Psychologische Theorieansätze der Mitarbeiterauswahl


Studienarbeit, 2003

56 Seiten, Note: 1,9

Ludwig Schwartz (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Überblick Personalauswahl
2.1 Personalwirtschaft im betriebswirtschaftlichen Kontext
2.2 Personalauswahl als Teilfunktion der Personalwirtschaft
2.3 Einflussfaktoren der Personalwirtschaft
2.3.1 Globalisierung und Internationalisierung
2.3.2 Technologischer Fortschritt
2.3.3 Konjunkturelle Rahmenbedingungen
2.3.4 Wertewandel
2.4 Bedeutung der Personalauswahl
2.4.1 Im individuellen Kontext
2.4.2 Im organisationalen Kontext
2.4.3 Konsequenzen

3. Grundlagen der psychologischen Personalauswahl
3.1 Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige Trends
3.2 Theoretische Grundlagen
3.2.1 Leistungsunterschiede
3.2.2 Persönlichkeitsmerkmale und Konstrukte
3.2.3 Konstanz und Variabilität
3.2.4 Person und Organisation
3.2.5. Arbeits- und Anforderungsanalyse

4. Instrumente der psychologischen Personalauswahl
4.1 Auswertung der Bewerbungsunterlagen
4.2 Interviews
4.3 Biografische Fragebögen
4.4 Testverfahren
4.4.1 Intelligenztests
4.4.2 Leistungstests
4.4.3 Persönlichkeitstests
4.5 Arbeitsproben
4.6 Assessment Center
4.7 Computergestützte Verfahren

5. Entscheidung und Evaluation
5.1 Auswahl und Klassifikation
5.1.1 Zuordnungs- und Veränderungsmodell
5.1.2 Expertenmodell
5.1.3 Präzisionsmodell
5.1.4 Nutzenmodell
5.2 Validität
5.2.1 Inhaltsvalidität
5.2.2 Kriteriumsbezogene Validität
5.2.3 Konstruktvalidität
5.2.4 Exkurs: Beispiel einer dreidimensionalen Validierung
5.3 Betriebswirtschaftliche Effizienz
5.4 Akzeptanz
5.5 Ethische und rechtliche Aspekte

6. Schlussbetrachtung

Abbildungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Meine Existenz hing davon ab, mein ganzes Leben; dann haben sie mich Sachen gefragt, die ich gar nicht verstehe, aber ich hab alles richtig beantwortet.“1

Diese Zitat mag wohl treffend das öffentliche Verständnis der psychologischen Mitarbeiter- bzw. Personalauswahl wiedergeben. Die Komplexität des Themas, besonders in Hinblick auf die berufsbezogene Eignungsdiagnostik, macht es nicht einfach, Schlüsse auf Kritikpunkte und mögliche Entwicklung zu zulassen. Um jedoch ein geschlossenes Bild der aktuellen Diskussion wiederzugeben, ist es angebracht, den gesamten Komplex der wissenschaftlich fundierten Eignungsdiagnostik und der praktischen Ausübung zu beleuchten.

Der Umfang der hier vorgestellten Arbeit mag zwar in Anbetracht einer Studienarbeit recht hoch sein, doch die Relevanz des Themas lässt keine Ausschnittsbetrachtung zu, ohne den Kontext zu betrachten, in den diese eingebettet ist. Die in dieser Arbeit vorgenommene Betrachtung fokussiert sich auf die externe Personalauswahl, jedoch ist eine Überschneidung und weitergehende Betrachtung des Themenkomplexes der internen Personalauswahl unumgänglich. Verzahnen sich doch diese beiden Felder, besonders in Hinblick auf die sich der Personauswahl anschließenden Prozesse, wie z.B. der Personalentwicklung. Das zweite Kapitel grenzt die Personalauswahl als Instrument der Personalwirtschaft gegenüber anderen Instrumenten ab und gewährt Einblick auf den Einfluss von externen Faktoren, sowie auf die individuelle und organisationale Bedeutung von Auswahlprozessen. Das darauf aufbauende Kapitel gibt einen Überblick über die historische und gegenwärtige Entwicklung der psychologischen Personalauswahl und vermittelt die notwendigen psychologisch-theoretischen Grundlagen, ohne die ein eingehendes Verständnis der berufsbezogenen Eignungsdiagnostik nicht möglich ist. Die Anwendung von Auswahlverfahren wird anhand des vierten Kapitels beleuchtet. Hierzu werden die allgemein üblichen Verfahren vorgestellt. Das fünfte Kapitel behandelt die Aspekte der Entscheidung und Evaluation von Auswahlprozessen unter eignungsdiagnostischen, sowie unter ethischen und rechtlichen Aspekten. Die Schlussbetrachtung liefert, eng angelehnt an das vorangegangene Kapitel, eine Zusammenfassung und eine kritische Betrachtung des aktuellen Standes der berufsbezogenen Eignungsdiagnostik und der psychologischen Personalauswahl.

