Das Arbeitszeitmodell der Vertrauensarbeitszeit - Darstellung und Anwendung auf die Autoliv Sicherheitstechnik GmbH


Praktikumsbericht / -arbeit, 2006

66 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Diskussion und Stellenwert in Theorie und Praxis
1.2 Zielstellung dieser Arbeit
1.3 Aufbau der Arbeit

2. Betrachtung der Vertrauensarbeitszeit
2.1 Definition(en) der Vertrauensarbeitszeit
2.2 Abgrenzung gegenüber anderen flexiblen Arbeitszeitmodellen
2.3 Merkmale der Vertrauensarbeitszeit
2.3.1 Eigenverantwortliche Bestimmung der Arbeitszeit
2.3.2 Unterscheidung zwischen Anwesenheits- und Arbeitszeit
2.3.3 Verzicht auf arbeitgeberseitige Kontrolle der Arbeitszeit
2.3.4 Neuartige Führungsinstrumente
2.4 Vorteile der Vertrauensarbeitszeit
2.4.1 Vorteile aus Arbeitgebersicht
2.4.2 Vorteile aus Arbeitnehmersicht
2.5 Nachteile der Vertrauensarbeitszeit
2.5.1 Nachteile aus Arbeitgebersicht
2.5.2 Nachteile aus Arbeitnehmersicht
2.6 Soll- Elemente einer Vertrauensarbeitszeitregelung
2.6.1 Ziele und Grundsätze
2.6.2 Begleitende Maßnahmen
2.6.3 Geltungsbereich
2.6.4 Grundverteilung der Arbeitszeit
2.6.5 Definition von Arbeitszeit und Nichtarbeitszeit
2.6.6 Verfügbarkeit
2.6.7 Umgang mit Überlastsituationen
2.6.8 Aufzeichnungspflicht laut Arbeitszeitgesetz
2.6.9 Geltungsdauer und Kündigungsmöglichkeiten
2.6.10 Zusätzliche Elemente

3. Anwendung des Modells auf die Autoliv Sicherheitstechnik GmbH
3.1 Darstellung des Konzerns Autoliv sowie des Unternehmens
3.2 Rahmenbedingungen und Anwendungsmöglichkeiten
3.2.1 Gestaltende Faktoren
3.2.2 Zuschnitt des Modells auf lokale Gegebenheiten / Handlungsempfehlungen

4. Zusammenfassung
4.1 Abschließende Betrachtungen
4.2 Ausblick

1. Einleitung

1.1 Diskussion und Stellenwert in Theorie und Praxis

Während in den letzten Jahren die Flexibilisierung der Arbeitszeiten immer stärker vorangetrieben und neue Arbeitszeitmodelle entworfen wurden, wird nun auch das Modell der Vertrauensarbeitszeit sehr kontrastreich diskutiert. Bemerkenswert ist dabei, dass es - immer noch - kein einheitliches Verständnis dieses Arbeitszeitmodells gibt.

Beispielhaft zeigt dies der folgende kurze Artikel der Wirtschaftswoche:

„Überstunden: Mehr Arbeit ohne Lohn Stechuhr abschaffen: Unternehmen verabschieden sich zunehmend von der Zeiterfassung und setzen stattdessen auf Vertrauensarbeitszeit.

Die Idee: Die Mitarbeiter sollen über ihre Arbeitszeit frei verfügen - ohne Kontrolle vom Chef. Jetzt kündigte auch einer der Zeitkontenpioniere, der Automobilzulieferer Webasto aus Stockdorf bei München, an, für seine Angestellten die Stechuhr abzuschaffen.

Ausgleichsfreizeit würde künftig vom Vorgesetzen nach eigenem Ermessen gewährt. Damit will Webasto einige Hunderttausend Euro für die Zeiterfassung einsparen.

