Systemisch-lösungsorientierte Elternarbeit mit Familien im Kontext stationärer Unterbringung

Ein sozialpädagogisches Konzept nach §34 KJHG


Diplomarbeit, 2002

112 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Stationäre Unterbringung
1.1. Definition
1.2. Rechtliche Grundlage
1.3. kontext
1.3.1. Individuumsbezogene Sichtweise
1.3.2. Systemische Sichtweise
1.3.3. Lösungsorientierte Sichtweise

2. Elternarbeit im heim
2.1. theoretische anforderungen an elternarbeit
2.1.1. Begriffsklärung
2.1.2. Historischer Anspruch
2.2. Elternarbeit in der praxis
2.2.1. Aktueller Stellenwert
2.2.2. Rahmenbedingungen
2.2.3. Modelle
2.2.4. Praktische Formen
2.2.5. Rolle der Mitarbeiter
2.2.5.1. Rollenverständnis
2.2.5.2. Qualifikation

3. Systemisch- lösungsorientierte Elternarbeit
3.1. theoretische grundannahmen
3.1.1. Symptome und Probleme
3.1.2. Rollen
3.1.3. Loyalitätsbindungen
3.1.4. Übertragungskonflikte
3.2. das aufnahmeverfahren
3.2.1. Bedeutung, Funktion
3.2.2. Aspekte der Beziehungsproblematik
3.2.2.1. Eltern und Heim
3.2.2.2. Jugendamt und Eltern
3.2.2.3. Heim und Jugendamt

4. Konzeption
4.1. Allgemeine Bemerkungen
4.2. Notwendigkeit Systemisch-lösungsorientierter Elternarbeit
4.3. Grundhaltungen, Rahmen
4.4. Zielgruppen, Ziele der Arbeit
4.4.1. Eltern
4.4.2. Kinder
4.4.3. Andere Helfer
4.5. Formen der systemisch- lösungsorientierten Arbeit
4.5.1. Elternbeziehungsarbeit
4.5.2. Arbeit mit dem Kind
4.5.3. Arbeit mit der Heimgruppe
4.5.4. Kooperation und Vernetzung
4.6. Rahmenbedingungen
4.6.1. Lage und Ausstattung der Einrichtung
4.6.2. Gruppengröße
4.6.3. Personal
4.6.3.1. Qualifikation und Aufgabenbereiche der pädagogischen
Mitarbeiter
4.6.3.2. Qualifikation und Aufgabenbereiche der therapeutischen
Fachkraft
4.6.3.3. Dienstpläne und Arbeitszeit
4.6.3.4. Teamarbeit
4.6.4. Finanzierung
4.7. Phasen der Unterbringung
4.7.1. Das Aufnahmeverfahren
4.7.1.1. Allgemeines, Ziele
4.7.1.2. Inhalte und Methoden
4.7.1.2.1. Erstkontakt und Beziehungsklärung
4.7.1.2.2. Problem- und Zieldefinition
4.7.1.2.3. Auftragsklärung, Kooperation mit anderen Helfern
4.7.1.2.4. Aufnahmekriterien
4.7.1.2.5. Die Aufnahme als Ritual
4.7.2. Die Aufenthaltsphase
4.7.2.1. Allgemeines, Ziele
4.7.2.2. Inhalte und Methoden
4.7.2.2.1. Elternarbeit
4.7.2.2.2. Arbeit mit dem Kind im pädagogischen Alltag
4.7.2.2.3. Gruppenarbeit im Heim
4.7.2.2.3. Kooperation mit anderen Helfern
4.7.3. Reintegrationsphase
4.7.3.1. Allgemeines, Ziele
4.7.3.2. Inhalte und Methoden
4.7.4. Abschluß/ Entlassung
4.7.4.1. Allgemeines; Ziele
4.7.4.2. Inhalte und Methoden
4.7.5. Nachbetreuung
4.7.5.1. Allgemeines, Ziele
4.7.5.2. Inhalte und Methoden

5. Fazit

Anhang

Einleitung

Die vorliegende Diplomarbeit beschäftigt sich - auf einen kurzen Nenner gebracht - mit Elternarbeit im Heim.

Die Motivation, dieses Thema zu wählen, entstand aus meiner Tätigkeit als Erzieherin in einer Wohngruppe (nach §34 KJHG). Zunächst beschäftigte ich mich sehr pragmatisch mit dem Thema Elternarbeit. Um die Situation der von mir betreuten Kinder und Jugendlichen besser zu verstehen, war es für mich wichtig, auch die Lebensumstände der Herkunftsfamilien zu kennen.

In einem Zertifikatskurs beim SPFW in Brandenburg erhielt ich unter Leitung von Frau Dr. Marie- Luise Conen einen ersten Einblick in die „Systemische Arbeit mit Familien“ und die Anregung zu einer anderen, komplexeren Sichtweise auf Herkunftsfamilien von Heimkindern.

Das Erkennen von familiären Zusammenhängen im Kontext der Systemtheorie war für mich von entscheidender Bedeutung im Verstehen und Deuten von Problemen und des Verhaltens des Klientel und zunächst ungewöhnlich in der Sichtweise.

In der Vergangenheit erfuhr ich durch meine praktische Tätigkeit und durch das Studium von Literatur, dass die Auffassungen über die Ausgestaltung der Arbeit mit Herkunftsfamilien unter den Mitarbeitern, bei den Angestellten freier Träger insgesamt und unter den zuständigen Jugendämtern und anderen Arbeitspartnern sehr geteilt sind. Dem konzeptionell beschriebenen Anspruch - Elternarbeit zu leisten - wird unterschiedlich entsprochen. Ich habe in meiner Arbeit erfahren, dass Eltern- und Familienarbeit oft sehr stiefmütterlich behandelt und nicht ernst genommen wird. Meine Vermutungen über Ursachen dieses Umstandes möchte ich in dieser Arbeit überprüfen.

Hypothesen sind:

- Elternarbeit wird von Mitarbeitern als störend, belastend empfunden und von freien Trägern als nicht finanzierbar;
- Mitarbeiter sind unzureichend qualifiziert, um Elternarbeit durchzuführen;
- Durch die Vielzahl der Einrichtungen und Unterschiedlichkeit der Formen heutiger Heimerziehung gibt es keine einheitlichen Standards und Qualitätskriterien für Elternarbeit;
- Elternarbeit scheitert an herkömmlichen Sichtweisen und Erklärungsmodellen;
- Es gibt einen Widerspruch zwischen dem fachlichen Anspruch an Elternarbeit und der tatsächlich geleisteten Arbeit der freien und öffentlichen Träger der Jugendhilfe;
- Es herrscht ein Mangel an einheitlichen Definitionen und Konzeptionen.

Die Begriffe ‘Konzept’ und ‘Konzeption’ werden in der sozialpädagogischen Praxis oft synonym und austauschbar benutzt[1] Für mich bedeutet die Entwicklung einer sozialpädagogischen Konzeption den Weg, von einem Ist- Stand zu einem Soll- Ziel zu beschreiten. Ausgangspunkt ist die momentane Situation, wobei das Augenmerk auf die Dinge gerichtet ist, die sich in der Auswertung und Interpretation der Bestandsaufnahme als Probleme, Konflikte und Änderungswünsche herausstellen.

Gemäß dieser Annahmen ist die Arbeit in zwei Hauptteile untergliedert. Im ersten Teil meiner Arbeit überprüfe ich die genannten Vermutungen, skizziere ein Bild über den aktuellen Stand von Elternarbeit im Heim und entwickle Anforderungen und Begründungen für die konzeptionelle Umsetzung der Elternarbeit. Es geht mir darum, eine Definition für Elternarbeit zu entwickeln, die als Grundlage für eine Konzeption dient und den Erfordernissen heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse entspricht.

Im zweiten Teil folgt als logischer Schluß eine Konzeption für eine mögliche Form von Elternarbeit im Kontext stationärer Unterbringung.

Das Thema wurde durch folgende Methoden bearbeitet: Literaturrecherche, Expertengespräche, Prozessbeobachtung, Auswertung pädagogischer Tagebücher und Gesprächsnotizen und die Reflexion meiner aktiven Helferrolle im Arbeitsprozess durch Supervision.

