Konzeption einer Einführung eines Lerntagebuchs auf der Grundlage des Lernverständnisses in der Lerngruppe „Informationstechnische Assistenten“ an einem Berufskolleg


Examensarbeit, 2009

67 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungs-, Erläuterungs- und Übersetzungsverzeichnis

1 Problemaufriss
1.1 Veränderte Herausforderungen von schulischer Bildung
1.2 Etwas mehr Metakognition, bitte?! Bestandsaufnahme des eigenen Unterrichts

2 Perspektiven meines Vorhabens
2.1 Was sagt die Lernforschung? Selbstgesteuertes Lernen und Konstruktivismus als theoretisches Fundament einer neuen Lernkultur
2.2 Der Weg ist das Ziel – Bühne frei für: Das Lerntagebuch
2.2.1 Die Funktionen von Lerntagebüchern
2.2.2 Die Arten von Lerntagebüchern
2.3 Meine Möglichkeiten als angehender Lehrer
2.4 Ableitung der Konzeptualisierung

3 Handlungskontext für die Umsetzung meines Vorhabens
3.1 Rechtliche Rahmenbedingungen von Schule
3.2 Wir sind eben noch nicht soweit! Selbstgesteuertes Lernen im Schulalltag
3.2.1 Ein Meinungsbild zum Lernverständnis in der Lerngruppe „Informationstechnische Assistenten“
3.2.2 Lehrergespräche: Welche Kollegen setz(t)en Lerntagebücher ein?
3.3 Institutionelle Voraussetzungen

4 Schritte zum Einsatz eines Lerntagebuchs
4.1 Einführung vor dem Hintergrund des Meinungsbildes
4.1.1 Die Erwartungshaltung der Schüler
4.1.2 Der Mehraufwand für alle Beteiligten
4.1.3 Noten als Geißel schulischer Bildung
4.1.4 Aufwertung des Lernprozesses
4.1.5 Fremd- und Selbstregulation auf dem Kontinuum selbstgesteuerten Lernens
4.1.6 Das Selbstbewusstsein stärken, das Lernen klären
4.1.7 Kooperativer Austausch über Lernprozesse
4.2 Gelingensbedingungen eines Lerntagebuchs auf einen Blick
4.2.1 Die Seite 0
4.2.2 Kommentare durch den Lehrer
4.3 Lerntagebuch im Web 2.0 – Der Weblog

5 Reflexion – Was war, was ist, was wird…
5.1 Erdung der Problemstellung hinsichtlich meiner Funktion als Lehrer
5.2 Ausblick

6 Literaturverzeichnis

7 Anhang
A Impulse für die Fragenformulierung im GrafStat-Fragebogen
B GrafStat-Fragebogen mit Grundauswertung
C Diskussion der Ergebnisse
C.a Informationstechnische Assistenten
C.b Elektroniker
D Erfahrungen von Lehrerkollegen am Berufskolleg der Stadt Rheine
E Ausgestalteter Fragenkatalog für das Lerntagebuch im Fach Programmieren
E.a Geschlossene Variante
E.b Offene Variante
F Gestaltung einer Seite 0
G Muster eines Kommentars vom Lehrer an den Schüler
H Muster eines Feedback-Bogens für den Lehrer
I Muster eines peer-reviews für Mitlerner
J Muster eines Evaluationsbogens
K Einrichtung eines Lerntagebuch als Weblog

Abkürzungs-, Erläuterungs- und Übersetzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Problemaufriss

1.1 Veränderte Herausforderungen von schulischer Bildung

Lernen unterliegt gegenwärtig einer starken Veränderung, nachdem der konventionelle Unterricht in „Schieflage“ geraten ist, wie uns die Ergebnisse aus den Bildungsstudien PISA oder TIMSS seit gut zehn Jahren suggerieren. Nicht ein Wissens-, sondern ein Könnensdefizit wurde deutschen Schülern attestiert, wodurch belegt wird, dass reiner Wissensadaption im Sinne traditioneller Lehre die Nachhaltigkeit fehlt. Somit müssen neue Zugänge zum Lernen geschaffen werden, die sich in der Vorgabe nach einer umfassenden Handlungskompetenz seitens der Politik und Berufswelt manifestieren. Das künftige Wissen ist nicht mehr vorhersehbar, weshalb ein dynamisches Modell des Weiter-, Um- und Neulernens entwickelt werden muss. Wesentliche Bedeutung erhält das SGL: „However, most people, most organisations, simply do not know how to learn. SRL contains the potential to bypass learning dysfunctions.” Doch verbirgt sich dahinter eine Gefahr: Wie komme ich als Lehrer mit meinen Schülern auf einen guten Pfad des Lernens, dass sie sich ihrer Lernstrategien bewusst werden und tatsächlich selbstständig arbeiten, um auf das „lebensbegleitende Lernen“ hinzuwirken? Maßnahmen zur Förderung von SGL müssen bisweilen als Desiderat betrachtet werden.

Wesentlich ist, dass im Kraftzentrum von schulischer Bildung nicht mehr der Inhalt, sondern das Lernen als persönliches Erfahren, Erleben und Interpretieren steht. Das setzt voraus, dass für die Zielverfolgung einer bestimmten Lernproblematik nicht mehr einzig ein allgemeinverbindlicher Weg in einem engen Lernkorridor begehbar ist, weshalb dem Schüler geholfen werden muss, ihm einen individuellen Zugang zu ermöglichen. Dieses Recht wird ihm qua Gesetz zugebilligt, denn jedes Individuum lernt unter identischen Umgebungsvariablen verschieden, da es je durch einen anderen Denk- bzw. Lernstil geprägt ist. Gleichzeitig muss die Verschiedenheit von Schülern nicht als Problem, sondern als Reichtum betrachtet werden – wenn für das Verstehen ein kommunikativer Austausch gewährleistet ist. Gelingt es dauerhaft, den Schüler mit seiner Biographie zu fokussieren, die von eigenen Vorkenntnissen, Motivationen und intellektuellen Fähigkeiten getragen wird , so kann er sich in einem nächsten Schritt seiner Verantwortung bei seinen Entscheidungen und Handlungen für sich und der Gesellschaft bewusst werden. Um diesem Anspruch zu genügen, müssen Instrumente vorliegen, sodass in der aktuellen Lehr-Lernforschung das LT als probates Mittel diskutiert wird.

