Minderheitsregierungen auf Landesebene

Voraussetzungen, Bildung und Etablierung sowie Vor- und Nachteile von Minderheitsregierungen auf der gliedstaatlichen Ebene


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Einleitung

Nach den Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg zu Beginn des Jahres 2008 wurde deutlich, dass die Zeit des seit Ende der 1980er Jahre in Westdeutschland vorherrschenden Parteiensystems vorüber war. Hatte man es bis zu diesem Zeitpunkt mit vier Parteien zu tun, die man einem bürgerlichen (CDU/CSU, FDP) und einem linken (SPD, Bündnis 90/Die Grünen) Lager zuordnen konnte, hat sich dies mit den Wahlerfolgen der Linkspartei geändert. Nachdem die PDS-Nachfolgepartei schon im Jahr zuvor in Bremen und Bremerhaven souverän in die Bürgerschaft eingezogen war, konnte sie nun auch in anderen deutschen (Flächen-) Ländern die 5%-Hürde überspringen und ist mittlerweile in zehn deutschen Landesparlamenten vertreten.[1] Auch wenn die Linkspartei im Herbst vergangenen Jahres den Einzug in den bayrischen Landtag verpasst hat, ist es wohl legitim zu postulieren, dass sich die Partei auch in den alten Ländern etabliert hat.

Dies hat unter anderem Konsequenzen für die Regierungsbildung. Konnte weder das bürgerliche noch das linke Lager die Mehrheit der Sitze im Parlament auf sich vereinen, und waren die Verantwortlichen nicht an Experimenten interessiert (wie beispielsweise einem schwarz-grünen Bündnis wie in Hamburg), war für die Politik in solchen Fällen die Bildung einer großen Koalition die einzig akzeptable Lösung. Seit den Ereignissen in Hessen im letzten Jahr ist nun aber wieder eine andere Variante in den Blickpunkt des Interesses geraten: Die Minderheitsregierung. Zwar war die Bildung einer von der Linkspartei tolerierten SPD/Grünen-Minderheitsregierung nicht erfolgreich, jedoch wurde der Öffentlichkeit vor Augen gehalten, dass es eine Alternative zur großen Koalition gibt.

Im Rahmen dieser Arbeit soll herausgefunden werden, ob die Bildung und Etablierung von Minderheitsregierungen auf der gliedstaatlichen Ebene denkbar ist, was die Voraussetzungen dafür wären, und was es für Vor- und Nachteile mit sich bringen würde. Dazu wird in einem ersten Schritt der Begriff der „Minderheitsregierung“ erklärt und analysiert. In einem nächsten Schritt werden die Vor- und Nachteile von Minderheitsregierungen präsentiert. Weiter wird die von 1994 bis 2002 in Sachsen-Anhalt regierende Minderheitsregierung untersucht, um zu eruieren, ob das „Magdeburger Modell“ erfolgreich war, und ob es daher als Vorbild für andere Länder taugen kann. Dazu bedarf es aber einer Auseinandersetzung mit den in einigen Länderverfassungen vorhandenen Oppositionsklauseln. Zuletzt soll ein Ausblick gewagt werden, ob eine Zunahme von Minderheitsregierungen die verschiedenen Probleme, beispielsweise der Bedeutungsverlust der Landesparlamente und die Mehrheitsfindung im Bundesrat, die durch die Entwicklungen der letzten Jahre entstanden sind, lösen könnte.

2. Definition von Minderheitsregierung

Es ist davon auszugehen, dass eine Regierung „in einem parlamentarischen Regierungssystem grundsätzlich vom Vertrauen des Parlaments, zumindest dem seiner Mehrheit“[2], getragen wird. Dies gilt vor allem für solche Demokratien, die sich am mehrheitsdemokratischen Westminster-Modell orientieren und in denen die Regierung über eine deutliche parlamentarische Mehrheit verfügt. Anders sieht es hingegen in Staaten aus, in denen das Verhältniswahlrecht vorherrscht und es ein Mehrparteiensystem gibt. Erschwerend kommt im Fall der Bundesrepublik hinzu, dass sich die klassische Gegenüberstellung von Regierungsmehrheit und Opposition, die sich aus dem Alternanzmodell ergibt, durchgesetzt hat.[3] Aufgrund des pluralisierten Parteiensystems sind oft Koalitionen nötig, damit eine Regierung gebildet werden kann, die aber nicht zwangsläufig auch über eine parlamentarische Mehrheit verfügen muss. Doch drängt sich hier die Frage auf, warum Regierungen in parlamentarischen Demokratien überhaupt über eine Mehrheit im Parlament verfügen müssen, oder ob nicht auch Minderheitsregierungen möglich sind.

