Die Ehe - Freiheit zu, durch und in Grenzen

Tugenden des Zusammenlebens in ethisch-theologischer Diskussion


Examensarbeit, 2009

107 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Vorwort

1. Einleitung
1.1 Hinfuhrung zum Thema
1.2 Vorgehensweise
1.3 Themenrahmen

2. Partnerschaft und Ehe im Wandel der Zeit
2.1 Raum-zeitlicher Horizont
2.1.1 Ehe und Familie bei den Erzvatern
2.1.2 EheschlieBung zu Zeiten Jesu und im Urchristentum
2.1.3 Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin zum Ehesakrament
2.1.4 Neue Ansichten im Zeitalter der Reformation
2.1.5 Verdrangung der Kirche als Moralinstanz seit der Aufklarung
2.2 Zukunftsperspektiven
2.3 Problembestimmung und religionspadagogische Relevanz

3. Kontextanalyse - Zeitgenossische Moral zwischen Zweck und Wurde
3.1 Die rechtliche Dimension von Partnerschaft und Ehe
3.2 Die Rolle und das Bild der Frau
3.3 Lebensformen und Lebensstile im Wandel
3.4 Sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zur Instabilitat der Ehe
3.5 Die „Erlebnisgesellschaft“
3.6 Interkulturelle Eindrucke zum Ehe- und Familienleben
3.7 Lebensformen und ihre Vielfalt
3.8 Sozialpsychologische Erkenntnisse zum Sozialverhalten

4. Mogliche Verhaltensoptionen im Entwurf und ihre didaktische Relevanz
4.1 Menschliches Zusammenleben ist nicht beliebig
4.2 Religionsunterricht und Wertevermittlung

5. Bausteine fur ein gelingendes Zusammenleben
5.1 Voraussetzungen
5.1.1 Prinzipien, Normen und Tugenden
5.1.2 Werte und Gewissen
5.1.3 Freiheit
5.1.4 Das Gerust der Ehe - Treue, Institution, VerheiBung
5.1.4.1 Treue
5.1.4.2 Institution
5.1.4.3 VerheiBung
5.2 Glaubensinhalte
5.2.1 Zur Ehe und Partnerschaft in den Bekenntnisschriften
5.2.2 Der Katholische Katechismus zur Ehe
5.2.3 Warum noch heiraten?
5.3 Die „Fruchte“ der Ehe
5.3.1 Freiheitsmoment Gluck und Liebe
5.3.2 Freiheitsmoment Dauerhaftigkeit, Gegenseitigkeit und Vergebung
5.3.3 Freiheitsmoment Kinderwunsch, Elternschaft und Familie
5.3.4 Sexualitat und Treue

6. Welche Verhaltensoptionen konnen universell gelten?
6.1 Familie - Heimat und Ort der ersten Sozialisation
6.2 Warum ist es fur viele Menschen heute so schwer sich festzulegen?
6.3 Der Inhalt des christlichen Ethos und das Gelingen einer Partnerschaft
6.4 Lerninhalte und Lernziele fur den Unterricht - Christliches Ethos
6.4.1 Die Tugend der Empathie und Solidaritat
6.4.2 Produktives Konfliktmanagement
6.4.2.1 Der Konflikt
6.4.2.2 Kommunikationsmodelle
6.4.3 Nachsten- und Feindesliebe - Ethos der Einseitigkeit

7. Verhaltensorientiertes Fazit

Literaturverzeichnis

Vorwort

Auszug aus Krieg undFrieden von Tolstoi:

„’Heirate niemals, niemals, mein Freund! Dies ist mein Rat: Heirate erst dann, wenn du dir sagen kannst, dass du alles getan hast, was in deiner Kraft steht, erst dann, wenn du aufgehort hast, die Frau zu lieben, die du dir auserwahlt hast, erst dann, wenn du sie klar erkannt hast. Sonst irrst du dich grausam, und das ist nicht wiedergutzumachen. Heirate, wenn du uralt bist, wenn du zu nichts mehr taugst. Sonst geht alles Hohe und Gute in dir verloren. ...[1]

Gedanken junger Menschen 100 Jahre spater

Als junger Mensch steht einem alles offen. Karriere und Weiterbildung, Reisen, Partys, Nachtleben, neue Dinge ausprobieren. Freiheit, Unabhangigkeit und unendlich viele Optionen. Man braucht nicht einmal viel Geld, nur eine Portion Mut und Spontaneitat. Es ist toll mit Freunden etwas zu unternehmen, viele Eindrucke aus der ganzen Welt zu sammeln, unterschiedliche Menschen kennen zu lernen und personlich zu wachsen. Einfach das Leben genieBen! Liebe und Familie ist ein schwieriges und komplexes Thema. Man braucht es schon irgendwie, aber oft lasst es sich mit der Schnelllebigkeit und Veranderlichkeit des Lebens schwer vereinbaren. Ob es den perfekten Partner uberhaupt gibt, ist fraglich. Man wunscht es sich zwar, aber lieber man halt an seinen Zielen fest und konzentriert sich auf den eigenen Lebenslauf. Das Thema Familiengrundung wird erst aktuell, wenn die magische «DreiBig» naher ruckt. Kinder sind schon irgendwann geplant, aber dafur sind erst einmal eine solide Partnerschaft, gute Referenzen und berufliche Stabilitat notig, um seinen Kindern auch etwas bieten zu konnen. Unabhangigkeit ist fur die personliche Entwicklung vorerst das Beste.

Vergleicht man beide Ansichten, kann man viele Parallelen ziehen, obwohl uber 100 Jahre dazwischen liegen. Die Bindung an eine andere Person erscheint als Einschrankung der personlichen Freiheit. Doch heute haben im Vergleich zu damals auch Frauen die Moglichkeit, sich fur eine individualistisch orientierte Lebensgestaltung zu entscheiden.

Heute wird eine Familiengrundung von vielen jungen Paaren als eine Option in ferner Zukunft gesehen, der die personliche Entfaltung vorangestellt wird. Die Lebensphase zwischen dem 20. und 35. Lebensjahr birgt eine Menge an Aufgaben: Schulabschluss, Berufsausbildung oder Studium, gefolgt vom Streben nach beruflichem Erfolg. Partnerwahl und Familiengrundung sollen nebenbei bewaltigt werden. Allerdings muss man sachlich fragen, welches MaB an Belastung die personliche Psyche und eine Partnerschaft vertragt und ob es sinnvoll und gut fur Partnerschaften ist, wenn der Beruf uneingeschrankte Mobilitat verlangt.

Was den Wert der Ehe betrifft, scheiden sich die Geister. Fur einige ist die Ehe selbstverstandlich, manche schlieBen eine spatere Ehe ganz aus, andere lassen es einfach auf sich zukommen. Eine gluckliche Partnerschaft wunschen sich aber die meisten. Bleibt jedoch die Selbstverwirklichung oder die berufliche Karriere das zentrale Ziel beider Partner, scheitern junge Paare schnell auf Grund von unangepassten Lebensumstanden, da sich die Wege und Vorstellungen trennen. Ob diese Lebenspraxis zu mehr Gluck fuhren kann, bleibt fraglich. Fest steht, dass die Liebe und Partnerschaft ein ethisches Feld darstellt, das uns alle tangieren und angehen sollte, was allerdings auf Grund der Komplexitat und Subjektivitat des Themas eine groBe Herausforderung bedeutet.

Ursprunglich sollte die Arbeit hauptsachlich Liebe, Treue und Sexualitat behandeln, jedoch wurde im Verlauf der Recherche klar, dass Liebe und Sexualitat in Anbetracht christlicher Wertevorstellungen und daruber hinaus, nach Dauer und Verbindlichkeit streben, deshalb lauft diese Arbeit auf die Betrachtung von Ehe und Familie hinaus.

1. Einleitung

1.1 Hinfuhrung zum Thema

„Das Menschsein des Menschen steht auf dem Spiel.“[2] - So beendet Horst Georg Pohlmann seinen Aufsatz Ehe und Sexualitat im Strukturwandel unserer Zeit. Dieses Resumee folgert Pohlmann aus ethischen Problemfeldern verschiedenster Lebensbereiche, wie beispielsweise der Bioethik am Lebensanfang (Schwangerschaftsabbruch, IVF, Status des Embryos, PND, PID, Klonen, etc.), oder am Lebensende (Patientenverfugung, Euthanasie, Organtransplantation, etc.). Das Zentrum der Problematik, welches das „Menschsein“ bedroht, liegt nach Pohlmann in der „Funktionalisierung und Instrumentalisierung des Menschen in unserem technischen Zeitalter“[3]. In der Diskussion um Embryonen wird dies sehr deutlich, da menschliches Leben in ethisch bedenklicher Weise benutzt wird. Im Bereich Familie und Partnerschaft wird die Gefahr der Instrumentalisierung oft unterschatzt. Ulrich Eibach hinterfragt in diesem Zusammenhang das Fundament der romantischen Liebesehe, „ausgerichtet am Modell einer individuellen Selbstverwirklichung“[4], das vorwiegend nach personlichem Gluck und Gewinn strebt. Diese Bezogenheit auf sich selbst und den eigenen

Vorteil stelle in der Marktwirtschaft ein zunehmendes soziales Problem dar, da schwachere Menschen (Kinder, Alte, Behinderte, etc.) in solch einer Gesellschaft stark benachteiligt und gefahrdet seien. Eine solche Haltung wurde in Partnerschaften eine auf den Augenblick konzentrierte und reduzierte Treue fordern, die aufgegeben werden kann, sobald sich ein Partner fur sich keinen Vorteil oder Gewinn mehr verspricht. Wurde sich diese Philosophie in der Gesellschaft durchsetzen hatte dies fur Familien und generell die Gesellschaft verheerende Folgen, da Menschen im Laufe ihres Lebens immer wieder auf andere angewiesen sind. Das wohl eindeutigste Beispiel fur ein vollig altruistisches, selbstloses Verhalten spiegelt sich in der Mutterliebe wieder, welche fur die gesunde korperliche und geistige Entwicklung des Neugeborenen unabdingbar ist. Diese Art von Liebe ist im Leben von Menschen ein wesentlicher Faktor des Lebensgluckes.

