Theater an der Schule - Ein Theaterprojekt für und mit SprachheilschülerInnen


Examensarbeit, 2009

99 Seiten, Note: 1,0

Lea Montag (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

I. Theoretischer Teil

2. Sprachentwicklung
2.1. Entwicklungen auf der phonetisch-phonologischen Ebene
2.2. Entwicklungen auf der semantisch-lexikalischen Ebene
2.3. Entwicklungen auf der syntaktisch-morphologischen Ebene
2.4. Entwicklungen auf der pragmatischen Ebene

3. Beschreibung verschiedener Sprachstörungen
3.1. Störungen auf der phonetisch-phonologischen Ebene
3.1.1. Phonetische Störungen
3.1.1.1. Sigmatismus
3.1.1.2. Schetismus
3.1.1.3. Kappazismus
3.1.2. Phonologische Störungen
3.1.2.1. Verspätete Überwindung phonologischer Prozesse
3.1.2.2. Ungewöhnliche phonologische Prozesse
3.1.2.3. Lautpräferenz
3.2. Störungen auf der semantisch-lexikalischen Ebene
3.3. Störungen auf der syntaktisch-morphologischen Ebene am Beispiel des Dysgrammatismus
3.4. Störungen auf der pragmatischen Ebene
3.4.1. Stottern
3.4.2. Logophobie

4. Theater- und Spielelemente in Verbindung mit ganzheitlicher Sprachförderung
4.1. Theater und Sprachförderung
4.2. Spiel und Sprachförderung
4.3. Merkmale einer ganzheitlichen Sprachförderung
4.4. Integration der Merkmale innerhalb des Projektes

II. Praktischer Teil

5. Fördermöglichkeiten der einzelnen Bereiche
5.1. Förderung der Sprachentwicklung
5.1.1. Förderung im Bereich der phonetisch-phonologischen Ebene
5.1.1.1. Lautbildung
5.1.1.2. Mundmotorik
5.1.1.3. Atmung
5.1.1.4. Stimme
5.1.1.5. Phonologische Bewusstheit
5.1.2. Förderung im Bereich der semantisch-lexikalischen Ebene
5.1.3. Förderung im Bereich der syntaktisch-morphologischen Ebene
5.1.4. Förderung im Bereich der kommunikativ-pragmatischen Ebene
5.1.4.1. Redefluss/ Rhythmus
5.1.4.2. Nonverbale Kommunikation
5.2. Förderung anderer Entwicklungsbereiche
5.2.1. Wahrnehmung auditiv/taktil
5.2.2. Motorik
5.2.3. Kognition
5.2.4. Emotion/ Selbstbewusstsein

6. Ein Theaterprojekt entsteht
6.1. Die Idee des Theaterprojektes
6.2. Vorüberlegungen zur Durchführung einer Sprachförderung im Rahmen eines Theaterprojektes
6.3. Vorstellung der Gruppe
6.4. Ablauf des Theaterprojektes
6.5. Überlegungen zu einzelnen Stunden

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

9. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
9.1. Tabellenverzeichnis
9.2. Abbildungsverzeichnis

Anhang
Szenenbilder der Geschichte „Im Zauberwald“
Pluralbilder

Anmerkung: Um die Leserfreundlichkeit zu erhalten, verwende ich in dieser Arbeit die maskuline Form, z.B. Lehrer, spreche aber stets beide Geschlechter an.

1. Einleitung

„Die Sprache ist zentral für das menschliche Leben.“

(Grimm 2003:15)

Sie hilft uns unsere Gedanken in richtiger Weise zum Ausdruck zu bringen und uns somit anderen Menschen verständlich zu machen. Sie nutzt uns, um unsere Welt, unser Umfeld und unsere Kultur zu begreifen, ist Medium des Lernens (vgl. Frühwirth/Meixner 1990:9) und dient der sozialen Integration. Außerdem steht sie in einer engen Verbindung zur Entwicklung kognitiver und sozialer Fähigkeiten. (vgl. Grimm 2003:16)

Dass der Sprache auch im Bildungswesen eine immer größere Bedeutung zugemessen wird, wird vor allem ersichtlich aus der PISA Debatte der letzten Jahre. Durch die Feststellung der Defizite im Leseverständnis vieler deutscher Schüler werden heute zunehmend Diskussionen zur Förderung dieser Defizite und damit auch zur Förderung, der für die Lesekompetenz zu Grunde liegenden Sprachkompetenz geführt (vgl. Sander/Spanier 2003:13). Daneben werden Projekte, Programme und Materialien zur Förderung der Sprachkompetenz entworfen, durchgeführt und evaluiert. In meiner Arbeit möchte ich auf eine spezielle Form der Sprachförderung im Rahmen eines Theaterprojektes eingehen, wobei ich zuvor die natürliche Sprachentwicklung des Kindes und daran anknüpfend mögliche Störungsbilder auf den verschiedenen linguistischen Ebenen darstellen werde. Denn nur vor dem Hintergrund der normalen Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten kann man auch Abweichungen und Defizite verstehen (vgl. Grimm 2003:5/6). Obwohl ich in meiner Arbeit versuche die Sprachentwicklung und deren Störungen sowie Fördermöglichkeiten im Rahmen der linguistischen Ebenen zu differenzieren, möchte ich dennoch auf die enge Verbindung dieser Phänomene hinweisen. Dass die verschiedenen Ebenen immer wieder miteinander in Berührung kommen und in gewisser Weise voneinander abhängen, darf, wenn man die Sprachentwicklung und deren Störungen adäquat beschreiben will, nicht vernachlässigt werden. Ich habe der Übersicht halber versucht eine Trennung der Bereiche vorzunehmen, komme jedoch in einzelnen Bereichen jeweils auch auf die damit Verbundenen zu sprechen.

Innerhalb des Theorieteils werde ich neben der Sprachentwicklung und deren Störungen einen kurzen Überblick über die Idee der Theaterpädagogik und deren Ziele sowie Sprachfördermöglichkeiten im Rahmen von Spielen geben sowie auf die wichtigsten Grundsätze der ganzheitlichen Sprachförderung eingehen. Dabei ist es von besonderer Bedeutung die Zusammenhänge zwischen diesen Inhaltsbereichen herauszuarbeiten, um im Anschluss den Fokus auf die konkrete Entwicklung eines Theaterprojektes auf der Grundlage der Ganzheitlichkeit und dessen Möglichkeiten zur Sprachförderung auf den bereits oben erwähnten linguistischen Ebenen herauszuarbeiten.