Die Gewerkschaften gehen dazu schon präventiv in Opposition. Denn Webasto-Chef Franz-Josef Kortüm hofft, dass „die Leute am Ende mehr arbeiten - ohne finanziellen Ausgleich“. „Damit hat zum ersten Mal ein Manager offen ausgesprochen, welches Ziel mit Vertrauensarbeitszeit wirklich verfolgt wird“, kritisiert Richard Polzmacher von der IG-Metall in Bayern. Auch der Berliner Arbeitszeitexperte Andreas Hoff sieht die Webasto-Pläne kritisch: „Vertrauensarbeitszeit darf nicht einfach mit Arbeitszeitverlängerung gleichgesetzt werden. Soll das Konzept aufgehen, muss der Mitarbeiter seine Arbeitszeit selber steuern.“ Setzt Webasto das neue Arbeitszeitmodell beim Betriebsrat durch, dürfte das für viele Unternehmen eine Signalwirkung haben.“(Leendertse 2003, S. 1)

Wie man hier leicht herausliest gibt es vom Wesen und auch vom Ziel der Vertrauensarbeitszeit sehr stark abweichende Vorstellungen. Einige sehen in ihr die Möglichkeit zur Arbeitszeitverlängerung ohne finanziellen Ausgleich, was - zu Recht - Kritiker hervorruft, welche in der Vertrauensarbeitszeit lediglich eine neue Form der Ausbeutung von Arbeitnehmern erkennen. Ein Grund für das unterschiedliche Verständnis des Modells ist, dass in einigen Betrieben teilweise schon vor 20 und mehr Jahren für einige Mitarbeiter die Zeiterfassung abgeschafft wurde und dies heute mit Vertrauensarbeitszeit bezeichnet wird. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, gehört zu einem Vertrauensarbeitszeitsystem aber noch mehr als dies.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von wissenschaftlichen Artikeln und auch einige Bücher zu diesem Thema, sodass sich -zumindest in der Theorie - langsam ein einheitlicheres Bild von Vertrauensarbeitszeit ergibt. In der Praxis werden die Vorstellungen über dieses flexible Arbeitszeitmodell aber vermutlich auch weiterhin sehr unterschiedlich sein.

Vertreter der Vertrauensarbeitszeit finden sich vor allem auf Seiten der Arbeitszeitberatungsunternehmen, in einigen Arbeitgeberverbänden sowie in Unternehmen, die Vertrauensarbeitszeit erfolgreich eingeführt haben. Skeptisch hingegen sind einige Gewerkschaften, staatliche Überwachungsbehörden (z.B. Gewerbeaufsichtsamt) und Unternehmen mit negativen Umsetzungserfahrungen (Wingen usw. 2004, S. 77,81).

Genaue empirische Befunde zur Verbreitung von Vertrauensarbeitszeit gibt es noch nicht. In einer kleineren, vom Arbeitszeitberatungsunternehmen Hoff - Weidinger - Herrmann durchgeführten Befragung von 170 Unternehmen gaben 39% an, Vertrauensarbeitszeit zu praktizieren. Jedoch gibt es in der Praxis Unterschiede im Verständnis des Modells (Wingen / Schulze 2003, S. 354). Die Vertrauensarbeitszeit wird heute überwiegend im Bereich außertariflicher Angestellter angewandt.

Großbetriebe und der Dienstleistungssektor sind dabei Vorreiter. Eine Tendenz hin zu kleineren Unternehmen und zur optionalen individuellen Vertrauensarbeitszeit ist zu erkennen (Hoff / Priemuth 2001, S. 1-5).

1.2 Zielstellung dieser Arbeit

Die Zielstellung dieser Arbeit ist es, das Modell Vertrauensarbeitszeit zu untersuchen, es im Kontext bisheriger flexibler Arbeitszeitmodelle zu bewerten, es auf den Führungskreis der Autoliv Sicherheitstechnik GmbH zu übertragen und Handlungsempfehlungen für die konkrete Ausgestaltung einer Vertrauensarbeitszeitregelung zu geben.

1.3 Aufbau der Arbeit

Als Voraussetzung hierfür soll das Modell zunächst definiert und gegenüber anderen flexiblen Arbeitszeitmodellen abgegrenzt werden um seinen hohen Grad an Flexibilität deutlich zu machen und eine Diskussionsgrundlage zu schaffen. Danach soll das Modell detailliert so dargestellt werden, wie es derzeit in vorherrschender Literatur existiert.

Hierzu werden die Philosophie der Vertrauensarbeitszeit anhand von Charaktermerkmalen erläutert, ihre Chancen den Gefahren gegenübergestellt und Erfolgsfaktoren für das Gelingen eines Vertrauensarbeitszeitsystems in Form von Soll- Elementen betrachtet.

