Passer Catulli

Anselm Feuerbachs "Lesbia mit dem Sperling" (1868), Lawrence Alma-Tademas "Lesbia weeping over a sparrow" (1866) und einige Aspekte der viktorianischen Malerei


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2009

13 Seiten

Dr. Daniel Kupper (Autor:in)


Leseprobe


passer Catulli

Anselm Feuerbachs „Lesbia mit dem Sperling“ (1868),

Lawrence Alma-Tademas „Lesbia weeping over a sparrow“ (1866) und einige Aspekte der viktorianischen Malerei

Es gehört zu den besonders bedauerlichen Tatsachen in der Überlieferung des Oeuvres von Anselm Feuerbach, dass sein im Sommer 1866 begonnenes (und 1868 signiertes) Gemälde „Lesbia mit dem Sperling“ bis heute verschollen und seine Zerstörung im Zweiten Weltkrieg in Berlin, wo es aus der Kunsthandlung Nicolai in Privatbesitz gelangte[i], wahrscheinlich ist. Feuerbachs „Lesbia“ gehört zu denjenigen römischen Bildern mit Darstellungen seiner römischen Modelle Anna Risi, genannt Nanna, und, im Fall der „Lesbia“, Lucia Brunacci, die er teils in historischer Gestalt als Bilderpaare konzipiert hat. „Lesbia“ dürfte sogar das erste Gemälde sein, in dem er sein erst kurz zuvor gefundenes neues Modell dargestellt hat.

Der Kupferstecher und spätere Fotograph, Freund und Biograph Feuerbachs, Julius Allgeyer, hat in der zweiten von Carl Neumann herausgegebenen Feuerbach-Biographie behauptet, der Künstler sei zum Thema der „Lesbia“ durch den Philologen Theodor Heyse, Onkel des Dichters Paul, und dessen 1855 erstmals erschienene Übersetzung der Gedichte Catulls angeregt worden.[ii] Mit der Beziehung des Malers und Allgeyers zum Philologen hat es freilich eine besondere Bewandtnis. Feuerbach hatte den in Italien lebenden Privatgelehrten bereits Ende der 1850er Jahre kennen gelernt und sich mit ihm angefreundet. Er gehört zu den wenigen Zeitgenossen, die der Maler auch später noch verehrte.[iii] In der finanziell schwierigsten Zeit in Rom 1862/63 bat Allgeyer Heyse um Hilfe, und dieser vermittelte den Kontakt zum Kunstmäzen Adolph Friedrich Graf von Schack in München.[iv] „Ich werde es nie vergessen“, bedankte sich Henriette bei Allgeyer, „und auch Anselm wird es nie vergessen, daß Sie diese Wendung herbeigeführt haben. Möge sie nun zum dauernden Segen gereichen. Ich hoffe es wirklich. Seit drei Vierteljahren habe ich zum erstenmal frei aufgeathmet, als ich den Brief gelesen.“[v]