2. Überblick Personalauswahl

2.1 Personalwirtschaft im betriebswirtschaftlichen Kontext

Die Personalwirtschaftslehre gilt als betriebswirtschaftliches Fachgebiet, welches sich mit der Problemstellung und deren möglichen Lösungsansätzen der Mitarbeiter einer Unternehmung beschäftigt. Im Gegensatz zur Personalführung, welche die zielorientierte Verhaltensbeeinflussung von Menschen zum Gegenstand hat, deckt die Personalwirtschaftslehre die Zielbestimmung, die Problemanalyse und den Einsatz geeigneter Instrumente von der Personalbeschaffung, über die Personalauswahl, den Personaleinsatz, die Personalentwicklung, bis hin zur Personalfreisetzung ab.2 Der Aufgaben- und Zielkorridor der Personalwirtschaft wird dabei maßgebend durch die Oberziele einer Unternehmung bestimmt.3

Der Mensch als Mitarbeiter einer Unternehmung bildet zusammen mit den Betriebsmitteln diejenigen Produktionsfaktoren, welche die dauerhaft nutzbaren, produktiv tätigen Elemente einer Unternehmung darstellen.4

Jedoch unterscheidet sich der Mensch trotz dieser Gemeinsamkeiten in vielerlei Hinsicht von den materiellen Betriebsmitteln:

- Der Mensch ist nicht nur Mittel zum Zweck, sondern trägt einen Sinn in sich selbst.
- Der Mensch ist nur teilweise in die Unternehmung mit einbezogen. Sein

Dasein beschränkt sich nicht nur auf die Funktion im Unternehmenszusammenhang, sondern kennzeichnet sich durch multiple soziale Beziehungen.

- Der Mensch ist ein selbständiges autonomes Subjekt mit Denkvermögen, Initiative und Willen und kann nicht als passives Objekt verstanden werden.
- Der Mensch zeichnet sich durch eine große Varietät seines potenziellen Verhaltens aus und ist daher in vielen Bereichen einer Unternehmung einsetzbar.
- Das Leistungspotenzial eines Menschen bestimmt sich nicht nur durch seine körperliche Konstitution und physischen Umgebung, sondern auch durch seinen Willen und seinen psychischen Fähigkeiten.
- Der Mensch kann nicht in das Eigentum der Unternehmung aufgenommen werden. Seine Arbeitskraft stellt er lediglich gegen ein periodisch zu entrichtendes Entgelt zur Verfügung.

- Der Mensch tritt in einer Unternehmung nicht nur als Individuum auf, sondern als soziales Wesen, dessen Verhalten wesentlich von anderen Individuen abhängt.5

Diese Abgrenzung zeigt, dass andere Entscheidungskriterien und Entscheidungslogiken anzuwenden sind, als bei der Beschaffung, Verwaltung und dem Einsatz von technischen Anlagen und Werkstoffen.

2.2 Personalauswahl als Teilfunktion der Personalwirtschaft

Die Personalauswahl versteht sich als derjenige Entscheidungsprozess, an dessen Ende die Bestimmung derjenigen Kandidaten steht, die für bestimmte Positionen einer Unternehmung aus einem Kreis von Bewerbern als die bestqualifiziertesten gelten.6 Die Problematik des Entscheidungsprozesses besteht in der Prüfung und Bestimmung der Eignung eines geeigneten Kandidaten auf die vorgesehenen Aufgaben in der Unternehmung. Er kann als Soll-Ist-Vergleich verstanden werden, wobei das Soll-Objekt als die zu besetzende Stelle oder die sich daraus resultierenden Anforderungen definiert wird. Das entsprechende Ist-Objekt, also der Bewerber, ist auf diese Eignung hin zu überprüfen. Das Vergleichsergebnis mit der geringsten Diskrepanz zwischen Soll und Ist-Objekt zeichnet den geeigneten Kandidaten aus dem Kreis der Bewerber aus.7 Eine eingehende Erläuterung zur Bestimmung des Soll-Objekts findet sich in Kapitel 3.2.5 Arbeits- und Anforderungsanalyse.