Im praktischen Teil der Arbeit ist auf der Basis der Ganzheitlichkeit ein Theaterprojekt entstanden, das neben rein sprachlichen Fördermöglichkeiten auch Förderspiele für andere Entwicklungsbereiche beinhaltet. Es umfasst einerseits einen reinen Theaterteil, in welchem die Schüler das Theaterstück „Im Zauberwald“ mit Leben erfüllen und erproben, andererseits viele Spiele zur Sprachförderung, die inhaltlich mit dem Stück in Verbindung stehen und einer weiteren Förderung der Sprache der Kinder dienen. Somit bietet das Theaterprojekt die Möglichkeit die Kinder auf zwei unterschiedlichen Ebenen zu fördern. Um eine sinnvolle Struktur meiner Ausführungen zu gewährleisten, werde ich zuerst die einzelnen Spiele in ihren verschiedenen Förderbereichen darstellen und diese erst im Anschluss in das Theaterprojekt integrieren.

Schon hier möchte ich betonen, dass die von mir entworfenen Spiele zur Sprachförderung, auch wenn sie nach den linguistischen Ebenen differenziert werden, immer dem Prinzip der Ganzheitlichkeit folgen sollen.

Da das Theaterprojekt in der Gruppe stattfindet, sind viele unterschiedliche Spiele aufgenommen worden, um Rücksicht auf die Verschiedenheit der einzelnen Kinder in Bezug auf ihre individuellen Schwächen nehmen zu können. Im Anschluss an die Beschreibung der einzelnen Fördermöglichkeiten geht es um die konkrete Entwicklung des Projektes. Ich habe das Theaterstück auf Basis der Phantasiewelt von Kindern entworfen, um ihr Interesse am Spielen eines Theaterstückes zu wecken. Außerdem ist es mir wichtig, dass die Kinder nicht sofort den Eindruck einer typischen Förderstunde bekommen. Die Kinder sollen im Schonraum des Theaters Möglichkeiten erhalten, ihre Sprache ohne Ängste auszuprobieren. Sie sollen für jeden Bereich der Sprache, also für die Artikulation, den Wortschatz, die Grammatik und die kommunikativen Kompetenzen und darüber hinaus auch für die vier Bereiche Wahrnehmung, Kognition, Emotion sowie Motorik Anreize bekommen, um sich in ihrer individuellen Entwicklung weiter zu entfalten.

Durch meine Mitarbeit in einer Theater-AG zur Sprachförderung innerhalb meines Studiums war es mir stets möglich immer wieder auch den konkreten Bezug zur Praxis zu sehen. Allerdings ist das in Kapitel 6. beschriebene Theaterstück gänzlich neu von mir entworfen und noch nicht in der Praxis erprobt. Es ist jedoch für die Praxis konzipiert worden; mein Anliegen ist es jeden Leser theoretisch in die Lage zu versetzen, das Theaterprojekt durchführen zu können. Die einzelnen Stunden können dabei je nach Bedarf für die Besonderheiten einzelner Lerngruppen variiert und erweitert werden und dienen als Grundstock bzw. Anreiz für die Durchführung einer Sprachförderung im Rahmen eines Theaterprojektes.

I. Theoretischer Teil

2. Sprachentwicklung

Auf den folgenden Seiten möchte ich einen kurzen Überblick über die natürliche Sprachentwicklung des Kindes geben, um im weiteren Verlauf der Arbeit die einzelnen Sprachauffälligkeiten besser unterscheiden zu können. Denn wie schon Hannelore Grimm in ihrem Buch „Störungen der Sprachentwicklung“ feststellte, lassen sich „[…] Abweichungen und Defizite […] nur vor dem Hintergrund der ungestörten Entwicklung verstehen“ (Grimm 2003:5/6). Darüber hinaus ist es mir wichtig aufzuzeigen welcher Schritt in der Sprachentwicklung dem Vorangegangenen folgt. Denn nur wenn klar ist, welcher Schritt in der gesunden Sprachentwicklung der nächste ist, kann man auch in der Förderung eine kontinuierliche Entwicklung ohne Unter- bzw. Überforderung erzielen. Ich beziehe mich hauptsächlich auf die Entwicklung der vier Sprachebenen, d.h. der phonetisch-phonologischen, der semantisch-lexikalischen, der syntaktisch-morphologischen sowie der kommunikativ-pragmatischen Ebene (vgl. Grohnfeldt 1996:4) und werde die Entwicklung der prosodischen Kompetenz (vgl. Grimm 2003:17) ausschließlich kurz im Rahmen der anderen Entwicklungen bzw. innerhalb des von mir entwickelten Förderprojektes und den erforderlichen Materialien ansprechen. Genauso werde ich auch auf wichtige außersprachliche Entwicklungen, wie Wahrnehmungs- und Motorikentwicklung, welche parallel zur Sprachentwicklung stattfinden und mit dieser in enger Verbindung stehen, nicht explizit eingehen, um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen. Ich werde diesen jedoch bei der Entwicklung der Spiele ein eigenes Unterkapitel widmen, um deren Wichtigkeit zu verdeutlichen.

Doch trotz dieser differenzierten Darstellungsweise der Sprachentwicklung anhand der linguistischen Ebene muss deren Verbundenheit grundsätzlich bedacht werden.

2.1. Entwicklungen auf der phonetisch-phonologischen Ebene

Die Entwicklungen auf der phonetisch-phonologischen Ebene umfassen sowohl die Lautproduktion als auch die Lautrezeption, wobei auch hier zu beachten ist, dass beide Prozesse nicht voneinander getrennt ablaufen.

