Das Selbstwertgefühl Jugendlicher als Produkt sozialer Prozesse

Einfluss der Familie, der Schule und der Peer-Group


Diplomarbeit, 2003

91 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A Einleitung
1. Erkenntnisinteresse der Arbeit
2. Abgrenzung des Themas

B Allgemeine Grundlegung
1. Der sozialisations- und handlungstheoretische Ansatz als Ausgangspunkt in der Jugendforschung
1.1 Acht Maxime zur Beschreibung der Adoleszenz
1.2 Anwendung des sozialisations- und handlungstheoretischen Ansatzes auf die
Entwicklung des Selbstwertgefühls
2. Der Begriff der Jugend: Kriterien zur Abgrenzung und Definition
2.1 Psychologische Kriterien
2.1.1 Entwicklungsaufgaben Jugendlicher
2.2 Soziologische Kriterien
2.3 Definition von „Jugend“
3. Was ist das Selbstwertgefühl?
3.1 Zum fehlenden Erklärungsmodell Selbstwertgefühl
3.2 Definition und Abgrenzung zu anderen Begriffen
3.2.1 Der Begriff „Selbstwertgefühl“
3.3 Selbstwertgefühl und Identität
3.3.1 Das Selbstwertgefühl als emotionale Komponente des Identitätserlebens:
Karl Haußer
3.3.1.1 Identität als situative Erfahrung
3.3.1.2 Identität als übersituative Erfahrung
4. Das Selbstwertgefühl als Produkt sozialer Prozesse
4.1 Quellen des Selbstwertgefühls
4.1.1 Informationen aus der Selbstwahrnehmung
4.1.2 Informationen aus sozialen Rückmeldungen
4.1.3 Informationen aus sozialen Vergleichen
5. Die Entwicklung des Selbstwertgefühls
5.1 Ergebnisse aus der Säugling- und Kleinkindforschung
5.1.1 Erste Erscheinungsformen des Selbstwertgefühls
5.1.2 Ontogenese selbstbewertender Emotionen nach Heckhausen
5.1.3 Voraussetzungen für ein gutes Selbstwertgefühl
5.2 Das Selbstwertgefühl während der Adoleszenz
5.2.1 Veränderung des Selbstwertgefühls
5.2.1.1 Zunahme des Selbstwertgefühls?
5.2.2 Stabilität des Selbstwertgefühls
5.2.3 Geschlechtsunterschiede
5.2.4 Fazit
6. Die Relevanz des Selbstwertgefühls im menschlichen Verhalten und Erleben
6.1 Das Selbstwertgefühl als komplexes Regulationssystem
6.1.1 Die Theorie der Selbstwertkonsistenz
6.1.2 Die Theorie der Selbstwerterhöhung
6.1.3 Der Versuch einer Lösung
6.2 Fazit

C Jugendliche im Kontext von Familie, Schule und Peer-Group
1. Die Bedeutung der Familie während der Adoleszenz
1.1 Das Eltern-Kind-Verhältnis im Jugendalter
1.2 Handlungsanforderungen an die Familie
1.3 Selbstwertrelevante Faktoren
1.3.1 Eine positive emotionale Beziehung
1.3.2 Unterstützung durch die Eltern
1.3.3 Erziehung zur Selbstständigkeit und Autonomie
1.3.4 Das Kommunikationsverhalten
1.4 Zum Verhältnis von Eltern und Peer-Group
1.5 Fazit
2. Die Bedeutung der Peer-Group während der Adoleszenz
2.1 Die Konstruktion und Funktion von Peerbeziehungen
2.2 Selbstwertfördernde Faktoren
2.2.1 Eingebundensein in Gleichaltrigengruppen
2.2.2 Freundschaften
2.2.2.1 Auswirkung von Streit und Konflikten
2.3 Selbstwertbeeinträchtigende Faktoren
2.3.1 Peer-Ablehnung
2.3.2 Peer-Viktimisierung
2.3.3 Ausgrenzung
2.3.4 Persönliche Merkmale
2.3.5 Deprivation
2.4 Fazit
3. Die Bedeutung der Schule während der Adoleszenz
3.1 Das schulische Leistungssystem und psychosoziale Risiken
3.2 Das Bedürfnissystem und der schulische Lernprozess
3.3 Die Auswirkung von Leitungsbewertung auf das Selbstwertgefühl
3.4 Die Rolle der Eltern, Lehrer und Mitschüler
3.4.1 Elterliche Wertschätzung und Anerkennung schulischer Tüchtigkeit
3.4.2 Lehrer-Schüler-Beziehung
3.4.3 Schüler-Schüler-Beziehung
3.5 Fazit

D Resümee

Literaturverzeichnis

A Einleitung

1. Erkenntnisinteresse der Arbeit

In der Praxis der sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Arbeit fällt immer wieder der Begriff des Selbstwertgefühls. „Das Selbstwertgefühl des Kindes muss gestärkt werden“, „Der Klient verfügt über wenig Ich-Stärke“ oder „Der Jugendliche fühlt sich im Grunde nicht akzeptiert und ungeliebt“. Das Selbstwertgefühl beeinflusst den Menschen in seiner Lebensqualität: Personen mit hohem Selbstwertgefühl sind im Vergleich zu Personen mit geschwächtem Selbstwertgefühl durchsetzungsfähiger und haben ein selbstbewussteres Auftreten. So gesehen ist das Selbstwertgefühl ein wichtiger Teil der Handlungskompetenz des Menschen, eröffnet Handlungsspielräume oder verschließt sie. Aus diesem Grund bezeichnet der Philosoph Rawls (1979) den Selbstwert einer Person als das wahrscheinlich zentralste gesellschaftliche Gut. Satir sieht dies ähnlich:

In all den alltäglichen Erfahrungen meines beruflichen und privaten Lebens gelangte ich zu der Überzeugung, dass der entscheidende Faktor für das, was sich in einem Menschen abspielt, die Vorstellung von dem eigenen Wert ist, die jeder mit sich herumträgt (Satir 2000, 39).

Stellt man sich die Frage, woher eine Person ihren Selbstwert bezieht, wird schnell deutlich, dass die soziale Umwelt eine wichtige Rolle spielt. Das Selbstwertgefühl beruht auf sozialen Prozessen. Ein Mensch kann erst Achtung für sich empfinden, wenn ihm von seiner Umwelt Respekt entgegengebracht wird und er sich als wertvoll erlebt. Besonders im Kindesalter wird deutlich, dass es zum Aufbau eines gesunden Selbstwertes Wertschätzung und Zuneigung der Bezugspersonen bedürfen. Das Selbstwertgefühl einer Person ist nicht gleichbleibend, sondern kann sich verändern. Je nachdem, welchem sozialen Klima eine Person ausgesetzt ist, wird ihr Selbstwert geschwächt oder gestärkt.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die Faktoren, die das Selbstwertgefühl einer Person positiv als auch negativ beeinflussen, näher zu beschreiben. Auch im Hinblick auf die Praxis erscheint es sinnvoll, Kenntnis darüber zu haben, welche Bedeutung den einzelnen Sozialisationsinstanzen bei der Persönlichkeits-entwicklung zukommt.

Der Einleitung (Teil A) folgt eine allgemeine Einführung in die zentralen Ansätze, Begriffe und Zusammenhänge des Themas (Teil (B).

Als Ausgangspunkt dient der sozialisations- und handlungstheoretische Ansatz, der dieser Arbeit als theoretischer Bezugsrahmen zugrunde gelegt wird. Dieser wird beschrieben und der Bezug zum Selbstwertgefühl hergestellt (B 1).

Da sich die gesamte Fragestellung auf Jugendliche bezieht, wird auch die Phase der Adoleszenz dargestellt, um besser nachvollziehen zu können, in welcher Situation Jugendliche sich befinden und welche Aufgaben sie zu bewältigen haben (B 2.).

Kapitel B 3 bis 6 widmen sich dem Selbstwertgefühl. Ein Erklärungsmodell für das Selbstwertgefühl wird vorgestellt (B 3.) und die Bedeutung, welche der sozialen Umwelt beim Aufbau vom Selbstwertgefühl zukommt soll beschrieben werden (B 4.). Da der Selbstwert einer Person in den ersten Lebensjahren grundgelegt wird, ist ein Exkurs in die Kindheit unverzichtbar. Deswegen wird kurz auf erste Erscheinungsformen des Selbstwertgefühls eingegangen und welcher Vorraussetzungen es für eine weitere gute Entwicklung bedarf (B 5.1.).

Anschließend (B 5.2.) geht es um das Selbstwertgefühl im Jugendalter. Es soll aufgezeigt werden, wie sich die Einflüsse der Pubertät auf die Entwicklung des Selbstwertgefühls der Jugendlichen auswirken.

Als Abschluss der grundlegenden Theorien soll veranschaulicht werden, welchen Stellenwert das Selbstwertgefühl im Leben eines Menschen einnimmt, d.h. wie es sich im täglichen Leben darstellt (B 6.).

Teil C beschäftigt sich mit dem Einfluss positiver als auch negativer Faktoren, die durch die Sozialisationsinstanzen Familie, Peer-Group und Schule auf das Selbstwertgefühl Jugendlicher ausübt werden.

Als erstes (C 1.) geht es um die Familie, stellt diese doch das Umfeld dar, indem sich der Heranwachsende zunächst ausschließlich aufhält.

Mit zunehmenden Alter verbringen Jugendliche ihre Zeit nicht mehr mit der Familie, sondern den Gleichaltrigen (Peers). Diese Einflussgruppe nimmt im Jugendalter eine zentrale Stellung ein. In der Literatur wird die Peer-Group oft als positive Ressource beschrieben, die Jugendlichen hilft, ihre Probleme zu Hause und in der Schule zu bewältigen. Ebenso wird aber auch darauf verwiesen, dass die Peer-Group auch ein Risikofaktor für die psychische Gesundheit darstellen kann, beispielsweise wenn Jugendliche durch sie Ausgrenzung und Ablehnung erfahren oder auf die “schiefe Bahn“ geraten. Diesen positiven und negativen Auswirkungen soll nachgegangen werden (C 2.).

Die Schule als weiterer Sozialisationsagent schließt sich an (C 3.), denn nirgendwo werden Jugendliche Bewertungen so permanent ausgesetzt, wie in der Schule. Neben der Leistungsbewertung durch Noten, erhalten sie tagtäglich Rückmeldungen über ihr Verhalten und Benehmen von Lehrern, Eltern und Mitschülern. In diesem Umfeld spielt auch das Vergleichen und Konkurrieren mit den Klassenkameraden eine Rolle. Um dieses weite Feld etwas einzuschränken, soll es um die Frage gehen, wie Leistungsbewertungen in Form von Noten (Erfolg und Misserfolg) mit dem Selbstwertgefühl zusammenhängen.

Im letzten Teil der Arbeit (D) werden in einem Resümee die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst und bewertet.

2. Abgrenzung des Themas

Das Thema des Selbstwertgefühls ist sehr breit gefächert. Die Auseinanderersetzung damit kann von ganz unterschiedlichen Seiten erfolgen. Es gibt Publikationen:

- zur Theorie des Selbstwertgefühls, die sich damit beschäftigen, wie das Selbstwertgefühl als Konstrukt gefasst werden und es in Relation zu anderen Konstrukten gesetzt werden kann;
- zur Diagnostik, die versucht, Methoden zu entwickeln, das Konstrukt Selbstwertgefühl so zu operationalisieren, dass es für die Forschung dienlich ist,
- zur Selbstwertdynamik, bei der es sich um die Frage handelt, wie sich externe Faktoren auf das Selbstwertgefühl auswirken. Insbesondere wird hier nach Quellen und Bedrohungsfaktoren des Selbstwertgefühls geforscht;
- zur Selbstwertregulation, bei der betrachtet wird, wie sich eine Person vor selbstwertbelastenden Situationen (z.B. Misserfolge, Kritik, etc.) schützt, diese bewältigt, wenn sie dennoch auftreten und wie jemand sein Selbstwertgefühl versucht zu erhöhen,
- zu Korrelate des Selbstwertgefühls, wie der Zusammenhang zwischen Selbstwertgefühl und Leistung, selbstschädigendem Verhalten (z.B. Suchtverhalten, psychosoziale Probleme, ect.), Sozialverhalten oder dem Selbstwertgefühl als Coping-Ressource ( vgl. Schütz 2000, 41ff)

Darüber hinaus kann das Selbstwertgefühl in bestimmten Populationen betrachtet werden oder genauer auf die Veränderung im Lebenslauf eingegangen werden.