Im Anschluss an diese Darstellung soll der Konzern Autoliv vorgestellt werden. Vor allem werden das Döbelner Unternehmen betrachtet und dessen förderliche und hemmende Faktoren in Bezug auf die Einführung von Vertrauensarbeitszeit im Führungskreis aufgezeigt um daraufhin Handlungsempfehlungen zur Gestaltung des Vertrauensarbeitszeitsystems geben zu können.

Abschließend soll das Ergebnis der Arbeit zusammengefasst und ein kurzer Ausblick mit Hinweis auf ggf. vorhandenen Forschungsbedarf gegeben werden.

2. Betrachtung der Vertrauensarbeitszeit

Nach der Einführung in die Thematik der Vertrauensarbeitszeit und der Verdeutlichung des Ziels und des Aufbaus dieser Arbeit soll Vertrauensarbeitszeit nun definiert, gegenüber anderen flexiblen Arbeitszeitmodellen abgegrenzt und ihr Charakter aufgezeigt werden. Darauf folgend werden charakteristische, für das Gelingen von Vertrauensarbeitszeit kritische Regelungselemente erläutert.

2.1 Definition(en) der Vertrauensarbeitszeit

Eine einheitliche Definition der Vertrauensarbeitszeit existiert nicht. Vielmehr ist sie ein modular zusammengesetztes Konzept mit bestimmten Merkmalen, die sich aus einer Summe von Grundideen ergeben. Diese Grundideen bzw. Ziele sind eine höhere Ergebnisorientierung, ein sparsamer Umgang mit der Ressource Arbeitszeit, ein unternehmerisch denkender Mitarbeiter und oft auch die Stärkung der betrieblichen Vertrauenskultur. Module bzw. Elemente, die in Vertrauensarbeitszeitregelungen vorkommen können bzw. sollten, werden unter Punkt 2.6 behandelt.

Allen Vertrauensarbeitszeitsystemen gemeinsam ist allerdings der arbeitgeberseitige Verzicht auf die Kontrolle der Arbeits- und Anwesenheitszeiten der Arbeitnehmer und damit deren eigenverantwortliche Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitszeit. Vertrauensarbeitszeit ist ein flexibles Arbeitszeitmodell, in dem die Arbeitnehmer selbst - in Abstimmung mit Kollegen und Vorgesetzten - über die Lage und auch die Dauer ihrer Arbeitszeiten bestimmen können (Pleßner 2005, S. 1).

Maßgebend ist das Wort Vertrauen, welches beiderseitig zu verstehen ist (Vertrauen und Zutrauen). Vertrauensvorschüsse auf allen Ebenen sind gefragt: der Arbeitgeber muss Vertrauen in seine Mitarbeiter haben, dass diese das entgegengebrachte Vertrauen nicht missbrauchen und keinen Zeitbetrug begehen. Die Mitarbeiter müssen Vertrauen in den Arbeitgeber haben, dass dieser mit einer solchen Regelung nicht insgeheim die Ausweitung der Realarbeitszeit im Auge hat, in die Vorgesetzten, dass diese ihnen im Fall einer Überlastsituation wirklich glauben, keinen Betrug vermuten und ergebnisorientiert führen können (Schlottfeld 2000, S. 1-2), und schließlich in die eigenen Kollegen, dass diese wirklich ihre Arbeit tun, nicht betrügen und somit ggf.

Arbeit auf andere abwälzen. Schließlich sind auch die Vertrauensbeziehungen zur betrieblichen Interessenvertretung zu berücksichtigen (Herrmann 2001, S. 20-21; Hoff 2002a, S. 30-32).

Zu erwähnen ist auch, dass Vertrauensarbeitszeit - zumindest bis jetzt - ein rein deutsches Phänomen ist. Mehrere deutsche Arbeitszeit- und auch Vertrauensarbeitszeitexperten bestätigten dies1, verwiesen allerdings auf englischsprachige Experten2. Vertrauensarbeitszeitähnliche Systeme sind allerhöchstens als informelle Erscheinungen bekannt3. Die Recherche zu englischsprachiger Literatur blieb nahezu ergebnislos. Lediglich von der European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions in Dublin existiert eine Analyse zu Vertrauensarbeitszeit, die sich aber wiederum mit der innerdeutschen Diskussion des Themas befasst. Das Engagement von Dr. Hoff und seinen Partnern hat laut Lehndorff3 maßgeblich dazu beigetragen, dass es Vertrauensarbeitszeit als „Produkt“ überhaupt gibt und eine großflächigere Diskussion entstanden ist.