Erstere beginnt mit dem Schrei des Neugeborenen, welcher als Reflex durch die Sauerstoffversorgungsumstellung ausgelöst wird (vgl. Günther 1995:28). Daran schließt für ca. vier bis sieben Wochen die Schreiphase des Säuglings an, in welcher der Schrei zum einen Mitteilungsfunktion und zum anderen Stärkungsfunktion des Stimmapparates in sich beinhaltet (vgl. Klann-Delius 1999:22/23). Die nächste Phase, die sich im Alter von ca. sieben Wochen bis ca. vier Monaten anschließt, wird als Phase der „Gurrlaute“ bezeichnet, da der Säugling wiederholend vokalartige Laute und am Gaumen gebildete Laute erzeugt. Im Alter von vier Monaten beginnt das kontrollierte Bewegen des Gaumensegels, welches Voraussetzung für die Bildung des Kontrastes zwischen nasalen und oralen Lauten darstellt (vgl. Dittmann 2002:20). Außerdem beginnt der Säugling, die Kapazität des Stimmapparates auszutesten und mit der Stimme zu spielen, d.h. Melodie, Intensität und Klangfarbe zu verändern und damit für sich zu entwickeln. Das Lautrepertoire umfasst zu diesem Zeitpunkt die vokalartigen Laute /e/, /I/, und /Λ/ sowie die konsonantenähnliche Laute /h/, /ʔ/, /k/ und/g/ (vgl. Klann-Delius 1999:23). Laut Dittmann 2002 treten in dieser Phase ebenso die konsonantenähnlichen Laute /m/ und /b/ auf und der Säugling beginnt, erste silbenartige Äußerungen zu artikulieren. Daher spricht man von nun an auch von der Babbelphase. Diese Phase wird ungefähr ab dem siebten Monat auch als repetitives Babbeln bezeichnet, da die silbenartigen Äußerungen wiederholend aneinander gereiht werden (vgl. ebd.:24). Dieses häufige Aneinanderreihen einzelner Silben trainiert einerseits den Übergang zwischen den Silben, was zum Sprechen von Wörtern Grundvoraussetzung ist, andererseits werden auch prosodische Muster eingeübt, die der Beherrschung der prosodischen Strukturen der Muttersprache dienen. Ungefähr ab dem zehnten Lebensmonat werden unterschiedliche Silben, wie z.B. ma, mu, me aneinandergereiht, was in der Literatur als buntes Babbeln bezeichnet wird. Häufig weisen diese Äußerungen schon die Intonation der Muttersprache auf (vgl. Dittmann 2002:21/22). Das Lautrepertoire umfasst gegen Ende der Babbelphase die Laute /h/, /d/, /b/, /m/, /t/, /g/, sowie /s/ , /w/, /n/, /k/, /j/ und /p/ (vgl. Klann-Delius 1999:24). Der nun einsetzende Übergang von vokal- und konsonantenähnlichen Lauten zu den Vokalen und Konsonanten des Deutschen verläuft kontinuierlich und ebnet den Übergang von der vorsprachlichen zur sprachlichen Ebene (vgl. Jahn 2003:17/18). Mit etwa einem Jahr beginnt das Kind erste Worte zu sprechen, die im Unterschied zur Babbelphase Laute mit bedeutungsunterscheidender Funktion besitzen (vgl. Dittmann 2002:25). Der Erwerb dieser sog. Phoneme verläuft im Gegensatz zum Erwerb der Laute in der Babbelphase von vorne nach hinten. Außerdem entstehen Plosive vor Frikativen. Laut Dittmann 2002 ist der erste Konsonant, den ein Kind bilden kann, der labiale Plosiv /p/, der erste Vokal das /a/, welches mit der größten Mundöffnung einhergeht. Diese beiden Laute bilden laut Jakobson, zitiert nach Dittmann 2002, einen maximalen Kontrast zueinander. Auch die in der Entwicklung bevorstehenden Konsonanten folgen dem Prinzip des Gegensätzlichen, wie z.B. dem Gegensatz zwischen Oral- und Nasallaut, wie /p/ und /m/ oder dem Gegensatz zwischen labialem und dentalem Laut, wie /p/ und /t/. Bei den Vokalen folgt dem /a/ mit dem größten Kontrast das /i/ oder in manchen Fällen auch das /u/ (vgl. Dittmann 2002:25). Neben dem Prinzip des maximalen Kontrasts kann man auch davon ausgehen, dass es für den Phonemerwerb von Bedeutung ist, welche Phoneme häufiger in Wörtern der Zielsprache vorkommen als andere (vgl. ebd.: 26). Die Phase der ersten Worte ist also einerseits durch die überwiegende Verwendung von einfachen Konsonant-Vokal-Verbindungen gekennzeichnet, andererseits durch das Verwenden von alterstypischen Vereinfachungsprozessen. Diese Vereinfachungsprozesse können unterschieden werden in Silbenstrukturprozesse, Ersetzungsprozesse und Assimilations-prozesse (vgl. Jahn 2003:18-21). Sie sollten im Verlauf des Spracherwerbs immer weiter überwunden werden, bis das Kind auf der phonetisch-phonologischen Ebene über ein voll ausgebildetes Phoneminventar verfügt. Generell kann man bei einem fünfjährigen Kind davon ausgehen, dass der Phonemerwerb weitgehend abgeschlossen ist. Jedoch können noch immer vereinzelte phonologische Prozesse auftreten (vgl. ebd.:23).

Die Lautrezeption beginnt bereits in der pränatalen Phase. Die Prosodie der Muttersprache kann vom Ungeboren schon ab der 24. Schwangerschaftswoche aufgenommen und bis zum achten Schwangerschaftsmonat gelernt werden. Demzufolge lernt ein Säugling das prosodische Muster seiner Muttersprache zuerst kennen (vgl. Szagun 2006:48). Dass bereits Neugeborene die Prosodie ihrer Muttersprache erfassen, deutet unter anderem darauf hin, dass schon Neugeborene über ein Gedächtnis für Schalleindrücke verfügen. Doch nicht nur die Prosodie wird von Neugeborenen erworben, sie können auch bereits von Geburt an menschliche von nicht-menschlichen Lauten unterscheiden (vgl. Klann-Delius 1999:27). Mit dem ersten Lebensmonat ist es Säuglingen möglich, akustische Kontraste, die für die Unterscheidung zwischen Phonemen relevant sind, zu differenzieren. Dieses Phänomen wird auch als kategoriale Sprachwahrnehmung bezeichnet. Doch nicht nur Unterschiede zwischen Phonemen der eigenen Muttersprache, sondern auch Unterschiede zwischen Lauten, die in der eigenen Sprache gar nicht vorkommen, können von Säuglingen unterschieden werden. Allerdings setzt allmählich eine Desensibilisierung dieser Unterscheidung ein, sodass es mit einem halben Jahr zur Wandlung einer breit angelegten zu einer sprachspezifischen Wahrnehmung kommt (vgl. Dittmann 2002:18). Mit ca. sechs Monaten erwerben Kleinkinder fortlaufend phonotaktische Regeln, die bestimmen, welche Lautkombinationen in der jeweiligen Sprache generell bzw. am Anfang oder am Ende eines Wortes vorkommen können. Jedoch lernen sie nicht nur die entsprechenden Regeln, sondern gleichermaßen die Häufigkeit der jeweiligen Lautkombinationen (vgl. Szagun 2006:52). Besonders häufig auftretende Lautkombinationen werden eher gelernt und helfen neben der speziellen Betonung der Wörter bei deren Erwerb. Kleinkindern ist es dann möglich, Worte aus einer fortlaufenden Rede herauszufiltern und wieder zu erkennen. Zu dieser Zeit ist das Wissen über die Worte allerdings noch sublexikalisch - also ohne Bedeutung (vgl. ebd.: 57). Man geht davon aus, dass Kinder zwischen ca. acht bis zehn Monaten die ersten und mit elf Monaten schließlich schon bis zu 50 Worte verstehen können (vgl. ebd.:123).