Ich weise darauf hin, dass ich die im Titel der Arbeit gebrauchten Termini - ‘Elternarbeit’ und ‘Arbeit mit Familien’ - synonym verwende. Die Begriffsklärung erfolgt ausführlicher im Punkt 2.1.1.

Die in dieser Arbeit verwendeten männlichen und weiblichen Bezeichnungen von abstrakten Personen bzw. Personengruppen schließen jeweils die andere Geschlechtsform mit ein.

1. Stationäre Unterbringung

Der Begriff stationäre Unterbringung wird in der Kinder- und Jugendhilfe vielfältig verwendet. Ich nehme in diesem Abschnitt eine Begriffsklärung vor und stelle den Begriff in einen Rahmen (Kontext), der als Grundlage meiner Arbeit dient. Alle Aussagen sind im Zusammenhang mit dem Thema Arbeit mit Familien/ Elternarbeit im Kontext stationärer Unterbringung zu interpretieren. Die Beschreibung des Kontextes stationärer Unterbringung dient der Hinführung zum Thema und wird in den darauffolgenden Punkten vertieft.

1.1. Definition

(Un)- Heimliches Heim?[2]

Im Titel meiner Arbeit wähle ich den Terminus „Stationäre Unterbringung“, um Heimerziehung und sonstige betreute Wohnformen nach § 34 Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) zu beschreiben.

Unter Formen stationärer Unterbringung werden Hilfen verstanden, bei denen Kinder und Jugendliche entweder nur vorübergehend oder langfristig untergebracht werden[3] Der Terminus stationäre Unterbringung wird auch für andere Unterbringungsformen außer Heimerziehung, wie Pflegestellen, Pflegefamilien oder Adoptionen verwendet.

Sicher wird im Verlauf meiner Arbeit deutlich, dass bestimmte Aussagen über den Umgang und die Zusammenarbeit mit Eltern auch für diese Bereiche zutreffend oder überdenkenswert sind. Dennoch grenze ich mich von diesen genannten Formen der stationären Unterbringung ab.

Im §34 KJHG „Heimerziehung und sonstige betreute Wohnformen“ unterscheidet der Gesetzgeber die sogenannten sonstigen betreuten Wohnformen von der Heimerziehung, versieht sie aber in der Folge mit gleichen Aufgabenstellungen und Zielen. Es entsteht der Eindruck, dass der Begriff Heimerziehung eher vermieden wird. Das kann auf die Stigmatisierung durch den Begriff in der Vergangenheit zurückzuführen, aber auch Antwort auf die vielen, alternativen Wohnformen (innewohnende Gruppen, Kleinsteinrichtungen in familienähnlicher Zusammensetzung, Außenwohngruppen, betreutes Einzelwohnen...) sein, die sich im Zuge der Heimreform gebildet haben und kaum noch als Heim bezeichnet werden können[4]

Der Begriff „Heimerziehung“ wird in seiner ursprünglichen Bedeutung als eine Form der institutionellen Fremdplatzierung von Kindern und Jugendlichen verwendet. In der aktuellen Diskussion wird Heimerziehung „stärker als ein Konzept der Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen [...] verstanden, das nach Dauer, Intensität, Organisation und Struktur sehr differenziert ist.“[5]

Die zu entstehende Konzeption in meiner Diplomarbeit wird sich an den Rahmenbedingungen der Heimgrupp[6] orientieren. Wenn allgemein von Unterbringung nach §34 KJHG die Rede ist, werde ich die Begriffe ‘Stationäre Unterbringung’ und ‘Heim’ synonym verwenden, weil sie im Sprachgebrauch der Kinder- und Jugendhilfe üblich sind, wenn von Heimerziehung und sonstigen Betreuten Wohnformen die Rede ist.

1.2. Rechtliche Grundlage

KJHG verankert grundsätzlich Elternrecht

Die Geschichte der gesetzlich geregelten Jugendhilfe im deutschen Raum ist durch über 100 Jahre Zwangserziehung geprägt. Heime und Anstalten hatten mit ihrer Erziehung einen staatlichen Auftrag zu erfüllen. Alle Zwangserziehungsgesetze waren Armengesetze, die sich hauptsächlich gegen die unteren Bevölkerungsschichten richteten[7] Heimerziehung stand immer im Zusammenhang mit Begriffen wie Freiheitsentzug, Eingriff, Verwahrlosung, Strafe oder Züchtigung[8]

Das KJHG löste 1991 das bis dahin geltende Jugendwohlfahrtgesetz (JWG) ab, das nach dem obrigkeitsstaatlichen Prinzip des Eingriffs und der Reglementierung aufgebaut war[9]

Mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz wurden gravierende Änderungen in der Sichtweise auf Kinder, Jugendliche und Familien gesetzlich reglementiert. Ein wesentliches Ziel bei der Einführung des KJHG war es „entsprechend dem leistungsrechtlichen Charakter die Beteiligung und Mitwirkung der Eltern (Personensorgeberechtigten) und, soweit rechtlich möglich, der Kinder- und Jugendlichen zu garantieren.[10] Der Gesetzgeber geht nicht mehr von Erziehungseingriffen aus, sondern betont die Freiwilligkeit der Hilfen zur Erziehung[11]

Im § 27 (Hilfe zur Erziehung) KJHG werden als Anspruchsberechtigte die Inhaber der persönlichen Sorge (in diesem Fall Eltern) benannt.

Das heißt, Eltern entscheiden darüber, ob und welche Hilfe sie bei der Erziehung ihres Kindes in Anspruch nehmen. Sie werden vom Gesetz als gleichberechtigte und kompetente Partner angesehen. Wenn Hilfe zur Erziehung gewährt wird, ist das Kind im Kontext seiner Familie zu sehen und es „soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden.“ (§27 (2) KJHG)

Das KJHG verankert also grundsätzlich nicht Kinderrecht, sondern Elternrecht.

Zentraler Punkt in der Mitbestimmung von Eltern ist der § 36 KJHG. In der Gestaltung des Hilfeplans ist gemeinsam mit den Eltern, den Kindern und den an der Hilfe beteiligten Fachkräfte über die Inanspruchnahme einer Hilfe zu beraten.

Ziel der Unterbringung nach §34 KJHG ist zunächst

- die Rückkehr des Kindes in die Familie zu erreichen oder, wenn dies nicht möglich ist
- die Erziehung in einer anderen Familie vorzubereiten oder
- eine auf längere Zeit angelegte Lebensform zu bieten und es auf ein selbständiges Leben vorzubereiten.

Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Heim soll durch eine Verbindung von Alltagsleben und pädagogischen und therapeutischen Angeboten gewährleistet werden (§34 KJHG).

Zusammenfassend kann man sagen, dass „für die Hilfe zur Erziehung im Heim [...] die Würdigung des Elternrechts inhaltlich elementar [ist].[12] Eltern und Familien sind an allen wesentlichen Entscheidungen des Unterbringungsprozesses zu beteiligen; ihren Wünschen ist zu entsprechen. „Durch Beratung und Unterstützung sollen die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines [...] vertretbaren Zeitraumes so weit verbessert werden, daß sie das Kind oder den Jugendlichen wieder selbst erziehen kann“ (§ 37 (1) KJHG). Alle Leistungen und Entscheidungen müssen durch einen Aushandlungsprozess hervorgebracht werden, der „einen hohen Anspruch an die kommunikative, fachliche und soziale Kompetenz, an die Bereitschaft zum Sich- Einlassen, an die Reflexionsfähigkeit der Professionellen wie der Hilfesuchenden stellt.“[13]

In der geschichtlichen Entwicklung des Rechts ist nachvollziehbar, dass Elternar-

beit nicht mehr nur familienersetzende Arbeit erfordert, sondern dass „Adressat von Erziehungshilfe [demnach] nicht allein das auffällige Kind, sondern seine Familie im ganzen [ist].[14]

1.3. kontext

Neben den geschilderten rechtlichen Grundlagen spielt der Zusammenhang, der Kontext und der Rahmen durch den stationäre Unterbringung definiert wird eine wesentliche Rolle. Ich werde drei Sichtweisen beschreiben, die Ausdruck von grundsätzlichen Haltungen und Ansichten von Mitarbeitern und Institutionen zum Thema Elternarbeit in der stationären Unterbringung sind.