Die christliche Sicht bezuglich Liebe, Partnerschaft und Familie unterstreicht deutlich die dauerhafte Verbindung, die Menschen verantwortungsvoll gemeinsam schlieBen. Den Ort der Partnerschaft sieht die traditionelle Theologie in der Ehe, die als auBere Gestalt eine schutzende Institution darstellt und im Inneren durch Liebe und Treue von den Partnern ausgefullt wird. Dabei hat das „Fureinander Vorrang vor der Selbstverwirklichung des Ich“[5], was in kollektivistischen Sozialordnungen, in denen besonders der Schwacheren gedacht wird, eine Tugend darstellt. Ob die Krise der Ehe, von der seit Jahrzehnten die Rede ist, nun auf die Lebensform Ehe an sich im Wandel der Zeit oder auf der Krise der Institution grundet, bleibt eine zentrale Streitfrage in der Ethik. Fakt ist, dass die Ehe nicht mehr selbstverstandlich ist. Warum sie jedoch wichtig und sinnvoll ist, soll in dieser Arbeit dargestellt werden.

1.2 Vorgehensweise

Das Skelett der Problembehandlung ist an dem Grundriss des Urteilsverlaufs angelehnt, den Heinz Eduard Todt in seinem Werk Perspektiven theologischer Ethik dargelegt hat. Demnach gliedert sich die Urteilsfindung in sechs Schritte: Problemwahrnehmung, Situationsanalyse, Verhaltensentwurf, Auswahl und Durchsicht von Normen, Prufung der Verbindlichkeit von Verhaltensmoglichkeiten und schlieBlich der Urteilsfindung, welche mit Blick auf die Schule didaktisch entfaltet wird. Dieses Vorgehen erscheint sinnvoll und in Anbetracht komplexer Sachverhalte als eine groBe Hilfe der Strukturierung. Es ergeben sich folgende Fragen:

a) Problemwahrnehmung

Welchen Beitrag liefern theologische Befunde zu Partnerschaft und Ehe?

Was sagt die Bibel zur Ehe?

Welche Aufgabe hat der Religionsunterricht als Vorbereitungshilfe auf das spatere Familienleben?

b) Situationsanalyse

Inwieweit hat sich das personliche Verstandnis von Liebe, Ehe und Familie verandert?

Hat die Ehe fur viele Menschen an Bedeutung verloren?

Sind Partnerschaften zunehmend instabil?

Welche Folgen und Probleme wirft die Abwendung von der Ehe auf?

c) Verhaltensentwurf

Wie sollen/mussen wir uns in Partnerschaft und Liebe verhalten, nachdem wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft analysiert haben?

Welchen Stellenwert und welche Funktion hat das Gesprach uber Liebe und Partnerschaft im Religionsunterricht?

d) Auswahl undDurchsicht von Normen

Wie kann ein gelingendes Zusammenleben (basierend auf christlichen Werten) definiert werden - was macht es aus?

e) Prufung der Verbindlichkeit von Verhaltensmoglichkeiten Konnen die ausgewahlten Verhaltensoptionen auch universell gelten?

f) Urteilsfindung

Wie mussen wir uns verhalten um eine gute und sittliche Partnerschaft zu fuhren?[6]

1.3 Themenrahmen

Die Begriffe Ethik und Moral werden je nach Wissenschaftsraum anders definiert und im Sprachgebrauch nicht eindeutig verwendet. Deshalb sollen, um Ungenauigkeit zu vermeiden, vorweg relevante Bedeutungen der Begriffe erlautert werden, die dieser Arbeit zu Grunde liegen.

„Ethik ist die Disziplin, die Begriffe, Probleme und Theorien des Guten untersucht - darunter besonders des guten Handelns und Lebens. Eine Hauptaufgabe der Ethik ist es, die Grundsatze guten und gerechten Handelns zu begrunden oder zu rechtfertigen sowie die herrschende Moral kritisch zu untersuchen.“[7]

Aus dieser Definition kann man folgern, dass Moral das ist, was allgemein und durchschnittlich ublich ist. Dies ist auch vom lateinischen Wortstamm mos, mores (Sitten) abzuleiten. Gegenuber der Moral ist Ethos zu unterscheiden. Vom gleichen Wortstamm wie Ethik kommend, meint Ethos die innere Gesinnung eines Einzelnen oder einer Gruppe. Weiterhin konnen nach Henry David Aiken vier moralische Betrachtungsebenen unterschieden werden.[8] Die expressiv-evokative Ebene (spontan, impulsiv, unkritisch), die moralische Ebene (praktische Rechtfertigung in bestimmter Situation: Was soll ich tun?), die ethische Ebene (kritische Betrachtung von Argumenten eines ethisches Urteils) und schlieBlich die meta-ethische Ebene (das Was, Wozu, Wie eines ethischen Urteils). Der behandelte Themenbereich lasst sich makroethisch betrachtet in die Individualethik, Sozialethik, die Verantwortungsethik oder auch dem Prinzip der Verantwortung nach Hans Jonas zuordnen. Die Schwerpunkte liegen jeweils anders. Die Individualethik fragt danach, wie der einzelne Mensch in der Ehe glucklich werden kann, die Sozialethik kummert sich um das gesellschaftliche Strukturmoment mit seinen Rechten und Pflichten, die Verantwortungsethik sowie auch das Prinzip der Verantwortung, das von Hans Jonas begrundet wurde, geht schlieBlich weiter und denkt auf der Grundlage der Ethik der Pflicht in die Zukunft hinein und pruft die Folgen eigener Handlungen fur die nachfolgenden Generationen. Betrachtet man dies, aus der Perspektive der angewandten Ethik, ist die Kategorie der Ehe- und Familienethik zu nennen. Zusatzlich sollte man unterscheiden, ob eine Argumentation in den Bereich der Moral und Pflicht oder in den der Tugend und des Ethos fallt. So fragt man bei der Moral nach den allgemeinen Gesetzen, Rechten und Regeln, beim Ethos nach der Geltung fur ein Individuum oder eine bestimmte Gruppe und deren Vorstellungen von einem guten Leben. Eine Frage diesbezuglich konnte sein, ob eine Ehe geschlossen wird, damit es gerecht zugeht, oder damit Gluck erreicht wird. Aufgabe einer christlichen Ethik auf der Ebene des Ethos ist, zu prufen, was der Wille Gottes ist, da dieser aus christlicher Sicht das Vernunftigste ist.

Um das Themenfeld einzugrenzen, ist zu sagen, dass wenn uber Partnerschaft und Liebe die Rede ist, die monogame, heterosexuelle Partnerschaft gemeint wird. Problemfelder, welche die Wurde des Menschen moralisch und nach dem Gesetz verletzen, wie etwa der psychische und physische Missbrauch, werden in dieser Arbeit nicht explizit behandelt. Grenzen, welche die Wurde und die Unversehrtheit von Erwachsenen und Kindern garantieren, sind im Grundgesetz verankert und werden in weiteren Betrachtungen vorausgesetzt. Die Fragestellungen sollen sich eher um die Frage drehen, was in der menschlichen Lebenspraxis gut ist und warum die Stabilitat einer Partnerschaft zu einem guten Leben gehort. SchlieBlich sollten Verhaltensweisen als Konsequenz einer evangelischen Gesinnung herausgearbeitet werden. Wie Schleiermacher sagte: „Was muss werden, weil das religiose Selbstbewusstsein ist?“[9] Da die Definition eines Problems immer nur subjektiv bestimmt werden kann, ist in den

weiteren Ausfuhrungen zu bedenken, dass die Fragestellungen und die Verhaltensoptionen in der Perspektive junger Erwachsener gestellt wurden, gepragt durch ein pluralistisches, westliches und stark von Medien beeinflusstes Weltbild.

2. Partnerschaft und Ehe im Wandel der Zeit

Mit der Betrachtung der Vergangenheit und Zukunft soll versucht werden, ungeloste Spannungen oder Konflikte des Themas aufzudecken, um das Problemfeld besser begreifen zu konnen. Wie kann die Instabilitat von Partnerschaften aus Vergangenem und im Blick auf die Zukunft verstanden und interpretiert werden, oder was hat die Partnerschaft zwischen Mann und Frau fruher ausgemacht und was kann man von ihr erwarten?