1.2 Etwas mehr Metakognition, bitte?! Bestandsaufnahme des eigenen Unterrichts

Der überwiegende Teil des Stundendeputats meines BDUs verteilt sich auf den Bildungsgang ITA in der Höheren Berufsfachschule (APO-BK Anlage C) sowie auf den Ausbildungsberuf Elektroniker in der Berufsschule (APO-BK Anlage A), wo ich jeweils in der Unterstufe, d. h. im ersten Ausbildungsjahr, eingesetzt bin. Mein Unterricht im Fach Programmieren zur Programmiersprache C ist bei den ITAs projektartig aufgebaut. Im Laufe der Zeit sind die Projekte komplexer geworden, da sich der Befehlsumfang in C kontinuierlich erweitert hat.

Allgemein setzt Lehrertätigkeit ein grundsätzliches Interesse am Individuum voraus. Viel zu lange wurde außer Acht gelassen, dass das Lernen im Kopf abläuft und jeder Lernvorgang mit einer Veränderung im Gehirn einhergeht. Im eigenen Unterricht stelle ich mir deshalb oft die Frage, ob ich den Schüler entsprechend seinen (meta-)kognitiven, motivationalen, volitionalen und strategischen Bestimmungen fordere und fördere . Ist der Schüler über- oder unterfordert? Ist er genügend emanzipiert oder orientiert er sich nur daran, wie ich als Lehrer lenke und leite? Was lernt er wirklich? Sind meine Fragestellungen transparent? Sind die Lernumgebungen attraktiv und genügen fachlichen Standards? Exemplarisch seien drei Schüler aus meinem Unterricht vorgestellt, die eine vollzeitschulische Ausbildung zum ITA absolvieren. Mit ihren Facetten verweisen sie ganz gut auf die Probleme meines Schulalltags.

Thomas hat die Sekundarstufe I eines Gymnasiums besucht, bevor er zum BKR gewechselt hat. Er hat ein außerordentliches Selbstbewusstsein und schlüpft zeitweise in die Rolle des Klassenclowns, was ihn äußerst beliebt macht. Jedoch steht er sich bei der Anwendung seines Wissens oft selbst im Weg, weil er abgelenkt ist. Seine Noten sind eher durchschnittlich. Thomas sprach mich nach wenigen Wochen an und begann zu diskutieren: „Wie soll ich C lernen, wenn Sie das nicht einmal vorne vormachen? Die anderen sehen das genauso.“ Es hat sich bestätigt, dass Thomas stark extern orientiert ist.

Olaf leidet unter Prüfungsängsten. Im Unterricht scheut er sich nicht, aufzuzeigen und entsprechend Redezeiten für sich zu reklamieren. Seine sonstigen Leistungen zeichnen sich von guter Qualität aus. Wenn eine Programmieren-Klausur geschrieben wird, verzweifelt Olaf jedes Mal aufs Neue. Er hat das Problem, mich als Berater anzuerkennen, während er meine Bewerterrolle überbewertet.

Martin ist hochbegabt und mit Abstand Klassenbester. Bereits in den Sommerferien hat er sich intrinsisch mit einem Online-Lehrbuch der Programmiersprache C befasst. Er verfügt über einen hohen Grad an Selbstreflexion. Im Laufe des Schuljahres wurde er von mir zum Tutor ernannt, der seine Mitschüler regelmäßig unterstützt.

Aufgrund der Bandbreite meiner Beobachtungen leitet sich die Frage ab,

- wie ich – bei Thomas – ein Bewusstsein für die persönliche Verantwortung des eigenen Lernens erreichen kann,
- wie ich – zu Olaf – ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann, ohne dass Schule aufgrund von Ziffernnoten ein Ort der Selektion bleibt und
- wie ich – bei Martin – die Selbstreflexion im Lernprozess noch weiter stärken kann?

In meinen Klassen bin ich Tag für Tag mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen (Stärken und Schwächen der Lerngruppe, Lerntypen, Denkstile) und Lernbedingungen (Wochentage, 90-Minuten-Rhythmus, Prüfungszeiträume, Medien, usw.) konfrontiert, auf die ich aufgrund ihrer Komplexität nicht stets ad hoc reagieren kann. Weiterhin äußert sich der Großteil meiner Klientel relativ oberflächlich hinsichtlich des Lernprozesses, weil sie nicht weiß, wie dieser stattgefunden hat. Diese Konstellation impliziert eine Prüfung, ob nicht die Möglichkeiten eines LT eine professionellere Gestaltung der Lehr-Lernprozesse bei den ITAs erlauben.

2 Perspektiven meines Vorhabens

2.1 Was sagt die Lernforschung? Selbstgesteuertes Lernen und Konstruktivismus als theoretisches Fundament einer neuen Lernkultur