Nun gibt es für die Behauptung Allgeyers keinen wirklichen Beleg, denn seltsamerweise äußerte er sie in der ersten Auflage als Vermutung mit dem Hinweis, dass Heyse dem Maler ein Exemplar seiner Catull-Übersetzung „verehrt hatte“, in der zweiten jedoch als Gewissheit, aber ohne den Hinweis auf das Geschenk des Altphilologen[vi]; immerhin handelte es sich doch hier um ein nicht unbedeutendes werkbiographisches Detail. Auch die zeitliche Distanz zwischen der ersten Ausgabe der Catull-Übersetzung Heyses 1855 und der Entstehung der „Lesbia“ lässt Zweifel aufkommen, ob hier ein direkter Zusammenhang herzustellen sei. Schon Warncke hat darauf hingewiesen, dass Feuerbach zum einen ausreichend humanistisch gebildet war, Griechisch und Latein lesen konnte[vii] und Catull in der nachromantischen Literaurkritik als einer der größten römischen Dichter überhaupt galt, was im dritten Band der „Römischen Geschichte“ (1854/55) Theodor Mommsens nachzulesen sei.[viii] Gleichzeitig befasste sich auch der Altphilologe Ludwig Schwabe 1862 mit der bis in die heutige Zeit hinein diskutierten Frage, inwiefern Catulls Gedichte biographisch zu interpretieren seien und schlug vor, dass in Lesbia die historische Clodia Metelli, Schwester des Tribuns Publius Clodius und Frau des Quintus Metellus Celer, zu sehen sei, die Cicero in seiner „Pro Caelio“ als rücksichtslose Lebedame dargestellt hatte.[ix] Selbstverständlich kannte Heyse seinen Kollegen Schwabe, und so bestätigt gewissermaßen das ‚philologische Umfeld’ Feuerbachs die Aktualität seines Gemäldes. Aber wir können sicher keinen kausalen, vielmehr nur einen simultanen Zusammenhang in der Themenwahl unterstellen. Dafür spricht auch, dass Feuerbachs „Lesbia“ nicht gerade vereinzelt in der Malerei des 19. Jahrhunderts da steht. Hierfür lassen sich in der französischen und hauptsächlich in der englischen Historienmalerei mehr Beispiele als in der deutschen anführen. Entsprechend muss Feuerbachs Themenwahl nicht nur vor dem Hintergrund seiner speziell deutschen Ausbildung in Düsseldorf gesehen werden, sondern in einem europäischen Zusammenhang, den der Künstler auch ganz vehement für sich beanspruchte.[x] Innerhalb der neo-klassischen, respektive der viktorianischen Malerei gibt es für das Thema „Lesbia“ mehrere – allerdings spätere - Beispiele von J.W. Godward, E. J. Poynter; dann aber vor allem vom im späten 19. Jahrhundert in London überaus erfolgreichen Lawrence Alma-Tadema, von dem drei Werke dieses Themas bekannt sind sowie von deren Schülern George William Joy und John Reinhard Weguelin.[xi] Mit Feuerbach verbindet Tadema, dass der sieben Jahre jüngere Belgier ein Jahr nach Feuerbach die Antwerpener Akademie besuchte und sich schließlich in den 1860er Jahren mehrmals gleichzeitig mit Feuerbach in Rom und Neapel, bzw. Pompeii aufhielt, um dort die Altertümer zu studieren. Beiden ist auch die frühe Begeisterung für die Fotografie als Hilfsmittel für die Malerei eigen.[xii] Sogar eine Bekanntschaft beider Künstler ist nicht auszuschließen, leider aber bislang nicht belegbar.[xiii] Darüber hinaus schöpften die Künstler aus den Quellen der französischen Malerei, wobei wiederholt auf den paradigmatischen Einfluss Thomas Coutures hingewiesen sei und sich die Darstellung römisch-pompeijanischen Genres aus der akademischen Malerei Ingres, Delaroches, Gleyres, Géromes und Boulangers herleitet.[xiv] Diese Details werfen die bislang in der Feuerbach-Literatur noch offene Frage auf, in welchem Verhältnis Feuerbach zur zeitgenössischen englischen Malerei, respektive der viktorianischen Malerei stand, und was und vie viel er davon kannte. Feuerbach hielt sich nie in London auf und konnte entsprechend keine der jährlichen Ausstellungen der Royal Academy sehen. Aber viele Engländer hielten sich nicht nur kurzfristig wie Tadema in Rom auf, sondern siedelten dorthin für einen gewissen Zeitraum über. Man kann sogar von einer kleinen englischen Gemeinde in Rom parallel zu den Deutsch-Römern sprechen. Dazu gehörte der Bildhauer Holme Cardwell, mit dem Feuerbach befreundet war. Weiterhin gibt es indirekte Belege dafür, dass Feuerbach die aktuelle englische Kunst in gewissem Umfang gekannt haben muss, wenn er im November 1862 schreibt, dass England der „einzige Ort wäre“, wo er vielleicht hingehen könne, er aber dort keine Freunde und Empfehlungen habe.[xv] Noch nach seinem Fortgang aus Wien fasst er den Entschluss, „womöglich zur Sommersaison [1879] nach London, als Porträtmaler, weiter nichts“ zu gehen. „Einen englischen Sprachlehrer, mit dem ich französisch konversiere, habe ich schon gefunden […]. Bei meinen Manieren, meinem Namen, genügt ein Damenporträt aus der Aristokratie, und ich bin in drei Jahren ein reicher Mann. Das deutsche Künstlerleben ist eine Schweineexistenz […], so will ich wenigstens als reicher Zigeuner sterben.“[xvi] Warum glaubte er, dass man mit einem Damenporträt aus der Aristokratie in England leichter reich werden konnte als in Deutschland? Weil er vom Erfolg einiger englischer Künstler erfahren haben muss, mit denen er in Rom war. Selbst sein 1820 in Manchester geborener Freund Cardwell stellte zwischen 1837 und 1856 in der Londoner Royal Academy aus und hatte mit 19 Jahren 1839 bereits eine Silbermedaille gewonnen. Mit einem anderen erfolgreichen Engländer, Frederic Lord Leighton, der bereits 1864 außerordentliches Mitglied der Royal Academy geworden war, verbindet Feuerbach die Liebe für weibliche italienische Modelle, und ganz besonders für Anna Risi, die später auch seine Geliebte wurde.[xvii] Leighton hatte bereits vor der Bekanntschaft Feuerbachs mit Nanna 1858 eine Porträtserie „La Nanna“ begonnen, und dies verändert doch das Bild, das wir uns von der Beziehung des Modells zu Feuerbach gemacht haben. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Leighton seinem Modell ebenso zufällig wie angeblich Feuerbach begegnet ist. Sie wird vielmehr schon zu diesem Zeitpunkt ein in Künstlerkreisen bekanntes und sicher begehrtes Modell gewesen sein, namentlich für englische Maler. Allerdings unterscheidet sich Feuerbach von seinem englischen Kollegen durch die Obsession, mit der er sich mit seinem Modell menschlich und künstlerisch auseinandergesetzt hat. Hier wiederum ist er nur mit den Präraffaeliten zu vergleichen, die in ähnlicher Weise Elizabeth Eleanor Siddal, das Modell und die Ehefrau von Dante Gabriel Rossetti, verehrten. Nach dem frühen Tod Siddals wurde Jane Morris, Gattin von William Morris, Modell und schließlich auch Geliebte von Rosetti. Zu nennen ist weiterhin John William Waterhouse und seine Leidenschaft für das Modell Muriel Foster.