2.1 Raum-zeitlicher Horizont

Die Ehe gilt als eine auf Dauer angelegte Verbindung von zwei (Monogamie) oder mehreren (Polygamie) Menschen verschiedenen Geschlechts. „Monogamie ist heute die vorherrschende Form der Ehe. Polygynie und Polyandrie (mit dem Oberbegriff Polygamie bezeichnet) wurden fruher in vielen Teilen der Welt praktiziert, scheinen jedoch immer seltener zu werden. Gruppenehen waren von jeher selten.“[10] Linguistische Quellen deuten auch auf die Dauerhaftigkeit hin. Der althochdeutsche Begriff ewe, bedeutet Gesetz, im Griechischen heiBt heiraten yagsrn und ydgog EheschlieBung. Das Lateinische grenzt das concubinatum (auBerehelicher Verbindung) vom coniugium als eheliche Verbindung und dem matrimonium, der rechtmaBigen Ehe ab.[11]

Die Ehe hat religiosen, rechtlichen, offentlichen und sozial-sittlichen Bezug. „Die Ordnung der Ehe ist von den sittlichen und religiosen Grundlagen abhangig, auf denen die einzelnen Gesellschaften beruhen.“[12] AuBere Umstande, wie gesellschaftliche Wertvorstellungen, wirtschaftliche Verhaltnisse, ethische Uberzeugungen, Sitte und Brauchtum oder religiose Deutungen pragen die Ehe. Das heiBt, sie ist sehr wandelbar, je nach Kulturraum. Jedoch hat dies ihren Bestand nie wirklich gefahrdet. In der Institutionenlehre nach Haurriou und Dombois stiftet Gott in der (1) actio die, und der Mensch nimmt diese Stiftung in der (2) reactio humanis als (3) status an.[13] Der Hochzeitsritus als reactio humanis, der in die Institution als status hinfuhrt hat neben dem religiosen noch offentlichen Wert, indem die Gemeinschaft von Menschen oder Gesellschaft die Institution akzeptiert. Heute spricht man von der Krise der Ehe. Was hat fruher Partnerschaften und Ehen ausgemacht, und welcher Ethik haben sie sich unterworfen?

2.1.1 Ehe und Familie bei den Erzvatern

„Die Israelitische Familie und Sippe in alttestamentlicher Zeit ist endogam, patrilinear, patriarchalisch, patrilokal und polygyn strukturiert.“[14] Es durfte also nur innerhalb eines Stammes geheiratet werden, der Erbfolge der vaterlichen Linie folgend, unter mannlicher Vorherrschaft und in Clannahe lebend. Die Familie bestand aus mehreren Frauen, die einem Mann zugehorig waren und ihren Kindern. Nach den Schopfungsgeschichten in Genesis ist Mann und Frau fur immer verbunden (Vgl. Gen 1, 27f; 2, 24). Im Judentum ist es auch heute noch so, dass erst die Ehe die beiden Partner zu vollwertigen Gemeindemitgliedern macht. Die Ehe ist im Judentum ein Ereignis der ganzen Gemeinde als Zeichen fur den Fortbestand des Volkes Israel. Das Eheversprechen ist nicht wie im Christentum auf einem gemeinsamen Konsens beruhend, sondern geht vom Brautigam aus, der seiner Frau verspricht „sie zu ehren, fur sie zu arbeiten, fur ihren Unterhalt zu sorgen und sie mit allem zu versehen, was notig ist.“[15] Dies ist auf die patriarchalisch gepragte Tradition der Erzvater zuruckzufuhren. Dementsprechend ist die rechtmaBige Scheidung nur vom Mann her einseitig moglich, denn man war der Auffassung die Frau wurde die Ehe von innen her brechen, der Mann von auBen, bzw. ein Mann bricht eine andere Ehe von auBen auf. Heute noch ist es so, dass der Mann, der Frau eine Scheidungsurkunde gibt und sie erst dann rechtlich geschieden ist.[16] Auf Ehebruch stand damals die Todesstrafe, was den herrschenden Wert der Ehe sehr deutlich macht.

Der Dekalog (Ex 20, 14; Dtn 5, 18) als Regelwerk fur ein gelingendes Zusammenleben[17], beinhaltet das Ehebruchsverbot. In Ex 20,14 und Dtn 5,18 heiBt es: (Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten)bedeutet soviel wie nicht. (Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten) kommt vom Wortstamm (Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten) : Ehebrechen. Mit dem Suffix p entspricht es dann der Bedeutung: du wirst nicht ehebrechen, du hast nicht Ehe zu brechen oder du sollst nicht ehebrechen.[18] Der judische Exeget M. Buber ubersetzte das VerbpXl mit dem veralteten deutschen Verb „buhlen“[19], womit schon der Versuch eines sexuellen Ubertritts eingeschlossen ist. Eine Buhlschaft ist ein Liebesverhaltnis, ein Buhler ist ein Geliebter oder eine Geliebte. Ginge man von dieser Ubersetzung aus, wurde das Gebot einen vollig anderen Charakter erhalten. Jegliche sexuelle Buhlerei, in der um die Gunst eines anderen geworben wird, ware betroffen, unabhangig von der Ehe. Buber konnte damit auf die Sexualkulte, die Tempelprostitution, die in der damaligen Zeit betrieben wurden, Bezug genommen haben. E. Nielson bestatigt diese Auslegung in seinem Werk Die Zehn Gebote indem er dem Verb jegliche Form sexueller Versundigung und religiosen Abfalls zuschreibt.[20] Diese weite Fassung des Gebotes ist auch in Martin Luthers Auslegung im Kleinen Katechismus zu finden.

Diese Auffassung ist im 21. Jahrhundert in Anbetracht der Entwicklungen des spaten 20. Jahrhunderts, beispielsweise der Studentenbewegung in den 1970er Jahren, der sexuellen Revolution, dem gestiegenen Bedurfnis nach Individualismus, des starken Medieneinflusses und der in der westlichen Welt gelebten Freizugigkeit kaum als allgemeine Regel festlegbar.

Die Ehe, in soziologischer Betrachtung, war ursprunglich an den Zweck der Zeugung von Nachkommen gekoppelt. Keine Kinder zu haben, stellte einen sozialen Makel, sowie ein wirtschaftliches Problem dar. Weiterhin war die Ehe ein Rechtsgeschaft, wobei okonomische und wirtschaftliche Uberlegungen der Sippe eine Rolle gespielt haben. Die Verliebtheit und die subjektive Entsprechung der Ehepartner waren dabei sekundar. Es stand der Bundesgedanke im Vordergrund, der die Ehe als Gleichnis fur den Treuebund zwischen Jahwe und Israel (Hos 1-3) verstand.[21] Die Monogamie, die aus diesem Verstandnis von Ehe folgt, war eine theologisch motivierte Abgrenzung gegenuber kanaanaischen, agyptischen und hellenistischen Kulten.[22] Die Monogamie war gleichzeitig eine Aufwertung der Frau. Relevant fur die Diskussion heute ist die theologische Motivation hinter den verschiedenen Lebensformen.

2.1.2 EheschlieBung zu Zeiten Jesu und im Urchristentum

Die christliche Ehevorstellung, die vom Judentum ubernommen wurde, war stark von herrschenden Moralvorstellungen im Imperium Romanum beeinflusst. Viele rechtliche und sittliche Tatsachen brachten damals eine ablehnende Haltung der Ehe gegenuber hervor, wie z.B. die Eheverbote, die vor Einfuhrung des allgemeinen Burgerrechts 212 n.Chr. vielen im Weg stand. Andere Einflussfaktoren, so Urs Baumann, waren "die wachsende Verelendung der Massen" im Vergleich zum maBlosen Luxus und Hedonismus der Reichen, "die erniedrigende Stellung der Frau, FamilienuberdruB und latente Kinderfeindlichkeit".[23] Sklaverei, Homosexualitat, Padophilie, Gotzendienst, Magie, Vergeudung staatlicher Mittel im Zuge des Hedonismus gehorten zum Alltag und trugen letztlich auch ihren Teil zu spateren asketischen Bewegungen des Christentums bei, wie z.B. die Hochschatzung der Jungfraulichkeit im Christentum.

