noch mehr entsprochen werden sollte, wird durch das eben nicht belegte, vom Zuschauer nichtsdestotrotz erwartete„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ offenbar.

Die Frage, ob die tatsächlich geäußerte Antwort „Gott helfe mir. Amen.“ den Zuschauer ebenso befriedigt hätte wie das berühmte „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“, ist wohl zu verneinen, womit diese historische Ungenauigkeit als Zugeständnis an den mit Spannung erfüllten Zuschauer, der auf diesen ihm bekannten Satz spekuliert, zu interpretieren ist. Inhaltlich ist die im Film getätigte Aussage auch durchaus zutreffend, weswegen die Aussage des Films an dieser Stelle durch eine authentische Wiedergabe kaum verändert würde.

Bezüglich des Reichstags zu Worms sei ferner anzumerken, dass Luther tatsächlich über seine geplante Entführung informiert war und nicht, wie im Film dargestellt, um sein Leben gefürchtet hat. Auch diese Abweichung von der Forschung verschafft dem Film eine spannende Szene, geht der Zuschauer doch bis zu Luthers Ankunft auf der Wartburg davon aus, dass jener sich in der Gewalt der von Leander bestellten Häscher befinde.[38]

2.2.4 Der Bauernkrieg

Der Bauernkrieg nimmt im Film eine untergeordnete Rolle ein und geht nur über einige Minuten. Ohne vorherige Erklärung werden hier Bauern gezeigt, die Kirchen stürmen und zerstören und katholische Geistliche angreifen.

Georg Spalatin sucht Luther zum wiederholten Mal in seinem Versteck auf der Wartburg auf, hat er aber nun das Ziel, seinem Freund die Unruhen zu zeigen. Luther verlässt die Burg dann als Junker Jörg und erfährt, dass man ihm die Schuld an dem Blutvergießen gibt. Gänzlich entrüstet reitet er zu einer gerade von Karlstadt und seinen Anhängern in Feuer gesetzten Kirche, greift sich eine Fackel und greift die Aufrührer wütend an. Zornig bricht er mit Karlstadt und distanziert sich entschieden von dessen Taten. Die umstehenden Aufrührer zeigen sich betreten, während Karlstadt fluchend und scheinbar von seinen Anhängern im Stich gelassen, die Kulisse verlässt.

Im Folgenden betrachtet Luther die Leichenberge und klagt über seine Schuld an dem Blutvergießen. Er wirft sich vor, den Fürsten gegenüber geäußert zu haben, dass die bäuerlichen Aufrührer aufgehalten werden müssen und das Massaker somit ausgelöst habe.

In einer zerstörten Kirche entdeckt er schließlich die tote Grete, die verkrüppelte Tochter von Hanna.

Bezüglich des Hergangs der Bauernunruhen weicht die Fachliteratur vom im Film präsentierten Hergang ab. Zuerst ist anzuführen, dass Spalatin, Luthers Freund und Hofprediger und Vertrauter Friedrich des Weisen,[39] Luther nie auf der Wartburg besucht und sämtlicher Austausch über Briefe stattgefunden hat, welchen die Produktion der Anschaulichkeit wegen, ähnlich wie im oben genannten Gespräch mit Staupitz, zur leibhaftigen Begegnung uminterpretierte.[40]

Ferner ist entschieden zwischen den Wittenberger Unruhen und dem Bauernkrieg zu differenzieren. Während im Film der Eindruck entsteht, es handele sich hier um einen Vorgang, unterscheidet die Forschung zwischen den zwei in ihren Ursachen verschiedenen Ereignissen.[41]