[...]


[i] Vgl. Hermann Uhde-Bernays, Feuerbach. Beschreibender Katalog seiner sämtlichen Gemälde, München 1929, Nr. 288. Die letzte Spur des Gemäldes findet sich bei Heinrich Bodmer, Feuerbach. Leipzig 1942. Dort wird es unter der Nr. 79, S. XXXI als in Berliner Privatbesitz befindlich verzeichnet

[ii] Theodor Friedrich Heyse, Catulli liber carminum. Catulls Buch der Lieder, Berlin 1855. 2. völlig umgearbeitete Auflage aus d. Verf. Nachl, Berlin 1889. Vgl. Julius Allgeyer, Anselm Feuerbach. Sein Leben und seine Kunst, Bamberg 1894, S. 244 ff.; weiter: Anselm Feuerbach . Von Julius Allgeyer, hg. von Carl Neumann, Berlin und Stuttgart 1904, Bd. 2, S. 119 ff.

[iii] Vgl. Guido J. Kern/Hermann Uhde-Bernays (Hg.), Anselm Feuerbachs Briefe an seine Mutter, Berlin 1911, Bd. 1, S. 535; weiter Kupper (Hg.), Anselm Feuerbachs „Vermächtnis“ – Die originalen Aufzeichnungen, Berlin 1992, S. 71: „Der alte Th. Heyse verglich damals meine Art des Ergründenwollens mit Leonardo und etwas wahres ist daran.“

[iv] Vgl. Allgeyer (wie Anm. 2), Bd. 2, S. 4

[v] Henriette an Allgeyer, 5. Januar 1863. Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin (ZA), Feuerbach-Nachlass (FN) 82-84

[vi] Vgl. Allgeyer 1894 (wie Anm. 2), S. 244

[vii] Wenn Feuerbach in seinen Erinnerungen schreibt, er habe „das Griechische mit Leidenschaft & Glück im Gymnasium“ erlernt, während er sich noch in späteren Tagen „schwer entschließen konnte den Julius Cäsar für einen großen Mann zu halten, so sehr zu wider war mir sein Latein gewesen“, so wird man mit Sicherheit annehmen müssen, dass ihm im Gegensatz zum auch späteren Gymnasiastengenerationen zum Hals heraushängenden „De bello Gallico“ das Latein der „Carmina“ Catulls ein Genuss war. Vgl. Feuerbach (wie Anm. 3), S. 28

[viii] Vgl. Carsten-Peter Warncke, Buchbesprechungen, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 56.1993, S. 581