Die Bedeutung der Personalauswahl liegt vor allem in der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung und dem Grad der Zufriedenheit des einzelnen Mitarbeiters.8 Die Qualität und Effektivität der kumulierten menschlichen Arbeitsleistung einer Unternehmung wird hierbei durch die Auswahl und den Einsatz der Mitarbeiter geprägt, welche eine wesentliche Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg darstellt.9

Da der Mensch für jede Aufgabe nicht gleichermaßen geeignet ist10, ergibt sich auf der einen Seite für die Unternehmung ein wirtschaftlicher Vor- oder Nachteil. Auf der anderen Seite ergibt sich für den Mitarbeiter ein Erfolgs- oder Misserfolgserlebnis, welches Rückwirkung auf die von ihm zu erbringende Leistung bzw. seine Zufriedenheit hat.11 Die beschriebe Abhängigkeit zwischen menschlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen personeller Auswahlmaßnahmen kommt somit eine grundlegende Bedeutung zu. Zusätzlich wächst die Wichtigkeit personeller Auswahlmaßnahmen stetig:12 Erheblich gestiegene Personalkosten, steigende Anforderungen an Fachkenntnissen und das Verlangen der Mitarbeiter nach Verwirklichung in ihrer Tätigkeit, führt zu einem wachsenden Druck auf die Auswahl der geeigneten Bewerber. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht bedarf es zum optimalen Einsatz der „Ressource Mensch“ eines zielgerichteten qualifizierten Vorgehens.13

2.3 Einflussfaktoren der Personalauswahl

Die Unternehmung - betrachtet aus der Perspektive des situativen Ansatzes - stellt ein offenes, multifunktionales und soziotechnisches System dar, welches von verschiedenen Einflussfaktoren geprägt wird. Die Personalwirtschaft und ihr zugeordnet die Personalauswahl, als aufgabenspezifisches Subsystem einer Unternehmung, muss ihre Aufgaben unter gegebenen Umweltbedingungen erfüllen. Gegenwärtige bedeutsame Veränderungen der Umweltbedingungen zeichnen sich insbesondere durch Globalisierung und Internationalisierung der Märkte, durch technologischen Fortschritt, durch den Wandel der konjunkturellen Rahmenbedingungen, sowie durch Änderung der gesellschaftlichen Anspruchshaltung (Wertewandel) aus.14 Eine eingehende Betrachtung dieser Faktoren findet sich in den folgenden Kapiteln.

2.3.1 Globalisierung und Internationalisierung

Die fortschreitende Globalisierung und die damit einhergehende Internationalisierung der Märkte führt zu einem sich stetig erhöhenden Wettbewerbsdruck der Unternehmungen untereinander. Durch diese Entwicklung erweitern sich nicht nur die Absatzmärkte und die weltweite Verfügbarkeit von Produktionstechnologien, sondern auch die Wahlmöglichkeiten bei der Festlegung von Produktionsstandorten erhöhen sich.15 Auf Grund des in Deutschland hohen Lohnniveaus werden besonders einfache Tätigkeiten in Billiglohnländer verlagert, so dass im heimischen Markt verstärkt Aufgaben mit hohen qualifizierten Anforderungen verbleiben.16 Daraus ergibt sich nicht nur ein Anforderungswandel an die Instrumente der Personalauswahl, sondern auch die Konsequenz Mitarbeiter unter Gesichtspunkten des internationalen Einsatzes und ausländische Mitarbeiter aus anderen Kulturkreisen unter differenzierteren Maßgaben für die Unternehmung auszuwählen.17

2.3.2 Technologischer Fortschritt

Technologischer Fortschritt und die einhergehende kontinuierliche Steigerung der Produktivität bedeutet immer auch eine Veränderung von Arbeitsplätzen, Arbeitsinhalten, organisatorischen Strukturen und beruflichen Qualifikationen. Die Aufgabe des Menschen innerhalb einer Unternehmung kann durch technologischen Fortschritt arbeitsteiliger und ganzheitlicher, psychisch be- oder entlastender, aber auch völlig überflüssig werden. Die Arbeitsgestaltung darf daher nicht nur der technisch-ökonomischen Rationalität unterworfen werden, sondern soll auch sozialverträglich entwickelt werden. Daraus folgt, dass die menschlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten in den fortschreitenden Entwicklungsprozess mit einbezogen werden müssen. Somit sollte jede technologische Entwicklung, welche entweder entfremdend oder bereichernd auf den Menschen wirkt, sozialökonomisch sondiert und bewertet werden.18

Ein weiterer Aspekt in Zusammenhang zwischen Personalauswahl und technologischem Fortschritt verdeutlicht sich in der verkürzten Halbwertszeit des Wissens. Somit kommt der Beachtung von Lernbereitschaft und Flexibilität im Rahmen der Personalauswahl ein immer höherer Stellenwert zu.19