Kaare Strøm stellte in seinem Werk über die Funktionsweise von Minderheitsregierungen fest: „Existing studies suggest that undersized (minority) cabinets are a surprisingly common occurence across a number of parliamentary democracies.”[4] Thomas fasst diverse empirische Untersuchungen zusammen und kommt zu dem Schluss: „In quantitativer Hinsicht stellen Minderheitsregierungen in parlamentarischen Demokratien keinen Ausnahme-, sondern eher einen Regelfall dar.“[5] Doch wie kann eine Minderheitsregierung definiert werden. Eine mögliche Erklärung stammt von Volker Schneider, „wonach eine Regierung als Minderheitsregierung gilt, wenn die Parteien, die diese Regierung stellen, im Parlament über keine absolute Mehrheit verfügen“.[6] Das Hauptproblem für eine Minderheitsregierung liegt also darin, dass sie mit nicht der Regierung zuzuordnenden Parteien zusammenarbeiten muss, um Gesetze verabschieden zu können. Mit Hilfe dieser konsensorientierten Kooperation[7] haben auch Regierungen ohne parlamentarische Mehrheit die Möglichkeit, ihre Gesetzesvorhaben zu realisieren.

Basierend auf der Definition von Schneider kann man Minderheitsregierungen aber noch weitergehend unterscheiden. Schütt-Wetschky differenziert zwei Typen: Die parlamentarisch gestützte und die tolerierte Minderheitsregierung.[8] Die parlamentarisch gestützte Minderheitsregierung wird durch formelle, politisch umfassende und auf längere Sicht angelegte Absprachen mit einer, nicht formal an der Regierung beteiligten Fraktion, im Amt gehalten. Die lediglich tolerierte Minderheitsregierung hingegen ist flexibel in der Wahl ihrer Partner, um Gesetze zu beschließen, was aber auch die Gefahr mit sich bringt, keine Mehrheit für ein Vorhaben zu finden.[9] Die erstgenannte Option ist einer offiziellen Koalition recht ähnlich. Zwar ist die stützende Fraktion nicht personell an der Regierung beteiligt, sie ermöglicht aber dennoch eine kontinuierliche Sacharbeit, da sie sich in ständigem Austausch mit der Minderheitsregierung befindet und durch so genannte „Quasi-Koalitionsverhandlungen“ für kontinuierliche parlamentarische Mehrheiten sorgt.[10] Dahingegen entfernt sich die tolerierte Minderheitsregierung „am weitesten vom Lehrbuchmodell des parlamentarischen Systems, in dem die Rollen zwischen Regierung und Opposition klar festgelegt sind“[11]. Hier wird von einer Gegenüberstellung von zwei starren Blöcken ausgegangen: Die Regierungsmehrheit auf der einen Seite, die sich in der Minderheit befindliche Opposition auf der anderen.[12]

Trotz dieses eher in Wettbewerbsdemokratien beheimateten Verständnisses von Opposition, wurde dies zur Grundlage der Oppositionsregelungen auf Länderebene, auf die noch gesondert eingegangen werden soll. Zunächst werden sowohl die mit Minderheitsregierungen verbundenen Kritikpunkte, als auch die möglichen Vorteile einer Regierung ohne parlamentarische Mehrheit vorgestellt werden.

3. Vor- und Nachteile von Minderheitsregierungen

Nicht nur, aber vor allem in Deutschland, wurden und werden Minderheitsregierungen von Politikern und Wissenschaftlern recht kritisch betrachtet. Auf einige dieser Kritikpunkte soll eingegangen werden, um herauszufinden, ob diese auch in der Realität Bestand haben. So spricht der Altbundespräsident Roman Herzog davon, „dass sich ein Minderheitskanzler für jedes Gesetz, das er für nötig hält, die erforderliche Mehrheit im Parlament zusammenbetteln muss“[13]. Des Weiteren glaubt er, dass ein Bundeskanzler ohne Mehrheit im Bundestag „die unsinnigsten Kompromisse eingehen und die sachwidrigsten Kompensationsgeschäfte machen“[14] muss. Finkelnburg sieht die Gefahr, dass eine Minderheitsregierung „bis hin zur Handlungsfähigkeit [sic] paralysiert“[15] wird. Auch Andersen stellt auf die mögliche Gefahr einer blockierten Regierung ab, wenn er sagt: „Auch im Verfassungssystem der Bundesrepublik ist eine Minderheitsregierung denkbar, aber ihre politische Handlungsfähigkeit wäre extrem gering.“[16] Noch weiter geht von Beyme, der schreibt, dass in einem parlamentarischen System „jede Minderheitsregierung ein unerwünschtes Krisensympton“[17] darstelle.