Um mit den Wittenberger Unruhen zu beginnen, ist anzuführen, dass mit der Abwesenheit Luthers in Wittenberg auch eine Verselbstständigung seiner Schriften stattgefunden, bei welcher Karlstadt eine tragende Rolle innehatte. Zwar hatte es sich jener zur Aufgabe gemacht, den Kampf Luthers weiterzuführen, beschritt er dabei jedoch neue Pfade.[42] So sind die Texte Luthers uminterpretiert worden und dienten etwa als Rechtfertigung der radikalen Umgestaltung des Gottesdienstes.[43] Man war entschlossen, nun, da Luther den Papst eindeutig als den Antichrist identifiziert hatte[44], gegen alles mit dem Papst in Verbindung stehende zu bekämpfen.[45]

Die Bewertung der Unruhen Luthers ist allerdings nicht so erschüttert notiert, wie der Film es vermittelt. So schrieb er Spalatin, dass ihm die ihm zugetragenen Begebenheiten durchaus gefielen. Laut Leppin mag Luther sich mit jener positiven Beurteilung wohl alleinig auf die Störung des katholischen Gottesdienstes bezogen haben, da er sich noch im selben Brief und auch in weiteren Schriften gegen jeglichen Aufruhr aussprach. Weiterhin fehlte ihm durch seine Abwesenheit auch der Überblick über das Ausmaß des Aufruhrs.[46]

In Übereinstimmung zum Film war Luther während der Unruhen selbst noch auf der Wartburg mit der Übersetzung des Neuen Testaments beschäftigt, wurde ihm aber über jene Entwicklungen Bericht erstattete und sah er sich im März 1522[47] verpflichtet, seine sichere Zuflucht zu verlassen, um sich selbst ein Bild zu machen und der Gemeinde den Ursprungsgedanken des Reformprozesses zu vergegenwärtigen. Anders als im Film bediente er sich hier aber nicht Fackeln oder sonstiger Gewalt, sondern predigte vom 9. bis zum 17. März 1522. Hierbei sprach er sich gegen die kopflose Abschaffung des katholischen Gottesdienstes aus und betonte die in Vergessenheit geratene Konzentration auf das Wort Gottes und die dadurch zu erlangende Freiheit.[48] Es ist ihm wohl tatsächlich gelungen, einen Teil der blindlings den Reformern beigetretenen Gläubigen wieder auf seine Lehre zu besinnen, was folglich den Unmut Karlstadt nach sich zog. Dennoch ist die Umkehrung oder Beruhigung der Zustände in Wittenberg durch die Rückkehr Luthers weder als langfristig noch durchschlagend zu bezeichnen.[49]

Der Bauernaufstand hatte im Gegensatz zu den Wittenberger Unruhen seine Wurzeln in sozialer Not. Die wirtschaftliche Situation der Bauern hatte sich seit dem Mittelalter durch Entrechtung verschlechtert und so wurde dem Unmut auch wiederholt durch Aufstände Ausdruck verliehen. Neben jener von Obrigkeiten praktizierten willkürlichen Ausbeutung, zeichneten sich 1524 durch heftige Sommergewitter schlechte Ernten ab.[50] Nun bedienten sich die frustrierten Bauern der Ideologie ihrer neuen Heldenfigur Martin Luther, welcher gemeinhin mit der Durchsetzung von Freiheit gegenüber Autoritäten assoziiert wurde. Sein Mut, sich gegen den Papst zu stellen, wirkte somit als Ansporn für die Bauern, sich gegen ihre Landesherren zu stellen. Dass Luther mit dem Begriff Freiheit allerdings etwas anderes verband, als den gewaltsamen Aufstand gegen Obrigkeiten, war den Aufrührern nicht bewusst und hätte ihnen in ihrem Anliegen auch nicht genutzt.[51] Luthers Abneigung gegen Aufruhr und Rebellion ergab sich nämlich aus seiner Zwei-Reiche-Lehre. In seiner Schrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig ist“ von 1523 erklärt er entschieden, dass zwischen weltlicher und geistlicher Obrigkeit zu differenzieren sei. So seien sowohl die geistlichen als auch die weltlichen Regimenter auf ihre eigenen Zuständigkeitsbereiche beschränkt, was bedeutet, dass weder die weltlichen Fürsten in geistlichen Herrschaftsbereich einschreiten dürfen noch umgekehrt. Weiterhin ergebe sich, dass die von Gott eingesetzten weltlichen Obrigkeiten mit weltlicher Gewalt führen müssen und ihnen zu gehorchen sei, da sonst anarchische Verhältnisse drohten.[52]

Nach seinen Friedenspredigten in Wittenberg reiste Luther weiter durch das thüringische Unruhegebiet und hielt Predigten, um die Kämpfenden zum Frieden zu bewegen. Er fand aber nicht mehr das aufmerksame Gehör und wurde teilweise gar verspottet. Jene Reaktion verschreckte und erzürnte Luther derart, dass er sie nur mit der Anwesenheit des Teufels zu erklären vermochte und veranlasste ihn dann unter anderem zu seiner Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“, in welcher er zur erbarmungslosen Tötung der Bauern aufrief. Jene Schrift schadete seinem Ruf nachhaltig und wird in der Forschung als der moralische Abstieg Luthers bezeichnet.[53]

[...]


[1] Terwitte, Bruder Paulus: „Außer Thesen nichts gewesen“. In: Welt Online. Quelle: http://www.welt.de/print-wams/article101923/Ausser_Thesen_nichts_gewesen.html (14.04.2008)

[2] 1929 in London geboren. Filmografie (Auswahl): A great big thing (1968). Das Millionending. (1968). A Fan's Note. (1972). Bonhoeffer – Die letzte Stufe. (2000). In: Heinzelmann, Herbert: Luther. Filmheft der Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn 2004. S. 17.

[3] Im Folgenden wird sich mit dem in Anführungszeichen gesetzten und in Großbuchstaben geschriebenen Ausdruck „LUTHER“ auf den Film selbst bezogen, während mit Luther auf den Charakter Martin Luther Bezug genommen wird.

Von Borries, Bodo: „Geschichte im Fernsehen – und Geschichtsfernsehen in der Schule“. In: GD 8 (1983). S. 221-238. und Von Borries, Bodo: „Was ist dokumentarisch am Dokumentarfilm?“. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 52 (2001). S.220-229.

[5] Korte, Helmut: „Historische Wahrnehmung und Wirkung von Filmen. Ein Arbeitsmodell.“ In: Der Film in der Geschichte. Hickethier, Knut / Müller, Eggo / Rother, Rainer (Hrsg.). Berlin 1997. S. 154-167.

[6] Schneider, Gerhard: „Filme“. In: Handbuch Medien im Geschichtsunterricht. Pandel, Hans-Jürgen / Schneider, Gerhard (Hrsg.) Schwalbach/Ts. 1999. S.365-386.

[7] Paschen, Joachim: „Film und Geschichte“. In: Geschichte lernen, Heft 42/1994. S. 13-19.

[8] Vgl. Keitz, Christine/Zwölfer, Norbert: „Geschichte im Film. In: Bauer, Volker (Hrsg.): Methodenarbeit im Geschichtsunterricht, Berlin 1998“. In: Methodenarbeit im Geschichtsunterricht. Berlin 2005. S. 96 – 100. S. 96.

[9] Vgl. Meyers, Peter: „Film im Geschichtsunterricht“. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 52 (2001). S. 246 – 259. S. 250.

[10] Vgl. Keitz, S. 96.

[11] Vgl. Borries, 1983, S. 223.

[12] Vgl. Borries, S. 228.

[13] Vgl. Paschen, S. 19.

[14] Vgl. Ebenda, S. 13.

[15] Vgl. Borries, 1983, S. 234.

[16] Vgl. Ebenda, S. 234.

[17] Vgl. Meyers, S. 259.

[18] Vgl. Ebenda, S. 254.

[19] Vgl. Borries, 1983, S. 230f.