2.3.3 Konjunkturelle Rahmenbedingungen

Die Konjunktur hat einen wesentlichen Einfluss auf die Gestaltung der Personalauswahl. Eine wirtschaftliche Rezession trägt einerseits verstärkt dazu bei, dass vor allen Unternehmungen aus dem Markt gedrängt werden, deren Produkte und Leistungen nicht mehr konkurrenzfähig sind.20 Andererseits kommt es auf dem Arbeitsmarkt, auf Grund seines stark prozyklischen Verhaltens, zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit und damit zu einer Steigerung des Arbeitsangebotes.21 Eine Erholung der Konjunktur lässt, durch die Steigerung der Produktivität im Rahmen des stetigen technologischen Fortschritt,22 die Arbeitslosigkeit auf einem höheren Niveau stagnieren als vor der Rezession. Es steigert sich somit die Sockelarbeitslosigkeit.23

Auf Grund des Überangebots von Arbeitsplatzsuchenden auf dem Arbeitsmarkt können Unternehmungen als Nachfrager eine differenziertere Selektion betreiben, welche die Chancen erhöht, den geeigneten Bewerber zu finden. Die sich daraus verschärfende Konkurrenzsituation für den einzelnen Bewerber und dem damit einhergehenden Sinken der Einstellungschancen, führt zwangsläufig zu Frustration und Ablehnung gegenüber den angewandten Auswahlverfahren.24,25

2.3.4 Wertewandel

Werte lassen sich - individuell gesehen - als Leitbilder für ein gutes Leben oder eine erstrebenswerte Gesellschaft definieren.26 Die demoskopische Werteforschung belegt, dass Leitbilder in den letzten Jahrzehnten in nahezu allen westlichen Industrienationen neu gewichtet wurden.27 Die in den 60er- Jahren besonders starke Änderung der Wertvorstellungen beinhaltet den Willen nach Selbstentfaltung in Form von Emanzipation von Autoritäten oder Gleichbehandlung und eine Abnahmen der Pflicht- und Akzeptanzwerte, wie Disziplin und Gehorsam.28 Zusätzlich hat der Begriff Leistung im Laufe der letzten vierzig Jahre gegenüber dem Begriff Lebensgenuss an Bedeutung verloren. Besonders bei der jüngeren Generation bildete sich ein Trend ab, welcher Leistung und Lebensgenuss nicht als sich ausschließend betrachtet, sondern als gleichrangig und sich ergänzend versteht. Lebensgenuss scheint ohne Leistung nicht möglich zu sein, und wer sein Leben nicht genießt, wird auf Dauer nicht leistungsfähig sein. Beschäftigte suchen somit nach herausfordernden Aufgaben, die ihrer Neigung gerecht werden und entsprechende Entwicklungschancen bieten.29

Abgeleitet aus dem oben beschriebenen Wertewandel wird die Bereitschaft zu hierarchischer Unterordnung, Gehorsam und Fremdsteuerung abnehmen und sich vermehrt das Bedürfnis nach Mitwirkung und Selbststeuerung etablieren. Der Personalauswahl und den darauf folgenden Funktionen der Personalwirtschaft (Personaleinsatz und Personalentwicklung), ergeben sich somit neue Anforderungen, in der dem Menschen gerecht werdenden Selektion, Beschäftigung und Entwicklung innerhalb der Unternehmung.

2.4 Bedeutung der Personalauswahl

Die Bedeutung der Personalauswahl schlägt sich nicht nur in der Erreichung der unternehmerischen Ziele nieder, sondern hat auch entscheidenden Einfluss auf die Bedürfnisbefriedigung des Arbeitsleistung anbietenden Individuums. Dem, von den beiden Anspruchsgruppen ausgehende, Interessenkonflikt kommt eine wichtige Bedeutung zu: Führt doch auf der einen Seite das nicht Erfüllen der unternehmerischen Zielsetzung zu negativen Konsequenzen, die organisationsübergreifende Auswirkungen haben. Und führt auf der anderen Seite das nicht Erfüllen der Bedürfnisse des Individuums zu Frustration und Ablehnung, dessen Auswirkung wiederum Konsequenzen für die unternehmerische Zielerreichnung ergeben.30 Eine erfolgreiche und nachhaltige Personalauswahl muss somit beiden Anspruchsgruppen gerecht werden.