2.2. Entwicklungen auf der semantisch-lexikalischen Ebene

Mit dem Verständnis der ersten Worte beginnt die Entwicklung auf der semantisch-lexikalischen Ebene, auch wenn man in der expressiven Sprache noch keinen aktiven Wortschatz nachweisen kann. Noch bevor Kinder Worte aussprechen, beginnen sie bereits im Alter von ca. sechs Monaten Objekte nach Merkmalen zu sortieren und kategorisieren und müssen in einem weiteren Schritt erkennen, dass es Worte gibt, die die Bedeutung jedes Objektes widerspiegeln (vgl. Rothweiler 2001:47). Dieser Bedeutungserwerb kann laut Piaget, zitiert nach Dittmann 2002, erst mit dem Eintreten der „Objektpermanenz“ beginnen, wenn das Kind lernt, dass Objekte in seiner Vorstellung bestehen bleiben. (vgl. Dittmann 2002:37) Die erste Aufgabe, vor welche Kinder gestellt werden, wenn sie die ersten Worte und deren Bedeutung lernen, ist das Heraushören einzelner Worte aus einem kontinuierlichen Strom akustisch-auditiver Reize. Ein wichtiges Erkennungsmerkmal ist hierbei die Prosodie, die dabei hilft einzelne Worte als diese zu erkennen. Sind diese Worte erkannt muss ihnen eine Bedeutung zugewiesen werden, um das reine phonetische Gerüst auszufüllen. Kinder geben den Wortformen stets vorläufige Bedeutungen, was mit dem Begriff fast-mapping bezeichnet wird. Um jedoch auch in sehr offenen Situationen Bedeutungen von Wörtern zu erwerben, gibt es in der Literatur verschiedene Theorien über das Erkennen und den Erwerb der richtigen phonetischen Realisierungen zu dem jeweiligen Objekt bzw. der jeweiligen Situation (vgl. Glück 2005: 40-42ff.). Laut Dittmann 2002 wurde Ellen M. Markmans Vorschlag zum Bedeutungserwerb in der Forschung stark angenommen. Danach gingen Kinder nach drei Annahmen, nämlich der Ganzheitsannahme, der Taxonomieannahme sowie der Disjunktionsannahme vor, um das richtige Wort für das passende Objekt zu lernen. Kinder gehen davon aus, dass jenes Wort, welches sie lernen, immer für das ganze Objekt spricht (Ganzheitsannahme), dass alle Gegenstände einer Art mit dem selben Wort gekennzeichnet werden (Taxonomieannahme) und dass es sich entweder um ein zweites Objekt bzw. um einen Teil des Objektes handeln muss, wenn ein bereits bekanntes Objekt mit einem neuen Wort bezeichnet wird (Disjunkionsannahme) (vgl. Dittmann 2002:41/42). Normalerweise treten die ersten gesprochenen Worte im Alter von zwölf Monaten auf und steigern sich bis zum 15. Monat auf ca. fünfzig Worte (vgl. Kilborn 2002:24). Zu Beginn des expressiven Sprachgebrauchs werden ca. 25% der Wörter in einem erweiterten Bedeutungsumfang genutzt, als diese eigentlich besitzen. Vor allem die Form und die Größe, danach aber auch deren Funktion, sind wichtige Merkmale, um den Gegenständen Bedeutungen zuzuordnen. Wenn also Gegenstände räumlich und zeitlich gemeinsam auftreten und für das Kind eine Erlebniseinheit bilden, sodass sie füreinander eintreten können, beginnt das sprachliche Erkennen und Ordnen (vgl. Butzkamm/Butzkamm 2008:91). In der fortlaufenden Entwicklung kann man dann immer häufiger beobachten, dass ein Ablösen vom Gebrauch ausschließlich situationsgebundener Worte hin zu Worten, die nicht mehr nur in der jeweiligen Situation benutzt werden, stattfindet. Damit vergrößert sich die zeitweilige Verwendungsmöglichkeit jedes Wortes (vgl. Rothweiler 2001:44). Zu dieser Zeit treten sowohl Protowörter, der Zielsprache noch vorläufige Worte, als auch schon erste der Zielsprache entsprechende Worte auf. Die Protowörter sind für Kinder anfänglich häufig einfacher zu erwerben, da sie über ein hohes Anschauungspotential verfügen (vgl. Butzkamm/Butzkamm 2008:92).

Nach dem Erwerb der ersten fünfzig Worte kommt es vielfach zu einem rasanten Anstieg der Anzahl der gelernten Worte. Dieses Phänomen wird auch als der Vokabelspurt bezeichnet. Ausgelöst wird dieses Phänomen wahrscheinlich dadurch, dass das Kind begreift, dass jedes Objekt benannt werden kann und es Interesse daran hat, alle Begriffe kennen zu lernen. Außerdem entwickeln sich auch die phonologischen Fähigkeiten weiter, sodass Kinder nun auch schwierigere Wörter auszusprechen versuchen (vgl. Dittmann 2002:40). Mit dieser raschen Zunahme neuer Worte verändern sich der Bedeutungsspielraum und die Bedeutungsart eben dieser und die Bedeutungen werden immer expliziter (vgl. Butzkamm/Butzkamm 2008:104). Diese Wortexplosion bildet, wie im folgenden Kapitel dargelegt werden wird, die Basis für einen erfolgreichen Grammatikerwerb (vgl. Grimm 2003:38), womit einmal mehr der Zusammenhang zwischen den Ebenen verdeutlicht wird. Zu Beginn des Sprachgebrauchs kann man vielfach zwei Phänomene, nämlich jenes der Übergeneralisierung und jenes der Überdiskriminierung beobachten. Wird z.B. für alle vierbeinigen Tiere das Wort „Kuh“ benutzt, spricht man von Übergeneralisierung, da das Kind noch keine vollständigen Bedeutungsrepräsentationen aufgebaut hat. Wird andererseits nur für eine bestimmte Automarke das Wort „Auto“ verwendet und alle anderen Automarken werden anders oder gar nicht benannt, spricht man von Überdiskriminierung (vgl. Dittmann 2002:37-39). Mit der Prototypentheorie versucht man diese Phänomene so zu erklären, dass Kinder einen bestimmten Prototypen in ihrem Speicher ablegen und diesem jeweils die Objekte zuordnen, die ihm in einigen Merkmalen ähnlich sind (vgl. Rothweiler 2001:50). Erst mit dem Begreifen der hauptsächlichen Merkmale, die ein Objekt definieren, spezialisiert sich der Wortschatz. Die Entwicklung auf der semantisch-lexikalischen Ebene verläuft somit von einem sehr umfassenden Bedeutungsgebrauch hin zu einem eingeschränkten und damit passendem Bedeutungsgebrauch (vgl. Butzkamm/ Butzkamm 2008:92). Um im folgenden Kapitel mögliche Auffälligkeiten auf der semantisch-lexikalischen Ebene besser zu begreifen, möchte ich hier noch kurz auf die mentale Repräsentation der Worte eingehen. Unser gesamtes sprachliches Wissen ist im mentalen Lexikon auf zwei unterschiedlichen Ebenen, nämlich der Ebene des Konzepts und der Ebene der Wortform, gespeichert. Beide Ebenen besitzen ihre eigenen strukturellen Merkmale und sind nach formaler und inhaltlicher Einheit gegliedert. Sie sind assoziativ miteinander verknüpft und bilden die Grundlage für einen schnellen und zweckvollen Wortabruf (vgl. Glück 2005:72/73).