Den Lehrer muss RUFs fatalistische Sichtweise betrüben, dass es bislang noch „keine allgemein anerkannte Lerntheorie gibt, […] wie man Lernende durch schulische Instruktion sicher von Punkt A zu Punkt B bringt“ . Deshalb muss der Dialog zwischen Schüler und Lehrer oberste Priorität erlangen, wenn gleichsam der Schüler beim SGL seinen eigenen Lernprozess zu überwachen hat. Nach WEINERT ist SGL solch ein hehres Ziel, dass es daneben auch Voraussetzung und methodische Figur, also den Weg im Unterricht darstellt. Damit der Schüler zu Selbststeuerung imstande ist, muss er im Besitz von Lernstrategien sein und diese geschickt und vorsätzlich anwenden. Hierzu gehören u. a. Memorierungs- und Schreibstrategien (kognitiv), die Planung, Überwachung und Regulation von Lernprozessen (metakognitiv), eine realistische Zielsetzung und positive Selbstbewertung (motivational) sowie ein geeigneter Lernpartner und eine günstige Zeitplanung (ressourcenbezogen). Diese Vorstellung steht in Einklang mit der Definition des SGL nach KONRAD: „SGL ist eine Form des Lernens, bei der die Person in Abhängigkeit von der Art ihrer Lernmotivation sowie den Anforderungen der aktuellen Lernsituation selbstbestimmt eine oder mehrere Selbststeuerungsmaßnahmen (kognitiver, volitionaler oder verhaltensmäßiger Art) ergreift und den Fortgang des Lernprozesses selbst (metakognitiv) überwacht, reguliert und bewertet.“ Bezogen auf die Lernstrategien müssen neben deklarativem Wissen (“what“) andere Wissensarten wie das prozedurale (“how“) und konditionale Wissen (“when“, “why“) erweitert werden.

Die theoretische Figur des SGL leitet sich aus dem Konstruktivismus ab. Die Annahme, dass eine absolute Wahrheit geschweige denn objektives Wissen existiert, ist nichtig. Denn Wissen wird vom Individuum aktiv konstruiert. Gelingensbedingung ist die Passung zwischen Lerner und Lerngegenstand, wodurch sich wiederum die individuelle Lernförderung legitimiert. Konstruktionen führen somit zu einer Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten, wodurch eine individuelle Bezugsnorm bei der Bewertung von schulischen Leistungen angemessen wäre. Die Ganzheitlichkeit im Lernprozess wird erreicht, indem neues Wissen mit bestehenden Wissensstrukturen vernetzt wird. Dabei sind Fehler fundamental, weil durch deren Korrektur eigene Verhaltensweisen reflektiert und einer Metakognition unterzogen werden. Jedoch gilt zu bedenken, dass – bezogen auf den Interaktionistischen Konstruktivismus nach REICH – häufig nur auf die Rekonstruktion im didaktischen Handeln rekurriert wird, weil es durch die Bildungssozialisation des Lehrers am Geläufigsten ist. Spannender und genauso viabel wäre es, über die Konstruktion und Dekonstruktion neue Wirklichkeiten zu erschließen und zu kritisieren. Dazu fordert SGL gerade heraus, setzt jedoch eine Kenntnis über sich als Lerner voraus.

Eine weitere Gefahr droht, weil „die intrinsische Motivation […] für schulische Inhalte ab dem 10. Schuljahr deutlich“ abnimmt. Die Wahrnehmung eigener Fähigkeiten entwickelt sich ebenfalls in eine ungünstige Richtung, sodass von einem Missverhältnis zwischen der starken Bedeutung selbstregulatorischer Kompetenz und ihrer vergleichsweise seltenen Vermittlung auszugehen ist. Ein funktionierendes, hierarchiefreies Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer könnte dem positiv entgegnen, weshalb im Konstruktivismus die Beziehungs- die Inhaltsebene in den Schatten stellt.

2.2 Der Weg ist das Ziel – Bühne frei für: Das Lerntagebuch

Die Schilderung meines Unterrichtsalltags und die nicht besonders komfortable Ausgangssituation hinsichtlich der Lerntheorien lässt die Frage nach Hilfsmittel aufkommen, weil SGL in „Reinform“ nicht umsetzbar ist. Abhilfe leistet RUFs Dialogische Didaktik, deren Operationalisierung SLOANE und KRAKAU sehr gut auf den Punkt bringen: „Mit dem Einsatz dieser Beobachtungs- und Beschreibungsinstrumente [z. B. LT, TS] ist […] die Absicht verbunden, die Gestaltung von Maßnahmen zur Förderung selbst regulierten Lernens stärker auf das konkrete Leistungsniveau der jeweiligen Zielgruppe abstimmen zu können. Aufbauend auf einer Diagnose des Förderbedarfs sollen dann gezielte Maßnahmen ergriffen werden, die die Lernenden hinreichend unterstützen.“ Somit bedarf es eines Steuerungsinstruments primär auf individueller Ebene, weshalb ich in diesem Zusammenhang auf LT gestoßen bin, die prinzipiell unabhängig von Altersstrukturen oder Leistungsunterschieden einsetzbar sind. Im LT hebt sich der Lernprozess selbst zum Gegenstand des Lernens empor, der beobachtet und reflektiert wird. Einschneidend ist dabei, dass über Lernstoff und Ich-Zustand in komplexen Lernprozessen Aufzeichnungen angelegt werden.

Ein LT kann durchaus mit dem herkömmlichen Tagebuchschreiben in Beziehung gesetzt werden. Analog zur unveröffentlichten Autobiographie von Individuen, werden auch im LT in chronologischer Reihenfolge Einträge vom Schüler angelegt. Es kann in mehreren Varianten im darbietenden oder offenen Unterricht eingesetzt werden – „alleine, in Partnerarbeit oder in Gruppen, ohne oder mit Einsicht durch Mitschüler oder Lehrer, kommentiert durch Lernpartner, Klassenkameraden oder Lehrende“ . Beim Einsatz eines LT muss geklärt sein, welche Ebene des SGL angeregt und gefördert werden soll; entweder die gerade durchgeführte Handlung, die Auswahl von Handlungsstrategien vor der eigentlichen Handlung oder ganze Handlungszyklen. Freilich steigt hierbei das Abstraktionsniveau progressiv an und es ist ratsam, auf der niedrigsten Stufe zu beginnen. Die Frequenz der Eintragungen schwankt zwischen einmal täglich und einmal pro Unterrichtsreihe.