2.2 Abgrenzung gegenüber anderen flexiblen Arbeitszeitmodellen

Betrachtet man das Thema Arbeitszeit in Verbindung mit dessen Beeinflussungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, so gibt es zwei Arten von Ansätzen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Übersicht Arbeitszeitmodelle (Quelle: Hentze 1995)

Chronometrische Gestaltungsansätze befassen sich mit dem Volumen der Arbeitszeit, das heißt mit deren Dauer. Sie unterscheiden sich ausschließlich durch den Grad an Flexibilität, wobei es eine große Bandbreite von starren bis hin zu hochflexiblen Arbeitszeitvolumina gibt. Als zwei Extrembeispiele seien hier das Vollzeitarbeitsverhältnis mit konstantem Arbeitszeitvolumen (starr) und Job Sharing (flexibel) genannt.

Zum anderen existieren chronologische Gestaltungsansätze, die allein auf die Lage der Arbeitszeit als Parameter abstellen. Auch hier gibt es eine Abstufung von starrer bis hin zu hochflexibler Arbeitszeitlage. Die Vertrauensarbeitszeit zählt zu letzterer Kategorie.

Eine Zusammenfassung der geschichtlichen Entwicklung flexibler Arbeitszeitmodelle in Deutschland wird von Biswas (2004, S. 14-17) dargestellt. Im Folgenden werden einige ausgewählte, hinsichtlich der Arbeitszeitlage flexible Arbeitszeitmodelle - geordnet nach steigender Flexibilität - gegenüber dem Modell der Vertrauensarbeitszeit abgegrenzt.

a) Gleitzeit

Die Gleitzeit ist der erste Schritt weg vom starren, so genannten Normalarbeitsverhältnis (Weidinger / Schottfeld 2002, S.5) mit täglichem festen Arbeitsbeginn und festem Arbeitsende ohne Variationen. Die klassische Gleitzeit ist gekennzeichnet durch eine Kernzeit, in der eine Anwesenheitspflicht für alle Mitarbeiter herrscht, und Gleitspannen, in welche die Kernzeit eingebettet ist, um den Mitarbeitern individuelle Gestaltungsspielräume zu geben. Die Flexibilität der Gleitzeit steigert sich in den drei Stufen der einfachen, qualifizierten und kernlosen Gleitzeit.

Was die Lage und Dauer der Arbeitszeit betrifft, nähert sich die Gleitzeit in ihrer flexibelsten Form, der kernlosen Gleitzeit, der Vertrauensarbeitszeit stark an. Allerdings existieren immer noch Zeiterfassung, ein vorgegebener Ausgleichszeitraum, Zeiterfassungskonten sowie insgesamt eine starke Zeitorientierung. Die im Allgemeinen angestrebte Ergebnisorientierung, die durch Vertrauensarbeitszeit in zunehmendem Maße erreicht werden soll, steht im Gleitzeitmodell im Hintergrund. An die Stelle von arbeitgeberseitig festgesetzten Kernzeiten treten in der Vertrauensarbeitszeit selbst bestimmte Arbeitszeiten oder im Team bestimmte, aufgabenbezogene Servicezeiten und -versprechen (Pleßner 2005, S. 47). Jedoch wird auch dem in Gleitzeit arbeitenden Mitarbeiter schon ein höheres Maß an Verantwortung und Selbstbestimmung zuteil.

b) Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit

Dieses Modell ermöglicht den bedarfsorientierten Einsatz von Arbeitszeit. Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird bei Vertragsschluss die vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitszeit bestimmt. Die Ableistung derer erfolgt nur bei Bedarf durch den Arbeitgeber. Ausgezahlt wird ausschließlich die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung.

Somit hat der Arbeitnehmer zwar Einfluss auf die Festlegung der Dauer der Arbeitszeit innerhalb eines zu bestimmenden Bezugszeitraumes; ob und wann diese Arbeitszeit allerdings abgerufen wird, liegt ausschließlich in der Hand es Arbeitsgebers.