Auf Grund damaliger lockerer Scheidungsgesetze war die Trennungsrate enorm, so dass der romische Staat schlieBlich sogar Strafgelder fur Ehelose oder Wiederverheiratungspflicht fur Verwitwete und Geschiedene verhangte um zur EheschlieBung zu bewegen. „Nach der Ansicht der Schule Hillers durfte der Mann die Frau aus jedem Grund verstoBen, selbst wenn sie bloB das Essen hatte anbrennen lassen. Rabbi Akiba gestattete die Scheidung schon, wenn der Mann eine andere Frau vorzog. Strenger war die Schule Schammajs, die als Scheidungsgrund nur den Ehebruch der Frau zulieB.“[24] 320 n.Chr. schaffte Konstantin der GroBe diese Ehegebote sofort ab, wobei der Beweggrund nicht das moralische Hinterfragen der Zwangsverordnungen war, sondern das Ideal der Jungfraulichkeit. A. Opke auBert sich kritisch zur Ehemoral des fruhen Christentums, die sowohl die judische Gesetzesstrenge als auch die hellenistische Ablehnung der Korperlichkeit und spater der Sexualitat aufnahm.[25]

Ursprunglich war im romischen Reich die Ehe ein rituelles Ereignis (confarreatio) und sakrale Handlung, was den Ubergang der Braut in die Neue Sippe des Mannes symbolisieren sollte. Eine andere alte Sitte war die so genannte „Vertragsehe“, bei der die neue Rechtsstellung der Frau und das neue Besitzverhaltnis festgehalten wurden, denn die Frau ging vom Besitz des Vaters in den des Mannes uber. Gebrauchlicher war damals die Usus- Ehe, die auf gemeinsamen Konsens baute. Dies ubernahm das Christentum aus dem romischen Recht.[26]

Erst mit den Lehren Jesu kam man der Gleichstellung zwischen Mann und Frau naher. Jesus bezog seine Aussagen zu Scheidung oder dem Besitzrecht (Frau ist nicht Besitz des Mannes, sondern Partner) sowohl auf Mann als auch Frau. „Damit durchbricht er die patriarchalische Ordnung, ohne sie allerdings programmatisch zu beseitigen und abzuschaffen.“[27] Es wird die Fursorge des Mannes fur seine Frau betont, also die personale Beziehung.[28] Bezuglich der Ehescheidung gilt nach Jesus grundsatzlich das Scheidungsverbot fur Frau und Mann, denn „So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefugt hat, das soil der Mensch nicht scheiden!“ (Mt 19, 6) Jesus erklart den mosaischen Scheidungsbrief als Scheidung der Harte des Herzens wegen (Mt 19, 8). Ein hartes Herz ist „der Wille zu sich selbst, der Gottes Wirken und Gottes Gaben nicht wahrnimmt, der nicht mehr fragt, was Gott noch mit uns vorhat, und wie die Geschichte weitergehen kann.“[29] Ein hartes Herz versperrt die Sicht auf den Nachsten und ist auf die eigene Person konzentriert. Jesus jedoch sagte seinen Jungern:

„Mose hat euch erlaubt, euch zu scheiden von euren Frauen, eures Herzens Harte wegen; von Anfang an aber ist's nicht so gewesen. Ich aber sage euch: Wer sich von seiner Frau scheidet, es sei denn wegen Ehebruchs, und heiratet eine andere, der bricht die Ehe.“ (Mt 19, 8)

Wenn man einen Menschen kennen und lieben lernt, beginnt eine Geschichte mit dieser Person.[30] Die Erfahrungen und Erlebnisse, die man geteilt hat, das Lachen, das Weinen, die Gesprache, werden Teil von einem selbst. Bindungen und Verstrickungen mit Personen konnen eigentlich nicht ruckgangig gemacht werden, sie verandern sich nur. Verbindungen zwischen Menschen konnen nicht gekundigt werden wie eine Wohnung oder ein Bankkonto. Gekundigte Partnerschaften sind genauso Teil eines Menschen wie die gelungenen und gelingenden Partnerschaften. Geht man eine Ehe ein, so sollte man alles dafur tun, damit sie nicht scheitert und in Nachstenliebe nach der Goldenen Regel[31] leben und handeln. Ein Scheitern ist naturlich nie ausgeschlossen, in diesem Fall ist die Scheidung ein Neuanfang fur ein Leben ohne Streit und Hass, falls das Verhaltnis tatsachlich zu verfahren ist und kein gemeinsamer Nenner gefunden werden kann. Jesu Prinzip der Unaufloslichkeit der Ehe ist dabei unverruckt, denn Streit und Hass durften nicht entstehen, wurde man sich mit dem Ziel der Einheit an das Eheversprechen halten. Eheversprechen werden von den Eheleuten selbst gewahlt. So konnte beispielsweise ein Trauspruch aussehen: Jeden Tag aufs Neue mochte ich Dir zeigen, was mir unsere Verbindung bedeutet. Ich will sie taglich pflegen und schutzen, will geduldig und nachsichtig sein im Vertrauen und mit Hoffung. Jeder Tag bietet eine neue Chance, unsere Beziehung wieder zu entdecken, das Buch fortzuschreiben, das wir gemeinsam begonnen haben.

2.1.3 Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin zum Ehesakrament

Aurelius Augustinus (354-430) ist zwar einer der bedeutendsten christlichen Kirchenlehrer und verdient daher vollsten Respekt, allerdings hat er „die in der spatantiken christlichen Theologie lange schwebenden negativen Wertungen und Vorstellungen von der Ehe als Geschlechtsgemeinschaft aufgenommen, . ,.“.[32] Die zu Grunde liegende Lehrmeinung, welche die Spatantike pragt, ist die dualistische Denkweise, die aus Platons Ideenlehre stammt und als zweigeteiltes Weltbild von verschiedenen philosophischen und religiosen Stromungen weitergedacht wurde. Dementsprechend war das „ursprunglich geistige und lichtvolle Wesen[s] in der Materialitat von Leib und Sinnenwelt, verursacht durch irgendeinen Unglucks- oder Sundenfall“[33] gefangen.

Augustin grenzte sich in seinen philosophisch-theologischen Betrachtungen sowohl von der Schule des Manichaismus, welcher er sich in der Fruhzeit als Horer verbunden fuhlte und welche das Leiblich-sexuelle konsequent ablehnte, als auch der Schule des Pelagianismus ab, welche das Leiblich-sexuelle als von Gott gegeben und nicht als Sundenfall betrachtete. Er wollte den Wert der Ehe gegenuber beiden Positionen als etwas Ursprungliches verteidigen, da es die Verbindung zwischen Mann und Frau schon vor dem Sundenfall gab, und auch als etwas, das nicht dem sexuell-animalischen Trieb unterliegt. Den Trieb und das Begehren der Menschen zur Lustbefriedigung in allen seinen Facetten, nicht nur im sexuellen Bereich, ordnet Augustinus den Folgen des Sundenfalls zu.[34] Die Ehe, die nicht auf Erotik und Sexualitat verzichtet, ist nach dieser Auffassung also sundhaft, allerdings kann man sie nach Paulus Aussagen in 1. Kor 7, 1-9 erlauben um Unzucht zu vermeiden.

Die Werte der Ehe sind proles, fides und sacramentum (Nachkommenschaft, Treue und Sakrament), was im Glauben gelebt wird. „Mann und Frau durch ihre unlosbare eheliche Verbindung sind Zeichen fur die Einheit der Kirche, das ist das eigentlich Neue an Augustins Entwurf, und sie konnen ihre Ehe nicht losen, ohne die Realitat ihres Christseins aufs Spiel zu setzen.“[35] Proles bezieht sich auf den naturrechtlichen Zweck der Fortpflanzung, Fides bezieht sich auf die Treue und Keuschheit der Partner zueinander und Sacramentum (mysterion) bezieht sich auf den unaufloslichen Bundcharakter und die Einheit der Kirche. Scheidung heiBt in dieser Logik der Bruch mit dem Glauben, vor allem wenn man die Ehe in Analogie mit Christus zu seiner Gemeinde sieht (Vgl. Eph 5, 32). Die heutige Ehesakramentsdefinition der katholischen Kirche ist nicht mit Augustins Vorstellung des Sacramentums identisch. In der Alten Kirche zahlte man die Ehe schlieBlich auf Grund des rituellen Charakters und der Hochschatzung der Liturgie zu den Sakramenten, was spater nicht mehr ruckgangig gemacht wurde.

Er stellte in seinen Uberlegungen zu den Sakramenten, somit auch zur Ehe, die sieben Sakramente nicht mehr in Frage, sondern versuchte sie zu begrunden.[36] Ein Sakrament ist nach Thomas ein Zeichen einer heiligen Sache, das dazu dient „unsere Heiligung anzuzeigen“[37]. Zeichen meint hier sinnlich erfahrbares Mittel zur Erkenntnisgewinnung. Durch das Bezeichnen und Empfangen des Zeichens in liturgischer Feier wird das Heilige bestimmt und angenommen. Sein Argumentationsmuster steht in der Tradition der Scholastik, die mit ihm an ihrem Hohepunkt war. Die aristotelischen Begriffe Form und Materie wendet Thomas auf die Ehe an und folgert fur die Form die „Worte, die den Ehewillen zum Ausdruck bringen“ und fur die Materie den „gegenseitige(n) Konsens zur ehelichen Lebensverbindung“.[38]

Zentral und deckungsgleich bei den beiden fuhrenden Kirchenvatern ist das Verstandnis der Ehe als unauflosliche Verbindung und die Analogie zwischen der Treue Christi zu den Menschen und der Treue zwischen den Ehepartnern.

Am Rande ist die auf den platonischen Irrtum[39] zuruckzufuhrende Haltung gegenuber der Frau als schwacheres Geschlecht zu betonen, welche mit ihrer Generalisierung von fuhrenden Philosophen und Theologen in der Geschichte mehrfach zur Sprache gebracht wurde. So von Aristoteles, Boethius, Juvenal, im fruhen Christentum (l.Tim 2, 11-15; l.Kor 14, 33)[40], Thomas von Aquin im Mittelalter (im Ruckgriff auf Aristoteles und Boethius), sowie schlieBlich von Kant in der Neuzeit. Thomas weist dabei darauf hin, dass die Frau schwerer gesundigt hat als der Mann, denn dieser hatte nur aus einer Gefalligkeit gegenuber der Frau gegen Gott gesundigt.[41] Betrachtet man die Kirchengeschichte historisch-kritisch sollte man darauf hinweisen, dass die Frau zur Zeit der Kirchenvater eine untergeordnete Stellung einnahm. Luther gilt nach den Ausfuhrungen von Max Liedtke zu einem Vertreter der Gegenbewegungen zum tradierten platonischen Irrtum.[42] Dies ist im relevanten geschichtlichen Kontext im Hinterkopf zu halten.