Im Alter von zwei Jahren haben Kinder dann einen aktiven Wortschatz von ca. 200-300 Wörtern, der bis zum Schulbeginn auf einen Umfang von ca. 5000 Wörtern wächst. Der passive Wortschatz umfasst zu dieser Zeit bereits 25.000 Wörter. Bei einem Erwachsenen geht man davon aus, dass dieser einen aktiven Wortschatz von ca. 10000-15000 Wörtern besitzt und in der Lage ist, bis zu 200000 Wörter zu verstehen (vgl. Butzkamm/Butzkamm 2008:105).

Die ersten Worte, die ein Kind zu sprechen beginnt, sind Nomen aus der unmittelbaren Umgebung des Kindes. Dieser ersten Phase folgt das Benennen von Handlungen und erst viel später, im Zeitraum zwischen drei und zwölf Jahren, beginnt eine lexikalische Strukturierung in Wortfelder und es werden Adjektive, Adverbien, Präpositionen und Konjuktionen erworben (vgl. Klann-Delius 1999:37). Außerdem findet auch häufig noch in der späten Wortschatzentwicklung ein Bedeutungswandel verschiedener Begriffe statt. Vor allem abstrakte Begriffe, wie z.B. Gefühle, die Kinder noch nicht erlebt haben, gewinnen im Laufe des Lebens eine umfassendere Bedeutung, als sie das im Kindesalter hatten (vgl. Dittmann 2002:51).

2.3. Entwicklungen auf der syntaktisch-morphologischen Ebene

Die Entwicklungen dieser Ebene umfassen den Grammatikerwerb des Kindes, der mit dem Äußern der ersten Worte des Kindes beginnt und in seinen Anfängen auch als Phase der Einwortäußerungen beschrieben wird. Kinder versuchen mit Hilfe eines Wortes, auch wenn es sich dabei teilweise noch um lautmalende Äußerungen bzw. Protowörter handelt, ihre Absichten auszudrücken. Sie besitzen also schon im Alter von einem bis zu eineinhalb Jahren kommunikatives Bewusstsein (vgl. Dittmann 2002:53). Neben den Einwortäußerungen kommt es ab einem Alter von ungefähr 18 Monaten zu Zweiwortäußerungen, welche den eigentlichen Beginn des Syntaxerwerbes darstellen. Kinder drücken mit ihren Zweiwortäußerungen, je nach Kontext, unterschiedliche Bedeutungen aus. Auch beim Grammatikerwerb spielt die von Piaget erkannte Objektpermanenz eine wichtige Rolle. Erst wenn Kinder begreifen, dass Objekte von ihnen getrennt bestehen, können sie auch die Beziehungen zwischen sich selber und anderen Menschen bzw. Objekten mit Hilfe ihrer Sprache ausdrücken. Dies geschieht laut Szagun 2006 innerhalb der Kategorien „Demonstrativ+Objekt/Subjekt“, „Handlungsträger+Handlung“, „Objekt+ Handlung“, „Handlungsträger+Objekt“, „Handlung+Lokalisation“, „Person+Lokalisation“ sowie „Besitzer+Besitz“. Ausschließlich wenn Kinder bestimmte Objekte näher beschreiben, setzt es nicht das Begreifen der Objektpermanenz voraus (vgl. Szagun 2006:66-69). Schon in Zweiwortäußerungen treten vereinzelt morphologische Markierungen, wie die Markierung des Genitivs mit -s und einige Pluralformen, auf (vgl. Klann-Delius 1999:40). In der nächsten Phase des Grammatikerwerbs, welche im Alter zwischen zwei und vier Jahren stattfindet, verlängern sich die kindlichen Äußerungen auf drei und mehr Wörter. Zu dieser Zeit werden die Flexionen erworben. Kinder beginnen mit ersten Pluralmarkierungen im Alter von 16 Monaten. Dabei sind die –n und –e Plurale am häufigsten zu beobachten. Dieses häufigere Vorkommen ist auch auf die zahlreiche Verwendung eben dieser Pluralformen in der deutschen Sprache zurückzuführen. Auch der Genuserwerb beginnt schon sehr früh im Alter von 18 Monaten und ist im Alter von drei Jahren bereits relativ sicher. Kinder richten sich beim Erwerb der Genusmarkierungen nach bestimmten Wortauslauten bzw. Wortanfängen, die ein bestimmtes Genus mit sich bringen. Allerdings kann diese Regel nicht zu 100% angewendet werden, da auch hier Ausnahmen bestehen (vgl. Szagun 2006:73-75). Der Erwerb von Verbflexionen gelingt für Personen im Präsens sehr schnell, im Partizip Perfekt kommt es hingegen noch häufiger zu Fehlern. Zu Beginn wird häufig das Präfix ge - weggelassen, was jedoch nach kurzer Zeit nachlässt. Danach werden eher Fehler durch falsche bzw. fehlende Suffixe gemacht oder es entstehen Kombinationen von Suffix-, Vokal-, und Präfixfehlern. Diese sind, auch wenn sie zu Beginn relativ häufig auftreten, im Alter von drei Jahren auf 10% reduziert. Markierungen für z.B. das Futur werden ebenso zu dieser Zeit beobachtet (vgl. ebd.:76/77).