Aus Arbeitgebersicht verfolgt die Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit das gleiche Ziel wie die Vertrauensarbeitszeit: „Der Arbeitnehmer soll die von ihm geschuldete Arbeitsleistung dann erbringen, wenn viel Arbeit anfällt; bei einem geringen Arbeitsaufkommen soll er dagegen seine Stundenzahl reduzieren oder sogar ganz zu Hause bleiben.“ (Pleßner 2005, S. 50) Allerdings ist die Stellung des Arbeitnehmers in beiden Modellen geradezu entgegengesetzt. Während in der Vertrauensarbeitszeit der Mitarbeiter selbst entscheidet, wann und wie viel er arbeitet und der Arbeitgeber nur den Grad der Aufgabenerfüllung kontrolliert, ist er in der Kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit nicht Herr seiner selbst, was für ihn persönliche und auch soziale Nachteile mit sich bringt (Biswas 2004, S.21-22).

c) Telearbeit

Arbeitnehmer in Telearbeit arbeiten nicht in einem Büro, sondern zu Hause. Er steht mittels Informations- und Kommunikationstechnologien mit seinem Vorgesetzten in Verbindung und erledigt eigenständig die ihm gestellten Aufgaben.

Aus Sicht der Arbeitszeitflexibilisierung, d.h. unter Vernachlässigung von Faktoren wie Unternehmenskultur, Teamarbeit und Kommunikation, stellt dieses Modell zusammen mit dem des Außendienstmitarbeiters das Vorläufermodell der Vertrauensarbeitszeit dar (vgl. Wiebrock 2001, S. 178). Die Steuerung der Arbeit und des Arbeitnehmers erfolgt ausschließlich über die Vereinbarung von Aufgaben und über Ergebniskontrolle (Management by Objectives). Eine Überwachung der geleisteten Arbeitszeit durch den Arbeitgeber ist schon aus Gründen räumlicher Entfernung nicht durchführbar.

Allerdings sind diese Arbeitsverhältnisse stark von einer nur zwischen Führungskraft und Arbeitnehmer bestehenden Kommunikation geprägt während in der Vertrauensarbeitszeit der Stellenwert von Teamarbeit, Servicezeiten und -versprechen besonders in der Literatur sehr hoch ist (Kapitel 3).

d) Arbeitszeitfreiheit

In diesem Arbeitszeitmodell herrscht Freiheit im doppelten Sinne, nämlich Freiheit in und von der Arbeitszeit (Hoff 2002b, S. 2). Die Arbeitszeit als bestimmender und steuernder Parameter entfällt vollständig. An ihre Stelle tritt eine ausschließliche Aufgaben- und Ergebnisorientierung. Die einzelvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten enthalten in der Abkehr von der Arbeitszeit unterschiedlich starke Ausprägungen. Eine Variante ist die einzelvertragliche Erwähnung der zugrunde liegenden Vertragsarbeitszeit in Verbindung mit der Bemerkung, dass evtl. anfallende Mehrarbeit durch das Grundgehalt abgegolten wird. Noch geringer der Stellenwert der Arbeitszeit allerdings, wenn sie in Arbeitsverträgen überhaupt keine Erwähnung mehr findet. Die Arbeitszeit wird schlichtweg irrelevant. Zu betonen ist aber, dass dieses Modell aus mehreren Gründen fast ausschließlich im Bereich der außertariflichen Angestellten vorzufinden ist. Zum einen ist es aus rein rechtlichen Gründen für tarifliche Mitarbeiter nicht möglich (§ 3 ArbZG). Zum anderen ermöglichen die hohe Loyalität und die arbeitgeberähnliche Interessenlage außertariflicher Angestellter die Einführung von Arbeitszeitfreiheit (Biswas 2004, S. 48-55).