1.3.1. Individuumsbezogene Sichtweise

„Eltern behandeln das Kind schlecht- deshalb stiehlt es[15]

Bei Mitarbeitern in vielen stationären Bereichen wird eine individuumsbezogene Sichtweise praktiziert. Das betrifft nach meinen Erfahrungen nicht nur Heimunterbringung in der Kinder- und Jugendhilfe, sondern auch Settings wie Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Jugendstrafanstalten u.ä.

In der individuumsbezogenen Sichtweise werden Auffälligkeiten, abweichendes Verhalten und Beziehungen in Familien linear betrachtet. Dieser linearen Betrachtung liegt eine Denkweise in einem Ursache- Wirkungsmodell zu Grunde. Störungen in kindlichem oder jugendlichem Verhalten werden oft im medizinischen Sinne interpretiert und im Individuum selbst begründet. Das Kind hat pathologische Eigenschaften oder es ist kriminell, delinquent oder Schulschwänzer. Eltern werden im traditionellen Ursache- Wirkung- Denken als Verursacher der Störungen gesehen. Das Kind muss somit aus dem oftmals schädlichen angesehenen Milieu entfernt werden; es kommt zur Heimunterbringung weit weg vom Elternhaus. Durch den Aufbau von anderen, positiveren Beziehungsstrukturen, pädagogischen Angeboten, Belohnung oder Bestrafung wird versucht, die Defizite wieder auszugleichen[16] Es existieren Akten, Berichte und Diagnosen. In diesen Berichten werden Kinder meist defizitär, gestört und auffällig beschrieben. Einweisende Instanzen beschreiben das Verhalten aufzunehmender Kinder wie folgt:

„Verhaltensstörungen, Verhaltensauffälligkeiten in Familie, Schule, aggressive/depressive Verhaltensmuster, gestörte frühkindliche Entwicklung, Deprivationsschäden, defizitäre Sozialisationsbedingungen [...], neurotische Fehlentwicklung, emotionale Störungen, psychomotorische Störungen, Diebstähle, beginnende Devianz“[17]

Heimkinder werden als auffällig bezeichnet durch:

„Probleme bei der Kontrolle aggressiver Handlungsimpulse sowie bei der Verarbeitung frustrierender Bedingungen und Erlebnisse, Reserviertheit und Unsicherheit in sozialen Kontaktverhalten, Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit und ‘übertriebener’ Ehrgeiz [...], [und] kompensatorische Selbstaufwertungstendenzen auf dem Hintergrund eines erhöhten Minderwertigkeitserlebens.[18]

Die Rolle des Mitarbeiters im Heim ist durch eine parteiliche Kind- Orientierung geprägt.

Nach meiner Erfahrung wirken sich diese Sichtweisen im Heim eher hinderlich auf den Erfolg und die Beziehungen der Beteiligten aus. Kinder fühlen sich oft Schuld an den Problemen in der Familie und der Heimeinweisung. Ihre Bindung an die Eltern wird nicht beachtet. Das hat zur Folge, dass Kinder sich nur scheinbar und oberflächlich an das Heim mit seinen Regeln anpassen, sich im Innern verweigern oder ihre Symptome und Auffälligkeiten um so mehr in die Einrichtung einbringen. Eltern erleben sich als inkompetent und werden gegen das Heim in Konkurrenz gehen. Wenn es unter diesen Vorzeichen trotzdem gelingen sollte, die Eltern zur Zusammenarbeit zu gewinnen ist das noch kein Garant für die Veränderungen von Strukturen im Familiensystem, die auch von Dauer sind[19]

Mitarbeiter, die dieses Denkmodell (Sichtweise) bevorzugen und ungenügende Möglichkeiten zur Reflexion und Supervision haben, sind in Gefahr, immer wieder in Muster zu verfallen, die mit ihren eigenen Herkunftserfahrungen oder Erwartungen an Beruf und Klientel in Zusammenhang stehen. (Warum reagiert das Kind nur so? Ich wollte doch nur sein bestes; es ist undankbar. Wie kann es so an seinen Eltern hängen, die ihm doch nur schaden? Aus dem wird doch sowie so nichts, der kommt nach seinem Vater...)

Die Ursachen für diese individuumsbezogene Sichtweise sind in verschiedenen Erklärungsansätzen zu suchen. Zum einen in der - nach wie vor - ungenügenden konzeptionellen Arbeit von Hilfeeinrichtungen, einem überholten Rollenverständnis von Helfern (Pflege, Familienersatz, Fürsorge...) und der ungenügenden Qualifikation von Mitarbeitern[20] Zum anderen erwächst aus meinem Verständnis eine individuumszentrierte Sichtweise aus der „Theorielosigkeit[21] in der Heimerziehung, die das Fehlen von einheitlichen Konzepten und Verfahrensweisen verursacht.

In der Nähe der Heimerziehung - als Teilgebiet der Sozialpädagogik - zu Professionen wie Soziologie, Humanmedizin oder Psychologie ist ebenfalls eine Ursache für die Übernahme entsprechender individuumsbezogener Erklärungsmodelle zu suchen[22] So gleicht die unreflektierte Anwendung von Arbeitsformen dieser Professionen (z. Bsp. Anamnese, Diagnose und Intervention) durch Mitarbeiter der Heimerziehung eher der Vorgehensweise des Allgemeinmediziners als der des Pädagogen oder Erziehers.

Ein anderes Erklärungsmodell lehnt sich an soziologische oder verhaltenstheoretische Theorien an, das bedeutet, die Ursache für Probleme des Kindes liegt in gestörten Zweierbeziehungen (Mutter- Kind; Schüler- Lehrer), die durch entsprechendes Training wieder aufgelöst werden können[23]

Um die oben beschriebenen Probleme bei einer Heimaufnahme unter diesem Vorzeichen zu berücksichtigen, ist es notwendig, eine andere Sichtweise auf Familien und das Umfeld von Heimkindern zu entwickeln. Bereits 1977 skizziert der Zwischenbericht Heimerziehung der Obersten Landesjugendbehörden ein pädagogisches Grundkonzept, das trotz weitreichender Reformen in der Kinder- und Jugendhilfe auch heute noch nicht vollständig umgesetzt ist. Grundannahme diese Konzeptes ist die Aussage, dass Kinder und Jugendliche nur im Kontext ihrer Lebenszusammenhänge gesehen werden können. Dieser Kontext ist durch das soziale Netz des Kindes; seine Familie, Freundschaften, Schule, Nachbarschaft, seine Interessen geprägt und ist durch schichts-, geschlechts- und regionalspezifische Traditionen bestimmt. Heimerziehung hat sich an diesem Kontext zu orientieren[24]

1.3.2. Systemische Sichtweise

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile

Für mich wird im Punkt 1.3.1. deutlich, dass die alleinige Betrachtung des Individuums im Zusammenhang mit stationärer Unterbringung, Probleme für alle an der Unterbringung beteiligten Personen mit sich bringen kann (Schuldzuweisungen, Gefühle von Inkompetenz; Gefühle von Macht und Ohnmacht, Konkurrenz...). Für die pädagogische Arbeit im Heim ist es hilfreich, Kinder nicht losgelöst von ihrem Umfeld, sondern in ihrem Kontext zu betrachten.

Das Gesamtsystem bei stationärer Unterbringung bilden verschiedene Subsysteme wie:

- Familie (Vater, Mutter, Geschwister, Großeltern...),
- Heim (Erzieher, Heimleiter, Psychologe, andere Kinder und Jugendliche...),
- Jugendamt (Sozialarbeiter, Amtsleiter...),
- Schule (Mitschüler, Lehrer, Direktor, Schulsozialarbeiter...),
- andere, frühere Helfer (Tagesgruppe, Klinikmitarbeiter, Sozialpädagogische Familienhilfe...).