Wenn auch zu Beginn der Dreiwortphase noch Sätze gebildet werden, in der die Infinitivform des Verbs eine Endstellung einnimmt, können relativ schnell Sätze mit Zweitstellung des finiten Hilfsverbs gebildet werden. Bis finite Vollverben in Zweitstellung gebraucht werden, dauert es bis zum Ende des zweiten Lebensjahres. Allerdings treten auch dann noch Infinitive in Endstellung auf. Die Aneinanderkettung von Hauptsätzen wird von Kindern im dritten Lebensjahr durch die Verwendung von Nebensätzen abgelöst. Ebenso treten zu diesem Zeitpunkt die ersten Passivsätze auf. Diese bleiben jedoch bis zum sechsten Lebensjahr noch relativ selten (vgl. Dittmann 2002:85/86). Klann-Delius 1999 zitiert nach Wode, dass Kinder zwischen zweieinhalb und vier Jahren, im Übergang vom Stadium der einfachen Syntax zum Stadium der komplexen Syntax, das Benutzen von Relativsätzen sowie Konjunktionalsätzen erlernen. Ihre Sätze werden länger und komplexer, bis sich im Alter von ca. zwölf Jahren der Grammatikerwerb vervollständigt hat (vgl. Klann-Delius 1999:40/41). Wie der Erwerb dieser Grammatik von Kindern bewerkstelligt wird, führt in der Literatur zu Diskussionen und kann noch nicht eindeutig erklärt werden. Allerdings geht man davon aus, dass Kinder über angeborene Prinzipien einer Universalgrammatik verfügen, die durch unterschiedliche Lernmechanismen bei dem Erwerb unterstützt werden. Zu Beginn des Erwerbs und Aufbaus einer elementaren Grammatik mit syntaktischen Strukturen spielen vor allem semantische Lernstrategien eine wichtige Rolle. Die weitere Entwicklung erfolgt dann unter dem Einsatz formaler Lernstrategien auf Grundlage grammatischer Dimensionen (vgl. Hansen 1996:59/60).

2.4. Entwicklungen auf der kommunikativ-pragmatischen Ebene

Wie die Entwicklung auf der kommunikativ-pragmatischen Ebene verläuft, möchte ich in Anlehnung an Klann-Delius 1999 beschreiben. Auch auf dieser Ebene beginnt die Entwicklung schon sehr früh, setzt sich aber am längsten fort. Bereits in der vorsprachlichen Phase kommunizieren Mutter und Kind nach der turn-taking Regel der Kommunikation, nach der ein abwechselndes Handeln und Aufpassen für den Dialog Grundlage sind. Dieses Verhalten wird dann auch im späteren Dialog bei Kindern mit zwei bis drei Jahren beobachtet. Diese sind bereits in der Lage, das Gesagte aufzunehmen und zu ihrem Gesagten in Bezug zu setzen. Diese „ dialogische[…] Bezugnahme“ (Klann-Delius 1999:41) setzt voraus, dass Kinder über mögliches thematisches und sprachliches Wissen verfügen. Außerdem wurde festgestellt, dass es Kindern im Alter von drei Jahren schon möglich ist einen Dialog durch unterschiedliche Mittel, wie etwa das Gesagte zu wiederholen aufrechtzuerhalten bzw. zu verlängern. Diese frühen Arten der Kommunikation kann man jedoch noch nicht mit denen der Erwachsenensprache vergleichen. Erst ab einem Alter von sechs Jahren beginnen Kinder zu begreifen, dass etwas Gesagtes auf unterschiedliche Art und Weise gedeutet werden kann. Ebenso beginnt in diesem Alter der Versuch der Kinder, Kohärenz zwischen den Sätzen herzustellen. Kindern unter fünf Jahren gelingt es noch nicht eine Geschichte fortlaufend zu erzählen. Sie reihen ausschließlich Ereignisse aneinander. Erst mit Beginn des sechsten Lebensjahres, beginnen Kinder beim Erzählen von Geschichten Mittel zur Herstellung von Kohärenz zu verwenden. Und erst mit neun Jahren sind diese sprachlichen Fähigkeiten zur Kohärenzbildung voll ausgebildet. Neben dem Bilden von kohärenten Erzählungen ist es ebenso von Bedeutung, wie diese Erzählungen in ihrem Grundschema aufgebaut sind. Jüngere Kinder benutzen zum Erzählen einer Geschichte keinen prototypischen Ansatz, der vorgibt, dass eine Geschichte mit einer Einleitung beginnt, über einen Hauptteil in der Mitte verfügt und mit dem auflösenden Schluss beendet wird. Zwischen drei und neun Jahren werden die Geschichten schon teilweise nach diesem Ansatz erzählt, teilweise aber auch variiert. Dasselbe lässt sich auch für die beiden Ereignisse „Wegbeschreibung“ und „Spielanleitung“ darstellen. Erst im Alter von acht bis zehn Jahren ist es den Kindern möglich, beide Aufgaben eindeutig durchzuführen und zu lösen. Sie verfügen zu diesem Zeitpunk sowohl über die passenden sprachlichen Mittel (vgl. Klann-Delius 1999: 41-45), als auch über „interaktive Routinen der Verständnissicherung“ (Klann-Delius 1999: 45).

3. Beschreibung verschiedener Sprachstörungen

Wie im Vorangegangenen schon die Sprachentwicklung auf der phonetisch-phonologischen, der semantisch-lexikalischen, der syntaktisch-morphologischen sowie der kommunikativ-pragmatischen Ebene beschrieben werden konnte, lassen sich auch im Folgenden die verschiedenen Sprachauffälligkeiten mit Hilfe dieser vier linguistischen Ebenen strukturieren und somit anschaulicher darstellen. Allerdings sollte man dabei stets berücksichtigen, dass auch in diesem Fall eine Trennung nur theoretisch vorzunehmen ist, da die jeweiligen Prozesse miteinander verbunden sind (vgl. Grohnfeldt 1996:4). Jedes Kind kann also auch kombinierte Störungen aufweisen, weshalb es sich in der Praxis stets schwieriger gestaltet, einzelne Störungen klar voneinander zu trennen. Im Folgenden sind hauptsächlich jene Auffälligkeiten beschrieben, die in meinem Theaterprojekt auch durch die einzelnen Maßnahmen gefördert werden können.

3.1. Störungen auf der phonetischen-phonologischen Ebene

Die Störungen der phonetisch-phonologischen Ebene lassen sich, wie schon aus dem Begriff ersichtlich wird, zwei Bereichen zuordnen, nämlich zum einen der Phonetik und zum anderen der Phonologie. Insgesamt werden mit dem Begriff alle Störungen der Lautbildung und Lautverwendung gemeint, die jedoch aus unterschiedlichen Gründen entstehen und eine ganz heterogene Gruppe bilden. Synonym verwendete Begriffe für diese Lautbildungsstörung sind Dyslalie, Aussprachestörung oder Stammeln (vgl. Grohnfeldt 1996:5).

Innerhalb des Oberbegriffes „Dyslalie“ kann man nach der zugrunde liegenden Ursache in „Störungen der Aufnahme und Verarbeitung von Sinneseindrücken“, zu der die audiogene, die sensorische sowie die zentrale Dyslalie gehören und in „Störungen der Sprechwerkzeuge und der neuromuskulären Koordination“, der die Dysglossien, die motorische Dyslalie sowie die Dysarthrien zuzuordnen sind, aufteilen (vgl. ebd.:8). Außerdem ist als Ursache auch immer die Rolle der Umwelt eines Kindes mit einzubeziehen (vgl. Weinrich/Zehner 2003:28).

