Medien in politischer Hand

Indikator einer funktionalen Diffusion?


Seminararbeit, 2010

23 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Zum Verhältnis von Politik und Massenmedien
2.1 Das politische System
2.2 Das Massenmediensystem
2.3 Strukturelle Kopplung von Politik und Massenmedien

3. Stufen funktionaler Difffusion
3.1 Vorbemerkung
3.2 Totalitäre Gleichschaltung: Drittes Reich
3.3 Autoritäre Lenkung: Das moderne Russland
3.4 Telekratie? Italien unter Berlusconi
3.5 Medien in Parteibesitz: Der Fall Neue Westfälische

4. Fazit und Ausblick

5. Quellenverzeichnis

Abstract

Kennzeichnend für die funktional differenzierte Gesellschaft sind autonom operierende Funktionssysteme, zu denen auch Politik und Massenmedien zählen. Dies bedeutet zugleich, dass eine Steuerung des einen Systems durch das andere unmöglich ist. Diese Arbeit versucht nun die Frage zu beantworten, ob es vor diesem Hintergrund ein Merkmal funktionaler Diffusion ist, wenn Medienunternehmen sich im Besitz von Parteien oder einzelnen Politikern befinden. Hierfür wird ein Stufenmodell möglicher funktionaler Diffusion aufgestellt, das sich aufgliedert in vier Stufen: 1.) totalitäre Gleichschaltung (Beispiel Drittes Reich), 2.) autoritäre Lenkung (Beispiel Russland), 3.) Medienkonzerne unter politischer Kontrolle (Beispiel Berlusconi) sowie 4.) einzelne Medienunternehmen in politischem Besitz (Beispiel „Neue Westfälische“). Anhand dieser Skala wird der Versuch einer theoretischen Einordnung der Beispiele und somit der Beantwortung der Ausgangsfrage unternommen.

1. Einleitung

Funktionale Differenzierung des Gesellschaftssystems bedeutet zugleich Autonomie seiner Funktionssysteme (vgl. Brodocz 2003: 80). Dies ist die Grundlage jeder systemtheoretischen Betrachtung nicht zuletzt auch des politischen Systems, dessen Rolle sich damit deutlich verändert hat, seit ihm nicht länger das Primat obliegt, steuernd in die Gesellschaft hineinzuwirken. Andere relevante Funktionssysteme wie Wirtschaft, Wissenschaft, Recht oder eben auch die Massenmedien sind operativ geschlossen und somit nicht mehr politisch steuerbar. Die Folgen, die sich daraus für die Rolle des politischen Systems ergeben, können wir etwa im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wiedererkennen. Grundlegende Bürgerrechte und Prinzipien wie Freiheit der Kunst, Freiheit der Wissenschaft oder eben Pressefreiheit sind nichts anderes als Mittel des Rechtssystems, die Politik zu „disziplinieren“ und sie beständig an die Grenzen ihrer Einflussoptionen zu erinnern. Die Verfassung dient somit als strukturelle Kopplung von Politik und Recht, die gerade ersteres Funktionssystem beständig „in Grenzen“ hält und über die Grundrechte die Autonomie der anderen Funktionssysteme vor illegitimen Steuerungsversuchen der Politik schützt. Begreift man Demokratie nicht bloß in einem engeren Sinne – dem der bloßen politischen Partizipation – sondern in diesem beschriebenen, erweiterten Sinne eines „gezügelten Staates“, so lässt sich somit funktionale Differenzierung durchaus als Grundvoraussetzung dafür ansehen, dass das politische System mit der Selbstbeschreibung der „Demokratie“ operieren kann.

So wie sich in der politischen Kommunikation tagtäglich neu die Frage stellt, wie perfekt die Demokratie tatsächlich ausgeprägt ist, wo sie Defizite aufweist und ab welchem Punkt womöglich gar nicht mehr von Demokratie die Rede sein kann, so stellt sich – mit der im ersten Absatz beschriebenen Prämisse im Hinterkopf – letztlich die gleiche Frage hinsichtlich funktionaler Differenzierung. Existieren Fälle, bei denen man trotz Vorhandensein einer funktional differenzierten Gesellschaft von kleinen oder großen funktionalen Diffusionsprozessen ausgehen muss? In dieser Arbeit stelle ich die These auf, dass die vorausgegangene Frage zu bejahen ist und untersuche sie mit Hilfe eines Stufenmodells funktionaler Diffusion. So werde ich, im Anschluss an den einführenden (system-) theoretischen Teil zum Verhältnis von Politik und Massenmedien in der Gesellschaft, vier Fälle geringer bis erheblicher funktionaler Diffusion heranziehen: Das erste Beispiel, die Gleichschaltung im totalitären Staat des „Dritten Reiches“, zeigt die absoluteste Variante moderner funktionaler Diffusion auf, die möglich ist. Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Lenkung der Medien im autoritären Staat des heutigen Russland. Im dritten Beispiel wird auf den Fall Berlusconi in Italien Bezug genommen, wo sich ein ganzer Medienkonzern in politischem Besitz befindet. Das vierte Beispiel zeigt den Fall der deutschen Regionalzeitung „Neue Westfälische“, die sich mehrheitlich im Besitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands befindet. Abschließend wird ein Fazit gezogen, in welchem die Stichhaltigkeit der aufgestellten These bewertet wird.