Obwohl die Vertrauensarbeitszeit und die Arbeitszeitfreiheit einige Übereinstimmungen besitzen sind sie doch strikt voneinander abzugrenzen. Zwar übertrifft Arbeitszeitfreiheit die Vertrauensarbeitszeit in Bezug auf Ergebnisorientierung. Jedoch wird in ihr die Arbeitszeit völlig in den Hintergrund gerückt, was bei Vertrauensarbeitszeit nicht der Fall sein sollte. Ziel der Vertrauensarbeitszeit ist ein rationaler, sparsamer Umgang mit der Ressource Arbeitszeit und ein eigenverantwortlicher Zeitausgleich durch die Mitarbeiter unter Fokussierung des richtigen Verhältnisses von Arbeitsaufgabe zu Arbeitszeitbudget, nicht das Loslösen der Aufgaben von der Arbeitszeit und die damit verbundene Gefahr von Überstunden und Überlastsituationen.

Nach der Definition und der Herausarbeitung der Stellung von Vertrauensarbeitszeit im Kontext flexibler Arbeitszeitmodelle wird nun detaillierter - unter Darstellung charakteristischer Merkmale - auf Vertrauensarbeitszeit eingegangen.

2.3 Merkmale der Vertrauensarbeitszeit

Das Modell der Vertrauensarbeitszeit besitzt einige heraus stechende Eigenschaften, durch die sie quasi von außen identifiziert werden kann. Eine zentrale Eigenschaft, obgleich nicht Wesenskern (Hoff 2000, S. 1), ist regelmäßig die Abschaffung der elektronischen Zeiterfassung. Das grundsätzliche Dilemma von Arbeit überhaupt ist, dass ihre Erbringung in vielen Fällen nicht kontrollierbar ist. Denn wer außer dem Mitarbeiter selbst weiß wirklich, wann er arbeitet und wann nicht (Hoff 1999b, S. 1; Weidinger / Schottfeld 2002, S. 4)? Als Kompromiss wurde somit arbeitsvertraglich nicht eine vom Mitarbeiter geschuldete Leistung (ähnlich einem Werkvertrag), sondern eben Arbeitszeit festgelegt, anhand derer man die erbrachte Leistung messen möchte. In einer immer mehr von der Dienstleistungsbranche gekennzeichneten Gesellschaft mit nur noch wenig körperlicher und ortsgebundener Arbeit, erweist sich dieser Maßstab aber zunehmend als untauglich (Wieland / Scherrer 2002, S. 6). Daher erscheint der Gedanke nicht zu fern, arbeitgeberseitig auf die Erfüllung der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit zu vertrauen. In Verbindung mit diesem Ansatz ergeben sich ganz neue Sichtweisen und Möglichkeiten im Umgang mit der Arbeit an sich, die in den folgenden Punkten angesprochen werden.

2.3.1 Eigenverantwortliche Bestimmung der Arbeitszeit

Ein grundlegender Wandel, ein Paradigmenwechsel vollzieht sich in der Vertrauensarbeitszeit bezüglich der Verfügung über die Arbeitszeit. Nicht mehr, wie in starren bzw. teilflexiblen Arbeitszeitmodellen, der Arbeitgeber entscheidet, wann und wie lange ein Mitarbeiter zu arbeiten hat. Sondern allein der Mitarbeiter hat nun das Recht und die Verantwortung, selbst über seine vertraglich geschuldete Arbeitszeit zu verfügen und ihren Einsatz - sinnvoll - zu planen. Der Arbeitgeber gibt zusammen mit einer ggf. vorhandenen Interessenvertretung der Arbeitnehmer lediglich einen zeitlichen Rahmen vor, innerhalb dessen die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit disponieren können (Hamm 2000, S. 2). Dies bedeutet für den Arbeitnehmer aber wiederum nicht, dass er sich bei der Planung seiner Arbeitszeit ausschließlich nach seinen eigenen Präferenzen richtet, sondern dass er betriebliche, prozessuale Gegebenheiten und Anforderungen berücksichtigt und im besten Fall Arbeits- und Privatleben so kombinieren kann, dass beide Lebensbereiche harmonieren. Er soll also seine Arbeitszeit zur für den Betrieb am sinnvollsten Zeit erbringen und gleichzeitig private Erfordernisse in diese Planung mit einbringen können (Hoff 1999b, S. 1).

Neben der geschilderten Konkretisierung der Arbeitszeit soll nun auch der Zeitausgleich vollständig in der Eigenverantwortung des Mitarbeiters liegen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie ein solcher Zeitausgleich organisiert und überwacht werden kann.

