Platons Höhlengleichnis im Film Matrix I


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Platons Höhlengleichnis

3 Platons Höhlengleichnis und Matrix I

4 Offene Fragen

5 Zusammenfassung

6 Bibliographie

1 Einleitung

Im Rahmen dieser Arbeit wird The Matrix auf das platonische Gedankengut hin analysiert. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf den Ähnlichkeiten und Unterschieden, die zwischen dem in Platons Politeia dargestellten Höhlengleichnis und der Anlage des ersten Teiles der Trilogie The Matrix bestehen.

Wodurch kann die Wahl des Untersuchungsgegenstandes gerechtfertigt werden? The Matrix stellt ein zeitgenössisches Produkt der amerikanischen bzw. globalisierten Massenkultur dar. Dessen großer Erfolg war, wovon die zwei neuen Folgen zeugen, nicht nur wirtschaftlichen Charakters. Seit 1999 sind hunderte von philosophischen, soziologischen, literatur-, kultur- und kommunikationswissenschaftlichen Zeitschriftenartikeln und Sammelbänden erschienen, die sich mit verschiedenen Aspekten der Matrix-Trilogie auseinandersetzen wie das Simulacrum und die Simulation, die Maschine, die virtuelle Realität, der Wille, der große Andere, das posthumane Subjekt etc. Dank dessen philosophischen Eklektizismus – eines der Merkmale, das The Matrix als postmodern bezeichnen lässt (Lutzka 2006, 124) – bietet der Film für so gut wie jeden etwas. Für mich bietet er dessen markantestes Bild, das das Publikum weiterhin stark fasziniert: Millionen von haarlosen muskelmäßig atrophierten nackten Menschen, die – ohne dies zu wissen – in brutkastenähnlichen Behältern liegen und, von einer Nährlösung am Leben gehalten, für die sie versklavende Matrix elektrische Energie erzeugen. Jeder von ihnen konsumiert dabei die durch die Matrix für sie speziell entwickelte simulierte Welt. Inwiefern ist dieses 3-D-Theater mit dem Platonischen 2-D-Theater vergleichbar? Setzt The Matrix die platonische Tradition fort? Oder gibt es Bruchstellen, die etwas Neues anvisieren? Das sind die Fragen, mit denen ich mich hier beschäftige.

Als Erstes behandle ich das Platonische Höhlengleichnis: Ich gebe es wieder und weise gleichzeitig auf deren Leerstellen hin. Danach wende ich mich dem Film zu und knüpfe an den ersten Teil an, indem ich mich auf die Ähnlichkeiten und die Unterschiede fokussiere, die die beiden Texte aufweisen. Im abschließenden, dritten Kapitel formuliere ich einige Fragestellungen, die sich aus der vergleichenden Analyse ergeben und die offen bleiben sollten.

Ich konzentriere mich vor allem auf die Primärtexte: Platons Politeia in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher und den von den Brüdern Wachowski gedrehten Film The Matrix (1999), dessen vollständiges Skript im Netz verfügbar ist.[1] Es gibt, wie oben angedeutet, eine unüberschaubare Menge von sekundären Texten, in denen aber in der Regel nur ganz kurz darauf hingewiesen wird, dass The Matrix auf das Höhlengleichnis von Platon rekurriert. Deswegen habe ich mich für eine eher selbstständige Arbeitsweise entschieden, als läge eine tabula rasa vor mir, was gleichzeitig aber nicht bedeutet, dass ich das von den anderen bereits Gedachte und Aufgeschriebene beiseite lege und gar nicht berücksichtige: So beziehe ich mich im Weiteren auf Slavoj Žižeks Essays „Die zwei Seiten der Perversion: Die Philosophie der Matrix“ (2001), auf Gilles Deleuzes Aufsatz „Platon und Simulacrum“, auf Igor Čubarovs Artikel „Vom Alltag der Matrix zum Feiertag der Arbeit“ (2007, im Druck) sowie auf einige andere Abhandlungen.

2 Platons Höhlengleichnis

Platons Höhlengleichnis ist neben dem Sonnen- und Liniengleichnis eines der drei Gleichnisse, die er in Buch VI und VII seines Werks Politeia mit dem Ziel vorführt, seine Ideenlehre zu veranschaulichen. Diese drei konkreten Bilder, diese drei zentralen Metaphern werden verwendet, um die Ungebildeten an die von Platon propagierte – per definitionem abstrakte und daher nicht wahrnehmbare[2] – Idee des Guten selbst sowie deren Bedeutung für das menschliche Wissenssystem und Leben heranzuführen und den Unwissenden den Weg zu deren Erkenntnnis unter der Führung der Philosophen aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund ist der Dialog (Buch VII, 514a-521b) m.E.[3] in fünf logisch miteinander verbundene Teile unterteilt: 1) die Höhlenbeschreibung sowie die Beschreibung der Lage der Unwissenden; 2) der Aufstieg; 3) der Abstieg; 4) die Übertragung des Gleichnisses auf die „unsrige“ Welt sowie 5) die beiden Rechtfertigungen: die Rechtfertigung der Anwendung von Gewalt gegen die Unwissenden, um ihnen zur Erkenntnis der Idee des Guten zu verhelfen, sowie die Rechtfertigung des Anspruchs der Philosophen auf die Macht in einem perfekten Staat, der nur dann perfekt sein kann, wenn er von Philosophen regiert wird.