Das Kind bildet den Fokus des Gesamtsystems; es gehört allen diesen Subsystemen an, wegen ihm treten die Systeme in Interaktion[25] Besondere Bedeutung gilt im Kindesalter dem Subsystem der Familie. In der Familie erlernt das Kind Rollenverhalten, findet Identifikationspartner und übernimmt Werte, Normen und Vorstellungen im sozialen Verhalten. Ich nenne zur Hinführung zum Thema grundlegende systemische Annahmen, die im Setting der stationären Unterbringung gelten:

- Ein Kind und sein Symptom darf bei einer Heimeinweisung nicht herausgelöst aus seinem Beziehungszusammenhang gesehen werden. Es steht immer in Beziehung zu seiner Familie sowie dem Jugendamt und dem Heim. Gestört ist nicht der Einzelne, sondern zugleich die Beziehungen im System. Probleme werden nicht als Merkmal des Individuums angesehen, sondern als Teil eines Interaktionssystems.
- Symptome werden positiv gesehen. Sie erfüllen einen bestimmten Zweck und haben eine bestimmte Funktion innerhalb der Familie. Oft erfüllt das Symptom eine stabilisierende Funktion, wahrt das Gleichgewicht (Homöostase) und lenkt damit von anderen Konflikten innerhalb der Familie ab. (vergl. 3.1.1.)
- Der kreisförmige Ablauf von Interaktionen in Familien ist eine lange Kette von Wirkungszusammenhängen. Einzelne Ursache- Wirkungszusammenhänge dürfen nicht isoliert gesehen werden. Kein Teil des Systems ist allein Ursache für das Verhalten der anderen; jeder wirkt auch auf die anderen zurück. Die Frage wer ‘angefangen’ hat und wer darauf reagiert hat, kann objektiv nicht beurteilt werden; Schuldzuweisungen sind daher unzulässig[26]

Änderungen einzelner Personen oder eines Subsystems können sich nur ergeben, wenn sich Teile des gesamten Systems verändern. Das heißt, wenn das Kind – bei Nichtbeachtung seines Kontextes - nach Beendigung der Heimunterbringung wieder ins Elternhaus zurückkehrt, findet es dort die gleichen Strukturen, Muster und Beziehungen vor, wie vor der Einweisung. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es ebenso alte - bereits abgelegt geglaubte - Verhaltensmuster zeigt und seine Rolle z. Bsp. als Sündenbock im System wieder einnimmt. Die systemische Sichtweise bedeutet auch, dass sich Helfer (Erzieher, Sozialarbeiter, Therapeuten) als Teil des Systems sehen. Ihre Interaktionen sind für problemerhaltendes Verhalten wie auch für Problemlösungen von Bedeutung. (vergl. 3.1.4.)

Obwohl durch die dargelegten systemischen Grundannahmen eher Prozesse auf der innerfamiliären Ebene; in der Interaktion und Kommunikation zwischen den Beteiligten betrachtet werden, darf man aus meiner Sicht die äußeren gesellschaftlichen Bedingungen und Problemlagen, die Familien von Heimkindern prägen, nicht außer acht lassen.

Während Heime früher Aufnahmestätte für elternlose oder ausgesetzte Kindern waren, kommen Kinder heute ins Heim oder andere betreute Wohnformen, weil sie aus den verschiedensten Gründen nicht zu Hause wohnen können oder wollen[27] Das Klientel setzt sich ganz unterschiedlich zusammen. Einerseits gibt es die sogenannten Multiproblemfamilien, die eine Vielzahl von Problemen (Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnbedingungen, kaum Einkommen, hohe Kinderzahl, geringes Bildungsniveau, Abhängigkeiten...) haben und oftmals dem Jugendamt schon über Jahre und Generationen bekannt sind. Andererseits existieren gut situierte „Mittelschichtsfamilien[28], deren Probleme oftmals auf der Interaktions- und Kommunikationsebene (starre Rollenzuschreibungen, emotionale Kälte oder zu hoher Erwartungsdruck an die Kinder) liegen. Das Subsystem Familie ist also durch viele verschiedene innere und äußere Bedingungen geprägt, deren Kenntnis für das Verstehen des Systems Familie und der Auswahl geeigneter Methoden in der Intervention durch Helfer von grundlegender Bedeutung sind.

Im weiteren Verlauf werde ich mich mehr auf innere, interaktive Prozesse in der Familie und ihre Auswirkungen auf die Beziehung zu den anderen Subsystemen eingehen. Auf Grund der gewählten Thematik der Arbeit beziehe ich mich vordergründig auf die Interaktion zwischen den Subsystemen HEIM - FAMILIE.

1.3.3. Lösungsorientierte Sichtweise

Neue Bedeutungen machen neues Verhalten möglich[29]

Zu Beginn diese Abschnitts möchte ich ein – als Aufgabe formuliertes - Beispiel P. Watzlawicks stellen, dass die nachfolgenden Bemerkungen eindrücklich verstärkt.

„Die neun Punkte in Figur 1 sind durch vier gerade, zusammenhängende Linien zu verbinden, das heißt beim Ziehen der Linien darf der Bleistift nicht vom Papier abgehoben werden[30]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Lösung erfolgt am Ende des Abschnitts.

Nach dem im Punkt 1.3.2. bereits auf die Bedeutung des Wortes Kontext eingegangen wurde, möchte ich eine zweite Bedeutung des Wortes erläutern. Diese meint, dass Worte, Handlungen und Interaktionen ohne Kontext keine Bedeutung haben. M. Durrant beschreibt Kontext als „die Matrix oder den Rahmen von Bedeutungen, die bestimmen, wie Menschen einer bestimmten Erfahrung einen Sinn geben- was sie denken, worum es geht.[31]

Im Fall der stationären Unterbringung wird nach dieser Erklärung der Rahmen bzw. Kontext durch die Bedeutung, die der Unterbringung beigemessen wird, bestimmt. Der Kontext wird durch das Konzept der Einrichtung, die Einstellung der Mitarbeiter oder auch durch Erwartungen der Gesellschaft und der Klienten selbst gestaltet. Bei einer individuumsbezogenen Sichtweise verlaufen Heimaufnahmen im Kontext von elterlichem Versagen oder kindlicher Pathologie. Der pädagogische und der therapeutische Ansatz richtet sich auf die Psyche des Kindes. Die Systemische Betrachtung des Kindes im stationären Setting richtet den Fokus auf familiäre Interaktionsmuster und geht davon aus, dass die Familie ihre homöostatische Balance und ihre Grenzen erhalten will. Der lösungsorientierte Ansatz sagt zudem aus, dass Veränderungsprozesse unvermeidlich sind und sich fortwährend ereignen. In dieser Sichtweise liegt die Konzentration nicht auf Defizite, Krankheiten usw., sondern auf die Ausnahmen eines Problems, „jene Momente, in denen kleine Veränderungen in der Stabilität eines Problemzustandes auftreten. Diese Ausnahmen stellen den Schlüssel zur Problemlösung dar.[32] Im Gegensatz zu klassischen therapeutischen Behandlungsformen, wie z. Bsp. der Psychoanalyse oder auch der psychoanalytischen Familientherapie wird es als unbedeutend angesehen, Ursachen von Problemen zu ergründen. „Notwendig ist nur, daß die betroffene Person in ihrer unangenehmen oder lästigen Situation etwas anderes tut, selbst wenn dieses Verhalten scheinbar irrational, ganz und gar irrelevant, eindeutig bizarr oder komisch ist.[33]

Eine Kontextveränderung bedeutet die Umgestaltung des Rahmens. In der therapeutischen Fachsprache wird dieser Vorgang auch Reframing (Umdeutung) genannt. Umdeutungen gelingen nur, wenn sich das System in der Form ändert, die P. Watzlawick als Lösungen zweiter Ordnung bezeichnet. Die von ihm beschriebene Lösungstheorie geht davon aus, das Systeme die Fähigkeit zum Wandel haben. Durch Lösungen zweiter Ordnung wird eine Neumarkierung des Kontextes erreicht, der neue Handlungspläne auslöst.