2.4.1 Im individuellen Kontext

Zu den wichtigsten und am ausschlaggebendsten Wahlhandlungen eines Individuums gehören die berufsbezogenen Entscheidungen.31 Arbeit dient primär der Existenzsicherung, führt jedoch auch zur sozialen Vernetzung des Einzelnen, beeinflusst die Persönlichkeitsentwicklung und die Gesundheit.32 Gesunde erwachsene Individuen - vor allem Männer - die freiwillig auf Erwerbsarbeit verzichten, erleben Konflikte in ihrem sozialen Umfeld und erhebliche Identitätsprobleme.33 Die positive Entwicklung der Beziehung des Individuums zur

Arbeit lässt sich als Bedürfnis kennzeichnen, das sich in den folgenden Zielsetzungen differenzieren lässt:

- Wahl des Arbeitsplatzes nach einer gerecht werdenden Anforderungs- und Belastungsstruktur.
- Vorfinden von Positionen, die sich durch die Qualifikation und die natürliche Veranlagung ergeben.
- Befriedigung der Sicherheitsbedürfnisse, die sich in der mittel- bis langfristigen Sicherung des Arbeitsplatzes bzw. der Beschäftigung erfüllen.
- Streben nach höchstmöglichen Entgelt und damit verbundenen Sozialleistungen.
- Flexible und individuell wählbare Arbeitszeiten.
- Aufstiegsmöglichkeiten unter Maßgabe der individuellen Präferenzen (Selbstverwirklichung).
- Individuelle Behandlung durch die Unternehmung.
- Vorfinden von integrativen sozialen Strukturen.34

2.4.2 Im organisationalen Kontext

Die unternehmerische Zielsetzung der Personalauswahl im Rahmen der organisationalen Bedeutung schlägt sich insbesondere in den folgenden Punkten nieder:

- Finden von qualifizierten Mitarbeitern in Hinblick auf prozessgebundene als auch prozessunabhängige Merkmale, wie Leistung und Loyalität.
- Akquirieren von Mitarbeitern anhand der notwendigen Qualifikation, nach Vorgabe der zu besetzenden Stelle bzw. des Leistungsprozesses.
- Kapazitätsorientiertes Einsetzen von Mitarbeitern bis hin zum Freisetzen auf dem Arbeitsmarkt.
- Reduzierung der Personalkosten.
- Mitarbeiterentwicklung und Nachfolgeplanung nach organisationalem Bedarf.
- Nicht individuelle Behandlung der Mitarbeiter, sondern institutionelle.35

2.4.3 Konsequenzen

Die Orientierung an der individuellen Zielsetzung und der Befriedigung der damit einhergehenden Bedürfnisse muss schon vor dem Personalauswahlprozess stattfinden. Nur so kann durch Erfüllen der individuellen Bedürfnisse des geeigneten Kandidaten in der späteren Beschäftigungszeit Motivation, Arbeitszufriedenheit und geringe Fluktuation realisiert werden.36

3. Grundlagen der psychologischen Personalauswahl

3.1 Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige Trends

Die Anfänge der wissenschaftlich-psychologischen Eignungsdiagnostik lassen sich auf den Beginn des 20. Jahrhunderts datieren. In dieser Zeit wurde erstmals eignungsdiagnostisches Vorgehen psychologisch fundiert und nach psychometrischen Gesichtspunkten konstruiert bzw. zumindest evaluiert.37 Praktisch alle heute bekannten Auswahlverfahren wurden im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts (ansatzweise) entwickelt .

So wurde der erste kognitive Leistungstest von den Franzosen Binet und Simon 1894 konzipiert und in den USA - im Gegensatz zu Europa - mit hoher Akzeptanz aufgenommen und für die Personalauswahl weiterentwickelt. Stern formte daraus den heutigen IQ-Begriff, der das Testergebnis in Relation zum Lebensalter ausdrückt.38

Der erste biografische Fragebogen im eignungsdiagnostischen Bereich wurde auf Grundlage von Forschungsergebnissen von Woods aus dem Jahre 1915 von Scott im angelsächsischem Raum im Jahre 1917 in eine Testbatterie zur Auslese von Außendienstmitarbeitern integriert.39 Erst seit den 80er-Jahren verbreitete sich der biografische Fragebogen im deutschsprachigen Raum.40

Der erste flächendeckende Einsatz von Testverfahren fand in den USA in der Zeit vor und während des 1. Weltkriegs statt. Um zügig qualifiziertes Militärpersonal zu rekrutieren, wurden Intelligenztests durchgeführt. Diese Tests wurden auch „pencil-and-paper-tests“ genannt, da Aufgaben auf Papierblättern vorgegeben und mittels Bleistift ausgefüllt wurden. Die schnelle Durchführbarkeit dieser Tests führte zu einer starken Akzeptanz in anderen Anwendungsbereichen der Personalauswahl. So wird mit derartigen Tests noch heute in den USA der Hochschulzugang geregelt.41

