Virtuelle Teams - Kollaboration oder Kollision?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

49 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 EINFÜHRUNG
1.1 DIE HISTORIE DES PROJEKTMANAGEMENTS
1.2 DIE NOTWENDIGKEIT FÜR VIRTUELLE TEAMS

2 WAS SIND VIRTUELLE TEAMS?
2.1 DEFINITIONEN „VIRTUELL“ UND „TEAM“
2.2 DEFINITION VIRTUELLE TEAMS
2.3 EIN VIRTUELLES TEAM: DIE POPGRUPPE „UNDERWORLD“
2.4 NÄHE UND DISTANZ, DOCH GENERALISIERUNG UND SPEZIALISIERUNG?
2.4.1 Globalisierung in der Unternehmenswelt
2.4.2 Teams und Business Reengineering
2.4.3 Teambildungsprozesse
2.4.4 Sozialisation im Internetzeitalter
2.4.5 Vertrauensbildung im Internetzeitalter
2.4.6 Menschen
2.4.6.1 Anforderungen an die Teammitglieder
2.4.6.2 Vertrauen & Abhängigkeit heute
2.4.7 Die Umwelt der Arbeit
2.4.7.1 Die Macht des Zweckes
2.4.7.2 Bedeutung des Systemdenkens
2.4.7.3 Das gesprochene und geschriebene Wort
2.5 DIE BEDEUTUNG DER TECHNIK
2.5.1 Struktur von Arbeitsprozessen
2.5.2 Mediale Kommunikation – analog & digital

3 MEDIALE UNTERSTÜTZUNGSTECHNIKEN – KLEINER AUSSCHNITT
3.1 SCHWÄCHEN BEI DEN RIESEN – STÄRKEN VON OPEN-SOURCE
3.2 BEISPIEL COLLABORATIVE VIRTUAL WORKSPACE
3.2.1 Kontrolle virtueller Teams
3.2.2 Kosten & Nutzenanalyse?

4 RESUMÉE UND AUSBLICK

5 ABBILDUNGSVERZEICHNIS

6 QUELLENVERZEICHNIS

7 ANHANG / MATERIALIEN

1 Einführung

„The frontier that information science opens up to mankind. There are other frontiers enabled by science, of course; the exploration of space, the study of the brain. But only ours will continue to reveal unsuspected potential in the most precious of natural phenomena, relationships between human beings.”

Jaron Lanier, Computervisionär, Erfinder der Virtuellen Realität1

Projektmanagement ist aus Notwendigkeiten entstanden. Aus der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit, aus der Notwendigkeit zur Kooperation, aus der Notwendigkeit der Reduktion von Komplexität und aus der Notwendigkeit der Zielerreichung in einer komplexen Umwelt. Weil alte Formen der Kollaboration und der hierarchisierten Organisation hierzu nicht leistungsfähig genug waren. Es waren die Ziele und die damit verbundene Komplexität der Aufgaben, die Menschen dazu brachten, Ihre Arbeit aufeinander abzustimmen und zu organisieren. Die Menschheit braucht hochgesteckte Ziele weiterhin, um sich zu entwickeln, vorrangige Anwendung findet die Methode in der Wirtschaft. Die Organisationsform namens „Virtuelle Teams“ beschreibt Projektmanagement des 21. Jahrhunderts, delokalisiert, enttemporalisiert und entmaterialisiert2. Möglich geworden durch Unterstützung von neuen Medien und Telekommunikation (Internet, Telefon, Videokonferenz, etc.), erzwungen durch die Notwendigkeit kundenorientierter und globaler Unternehmen, ist sie eine diskussionswürdige Entwicklung für Arbeitnehmer wie

Arbeitgeber, um in Zukunft auch weiterhin Ziele erreichen zu können. Welchen Nutzen „Virtuelle Teams“ haben können, soll diese Arbeit vorstellen.