[...]


[1] http://www.bundeswahlleiter.de/de/landtagswahlen/ergebnisse/ (abgerufen am 08.03.2009).

[2] Puhl, Thomas (1986), Die Minderheitsregierung nach dem Grundgesetz, Dissertation, Bonn, S. 19. Im Folgenden zitiert: Puhl, Minderheitsregierung.

[3] Vgl. Decker, Frank (2004), Die Regierungssysteme in den Ländern, Wiesbaden, in: Decker, Frank (Hrsg.), Föderalismus an der Wegscheide, Wiesbaden, S. 169-201, S. 188. Im Folgenden zitiert: Decker, Regierungssysteme.

[4] Strøm, Kaare (1990), Minority government and majority rule, Cambridge u.a., S. 8. Im Folgenden zitiert: Strøm, Minority government.

[5] Thomas, Sven (2003), Regierungspraxis von Minderheitsregierungen: Das Beispiel des „Magdeburger Modells“, Wiesbaden, S. 9. Im Folgenden zitiert: Thomas, Regierungspraxis.

[6] Zitiert nach: Thomas, Sven (2003), Zur Handlungsfähigkeit von Minderheitsregierungen am Beispiel des „Magdeburger Modells“, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 4, S. 792-806, S. 793. Im Folgenden zitiert: Thomas, Handlungsfähigkeit.

[7] Thomas, Regierungspraxis, S. 7.

[8] Vgl. Schütt-Wetschky, Eberhard (1987), Verhältniswahl und Minderheitsregierungen. Unter besonderer Berücksichtigung Großbritanniens, Dänemarks und der Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 1, S. 94-109, S.105. Im Folgenden zitiert: Schütt-Wetschky, Verhältniswahl und Minderheitsregierungen.

[9] Vgl. Strøm, Minority government, S. 97.

[10] Vgl. Schütt-Wetschky, Verhältniswahl und Minderheitsregierungen. S. 105.

[11] Decker, Frank (2008), Veränderte Landschaft: Parteipolitik zwischen Lagerdenken und neuen Koalitionen, in: MUT. Forum für Kultur, Politik und Geschichte 490, S.10-19, S. 15f. Im Folgenden zitiert: Decker, Veränderte Landschaft.

[12] Kropp, Sabine (1997), Oppositionsprinzip und Mehrheitsregel in den Landesverfassungen: Eine Analyse am Beispiel des Verfassungskonflikts in Sachsen-Anhalt, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 3, S. 373-390, S. 374. Im Folgenden zitiert: Kropp, Oppositionsprinzip.

[13] http://www.sueddeutsche.de/politik/645/435392/text/6/ (abgerufen am 20.02.2009).

[14] Ebenda.

[15] Finkelnburg, Klaus (1982), Die Minderheitsregierung im deutschen Staatsrecht, Berlin und New York, S. 13. Im Folgenden zitiert: Finkelnburg, Minderheitsregierung.

[16] zitiert nach: Thomas, Handlungsfähigkeit, S. 793.

[17] zitiert nach: Renzsch, Wolfgang/Schieren, Stefan (1997), Große Koalition oder Minderheitsregierung: Sachsen-Anhalt als Zukunftsmodell des parlamentarischen Regierungssystems in den neuen Bundesländern?, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 3, S. 391-407, S. 391. Im Folgenden zitiert: Renzsch/Schieren, Zukunftsmodell.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Minderheitsregierungen auf Landesebene
Untertitel
Voraussetzungen, Bildung und Etablierung sowie Vor- und Nachteile von Minderheitsregierungen auf der gliedstaatlichen Ebene
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Seminar für Politische Wissenschaften und Soziologie)
Veranstaltung
Hauptseminar: Parteiensystem und Koalitionsbildung in der Bundesrepublik
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
25
Katalognummer
V152924
ISBN (eBook)
9783640659326
ISBN (Buch)
9783640659586
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Innenpolitik, Minderheitsregierung, Regierungslehre, Magdeburger Modell, Föderalismus, Deutschland
Arbeit zitieren
Andreas Jahnel (Autor:in), 2009, Minderheitsregierungen auf Landesebene, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/152924

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Minderheitsregierungen auf Landesebene



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden