Der Balkanpakt von 1934


Hausarbeit (Hauptseminar), 1995

19 Seiten, Note: eins


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Derzeitiger Forschungsstand
2. 1 Derzeitiger Forschungsstand
2. 2 Definition des territorialen Begriffs " Balkan "

3. Ursprung und Entwicklung der föderativen Idee auf dem Balkan
3. 1 Vom byzantinischen Reich bis zu den Pariser Friedensgesprächen
3. 2 Entwicklung einer föderativen Idee von den Pariser Friedensverträgen bis zum Balkanpakt 1934

4. Die Balkankonferenzen
4. 1 Vorgeschichte
4. 2 Innere Organisation der Balkankonferenzen
4. 3 Problematik der Balkankonferenzen

5. Der Balkanpakt
5. 1 Von den Balkankonferenzen zum Balkanpakt: Vorbereitung und Abschluß des Balkanpakts
5. 1. 1 Grundlegende Zielsetzung
5. 2 Problematik der funktionellen Eingrenzung
5. 3 Der Balkanpakt als Kollektiv - und Regionalpakt
5. 4 Der Balkanpakt als Garantievertrag
5. 5 Der Balkanpakt als Allianzvertrag ( Unter besonderer Berücksichtigung Bulgariens )
5. 6 Der Balkanpakt: Ein Nichtangriffspakt ?
5. 7 Die Beistandsverpflichtung
5. 8 Inkrafttreten, Offenheit und Dauer des Paktes
5. 9 Die Bedeutung des griechischen Vorbehalts des Artikels 3 für den Balkanpakt

6. Rechtswidrigkeit des Balkanpakts gegenüber der Völkerbundsatzung und dem Briand - Kellog - Pakt

7. Abschließende Beurteilung des Balkanpakts

8. Nachwort

9. Literaturangaben

1. Vorwort

Bei näherer Betrachtung der Balkanproblematik der Zwischenkriegsjahre, insbesondere der Pakte und Verträge zwischen 1919 und 1938, gibt es nur eine geringe Zahl deutschsprachiger Werke zu dieser Thematik zu recherchieren. Geschichte und Politik der Nachkriegszeit auf dem Balkan scheinen in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung einen geringen Stellenwert zu genießen, was unverständlich erscheint, war der Balkan der Nachkriegszeit[1] doch Interessenschauplatz der Großmächte und spielte in deren Politikvisionen eine konträre Rolle. So versuchten in den Nachkriegsjahren Frankreich und Italien, ihren Machtbereich auf dem Balkan auszudehnen und zu etablieren, mit der Machtergreifung Deutschlands[2] trat eine entscheidende Wende in der europäischen Politik ein, die sich auch in einer Änderung der Balkanpolitik der Großmächte bemerkbar machte. Eine wichtige Rolle im zentralen politischen Gefüge des Balkans spielte ebenso die Sowjetunion, deren politischer Einfluß einen bestimmenden Faktor der Südosteuropapolitik der Zwischenkriegsjahre darstellte. Der Balkan der Jahre 1919 bis 1938 ist intern geprägt von einer politischen Neuorientierung, bestimmende Faktoren dieser Umorientierung sind wirtschaftliche, primär aber politische Sicherheit gegenüber äußeren Einflüssen. Eine Vielzahl von Friedens -, Neutralitäts - und Kooperationsverträgen wurden in dieser Periode zwischen den einzelnen Balkanstaaten geschlossen, deren primäres Ziel in der Sicherung des eigenen Machtbereiches und der eigenen Grenzlinien bestand. Dem Balkanpakt von 1934[3] kommt dabei eine differenzierte Bedeutung in der Reihen der Pakte und Verträge der Balkanstaaten zu. Was für die deutsche Geschichtsschreibung angemerkt wurde, der Mangel an differenzierte Literatur, gilt insbesondere auch für die Thematik des Balkanpakts. Deutschsprachige Literatur zu dieser Thematik ist nur schwer zugänglich, die Mehrzahl der Werke zu diesem Thema sind im Zeitraum zwischen 1934 und 1945 verfaßt, und beschäftigten sich primär mit dem völkerrechtlichen Aspekt des eigentlichen Vertragswerkes. Auch in allgemeingeschichtlichen Werken findet der Balkanpakt von 1934 nur selten Erwähnung, im Gegensatz zu den Balkanpakten von 1918 und 1953. " Welchen Stellenwert hat der Balkanpakt von 1934 im Gefüge der Balkanstaaten der Nachkriegsjahre ? " ist die Frage, die es an dieser Stelle zu untersuchen gilt. Die verfaßte Arbeit stellt hierbei nicht den Anspruch einer vollständigen Klärung dieser Frage, sie versucht, die geschichtliche Entwicklung des Föderationsgedankens der Balkanstaaten von den Pariser Friedensverträgen bis in das Jahr 1934 transparent darzustellen, und den Stellenwert des Balkanpaktes innerhalb dieser Entwicklungsperiode zu erörtern. Dabei soll sowohl der geschichtliche Aspekt des Föderationsgedankens, als auch der juristisch - völkerrechtliche Aspekt des Pakts Berücksichtigung finden.

2. Derzeitiger Forschungsstand

2. 1 Derzeitiger Forschungsstand

Einen klaren Umriß des derzeitigen Forschungsstandes zum Thema " Balkanpakt 1934 " zu skizzieren, ist kein leichtes Unterfangen. Stellenwert, Ziele und Realisation des Paktes sind innerhalb der Geschichtsforschung nicht einheitlich geklärt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die Hauptproblematik liegt in der Frage, ob der Balkanpakt ein eigenständiges Vertragswerk darstellt[4], oder nur " eine Verlängerung der Kleinen Entente "[5], wie Josef Hartmann dies in seiner juristischen Dissertation beschreibt. Diese Frage ist unter Historikern bis zum heutigen Zeitpunkt nicht eindeutig geklärt, was seine Gründe auch in der geringen Zahl von Veröffentlichungen in neuerer Zeit hat. Der Forschungsstand stagniert, was den deutschsprachigen Raum betrifft, auf der Basis der Werke, die zwischen 1935 und 1938 abgefaßt wurden. In diesen Werken wurde schwerpunktmäßig die Problematik des Balkanpakts auf völkerrechtlicher Basis eruiert, die Frage nach der Bedeutung des Balkanpakts im Geflecht der Nachkriegsvertragswerke auf dem Balkan in oben genannter Problematik wurde dabei, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Eine weitere Problematik stellt die Klassifizierung des Pakts dar, die eng mit dem Ausschluß Bulgariens und Albaniens aus dem Pakt verknüpft ist. Die Klassifizierung und Einordnung des Balkanpakts unter Geschichtswissenschaftlern ist uneinheitlich, so sieht der Historiker Frank L. Benns in dem " Balkanpakt " mehr ein Verteidigungsbündnis als ein [en] bloße[n] Nichtangriffspakt "[6], der Jurist Josef Hartmann hingegen differenziert den Balkanpakt in Garantie-, Allianz - und Nichtangriffspakt, schreibt dem Pakt also vielseitige Funktionalität zu. Desweiteren divergieren die Ansichten über die Gründe der Abstinenz Bulgariens. Diesem Fernbleiben liegen differenzierte Gründe zutage, die sowohl für den Pakt selber, als auch für die nach dem Paktabschluß geführte Politik Folgen hat. Die Darstellung der Problematik zeichnet ein konträres Bild über den Balkanpakt, zu dessen Aufklärung diese Arbeit versucht, ihren Teil beizutragen. Die Aufgabe wird erschwert durch die zum Teil subjektive Sichtweise der jeweiligen Autoren, was seine Gründe in der mangelnden Distanz der Verfasser hat, da die Mehrzahl der verfaßten Werke sehr nah am Geschehen liegen, beziehungsweise die Verfasser direkt Landsmänner der Unterzeichnerstaaten sind, so daß eine weitgehend objektive Betrachtung ihrerseits nicht immer gegeben ist.

2. 2 Definition des territorialen Begriffs " Balkan "

Der Begriff " Balkan " bezeichnet den türkischen Namen der Bulgarien durchziehenden Gebirgskette. Der geographische Begriff des Balkans unterlag infolge des Fehlens natürlicher Grenzen gegen Nordwesten Schwankungen. Diese Labilität des geographischen Begriffs zog eine Unbeständigkeit der politischen Definition des Balkans zwangsläufig nach sich. Der Begriff " Balkan " stammt im politischen Sinne aus neuerer Zeit, bis 1914 waren anderer Begrifflichkeiten weiter verbreitet, so zum Beispiel der Ausdruck " Orientalische Frage "[7]. Erst nach dem ersten Weltkrieg setzte sich der Begriff " Balkan " über anderen Bezeichnungen durch. Nach der von den " Balkanstaaten " vertretenen Auffassung sind folgende Staaten in die Begrifflichkeit " Balkan " integriert: Albanien, Jugoslawien, Griechenland, Rumänien und die Türkei. Diese Definition des " Balkans " wird in dieser Konstellation auch für diese Arbeit zugrunde gelegt, wenn von den " Balkanstaaten " oder vom " Balkan " gesprochen wird.