2.2.1 Die Funktionen von Lerntagebüchern

Indem der Lernprozess sichtbar, mitteilbar und reflektierbar wird, bieten sich zahlreiche Möglichkeiten für die Nutzung der Erkenntnisse für Lernende und Lehrende. Zu nennen sind insbesondere

- die tiefere und längerfristige Verarbeitung fachlicher Inhalte,
- die Revision und Optimierung von Lernstrategien,
- der Diskurs über Selbst- und Fremdeinschätzungen bis hin zu Lerndiagnosen,
- die Selbstverantwortung, -disziplinierung und -motivierung für das eigene Lernen,
- die Evaluation und Innovation des eigenen Unterrichts durch das Einbringen von Schülerinteressen und Schaffung eines Klimas des Vertrauens.

2.2.2 Die Arten von Lerntagebüchern

In der Literatur werden unterschiedliche Begrifflichkeiten für LT gebraucht, die die Funktion der Prozessdokumentation erfüllen: Lern-/Arbeitsjournal (semantisch gleichbedeutend mit LT; populär in der Alpenregion), Lesetagebuch (parallel zum Lesen einer Lektüre), Forschungstagebuch (im Studium) oder Emotionstagebuch (in der klinischen Psychologie).

Pioniere für den Lernsektor waren RUF und GALLIN, die LT 1998 pädagogisch relevant gemacht haben. In ihrer Diktion sollten Grundschüler ausgehend von einer Kernidee einen Auftrag ableiten, zu dem sie in einem Reisetagebuch dazu gefundene Formalisierungen wie auf einer Fährte festhalten und diese im Schüler-Schüler- oder Schüler-Lehrer-Dialog verifizieren, um vom Singulären zum Regulären – verstanden als Normen des internen bzw. externen Sprachgebrauchs – zu kommen (Rückmeldung). Die Variante der beiden Züricher Didaktiker ist so weit reichend, dass das Individuum produktiv, konstruktiv und methodisch kontrolliert in den Lernprozess integriert ist. So wird zugunsten eines Reisetagebuchs auf Schulhefte verzichtet, was zum Fächer verbindenden Unterricht herausfordert. Des Weiteren stellt die individuelle Sprache des Lernenden den Ausgangspunkt des Gesprächs dar.

Die Bedeutsamkeit von LT kann in der Sekundarstufe II als rückständig eingestuft werden. Neuerdings hält das LT als Online-Variante in Form von Weblogs Einzug in den Unterricht, das prinzipiell öffentlich einsehbar ist. Abgewandelte Formen von LT sind:

- Selbsteinschätzungsbogen: Als Vorform von LT gelten Selbsteinschätzungsbögen, die nur punktuell und in der Regel informell eingesetzt werden.
- Portfolio: Als mittlerweile populäres Instrument sammeln Lernende in einem PF repräsentative Dokumente (“showcase portfolio“), das mit interaktiv ausgestalteten Auswahl- und Beurteilungskriterien eine Alternative zur herkömmlichen Leistungsbeurteilung von Klausuren darstellt. Dabei ist die Form „nicht auf die Textform begrenzt; ebenso kann es gestalterische und filmische Beiträge enthalten“ . In einem “working portfolio“, das sich als Äquivalent zum LT erweist, werden Wachstum und Veränderung im Lernprozess und nicht das Lernprodukt gezeigt. Als solches wird das PF allerdings seltener genutzt.

2.3 Meine Möglichkeiten als angehender Lehrer

Die Einbettung von LT in den Unterricht liefert eine erzieherische Möglichkeit, sich als Schüler über eigene effektive Lernstrategien bewusst zu werden, wodurch sich sukzessive eine Handlungskompetenz anbahnt. Aus dem schriftlichen Dialog mit sich selbst erfährt er, wie sich sein Wissen aus persönlicher Perspektive konstruiert. Die Dokumentation des Lernprozesses liefert in einem weiteren Dialog zwischen dem Schüler und mir als Lernbegleiter eine Diagnosemöglichkeit, um Lernstände und Lernfortschritte zu erkennen und Rückschlüsse auf die individuelle Lernförderung zu ziehen.

Wird ein LT im Schulkollegium von weiteren Abnehmern unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen – beispielsweise durch Vorschalten des von mir verfassten Fragebogens – adaptiert, so wird damit eine Schulentwicklung vorangetrieben, die das stetige Innovieren von schulischer Arbeit aus der bottom-up-Perspektive sichert.

2.4 Ableitung der Konzeptualisierung

Weil „die Arbeit mit LT ihre Potenziale wenn überhaupt nur auf langfristiger Basis entfaltet und […] insbesondere der Lehrkraft die Aufgabe zukommt, den Einsatz […] zu fördern“ , gilt es, für die Einführung eines LT unter Einbezug des Lernverständnisses der Schüler – exemplarisch für den Bildungsgang ITA am BKR – dezidiert eine Lösung zu entwickeln. Es handelt sich demnach im zu entwickelnden Konzept um gebotene Einführungsstrategien. Weder ist damit eine Umsetzung gemeint, noch kann eine Evaluation erfolgen, obschon diese während (formativ) und nach dem Einsatz (summativ) unweigerlich folgen muss.

3 Handlungskontext für die Umsetzung meines Vorhabens

3.1 Rechtliche Rahmenbedingungen von Schule

Lehrplan und Richtlinien für die Berufsfachschule machen wenige Angaben zum SGL und dessen Umsetzungsmöglichkeiten. Aufgrund der Vielfalt in der Informationstechnik sind Qualifikationen kaum beschreibbar, sodass „solide Basiskompetenzen“ zu erlangen sind, denen die Selbstregulation unterstellt ist und die nach der Schullaufbahn den Übergang zum LLL erleichtern sollen. Denn die spätere Akquise neuen Wissens hat „arbeitgeberfreundlich“ und nach kurzer Einarbeitungszeit zu erfolgen. Für die Erlangung der FHR müssen bei den ITAs wissenschaftspropädeutische Methoden Anwendung finden, die SGL implizieren. Parallel verweist die Vorgabe darauf, „dass den Lernenden Zeit und Mittel für Übungen zur Verfügung gestellt werden müssen“ . Ein solches Mittel kann ein LT sein, das für den Programmieren-Unterricht geradezu prädestiniert ist, da wenige Schüler fachliche Vorkenntnisse mitbringen.