Inhaltlich beschäftigt sie sich mit der Darstellung dieser Organisationsform und soll Ihre Erfolgspotentiale wie Risiken kritisch beleuchten. Es existiert die Notwendigkeit zum virtuellen Arbeiten, somit stellt sich die Frage nach Ihren Erfolgschancen und nach den Bedingungen für diesen Erfolg, nicht Ihrer Berechtigung. Da neben der rein technischen Komponente ein starker soziologischer Fokus bei Gruppenarbeit notwendig wird, soll er entsprechende Würdigung erfahren. Die Arbeit beschränkt sich dabei ausdrücklich nicht auf Organisation in Unternehmen, bspw. wird die digitale Musikproduktion genauso in Projektform durchgeführt und benützt sich der Methode „Virtueller Teams“ (siehe Beispiel der Musikgruppe „Underworld). Die Erkenntnisse

lassen sich auf die meisten, bekannten Organisationsformen übertragen.

Am Ende dieser Arbeit soll der Leser selber beurteilen können, ob und wann „Virtuelle Teams“ eine für Ihn oder seine Organisation geeignete Arbeitsform ist, was beachtet werden soll und was man von Ihr erwarten darf, kann und muss.

1.1 Die Historie des Projektmanagements

Die Ziele, unter denen Projektmanagement notwendig wurde, bestanden im Amerika der 50er Jahre aus der Verteidigung des eigenen politischen, wirtschaftlichen Systems gegen ein konkurrierendes System, dem der kapitalistischen Demokratie gegen den planwirtschaftlich organisierten Kommunismus. Aus der Reibefläche beider Systeme entstand die politisch gewollte Notwendigkeit zum Bau von Raketen, die entweder Atombomben transportieren oder politisch symbolträchtig Menschen ins All bringen sollten. Der Bau der Polaris - Interkontinentalrakete war eines der ersten, „generalstabsmäßig“ geplanten Projekte.3 Es hatte ein definiertes Ziel, einen Plan zur Durchführung und einen zeitlichen Kontext sowie eine Verteilung von Arbeitspaketen. Die Erfahrungen mit der Methode waren im Hinblick auf Zeit, Kosten und Ergebnis so positiv, dass Sie etwas später für jeden Erdenbürger sichtbar Ihren Höhepunkt fand: Das Apollo 11- Projekt - der erste Mensch auf dem Mond.

Der Kalte Krieg ist beendet und die Methode der Projektarbeit und des Projektmanagements ist weiterhin ohne vergleichbare Organisationsansätze geblieben. Längst hat Sie den Weg in den Alltag gefunden, ob nun in der Wirtschaft, der öffentlichen Hand als auch in privaten, nicht-gewerblichen Organisationen, gar in der Kultur spielt sie eine kleine Rolle. Ob nun Produkte, Konzepte oder Ereignisse, überall findet Projektarbeit eine Verwendung in der Planung und Realisierung von menschlicher Zusammenarbeit.

Insbesondere die Entwicklung von komplexen Systemen kommt ohne ein effizientes wie effektives Projektmanagement nicht mehr aus, seien es nur „ordinäre Maschinen“ wie bspw. Autos oder Programme zur Informationsverarbeitung; sprich Software. Softwareentwicklung ist von seinem komplexen Naturell her ohne Projektmanagement undenkbar geworden. Zeit, Kosten und Ergebnis sind die kritischsten Faktoren, sowohl als Faktor für Erfolg wie Nichterfolg.

1.2 Die Notwendigkeit für Virtuelle Teams

Projektmanagement tritt seit Anfang der 90er Jahre in ein neues Stadium, der Gestaltung von virtueller Zusammenarbeit. Auch hier ist nicht die Idee, sondern eine Notwendigkeit der Ausgangspunkt der Überlegungen. Entwicklung und Produktion in Unternehmen wird komplexer und räumlich verteilter, der Mitteleinsatz wird erfolgskritischer, der Wettbewerb globaler wie intensiver. Der kundenorientierte Ansatz der Unternehmen, der Bedürfnisse sowohl schnell befriedigen wie wecken soll4, macht aus den ehemals hierarchisch organisierten Unternehmen flexible Systeme, die dauerhaft reorganisiert werden müssen, wenn Sie diesen Ansprüchen genügen wollen.