3. Ursprung und Entwicklung der föderativen Idee auf dem Balkan

3. 1 Vom byzantinischen Reich bis zu den Pariser Friedensverträgen

Die Balkanstaaten waren durch die ottonische Gewaltherrschaft jahrhunderte lang verhindert, am europäischen Kulturleben teilzunehmen, die gewaltigen Versuche einiger, von der Idee der universellen Christenheit beseelten europäischen Herrscher, die Balkanchristen zu befreien, scheiterte nicht zuletzt an der schon in jener Zeit praktizierten Einkreisungspolitik, die sich über die Jahrhunderte immer wieder als Problematik der Balkanvölker zeigte, und die als tieferer Grund der Unabhängigkeitsbewegungen auf dem Balkan zu sehen ist. Wesentlichen Einfluß übten Frankreich, England, Rußland und die Türkei auf die Balkanstaaten aus, wobei der Einfluß dieser Länder auf den Balkan abhängig war von ihrer jeweiligen politischen Stärke im europäischen Machtgefüge. Mit nachlassendem Einfluß des osmanischen Reiches auf dem Balkan versuchten die Balkanvölker, sich mit Hilfe der Interventionspolitik der Großmächte zu verselbstständigen und zu etablieren. Ein grundlegender Fehler dieses Etablierungsversuchs bestand in der Beschränkung auf einzig diesen Weg der Unterstützung durch westliche Großmächte. Nach Gürow ist in der Balkanhistorie der letzten 150 Jahre ( bis auf das Jahr 1942 bezogen ) keine nennenswert koordinierte Befreiungsaktion der Balkanvölker festgestellt worden. Ein Beispiel für ein glückliches Ende eines Aufstands auf dem Balkan stellt der 1821 begonnen Griechenaufstand dar, der zum Erfolg führte, weil sich im Interessenspiel der Großmächte eine politisch diffuse Lage ergab. Einen ungewöhnlichen Fall von Solidarität auf dem Balkan zeigt die Unterstützung Serbiens bei der bulgarischen Erhebung Anfang 1875 , wobei auch diese beiden Staaten Unterstützung von Rußlands erhielten. Der Krieg endete mit der Gründung eines Großbulgariens und dem Vertrag von San - Stefano vom März 1878, der durch seine Konstitution zum Berliner Kongreß führte. Der Berliner - Kongreß sollte den Vertrag von San - Stefano revidieren, wobei Rußland gegen seine europäischen Mitbewerber eine diplomatische Niederlage bei der Durchsetzung seiner Interessen erlitt. Die wesentliche Folge des Berliner Kongreßes war die Halbierung Bulgariens und eine durch machtpolitische Interessen bestimmte Veschiebung der Balkangrenzen. Nach Gürow konnte die auf dem Berliner Kongreß geschaffenen Lage auf dem Balkan keine Gewähr für einen dauerhaften Frieden bilden ( ost - rumänische und mazedonische Frage )[8] und sollten bis in die vierziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts einen Konfliktherd auf dem Balkan bilden.