Da es in Vertrauensarbeitszeitsystemen bis auf wenige Ausnahmen keine elektronische Zeiterfassung mehr gibt, muss es andere Wege für den Mitarbeiter geben, festzustellen, in welchem Bereich (positiv oder negativ) er sich mit seiner geleisteten Arbeitszeit befindet. Die auch in Gleitzeitsystemen üblichen Konten, auf denen Arbeitszeit angespart wird, die nachher als Rechtfertigung für einen freien Gleittag zählt, gibt es nicht mehr. Wie also soll der Mitarbeiter wissen, wann er Anspruch auf Zeitausgleich hat, oder im Gegenbeispiel, wie viel er nacharbeiten muss.

Eine Möglichkeit, vorgeschlagen von den Partnern der Arbeitszeitberatung Hoff - Weidinger - Herrmann, ist die bei der Einführung von Vertrauensarbeitszeit vorübergehende Selbsterfassung der Arbeitszeit durch den Mitarbeiter (Hoff / Weidinger 1999, S. 2-6). Diese Selbstaufschreibung soll dann allerdings wirklich nur zur Orientierung und nicht zur Beweissicherung gegenüber dem Arbeitgeber dienen. Aufzeichnungen dieser Art, entweder händisch oder z.B. in einem vom Arbeitgeber im Intranet bereitgestellten Formular, dürfen nicht vom Arbeitgeber kontrolliert werden und auch im Nachhinein beiderseits keinerlei Ansprüche begründen (Schlottfeld 2000, S. 3). Sie können wahlweise immer fortgeführt werden, oder - je nach Ermessen des Einzelnen - abgeschafft werden, sobald sich ein Gefühl für die Zeit entwickelt hat.

Somit kann jeder Mitarbeiter völlig frei - jedoch stets an betrieblichen Erfordernissen orientiert - entscheiden, wann er arbeitet und wann nicht, wann er geleistete Überstunden abbaut oder einen freien Tag wieder aufarbeitet.

In diesen Elementen wird deutlich, welch große Rolle Vertrauen in einem solchen Modell spielt. Vertrauensarbeitszeit führt nicht - wie man meinen könnte - ganz von allein zu einem betrieblichen Vertrauensklima oder stärkt gar eine aufkeimende Vertrauenskultur. Vertrauen ist vielmehr eine zentrale Voraussetzung für die Einführung von Vertrauensarbeitszeit (Weidinger / Schlottfeld 2002, S. 1). Die vielfältigen Vertrauensbeziehungen wurden bereits in Punkt 2.1 dargelegt. Besteht eine Vertrauenskultur in diesem Maße allerdings nicht oder gibt es erhebliche Zweifel an ihrer Existenz, sollte die Einführung von Vertrauensarbeitszeit nochmals gründlich überdacht werden (Hoff / Weidinger 1999, S. 10).

Zwei Faktoren bilden somit den Kern der eigenverantwortlichen Bestimmung der Arbeitszeit. Zum einen liegt die Konkretisierung der Arbeitszeit hinsichtlich deren Lage und Dauer in der Hand des Arbeitsnehmers, die diesem eine hohe Zeitsouveränität und Flexibilität auch bzgl. privater Interessen ermöglicht. Zum zweiten gleicht der Arbeitnehmer selbstbestimmt die Arbeitszeit aus. Eine wichtige Grundvoraussetzung hierfür ist die Unterscheidung zwischen Anwesenheits- und Arbeitszeiten.

2.3.2 Unterscheidung zwischen Anwesenheits- und Arbeitszeit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Unterscheidung von Anwesenheits- und Arbeitszeit

Ein grundlegendes Argument für die Abschaffung der Zeiterfassung und somit für die Einführung von Vertrauensarbeitszeit ist, dass Zeiterfassungsgeräte wie Stempeluhren oder elektronische Terminals nicht die tatsächliche Arbeitszeit erfassen, sondern lediglich die Anwesenheitszeit. Diese beiden Zeitarten stimmen heute nur noch in den seltensten Fällen überein (Pleßner 2005, S. 8-9). Hintergrund der bewussten Unterscheidung dieser Zeitarten ist wohl, dass das unbedingte Bestehen auf Arbeitsleistung während der kompletten Anwesenheit Leistungseinbußen mit sich bringt, während kurze Pausen - womit nicht die vom ArbZG geregelten Ruhepausen gemeint sind - die Leistung steigern können (Biswas 2004, S. 34; Hoff 1999a, S. 4; Hoff 1999b, S. 1). So hilft manchem Menschen z.B. ein kurzer Spaziergang an der frischen Luft um danach wieder konzentrierter an die Arbeit gehen zu können.