Je nach Art der Fehlbildung und deren Konsequenz kann man zwischen inkonsequenten bzw. konsequenten und inkonstanten bzw. konstanten Dyslalien unterscheiden. Von inkonsequenten Dyslalien spricht man, wenn der falsche Laut nicht immer auf dieselbe Weise gestammelt wird, von inkonstanten Dyslalien, wenn der Laut mal richtig und mal falsch gebildet wird (vgl. Franke 2001:65).

3.1.1 Phonetische Störungen

Bei dieser Art von Störungen handelt es sich um reine Störungen der Artikulation in Folge von Lähmungen, feinmotorischen Einschränkungen oder peripheren Defekten an den, bei der Artikulation benötigten, Sprechorganen. Bei diesen Störungen werden Lautverbindungen oder einzelne Laute falsch gebildet, ausgelassen oder durch andere Laute ersetzt. Sind feinmotorische Einschränkungen oder Ungeschicklichkeiten der Grund für die Dyslalie, so spricht man von motorischen Dyslalien; ein durch Veränderungen an den Sprechorganen hervorgerufenes Stammeln bezeichnet man als mechanische Dyslalie oder Dysglossien. (vgl. Wirth 1990:259-268). Bei zentral bedingten Sprechstörungen aufgrund von Verletzungen und Erkrankungen der am Sprechvorgang beteiligten Zentren, Bahnen und Kerne, handelt es sich um Dysarthrien (vgl. Grohnfeldt 1996:8). Unter den Begriff „phonetische Dyslalien“ fallen außerdem jene artikulatorischen Auffälligkeiten, die durch psychosoziale Faktoren, wie fehlende oder falsche Sprechvorbilder, ausgelöst werden (vgl. Jahn 2007:30) oder auch die sog. Dyspraxie. Phonetische Störungen beziehen sich somit im Gegensatz zu den phonologischen Störungen auf den rein technischen Aspekt der Sprache, nämlich das Sprechen. Generell kann jeder Laut von einer Fehlbildung betroffen sein. Ich möchte im Folgenden exemplarisch jedoch nur drei Fehlbildungen, nämlich die des /s/-Lautes, des /ʃ/-Lautes sowie des /k/-Lautes beschreiben.

3.1.1.1 Sigmatismus

Im Allgemeinen meint Sigmatismus das Stammeln des /s/. Innerhalb dieses Oberbegriffes können jedoch unterschiedliche Arten, wie z.B. der Sigmatismus interdentalis, der Sigmatismus lateralis oder der Sigmatismus addentalis beschrieben werden. Diese Bezeichnungen entstehen entsprechend des jeweiligen Bildungsortes. Die Ursachen eines Sigmatismus sind unterschiedlich. Beispielsweise können feinmotorische Ungeschicklichkeiten, eine hyperfunktionelle Sprechweise infolge Zungenpressens, Gaumenspalte oder Nachahmung vorliegen. Eine Art des Sigmatismus ist der oben genannte Sigmatismus interdentalis. Bei diesem handelt es sich um die Form, die als das eigentliche Lispeln beschrieben wird. Bei der Bildung des /s/-Lautes wird die Zunge zwischen die oberen und unteren Schneidezähne geschoben und der entstehende /s/-Laut ist im Klang unscharf und stumpf (vgl. Weinrich/Zehner 2003:21/22).

3.1.1.2 Schetismus

Mit dem Begriff „Schetismus“ wird die fehlerhafte Bildung oder der Ersatz des

/ʃ/ beschrieben. (vgl. Franke 2001:189) Wird das /ʃ/ durch die Laute /t/, /d/, /s/, /ç/ ersetzt, spricht man auch von Paraschetismus. Ähnlich wie beim Sigmatismus können auch beim Schetismus unterschiedliche Formen, wie beispielsweise der Schetismus interdentalis, Schetismus lateralis oder der Schetismus nasalis, je nach Bildungsort unterschieden werden (vgl. Wirth 1990:305).

3.1.1.3 Kappazismus

Bei dieser Sprechstörung handelt es sich um die fehlerhafte Bildung des Verschlusslautes /k/. Im Normalfall wird dieser gebildet, indem der hintere Teil des Zungenrückens mit dem Gaumensegel einen Verschluss bildet, um den Nasenrachenraum vom Mundraum abzutrennen (vgl. Wirth 1990:306). Treten Probleme bei der Bildung dieses Lautes auf, wird an dessen Stelle häufig ein /t/ oder /d/ gebildet (vgl. Franke 2001: 114).

3.1.2 Phonologische Störungen

Von phonologischen Störungen ist die Rede, wenn die linguistische Organisation von Lauten beeinträchtigt ist oder die Kinder Schwierigkeiten haben, sich das phonologische Regelsystem ihrer Muttersprache qualifiziert anzueignen (vgl. Jahn 2007:30). Als Merkmal einer phonologischen Störung dient das Phänomen, dass Laute isoliert ohne Schwierigkeiten gebildet werden können, sie aber in Worten ersetzt oder ausgelassen werden (vgl. Braun 2002:188). Damit ist nicht mehr die Artikulation des einzelnen Lautes von Bedeutung, sondern die Regeln für dessen Gebrauch (vgl. Grohnfeldt 1996:6). Phonologische Störungen äußern sich in der gesprochenen Sprache als altersinadäquate und von der Qualität und Quantität der natürlichen Sprache abweichende Prozesse. Phonologische Prozesse sind im Rahmen der Sprachentwicklung zwar erst einmal physiologisch einzustufen, weshalb es nicht immer leicht ist eine Störung sofort zu erkennen. Allerdings sollte bei lang anhaltenden Vereinfachungsprozessen und Lautersetzungen überprüft werden, ob es sich um eine phonologische Störung handeln könnte. Typische phonologische Prozesse sind Silbenstrukturprozesse, Substitutionsprozesse sowie Assimilationsprozesse (vgl. Braun 2002:188/189). Zu den Silbenstrukturprozessen gehört unter anderem das Vereinfachen mehrsilbiger Wörter, das Auslassen finaler Konsonanten sowie Reduplikationen. Das Ersetzen einer ganzen Lautgruppe oder auch nur eines Lautes wird unter dem Begriff „Substitutionsprozesse“ zusammengefasst. Die Ersetzungen finden beispielsweise durch Plosivierungen, Labialisierungen, Alveolarisierungen sowie Denasalierungen statt. Werden Laute in Worten einander angeglichen, spricht man auch von Assimilationsprozessen, unter die z.B. Labialassimilierungen und Velarassimilationen fallen (vgl. Braun 2002:189). Auf Grundlage der Beschreibung phonologischer Prozesse kann man phonologischen Störungen in folgende drei Untergruppen unterteilen.