Die Geschichte des Balkans kennt einige Beispiele von Unionsbestrebungen auf dem Balkan, sei es vertragsmäßig entstanden, oder durch die Vormachtstellung eines Staatsvolkes[9] herausgebildet. Der Gedanke einer Union der Balkanvölker, d.h. eine Föderation von freien, gleichen und unabhängigen Staaten, tritt erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. Der Gedanke stellte ein Produkt der liberalistisch - demokratischen Welle dar, die nach den amerikanischen Freiheitskriegen und der Französischen Revolution sich in Europa verbreitete. Ursprünglich entstand die Idee einer Unionsbewegung als " das Bündnis gegen den gemeinsamen Feind "[10], d.h. als Befreiung gegen die türkische Besatzung, das " türkische Joch "[11]. Eine Idee einer Föderation der Balkanvölker stieß von Anfang an auf die Gleichgewichtspolitik der damaligen Großmächte. Die Rivalität der Großmächte[12] war entscheidender Triebfaktor für die inneren Konfliktherde der Balkanstaaten, da auf Grund von politischen und wirtschaftlichen Problemen die kleinen Balkanstaaten politisch und wirtschaftlich sich in den Schutz einer Großmacht stellten, und dadurch die Interessensphären der europäischen Großmächte auf dem Balkan ein neues Spielfeld fanden. An die politischen Ziele der Unabhängigkeit und dem Ausschluß jeglicher politischer Einmischung seitens der Großmächte reihte sich Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Gedanke einer Wirtschaftsunion mit dem Ziel der wirtschaftlichen Autarkizität. Diese politischen und wirtschaftlichen Bestrebungen fanden seit 1910 ihren Ausdruck in dem Schlagwort " Der Balkan den Balkanvölkern "[13]. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand durch den serbischen Prinzen Michael Obrenowitsch das bedeutendste Projekt einer Balkankonföderation, das 1867[14] im " Programme de relations politiques serbo - bulgares ( ou bulgaro - serbes ) ou leur Entente cordiale "[15] gipfelte. Dieser Vertrag blieb in seinen Ausführungen nur Projekt, er wurde von Bulgarien aus Rücksicht auf Österreich und wegen der Ermordung Prinz Michaels im Jahre 1868 nicht ratifiziert. Die dargelegten Ideen eines Zusammenschlusses der Balkanvölker und - Staaten fand 1878 mit der Befreiung Bulgariens ein Ende. Die Furcht der Westmächte, daß der Einfluß Rußlands auf dem Balkan durch ein " Großbulgarien "[16] zunehmen würde, führte auf das Drängen von Österreich, Großbritannien und Deutschland zur Modifizierung des Vertrags von San - Stefano[17]. Zur Interessenwahrung Österreichs wurde Bulgarien unter dem Einfluß des Deutschen Reichskanzlers Bismarck dreigeteilt. Damit wurde für zukünftigen Epochen der Brandherd Europas geschaffen[18]. Der " Berliner Vertrag " war von entscheidender Bedeutung für den Frieden auf dem Balkan. " Er war die tiefe Ursache, wenn nicht der einzige Grund für drei Kriege auf dem Balkan "[19]. Der Berliner Kongreß legitimierte, durch indirekte Einteilung des Balkans in Interessensphären, die Rivalität der Großmächte. Jede Großmacht beeinflußte die Politik ihres Interessenpartners auf dem Balkan und " stachelte " dessen Ehrgeiz an, indem territoriale Aspiration unterstützt wurden. 1909 fanden, trotz Intervention der Großmächte, Konferenzen der Balkanstaaten zur Regelung politischer und wirtschaftlicher Balkanangelegenheiten statt[20]. Die Annäherungssondierungen führten zu keinem konkreten Ergebnis. Die zwei folgenden Balkankriege führten zu weiteren Spannungen der politischen Verhältnisse. Der erste Balkankrieg[21] brachte einen Sieg Bulgariens, Griechenlands, Montenegros und Serbiens gegen die Türkei, die Schuldfrage des zweiten Balkankriegs[22] ist nicht eindeutig geklärt und wurde Bulgarien als Verlierer zugeschoben, obwohl eine eingehende Betrachtung anhand von Dokumenten dies zumindest in Frage stellt[23]. Der zweite Balkankrieg endete mit dem Frieden von Bukarest[24], " Griechenland, Serbien und Rumänien steckten die ganze Beute des Sieges ein, Rumänien erhielt Gebiet, das Bulgarien gehört hatte, und Griechenland und Serbien bekamen Territorien und Häfen, die bis dahin, für den Fall der Vertreibung der Türkei aus Mazedonien als legitime Ziele bulgarischer Aspiration angesehen worden waren "[25]. Die Friedensverträge von Bukarest und Konstantinopel stellten durch eine starke Beschneidung bulgarischer Ansprüche den Balkanfrieden auf eine labile Basis, die Teilnahme Bulgariens am ersten Weltkrieg auf Seiten der Mittelmächte ist eine Folge des Vertrages, ein gespanntes Verhältnis Bulgariens zu den übrigen Balkanstaaten, das sich maßgeblich auswirkt bei der Bildung einer Balkankonföderation, ist eine zweite Folge dieses Friedens. Am 29. September 1918 wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Vertretern des bulgarischen Staats und dem Oberbefehlshaber der alliierten und assoziierten Streitmächte der Salonikifront in Saloniki abgeschlossen, neun Monate nach dem Waffenstillstandsabkommen erging im Juli 1919 die Einladung an Bulgarien, Vertreter nach Paris zu schicken, um den von den alliierten und assoziierten Mächten ausgearbeiteten Friedensvertrag in Augenschein zu nehmen, dessen Unterzeichnung am 27. November 1919 erfolgte. Den bulgarischen Forderungen wurde dabei kaum Beachtung geschenkt. Triebfeder dieses Pakts war die Einsicht einer Ordnung der Balkanhalbinsel auf nationaler Grundlage. Man verstand es aber nicht, aus ihm ein allgemein nützliches Werk zu schaffen, der Balkanpakt war nicht getragen von der Idee einer Schicksalsgemeinschaft, sondern kann höchstens bezeichnet werden als eine " Zweckfreundschaft "[26]. Die Problematik des Balkanpakts lag in dem Fehlen einer vertraglichen Fixierung zu Regelung der sich aus den territorialen Änderungen ergebenden Situation, Ausnahme war der bulgarisch - serbische Bündnisvertrag über die Aufteilung Mazedoniens. Desweiteren ist für den Bestand der Allianz von Bedeutung, daß das Objekt der Allianzvereinbarungen im Vorfeld festgelegt wird, in ihrer politischen Unerfahrenheit schenkten die Teilnehmerstaaten diesem Punkt aber keine Bedeutung, vernachlässigten damit wesentlich ein konstruktives Element des Pakts, indem sie sich ideologisch nur auf einen möglichen Gegner stützen. Nach Gürow ist der Pakt so schon zu seinem Ende verurteilt, ehe er überhaupt begonnen hat, zu wirken.[27]