Im Gegensatz dazu sind Kompetenzen einerseits verteilt wie lokal verbunden. Menschen können reisen, dennoch haben Sie Fixpunkte in Ihrem Leben, die einen dauerhaft „flexiblen“ Nomadenzustand unmöglich machen. 5

Zwar regt sich hier berechtigte Kritik an diesem „seelenlosen“ Umgang mit Menschen, scheint nach normativem Menschenbild ein Leben ohne gewisse Stabilität für den Menschen doch unaushaltbar.6 Die Natur setzt der gewünschten Flexibilität beim Menschen Grenzen, denn seine persönliche Lebenszufriedenheit wird in diesem „Driftzustand“7 gefährdet. Objektiv gefährdet die Mobilität die Fähigkeit zur Erhaltung von sozialen Bindungen, subjektiv schränkt sie diese ein. Dies gefährdet natürlich auch den Erfolg seiner Arbeit, die mit einer gewissen Stabilität und dem Gefühl des „Gebrauchtwerdens“ verknüpft ist.8 Auf anderer Seite muss klar negiert werden, dass das Individuum in schwacher Verhandlungsmacht mit seiner Umwelt steht und somit geringen Einfluss ausüben kann. Am Beispiel von Hochqualifizierten, zweifellos nicht die Masse an Arbeitnehmern, lässt sich die besondere Bedeutung und der Nutzen von virtuellen Teams aufzeigen:

Beispiel: Allokation von Top-Personal

Die IT-Branche der 90er stand vor einer Ausnahmesituation in der Geschichte des Arbeitsmarktes. Der Mangel an Arbeitskräften trieb

die Gehaltssummen für qualifizierte Mitarbeiter in Höhen, die nicht mehr in Relationen zu anderen professionellen Berufsgruppen stand. Dies ist weiterhin zu beobachten. Es entstand erstmals eine gewisse Verhandlungsmacht der Qualifizierten gegenüber den Unternehmen. Somit war es erstmals möglich, dass diese Hochqualifizierten, so sie es denn wollten, gegenüber Ihren Arbeitgebern keine Loyalität beweisen mussten und dennoch keine Sorgen sich darüber machen mussten, Beschäftigung fanden sie dennoch. Die krisenhaften Entwicklungen der New Economy haben diese Sorglosigkeit geschwächt, der Niedergang führte zu einem Trend, der mehr Abhängigkeit der Beschäftigungsverhältnisse induzierte. So wurden auf einmal auch wieder alte Industrieriesen wie Siemens zu gefragten Arbeitgebern für IT’ler. Das Problem für Unternehmen: Die besten Leute haben sich eine gewisse Form der Unabhängigkeit bewahren können. Gerade bei Führungskräften mit Ist-Kenntnissen besteht Mangel.

Um sie auch weiterhin zu erreichen und für die Unternehmen zu verpflichten, braucht es neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit, unabhängig von Zeit und Raum. Hierfür kann man die Methoden der „Virtuellen Teams“ benutzt werden.

Da Mitarbeiter also nicht dort zur Verfügung stehen, wo Ihr Einsatz von Nöten ist, könnte, so die Idee, die Arbeit zu Ihnen kommen. Und dies ist durch die Verwendung nun mehr und mehr technisch ausgereifter Kommunikationstechnologien und Infrastruktur erstmalig möglich geworden. Videokonferenzen und E-Mail sind mittlerweile jedermann ein Begriff, sie ermöglichen Kommunikation und die Verteilung von Arbeit wie die Übermittlung der Ergebnisse. Da die Projektarbeit ebenso davon lebt, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch sie so elektrifiziert als neue Arbeitsform entdeckt wurde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Direkte Zusammenarbeit ist am besten?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Was ist, wenn Sie durch Entfernung unmöglich wird?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es braucht virtuelle Teams!“ 9