In dieser Arbeit kann nicht auf alle diese Perspektiven eingegangen werden, da dies den Rahmen sprengen würde. Wie der Titel der Diplomarbeit bereits ankündigt, soll das Selbstwertgefühl in dieser Arbeit als abhängige Variable betrachtet werden, also unter der Fragestellung: wie verändert es sich unter dem Einfluss externer Bedingungen? Damit wird nicht behauptet, dass das Selbstwertgefühl nicht auch gegenteilig, nämlich als unabhängige Variable betrachtet werden kann. Im Gegenteil:

Ein positives Selbstbild trägt zur Selbstsicherheit bei und wird somit auch angesichts einer prekären Lage stimulieren, die Schwierigkeiten zu lösen, während eine Person mit geringem Selbstwertgefühl angesichts einer schwierigen Lage eher hadert, ihr ausweicht und somit in Gefahr gerät, sie nicht erfolgreich bewältigen zu können. Die Erfolgswahrscheinlichkeiten der Bewältigung einer Situation sind somit je nach Selbstbild sehr unterschiedlich (Mansel/ Hurrelmann 1991, 186).

Welche Rolle das Selbstwertgefühl als Ressource oder Handlungskompetenz spielt, wird zwar in dieser Arbeit an manchen Stellen angedeutet, soll aber nicht im Mittelpunkt stehen. Die Entscheidung, das Selbstwertgefühl als abhängige Variable zu treffen, ist also im Grunde eine künstliche, mit der bezweckt wird, die Arbeit einzugrenzen.

Aus dem selben Grund bezieht sich die Fragestellung auf die Population Jugendlicher. Diese Lebensphase zu analysieren erweist sich als günstig, da dies ein Abschnitt ist, in der sich die Identität vornehmlich bildet, wie Erikson (1973) gezeigt hat. Identifizierungen und Sicherheiten, auf die sich der Jugendliche bisher verlassen konnte, werden in Frage gestellt. Er versucht herauszufinden „wie er im Vergleich zu seinem eigenen Selbstgefühl in den Augen anderer erscheint und wie er seine früher aufgebauten Rollen und Fertigkeiten mit den gerade modernen Idealen und Leitbildern verknüpfen kann“ (Erikson 1973, 106). Diese Entwicklungsprozesse führen dazu, dass vom Jugendlichen in zunehmenden Masse Selbstwertsteuerung und Selbstregulation erwartet werden. Deswegen ist die Adoleszenz auch ein Bereich, welcher hinsichtlich der Identitätsentwicklung als gut untersucht bezeichnet werden kann (vgl. Haußer 1995, 91).

Im Hinblick auf die Vielzahl der sozialen Prozesse, die Jugendliche tagtäglich durchlaufen, müsste genau genommen das ganze Spektrum sozialer Einflüsse auf die Entwicklung des Selbstwertgefühls diskutiert werden. Da dies in dieser Arbeit nicht zu bewältigen wäre, widmet sie sich den Sozialisationsagenten, mit welchen Jugendliche am meisten zu tun haben. Zeitlich gesehen prägen die Bereiche Familie, Schule und Peer-Group die Entwicklung Jugendlicher am stärksten. Selbst diese Bereiche stellten noch ein weites Feld dar. Aufgrund dessen wird es dabei belassen, diejenige Variablen darzustellen, die auch in empirischen Studien als wichtig nachgewiesen wurden.

B Allgemeine Grundlegung

1. Der sozialisations- und handlungstheoretische Ansatz als Ausgangspunkt in der Jugendforschung

„In diesem theoretischen Zugang wird nach den strukturellen Vorgaben und Möglichkeiten für die Entfaltung von persönlichen Kompetenzen und Identitätsfindung unter konkreten gesellschaftlichen Bedingungen gefragt“

(Hurrelmann 1994, 69)

Die Jugend wird in dieser Arbeit aus einer Sozialisations- und handlungstheoretischen Perspektive betrachtet, wie sie Hurrelmann und Heitmeyer vertreten (vgl. Hurrelmann 1994, 72ff). Der handlungsorientierte Ansatz dominierte zunächst in der soziologischen Sozialisationsforschung, findet heute aber zunehmend auch in der Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie Beachtung (vgl. Heitmeyer/Hurrelmann 1988, 49). Durch die Verbindung von psychologischen und soziologischen Erkenntnistheorien eignet sich der sozialisations- und handlungsorientierte Ansatz sehr gut, die für die Jugendphase typischen Prozesse der Vergesellschaftung und der Individuation zu erklären. Durch diese Verknüpfung von psychologischen Persönlichkeitsanalysen und sozialstrukturell verankerten Interaktionsprozessen wird eine Perspektive eröffnet, die neben den Wandlungen in der Jugendphase auch die sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse (Familie, Schule, Peer-Group, Wirtschaft, etc.) in den Blick nimmt, welche die Bewusstseins- und Handlungsstrukturen der Jugendlichen ebenfalls beeinflussen.

Hurrelmann orientiert sich zwar am ehesten am handlungstheoretischen Ansatz, er bindet in seine Theorie aber auch wichtige Elemente der entwicklungsbezogenen, psychodynamischen und systemtheoretisch-ökologischen Ansätze mit ein. Diese enge Verknüpfung eignet sich deswegen auch gut als theoretische Grundlage für diese Arbeit. Sie wird der Annahme gerecht, dass sich das Selbstwertgefühl aufgrund vielfältiger sozialer Prozesse entwickelt, welche zum Teil innerpsychisch ablaufen aber auch von äußeren Faktoren beeinflusst werden. Das Individuum wird nach dieser Theorie weder von seiner Umwelt noch seinem eigenen Organismus determiniert verstanden, sondern als sich reflektierendes Wesen, welches auf seine Entwicklung selbst aktiv Einfluss nehmen kann (vgl. Hurrelmann 1994, 56).

1.1 Acht Maxime zur Beschreibung der Adoleszenz

Hurrelmann formuliert acht Maxime, mit denen er das Eigentümliche der Adoleszenz analysiert, die in diesem Abschnitt dargestellt werden sollen:

(1) „Menschen im Jugendalter sind als produktiv realitätsverarbeitende Subjekte und als schöpferische Konstrukteure ihrer eigenen Lebenswelt zu verstehen“ (Hurrelmann 1994, 72).

Hurrelmann nimmt hier den Gedanken Eriksons (1973) auf, nach welchem Jugendliche in einer Zeit des psychosozialen Moratoriums Verhaltensmöglichkeiten und Spielräume ausprobieren sowie verschiedene Rollen einnehmen. In dieser Phase des Suchens und Tastens zeigt sich der Jugendliche als aktiv Handelnder.

(2) „Die Lebensphase Jugend ist durch die lebensgeschichtlich erstmalige Chance gekennzeichnet, eine Ich-Identität zu entwickeln“ (Hurrelmann 1994, 73).

Die Entwicklung von Ich-Identität in der Adoleszenz ist ebenfalls seit Erikson (s.o.) als zentrales Thema erkannt worden. Die Jugendlichen verfügen nun über die notwendigen Fähigkeiten zum Aufbau eines beständigen Selbstbildes. Identität kann aber nur in der Synthese von Individualität und Integration in die Gesellschaft ent- bzw. bestehen. Es bedarf des Wissens um die individuelle Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit, aber auch des Wissens der Anerkennung durch andere, das sich nur in der Einbindung in die soziale Umwelt finden lässt. Das Spannungsverhältnis, in das Jugendliche deshalb geraten, erleben sie bewusster. Dies zeigt sich z. B. indem Jugendliche zunehmend die Dinge der Welt hinterfragen, Widerstand leisten und ihre eigenen Werte und Normen aufbauen.

(3) „Die Lebensphase Jugend birgt wegen des Zusammentreffens von Individuations- und Integrationsprozessen ein erhebliches positives Stimulierungspotential, aber zugleich auch ein hohes Belastungspotential in sich“ (Hurrelmann 1994, 74).

Von den Jugendlichen werden zweierlei Leistungen zur gleichen Zeit abverlangt. Einerseits sind biopsychische Gestaltveränderungen zu nennen, die Teil des Identitätsaufbaus sind, zum anderen müssen sie sozial- ökologische Integrations- und Anpassungsleistungen vollbringen. Diese Aufgabe kann sich unter Umständen belastend auf die psychische Entwicklung der Jugendlichen auswirken.

(4) „Der Sozialisationsprozess im Jugendalter kann krisenhafte Formen annehmen, wenn es Jugendlichen nicht gelingt, die Anforderungen der Individuation und der Integration aufeinander zu beziehen und miteinander zu verbinden“ (Hurrelmann 1994, 74).

Als Vorrausetzung einer „gesunden“ Ich-Identität ist ein gelungenes Zusammenspiel von Streben nach autonomen Handeln und Anpassung, also personaler und sozialer Identität notwendig.

(5) „Der Individuations- und der Integrationsprozess folgen jeweils einer eigenen, voneinander abweichenden Dynamik. Um das hieraus resultierende Spannungsverhältnis abzuarbeiten, sind angemessene und flexible individuelle Bewältigungsstrategien notwendig“ (Hurrelmann 1994, 75).

Der Jugendliche muss die Anforderungen, welche von Seiten der Gesellschaft an ihn gestellt werden mit seinen eigenen Bedürfnissen und Vorstellungen vereinbaren lernen. Diese Diskrepanz gilt es für ihn zu bewältigen.

(6) „Um das Spannungsverhältnis von Individuations- und Integrationsanforderungen abzuarbeiten, sind neben individuellen Bewältigungsfähigkeiten auch wirkungsvolle und vielseitige soziale Unterstützungen durch die wichtigsten Bezugsgruppen notwendig“ (Hurrelmann 1994, 76).

Auf der Suche nach der eigenen Identität und der Entwicklung eigener Ideologien benötigen Jugendliche Orientierungsangebote. Familie, Schule und Freunde sollten ein soziales Unterstützungsnetzwerk darstellen, mit dessen Hilfe Jugendliche sich zu einer verantwortungsbewussten, selbständigen Persönlichkeit entwickeln können.

(7) „Ob die Stimulierungs- oder die Belastungspotentiale im Verlauf der Persönlichkeitsentwicklung im Jugendalter überwiegen, hängt wesentlich von den sozialstrukturellen Vorgaben für die Gestaltung der Jugendphase ab“ (Hurrelmann 1994, 77).

Die Persönlichkeitsentwicklung Jugendliche ist geprägt von den gesellschaftlichen Normen, Werten und Strukturen. Je nachdem auf welche Möglichkeiten oder Grenzen der Jugendliche stösst, wird er die Jugendphase positiv oder negativ erleben.

(8) „Die Lebensphase Jugend kann auch unter veränderten historischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen in heutigen Industriegesellschaften als eine eigenständige Phase im Lebenslauf identifiziert werden“ (Hurrelmann 1994, 78).

Es wird noch aufgezeigt werden, dass eine Abgrenzung der Jugendphase von der Kindheit und dem Erwachsenenalter nicht eindeutig festgelegt werden kann. Dennoch spricht die eigene Dynamik, die unter anderem auf das Spannungsverhältnis von Individuation und Integration zurückgeführt werden kann, für die Eigenständigkeit dieser Phase.

1.2 Anwendung des sozialisations- und handlungstheoretischen Ansatzes auf die Entwicklung des Selbstwertgefühls

Was lässt sich aus diesen acht Maximen für das Selbstwertgefühl von Jugendlichen folgern?

Die zentrale Aussage Hurrelmanns besteht darin, dass der Jugendliche im Spannungsverhältnis von Individuation und Integration seine Identität entwickelt. Jede Person bildet eine personale Identität und eine soziale Identität aus. Erstere zeigt sich in der unverwechselbaren Persönlichkeit, die zweite in der Übernahme verantwortlicher sozialer Rollen.

Das Selbstwertgefühl entsteht also in einer Wechselwirkung zwischen einerseits persönlichen Schemata und andererseits der sozialen Realität, auf welche die eigenen Vorstellungen treffen. Diese beiden Gegebenheiten muss das Individuum zu einer Ich-Identität vereinbaren (vgl. Hurrelmann 1994, 75). Whitebourne&Weinstock entwickelten hierzu ein Modell, welches von Frey&Haußer weiterentwickelt wurde:

Abb.1: Modell des Identitätsprozesses (Haußer 1995, 63)

Der sozialisations- und handlungstheoretische Ansatz geht davon aus, dass die Jugendlichen weder den inneren noch den äußeren Faktoren hilflos ausgeliefert sind. Sie gestalten ihre Entwicklung aktiv mit. Auf die Entwicklung des Selbstwertgefühls bezogen heißt das, dass Jugendliche durch die Innenperspektive (wie sie sich selbst wahrnehmen) und durch äußere Einflüsse (wie andere sie wahrnehmen) geprägt werden. Das bestehende Selbstbild während der Adoleszenz wird von immer komplexeren Handlungs-anforderungen bedroht, und muss deswegen ständig neu überdacht werden. Die Fähigkeit über sich reflektieren zu können, ermöglicht es den Jugendlichen jedoch, die Erfahrungen, die im sozialen Kontext gemacht werden, individuell zu verarbeiten.

2. Der Begriff der Jugend: Kriterien zur Abgrenzung und Definition

„Jugend ist eine Lebensphase, aber „die“ Jugend als einheitliche soziale Gruppe gibt es nicht.“

(Hurrelmann 1994, 51)

2.1 Psychologische Kriterien

Hurrelmann fasst die wichtigsten Aspekte zusammen, welche die Abgrenzung des Jugendalters zur Kindheit und dem Erwachsenenalter kennzeichnen. Die Abgrenzung zwischen der Lebensphase Jugend und Kindheit kann aus entwicklungspsychologischer Sicht gut durch das Eintreten der Geschlechtsreife markiert werden. Die körperlichen Veränderungen sind so gravierend, dass sie auch die seelischen und sozialen Ebenen beeinflussen. Auch die Bewältigungsmechanismen, mit denen Anforderungen begegnet werden, ändern sich in der Jugend. Die für die Kindheit typische Imitation und Identifikationen mit den Eltern verlieren an Bedeutung. Statt dessen stehen die Ablösung von den Eltern und die Ausbildung von eigenständigen und autonomen Bewältigungsstrategien im Vordergrund (vgl. Hurrelmann1994, 31).

2.1.1 Entwicklungsaufgaben Jugendlicher

Die einzelnen Lebensphasen können gut anhand formulierter Entwicklungsaufgaben voneinander abgegrenzt werden. Unter dem Begriff Entwicklungsaufgabe werden „psychisch und sozial vorgegebene Erwartungen und Anforderungen verstanden, die an Personen in einem bestimmten Lebensabschnitt gestellt werden“ (Hurrelmann 1994, 33). Der Entwicklungs-psychologe Havighurst war der erste, der für jede einzelne Lebensspanne bestimmte Entwicklungsaufgaben formulierte.

Hurrelmann hat in Anlehnung an Havighurst folgende für die Jugendphase kennzeichnende Aufgaben beschrieben:

1. Die Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz, um selbstverantwortlich schulischen und anschließend beruflichen Qualifikationen nachzukommen, mit dem Ziel, eine berufliche Erwerbsarbeit aufzunehmen und dadurch die eigene ökonomische und materielle Basis für die selbständige Existenz als Erwachsene zu sichern.
2. Die Entwicklung der eigenen Geschlechtsrolle und des sozialen Bindungsverhaltens zu Gleichaltrigen des eigenen und des anderen Geschlechts; Aufbau einer heterosexuellen Partnerbeziehung, die langfristig Basis für die Erziehung eigener Kinder bilden kann.
3. Entwicklung eigener Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwarenmarktes und des Freizeitmarktes einschließlich der Medien mit dem Ziel, einen eigenen Lebensstil zu entwickeln und zu einem gesteuerten und bedürfnisorientierten Umgang mit den entsprechenden Angeboten zu kommen.
4. Die Entwicklung eines eigenen Wert- und Normsystems und eines ethischen und politischen Bewußtseins, das mit dem eigenen Verhalten und Handeln in Übereinstimmung steht, so dass die verantwortliche Übernahme von gesellschaftlichen Partizipationsrollen im kulturellen und politischen Raum möglich wird ( Hurrelmann 1994, 33f).

Die Phase der Jugend wird als abgeschlossen betrachtet, wenn die genannten Entwicklungsaufgaben bewältigt worden sind. Der Übergang zum Erwachsenalter ist als fließend zu betrachten und kann nicht an einem bestimmten Alter festgemacht werden. Die Persönlichkeitsentwicklung verläuft immer auch individuell, so benötigt der eine Jugendliche länger als ein anderer bei der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben.

2.2 Soziologische Kriterien

Aus soziologischer Perspektive betrachtet, werden die einzelnen Lebensabschnitte dadurch voneinander abgegrenzt, dass die Person eine Statuspassage überschreitet. Dies ist der Fall, wenn Veränderungen der sozialen Verhaltensanforderungen so gravierend sind, dass die Person eine andere soziale Position einnimmt. Die Statusübergänge sind nicht so deutlich gekennzeichnet wie die Entwicklungsaufgaben. Dennoch können für den Übergang von der Kindheit zur Jugend folgende Veränderungen genannt werden:

- Die Übernahme einer zumindest teilweise selbstständigen gesellschaftlichen Mitgliedsrolle, durch
- den Eintritt in die Rolle des zunehmend selbstständig Leistung Erbringenden mit dem Übergang in weiterführende Schulen und
- die soziale Ablösung von den Eltern und deutliche Hinwendung zur Gleichaltrigengruppe mit Selbstbestimmung der Sozialkontakte

(vgl. Hurrelmann 1994, 41).

Der Übergang zum Erwachsenenalter kann analog zu den Entwicklungsaufgaben gesehen werden. Wenn der Jugendliche in sämtlichen Handlungssektoren wie der beruflichen Rolle, der interaktiv-partnerschaftlichen Rolle, der Rolle als Kulturbürger und der Rolle als politischer Bürger ein dem Erwachsenenstatus entsprechender Grad von Autonomie der Handlungssteuerung erreicht hat, tritt er in den Erwachsenenstatus über (vgl. Hurrelmann 1994, 42). In jeder Gesellschaft herrschen normative Vorstellungen darüber, wann diese Rollen übernommen werden sollten. Einige Statusübergänge wie der Schuleintritt oder die Wahlfähigkeit sind aus diesem Grund auch institutionalisiert, andere, wie z. B. das Heiratsalter, sind kaum formalisiert.

2.3 Definition von „Jugend“

Lange fasst mit seiner Definition von „Jugend“ die dargestellten Überlegungen zur Abgrenzung der Jugendphasen zusammen und stellt das Besondere dieser Lebensspanne heraus:

Unter sozialisationstheoretischem Aspekt kann Jugend als eine Lebensphase in der Entwicklung eines Menschen bezeichnet werden, die mit der Entwicklung der Geschlechtsreife in der Pubertät um das 13. Lebensjahr beginnt und mit der Übernahme der Erwachsenenrollen, vor allem der Berufsrolle und der (Ehe-) Partnerrolle, etwa zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr endet. In dieser Jugendphase erreicht die Persönlichkeitsentwicklung eine einzigartige Dichte und Differenziertheit, in der das Spannungsverhältnis zwischen der Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft über Rollen- und Normübernahmen und der Individuation als Aufbau einer selbstständigen Persönlichkeit über Distanzierung und kritische Reflexion besonders gut beobachtet werden kann (Lange 1997, 19).

Diesem Begriffsverständnis schließt sich die Arbeit an, was bedeutet, dass eine grosse Altersspanne unter die Bezeichnung „Jugend“ fällt. Dies ermöglicht aber auch Studien mitein zu beziehen, die sich auf Personen im Übergang zum Erwachsenenalter stützen.

3. Was ist das Selbstwertgefühl?

„Es war eine schockierende Einsicht, nach einer eigenen Identität zu suchen und nur wenig zu finden. Andererseits war das ein wichtiger Anstoß, sich als etwas Einzelnes und Einziges zu begreifen und herauszufinden, worin diese Einzigartigkeit besteht und was sie bedeutet.“

(Sylvia, 24 nach Haußer 1995, 85)

3.1 Zum fehlenden Erklärungsmodell Selbstwertgefühl

In der deutschsprachigen Literatur finden sich kaum Autoren, die sich mit dem Selbstwertgefühl als eigenständigen Bereich beschäftigen. Das Selbstwertgefühl wird meistens im Rahmen der Identitäts- und Selbstkonzeptforschung abgehandelt. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema erschöpft sich oft in einigen Studien, in denen einzelne Dimensionen des Selbstwertgefühls gemessen und in einer Skala beschrieben werden. Diese geschlossenen Verfahren ergeben dann leichte Unterschiede zwischen den Geschlechtern oder Unterschiede im Leistungsverhalten der Befragten, sagen aber meist wenig darüber aus, „was so ein empirischer Befund für die Nutzanwendung und die theoretische Weiterentwicklung beizutragen vermag“ (Haußer 1994, 3). Filipp kritisiert, dass die Selbstkonzept-Forschung weitgehend in einem theoretischen Vakuum stattfindet. Als weiteres Problem nennt sie die Konzeptualisierung des Selbst. Die Theorien, die es dazu gibt, würden so unterschiedlich thematisiert und operationalisiert, dass es schwierig sei, generelle Aussagen über die Befunde zum Selbst zu treffen. Sie fordert, dass die Ergebnisse einzelner Studien immer in ihrem Untersuchungskontext betrachtet und gewertet werden sollten, bevor eine Aussage Anspruch auf einen Generalisierungsgrad erhoben werden könne (vgl. Filipp 1980, 106). Dies gilt es auch für die in dieser Arbeit replizierten Studien zu beachten. Das Problem besteht mit Mey gesprochen darin, dass der Gebrauch des Status Quo in der Selbstkonzeptforschung zwar von Vielen kritisiert wird, dennoch der Einsatz von geeigneteren, qualitativen Verfahren eher rar ist (vgl. Mey 1999, 137).

3.2 Definition und Abgrenzung zu anderen Begriffen

In unserem Sprachgebrauch werden Begriffe wie Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, Selbstsicherheit oder Selbstachtung (um nur einige zu nennen) oft synonym verwendet. Zweifellos ist es auch schwierig, diese Begriffe deutlich voneinander abzugrenzen, da sie teilweise eng miteinander zusammenhängen. Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Selbstwertgefühl ist sehr komplex. Die Vielzahl von Theorien und Konstrukten, die sich dem Thema widmen, verwirren leicht, weil von unterschiedlichsten Begriffverständnissen ausgegangen wird. Daher ist es wichtig, den Begriff Selbstwertgefühl genau zu definieren und damit von anderen abzugrenzen.

Der Begriff Selbstbewusstsein bedeutete ursprünglich das „Wissen um physische, psychische und seelisch-geistige Vorgänge und Handlungen inmitten der gelebten Beziehungen der bestehenden Welt“(Horney/ Ruppert/ Schulze 1976, 996). Diese Definition zeigt, dass das Selbstbewusstsein mit einem Sich-Gewahr werden in der Welt zu tun hat, einem Realisieren, dass man eine Wirkung auf andere hat. Diese Definition bleibt aber sehr vage, sie besagt lediglich, dass sich das Individuum bewusst ist, dass es in einer Wechselwirkung mit seiner sozialen Umwelt steht. Die Definition von Haußer weist noch eine andere Perspektive auf, welche die Bedeutung des Begriffs konkreter auf den Punkt bringt. Er versteht unter Selbstbewusstsein „die Erfolgszuversicht in Hinblick auf die Fähigkeit, Zustimmung zu finden, andere zu überzeugen, sich zu behaupten und durchzusetzen“ (Haußer 1995, 55).

Selbstvertrauen hingegen bezieht sich nicht wie das Selbstbewusstsein auf die soziale, sondern mehr auf die individuelle Perspektive, nämlich das Vertrauen auf die eigenen Kompetenzen. „Selbstvertrauen ist die Erfolgszuversicht in Hinblick auf die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse zu befriedigen, eigene Handlungsziele zu erreichen“ (Haußer 1995, 55). Selbstvertrauen beim Mensch setzt demnach voraus, überhaupt erst eigene Bedürfnisse und Werte zu haben, diese zu realisieren und dann für die Verwirklichung dieser Ziele ein adäquates Verhaltensrepertoire zu entwickeln. Ein starkes Selbstvertrauen zeigt sich auch im Selbstbewusstsein, indem Fähigkeiten und Fertigkeiten gegenüber anderen vertreten werden und sich jemand behauptet, der an sich glaubt.

Selbstachtung kommt dem Begriff des Selbstwertgefühls sehr nahe. „Selbstachtung besagt, dass man sich so verhält, dass man sich ansehen und mögen und damit achten kann. Es bedeutet, sich selbst Anerkennung zusprechen zu können.“ (Waibel 1994, 134). Selbstachtung kann als eine Komponente des Selbstwertgefühls betrachtet werden. Nur wenn man über ein positives Selbstwertgefühl verfügt, ist man auch in der Lage, sich als Person wertzuschätzen und zu achten. Selbstachtung drückt sich also in einem positiven Selbstwertgefühl aus.

3.2.1 Der Begriff „Selbstwertgefühl“

Die bekannteste Definition von Selbstwertgefühl stammt von Coopersmith, der das Selbstwertgefühl beschreibt als:

the evaluation which the individual makes and customarily maintains with regard to himself; it expresses an attitude of approval or dissaproval, and indicates the extent to which the individual believes himself to be capable, significant, sucsessful, and worthy. In short, self-esteem is a personal judgment of worthiness that is expressed in attitudes the individual holds toward himself (Coopersmith 1967, nach Schütz 2000,4).

Diese Definition ist eher allgemein gehalten. Auch wird kein Unterschied im Sinne Haußers zwischen der sozialen und der persönlichen Perspektive vorgenommen, der so das Selbstbewusstsein vom Selbstvertrauen unterscheidet. Deutlich wird aber, dass es sich um eine persönliche Beurteilung des eigenen Wertes handelt, welcher das Individuum sich selbst unterzieht. Haußer betrachtet das Selbstwertgefühl ebenfalls unter diesem Aspekt:

„Das Selbstwertgefühl eines Menschen entsteht aus den Generalisierungen seiner erfahrungsabhängigen Selbstbewertungen“ (Haußer 1995, 55).

Um diese Betrachtungsweise von Selbstwertgefühl soll es in dieser Arbeit gehen. Die zitierte Definition hat Haußer aus einem komplexen Zusammenhang heraus entwickelt. Er geht davon aus, dass das Selbstwertgefühl eine Komponente der Identität des Menschen ist. Aus diesem Grund wird im Folgenden zunächst die Verbindung zwischen dem Selbstwertgefühl und der Identität aufgezeigt und anschließend explizit auf Haußers Theorie eingegangen.

3.3 Selbstwertgefühl und Identität

Wie bereits erwähnt, ist das Selbstwertgefühl immer im Kontext mit dem Selbst oder der Identität einer Person zu betrachten. Kast versteht das Selbstwertgefühl als begleitendes Gefühl der Identität. Sie ist der Auffassung, dass das Selbstwertgefühl das Fundament für die Erfahrung der Identität ist, da sich alle psychischen Erfahrungen letztlich auch auf das Selbstwertgefühl auswirken. Wie jede andere Emotion sei das Selbstwertgefühl Ausdruck des Selbst und gäbe Auskunft darüber, welche Schwierigkeit oder welches Glück das Selbst zu verarbeiten habe. Bei Lebenskrisen oder Depressionen z.B. verringere sich das Selbstwertgefühl meistens, wohingegen Erfolg oder Anerkennung das Selbstwertgefühl beflügeln würden (vgl. Kast 2003, 35). In diesem Sinne drückt sich die Identität eines Menschen auch in seinem Selbsterleben, in seinen Gefühlen und damit auch in seinem Selbstwertgefühl aus. Aus diesem Grund wird das Selbstwertgefühl nicht als ein Konstrukt für sich betrachtet, sondern in einem größeren Rahmen, nämlich im Zusammenhang mit der Identität eines Menschen.

3.3.1 Das Selbstwertgefühl als emotionale Komponente des Identitätserlebens: Karl Haußer

Kast beschreibt das Selbstwertgefühl zwar als elementare Emotion, welche die Identität des Menschen fundiert, baut diesen Gedanken aber nicht weiter zu einer Theorie aus. An dieser Stelle soll Haußer mit seinem Versuch „einen theoretischen Mosaikträger für die empirischen Mosaiksteinchen der Identitätsforschung zu entwerfen“ (Haußer 1994, 3) herangezogen werden. Das Anliegen Haußers ist es, eine Identitätstheorie zu entwickeln, die als Grundlage für die weitere Forschung dienen kann, z.B. mit Fragen nach der Entwicklung der Identität, ihre Bedingungen und Auswirkungen. In seinem Modell zur Identitätsregulation fasst Haußer die wichtigsten Erkenntnisse der kognitiven Selbstkonzeptforschung zusammen und bringt diese in ein überschaubares Schema. Indem Haußer solch schillernde Begriffe wie Identität, Selbstkonzept oder Selbstwertgefühl genauer zu bestimmen versucht, eignet sich sein Modell sehr gut, das Konstrukt Selbstwertgefühl genauer zu verorten, bzw. zu bestimmen, welche Rolle es im Identitätserleben eines Menschen spielt. Auf dieses Anliegen wird im Folgenden das Hauptaugenmerk gelegt und die anderen Aspektes des Modells lediglich kurz erläutert.

3.3.1.1 Identität als situative Erfahrung

Haußer versteht Identität als Zusammenspiel von einerseits situativen Erfahrungen und übersituativen Erfahrungen andererseits.