3. 2 Entwicklung einer föderativen Idee von den Pariser Friedensverträgen 1919 bis zum Balkanpakt 1934 !

Aus dem ersten Weltkrieg trat Europa politisch und territorial stark verändert hervor. Das ehemals große Habsburgerreich, die Donaumonarchie Österreich - Ungarn war zerfallen, der politische Schwerpunkt verlagerte sich in den oberen Donauraum, es entstanden neue, politisch autarke Staaten. Deutschland hatte mit der Kapitulation und der Unterzeichnung des " Kriegsschuldparagraphen " des Vesailler Vertrages "[28] seine Kriegsschuld anerkannt. Es dauerte circa zehn Jahre, bis Deutschlands politische Position innerhalb Europas wieder auf dem Vorkriegsstand angelangt war. Die Siegermächte konnten ihren politischen Einfluß in Europa verstärken, was nicht ohne Einfluß für die Balkanstaaten blieb. Insbesondere das vormals politisch und wirtschaftlich isolierte Rußland konnte in seiner Einflußsphäre deutlich expandieren. Der Balkan bestand nach dem ersten Weltkrieg aus einem politisch und wirtschaftlich heterogenem Staatengefüge, daß gespannte Verhältnis Bulgariens zu den übrigen Balkanstaaten wurde verstärkt durch Gebietsabtretungen an Rumänien ( Süddobrutscha ), politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten der einzelnen Staaten machten den Balkan zu einem labilen Völkerkonglomerat. Hinzu kam die Außenpolitik der Siegerstaaten, die sich durch geschickte Balkanpolitik eine Erweiterung ihrer Einflußsphäre erhofften, so zum Beispiel Frankreich mit seiner Pro - Balkan - Politik, die überwiegend auf einer Sicherung gegenüber dem unterlegenen Deutschland basierte. Frankreich hatte nach dem ersten Weltkrieg Südosteuropa die Aufgabe einer " Barriere gegen den Germanismus "[29] zugewiesen. Diese politische Strömung spiegelte sich in fast allen europäischen Siegerländern in ihrer außenpolitischen Handlungsweise wider, war demnach keine spezifisch französische Haltung. Bei den besiegten Staaten tendierte die grundsätzliche außenpolitische Richtung zum" Revisionismus ", die Siegerstaaten Jugoslawien, Rumänien und die Tschechoslowakei zogen in Erwägung, sich zum Schutz gegen die Verlierer Österreich, Ungarn und Bulgarien in einem Bündnis zu organisieren. Schon währen des Krieges hatten diese drei Staaten eine politische Zusammenarbeit unterhalten, eine politische Interessengemeinschaft mit rechtlicher Bindung gebildet. Diese Bindung wurde durch dir revisionistischen Nachkriegsbestrebungen Bulgariens und Ungarns verstärkt, zumal alle drei Staaten große territoriale Anteile dieser Staaten als Kriegsschuld erhalten hatten. Ebenso fühlten sich die drei Staaten gefährdet durch die Restaurationsversuche[30] und die politische Starrheit Ungarns in der Burgenlandfrage[31]. Diese Faktoren ließen eine fast " natürliche Verbindung der drei Staaten entstehen "[32]. Auch gegen die Restaurationsversuche Bulgariens traten diese drei Staaten geschlossen auf. Aus diesem Staatenbündnis entwickelte sich auf Basis einer verstärkten politischen Zusammenarbeit die " Kleine Entente ", der Vorläufer des Balkanpakts. Treibende Kraft dieses Bündnisses war der tschechoslowakische Außenminister Benesch[33]. Die " Kleinen Entente " wollte sich zum Garanten der neuen, auf souveränen Nationalstaaten gegründeten Ordnung in Ostmitteleuropa machen, auf Grundlage des Gleichgewichts und Friedens der Nationalvölker.