3.2 Wir sind eben noch nicht soweit! Selbstgesteuertes Lernen im Schulalltag

Mich hat das tradierte Lernverständnis der ITAs als Ausgangspunkt für meine Konzepterstellung interessiert, d. h. ist SGL bereits in ihren Köpfen? Warum gehen sie in die Schule und welche Ziele haben sie? Sind sie sich ihrer Lernstrategien bewusst? Vermutlich weisen die wenigsten ein konstruktivistisches Lernverständnis auf, indem sie beispielsweise Verständnislücken selbst identifizieren und beseitigen. Womöglich sieht auch ein Großteil der Lehrpersonen im Unterricht darüber hinweg, SGL zu praktizieren und einzufordern, weshalb den Schülern in der Summe unterstellt werden könnte, sie hätten aufgehört zu denken.

3.2.1 Ein Meinungsbild zum Lernverständnis in der Lerngruppe „Informationstechnische Assistenten“

Um dieses genauer zu überprüfen, ist es angemessen, die ITAs einer Befragung zu unterziehen. Allerdings geben Fragebögen nur Auskunft darüber, inwieweit das Wissen über Lernstrategien, Präferenzen sowie Stärken und Schwächen vorhanden ist, d. h. ob die Schüler die Voraussetzungen für SGL mitbringen. Ggfs. können das Wissen einerseits und die Anwendung andererseits divergieren.

Als Erhebungsmethode wurde mit Hilfe der freien Software GrafStat ein quantitativer Fragebogen für die ITAs vorbereitet. Impulse für die Fragenerstellung entstammen der Gegenüberstellung des alten mit dem neuen Lernparadigma sowie des Unterrichts mit und ohne LT (Anhang A). Der Fragebogen samt Grundauswertung ist im Anhang B abgebildet. Allerdings kann dieser keinen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen, obschon ich mich an den basalen Kriterien Objektivität, Reliabilität und Validität orientiert habe. Alles in allem handelt es sich in diesem Fall ausschließlich um ein Meinungsbild, das keine Generalisierungen erlaubt.

Eine ausführliche Diskussion der Ergebnisse findet sich im Anhang C wieder. Vergleichend wurde der Fragebogen in der EEU erhoben, in der ich unterrichte. Die Mutmaßungen dieser nicht-repräsentativen Befragung deuten darauf hin, dass in jeder Lerngruppe andere Lernschwierigkeiten auftauchen. Aus diesem Grund wird Wert darauf gelegt, dass das LT nicht einfach für jede Lerngruppe adaptierbar ist, sondern fallweise konkrete Handlungsstrategien notwendig machen. Folgende wichtige Erkenntnisse konnte ich gewinnen:

- Die ITAs erkennen die Eigenverantwortlichkeit des Lernens an, wohingegen die Elektroniker den gleichen Anteil des persönlichen Lernerfolgs dem jeweiligen Lehrer beimessen.
- Die ITAs interessieren sich verstärkt für den Lernprozess und stehen Fehlern positiver gegenüber als die Elektroniker. Fehler sind für beide Lerngruppen selbstverständlicher Bestandteil des Lernprozesses.
- Die Elektroniker interessieren sich vermehrt für Klausur- und Zeugnisnoten und weniger für den Lösungsweg. Anders bei den ITAs: Sie sind ebenso am Lösungsweg interessiert.
- Weder die ITAs noch die Elektroniker haben eine Vorstellung darüber, was ein LT ist und können dessen Nutzen überhaupt nicht einschätzen. In ihrer vorgefassten Meinung sehen sie in diesem Instrument nur eine weitere Möglichkeit der Leistungsbeurteilung.
- Ein LT hat bis auf einen ITA-Schüler noch niemand geführt, wobei dieser schlechte Erfahrungen damit gemacht hat.
- Bei Lernschwierigkeiten holen sich die ITAs und Elektroniker Hilfe und Rat überwiegend bei ihren Mitschülern und Eltern – ein Indiz dafür, dass sie jedweden Kontakt mit dem Lehrer als denkbare Bewertungssituation einstufen.
- Die Schüler beider Lerngruppen äußern sich nicht besonders positiv über das Lernen. Wenn es eben geht, soll es sich auf den Ort „Schule“ und den Zeitraum „vormittags“ beschränken. Diese Einschätzung ist bei den Elektronikern weitaus höher als bei den ITAs.
- ITAs machen ihr Selbstbewusstsein überwiegend an den Lernerfolgen in der Schule fest. Bei den Elektronikern konzentriert sich dies auf den Freundeskreis oder das Elternhaus, was wenig verwundert, denn sie sind mehr im Ausbildungsbetrieb als in der Schule.
- Viele Schüler haben keine metakognitiven Fähigkeiten und sind sich über ihre Lernstrategien nicht im Klaren. Bei den Elektronikern ist dieses Ergebnis eindeutiger als bei den ITAs. Allerdings sehen die ITAs in erster Linie die Notengebung als Grund für das Lernen und haben noch nicht die Nachhaltigkeit des Lernens im Sinne eines LLL im Blick.
- Das Berichtsheft hat einen geringen Stellenwert bei den Elektronikern. Entweder betrachten sie es als sinnlos oder als „Eintrittskarte“ für die Zulassung zur Abschlussprüfung.

Die Lerngruppe ITA bringt erhöhte Voraussetzungen zum SGL mit, die sich mit einem LT sinnvoll kanalisieren lassen – im Besonderen auch deshalb, weil Online-Varianten des LT bereitstehen. Zwar bedeuten die Erhebung und Auswertung mit GrafStat einen hohen Aufwand, der aber durch dessen Effizienz wettgemacht wird, weil dadurch eine Reihe unreflektierter Haltungen vor der Einführung identifiziert werden.