2.1.4 Neue Ansichten im Zeitalter der Reformation

Luther teilte die augustinsche Meinung, dass die Ehe zu bejahen ist, damit „Unzucht“ vermieden wird. Unzucht und Keuschheit bezieht Luther nicht nur auf das Geschlechtliche. Keuschheit heiBt fur ihn eine bewusste „Personlichkeitshaltung, die erarbeitet und eingeubt werden muss; zu umschreiben mit Selbstdisziplin, Anstandigkeit, Zuruckhaltung - um Liebe und Sexualitat nicht zu zwingen, nicht beliebig ausnutzbar oder zur banalisierten Ware werden zu lassen.“[43] Der Wortsinn wird besonders deutlich wenn man das ursprungliche lateinische Wort conscius hernimmt, was soviel heiBt wie bewusst. Vor dem Hintergrund ethischer Denkmodelle konnte man mit conscius das Konzept der vollen Autonomie in Verbindung bringen, was Selbstkontrolle und Selbstbestimmung impliziert. Man lebt in voller Autonomie, was der hochste Freiheitsgrad eines Menschen ist, „wie man leben will“, bzw. man lebt nach den Regeln auf die man sich freiwillig festlegt und ist „Herr seiner Selbst“.[44]

Den Wert der Ehe, in Anbetracht der immensen Hochschatzung der Jungfraulichkeit und asketischen Lebensweise im Mittelalter, betont Luther vehement, da er die Verbindung von Mann und Frau als etwas Naturliches und Ursprungliches sieht, die nicht negativ sondern positiv zu bewerten ist. Luthers Ansichten mussen zusatzlich vor dem Hintergrund mittelalterlicher Eheverbote gesehen werden, insbesondere des „papstlichen Achtzehn-Punkte- Katalog von Ehehindernissen“ (Zolibat). Gegen Bezahlung waren allerdings Ausnahmen moglich.[45] Jesus selbst hat die Geschlechtlichkeit als etwas Naturliches gesehen, mit dem der Mensch (Mann und Frau) erschaffen wurde. Die Geschlechtlichkeit als eine qualitative Abwertung oder als Folge des Sundenfalls zu sehen, ist eine harte Position. Dualistisch argumentiert macht sie zwar Sinn, da nach dieser Theorie die Existenz in der materiellen Sinnenwelt als eine Gefangenschaft des ursprunglich Geistigen gesehen wird, aber dem Argument, dass der Mensch schon immer seine Geschlechtlichkeit als Mann und Frau besessen hat, halt dies trotzdem nicht stand.[46]

Luthers Ansichten waren mit starker Sozial- und Kirchenkritik verbunden, die sich vor allem gegen die Obrigkeit richtete, denn gegen Bezahlung war sehr viel moglich. Scheidungen und Wiederverheiratungen waren trotz dogmatischer Verwerfung keine Seltenheit. Der Doppelmoral, die den Menschen ihre Sundhaftigkeit immer wieder bewusst machte, daraus Profit schlug und den Menschen schlieBlich nicht half sich ihrer seelischen Belastung zu entledigen, trat Luther entgegen. Luthers Botschaft zur Ehe war, dass sie zu den weltlichen Angelegenheiten gezahlt und auf gewisse Weise radikalisiert werden sollte, beispielsweise verwirft Luther schon Blicke des Begehrens. Auf dem Hintergrund von Luthers Freiheitsverstandnis tritt bei der Ehe, wie auch in anderen Lebensbereichen, die der Mensch nie vollkommen ohne Verfehlung leben kann, die Gnade in den Vordergrund.

2.1.5 Verdrangung der Kirche als Moralinstanz seit der Aufklarung

In der europaischen Neuzeit kann man sowohl einen Wandel in der Zusammensetzung und Rollenstruktur, als auch eine Veranderungstendenz innerhalb Beziehungen zwischen Familienmitgliedern erkennen. Gegenstand der Betrachtung sind Entwicklungstendenzen, die nicht mehr ruckgangig gemacht werden konnen, z.B. "Scholarisierung mit all ihren Auswirkungen auf das Familienleben".[47]

[48] Die Familienforschung hat festgestellt, dass die GroBfamilie nicht von der Generationentiefe bestimmt war, sondern von der GroBe der Hausgemeinschaft an sich, zu der auch nicht verwandte Mitglieder zahlten. Alteuropaische Familien bestanden aus verwitweten Elternteilen, mit Geschwistern, sonstigen Verwandten, Ziehkindern, nicht verwandtem Gesinde und anderen Mitbewohnern, was eine gemeinsame Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft ausmachte. Die starke Zunahme an Zwei- und Einpersonenhaushalten seit dem 20. Jahrhundert lieB die Rollenvielfalt in Familien sehr schrumpfen. Im Mittelalter gab es hauptsachlich zwei Formen des Zusammenlebens: 1. Der Sohn/die Sohne heirateten und blieben im Haushalt des Vaters unter seiner Autoritat. 2. Nur ein Sohn auf dem Hof durfte heiraten, was relativ spat geschah. Die anderen Sohne und Tochter blieben als Magde oder Knechte im Familienagrarbetrieb. Eigentums- und Autoritatsverhaltnis gingen uber an die neuen Besitzer, wobei gleichzeitig die Altersvorsorge der Eltern vertraglich festgelegt war. Diese Form war typisch fur die bauerliche Bevolkerung Mittel-, Nord- und Westeuropas.[49] Die Vorstellung der glucklich vereinten GroBfamilie, die oft als Gegenpol zu Industriegesellschaft und Individualisierung vorgebracht wird, kann nach diesem Forschungsbestand nicht nur romantisch gesehen werden. Typisch war es jedoch nicht, dass die erwachsenen Kinder mit den alten Eltern zusammenlebten, denn einerseits lebte man nicht so lange wie heute und andererseits heiratete man spater, das heiBt die Eltern starben meist bevor die Kinder eine eigene Familie hatten. Im 19. und 20. Jahrhundert kam weiterhin ein neues Leitbild der Familienstrukturen in der burgerlichen Familie auf. Wenn es fruher ganz normal war, dass nicht verwandte Personen, z.B. Magd, Knecht, Dienstmadchen, Page, Kutscher, etc., Teil der Familie waren, ging der Trend immer zur „familiale(n) Intimitat".[50] AuBerdem veranderte sich die Anzahl und Lebenszeit der geborenen und uberlebenden Kinder pro Haushalt, sowie die Ehedauer und allgemeine Lebenserwartung. Bezuglich der Verhaltnisse zwischen den Ehegatten sind deutliche Altersunterschiede bis ins 18. Jahrhundert zu erkennen. Auf Grund der hohen Sterblichkeit, z.B. Kindesbetttod der Mutter oder Seuchen, und der Abhangigkeit des Familienbetriebs von der Arbeitskraft, wurde oft wieder geheiratet. Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land waren Altersunterschiede von mehreren Jahrzehnten keine Seltenheit. Die Familienwirtschaft hielt die Ehe aus okonomischen und religiosen Grunden zusammen und garantierte Stabilitat. Die Verwitwung und somit die Wiederverheiratung ging ab dem 19. Jahrhundert mit der Industrialisierung und Urbanisierung zuruck. Doch nicht nur die neuen okonomischen Verhaltnisse in der Gesellschaft anderten sich im 19. Jahrhundert, es war vor allem in den Stadten eine Sakularisierung zu bemerken, welche die Kirche als Moralinstanz immer mehr verdrangte. Der Bildungsburger richtete sein Augenmerk auf Fortschritt und Wissenschaft. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass die sinkende Einflussnahme von Gemeinde und Glaube die steigenden Scheidungszahlen beeinflusst hat. So wurde aus einer „sukzessiven Polygamie“ nach Verwitwung, eine „sukzessive Polygamie“ nach Scheidung.[51] Allerdings sollte man eher von serieller Monogamie sprechen als von Polygamie.

Der Individualismus brachte unter anderem das Postulat der Liebesheirat hervor. Das Individuum sollte nicht langer von auBen bestimmt werden und die familiare Gruppenidentitat veranderte sich hin zu einer Ich-Identitat. „Der Ubergang zur individuellen Lohnempfangergesellschaft der Moderne“[52] schaffte dabei die dazu notige okonomische Unabhangigkeit. Der liberale Freiheitsstaat wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zum sozialen Wohlfahrtsstaat. Die Partnerwahl konnte selbst bestimmt vollzogen werden, weil andere Menschen, wie beispielsweise in bauerlichen Agrargemeinschaften, nicht mehr in dem MaBe von den personlichen Entscheidungen betroffen waren. Die Folge einer Ehe, die auf Liebe und psychologischer Intimitat grundet, ist die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Gleichberechtigung heiBt in diesem Sinne die Befreiung der Frau von ihrer Unterwerfung im Haushalt, in der Kindererziehung und im Sexualleben. Dieser Vorstellungslinie uber Grundlagen der Ehe folgen auch Rousseau, Kant, Hegel, Mill und Bentham.[53]

Die emotionale Ubereinstimmung mit dem Partner, die zur Pramisse der Partnerschaft und Ehe wurde, brachte zum einen Freiheit und Gluck, zum anderen wurde die Ehe dadurch jedoch auch instabiler, da ihr starkster Qualitatsparameter die Gefuhle sind. Gleichzeitig hat sich die Zielvorstellung einer Ehe auf Nachwuchs hin geandert. Das Zentrum ist die personliche und sexuelle Ubereinstimmung, denn diese bilden nach moderner Vorstellung die Grundlage einer Partnerschaft.