2. Zum Verhältnis von Politik und Massenmedien

2.1 Das politische System

Im Folgenden soll in Kürze eine Zusammenfassung derjenigen Eigenschaften des politischen Systems erfolgen, welche für das Verhältnis zu den Massenmedien von besonderer Relevanz sind.

Die Codierung des Systems in das Gegensatzpaar Macht / Nicht-Macht verhilft dem System zu Identität, indem sie Kriterien für Selektivität der politischen Kommunikation festlegt. Alles, was ist, d.h., was beobachtet wird, ist für das System entweder machtdienlich oder eben machtgefährdend. Alles andere wird als „Hintergrundflimmern“ ausgeblendet und durch den Code gewissermaßen aussortiert: „Ein Code schafft und dirigiert zugleich die Entscheidungsfreiheiten eines Systems“ (Luhmann 2000: 88). Dies trägt dazu bei, dass das System auch seine Grenzen festlegt: Es wird festgelegt, worüber es kommuniziert und worüber nicht. Es grenzt sich also von der Umwelt ab und erhält dadurch Identität.

Eine überaus wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die interne Differenzierung in Zentrum und Peripherie, welche die im System ablaufenden Kommunikationen ordnet. Die Grundproblematik der politischen Kommunikation besteht in der Frage, „wie man die Komplexität des Systems steigern kann, ohne die Entscheidungsfähigkeit, also ohne die Funktion des kollektiv bindenden Entscheidens zu beeinträchtigen“ (ebd.: 245). In der Sprache der politischen Selbstbeschreibung formuliert: Wie ist es zu schaffen, einerseits eine grundlegende Handlungsfähigkeit der Politik zu gewährleisten (d.h., zu schnellen und so vollständig wie möglich durchdachten, kollektiv bindenden Entscheidungen zu kommen), und andererseits demokratischen Anforderungen nachzukommen, indem die Möglichkeit der Partizipation des Einzelnen sichergestellt wird und die Politik somit eine generelle Offenheit nach außen zeigt? Wie lässt sich damit umgehen, ohne das System zu überladen? Für Luhmann liegt die Antwort nun in der internen Differenzierung: „Das läßt sich erreichen, indem man eine Zentralorganisation, eben den „Staat“, einrichtet, für die alle anderen politischen Organisationen dann Zulieferungsdienste erbringen“ (ebd.: 245).

Der Staat bzw. das, was im systemtheoretischen Machtkreislauf als Verwaltung bezeichnet wird, stellt das Zentrum dar, dessen Aufgabe das kollektiv bindende Entscheiden ist und welches hierarchisch aufgebaut ist, um dadurch Handlungsfähigkeit zu gewährleisten. Die politische Kommunikation des Zentrums erfolgt meist schriftlich, was Verbindlichkeit sichert und Entscheidungen erst kollektiv bindend macht. So kann man beispielsweise sicher sein, dass von offizieller mündlicher Kommunikation im Zentrum (Sitzungen) in der Regel Protokolle erstellt werden.

Dem gegenüber bezeichnet die Peripherie nun den Teil des Systems, der die besagten „Zulieferungsdienste“ für das Zentrum erbringt. Das Zentrum bleibt arbeitsfähig dank des „Filters“ der Peripherie: Hier sind Parteien, Verbände und andere politische Akteure angesiedelt, die nicht kollektiv bindend entscheiden, sondern diskutieren und thematisieren, was entschieden werden kann oder sollte und was nicht. Das Zentrum wird somit entlastet und Komplexität reduziert, andererseits liefert die Peripherie ihm aber den nötigen Input, indem sie darüber Auskunft zu geben vermag, welche Fragen und Themen momentan verbindlich bearbeitet werden müssen. Die Kommunikation der Peripherie verläuft eher unverbindlich und nicht selten lediglich mündlich, um ein höchst mögliches Maß an Offenheit zu gewährleisten. Diese Kontingenz ermöglicht „Wunschvorstellungen und klientelorientierte Dramatisierungen“ (ebd.: 246), was die Legitimation der Politik erhöht: Je freier und „utopiefreundlicher“ die Diskussionen sind, desto mehr steigert das zumindest den Anschein möglicher Partizipation und Offenheit gegenüber dem politischen Publikum. Insbesondere im Hinblick auf die strukturelle Kopplung mit dem Mediensystem spielt die politische Peripherie eine erhebliche Rolle. Näheres dazu folgt in Abschnitt 2.3.