Während bei Lösungen erster Ordnung Veränderungen aus dem System selbst vollzogen werden, müssen bei Lösungen zweiter Ordnung die Systemgrenzen überschritten oder die Änderungen als Impuls von außen angeregt werden. Diesem Grundsatz unterliegen viele Techniken der systemisch- lösungsorientierten Familientherapie. Es wird versucht, durch Interventionen, Verstörungen oder paradoxen Verschreibungen das System zu verstören und Änderungen anzuregen.

Während Lösungen erster Ordnung meist auf „gesunden Menschenverstand“ gründen (mehr- desselben), scheinen Lösungen zweiter Ordnung oftmals absurd, unerwartet, vernunftswidrig und sind paradox und überraschend[34]

Bei der Beachtung dieser Theorie kommt es im Rahmen stationärer Unterbringung also darauf an, einen Kontext zu schaffen, der Klienten als erfolgreich und kompetent ansieht. Über Institutionen wie Heim oder Wohngruppe sollte nicht mehr stehen „Zugang nur für inkompetente Eltern“[35] (sonst wäre das Kind nicht im Heim), sondern ‘Willkommen an der Schwelle zum Anderssein’.

Die Suche nach Ausnahmen, in denen das erwartete Problem nicht auftritt und die Suche nach Lösungen, sollte an die Stelle von defizitär orientierten Diagnosen und Anamnesen rücken. Um stationäre Unterbringung erfolgreicher zu machen kommt es nicht nur darauf an, an Abläufen, Konzepten oder Programmen „herumzuwerkeln“[36] sondern darauf, den Kontext oder Bedeutungsrahmen für Familien, Mitarbeiter und Träger zu ändern.

Es geht also darum, die Grundhaltungen und Sichtweisen von Mitarbeitern im Heim zu verändern. Gemäß einer ‘Sich- selbst- erfüllenden- Prophezeiung’ werden bei der Ausrichtung auf das gestörte Individuum auch nur Defizite, Probleme

und Krankheiten erkannt werden können, während bei der Ausrichtung auf die Ressourcen der Klienten und die Ausnahmen vom Problem eher Lösungen gefunden werden können, die einen Unterschied zum bisher gezeigten problematischen Verhalten machen.

Lösung der Neun- Punkte- Aufgabe

Die Lösung kann nicht innerhalb des Quadrates gefunden werden (gleichzusetzen mit einer Lösung 1. Ordnung), sondern es muss eine Lösung 2. Ordnung gesucht werden, die über den Rahmen hinausgeht, also den Wechsel von einer Prämisse zur anderen darstellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Start

In der weiteren Arbeit werde ich mich auf systemisch und lösungsorientierte Ansätze in der Arbeit mit Familien im Kontext stationärer Unterbringung konzentrieren.

Im Hinblick auf die Entwicklung einer Konzeption ziehe ich aus dem ersten Abschnitt folgende Schlussfolgerungen:

- der rechtliche Rahmen für die Arbeit mit Familien im Kontext stationärer Unterbringung besteht in der eindeutigen Aussage, dass das Kind in seinen Lebenszusammenhängen zu sehen ist und ein Höchstmaß an Beteiligung und Mitwirkung der Eltern am Unterbringungsprozess zu garantieren ist;
- während der Heimunterbringung sind die Entwicklungsziele durch pädagogische und therapeutische Angebote zu erreichen;
- eine traditionelle individuumsbezogene Sichtweise und eine lineare Erklärung von Ursachen für Probleme birgt im Kontext stationärer Unterbringung viele Nachteile;
- die Umgestaltung des Rahmens und die Bedeutung, die der Unterbringung beigemessen wird erlaubt eine positivere, optimistische Sichtweise auf Heimkinder und ihre Familien, da der Blick nicht auf Defizite oder Rückstände, sondern auf die Ressourcen der Klienten und auf die Entwicklung von Lösungen gerichtet ist.

2. Elternarbeit im heim

Im Abschnitt 1 wurde deutlich, dass eine klare rechtliche Anforderung an Heime zur Elternarbeit besteht und dass im systemischen Verständnis die Sichtweise - das Kind in seinem familiären Kontext zu sehen - unabdingbar ist. Diese bereits getroffenen Feststellungen sind Grundlage für die theoretischen Anforderungen an Elternarbeit im Heim.

Ich stelle nun den theoretischen Anspruch an Elternarbeit den praktischen Formen, Verfahrensweisen und Modellen gegenüber. Ich überprüfe die in der Einleitung getroffene Vermutung, ob es eine Diskrepanz zwischen dem Anspruch und der tatsächlich geleisteten Arbeit mit Familien im Kontext stationärer Unterbringung gibt.

2.1. theoretische anforderungen an elternarbeit

Ich gehe zunächst auf den Begriff Arbeit mit Familien/Elternarbeit ein und überprüfe, ob es eine einheitliche Definition für die Anwendung im Heimbereich gibt. Anschließend kläre ich, welchen historischen Ursprung Elternarbeit im Heim hat, um daraus - auch für die heutige Zeit relevante - Kernaussagen zum Thema zu treffen.

2.1.1. Begriffsklärung

„Für Kollegen klingt es nach Mühsal und als Vater wäre es mir unangenehm, wenn mich jemand zum Objekt von ‘Elternarbeit’ machen wollte.[37]

„Elternarbeit ist [allgemein] ein Sammelbegriff für ganz unterschiedliche Formen und Bereiche der Arbeit mit Eltern. Dazu gehören Familienbildung, Familienfreizeit und Familienerholung; Familien- und Erziehungsberatung als Angebote spezieller Institutionen und der Jugendhilfe.[38] Ich werde mich mit Elternarbeit in der Jugendhilfe, insbesondere in der Heimerziehung auseinandersetzen.

Das obige Zitat von SCHMIDT bringt zum Ausdruck, dass die Begriffe Eltern- oder FamilienARBEIT Vorstellungen erzeugen können, die nicht unbedingt positiv besetzt sind. Die eine Seite (Heim) muss eine Arbeit verrichten und die andere Seite (Eltern/ Familie) wir zum Objekt von Arbeit. Günstiger ist es, von Zusammenarbeit zwischen Eltern und Heim zu sprechen, da dieser Terminus die Vorstellung einer Austauschbeziehung zwischen zwei oder mehreren Beteiligten suggeriert. Wie oben beschrieben, ist das Kind immer im Kontext seines gesamten Beziehungsgeflechtes zu sehen. Daher zählen aus meiner Sicht auch Kontakte zu Großeltern, Geschwistern oder anderen Bezugspersonen zur Elternarbeit. Der erweiterte Begriff für Elternarbeit ist daher die gesamte Arbeit mit der Herkunftsfamilie. Der Begriff Eltern/Familienarbeit hat sich in der Fachsprache durchgesetzt. Ich werde ihn daher im Fortgang verwenden.

Was ist nun Elternarbeit im Heim? Ist jeder Kontakt, den Eltern zu ihren Kindern im Heim oder zu den Betreuern (oder Betreuer zu Eltern) gleich Elternarbeit?

Beim Studium der Literatur wurde mir deutlich, dass es keine einheitliche Definition für Elternarbeit im Heim gibt. Studien aus den siebziger- und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts vermitteln jedoch eine Grundrichtung, setzen Maßstäbe und geben Empfehlungen, wie Elternarbeit im Heim zu definieren ist[39]

Elternarbeit wird zunächst als die zentrale professionelle Außenorientierung der

Heime bezeichnet. Als quantitatives Kriterium für systematische Elternarbeit gilt „wenn mindestens viermal jährlich ein gezielter und vorbereiteter Kontakt mit den Eltern stattfindet, der zu einem gründlichen Gespräch genutzt wird.[40] Diese Aussage wird durch qualitative Kriterien ergänzt:

„Unter ‘Elternarbeit’ verstehen wir jeden vom Heim geplanten und durchgeführten Kontakt mit der Herkunftsfamilie des Kindes. Dieser Kontakt folgt dabei einer am Einzelfall orientierten Zielsetzung und ist von informellen Kontakten zwischen Heim und Eltern (gelegentliche Besuche im Heim, Briefe, Telefonate) deutlich abzugrenzen[41]

Ich bin der Auffassung, dass diese Definitionen auch heute ihre Gültigkeit besitzen und als Kriterien für Elternarbeit dienen können. Für meine Arbeit wird es nötig sein, die Definition schärfer und konkreter zu fassen, um daraus methodisches Handeln ableiten zu können. Ich werde im Fortgang die Definition für Elternarbeit erweitern und meine Auffassung von Elternarbeit im Heim präzisieren.