In diese Rolle sah sich die " Kleine Entente " als Gegenpol der westlichen " Entente " der Großmächte. Die drei Staaten hatten sich zum Ziel gesetzt, keine gegensätzliche Politik zu betreiben, keine Bündnispolitik ohne vorherige Absprache mit den Bündnispartnern zu betreiben. Es entstand das Bestreben, nach außen als Donaumacht aufzutreten , sich Geltung bei den übrigen europäischen Großmächten zu verschaffen. In die Interessensphäre der " Kleine Entente " drang Frankreich als Großmachtvorreiter entscheidend ein. Die französische Politik hatte es im 20. Jahrhundert versäumt, die politischen Vereinbarungen des Versailler - Vertrages über militärische Absprachen zur Erhaltung des " Status quo " und durch Wirtschaftsverbände der betroffenen Balkanstaaten abzusichern. Der Völkerbund konnte seine ihm zugedachte Rolle nicht verwirklichen, was nicht zuletzt an der Uneinigkeit der teilnehmenden Staaten und in dem unflexibel arbeitenden, bürokratischen Apparat seine Ursachen hatte. Die von der französischen Diplomatie geförderten Anläufe führten nur zu Teillösungen mit beschränkter Geltungsdauer und diskriminierender Ausgrenzung von Nachbarstaaten[34]. Aus den bilateralen Absprachen zur Abwehr der revisionistisch - ungarischen Forderungen und der Verhinderung einer habsburgischen Restauration ist das Zweckbündnis der ostmittel - und südosteuropäischen Staaten hervorgegangen, dem in der " cordon - sanitaire " Politik Frankreichs in Ostmitteleuropa eine zentrale Schlüsselfunktion zugedacht war[35]. Angesichts der akuten Ungarn - Gefahr ist daraus mit der Bildung der " Kleinen Entente " nur eine Lösung der unmittelbar betroffenen Anrainerstaaten entstanden. Konkrete Form nahm dieses Bündnis erst mit der Beistandsverpflichtung Jugoslawiens gegenüber der Tschechoslowakei gegen unprovozierte Angriffe Ungarns[36] an. Analoge Defensivmaßnahmen zwischen Rumänien und der Tschechoslowakei und Jugoslawien schlossen sich an[37]. Diese Verträge bildeten die Rechtsgrundlage der " Kleine Entente ", die Bündnispflicht jedes Partners beschränkt sich auf nicht provozierte Angriffe gegen die vertragschließenden Staaten, militärische Verpflichtungen der Bündnispartner sind in gesonderten Militärabkommen festgelegt. Formell wurde die " Kleine Entente " in den Jahren 1921 und 1922 gegründet, eine effektive Zusammenarbeit der drei Ententestaaten bestand allerdings schon seit 1918. Der Vorteil der " Kleinen Entente " gegenüber dem Völkerbund lag in schnelleren und effektiveren Handlungsmöglichkeiten, bedingt durch einen weniger komplex aufgebauten Bürokratieapparat. Zudem war es dem Völkerbund nur möglich, wirtschaftlich zu intervenieren, andere Formen der Intervenierung waren in den Völkerbundstatuten nicht vorgesehen.