In den 20er-Jahren wurde in Deutschland der Vorläufer des Assessment Centers, als multiples Testverfahren, bestehend aus Leistungstests, Interviews und Arbeitsproben, entwickelt. Der Grund hierzu lag in den Auflagen des Versailler-Vertrages, die Truppenstärke des Reichsheeres auf 100.000 Mann zu beschränken. Um eine möglichst schlagkräftige und effektive Armee mit einem qualifizierten Offizierskader zu gewährleisten, wurden Offiziersanwärter streng nach ihrer militärischen Eignung hin ausgewählt. Rieffert führte hierzu eine „charakterologische Komplexprüfung“ ein, welche bei Bedarf einer „psychotechnischen Spezialprüfung“ angeschlossen wurde. Das Verfahren wurde jedoch entgegen dem Stand der Wissenschaft keiner Validierungsstudie unterzogen. Ein streng strukturiertes Verfahren zur Steigerung der Aussagekraft in Assessment Centers wurde erst seitens der britischen Armee zur Pilotenauswahl 1942 angewandt.

Der gesellschaftliche Wertewandel in den 60er-Jahren veränderte stark das Menschenbild und damit einhergehend die Auffassung über den Menschen innerhalb von Auswahl- bzw. Selektionsprozessen. So wurden veranlagte Unterschiede zwischen Menschen radikal abgelehnt und Ungleichheit in der Person nur durch exogene Determinanten, wie Umwelteinflüsse und Entwicklung, begründet. Defizite und unerwünschte Eigenschaften lassen sich demnach korrigieren und stellen somit auch die Bedeutung der Personalauswahl, als Instrument, das zeitpunktbezogen Messungen vornimmt, in Frage.42

Die 70er-Jahre führten zur „Humanisierung der Arbeit“. Sie schlug sich nieder in der Ausweitung des Freiheitsspielraums und der Gestaltungsmöglichkeiten für Mitarbeiter durch eine partizipierende Führung und Gruppenarbeit und durch Veränderung der Arbeitsinhalte, auf Grundlage einer stärkeren Eigenbestimmung der Arbeitsgestaltung.43 Diese Entwicklung nahm auch Einfluss auf die psychologische Personalauswahl. So wurde nicht mehr der Schwerpunkt innerhalb von Testverfahren auf die rein fachliche Eignung gelegt. Die Fähigkeit sich eigenverantwortlich und flexibel fachliches Wissen durch Lernprozesse innerhalb der Arbeitsumgebung selbst anzueignen rückte stärker in den Mittelpunkt von Testverfahren.

Mitte der 80er-Jahre etablierte sich die Auffassung der „Bewerberperspektive“. Diese geht davon aus, dass der Bewerber als handelndes, sozial agierendes Subjekt durch die situativen Bedingungen das Testverfahren beeinflusst und somit die Validität in Frage stellt. Die Beachtung dieser Erkenntnis führte zu Ansätzen wie der Sozialen Validität (Schuler) und der Augenscheinvalidität (Nevo), welche sich in der Konstruktion von Testverfahren niederschlugen. Die Sicht des Bewerbers auf den Auswahlprozess wurde in diesen Konzepten jedoch nicht beachtet.44

Neue Trends in der psychologischen Personalauswahl sind zum einen computergestütze Eignungsverfahren, sowie Testverfahren, die nicht nur die sachliche Rationalität zu messen versuchen, sondern auch die emotionalen Ausprägungen. Basierend auf neuen medizinischen Erkenntnissen wird die Annahme, dass eine starke Korrelation zwischen Erfolg und Intelligenzquotient existiert, neu diskutiert. Aufkommenden Erklärungsansätzen, wie die der emotionalen Intelligenz, kommt immer mehr Bedeutung zuteil.45

Durch computergestütze Eignungsverfahren lassen sich spezielle Anforderungen messen, welche die Kontrolle und Steuerung von komplexen und dynamischen Prozessen verlangen. Ein großer Vorteil dieser Verfahren beruht in der Variabilität der Anforderungen, die sich während des Testverlaufes als Reaktion auf die Eingaben des Probanden verändern, also vom Testteilnehmer durch seine Wahlhandlung selbst beeinflusst werden. Somit lassen sich mehrere Dimensionen von Ausprägungen während des Testverlaufes erfassen. Der Proband ist also nicht mehr an einen linearen Testverlauf gebunden, was wiederum einer individuellen Erfassung des einzelnen Bewerbers zugute kommt.46