Diese beiden Bereiche (personliche und korperliche Ubereinstimmung) konnten nach Erfindung und Verbreitung der Pille und der steigenden Verbreitung und Produktion von Kondomen ab Mitte des 20. Jahrhunderts getrennt betrachtet werden. Bislang kann man als eine Folge dieser relativ jungen Entwicklung feststellen, dass sexuelle Aktivitat vor einer Ehe dadurch immer fruher einsetzt. Der Heiratsgrund wegen Schwangerschaft ist durch die effektive moderne Verhutung groBtenteils weggefallen.

Kurz anzumerken ist noch die Stellung der Frau zum Mann und umgekehrt. Grundsatzlich muss man den anatomischen Unterschied nennen, der dem Mann einen erheblichen Vorteil an schnell zu aktivierender Muskelkraft gegenuber der Frau einraumt. Weiterhin ist entscheidend welch geringen Zugang zu Bildung Frauen noch bis ins 20. Jahrhundert hatten. Ursprunglich konnte man diesbezuglich von keiner Benachteiligung sprechen. Die Aufgabe des Mannes war der AuBendienst, in dem Schrift- und Lesekenntnis erforderlich waren, die Frau war im Binnendienst tatig.[54] Verschiedene Arbeiten waren durch die erforderliche Muskel- und Korperkraft fixiert, bis schlieBlich, vor allem durch Erfindungen des 19. Jahrhundert, die korperliche Anstrengung an Bedeutung abnahm. Heute sind in Europa und vielen Teilen der Erde Frauen und Manner in nahezu allen Berufsfeldern mehr oder weniger partnerschaftlich vertreten und durch ein gut ausgebautes soziales Netz mit Krabbelgruppen und Kinderhorten ist die Frau auch zunehmend dem Mann gleichgestellt, wobei feministische Kritikerinnen, z.B. Susan Moller Okin ungerechtfertigte durchschnittlich geringere Bezahlung von Frauen und die unbezahlte Arbeit von Frauen in Haushalten stark anprangert.[55] Diese Tatsache erfordert eine Paarbindung, die auf personliche und emotionale Eignung ausgerichtet ist, da durch die offenen Rollenschemata taglich Kompromisse und Einigung im Zusammenleben erreicht werden mussen.

Fur die theologische Ethik stellt sich die Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass eine zwischenmenschliche Partnerschaft nicht losgelost von auBeren und inneren Bindungen, sowie gesellschaftlichen Verpflichtungen existiert. Aus theologischer Sicht stehen sich Frau und Mann ebenbildlich gegenuber, gehoren zusammen und sind ethisch gesehen fureinander verantwortlich, auch wenn die Kirche gesellschaftlich als Moralinstanz an Bedeutung verloren hat.

2.2 Zukunftsperspektiven

Was erhoffen wir fur die Zukunft? Wollen wir eine Welt, in der eine Partnerschaft keine Verbindlichkeit fordert, da es primar um die eigene Bedurfnisbefriedigung geht? Oder wollen wir eine Welt, in der ein starrer Sittenkanon gefordert wird? Heute ist es schwer und problematisch ein Urteil uber Lebenskonzepte zu fallen, denn spatestens seit Ende des 20. Jahrhundert, in dem verschiedenste Kulturen und Religionen, sowie Lebenseinstellungen, die auf dieser Erde existieren, immer naher zusammenrucken, stehen viele verschiedene Wahrheiten nebeneinander. In Deutschland leben wir in einem Staat, der gegenuber Weltanschauungen und Religion neutral zu bleiben hat. Man spricht von „Pluralismus der Weltanschauungen und Religionen“[56], also deren Ebenwurdigkeit. Als Christ, gilt es innertheologisch den Wahrheitsanspruch fur die eigene Einstellung zu finden, um im Pluralismus begrunden zu konnen, was die Vorraussetzungen und Ursachen fur den personlichen Standpunkt sind. Im Pluralismus kann nur nach innen ein Wahrheitsanspruch gestellt werden, nicht nach auBen, denn sonst kann weder ein Nebeneinander, noch ein Miteinander der Weltanschauungen und Religionen bestehen. Pluralismus ist kein Relativismus, der allen Wahrheitsanspruch ausschlieBt. Jedoch sollte auf die einheitliche, nicht relativierende Haltung der christlichen Kirche Wert gelegt werden, in einem liberalen und sakularen Staat.

„Gerade mal drei Jahre nach der Ausstrahlung in den USA vermittelt Sex and the City (...) das Neue, spaBig-spieBige Frauenbild von der modern-selbstbewussten Karrierefrau, die auf wohlgeformt-pumpsbeschuhten Beinen mitten im Leben steht.“[57] Beraten von Idolen wie Sex and the City - Protagonistin Sarah Jessica Parker alias Carrie Bradshaw, orientieren sich selbstbewusste dynamische Menschen - modebewusst, beliebt, schon - an einer Ethik des Glucks, welche primar das unabhangige Individuum in den Mittelpunkt stellt. Der Familienersatz sind die Freunde, d.h. die Wahl eines sozialen Milieus, in dem man seine Freizeit gestaltet. Lebensabschnittsgefahrte - so heiBt der intime Partner, mit dem man fur eine mehr oder weniger lange Zeit eine Beziehung in einer bestimmten Lebensform hat. Karin Ulrich-Eschemann wies darauf hin, dass mit dem Begriff Beziehung schon impliziert ist, dass es sich nur um eine Begegnung handelt, die sich im Vergleich zu Bestimmungen innerhalb einer Familie nicht naher definiert.[58] Die einen wohnen unverheiratet zusammen, die anderen in getrennten Wohnungen, wieder andere fuhren aus beruflichen Grunden eine Fern- und Wochenendbeziehung, weiterhin gibt es immer mehr Patchworkfamilien. Den Beziehungsformen sind keine Grenzen gesetzt.

Nach dem neusten Sex and the City - Film jedoch, findet man die Protagonistinnen nicht mehr allein stehend vor. Ihre Suche nach ,dem Traummann‘ gelangte an das Ziel einer romantischen Heirat und der Erfullung des Kinderwunsches, der auch der modernen modebewussten GroBstadtfrau des 21. Jahrhunderts nicht ausbleibt. Bei naherer Betrachtung von stark am Individualismus verhafteten Lebensformen tun sich Spannungen auf. Einerseits wird nach Selbstverwirklichung gestrebt und andererseits bleibt der Mensch verhaftet an das anthropologische Bedurfnis nach Gemeinschaft. Das Milieu, in dem man sich bewegt, ist der Familienersatz und gleichzeitig wird der Single von vielen als nicht vollstandig betrachtet. Nicht ohne Grund genieBen Flirthomepages und andere Kontaktborsen groBe Popularitat.

Nicht nur das menschliche Bedurfnis nach einer Partnerschaft, auch die Grundwerte des Zusammenlebens sind stabil, obwohl sich die Formen des Zusammenlebens geandert haben. Treue und Vertrauen werden von den meisten Partnern als Eckpfeiler einer Lebensgemeinschaft gesehen. Bernd Wannenwetsch spricht von einer Zirkelstruktur der Vergebung und Treue, die durch den Konflikt wachst und somit kontinuierlich an Intimitat gewinnt. Nach dieser Vorstellung wachst die Partnerschaft durch Auseinandersetzung miteinander. In der Intimitat mit einer anderen Person wird auf Dauer nie ohne Auseinandersetzungen und Streit auszukommen sein, weil zwei verschiedene Personlichkeiten so eng zusammen stoBen. Die Herausforderung besteht darin, die Konflikte zu losen und an der Partnerschaft zu arbeiten. Dies kann nur durch Vertrauen, Treue und Vergebung geschehen, denn fehlerfrei ist niemand. Die sexuelle Untreue eines Partners muss demnach nicht unbedingt das Ende bedeuten, wenn Liebe und Vergebung in der Gemeinschaft diesen Fehler ausgleichen.

Muss also ein Lebenskonzept, das nach Selbstverwirklichung strebt und sich am Individualismus orientiert, grundsatzlich dem Konzept der Ehe widersprechen? Um sich selbst nicht untreu zu werden, sollten beide Partner um ihrer selbst willen einander treu sein. Denn die Untreue zum Partner wurde der Partnerschaft und somit dem eigenen Lebensraum schaden. Die gelebte Treue und die Starkung des Vertrauens innerhalb einer Ehe entsprechen demnach dem Selbstverwirklichungskonzept. Leitbilder, die suggerieren, man musse offen fur alles Neue sein und konne alle Entscheidungen noch einmal uberdenken und neu anfangen, sind irrefuhrend. Die uberhastete Beendigung eine Partnerschaft geht oft nur Konflikten und Angsten aus dem Weg.