Ziel der " Kleinen Entente " sollte primär sein, durch Neuorganisation des Donauraums Angriffe verfeindeter Balkanstaaten zu vermeiden, die " Kleine Entente " forderten einen Zusammenschluß aller Donaustaaten unter Aufrechterhaltung des Friedens, in dem die Siegermächte die Führung übernehmen sollten, die Besiegten auf Revision verzichten sollten und Prag symbolhaft zur Hauptstadt der Föderation gemacht werden sollte. Der durch Friedensverträge geschaffene Zustand " Donauraum " sollte politisch verewigt werden. Es fanden Bemühungen statt, auch Polen und Griechenland in die Entente einzugliedern, was aus politisch - territorialen Gründen scheiterte. Die Problematik der " Kleine Entente " lag in den von den Siegern diktierten Bedingungen, sie schlossen Grenzen ein, die " nicht ethnisch - historisch gerechtfertigt waren "[38]. Die Politik der " Kleinen Entente " diente als Isolationsmittel gegenüber den besiegten Staate, Versuche der Tschechoslowakei, Ungarn in den Pakt zu integrieren, scheiterten[39]. Mit der Aufnahme in den Völkerbund[40] konnte Ungarn seine revisionistischen Forderungen auf europäischem Forum vertreten, was den Gegensatz zu den Siegermächten aber eher verstärkte, als eine Annäherung förderte.

Diese Bündnispolitik konnte solange funktionieren, wie die Bündnispartner im politischen Gleichschritt handelten, die Besiegten die Bündnispolitik nicht allzu stark anfochten, und keine subversiven Großmachteinflüsse bemerkbar wurden. Eine wirkliche Einigung auf dem Balkan brachte die " Kleine Entente " nicht zustande, so versagte sie bei der Durchführung des Tardieu - Plans[41], der ebenso von Deutschland abgelehnt wurde[42]. Deutschland fürchtete ein Schwinden seines wirtschaftlichen Absatzmarktes und damit einhergehend einen Verlust seines neu gewonnenen politischen Einflusses auf dem Balkan, und zugleich eine Ausdehnung des französischen Machtbereichs. Deutschland hatte sich auf eine Bilateralisierung seiner Handelsbeziehungen nach Südosteuropa eingestellt, die Folge eines wachsenden Kontingentisierungsdrucks war. Der wachsende Angebotsdruck aus den Überseestaaten spielte dabei einen nicht unerheblichen Faktor. Über Präferenzabkommen hielten sich die Balkanstaaten ( insbesondere Ungarn und Rumänien ) nach 1931 den Zugang zur deutschen Wirtschaft offen, nach der Machtübernahme Hitlers wurden wirtschaftliche Interessen auf dem Balkan mit politischen Interessen verknüpft, die vor allem in Richtung der französischen und italienische Politik zielten[43]. Das Erstarken der deutschen Wirtschaft brachte die Balkanstaaten in zunehmende Abhängigkeit zum Deutschen Reich. So exportierten 1938 Jugoslawien und Bulgarien 57 %, beziehungsweise 63 % ihrer Güter nach Deutschland und importierten 50 % ihres Gesamtimportes ( Rumänien 35 % ).

[...]


[1] Ab den Pariser Friedensverträgen 1919.

[2] 23. 03. 1933.

[3] Unterzeichnerstaaten: Griechenland, Jugoslawien, Rumänien, Türkei.

[4] " Der am 09. Februar 1934 von Griechenland, Rumänien , der Türkei und Jugoslawien unterzeichnete Balkanpakt ist die wichtigste Form der

Balkanunionsbewegung ". Aus: Bajkíc, V.: Der Balkanpakt, 1942. S. 302.

[5] Hartmann, Josef: Versuch einer politischen Organisation im Donauraum, 1940. S. 46.

[6] Benns, Frank L. : Europäische Geschichte, 1952. S. 163.

[7] Bajkíc, V.: Der Balkanpakt, 1935. S. 298.

[8] Gürow, Adrian: Der Balkanpakt von 1934 im System der Regionalverträge, 1942. S. 21.

[9] Das byzantinische Reich, die zwei bulgarischen Reiche im 14. Jahrhundert, das serbische Reich im 14. Jahrhundert.

[10] Peeff, Konstantin: Balkanpakt und Balkanbund. 1937, S. 1.

[11] Peeff, Konstantin: Balkanpakt und Balkanbund. 1937, S. 1.

[12] Russlands feindliche Politik gegen das türkische Reich 1809, 1828, 1854, 1877, Kompensationsversuch Österreich - Ungarns gegen

russische

Aspiration, Englands Balkaninteressen " auf dem Weg nach Indien ".

[13] Peeff, Konstantin: Balkanpakt und Balkanbund. 1937, S. 2.

[14] 27. Januar 1867.

[15] Peeff, Konstantin: Balkanpakt und Balkanbund. 1937, S. 4.

[16] Peeff, Konstantin: Balkanpakt und Balkanbund, 1937. S. 7.

[17] Modifizierung des Vertrages von San Stefano auf dem Berliner Kongress durch den Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878.

[18] Siehe Peeff, Konstantin: Balkanpakt und Balkanbund.,1937. S. 7.