3.2.2 Lehrergespräche: Welche Kollegen setz(t)en Lerntagebücher ein?

Am BKR unterrichten momentan 137 Lehrer . Im Rahmen der Hausarbeit habe ich im Kollegium einen Aushang gemacht, wer aktuell oder in der Vergangenheit mit LT zu tun hatte. Eine Kollegin hat sich gemeldet. Von einem Kollegen wusste ich vom Einsatz eines LT in seinem Unterricht. Die Kollegin unterrichtet in der SSO in der Berufsfachschule (APO-BK Anlage B), der Kollege in der Klasse 11 des Beruflichen Gymnasiums den Leistungskurs Maschinenbautechnik (APO-BK Anlage D). Deren Erfahrungen mit dem Instrument sind im Anhang D einzusehen. Es verwundert wenig, dass Monitoring-Instrumente wie das LT ein Schattendasein führen. Zweifelsohne müssen die Lehrenden dem LT offen gegenüberstehen, was bei einer Quote von 1,5 Prozent Lehrern am BKR nicht gegeben ist. Ein Grund könnte in der Berufsbiographie der Lehrer liegen, denen sicherlich umfassende Diagnosefähigkeiten fehlen: „Wer in seiner Ausbildung keine Gelegenheit hatte, die Werkzeuge seines geistigen Tuns selbstständig aufzubauen, der hat Mühe, das Schülerverhalten beim Problemlösen richtig zu deuten und Stärken und Schwächen zu orten.“ Lehrer müssen über den Sinn und Zweck eines LT aufgeklärt werden, wozu das zu entwickelnde Konzept beitragen soll. Zusammenfassend wird erkennbar, dass es ein schwieriger Weg wird, bis sich die Lehrerrolle vom „sage on the stage“ zum „guide on the side“ verschoben hat.

3.3 Institutionelle Voraussetzungen

Für die Einführung eines LT müssen die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt werden. Ich halte mich an die Maßgabe, dass die technische Hürde niedrig und das Instrument benutzerfreundlich sein muss. So bietet es sich an, LT-Seiten in vorbereiteten Kopien bereitzuhalten. Alternativ können sich die ITAs ein Schulheft mit Hardcover zuzulegen, das als LT fungiert. Zu favorisieren ist die zweite Variante aus Gründen einer gesteigerten Wahrnehmung.

Seit dem Schuljahr 2003/2004 wird jeder ITA am BKR mit einem eigenen Notebook ausgerüstet, das als Arbeitswerkzeug stark in das Unterrichtsgeschehen integriert ist. Darüber hinaus steht ein komfortables Schulnetz zum bequemen Datenaustausch per WLAN zur Verfügung. Weil ich im weiteren Verlauf noch auf Weblogs eingehe, sind die technischen Gegebenheiten sowohl anwender- als auch netzwerkspezifisch ideal. Natürlich können jederzeit technische Pannen auftreten, allerdings hat sich die Verfügbarkeit der Notebooks im Unterricht als sehr robust mit niedrigen Ausfallzeiten erwiesen.

Die noch zu ergänzende technische Infrastruktur ist marginal. Idee ist, die Blogs nicht zwingend im Schulnetz zu veröffentlichen, sondern die Einträge lokal auf einem eigenen USB-Stick mit Hilfe freier Software zu verwalten. Einerseits werden keine Softwarelizenzen fällig, zum anderen befinden sich die Preise für USB-Massenspeicher im freien Fall. Mehr noch: Führen die Schüler ihren USB-Stick permanent mit sich, sind sie prinzipiell in der Lage, ihre Blogs überall zu editieren. Der Lehrer kann den USB-Stick temporär für eigene Recherche ausleihen und ebenfalls zu Hause editieren. Aus diesem Grund habe ich mich für XAMPP mit WordPress als Plugin entschieden. Vorteilhaft bei der Online-Variante ist ferner, dass sich Kopierpapier einsparen lässt und Web 2.0-Medien das Potenzial besitzen, zum selbstverständlichen Bestandteil des Lernens zu werden. Resümierend sind die ITAs für den Einsatz von onlinegestützten LT prädestiniert, weil bei ihnen von einer hohen Eingangsmotivation bezüglich Computertechnologie ausgegangen werden kann.

4 Schritte zum Einsatz eines Lerntagebuchs

4.1 Einführung vor dem Hintergrund des Meinungsbildes

Bisher liegen noch keine elaborierten Einführungsstrategien für LT vor. Entweder beziehen sich Studien auf die Arbeit mit PF – wenn auch sie keine verallgemeinerbaren Aussagen erlauben – oder die Ergebnisse von Studien unterschiedlicher Zielgruppen weisen in verschiedene Richtungen. Beispielsweise konnten Frauen zur beruflichen Neuorientierung ihre Selbstregulationsstrategien und Problemlösekompetenzen erweitern. WINTER und HOFER weisen nach, dass Studierende bei Wissenstests signifikant besser abschnitten und „mehr Lernzeit zur Prüfungsvorbereitung […] als die Studierenden der Kontrollgruppe“ aufbrachten. Jedoch kann bei dieser Klientel per se eine Lernbereitschaft angenommen werden und in Studium und Arbeitswelt ist die Beziehungsebene nachrangig. SCHETT stößt mit dem LT auf grundsätzliche Akzeptanz bei seinen Schülern, die die Eintragungen gleichzeitig als „lästige Pflicht“ abtaten. Ähnliche Studien ergaben, dass – analog zu den Erfahrungen in der GOST am BKR – Lernprozesse wenig differenziert (z. B. keine Suche alternativer Lösungswege) und lediglich formalgerecht verschriftlicht wurden (z. B. übersichtliche, saubere Darstellung). Wiederum andere Studien heben positive Effekte hervor: als Quelle der Motivationssteigerung, der bewussteren und nachhaltigeren Verarbeitung von Lerninhalten oder der Korrelation mit besseren Kursergebnissen usw..