2.2 Das Massenmediensystem

Die Massenmedien sind codiert durch die Unterscheidung Information / Nicht-Information. Alles, was beobachtet wird, wird auf seinen Informationsgehalt hin beobachtet. Ob ein bestimmtes Ereignis möglicherweise machtgefährdend für die Politik ist, wird vom Mediensystem nur dann wahrgenommen, wenn darin noch eine Information erkannt werden kann. Damit geht natürlich auch eine Bindung an die Zeit einher, da Informationen irgednwann veraltet sind und ab dem Moment keine mehr darstellen: „Mit anderen Worten: Das System veraltet sich selber. Fast könnte man daher meinen, es verwende letztlich den Code neu / alt, gäbe es nicht auch andere, sachliche Gründe, eine Information nicht zu bringen“ (Luhmann 2004: 42). Der Code ist also ursächlich dafür, „daß die Operationen des Systems ständig und zwangsläufig Information in Nichtinformation verwandeln“ (ebd.: 41). Auch hier gilt: Die Codierung setzt die Grenzen des Systems. Die Identität des Mediensystems ergibt sich durch die Abgrenzung zur Umwelt, die es durch die vom Code aufgestellten Selektionskriterien seiner Kommunikation erfährt.

Das System ist wie auch die Politik intern differenziert, und zwar in die drei Bereiche Werbung, Unterhaltung und Nachrichten. Im Folgenden werde ich mich auf eine Darstellung des letzteren Bereichs beschränken, da in erster Linie er für das Thema dieser Arbeit relevant ist – das Verhältnis von Politik und Werbung bzw. von Politik und Unterhaltung sind zwei eigene große Komplexe, denen man gesondert Aufmerksamkeit schenken müsste.

Im Bereich der Nachrichten findet das statt, was gemeinhin als Journalismus bezeichnet wird, weswegen er für diese Arbeit der zentrale Beobachtungsgegenstand ist. Luhmann ordnet diesem Bereich nun verschiedene „Selektoren“ zu, welche die Kommunikation in diesem Systemteil prägen (vgl. ebd.: 58 ff.). Erstens: „Die Information muss neu sein. Sie muß mit bestehenden Erwartungen brechen“ (ebd.: 58). Zweitens: Konflikte sind ungewiss, erzeugen daher Spannung und werden deswegen bevorzugt. Drittens: Quantitäten besitzen besonderen informationellen Wert, insbesondere wenn man Vergleichszahlen heranzieht, die etwas in Relation setzen (beispielsweise die Arbeitslosenquote vom letzten und von diesem Jahr). Viertens: Nachrichten, bei denen andere Selektoren nicht oder wenig greifen, brauchen dafür lokalen Bezug. Fünftens: Normverstöße entfalten besondere Attraktivität, da sie emotionalisieren und so die Resonanz verstärken – nicht nur bei Rechts-, sondern insbesondere auch bei Moralverstößen (Stichwort „political correctness“). Sechstens: Wenn den Normverstößen auch moralische Bewertungen folgen können, entfalten sie besondere Anziehungskraft: „Insofern haben die Massenmedien eine wichtige Funktion in der Erhaltung und Reproduktion von Moral“ (ebd.: 64), auch wenn von ihnen natürlich keine moralische Autorität über die Gesellschaft zu erwarten ist. Siebtens: Die Nachricht muss auf Handlungen und Personen zurechenbar sein. Die Medien übernehmen damit die Aufgabe der Komplexitätsreduktion, indem sie Ereignisse auf diese Weise fokussieren: Auch wenn etwa für ein neues Gesetz eigentlich ein ganzes Ministerium verantwortlich ist, so ist es doch meist der Minister, der dafür medial in den Blick genommen wird. Achtens: Nicht selten nutzt man das Prinzip der Rekursivität – es wird auf vorangegangene Ereignisse Bezug genommen, um den Nachrichtenwert zu steigern. So kann etwa eine kleinkriminelle Handlung eines Prominenten einen höheren Nachrichtenwert haben, wenn es die zweite oder dritte in Folge ist. Neuntens: Die Äußerung von Meinungen kann ausschlaggebend sein, besonders, wenn sie von Prominenten getan wird. Dabei ist der Nachrichtenwert umso höher, wenn in der Meinungsäußerung die bisher beschriebenen Selektoren Beachtung finden. Zehntens: Die Tatsache, dass es Organisationen sind, die die Selektion vornehmen, hat ebenfalls Folgen für die Selektion als solche, da damit bestimmte Faktoren einher gehen, die diese beeinflussen – wie etwa jeweils freie Sendeminuten oder Spalten, Arbeitszeit und Redaktionsschluss (welche Ereignisse werden wann erfasst und verarbeitet?) usw. Dieser Selektor hat somit Einfluss auf alle anderen, vorgenannten Selektoren.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Medien in politischer Hand
Untertitel
Indikator einer funktionalen Diffusion?
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Soziologie)
Veranstaltung
Politische Kommunikation und öffentliche Meinung
Autor
Jahr
2010
Seiten
23
Katalognummer
V150732
ISBN (eBook)
9783640622207
ISBN (Buch)
9783640622719
Dateigröße
578 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Medien, Hand, Indikator, Diffusion
Arbeit zitieren
Florian Sander (Autor:in), 2010, Medien in politischer Hand, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150732

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