2.1.2. Historischer Anspruch

Elternbildung in der Heimerziehung- ein Anspruch ohne Chance?[42]

„Elternarbeit in Einrichtungen der Fremdunterbringung von Kindern (Pflegefamilien/ Pflegekinder, Heimen) ist ein altes Postulat.[43]

Der theoretische Anspruch an Elternarbeit ergibt sich bereits aus der Definition im Punkt 2.1.1. (Elternarbeit als Bildungsarbeit, Freizeitarbeit, Beratung, als professionelle Außenorientierung, als gezielter und vorbereiteter Kontakt...).

Zu den bereits genannten Kriterien wurden in den 70er Jahren im Auftrag der Internationalen Gesellschaft für Heimerziehung folgende zusammengefasste Vorschläge/ Forderungen zur Reform der Heimerziehung, insbesondere zur Durchsetzung von Elternarbeit im Heim gesammelt:

- die Zusammenarbeit mit den Eltern gehört zum Erziehungsauftrag des Heimes,
- ohne Elternarbeit lassen sich Sozialisationsziele nicht festlegen und bleibt die pädagogische Arbeit des Heimes unvollständig;
- die Notwendigkeit und besondere Bedeutung eines Aufnahmegespräches mit den Eltern wird hervorgehoben,
- die Schaffung von Räumlichkeiten und Rahmenbedingungen (Finanzierung, Dienstpläne der Mitarbeiter...) ist nötig;
- die Gewährleistung der örtlichen Nähe von Elternhaus und Heim ist notwendig,
- die Qualifizierung des pädagogischen Personals und Durchführung der Elternarbeit durch Gruppenmitarbeiter und einen außenstehenden Berater ist erforderlich[44]

Viele dieser genannten Forderungen besitzen auch heute noch ihre Gültigkeit. Aus den rechtlichen Grundlagen, dem Verständnis von Elternarbeit (Definition) und den Forderungen der Heimreform ergibt sich der eindeutige Anspruch an eine systematische, methodisch geplante Elternarbeit. Wie denn diese Elternarbeit durchzuführen ist, wer sie leisten soll und wie die geforderten Rahmenbedingungen geschaffen werden sollen, blieb damals noch ungeklärt.

„Der Einstimmigkeit in der Forderung, die Elternbildungsarbeit sei Aufgabe der H. [Heimerziehung] steht ein klaffender Mangel an Aussagen gegenüber, wie denn das zu geschehen habe. Die FICE [Internationale Gesellschaft für Heimerziehung] spricht es nüchtern aus: Es gibt noch ‘kein Rezept und keine allgemeingültige Theorie für eine optimale Zusammenarbeit zwischen dem Heim und der Familie’.[45]

Nach Auswertung meiner praktischen Erfahrungen und der Literatur vermute ich, dass die meisten dieser Anforderungen - trotz vielfältiger Reformen in der Heimerziehung - noch nicht in allgemeingültige und transparente Qualitätskriterien umgesetzt sind.

2.2. Elternarbeit in der praxis

Unter Beachtung der theoretischen und historischen Anforderungen an Elternarbeit in der Heimerziehung gehe ich nun auf den aktuellen Stellenwert von Elternarbeit ein. Ich zeige Formen und Modelle auf und überprüfe diese auf ihre Allgemeingültigkeit und auf die Erfüllung der genannten Anforderungen. (vergl. 2.1.) Abschließend ziehe ich Schlussfolgerungen für die Entwicklung der Konzeption.

2.2.1. Aktueller Stellenwert

‘Klar machen wir Elternarbeit’

Zu Beginn des Abschnitts möchte ich einige Zahlen nennen, die den praktischen Stellenwert von Elternarbeit verdeutlichen sollen. In der Studie des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 1998 „Leistungen und Grenzen von Heimerziehung“ wurde in den befragten Einrichtungen erhoben, ob überhaupt Elternarbeit stattgefunden hat.

Elternarbeit in stationären Erziehungshilfen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle: BMFSFJ 1998, S. 219

Die entscheidende Aussage dieser Zahlen ist wohl der Umstand - rechnet man die 60 Fälle ohne Angabe und die Fälle in denen keine Elternarbeit geleistet wird zusammen - dass in der Hälfte alle Fälle der befragten Einrichtungen keine Elternarbeit geleistet wird. (Es ist zu vermuten, dass in den Fällen, die keine Angaben gemacht haben, auch keine Elternarbeit geleistet wird). Das stimmt sehr nachdenklich, wenn man die gesetzlich vorgeschriebene Mitwirkungspflicht und das Recht der Eltern berücksichtigt, sowie die hier schon beschriebene fachliche Notwendigkeit beachtet[46] Demgegenüber stehen Zahlen einer empirischen Studie zu den Erfahrungen von Mitarbeitern in der Heimerziehung aus denen hervorgeht, dass die Mehrheit des pädagogischen Personals Elternarbeit im Heim als sehr wichtig (80%) erachtet.

Diese Studie besagt außerdem, dass nur 2/5 der befragten Mitarbeiter die Qualifikation für eine systematische Elternarbeit erlangt haben und 1/3 die Möglichkeit der Reflexion in Form von Supervision hat[47] Ich schlußfolgere daraus, dass die Notwendigkeit von Elternarbeit allgemein von Heimmitarbeitern anerkannt wird; es aber in der Umsetzung gravierende Probleme gibt.

Dieser Eindruck verfestigte sich auch im Gespräch mit Frau A. Stöhr, der Beauftragten für den Bereich Heimpflege vom Landesjugendamt Brandenburg am 11.07.2002 und bestätigte meine Annahme, dass Elternarbeit zwar Konzept-

bestandteil vieler stationärer Einrichtungen ist, aber bei konkreten Nachfragen in der Mitarbeiterschaft nur vage Aussagen zur Umsetzung gemacht werden können. Es gibt auf der Seite des Landesjugendamtes keine einheitlichen Definitionen oder Qualitätskriterien über den Umgang und die Zusammenarbeit mit Eltern in der praktischen Arbeit der Heimerziehung.

In Gesprächen mit Kollegen sammelte ich folgende Aussagen;

...klar machen wir Elternarbeit, die Eltern können jederzeit in unserer Einrichtung anrufen oder vorbeikommen, am „Tag der offenen Tür“ sind sie auch manchmal da, Weihnachten können die Kinder zu Hause verbringen, wenn die Eltern Probleme haben, haben wir immer ein offenes Ohr...

Man kann also festhalten, dass Elternarbeit zwar einen hohen ideellen Stellenwert hat, aber in der methodisch geplanten Anwendung in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle spielt. Es besteht ein Widerspruch zwischen dem Anspruch, der fachlichen Einsicht und dem Wollen von Einrichtungen der Heimerziehung und der reell geleisteten Arbeit. Aus den Zahlen entsteht der Eindruck, dass eine Ursache dafür in der ungenügenden Qualifikation und Reflexionsmöglichkeiten von Mitarbeitern liegt.