[ix] Ludwig Schwabe, Quaestionum Catullianarum liber I, Gießen 1862, Cicero Pro Caelio 15.35. Vgl. Rosemarie .J. Barrow, Lawrence Alma-Tadema, New York 2004, S. 30. Vgl. hierzu den Hinweis Holzbergs, dass man in der Catull-Rezeption des 19. Jahrhunderts noch nicht zwischen „persona“ und „poeta“, also zwischen dem Autor und seinem poetischen Ich unterschieden hat: Niklas Holzberg, Im Zeichen des Sperlings. Das erste Buch der Gedichte. Ein vieldeutiges Vögelchen“, in: ders., Catull. Der Dichter und sein erotisches Werk, München 2003, S. 61

[x] „Wir leben im Jahrhundert der Kunstschwätzer. Einige derselben haben begonnen & beliebt mich vorzugsweise als deutschen Künstler hinzustellen. Ich protestire feierlichst gegen solche Lüge. Was ich geworden, habe ich zunächst den modernen Franzosen von 48, dem alten & jungen Italien & mir selbst zu verdanken […]. In Deutschland wäre ich als Künstler verkommen.“„[…] die Kunst, die stets international ist […].“ (Vgl. Feuerbach, wie Anm. 3, S. 75 u. S. 81)

[xi]Vgl. Vern G. Swanson, The Biographie and Catalogue Raisonné of the Paintings of Sir Lawrence Alma-Tadema, London 1990, S. 135. Zur Verwandtschaft beider Künstler und ihr Erscheinen als Teil einer „europäischen Zeitsrömung“ vgl. Eberhard Roters, Malerei im 19. Jahrhundert. Themen und Motive, Köln 1998, Bd. 2, S. 224. Ein frühes Beispiel „Mrs. George Collier as Lesbia and Dead Bird“ findet sich im Cleveland Museum of Art (Inv.-Nr. 1920.514), das 1920 aus einer privaten Sammlung dorthin gelangte. Es wurde zunächst Joshua Reynolds zugeschrieben; nach neueren Untersuchungen ist es aber nur seinem Umkreis zugehörig.

[xii] Tademas Sammlung umfasste mehr als 5000 Fotos und seine Bibliothek zählte am Ende seines Lebens 4000 Bände mit überwiegend klassischen Texten und Übersetzungen sowie klassisch-archäologischen Publikationen. Vgl. Barrow (wie Anm. 9), S. 30

[xiii] Bemerkenswerterweise berichtet Allgeyer, dass sich Feuerbach in Rom - von Ausnahmen abgesehen - hauptsächlich mit Ausländern und nicht mit Landsleuten umgeben habe, und er nennt Namen wie den aus Feuerbachs Briefen bekannten englischen Bildhauer Holme Cardwell, einen gewissen Amerikaner namens Stori und die beiden Dänen Jens Adolph Jerichau und Andreas Johnsen Kolberg. Vgl. Allgeyer (wie Anm. 2), Bd. 1, S. 377

[xiv] Zu Feuerbach vgl. Ekkehard Mai, Feuerbach in Paris, München/Berlin 2006. Zu Tadema vgl. Barrow (wie Anm. 9), 28f.

[xv] Feuerbach-Briefe (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 82

[xvi] Ebd., S. 421

[xvii] Vgl. Margot Th. Brandlhuber und Michael Buhrs (Hg.), Frederic Lord Leighton .Maler und Bildhauer der viktorianischen Zeit, München/Berlin u.a. 2009 (Aust.-Kat. Der Villa Stuck in München); weiter: Anselm Feuerbach, hg. vom Historischen Museum der Pfalz, Speyer 2003, S. 168

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Details

Titel
Passer Catulli
Untertitel
Anselm Feuerbachs "Lesbia mit dem Sperling" (1868), Lawrence Alma-Tademas "Lesbia weeping over a sparrow" (1866) und einige Aspekte der viktorianischen Malerei
Autor
Jahr
2009
Seiten
13
Katalognummer
V154244
ISBN (eBook)
9783640676521
ISBN (Buch)
9783640676354
Dateigröße
470 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Deutsche und englische Malerei, 2. Hälfte 19. Jahrhundert
Arbeit zitieren
Dr. Daniel Kupper (Autor:in), 2009, Passer Catulli , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154244

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