3.2 Theoretische Grundlagen

Die Voraussetzung für die Anwendung von psychologischen Testverfahren in der Personalauswahl setzt verschiedene Kriterien voraus:

- Berufliche Tätigkeiten werden von verschiedenen Individuen unterschiedlich erfolgreich durchgeführt.
- Individuen lassen sich anhand von Merkmalen differenzieren.
- Die im Auswahlverfahren differenzierten Merkmale sollten teilweise konstant sein.
- Unternehmen, als Arbeitsplatz anbietende Organisationen, haben unterschiedlichen Einfluss auf den beruflichen Erfolg von Individuen.47

[...]


1 Zitat eines Beamtenanwärters, 32 Jahre alt, in: PACZENSKY, Susanne von: Der Testknacker, Reinbeck 1976, S. 17, Rowohlt, zitiert in: KOMPA, Ain: Personalbeschaffung und Personalauswahl, 2. Aufl., Stuttgart 1989, S. 154.

2 vgl. SCHNECK, Ottmar: Lexikon der Betriebswirtschaftslehre, 4. Aufl., München 2000, S. 730.

3 vgl. HENTZE, Joachim: Personalwirtschaftslehre I, 6. Aufl., Bern und Stuttgart 1994, S. 60.

4 vgl. THOMMEN, Jean-Paul / ACHLEITNER, Ann-Kristin: Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 2. Aufl., Wiesbaden 1998, S. 573.

5 vgl. ULRICH, Hans: Die Unternehmung als produktives soziales System, 2. Aufl., Bern und Stuttgart 1970, S. 246 f.

6 vgl. BERTHEL, J.: Personal-Management: Grundzüge der Konzeption betrieblicher Personalarbeit, 3. Aufl., Stuttgart 1992, S. 166.

7 vgl. WÖHE, Günter: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 19. Aufl., München 1996, S. 257.

8 vgl. JUSTEN, R.: Personalauswahl, in: GAUGLER, E. (Hrsg.): Handwörterbuch des Personalwesens (HWP), Stuttgart 1975, Sp. 1479.

9 vgl. BUNDESVEREINIGUNG DER DEUTSCHEN ARBEITGEBERVERBÄNDE (Hrsg.), Unternehmerische Personalpolitik, 3. Aufl., Köln 1983, S. 250.

10 siehe hierzu auch 2.1

11 vgl. JUSTEN, R.: Personalauswahl, a.a.O., Sp. 1479.

12 vgl. WÖHE, Günter: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, a.a.O., Seite 257.

13 vgl. JUNG, Heinz: Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, 6. Aufl., München und Wien, S. 849.

14 vgl. ULRICH, Peter / FLURI, Edgar: Management: Eine konzentrierte Einführung, 7. Aufl., Bern und Stuttgart 1995, S. 41 ff.

15 vgl. SCHWARB, Thomas: Die wissenschaftliche Konstruktion der Personalauswahl, 1. Aufl., München und Mering 1996, S. 122.

16 vgl. GÄNSLER, Ursula / OLBERT-BOCK, Sibylle: Auswahlverfahren zur Einstellung gewerblicher Mitarbeiter, in: Personal, 52. Jg. (2000), S. 544.

17 vgl. WUNDERER, Rolf / DICK, Petra: Personalmanagement - Quo vadis?, 3. Aufl., Neuwied 2002,

S. 98 ff.

18 vgl. WUNDERER, Rolf / KUHN, Thomas: Zukunftstrends in der Personalarbeit, 1. Aufl., Bern und Stuttgart 2000, S. 34.

19 vgl. WUNDERER, Rolf / DICK, Petra: Personalmanagement - Quo vadis?, a.a.O., S. 9.

20 vgl. SCHWARB, Thomas: Die wissenschaftliche Konstruktion der Personalauswahl, a.a.O., S. 123.

21 vgl. GEIGANT, Friedrich / HASLINGER, Franz / SOBOTKA, Dieter / WESTPHAL, Horst: Lexikon der Volkswirtschaft, 6. Aufl., Landsberg/Lech 1994, S. 53.

22 siehe hierzu: Kapitel 2.2.2.

23 vgl. SCHWARB, Thomas: Die wissenschaftliche Konstruktion der Personalauswahl, a.a.O., S. 123 f.

24 vgl. KOMPA, Ain: Personalbeschaffung und Personalauswahl, a.a.O., S. 10.

25 siehe hierzu auch: Kapitel 5.4.