2.2.2. Rahmenbedingungen

„Die [...] Einsicht, dass Heimunterbringung keine Lösung ist, aber Lösungen ermöglichen kann, benötigt für seine Umsetzung veränderte, flexible Rahmenbedingungen.[48]

In der oben zitierten Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von 1998 wird deutlich herausgestellt, dass „Elternarbeit bzw. eine Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit den Erziehungsberechtigten ein wesentlicher Bestandteil einer gelingenden Heimerziehungspraxis ist.“ Gleichzeitig kommen die Autoren in Auswertung der erhobenen Daten zu dem Schluß, dass „die strukturellen Bedingungen und personellen Möglichkeiten in den Einrichtungen und Jugendämtern [...] vielfach dieser Aufgabenstellung einer qualifizierten Elternarbeit nicht zu entsprechen [scheinen].[49] Dieser Eindruck bestätigt sich aus meinen praktischen Erfahrungen, wie auch beim Studium weiterer Literatur. Mitarbeiter im Heim empfinden die Rahmenbedingungen für Elternarbeit als mangelhaft und nicht zufriedenstellend. In der Studie von CONEN (1992) gaben ¾ der befragten Mitarbeiter in Heimen die zeitlichen Anforderungen als größtes Hindernis für Elternarbeit an[50] Elternarbeit ist oft nur außerhalb der Dienstzeiten und des Dienstplans möglich. Im Gruppendienst ist keine Zeit für Elternarbeit; Doppeldienste sind nicht möglich, es gibt zu wenig qualifiziertes Personal. Hinzu kommt, dass „[die Elternarbeit] von vielen Anstellungsträgern noch [...] als zusätzliche unbezahlte Arbeit erwartet wird.[51] Aufwendungen für Elternarbeit (wie Fahrkosten, zusätzliches therapeutisches Personal, Supervision, Sachkosten, Räumlichkeiten...) sind oftmals nicht Bestandteil von üblichen Kostenpflegesatzvereinbarungen zwischen Heim und Jugendamt.

Ein weiteres Hindernis für gelingende Elternarbeit stellen die - trotz der durch die Heimreform verbesserten Bedingungen - weiten Entfernungen zwischen Heim und Elternhaus dar. Regelmäßige und intensive Kontakte zu den Familien der betreuten Kinder sind somit erschwert[52]

Außerdem sind die Bedingungen für ein gelingendes Aufnahmeverfahren von großer Bedeutung, um den Grundstein für die Beziehungsarbeit mit Eltern zu legen. Die Literaturrecherche und die Auswertung meiner praktischen Erfahrungen lassen den Schluß zu, dass Heimeinweisungen - von institutioneller Seite aus - oft sehr schnell und unreflektiert verlaufen. Kinder werden nach nur kurzer Vorstellung aufgenommen; Eltern sind beim ersten Besuch der Einrichtung manchmal überhaupt nicht anwesend; die Familie wird nur ungenügend über die Arbeitsweise der Einrichtung informiert usw..

Ursachen dafür sehe ich

- im finanziellen Belegungsdruck von Einrichtungen,
- in den Zuweisungspraktiken der Jugendämter, die einerseits von Trägern eine fachlich fundierte Arbeit erwarten, aber andererseits auch schnelle Erfolge sehen wollen,
- darin, dass bereits mehrere Hilfen gescheitert sind und JÄ im Zugzwang sind, tätig zu werden,
- im pädagogischen Handlungsdruck, der entsteht, wenn Kinder in Krisensituationen aufgenommen werden und wegen großer Problematiken (Gewalt, Mißbrauchsverdacht. U. ä. ) sofort von der Familie getrennt werden müssen.
Die Folge von übereilten Aufnahmen sind:
- ungenügende Beziehungsklärung zwischen allen Beteiligten,
- Übernahme von Problemdefinitionen,
- unklare Aufträge, Problem- und Zielvorstellungen,
- die ungenügende Suche nach einer geeigneten Unterbringungsform, bei älteren Kindern und Jugendlichen wird es mehr um Ablösung vom Elternhaus und um Verselbständigung gehen, bei jüngeren Kindern eher um Rückführung ins Elternhaus,
- dass die Neuaufnahme in ungünstige Gruppenkonstellationen- und Strukturen im Heim erfolgt.[53]

Insgesamt kann man sagen, dass die Rahmenbedingungen für Elternarbeit von Mitarbeitern als unbefriedigend empfunden werden. Ebenso wird durch eine schnelle, unmethodische und unreflektierte Aufnahme von Kindern Elternarbeit im Heim erschwert. Auf Grund der besonderen Bedeutung des Aufnahemverfahrens für die Beziehungsgestaltung zwischen Heim und Eltern, gehe ich im Punkt 3.2. gesondert darauf ein.

2.2.3. Modelle

„Es gilt, mit jeder Familie neue Methoden zu entwickeln und neue Wege zu entdecken[54]

In den Einrichtungen und Institutionen, die intensive Elternarbeit betreiben, besteht - trotz der bereits getroffenen Aussagen - ein breites Spektrum an Formen, Methoden und Verfahrensweisen. Seit den 80er Jahren bildete sich gezielte Eltern- und Familienarbeit heraus. Oftmals wurden dafür Fachkräfte mit familientherapeutischer Ausbildung eingestellt und realisierte damit die „praktische Umsetzung dessen, was man in der neueren Jugendhilfediskussion im Gefolge des achten Jugendberichtes der Bundesregierung mit den Schlagworten ‘Regionalisierung’ und ‘Lebensweltorientierung’ bezeichnet.[55] Ich möchte im Folgenden einige - in der Praxis erprobte - Modelle darstellen.

Das Berliner Triangel Projek[56] stellt ein kompaktes Konzept mit einem familienzentrierten Ansatz dar. Kinder bis zu 10 Jahren werden nach vorangegangenen intensiven Aufnahmeverfahren bis zu 2 Jahren betreut, um dann ins Elternhaus zurückzukehren oder die Ablösung zum Elternhaus vorzubereiten. Grundlage ist ein systemisch- familientherapeutischer Ansatz. Es wird intensiv mit der Herkunftsfamilie zusammengearbeitet, um ihre Ressourcen zu aktivieren. Die Eltern bleiben in der Verantwortung für das Kind, bleiben im Alltag zuständig. Durch vielfältige Methoden wird mit den Eltern trainiert, wie sie wieder die Erziehung und Versorgung ihrer Kinder sicherstellen können (regelmäßige Gespräche zu festen Anlässen, Elterngruppen, Verhaltenstraining, Familientherapiesitzungen...). Es findet keine Trennung zwischen pädagogischer, sozialpädagogischer und therapeutischer Arbeit statt.

Aus meiner Sicht ist dieses Konzept in seinen Vorgehensweisen und Methoden sehr nachvollziehbar; stellt aber auch hohe Ansprüche an das Personal im Heim. Ich habe in Ansätzen bereits nach diesem Konzept gearbeitet und festgestellt, dass sich die Zielgruppe der Familien insofern eingrenzt, dass sie in örtlicher Nähe zur Einrichtung leben müssen, um den intensiven Kontakt aufrecht erhalten zu können. Desweiteren machen die Belegungspraktiken der Jugendämter und der Belegungsdruck der Einrichtungen methodisch geplante Aufnahmeverfahren nur in den seltensten Fällen möglich, so dass der Grundstein dieses Konzeptes das „Aufnahmeverfahren“ oft vernachlässigt werden muss und damit der Erfolg des gesamten Konzeptes in Frage gestellt ist.

Eine andere Form der Zusammenarbeit und Kooperation mit Familien wurde im MODELLPROJEKT - Zusammenarbeit mit Herkunftsfamilien von Kindern und Jugendlichen, die sich in Heimen und sonstigen betreuten Wohnformen befinden - des Landesjugendamtes Brandenburg von 1997- 2000 erprobt.

Zentraler Punkt dieses Projektes war eine einwöchige Ressourcenaktivierende Familienfreizeit (RAFF) mit Kindern, Eltern, Erziehern, Heimleiter und Mitarbeitern des Jugendamtes. Hauptaugenmerk lag während dieser Freizeitaktion auf der Auswertung der Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern und die Beantwortung der Frage, ob ein solches Projekt auch unter ‘normalen’ Bedingungen, dass heißt für jede Einrichtung wiederholbar ohne spezielle finanzielle Förderung möglich wäre. Die RAFF wurde als eigenständiges Konzept durchgeführt bei dem „[...] die Fachkräfte einen Standpunkt [beziehen], von dem aus es möglich ist, Kinder und Jugendliche im Kontext ihres Familiensystems wahrzunehmen. Hier treffen wir auf ein professionelles Verständnis und eine Haltung, welche alle Aspekte des Familiensystems einbeziehen: die Familiengeschichte, die Familienbeziehungen, die Interaktionen zwischen den Familienmitgliedern, Familientraditionen und Familiendynamik.[57]

Es ist aus meiner Sicht zu prüfen, welche Auswirkungen die Durchführung dieser - erst modellhaft erprobten - Konzeption in stationären Settings hat. Die von den Autoren geschilderten Voraussetzungen an Fachkräfte, institutionelle Bedingungen und interinstitutionelle Bedingungen stellen einen hohen fachlichen Anspruch an die Beteiligten. Für in Elternarbeit erprobte Wohngruppen stelle ich mir eine solche Maßnahme sehr effektiv für gemeinsames Erleben, Verstehen und Lernen vor.