Da also keine eindeutigen Befunde zur Wirksamkeit von LT existieren, sollte vor dem Hintergrund des Meinungsbildes die intensive Einbindung in den Unterricht bei Inbeziehungsetzen zum Unterrichtsgegenstand, die anfängliche Anleitung und Beratung bei Verzicht auf zu umfangreiche Vorgaben sowie die Anerkennung der Leistung bei gleichzeitiger Notenfreiheit Berücksichtigung finden, was in den weiteren Ausführungen in relevanten Strategiemerkmalen konkretisiert wird. Bezogen auf die Lerngruppe ITA ist ein LT-Einsatz aus zwei entscheidenden Gründen zu befürworten: Zum einen scheinen sie erkannt zu haben, dass sie für ihr Lernen selbst verantwortlich sind (siehe F 1), auch wenn sie augenscheinlich noch nicht danach handeln (siehe Beispiele Olaf und Thomas). Zum anderen bietet ein Weblog als Online-LT einen hoch affinen Bezug zu ihrer Lebens- und Berufswelt, sodass die Computertechnik schon jetzt als zentrales Medium ihres Lernens betrachtet werden kann, die – produktiv eingesetzt – SGL begünstigt (siehe Beispiel Martin).

4.1.1 Die Erwartungshaltung der Schüler

Ein LT ist einfach einzuführen, ohne über das Wie nachzudenken, was vermutlich zu Abbruchverhalten führt, weil Misserfolge aufgrund rückständiger reflexiver Fähigkeiten wahrscheinlich sind. Außerdem wird das ursächliche Motiv eines LT torpediert, weil die ITAs – unwissend, was ein LT angeht – das Instrument in der Ecke allgegenwärtiger Beurteilungen verorten. Zunächst einmal ist eine intrinsische Motivation zum Schreiben unabdingbar. Leider bringen die ITAs per se wenig Schreibexpertise mit, was noch dadurch verstärkt wird, dass sie überwiegend mit ihrem Notebook Lerninhalte sichern. Dabei muss ihnen deutlich gemacht werden, dass sie im LT ihre singuläre Sprache verwenden sollen, die erst später von der regulären Sprache im Austausch abgelöst wird. Ersteres machen sie ohnehin schon in Chats, E-Mails oder SMS, was den Zugang zum Schreiben insgesamt erleichtern würde. Ideal wäre die Kooperation mit den Deutsch-Kollegen. Laut Didaktischer Jahresplanung steht in der Unterstufe kreatives Schreiben in den Themenbereichen Lyrik und Rhetorik auf der Agenda. Dieses ließe sich auf das LT beziehen, was die Auseinandersetzung sicherlich erleichtern würde.

Von überragender Bedeutung ist folgender Zusammenhang: Wenn die ITAs das Lernen immer noch als einen vom Lehrer initiierten Prozess betrachten, weil ihre metakognitiven Strategien rückständig sind, geht es im Kern darum, die Motive zu verdeutlichen und Vorbehalte aufzufangen, anstatt nicht zu wissen, worum es geht (F 10). Warum lohnt es sich, über das Lernen nachzudenken? Eine Seite 0 im LT oder ein rekursiver Eintrag im Blog bietet sich an, wo die Antwort auffindbar ist. Nur über das Lernen nachzudenken, wird schnell mühselig. Denn zu erwarten ist eine anfängliche Konsumhaltung aufgrund tief verankerter und relativ stabiler Lernvorstellungen. Um sie aufzubrechen, müssen die Schüler mit verschiedenen Lernstrategien umzugehen lernen und – das ist entscheidend – auf den „authentischen Nutzungs- und Anwendungskontext“ abgestimmt sein. Beides lässt sich mit dem LT im Programmieren-Unterricht erreichen, womit ein Steuerungsprozess auf individueller Ebene (Wie lerne ich am Besten?) und auf inhaltlicher Ebene (Was lerne ich?) angesprochen wird.

Darüber hinaus fließen situativ-institutionelle Lernbedingungen ein, d. h. in welchem Tempo, an welchem Ort, zu welcher Zeit, mit welchem Partner, mit welchem Lerncoach gelernt wurde. Das widerstrebt der Vorstellung, dass das LT als etwas Zusätzliches, Angehängtes gedeutet wird. Entscheidend ist die sinnvolle Integration in den Unterricht und die Verdeutlichung der Prozesshaftigkeit des Lernens, indem Lernstrategien erschlossen und optimiert werden. Die Freiräume, die dafür geschaffen werden müssen, lassen die von zentralen Abschlussprüfungen begrenzten Stundenvolumina prinzipiell nicht weiter verknappen, was wichtig ist.

Anfangs sind in jedem Fall flankierende Trainingsmaßnahmen – durch Nennung und Visualisierung beispielhafter Lernstrategien oder Tagebucheinträge – erforderlich, um die Intervention und Akzeptanz eines LT zu erhöhen. LANDMANN und SCHMITZ konstatieren: „Von einem alleinigen Einsatz von […] Tagebüchern ohne jegliche begleitende Maßnahme ist […] abzuraten“. Weiterhin kann den ITAs das Leitmotiv vom SGL und LLL z. B. als „Papierschnipsel“ aus wissenschaftlichen Gutachten dargestellt werden, um die Relevanz für den Unterricht zu plausibilisieren. Ein Verständnis dafür haben sie, allerdings ist das erst notwendige, wenngleich noch nicht hinreichende Bedingung für den geordneten Einsatz der Lernstrategien. Als Schnittstelle zwischen SGL und Wissen über effektives Lernen fungiert dann das LT.

Dass all dies Zeit bedarf, ist nicht von der Hand zu weisen. Insbesondere muss den Schülern eine Kosten-Nutzen-Relation des Instruments dargelegt werden, wodurch die Motivation und Selbstdisziplin ins Blickfeld rückt. Auch diese Sachlage bietet sich für die Seite 0 an. Durch die Eintragungen wird der Schüler regelmäßig an das Lernen erinnert, jedoch muss rechtzeitig eine Erfolgskurve sichtbar werden. LANDMANN und SCHMITZ schlagen vor, Variablen wie Lernpensen (vor Klassenarbeiten, usw.), Zielerreichungsgrade (an Wochentagen, usw.) oder Belastungsgrößen grafisch aufzubereiten. Aus eigenen positiven Erfahrungen lässt sich die Strategie empfehlen, Lernzeit zu messen. Die Ergebnisse können mit Microsoft Excel weiter verarbeitet werden, ist das Programm doch Bestandteil der Didaktischen Jahresplanung im Fach Datenbanken, wodurch ebenso eine Fächerverbindung hergestellt wird.