[20] Vgl. Ebenda, S. 221.

[21] Vgl. Rother, Rainer: „Geschichte im Film“. In: Handbuch der Geschichtsdidaktik. Bergmann, Klaus u. a. (Hrsg.). Seelze 1997. S. 681 – 687. S. 685.

[22] Vgl. Paschen, S. 17.

[23] Kaufmann, Thomas: Martin Luther. München 2006.

[24] Leppin, Volker: Martin Luther. Darmstadt 2006.

[25] Horst Herrmann: Martin Luther. Eine Biographie. Berlin 2006.

[26] Heinzelmann, Herbert: Luther. Filmheft der Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn 2004.

[27] Luther – Presseheft. NFP teleart (Hrsg.). 2003.

[28] Beintker, Horst: „Schwierigkeiten im katholischen Lutherbild heute“. In: Martin Luther. Leistung und Erbe. Bartel, Horst und Brendler, Gerhard (Hrsg.). Berlin 1986. S. 402-408.

[29] Löser, Werner: „Der Wandel des katholischen Lutherbildes.“. In: Horstmann, Johannes (Hrsg.): Martin Luther: zum Wandel d. Luther-Bildes in d. Geschichtsschreibung u. im Film. Schwerte 1983. S. 15-23.

[30] Wipfler, Esther Pia: „Vom deutschnationalen Titan zum Herzensbrecher: neunzig Jahre Luther-Film: zur Geschichte des Luther-Bildes in Kinematographie und Fernsehen“. In: Luther 75 (2004). S. 25-41. Und: Wipfler, Esther Pia:
„Luther im Stummfilm : Zum Wandel protestantischer Mentalität im Spiegel der Filmgeschichte bis 1930“. In: Archiv für Reformationsgeschichte 98(2007). S. 167-198.

[31] Vgl. Kaufmann, S. 32f.

[32] Vgl. Leppin, S. 57.

[33] Vgl. Ebenda S. 58.

[34] Vgl. Ebenda, S. 59.

[35] Vgl. Rochow, Brigitte (Produzentin) im Audiokommentar. DVD „LUTHER. Er veränderte die Welt für immer.“. 2004. Produktionsgesellschaft: Universal Pictures und NFP Teleart. DVD-Nr.:5050582192919.

[36] Vgl. Leppin, S. 173-177.

[37] Vgl. Ebenda S. 173-177.

[38] Vgl. Herrmann, S. 340.

[39] Vgl. Schnabel-Schüle, Helga: Die Reformation. Stuttgart 2006. S. 77.

[40] Vgl. Rochow im Audiokommentar.

[41] Vgl. Herrmann, S. 363, 424.

[42] Vgl. Leppin, S. 193-197.

[43] Vgl. Herrmann, S. 364f.

[44] Siehe Kapitel: Fehlende Elemente.

[45] Vgl. Leppin, S. 193-197.

[46] Vgl. Ebenda, S. 193-197.

[47] Vgl. Kaufmann, S. 54.

[48] Vgl. Herrmann, S. 373f.

[49] Vgl. Ebenda, S. 375.

[50] Vgl. Schnabel-Schüle. S. 144.

[51] Vgl. Leppin, S. 225f.

[52] Vgl. Schnabel-Schüle, S. 119.

[53] Vgl. Kaufmann, S. 92f.

Ende der Leseprobe aus 75 Seiten

Details

Titel
„LUTHER“: Ein Film von Eric Till (2003) und sein Bild von Luther
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Autor
Jahr
2008
Seiten
75
Katalognummer
V155516
ISBN (eBook)
9783640686117
ISBN (Buch)
9783640685882
Dateigröße
768 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Luther, Film, Joseph Fiennes, Geschichtsunterricht, Lutherbild
Arbeit zitieren
Hanna Heller (Autor:in), 2008, „LUTHER“: Ein Film von Eric Till (2003) und sein Bild von Luther, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/155516

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