Wo bleibt in eben genanntem Denkmuster aber die Familie? „Wer dagegen verlernt, mit Kindern zu leben, versteigt sich in den Wahn, er lebe fur sich allein.“[59]. Mit diesem Satz beendete Bischof Huber einen Artikel in DER ZEIT 15/2006. Jeder Mensch hat eine Herkunftsfamilie, auch jeder Single. Grundlagen in Familien sollten Liebe und Freiheit, aber auch Verlasslichkeit und Verantwortung sein, welche Sinn machen und Sinn geben, denn allein soll der Mensch nicht sein, denn fur die Einsamkeit ist der Mensch nicht geschaffen. Dabei sind Konflikte wichtig und sie festigen personliche Verhaltnisse, wenn sie gemeinsam gemeistert werden. Besonders Eltern haben die Verantwortung ihren Kindern gegenuber sich darauf einzulassen und den gemeinsamen Weg zu gestalten.

Was in der Betrachtung noch fehlt, ist die Frage nach Gott. Gerade im Hinblick auf die Zukunft und alle kunftigen Wandlungen, kann sich Partnerschaft und Ehe ihres Bestandes am sichersten sein, wenn sie sich einer hoheren Instanz verschreibt statt Guterabwagungen oder positiven Erlebnissen. Die Partnerschaft, die im Willen Gottes stets an Bestand gewinnt, muss in dieser Konsequenz die Ehe sein. Nach Luther besitzt und fordert die Ehe den Glauben, nichteheliche Gemeinschaften sind gezwungen sich immer wieder zu qualifizieren und vor der Gesellschaft zu rechtfertigen.

2.3 Problembestimmung und religionspadagogische Relevanz

Was genau fordert nun die evangelische Ethik auf, sich mit dem Thema zu beschaftigen und es im Religionsunterricht zu behandeln? Partnerschaft und Ehe sind ein zentrales Feld der Lebensfuhrung. Trutz Rendtorff fuhrt uber die Ethik an, dass eine ethische Argumentation bei den Grundstrukturen der Lebensfuhrung beginnt, in denen eine Stellungnahme gefordert ist.[60]

Die Ehe ist eine „Konkretion der individuellen Lebensfuhrung“[61], mit der verantwortungsvoll umgegangen werden soll. Der Wandel und die Veranderungen im Verstandnis von Liebe, vor allem aber von Sexualitat fordert die Ethik zu einer Stellungnahme. Die christliche Ethik versucht dabei, den Anspruchen des christlichen Selbstverstandnisses zu genugen und den elementaren Verbindlichkeiten einer Lebensgemeinschaft zu entsprechen. „Handle so, dass die eigene Lebensfuhrung in den Dienst an tragenden Vorraussetzungen eintritt, zu deren erneuter Geltung beitragt und dabei offen ist fur eine Rechenschaft uber die Ziele des Handelns“.[62]

Die Leitfrage bei der Problemwahrnehmung in der Eheethik ist die: Warum wird weniger geheiratet, und warum ist die Ehe zunehmend unstabil? Ist es ein Irrglaube der Moderne, dass Individualismus die Losung und der Weg zum Gluck sei? Dass Individualismus und der damit verbundene Freiheitsgedanke der Freiheit von etwas auch eine Freiheit von Bindungen sein musse?

Im Religionsunterricht soll in diesem Zusammenhang mit den Heranwachsenden erarbeitet werden, was eine stabilen Partnerschaft, Ehe und schlieBlich Familie ausmacht. Es soll vermittelt werden, was eine Ehe im Bezug auf ein Leben im Glauben bedeutet und was aus der christlichen Freiheit, welche die Freiheit zu ist, fur die Partnerschaft folgen muss. Dieses christliche Ethos der Liebe und Gemeinschaft soll ein primares Ziel als Gegengewicht zu den vielen Vorstellungen sein, die Jugendliche heute in Film und Fernsehen vermittelt bekommen.

Zu flirten, sich zu verlieben, Beziehungen zu erproben und in relativ jungen Jahren Sexualitat zu erleben ist fur junge Menschen zu einer Selbstverstandlichkeit geworden. Oftmals nimmt die Gesellschaft auf Grund dieser Tatsache an, Jugendliche wussten schon uber vieles Bescheid und brauchten diesbezuglich wenig Aufklarung. Hier liegt eine groBe Fehlannahme vor, denn gerade wenn Jugendliche viel uber Presse, Rundfunk (Horfunk, Fernsehen) und Internet erfahren, muss aufgeklart und zu einem kritischen Diskurs der gewonnenen Informationen hingefuhrt werden. Havighurst, Dreher und andere Entwicklungspsychologen benennen die Adoleszenz als Zeit der geschlechtlichen Definition und der Vorbereitungszeit auf Partnerschaft und auf Familie. Der Religionsunterricht muss hier seine ethische Aufgabe wahrnehmen und zu einer sittlichen Einstellung beitragen, die einen verantwortungsvollen und vernunftigen Umgang im partnerschaftlich-familiaren Bereich ermoglicht.

Das Thema Liebe und Partnerschaft bzw. Familie betrifft alle Menschen auf dem gesamten Globus in ahnlicher Intensitat, denn der Mensch ist von Grund auf ein „homo sociologicus“[63], er ist auf die Gemeinschaft angewiesen und es gehort zu seinen primaren Bedurfnissen seine Einsamkeit in der Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen zu uberwinden, bestenfalls in einer Liebesgemeinschaft, die in eine Familie mundet.[64] Die Gedanken um eine Partnerschaft setzen bei Jugendlichen immer fruher ein und sind stark mit der Lebensqualitat gekoppelt. Flirten, sich daten (verabreden), chatten (im Internet durch Text kommunizieren) oder auf Partys gehen bestimmen das Freizeitleben - an Familie wird in diesem Zusammenhang kaum gedacht. Nachdem man einige Zeit ein Paar ist, kommt irgendwann das Zusammenziehen, wenn das gelingt und die berufliche Zukunft gesichert ist, denkt man vielleicht an Kinder und Heirat. So haben junge Leute schon vor dem 20. Lebensjahr viele kurzfristige oder langerfristige Partnerschaften hinter sich, die oft dazu dienen die Zeit vor einer Familiengrundung oder nach der Beendigung einer Partnerschaft zu uberbrucken. Der Zeitpunkt der Familiengrundung ist soziokulturell gepragt und beinhaltet klassenspezifische Unterschiede. Primar in hoheren sozialen Schichten findet man ein so genanntes „Muster einer verlangerten ,Jugend’“[65]. Seit den 80er Jahren ist es zunehmend ublich, dass junge Erwachsene sehr fruh das Elternhaus verlassen und mit Unterstutzung von Seiten der Eltern oft den Wohnort und die Wohnform wechseln, auch auf Grund von Auslandaufenthalten und Studienortwechseln. Die Zahl sehr junger Mutter, die in den USA oder Australien vergleichsweise hoch sind, ist in Europa eher stagnierend bis sinkend. Es ist in Europa eher zu beobachten, dass sich viele Zeit lassen. Als Single gestaltet man freiheitlich seine sozialen Kontakte, die gleichzeitig die Partnersuche einschlieBen. Offene oder sog. „living apart together“[66] Beziehungen und Fernbeziehungen sind normal geworden, genauso wie die Haltung eines uberzeugten Singles, der sich uberhaupt nicht festlegen will. Ein Trend zum allein leben ist nicht feststellbar. Weiterhin sind uneheliche Lebensgemeinschaften ublich geworden. Hopflinger erwahnt hier die instabilere Struktur und die Tendenz zum spateren Zeitpunkt der Geburt von Kindern. Bei dieser Form des Zusammenlebens, besteht offensichtlich ein Dualismus von Tradition und Innovation, der jedoch in schwereren Zeiten eher zur Tradition tendiert. Gerade auf Grund dieses Dualismus und der Koexistenz mehrerer Moglichkeiten der Lebensgestaltung kann der Dialog in der Schule Orientierung bieten.