Weiterhin sollte sich eine Erprobung der Lernstrategien zunächst auf wenige konzentrieren, die dann ausgiebig geübt werden. An dieser Stelle bieten sich Ausfüllroutinen an, d. h. die Eintragungen werden hinsichtlich des Zeitpunktes und der Leitfragen „ritualisiert“. Beispielsweise haben die ITAs im ersten Ausbildungsjahr wöchentlich zwei Selbstlernstunden. Stichproben haben ergeben, dass sie selten ihre Hausaufgaben machen, sondern überwiegend in Computerspielen miteinander wetteifern. Es wäre nahezu ideal, wenn die ITAs in dieser Zeit ihre Eintragungen vornehmen; nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass definitiv ein eigenes Produkt erstellt wird, dessen Ergebnis Schüler und Lehrer beim Dialog vor Augen haben. Des Weiteren wäre der Lehrer nicht zugegen, womit der Vorstellung entgegengewirkt wird, dass das LT als Bewertungsinstrument missbraucht wird oder der Schüler schreibt, bloß weil der Lehrer „über die Schulter schaut“. In den Selbstlernphasen können Kooperationen unter den Schülern helfen, untereinander Unsicherheiten zu klären oder Misstrauen abzubauen. Dadurch können die ITAs dem LT eine ähnliche Akzeptanz wie einem Spiel entgegenbringen.

4.1.2 Der Mehraufwand für alle Beteiligten

Da aus dem Meinungsbild hervorgeht, dass einige ITAs zu Hause ihren Schulaufgaben wenig Bereitschaft entgegenbringen (F 4), dürfte das LT mit seinem Zeitaufwand zunächst negativ konnotiert sein. Notwendigerweise müssen die Schüler zu Anfang das LT am Lernort Schule ausfüllen. Aber mit der Zeit sollte das auch zu Hause geschehen, was in Beziehung zu den Hausaufgaben stehen muss. Das kommt solchen Schülern zu Gute, die dem Schreiben Intimität beimessen. Alles in allem sollte das Prozessmodell des Lernens von SCHMITZ angewendet werden, wobei der Lernort sekundär ist. In der präaktionalen Phase steht die Volition im Zentrum. In der aktionalen Phase wird danach gefragt, ob sich der Schüler abgelenkt fühlte, wie er vorgegangen ist, wie viel Zeit er benötigt hat, welche Strategien er angewendet hat. In der postaktionalen Phase wird der Lernprozess reflektiert und die emotionale Gestimmtheit thematisiert. Vor und nach dem Lernen werden jeweils Eintragungen vorgenommen.

Dieses Modell zur „Lernprozessbeobachtung“ erscheint mir angemessen. Inhalte werden nicht doppelt bearbeitet, sodass eine Resignation gar nicht erst geschürt wird. Hilfreich sind Leitfragen, die die Selbstreflexion forcieren. Um den Schülern die Arbeit mit dem LT zu erleichtern, sollte bei Zeiten eine Variation in der Fragestellung vorgenommen werden. Zunächst bieten sich geschlossene Fragen mit Items wie Zustimmung (ja/nein), Häufigkeit (nie/gelegentlich/immer), usw. kombiniert mit offenen Fragen an, denn das Schreiben findet bei den ITAs wenig Anklang. Dauerhaft werden nur noch offene Fragen gestellt, weil sie reichhaltige, komplexe Antworten liefern und dadurch reflexiv auf das eigene Verhalten Einfluss genommen wird. Vorschläge sind im Anhang E aufgeführt. Damit würde sich die neue Lernkultur endlich auf den komplexen Stufen in der Lerntaxonomie nach BLOOM verorten, indem durch reflexives Denken und Handeln die Analyse, Synthese und Evaluation von Lernprozessen verstärkt zur Geltung kommt.

Aus den Einträgen ergibt sich ein Ausgangspunkt für Dialoge mit sich selbst, Eltern, Mitschülern und im Besonderen mit Lehrern, sodass geklärt werden muss, wie häufig das LT vom Lehrer gelesen und auf welche Weise es kommentiert wird. Da die Spanne der Einträge weitreichend ist, sollte meines Erachtens zunächst ein wöchentlicher Eintrag über mindestens ein Fach (Programmieren) in der Selbstlernphase vorgenommen werden. Der Lehrer muss zeitnah ein schriftliches oder mündliches Feedback geben, weil auf diesem Wege die Arbeit mit dem LT anerkannt wird und grundlegend für weitere (mündliche) dialogische Gespräche über Förder- und Entwicklungsmöglichkeiten ist.

[...]

Ende der Leseprobe aus 67 Seiten

Details

Titel
Konzeption einer Einführung eines Lerntagebuchs auf der Grundlage des Lernverständnisses in der Lerngruppe „Informationstechnische Assistenten“ an einem Berufskolleg
Hochschule
Studienseminar für Lehrämter an Schulen – Münster II Seminar für das Lehramt an Berufskollegs
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
67
Katalognummer
V150891
ISBN (eBook)
9783640625444
ISBN (Buch)
9783640625185
Dateigröße
2011 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lerntagebuch, selbstgesteuertes Lernen, selbstreguliertes Lernen, Lerncoaching, Edublog
Arbeit zitieren
Torsten Strecke (Autor:in), 2009, Konzeption einer Einführung eines Lerntagebuchs auf der Grundlage des Lernverständnisses in der Lerngruppe „Informationstechnische Assistenten“ an einem Berufskolleg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150891

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