Diese beiden - recht unterschiedlichen - Modelle zur Durchführung von Elternarbeit im Heim stehen hier stellvertretend für viele, bereits gelungene Ansätze. Sie verdeutlichen, dass jede Einrichtung ihren eigenen Weg, nach ihren personellen wie strukturellen Möglichkeiten finden muss.

Gemeinsamer Nenner dieser beiden Projekte ist für mich die Art und Weise, wie mit Herkunftsfamilien umgegangen wird. Die Beziehung ist geprägt von gegenseitigem Respekt, Anerkennung und Wertschätzung sowie einer systemisch orientierten Sichtweise.

[...]


[1] vergl. GRAF/ SPRENGLER 2000, S. 15

[2] vergl. SCHINDLER 1996, BUCHTITEL

[3] vergl. IGfH 1977, S. 46

[4] vergl. POST 2002, S. 92; BMFSFJ 1998, S. 37

[5] BMFSFJ 1998, S. 38

[6] vergl. LANDESJUGENDAMT BRANDENBURG 1997

[7] vergl. POST 2002, S. 20

[8] Ich gehe an dieser Stelle von der Entwicklung in den alten Bundesländern aus. In der rechtlichen Geschichte der ehemaligen DDR hat Elternarbeit im Heim keinen traditionellen Hintergrund. Heime sollten zwar mit Eltern zusammenarbeiten; diese stehen aber in der Rangfolge hinter der Schule und hinter der sozialistischen Kinder- und Jugendorganisation (vergl. § 2(3) Heimordnung, 1969). Im § 23 Heimordnung, 1969 ist die Zusammenarbeit zwischen Heim und Elternhaus geregelt: „Die Zusammenarbeit [...] erfolgt auf der Grundlage des vom örtlichen Organ der Jugendhilfe ausgearbeiteten individuellen Erziehungsprogramms. Das Ziel [...] besteht darin, die Erziehungsberechtigten für die unmittelbare und ständige Unterstützung der Bildungs- und Erziehungsarbeit des Heimes zu befähigen und ihnen zu helfen, eine positive Einstellung zur Erziehung ihrer Kinder zu gewinnen.“ Nach meiner Interpretation heißt das, wenn mit den Eltern zusammengearbeitet wurde, war dies keine partnerschaftliche Beziehung, man sah auch sie als Objekt der Erziehung an, deren Defizite die Heimeinweisung des Kindes verursachten. Heimeinweisung erfolgte also im Kontext des Versagens, ja sogar im Kontext der Unterstellung, dass Eltern eine negative Einstellung zu ihren Kindern hätten. Dieser Fakt ist auch zu berücksichtigen, wenn es um Grundhaltungen und Rollenverständnis von Mitarbeitern aus der ehemaligen DDR geht.

[9] vergl. BMFSFJ 1998, S. 35

[10] POST 2002, S. 54

[11] vergl. GÜNDER 2000, S. 37-39

[12] POST 2002, S. 44

[13] BMFSFJ 1998a, S. 179

[14] TISCHNER 1994, S. 361

[15] LINKE 2001, S. 91

[16] vergl. LINKE 2001, S.89

[17] CONEN 1992, S. 69

[18] GÜNDER 2000, S. 32/33

[19] vergl. BIENE 1999; NEUMEYER 1988, S. 120-122

[20] vergl. Punkt 2.2.5.2.

[21] GÜNDER 2000, S. 92

[22] vergl. GÜNDER 2000, S. 92-99

[23] vergl. NEUMEYER 1988, S. 120/121

[24] vergl. BFSFJ 1998, S. 39; IGfH 1977; S.87

[25] vergl. SCHWEITZER 1987, S. 26/27

[26] vergl. LINKE 2001, S. 89-91; SCHWEITZER 1987, S. 18-19; BERG 1992, S. 23

[27] vergl. GÜNDER 2000, S. 28/29

[28] LINKE 2001, S.105

[29] DURRANT 1996, S. 30

[30] WATZLAWICK 1992, S. 43

[31] DURRANT 1996, S.28

[32] BERG 1992, S. 26

[33] de SHAZER 1990, S.24

[34] vergl. WATZLAWICK 1992 ; S. 105

Das Beispiel Watzlawicks von den zwei Seglern soll diesen Vorgang verdeutlichen:

„Zwei Segler hängen jeder für sich und auf seiner Seite des Bootes weit über Bord, um das Boot im Gleichgewicht zu halten. Je mehr der eine sich hinauslehnt, desto weiter hinaus muß sich auch der andere lehnen, um die Gleichgewichtsstörung ‘auszureiten’, die die Stabilisierungsversuche des anderen verursachen, während das Boot selbst durchaus im Gleichgewicht wäre, wenn die beiden es nicht unter so akrobatischen Anstrengungen zu stabilisieren trachteten. Die Lösung dieser bizarren Lage erfordert ganz offensichtlich, daß wenigstens einer der beiden etwas scheinbar sehr Unvernünftiges tut, nämlich nicht noch mehr, sondern weniger zu ‘stabilisieren’, da dies den Partner sofort zwingt, auch seinerseits weniger desselben zu tun, um nicht ins Wasser zu geraten. Nur auf diese Weise werden sich die beiden schließlich wieder sicher, bequem und gemeinsam an Bord des nun stabilen Boots befinden.“ (1992; S.56/57)

[35] vergl. BIENE 1997

[36] DURRANT 1996, S. 29

[37] SCHMIDT 1981, S. 110

[38] LEUBE 1996, S. 158

[39] vergl. PLANUNGSGRUPPE PETRA 1988; IGFH 1977; VERBAND KATHOLISCHER EINRICHTUNGEN 1992

[40] PLanungsgruppe petra 1988, S. 76/77

[41] planungsgruppe petra 1980, s. 23

[42] vergl. BÄUERLE/ MARKMANN 1978, S. 18

[43] LEUBE 1996, s. 160

[44] vergl. BÄUERLE/ MARKMANN 1978, S. 16-18

[45] BÄUERLE/ MARKMANN 1978, S. 17

[46] vergl. BMFSFJ 1998, S. 219

[47] vergl. CONEN 1992, S. 9-12

[48] GÖPEL 2001, S. 19

[49] BMFSFJ 1998, S. 222

[50] vergl. CONEN 1992, S. 9-22

[51] LEUBE 1996, S. 160

[52] vergl. CONEN 1992, S.9-22; BMFSFJ 1998, S. 217

[53] vergl. LEMME 1996; S. 122-129; BIENE 1999

[54] CONEN 1992, S. 35

[55] TISCHNER 1994, S. 360/361

[56] vergl. BIENE 1997

[57] vergl. DOKUMENTATION MODELLPROJEKT 1997-2000, S. 38

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Systemisch-lösungsorientierte Elternarbeit mit Familien im Kontext stationärer Unterbringung
Untertitel
Ein sozialpädagogisches Konzept nach §34 KJHG
Hochschule
Fachhochschule Potsdam  (FB Sozialpädagogik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
112
Katalognummer
V15145
ISBN (eBook)
9783638203463
ISBN (Buch)
9783656817147
Dateigröße
729 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Elternarbeit, Entwicklung, Konzeption, Arbeit, Familien, Kontext, Unterbringung, KJHG
Arbeit zitieren
Anja Stiegemann (Autor:in), 2002, Systemisch-lösungsorientierte Elternarbeit mit Familien im Kontext stationärer Unterbringung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15145

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