Die schulische Sexualerziehung und die Erziehung zu einem gesunden Partnerschafts- und Familienbild hat eine wichtige Aufgabe und sollte nicht fern vom Leben der Kinder und Jugendlichen als verkrampftes und unlockeres Ereignis misslingen. Es bietet fur Kinder, die zu Hause und in der Gesellschaft ein problematisches Bild vermittelt bekommen, die Chance der Aufklarung und Annaherung. Dass Kinder und Jugendliche auch Sexualitat ausleben, wird in den meisten Staaten der Welt akzeptiert und wurde auch in der Kinderrechtskonvention der UNO unterzeichnet. Sexualitat heiBt nicht nur Geschlechtsverkehr bezogen auf die Genitalien, viel zentraler ist der Korperkontakt wie Schmusen, Kuscheln, Streicheln und der Ausdruck der Zuneigung durch Mimik, Gestik und Sprache. Mit jedem naturlichen Bedurfnis, wie auch Essen und Trinken, muss gelernt werden gut umzugehen. Essstorungen sind genauso gesellschaftlich anerzogen wie sexuelle Fehlentwicklungen, die ebenso in Neurosen und Zwange munden konnen. Bei zu wenig erhaltener Liebe und Vernachlassigung des Korpers wird das Gleichgewicht selbst auf andere Art hergestellt. Beispielsweise haufigeres Duschen, ubermaBiges Onanieren, fruhe sexuelle Erfahrungen in der Peergroup, pornographische Neigungen bis hin zu Perversionen. Im anderen Extrem, z.B. bei Vergewaltigungen ist die Folge oftmals die Abkehr und Ablehnung von Korperlichkeit bis hin zum Hass des eigenen Korpers. Entwicklungsphasen sollen durchlebt und erfahren werden konnen. Belegt die Gesellschaft Entwicklung- und Erfahrungsphasen mit etwas Negativem, nehmen wir den Kindern und Jugendlichen wichtige Schritte zum Erwachsenwerden. Sexualitat heiBt auch, sich und andere kennen lernen, was in vielen Lebensbereichen sehr wichtig ist. „Denn Sexualerziehung ist eine Gratwanderung zwischen der Akzeptanz der unvoreingenommenen kindlichen Neugier und dem Ausprobieren seiner Organe und seiner sexuellen Reize auf andere einerseits und einer vorsichtigen Werteerziehung anderseits.“[67] Die Wertevorstellungen von Gesellschaften differieren sehr, vor allem was die Bewertung der Sexualitat betrifft. Geschlechtsorgane und Nacktheit haben in unserer Kultur einen verbotenen und sundhaften Charakter, deshalb erinnern sich Erwachsene nur heimlich an Doktorspiele oder ahnliches in ihrer Kindheit. Dies gehort zur Entwicklung, wird gesellschaftlich jedoch abgelehnt. Andererseits konfrontiert die Medienwelt standig mit Nacktheit und Sexualitat. Die Schule hat zum einen die Aufgabe der sexualwissenschaftlichen und anthropologischen Aufklarung und des Ausgleichs von Wissensunterschieden, zum anderen der Forderung einer gesunden sexuellen Entwicklung in Theorie und Praxis. Wichtig dabei ist das Anknupfen an den jeweiligen Stand der Kinder und Jugendlichen und somit die Anpassung an jede Klasse individuell. Religiose oder kulturelle Unterschiede mussen an dieser Stelle aufgegriffen und erklärt werden, beispielsweise das Vergleichen von christlichen und nicht christlichen Partnerschaften und Familien.

[...]


[1] Tolstoi, Krieg und Frieden, 35.

[2] Pohlmann, Ehe und Sexualitat, in: Bayer (Hg.), Ehe-Zeit zur Antwort, 56.

[3] Ebd., 56.

[4] Eibach, Ehe und Selbstverwirklichung, in: Bayer (Hg.), Ehe - Zeit zur Antwort, 64.

[5] Ebd., 70.

[6] Buchtitel, feste oder fremdsprachliche Ausdrucke, sowie Eigennamen wurden im Text kursiv gesetzt. Als Bibel wurde die Lutherbibel von 1984 verwendet. Zitate aus englischsprachiger Literatur wurden im Original belassen.

[7] Lenk, Einfuhrung in die angewandte Ethik, 6.

[8] Vgl. Ebd.

[9] Todt, Perspektiven theologischer Ethik, 71.

[10] Magnus-Hirschfeld-Archiv. Formen und Bedeutung der Ehe.

[11] Vgl. Honecker, Grundriss der Sozialethik, 153.

[12] Brockhaus Multimedial, Ehe.

[13] Vgl. Honecker, Grundriss der Sozialethik, 154.

[14] Ebach, Frau II, in: TRE, 422.

[15] Baumann, Was jeder vom Judentum wissen muB, 90.

[16] Vgl. (Autor unbekannt) Israel heute. Judisches Fenster. Scheidungsecht reformiert, Artikel vom 24.03.2009.

[17] Vgl. Deuser, Die Zehn Gebote, 9

[18] Vgl. Jenni, Lehrbuch der hebraischen Sprache des Alten Testaments, 230f.

[19] „(veraltet) um jmds. Gunst buhlen“. Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Duden, 2000.

[20] Vgl. Nielsen, Die Zehn Gebote, 84

[21] Vgl. Honecker, Grundriss der Sozialethik, 155-157.

[22] Vgl. Deuser, Die Zehn Gebote, 96.

[23] Baumann, Die Ehe - ein Sakrament?, 170f.

[24] Honecker, Grundriss der Sozialethik, 157; vgl.: Schrage, Ethik des Neuen Testaments, 97-105.

[25] Vgl. Baumann, Die Ehe - ein Sakrament?, 172.

[26] Vgl. Ebd., 170.

[27] Honecker, Grundriss der Sozialethik. 157.

[28] Vgl. Schrage, Ethik des Neuen Testaments. 158.

[29] Ulrich-Eschemann, Lebensgestalt Familie, 89.

[30] Vgl. Ulrich-Eschemann, Lebensgestalt Familie, 85.

[31] „Und wie ihr wollt, dafl euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!“ (Lk 6, 31) oder das Sprichwort: Was du nicht willst das man dir tut, das fug auch keinem andern zu.

[32] Baumann, Die Ehe - ein Sakrament, 180f.

[33] Ebd., 181.

[34] Vgl. Ebd., 182f.

[35] Ebd., 203.

[36] Man muss hier bemerken, dass Thomas zum Ehesakrament kein Fazit gezogen hat, da er vorher verstarb. Sein groBtes Werk, die Summa Theologiae wurde schlieBlich erganzt. Vgl. Baumann, Die Ehe - ein Sakrament, 230.

[37] Ebd., 241.

[38] Ebd., 263.

[39] Vgl. Politeia 455 d; Liedtke, Der weite Schulweg der Madchen, 27.

[40] strittig ob paulinisch oder nicht.

[41] Vgl. Liedtke, Der weite Schulweg der Madchen, 25-37.

[42] Vgl. Ebd., 27.

[43] Deuser, Die Zehn Gebote, 98.

[44] Tugendhat, Wie sollen wir handeln?, 149-160.

[45] Vgl. Wannenwetsch, Die Freiheit der Ehe, 119.

[46] Vgl. Schrage, Ethik des Neuen Testaments, 100.

Vgl. Mitterauer, Entwicklungstrends der Familie in der europaischen Neuzeit, in: Nave-Herz; u.a. (Hg.), Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Band 1, 180.

[48] Zum F olgenden vgl., Ebd., 181-187.

[49] Ebd., 181.

[50] Vgl. Ebd., 183.

[51] Vgl. Ebd., 186.

[52] Ebd., 187.

[53] Vgl. Houlgate, Morals, marriage, and parenthood, 92-94.

[54] Vgl. Liedtke, Der weite Schulweg der Madchen, 37.

[55] Vgl. Houlgate, Morals, marriage, and parenthood, 94.

[56] Ulrich-Eschemann, Karin, "Was heiBt Kirche sein?", 5.

[57] Schiessl, TV-Serien: Der Club der bosen Madchen.

[58] Vgl. Ulrich-Eschemann, Lebensgestalt Familie, 37.

[59] Huber, Kein Job wie jeder andere, in: DIE ZEIT 15/2006.

[60] Vgl. Rendtorff, Ethik, 15.

Ebd., 38.

Ebd.

[63] Seibert, Prinzipien guten Unterrichts, 83.

[64] „Das Bewusstsein der menschlichen Getrenntheit ohne Wiedervereinigung durch Liebe - das ist die Quelle der Scham. Gleichzeitig ist es die Quelle von Schuld und Angst.“ Fromm, Die Kunst des Liebens, 25.

[65] Hopflinger, Familiengrundung im Wandel, 2.

[66] Ebd., 3.

[67] Struck, Das Erziehungsbuch, 164.

Ende der Leseprobe aus 107 Seiten

Details

Titel
Die Ehe - Freiheit zu, durch und in Grenzen
Untertitel
Tugenden des Zusammenlebens in ethisch-theologischer Diskussion
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Evangelische Theologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
107
Katalognummer
V152361
ISBN (eBook)
9783640653911
ISBN (Buch)
9783640654383
Dateigröße
1174 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Frau Stierhof legt mit ihrer Zulassungsarbeit eine kluge und profunde Arbeit vor, die von der ersten Seite bis zur letzten Seite konstruktiv angelegt und durchkomponiert ist und wissenschaftlichen Anforderungen in hohem Maße entspricht. Die Kandidatin arbeitet weitgehend interdisziplinär, sie bearbeitet eine Fülle an klassisch-theologischer, ethischer und aktueller Literatur, wobei sie durchgehend die Frage verfolgt, wie die Ehe in theologisch-ethischer Perspektive zu verstehen ist. Darüber hinaus ist sie für die religions- und sexualpädagogische Diskussion ein Gewinn."
Schlagworte
Familienethik, Ehe, Sexualität, Liebe, Ethik, Sozialethik, Partnerschaft, Theologie, christliche Ehtik, Religionspädagogik, Pädagogik, Sexualethik
Arbeit zitieren
Bianka Stierhof (Autor:in), 2009, Die Ehe - Freiheit zu, durch und in Grenzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/152361

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