Die Idee ist, dass der Mitarbeiter nur dann arbeitet, wenn es für seinen Arbeitgeber sinnvoll ist und er sich möglichst auf einem hohen persönlichen Leistungsniveau befindet. So wird weniger Arbeitszeit verschwendet und es wird nur die Arbeit geleistet, die wirklich wichtig ist, womit ein sparsamer Umgang mit der Ressource Arbeitszeit und eine Produktivitätssteigerung erreicht wird (Herrmann 2001, S. 11). Private Telefonate, privates Internetsurfen und Ähnliches, was auch jetzt schon vorkommt, braucht dann nicht mehr verheimlicht zu werden. Der Mitarbeiter behält selbst im Blick, welche Zeiten seines Arbeitstages wirklich Arbeits- und welche nur Anwesenheitszeiten waren. Wichtig für ein funktionierendes Vertrauensarbeitszeitsystem ist, dass zwischen allen Beteiligten Einigkeit darüber besteht, welche Tätigkeiten zur Arbeitszeit gerechnet werden und welche nicht. Darauf wird in Punkt 2.6.5 genauer eingegangen.

2.3.3 Verzicht auf arbeitgeberseitige Kontrolle der Arbeitszeit

Ein weiterer Aspekt, der in den obigen Ausführungen schon Erwähnung fand, jedoch aufgrund seiner Bedeutung nochmals herausgestellt werden muss, ist der vollständige Verzicht des Arbeitgebers darauf, die Erfüllung der Arbeitszeit durch die Mitarbeiter zu kontrollieren. Schon der Versuch einer Kontrolle kann das bereits angesprochene, durch den Mitarbeiter entgegengebrachte Vertrauen beschädigen. Die Erklärung ist nahe liegend. War doch eine objektive Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeit, wie oben aufgezeigt, schon in starren und teilflexiblen Arbeitszeitsystemen nicht möglich, wie sollte sie es dann hier sein? Jetzt, da der Mitarbeiter frei über seine Arbeitszeit verfügen,

Pausen einlegen, Privates erledigen, Arbeit mit nach Hause nehmen kann. Wer sollte hier noch objektiv bewerten können, wann gearbeitet wird, außer der Mitarbeiter selbst (Hoff 1999a, S. 4)?

[...]


1 „Eine englischsprachige Diskussion zu diesem Thema ist mit nicht bekannt.“ (Dr. Andreas Hoff von der Arbeitszeitberatung Dr. Hoff - Weidinger - Herrmann); „Es gibt keine englischsprachige Literatur zu dem Thema Vertrauensarbeitszeit“ (Prof. Dr. Rainer Trinczek, Prodekan der Fakultät Wirtschaftswissenschaften und Leiter des Lehrstuhls Soziologie an der TU München)

2 „ It´s not something that has been formalised outside Germany to my knowledge.“ (Prof. Paul Robert Blyton, Professor of Industrial Relations and Industrial Sociology an der Cardiff Business School)

3 Dr. Steffen Lehndorff, Forschungsdirektor am Institut Arbeit und Technik des Wissenschaftszentrums Nordrhein-Westfalen mit Forschungsschwerpunkt Arbeitszeit und Arbeitsorganisation

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Das Arbeitszeitmodell der Vertrauensarbeitszeit - Darstellung und Anwendung auf die Autoliv Sicherheitstechnik GmbH
Hochschule
Technische Universität Bergakademie Freiberg  (Wirtschaftswissenschaften)
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
66
Katalognummer
V152020
ISBN (eBook)
9783640638802
ISBN (Buch)
9783640639229
Dateigröße
730 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vertrauensarbeitszeit, flexible Arbeitszeit, Arbeitszeitmodelle, Führungskräfte
Arbeit zitieren
Christian Schulz (Autor:in), 2006, Das Arbeitszeitmodell der Vertrauensarbeitszeit - Darstellung und Anwendung auf die Autoliv Sicherheitstechnik GmbH, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/152020

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