[19] Dimtcheff, K. T.: Le traité de Neuilly, 1930. S. 16. Zitiert nach: Peeff, Konstantin: Balkanpakt und Balkanbund. S. 7.

[20] Es fanden Zusammenkünfte statt zwischen König Ferdinand von Bulgarien und dem Kronprinzen von Serbien, zwischen König Ferdinand

und König Peter I., zwischen den zwei Fürsten und dem russischen Zaren in St. Petersburg, und zwischen Ferdinand und Peter I. und dem

Sultan in Konstantinopel.

[21] Ausbruch: 08. Oktober 1912.

[22] Ausbruchsbeginn: 29. Juni 1913.

[23] Peeff, Konstantin: Balkanpakt und Balkanbund, 1937. S. 9.

[24] 10. August 1913.

[25] Grey, E.: 25 Jahre Politik (Memoiren ), Bd. 1. 1926, S. 252.

[26] Gürow, Adrian: Der Balkanpakt von 1934 im System der Regionalpakte, 1942. S. 23.

[27] Gürow, Adrian: Der Balkanpakt von 1934 im System der Regionalpakte, 1942. S. 25.

[28] Friedensvertrag zwischen Deutschland und den 26 Feindmächten, unterzeichnet am 28. Jumi 1919 im Spiegelsaal zu Versailles, ratifiziert

am 10. Januar 1920. Inhaltliche Forderung der Siegermächte: Gebietsabtretungen, Abtretung der Kolonien, Reparationsleistungen und

Abrüstung des Militärs.

[29] Heymann, Egon: Balkan, 1938. S. 132.

[30] Im Jahre 1921 war die Restaurationsfrage zweimal latent existent, für die drei Staaten war Restauration gleichbedeutend mit Revision.

[31] Ungarn weigerte sich, das Burgenland an Österreich herauszugeben, kriegerische Verwicklungen drohten.Zu dieser Problematik siehe:

" Protokoll von Venedig "v. 13. 10. 1921.

[32] Meier, V.: Neuer Nationalismus in Südosteuropa ", 1968. S. 107.

[33] Benesch, Eduard (geb. 1884, gest. 1948 ): tschech. Außenminister ( 1918 - 1935 ), Präsident der Tschecheslow. Republik ( 1942 - 1945 ).

[34] In der " Kleinen Entente " wurden politisch - territorial ausgegrenzt: Albanien, Ungarn, Bulgarien. Im Balkanpakt: Albanien und

Bulgarien.

[35] Siehe Edgar Hösch: Geschichte der Balkanländer, 1988. S. 219.

[36] 14. 08. 1920, unterzeichnet durch den tschecheslowakischen Außenminister Benesch und den jugoslawischen Außenminister M. Nincií.

[37] 14. 08. 1920 zwischen der Tschecheslowakei und Jugoslawien in Belgrad, 23. 04. 1921 zwischen Rumänien und der Tschecheslowakei in

Bukarest, 07. 06. 1921 zwischen Rumänien und Jugoslawien in Belgrad. Ergänzung der Bündnisse durch das " Marienbader Abkommen "

zwischen Italien und der Tschecheslowakei vom 31. 08. 1922.

[38] Meier, V.: Neuer Nationalismus in Südosteuropa, 1968. S. 108.

[39] 14. 03. 1921, Bauck a. d. Leitha, 24. 06. 1921 Marienbad, 26. 09. 1921 Burn.

[40] 18. 09. 1922.

[41] Plan des französischen Außenministers Tardieus, der " Kleinen Entente " die Organisation der Präferenzzollfrage zwischen den Staaten der

" Kleinen Entente " und Österreich zu übertragen, nach den Worten des tschecheslowakischen Außenministrers ein " historischer

Augenblick ".

[42] Londoner Konferenz vom 06. - 08. April 1932.

[43] Sog. " Neuer Plan " vom September 1934.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Balkanpakt von 1934
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Der Hitler-Stalin-Pakt
Note
eins
Autor
Jahr
1995
Seiten
19
Katalognummer
V15117
ISBN (eBook)
9783638203326
ISBN (Buch)
9783638777704
Dateigröße
569 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - kleine Schrift, einzeiliger Zeilenabstand. Entspricht bei normaler Formatierung etwa 40 Seiten.
Schlagworte
Balkanpakt, Hitler-Stalin-Pakt
Arbeit zitieren
Kristian Seewald (Autor:in), 1995, Der Balkanpakt von 1934, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15117

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