3.1.2.1. Verspätete Überwindung physiologisch-phonologischer Prozesse

Die in der normalen Sprachentwicklung vorkommenden phonologischen Prozesse werden erst später als üblich überwunden. Dadurch ergibt sich eine asynchrone Entwicklung des phonologischen Regelsystems. (vgl. Weinreich/Zehner 2003:23)

3.1.2.2. Ungewöhnliche phonologische Prozesse

Es treten phonologische Prozesse auf, die in der natürlichen Sprachentwicklung gar nicht oder nur sehr vereinzelt vorkommen. Diese Prozesse werden auch als idiosynkratische Prozesse bezeichnet und umfassen z.B. innerhalb der Silbenstrukturprozesse das Vereinfachen von mehrsilbigen Wörtern oder Additionen. (vgl. ebd.:23)

3.1.2.3. Lautpräferenz

Unter Lautpräferenz versteht man das Verwenden eines Konsonanten für gleich mehrere Lautgruppen. Dieses findet häufig in der Anlautposition eines Wortes statt. (vgl. ebd.:24)

3.2. Störungen auf der semantisch- lexikalischen Ebene

Wie schon im vorangegangenen Unterkapitel kann man auch auf dieser Ebene die Störungen zwei Bereichen, nämlich dem des Lexikons und dem der Semantik zuordnen. Das Gebiet des Lexikons umfasst die Speicherung von Worten in deren Bedeutung und Wortform, also den Wortschatz (vgl. Franke 2001:133). Das Gebiet der Semantik umfasst die Bedeutung sowie den Inhalt von Wörtern und Zeichen (vgl. ebd.:193). Da es in diesem Fall jedoch schwierig ist beide Bereiche voneinander zu trennen, da auch die Bedeutung von Wörtern in einem Lexikon gespeichert ist, werde ich mögliche Störungen auf dieser Ebene im Folgenden gemeinsam darstellen.

Wenn Kinder im Laufe ihrer Sprachentwicklung beginnen erste Worte zu speichern und abzurufen, beginnt der Aufbau des mentalen Lexikons. Während dieses Aufbaus können erste lexikalische Schwierigkeiten durch gestörte Erwerbsprozesse entstehen. Diese gestörten Erwerbsprozesse führen zu Problemen der Repräsentation von Wörtern und folglich zu Zugriffsschwierigkeiten. Da verschiedene Aspekte des Erwerbs gestört sein können, entstehen unterschiedliche Schwierigkeiten, die im Folgenden näher beschrieben werden (vgl. Rothweiler 2001:99). Wie bereits erwähnt, spielt das Erkennen prosodischer Muster eine große Rolle beim Erlernen der ersten Wörter und deren Bedeutung. Weisen Kinder in diesem Bereich Probleme auf, wirkt sich dies bereits auf den Erwerb von Wörtern generell als auch auf die phonologische Realisierung dieser aus (vgl. Glück 2005:40). Lexikalische Störungen umfassen vor allem Schwierigkeiten, die sich in der expressiven Sprache äußern. Dazu können unter anderem das Ersetzen von Wörtern nach phonologischer oder semantischer Ähnlichkeit, Umschreibungen eines Wortes oder falsche Antworten auf die Frage nach einem bestimmten Wort gehören. Diesen Schwierigkeiten liegen unterschiedliche Ursachen zugrunde. Man kann daher zwischen

- Störungen im Inventar des Lexikons,
- Störungen des semantischen Lexikons sowie
- Störungen des Wortformlexikons und
- Störungen des lexikalischen Zugriffs
- unterscheiden (vgl. Rothweiler 2001:97).

Die Störungen im Inventar des Lexikons kann man auch als Wortschatzdefizite bezeichnen. Sie umfassen den Aufbau und die Organisation des Lexikons. Die Anzahl der vorhandenen Wörter ist sehr gering, nur einige Wörter sind einer Bedeutung zugeordnet und das rezeptive Sprachgedächtnis ist schwach ausgebildet (vgl. Braun 2002:200). Treten Schwierigkeiten im semantischen Lexikon auf, sind der Bedeutungsaufbau sowie der Bedeutungsgebrauch von Wörtern fehlerhaft. In diesem Fall können die schon bereits genannten Phänomene der Übergeneralisierung bzw. der Überdiskriminierung auftreten oder es kommt zu Wortverständnisproblemen bzw. falschem Wortgebrauch (vgl. ebd.:201).

Die Probleme im Wortformlexikon äußern sich in einer fehlerhaften phonologischen Realisierung. Damit treten Probleme nicht nur auf der semantisch-lexikalischen Ebene auf, sondern haben einen Zusammenhang zur phonetisch-phonologischen Ebene (vgl. Rothweiler 2001:97).

Häufig kommt es bei einer Störung des Zugriffes auf das Lexikon zu einem Auslassen des nicht auffindbaren Wortes oder zum Nutzen von para- und neophasischen Strategien. Unter paraphasischen Strategien versteht man das Ersetzen von Worten durch semantisch oder phonologisch ähnliche Worte. Neophasische Strategien bezeichnen das Kreieren von neuen Worten, die der Bedeutung des nicht auffindbaren Wortes entsprechen (vgl. Braun 2002:201). Man kann in diesem Fall von Wortfindungsstörungen im engern bzw. weiteren Sinne sprechen. Erstere entstehen wenn die Verbindung zwischen Wortbedeutung und Wortform unterbrochen ist, obwohl man über beide Konzepte verfügt. In diesem Fall spricht man auch von einer lexikalischen Zugriffsstörung. Das Wort wird weder benannt noch umschrieben. Von Wortfindungsstörungen im weiteren Sinne spricht man wenn die oben genannten Strategien, nämlich das Bilden semantischer bzw. phonologischer Paraphasien oder das Bilden von Neologismen genutzt werden, um das Zielwort zu ersetzten. Andere Möglichkeiten das Zielwort zu Umgehen, ist z.B. das Beschreiben seiner Merkmale (vgl. ebd.:200).

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Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Theater an der Schule - Ein Theaterprojekt für und mit SprachheilschülerInnen
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Heil- und Sonderpädagogik)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
99
Katalognummer
V152370
ISBN (eBook)
9783640653928
Dateigröße
2725 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theater, Schule, Theaterprojekt, SprachheilschülerInnen
Arbeit zitieren
Lea Montag (Autor:in), 2009, Theater an der Schule - Ein Theaterprojekt für und mit SprachheilschülerInnen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/152370

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