Teil I: Die von Platon beschriebenen Gefangenen, wie Ihde betont, scheinen nichts gegen ihre Gefangenschaft zu haben: Sie befinden sich zwar von Kindheit an, an Hals und Schenkeln gefesselt, auf demselben Schemel sitzend und nur nach vorne hin schauend, in einer unterirdischen höhlenartigen Wohnung, könnten aber zumindest einen Versuch unternehmen, ihren Kopf oder ihre Arme oder irgendeinen Teil ihres Körpers zu bewegen, um sich ihrer Gefangenschaft, der Grenzen, die ihnen gesetzt wurden, bewusst zu werden (Ihde 2006, 154). Die Gefangenen bleiben stattdessen passiv, bis zum Verlust des Körperlichen, das auf die Augen reduziert wird (ebenda). Die fast absolute Absage vom Körper findet ihr Gegenteil in der absoluten Bestätigung des Mentalen: Die Troglodyten wohnen einer lebenslangen zweidimensionalen Theateraufführung bei. Im „Kinotheater“ ist es selbstverständlich dunkel. Als Projektor, dessen Licht von oben und von ferne hin auf die Wand vor den Zuschauern fällt, dient das Feuer, das vor der Höhle brennt. Nicht alle Menschen sind passiv. Einige wenige betätigen sich: Sie veranstalten eine Show, indem sie über ihren Köpfen allerlei Kunstgegenstände[4] – Geräte, Bildsäulen, steinerne und hölzerne Bilder u.a. – tragen, sodass diese über die Mauer hinüberragen, die zwischen dem Feuer und den Rücken der Zuschauer lokalisiert ist und längs derer unsere Puppenspieler sich bewegen. Das Publikum kann daher nur die gegen die Wand der Höhle geworfenen zweidimensionalen Schatten der ihnen von den Puppenspielern vorgeführten Gegenstände wahrnehmen. Ihre Wahrnehmung ist – analog zum stummen Film ohne musikalische Untermalung – vorwiegend auf das Visuelle reduziert, so etwas wie “smellovision“ kennen sie nicht. Akustisch wahrnehmbar sind nur einige Puppenspieler, die während ihres Ganges entlang der Mauer reden. Da die Zuschauer keinen ihrer Körperteile bewegen können bzw. wollen, können sie daher auch nicht wissen, dass es nicht die Schatten sind, die reden, sondern die Vorübergehenden. Sie sind also nicht fähig, zwischen Lebewesen, natürlichen und künstlichen Gegenständen zu unterscheiden. Die ganze Welt besteht für die Gefesselten aus den sich an der Höhlenwand bewegenden Schatten. Die Geräusche und das Gerede, die von den Vorüberziehenden kommen, schreiben sie den Schatten zu. Sogar sich selbst kennen die Gefesselten nicht anders als sprechende Schatten an der Höhlenwand. Sie können aber miteinander reden und das Gesehene für sich irgendwie benennen. Ehre, Lob und Belohnungen fallen unter ihnen denjenigen wenigen zu, die sich die Reihenfolge der vorbeiziehenden Gegenstände am besten merken und deren Erscheinen daher am besten vorhersagen können: “Some animals are more equal than others“[5] auch in der Platonischen Höhle. Da sich alle Gefangenen von Geburt an in dieser Lage befinden, fühlen sie sich in der Höhle ganz wohl und wünschen keine Veränderungen. Auf die Bemerkung und Einschätzung dieser Szenerie von seiten Glaukons „Ein gar wunderliches Bild, [...] und wunderliche Gefangene“ (515a) meint Sokrates, dass diese uns gleichen, und erklärt die Metapher: Wir sind an unsere Vorurteile gefesselt, wir glauben, Dinge in ihrem Wesen zu sehen, aber alles, was wir zu sehen bekommen, sind nur Schatten eines wahren Wesens. Dies können wir aber nicht erkennen, denn wir müssen erst aus den Fesseln befreit werden. Der Gefesselte hat ein falsches Bewusstsein, das sich konstitutionell irrt: Es hält den Schein für das Sein. Daraus folgt, dass alles, was die Menschen über die Welt wissen, falsch ist. Die wahre Welt ist ihnen fremd und daher sollen sie an diese herangeführt werden, sie sollen gebildet werden. Metaphorisch geschieht dies so, dass sie von ihren Banden, die für ihren Unverstand stehen, gelöst und geheilt werden sollen.

[...]


[1] http://www.volny.cz/matrixmovie/. Stand: 14.10.2006.

[2] Siehe Lakoff, George/Johnson, Mark. 1980. Metaphors We Live By. Chicago.

[3] In der Regel wird von den ersten vier Teilen des Höhlengleichnisses gesprochen. Diese Betrachtungsweise kann ich aber nicht teilen, da in diesem Fall das Politische aus dem Blick gerät und die ganze Konstruktion, die Platon aufrichtet, ihr Ziel verfehlt.

[4] „Techne“ wird gemeinhin als „Kunst“ wiedergegeben, bei Platon schließt es aber handwerkliche Fertigkeiten und Erzeugnisse ebenso ein wie Dichtkunst, Malerei, etc.

[5] George Orwell, Animal Farm, 1945.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Platons Höhlengleichnis im Film Matrix I
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Anglistik und Amerikanistik)
Veranstaltung
HS Philosophische Grundlagen für Literatur- und Kulturwissenschaftler
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V154009
ISBN (eBook)
9783640665563
Dateigröße
483 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Platons, Höhlengleichnis, Film, Matrix
Arbeit zitieren
Maryna Zühlke (Autor:in), 2007, Platons Höhlengleichnis im Film Matrix I, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/154009

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