In der Interaktion mit der Umwelt macht der Mensch ständig Erfahrungen. Inwieweit diese ihn prägen, hängt mit der jeweiligen subjektiven Bedeutsamkeit zusammen, die das Individuum der Situation zuschreibt. „Was einen emotional nicht berührt und kalt lässt, wird auch nicht identitätsrelevant“ (Haußer 1994, 9). In diesem Verständnis wirkt die subjektive Bedeutsamkeit wie ein Filter, der bewirkt, dass nur das, was einen betroffen macht, in die Identität einfließt. Nach einer Erfahrung, die eine Person betroffen macht, folgen Selbstwahrnehmungs- und Selbstbewertungsprozesse.

Bei der Selbstwahrnehmung handelt es sich zunächst um das augenblickliche Bild, das eine Person von sich hat (vgl. Haußer 1995, 15). Die Selbstwahrnehmung ist ein komplexer Prozess, der hauptsächlich mit informationstheoretischen Ansätzen erklärt wird. Dabei werden die momentanen Erfahrungen einer Person mit gespeicherten Erfahrungen über sie selbst verbunden. Dies vollzieht sich in einem kognitiven Verarbeitungsprozess, bei dem momentane Bedürfnisse, Vorstellungen, Ansichten usw. und allgemein vorherrschende, gespeicherte Einstellungen vereinigt werden. Manche Autoren sprechen auch von kognitiven Strukturen, sogenannten Selbstschemata, welche die selbstbezogenen Informationen zu einem Bild strukturieren, das man von sich entwirft (vgl. Petersen/ Stahlberg/ Dauenheimer 2000, 242).

Filipp und Frey beschreiben, welche Auswirkungen die Selbstaufmerksamkeit ausübt. Zum einen bewirkt die selbstzentrierte Aufmerksamkeit, dass die Person die aktuelle Affektlage intensiver erlebt und ihre Gefühlszustände verstärkt werden. Zum anderen gelangen Verhaltensstandards, verinnerlichte Normen, Überzeugungen und Einstellungen stärker ins Bewusstsein und üben damit größeren Einfluss auf das Verhalten einer Person aus, als es der Fall wäre, wenn die Aufmerksamkeit nicht auf das Selbst gerichtet wäre; z.B. wird sich die Person der Widersprüchlichkeiten zwischen ihrem realen und ihrem idealen Selbst bewusst (vgl. Filipp/ Frey 1988, 449).

Nach der Selbstwahrnehmung, dem augenblicklichen Bild, das eine Person von sich aufgebaut hat, wird dieses einer inneren Selbstbewertung unterzogen. Grundsätzlich verfügt ein Mensch über so viel Selbstbewertungen, wie er über verschiedene Konzeptionen der eigenen Person verfügt (vgl. Kanning 2000, 39). Haußer versteht die Selbstbewertung als emotionale Handlung. Das jeweilige Gefühl, das in der Situation auftritt, orientier sich immer an einer bestimmten Bezugsnorm. Diese kann der soziale Vergleich sein („Ich empfinde größere Angst vor Hunden als andere Menschen“) oder kann aus dem individuellen Vergleich resultieren („Ich könnte eigentlich mehr Leistung bringen, wenn ich mich mehr anstrengen würde“). Ob nun zuerst die Selbstwahrnehmung, das heißt die Kognition, und erst danach die Selbstbewertung, also die Emotion auftritt oder umgekehrt, ist ein in der Literatur häufig thematisierter Streitpunkt. Es lassen sich für beide Positionen plausible Argumente finden. Haußer sagt dazu folgendes:

Auf der einen Seite kann eine Selbstbewertung nicht ohne Material erfolgen, und dieses Material liefert ihr die Selbstwahrnehmung. Auf der anderen Seite jedoch wird z.B. ein Mensch mit geringem (generalisierten) Selbstwertgefühl und mangelndem Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen eine subjektiv bedeutsame Situation oft schon von vornherein so erleben, dass seine Selbstwahrnehmung beeinträchtigt ist (Haußer 1994, 14f).

Eine weitere Komponente der Identität neben Selbstwahrnehmung und Selbstbewertung ist die personale Kontrolle. Sie ist die handlungsbezogene Komponente. „Personale Kontrolle stellt das Bedürfnis dar, auf Gegebenheiten und Ereignisse der Umwelt Einfluss zu nehmen“ (Haußer 1994, 17). Eine umfassende Theorie zur Kontrolle hat Rotter (1966) entworfen, der ausgehend von der sozialen Lerntheorie Kontrolle als Erwartung betrachtet, die ermöglicht, Belohnung und Verstärkung des eigenen Verhaltens zu beeinflussen. Bei der personalen Kontrolle spielt das Attribuieren eine wichtige Rolle. Es geht dabei nicht nur um ein allgemeines Erklärungsbedürfnis des Menschen, sondern auch darum, Unerklärliches und Unvorhergesehenes vor sich selbst so zu interpretieren, dass man nicht sein Gesicht verliert (vgl. Haußer 1995, 20).

3.3.1.2 Identität als übersituative Erfahrung

Gesetz dem Fall, dass die gemachte Erfahrung von Bedeutung für das Individuum ist, können die drei vorgestellten Komponenten (Selbstwahrnehmung, Selbstbewertung und personale Kontrolle) zu einer übersituativen Erfahrung generalisiert werden.

Die kognitiven Selbstwahrnehmungen werden dann zum Selbstkonzept, die emotionalen Selbstbewertungen zum Selbstwertgefühl und die handlungsbezogenen personale Kontrollen werden zu Kontrollüberzeugungen verarbeitet. Dies geschieht durch Generalisierungen über Bereiche und Zeit. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden:

[...]

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Das Selbstwertgefühl Jugendlicher als Produkt sozialer Prozesse
Untertitel
Einfluss der Familie, der Schule und der Peer-Group
Hochschule
Katholische Hochschule Freiburg, ehem. Katholische Fachhochschule Freiburg im Breisgau
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
91
Katalognummer
V150536
ISBN (eBook)
9783640620494
ISBN (Buch)
9783640620913
Dateigröße
789 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Selbstwertgefühl, Selbst
Arbeit zitieren
Anita Späth (Autor:in), 2003, Das Selbstwertgefühl Jugendlicher als Produkt sozialer Prozesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/150536

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