2 Was sind virtuelle Teams?

2.1 Definitionen „Virtuell“ und „Team“

„Sich mit dem virtuellen zu beschäftigen, bedeutet den Versuch, das nur Mögliche, rein Potentielle greifbar zu machen und näher zu untersuchen. [...] streng genommen nur der Möglichkeit nach, nicht aber tatsächlich vorhanden. [...] Virtuelle (Teams) werden als wirklich existierende Erfahrungsobjekte behandelt.“ 10

Frank Linde

Der EDV-Welt ist der Begriff „Virtueller Speicher“ seit langem geläufig. Durch die rasanten Hardware - Entwicklungen im Computerbereich hat der Begriff „Virtuell“ nun neue Dimensionen erreicht: „Virtual Reality“ bietet die Möglichkeit, computergestützte, virtuelle Welten zu erschaffen, die es dem Betrachter kaum noch ermöglichen, sie von der Realität zu unterscheiden. Die nach Alan Turing benannte Turing Maschine als Beispiel einer „virtuellen Maschine“ wird gerne von Informatikern genannt als Erklärung für etwas, das der Wirkung nach vorhanden ist. Ist das virtuell? Der Begriff bleibt schwer greifbar und zusammen mit dem Begriff Team ergibt er nur theoretisch Sinn:

Virtuell: (EW) nach Kraft (Möglichkeit, Wirkung nach) vorhanden11

Virtualität: die Möglichkeit; schlummernde Kraft12

Team: Zusammenarbeit von Individuen zur Erreichung von Zielen, die Generalisierung wie Spezialisierung ermöglicht, nach Möglichkeit kollaborative und soziale Einheit

„Team“ ist ein wenig erklärungsbedürftiger Begriff. Seine Bedeutung und Definition ist klar, ich habe oben eine Erklärung eklektisch kreiert. Kritische Diskussion von Teamarbeit ist wiederum unerlässlich, Teamarbeit kann produktive Zusammenarbeit von Menschen bedeuten oder im negativen Fall die Verteilung von Arbeit auf die Teammitglieder mit dem geringsten Widerstand (nach dem Motto „TEAM: „Toll, ein anderer macht’s“). Unstrittig ist, für die Bearbeitung von komplexen Aufgaben, die Spezialisten erfordert, reicht die individuelle Arbeitsleistung nicht aus. Der Aspekt der Probleme von Teamarbeit

sollte aber erhalten bleiben, um die Probleme und Chancen von virtuellen Teams zu beurteilen.

Wie die angeführten Worterklärungen des Begriffes „Virtuell“ schon andeuten, der Begriff ist für Philosophen zu fassen, doch widerspenstig im praktischen Gebrauch der Unternehmenswelt. Er erhält den Status einer Worthülse. Was also ist etwas, das im Grunde nicht ist? Worüber reden wir denn überhaupt, wenn es in der Realität nicht sein kann?

Fragt man das Marketing, ist wohl so ziemlich alles heute virtuell, was irgendwie mit Internet, PC und Kabeln oder gar Funk und Licht zu tun hat. Und was sind dann „Virtuelle Teams“. Nur ein

„Internetlabel für Gruppenarbeit“ 13 ?Projektmanagement mit dem

Internet “? 14 Nein, keine der genannten Definition ist ausreichend und ausfüllend.

2.2 Definition Virtuelle Teams

„Virtuelle Teams sind Arbeitsgruppen, in denen Personen zusammenarbeiten, ohne persönlich am selben Ort anwesend zu sein. Die Zusammenarbeit geht dabei über räumlich, zeitlichen und organisationale Grenzen hinaus (vgl. Lipnack/Stamps 1997, Hertel/Konradt 2000), wobei ein weites Spektrum der Kommunikationstechnologien genutzt wird – z.B. E-Mail, Videokonferenzen, Application Sharing, aber auch eher konventionelle wie Telefon und Fax. Der Arbeitsprozess ist dabei durch eine mitunter komplexe Abfolge von Phasen gekennzeichnet, in denen unterschiedliche Kooperationsformen praktiziert und Arbeitspakete sowohl hochgradig interaktiv wie auch autonom und individuell erledigt werden. Arbeitsaufgaben werden nicht nur über Raum und Zeit zugeordnet, sie werden auch inhaltlich verteilt (Herczeg/ Paul 1997).“ 15

Soweit die Theorie der Definition. Was in der Praxis vielleicht selbstverständlich gebraucht wird, ist in den meisten Branchen ein neues Wort für einen alten Zustand, medial unterstützte „lokale Teams“. Sie arbeiten zu gleicher Zeit und oft am gleichen Ort mit neuen Medien, dabei sind sie ebenso hierarchisch organisiert wie kontrolliert.16 Und tritt der Fall örtlicher Trennung dann doch ein, so wird das Team eben mit reger Reisetätigkeit

zusammengehalten. Aus dem erzeugten entlokalisierten Zustand wird dann wieder nur ein normales „Team“ mit einer „normalen, altbekannten Hierarchie“ geformt. Auch das ist kein Virtuelles Team, es ist noch nicht einmal gutes Projektmanagement.

Menschen, die die alte Form der Zusammenarbeit lange praktiziert haben, müssen die neuen Formen der Zusammenarbeit mühsam erlernen, denn dies geht nicht nur gegen Ihr gewohntes Verhalten, sondern oftmals wider Ihre Natur, wie Studien gezeigt haben.17

2.3 Ein virtuelles Team: Die Popgruppe „Underworld“

Man kann immer etwas aus der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu gestalten. Elektronik? Ein Werkzeug. Nur ein Werkzeug unter anderen, um unseren Geist zu befreien.18

Karl Hyde, Underworld

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Underworld (Karl Hyde, Rick Smith, Darren Emerson) 2000

Die Musikgruppe Underworld ist in mehrer Hinsicht bemerkenswert. Zunächst mal ist sie bemerkenswert erfolgreich. Als einer der wichtigsten „Dance-Acts“ der 90er Jahre zeichnen Sie sich mitverantwortlicher für den Durchbruch elektronischer Musik, die dennoch Inhalte in Texten transportiert und damit an die rhythmusorientierte Stammesmusik der Urvölker Afrikas erinnert. Underworld ist sozusagen die Stammesmusik für die Metropolen und Informationslandschaften unserer Tage.

Neben Produktionen und Remixen von den populärsten Künstler der 90er Jahre (Björk, U2, Simply Red, Orbital, etc.) ist Underworld vielseitig aktiv. Karl Hyde ist auch Mitbegründer der

Werbe- und Kommunikationsagentur „Tomato“, die Agentur mit der wohl auserlesensten Kundenliste der Welt. Ihre Arbeit bewegt sich zwischen Kunden, Kontinenten und verschiedenen Kunstformen.

Für unser Thema „Virtuelle Teams“ unterscheidet sich Underworld immens von „normalen“ Bands in Ihrer Produktionsweise. Um zwischen verschiedenen Wohnorten und den vielseitigen Tätigkeiten ein Kompromiss zu finden, anstatt analog und in Interaktion gemeinsam ins Studio zu gehen und dort Lieder zu komponieren und aufzunehmen, arbeitet Underworld als ein

„Virtuelles Team“. Und zwar der reinsten Sorte, den laut eigener Aussage trifft man sich nur zur Aufnahme von PR-Fotos oder für Live-Auftritte. Dauerhaften persönlichen Kontakt empfindet man eher als störend, da die Persönlichkeiten schlecht auf einen Nenner zu bringen sind. Stattdessen wirkt ein gemeinsames Ziel, die Musikproduktion, für die Gruppe integrierend. Dabei kommt Ihnen hilfreich zu Gute, dass Ihr Produkt, Musik, durch die digitale Natur Ihrer Instrumente (bspw. Synthesizers, Sequencer, PC-Programme wie Steinberg 4.0) keinen Medienbrüchen unterworfen ist.

Für Ihre Zusammenarbeit, so Rick Smith, habe man sich eine Intranetseite eingerichtet, in der verschiedene Rubriken existieren. So findet sich eine Rubrik für rohe Ideensammlungen (Brainstorm), eine für Sounds und Einflüsse anderer Musiker, sowie das Album als Komposita mehrer Songs. Diese werden dann durch eine natürliche Arbeitsteilung abgearbeitet, Karl Hyde die Texte, Rick Smith die melodische Thematik und Darren Emerson das rhythmische Gesamtgerüst. Audiodateien werden untereinander gepostet oder versendet, es besteht eine Chat - Möglichkeit und in der Finalisierungsphase des Albums trifft man sich, um das Produkt „zu Ende zu bringen“. Die gesamte Software ist Open-Source, womit das Argument der hohen Kosten dieser Zusammenarbeit fraglich ist. Ein Studiotag kostet zudem mehrere tausend Euro pro Tag und setzt den kreativen Prozess unter einen nicht nur förderlichen zeitlichen Druck. Um dennoch nicht umherzudriften, ist mit den Plattenfirmen ein Veröffentlichungsdatum ausgehandelt worden. Die Nichteinhaltung dieses Datums kann ebenfalls zu immensen Kosten durch Vertragsstrafen oder nutzlos ausgegebene Werbekampagnen führen.

Die Arbeit von Underworld darf man erfolgreich nennen. Kritiker bescheinigen Ihnen künstlerische Brillanz, Innovationsgeist und Kreativität in Form von musikalischer Schönheit. Insbesondere war die Beobachtung der Zeitschrift „Intro“ von Bedeutung, die der Musik eine für elektronische Musik außergewöhnliche emotionale

Tiefe zuwies. Somit ist zumindest fragwürdig, ob ein virtuelles Team nur für „stumpfe“ quantitative Arbeit geeignet ist.

Die Käufer der CDs waren so euphorisch, daß Sie die letzte Scheibe „Beaucoup Fish“ zu höchsten Verkaufszahlen brachte und die anschließende, nicht-virtuelle Tournee stellt wieder ganz virtuell ein Höhepunkt elektronischer Live-Musik der 90er Jahre dar. Dennoch löste sich Underworld leider im vergangenen Jahr auf und wird nur im Duett weiter existieren.

An Underworld lassen sich die wesentlichen Elemente virtueller Zusammenarbeit erkennen. Nun stellen wir sie am Beispiel von Unternehmen wieder da, da das Musikgeschäft doch nach eigenen Regeln funktioniert und eher ein Nutznießer der Entwicklungen ist, nicht aber in vorderster Front bei Innovationen zu finden ist.19

2.4 Nähe und Distanz, doch Generalisierung und Spezialisierung?

Der Einbruch der letzten Handelsbeschränkungen und die Erweiterung des Marktes auf die ehemaligen kommunistischen Staaten brachte die Globalisierung in Gang, die Beweglichkeit der Finanzströme und die Erfindung neuer synchroner Kommunikationsmittel (Telefon, Videokonferenz, Shared Applications) und asynchroner Kommunikationsmittel (Fax, E-Mail, Common Repositories) unterstützen diese Entwicklung und vermitteln die Funktionalität und das Gefühl räumlicher Nähe. Es bleibt zu untersuchen, wie gut sie dies tun können, Zweifel sind angebracht.

Wie soll man die räumliche Lücke schließen können, die zwischen verteilten Teams in verschiedenen Kontinenten in verschiedenen Kulturen entsteht? Raum verliert seit Beginn der Industrialisierung an Bedeutung, seine Wahrnehmung hat sich stetig verändert.20 Man mag an der Relativität der Zeit von Einstein zweifeln, in unserer Zeit wird sie zum teuersten Gut. So teuer, das sie sich niemand mehr leistet. Doch Zeit wird gebraucht, um in den sozialen Beziehungen zwischen Menschen Vertrauen aufzubauen. Herrscht kein Vertrauen, wie soll dann Zusammenarbeit funktionieren? Die Antwort liegt in der Teamarbeit selbst.

Der negative, leider populäre Fall liegt in der Delegation von Verantwortung vom ehemaligen Vorgesetzten, sprich dem Funktions- wie Machtinhaber, auf ein Projektteam mit einem in der

Regel nur funktionstragenden, aber „machtlosen“, Projektmanager. Dies kann wiederum zu einem wenig wünschenswertem Ergebnis führen, der Verlagerung des Drucks vom Machtinhaber auf die Mitglieder des Teams untereinander, die sich nun selbstständig unter Stress setzen (Anmerkung: Nicht das Stress oder Druck generell verdammenswert sind, aber sie dürfen nicht als einziges Instrument der Mitarbeiterführung übrig bleiben!). Führungskräfte erledigen sich in diesem Fall Ihrer Verantwortung und Ihrem Zweck.

Einer der größten Vorteile von virtuellen Teams ist die Auflösung eines theoretischen Widerspruches, dem Widerspruch von Generalisierung und Spezialisierung in einem Team. Unter Hinzunahme der räumlichen Verteilung als weitere Form der Generalisierung ist genauso die Realisierung von Spezialisierung durch die Ressourcenbildung möglich. 21

Wie leistungsfähig sind diese Teams aber dann? Sind Sie

überhaupt funktionsfähig? Die folgenden Aspekte „Globalisierung“,

„Business Reengineering“ und „Teambildungsprozesse“ beleuchten diese Fragestellung.

2.4.1 Globalisierung in der Unternehmenswelt

Nationale wie internationale Fusionen von Unternehmen, Kooperationen in allen Funktionsbereichen zwischen Unternehmen und Institutionen verändern die Arbeitsformen ständig. Alle internationalen Aktivitäten wollen miteinander abgestimmt werden und verflechtet werden. Deshalb ist die Zusammenarbeit über große räumliche Distanz überlebenswichtig geworden.22

Ein Beispiel ist die Firma DaimlerChrysler AG, deren Stammsitz in Stuttgart liegt, deren Konzernverwaltung in New York sitzt und deren Tochter Chrysler in Auburn Hills. Die Beteiligungen bei Mitsubishi / Japan und Hyundai / Korea ergeben zusammen eine Arbeitskette, deren Aktivitäten mit dem Sonnenstand von Kontinent zu Kontinent wandern. Die Arbeit ruht wie, wie im internationalen Devisenhandel, niemals auf dem Globus. Dennoch bleibt die Koordination und Kommunikation in diesen Konglomeraten notwendig. Eine eigene Fluggesellschaft verbindet bei DaimlerChrysler die Topmanager miteinander, doch für alle Projekte und Ebenen des Unternehmens außerhalb des Topmanagements würden die Reisekosten (insbesondere

Zeitverluste) auf Dauer zu hoch, wenn man wettbewerbsfähig bleiben möchte.

2.4.2 Teams und Business Reengineering

Ständige Reorganisationen in Unternehmen mit dem Ziel der Qualitäts- und Effizienzsteigerung in Größenordnungen bringen einen dauernden Umbau der Ablauf- und Aufbauorganisation mit. Da Teambildungsprozesse einer gewissen Zeit bedürfen, könnte die Produktivität während der Restrukturierungsmaßnahmen nur eingeschränkt vorhanden sein. In diesen Situationen können virtuelle Teams moderieren und unterstützten, die einen funktionalen Zusammenhang eben virtuell erhalten können, unabhängig von Umstrukturierungen. In dieser Umbruchphase erlaubt die Methode der virtuellen Organisation aber auch die Aufrechterhaltung einer nun nicht mehr gewünschten „alten Organisation“, die vor allem informell weiter funktioniert.23 Somit kann die virtuelle Organisation organisatorischem Wandel im Wege stehen, da sie etablierte Strukturen schützt.

[...]


1 http://people.advanced.org/~jaron/cacm50.html

2 Frank Linde, Virtualisierung von Unternehmen – Wettbewerbspolitische Implikationen, Gabler Verlag, 1997

3 Vorlesungsskript „Projektmanagement“ Prof. Dr. Beckers, FH Köln 1992

4 Michael Hammer, James Champy: Reengineering the corporation, Harper Collins 1993

5 Richard Sennett, Der flexible Mensch – Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin Verlag 1998

6 Richard Sennett, Der flexible Mensch – Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin Verlag

1998

7 Richard Sennett, Der flexible Mensch – Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin Verlag 1998

8 Kotter, J./Heskett, J.: Corporate Culture and Performance, New York: Free Press, 1992.

9 http://www.forgroups.com

10 Vorwort zu: Frank Linde, Virtualisierung von Unternehmen – Wettbewerbspolitische Implikationen, Gabler Verlag, 1997

11 Siehe zu Alan Turing auch http://www.turing.org.uk/turing

12 Mackensen, Deutsches Wörterbuch, C.A. Koch’s Verlag, Berlin 1986

13 Diverse Autoren, Virtuelle Teams, Graue Reihe des Instituts für Arbeit und Technik, 2000-07, S. 11

14 Bartsch, Klee – Projektmangement mit dem Internet, Hanser Verlag 2001

15 Diverse Autoren, Virtuelle Teams, Graue Reihe des Instituts für Arbeit und Technik, 2000-07, S. 11

16 Diverse Autoren, Virtuelle Teams, Graue Reihe des Instituts für Arbeit und Technik,

2000-07, S. 11

17 Diverse Autoren, Virtuelle Teams, Graue Reihe des Instituts für Arbeit und Technik, 2000-07, S. 11

18 http://www.arte-tv.com/thema/19961022/dtext/d4hyde.html

19 Informationen zu Underworld auf www.dirty.org

20 Wolfgang Schivelbusch, Geschichte der Eisenbahnreise – Zur Industrialisierung von Raum & Zeit im 19. Jahrhundert, Fischer-Verlag, 1977

21 Diverse Autoren, Virtuelle Teams, Graue Reihe des Instituts für Arbeit und Technik, 2000-07, S. 14

22 Diverse Autoren, Virtuelle Teams, Graue Reihe des Instituts für Arbeit und Technik,

2000-07, S. 14

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Virtuelle Teams - Kollaboration oder Kollision?
Hochschule
Technische Hochschule Köln, ehem. Fachhochschule Köln  (Fachbereich Wirtschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar Projektmanagement
Note
1.0
Autor
Jahr
2002
Seiten
49
Katalognummer
V1503
ISBN (eBook)
9783638109338
Dateigröße
1740 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Projektmanagement ist aus Notwendigkeiten entstanden. Aus der Notwendigkeit zur Zusammenarbeit, aus der Notwendigkeit zur Kooperation, aus der Notwendigkeit der Reduktion von Komplexität und aus der Notwendigkeit der Zielerreichung in einer komplexen Umwelt. Weil alte Formen der Kollaboration und der hierarchisierten Organisation hierzu nicht leistungsfähig genug waren. Die Organisationsform namens 'Virtuelle Teams' beschreibt Projektmanagement des 21. Jahrhunderts, delokalisiert, enttemporalisiert und entmaterialisiert . Möglich geworden durch Unterstützung von neuen Medien und Telekommunikationstechnologien (Internet, Telefon, Videokonferenz, etc.), erzwungen durch die Notwendigkeit kundenorientierter und globaler Unternehmen, ist sie eine diskussionswürdige Entwicklung für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber, um in Zukunft auch weiterhin Ziele erreichen zu können. Welchen Nutzen 'Virtuelle Teams' haben können, soll diese Arbeit vorstellen. 1.342 KB
Schlagworte
Projektmanagement, Virtuell, virtuelle, Teams, verteilte, Projekte, Projektgruppen, Internet, organisatorischer, Wandel, Networking, Netzwerke, digitalisierung
Arbeit zitieren
Markus Bussmann (Autor:in), 2002, Virtuelle Teams - Kollaboration oder Kollision?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1503

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