26 vgl. STRÜMPEL, B. / SCHOLZ-LIGMA, J.: Werte und Wertewandel, in: GAUGLER, E. / WEBER, W. (Hrsg.): Handwörterbuch des Personalwesens, 2. Aufl., Stuttgart 1992, Sp. 2338-2349.

27 vgl. ROSENSTIEL, Lutz von: Wertewandel, in: KIESER, A. / REBER, G. / WUNDERER, R. (Hrsg.): Handwörterbuch der Führung, 2. Aufl., Stuttgart 1995, Sp. 2175-2189.

28 vgl. KLAGES, H.: Wertorientierung im Wandel, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1985, Sp.2338.

29 vgl. OPASCHOWSKI, H.: Deutschland 2010, Hamburg 1997, S. 43 ff.

30 vgl. HENTZE, Joachim: Personalwirtschaftslehre I, a.a.O., S.232.

31 vgl. SCHULER, Heinz: Psychologische Personalauswahl, 3. Aufl., Göttingen und Bern 2000, S. 11.

32 vgl. ROSENSTIEL, Lutz von: Die Bedeutung der Arbeit, in: SCHULER, HEINZ (Hrsg.): Lehrbuch der Personalpsychologie, Göttingen und Bern 2001, S. 25.

33 vgl. PRENZEL, W. / STRÜMPEL, B.: Männlicher Rollenwandel zwischen Partnerschaft und Beruf, in: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie Nr.34, S. 37-45, zitiert bei: ROSENSTIEL, Lutz von: Die Bedeutung der Arbeit, a.a.O., S. 25.

34 vgl. HENTZE, Joachim: Personalwirtschaftslehre I, a.a.O., S.233.

35 vgl. HENTZE, Joachim: Personalwirtschaftslehre I, a.a.O., S.233.

36 vgl. NERDINGER, Friedemann: Motivierung, in: SCHULER, HEINZ (Hrsg.): Lehrbuch der Personalpsychologie, Göttingen und Bern 2001, S.350 ff.

37 vgl. SCHULER, Heinz: Psychologische Personalauswahl, a.a.O., S. 15.

38 vgl. SCHWARB, Thomas: Die wissenschaftliche Konstruktion der Personalauswahl, a.a.O., S. 37 f.

39 vgl. STEHLE, Willi: Personalauswahl mittels biographischer Fragebogen, in: SCHULER, Heinz / STEHLE, Willi (Hrsg.): Biographische Fragebogen als Methode der Personalauswahl, Stuttgart 1986, S. 19.

40 vgl. WEUSTER, A.: Problem beim Einsatz des Biographischen Fragebogens zur Personalauswahl, in: Personal, 36. Jg. (1988), S. 327 ff.

41 vgl. SCHWARB, Thomas: Die wissenschaftliche Konstruktion der Personalauswahl, a.a.O., S. 43.

42 vgl. SCHWARB, Thomas: Die wissenschaftliche Konstruktion der Personalauswahl, a.a.O., S. 46 ff.

43 vgl. MIKEL-HORKE, Gertraude: Organisierte Arbeit: Einführung in die Arbeitssoziologie, 3. Aufl., München und Wien 1989, S.103.

44 vgl. SCHWARB, Thomas: Die wissenschaftliche Konstruktion der Personalauswahl, a.a.O., S. 61 ff.

45 vgl. PIETSCHMANN, Bernd: Emotionale Intelligenz - Brauchen wir neue Führungskonzepte?, in: Personal, 50. Jg. (1998), S. 133 f.

46 vgl. HÖFT, Stefan / FUNKE, Uwe: Simulationsorientierte Verfahren der Personalauswahl, in: SCHULER, Heinz (Hrsg.): Lehrbuch der Personalpsychologie, Göttingen und Bern 2001, S. 140.

47 vgl. SCHULER, Heinz: Psychologische Personalauswahl, a.a.O., S. 21 f.

Ende der Leseprobe aus 56 Seiten

Details

Titel
Psychologische Theorieansätze der Mitarbeiterauswahl
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Ravensburg, früher: Berufsakademie Ravensburg  (Fachbereich Medien- und Kommunikationswirtschaft)
Note
1,9
Autor
Jahr
2003
Seiten
56
Katalognummer
V15064
ISBN (eBook)
9783638203012
Dateigröße
636 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Psychologische, Theorieansätze, Mitarbeiterauswahl, Recruiting, Personalauswahl, human ressources
Arbeit zitieren
Ludwig Schwartz (Autor:in), 2003, Psychologische Theorieansätze der Mitarbeiterauswahl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15064

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