Der Aufstand der (Neo-)Zapatisten in Chiapas - Fortsetzung der Mexikanischen Revolution?


Seminararbeit, 2002

17 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Januar

3. Die Symbolik des Aufstandes

4. Landproblematik und Situation der indigenen Campesinos

5. Geschichte der Neo-Zapatisten

6. Fortsetzung der Mexikanischen Revolution?

7. Aktuelle Situation und Ausblick

8. Schluss

Bibliographie

1. Einleitung

Als am 1. Januar 1994 die ersten Schüsse zu fallen begannen, ließen die ersten Interpretationen und Deutungen der Geschehnisse nicht lange auf sich warten. Der bewaffnete Aufstand im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, der an diesem Tag seinen Anfang nahm, erinnerte von der ersten Stunde an an ein Kapitel der mexikanischen Geschichte, welches das Land geprägt hat wie kein anderes, und welches Politik, Gesellschaft und Mentalität des Landes bis in die heutige Zeit entscheidend mitbestimmt: Die große Mexikanische Revolution vom Anfang des Jahrhunderts schien plötzlich wieder aufzuleben, und mit ihr eine ihrer schillerndsten Persönlichkeiten – Emiliano Zapata, Bauernführer des Südens und Nationalheld Mexikos. Diese Assoziation wurde gefördert durch die Protagonisten des Aufstandes, welche sich Symbolik, Ziele und Schlagwörter der Revolution zu eigen machten. Dies geschah sicherlich nicht grundlos – wie an späterer Stelle näher ausgeführt werden wird, ist gerade das mexikanische Volk für diese Art von Heldenverehrung und Einbindung ihrer eigenen Geschichte in aktuelle Ereignisse ausgesprochen empfänglich.

Die vorliegende Arbeit soll die Geschehnisse des Aufstandes nachzeichnen, Hintergründe beleuchten, einen Blick in die Zukunft wagen und vor allem eine Frage in den Blickpunkt stellen: Inwieweit es sich bei dieser lokalen Rebellion wirklich um eine Fortsetzung der Mexikanischen Revolution handelt, so wie es ihre Akteure für sich in Anspruch nehmen und viele Analysten schlussfolgern.

2. Der Januar 1994

Der 1. Januar des Jahres 1994 war angesetzt als Festtag der Oberschicht und als Meilenstein in der geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Staates Mexiko. An diesem Tag nämlich feierte man das Inkrafttreten der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA), welche neben den USA und Kanada auch Mexiko umschloss. Der Eintritt in diesen Wirtschaftsraum sollte für das Land die letzte Bestätigung sein, sich endgültig auf dem Weg in die „1. Welt“ zu befinden, und hätte unter normalen Umständen wohl dessen Ruf als weitgehend friedliche, demokratische Wirtschaftsmacht zementiert, welchen es sich in den vorangegangenen Jahrzehnten mühsam erarbeitet hatte. Nicht zuletzt die Tatsache, dass Mexiko sogar den Vorsitz der Welthandelsorganisation (WTO) übernehmen sollte, mag dies untermauern (vgl. SCHMIDT 1996, S. 23f). Diese Erfolge wurden nun gefährdet durch akute Ereignisse in einem sowohl räumlich als auch wirtschaftlich peripheren Bundesstaat, welche so sicherlich nicht erwartet worden waren: Kurz nach Mitternacht begann in Chiapas ein von langer Hand geplanter und gut organisierter Aufstand zumeist indigener Unterschichten, und bereits kurze Zeit später waren die Städte San Christóbal de las Casas, Ococingo, Las Margaritas und andere Orte unter der Kontrolle der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN), welche unterschiedlichen Angaben zufolge bis zu mehreren tausend ernsthaft bewaffnete Aktivisten aufwies und bis dahin in dieser Form noch nie in Erscheinung getreten war. Die Ziele und ideologischen Grundlagen der Bewegung wurden in der Form eines Manifestes an das Rathaus von San Christóbal angeschlagen: In diesem „Text an das Volk von Mexiko“ formulierte die EZLN – neben Grundforderungen nach Arbeit, Land, Gerechtigkeit und ähnlichem – eine Kriegserklärung an das Bundesheer, kündigte den Vorstoß bis nach Mexiko-Stadt an und forderte den Sturz von Präsident Carlos Salinas. Auffallend ist, dass die Forderungen und die erste Grundsatzerklärung der EZLN eine erstaunliche Klarheit auszeichnete, womit sich die Bewegung deutlich von den meisten vorhergehenden Guerillas Lateinamerikas abhob. Die fast schon banalen Grundforderungen konnten von der breiten Bevölkerungsmasse leicht nachvollzogen werden und waren sicher mitursächlich für die sofortige breite Resonanz der Öffentlichkeit (vgl. Schmidt 1996, S. 20).

Als weitere Besonderheit der Rebellengruppe kann deren ethnische Zusammensetzung gelten, da nicht von ungefähr die Rebellion oft als Indianeraufstand bezeichnet wird. In der Tat rekrutiert sich die EZLN vornehmlich aus indigenen Campesinos, von einigen Mestizen wie dem charismatischen Wortführer Marcos abgesehen. Die Kämpfer sind ein Gemisch aus verschiedenen Stämmen, es besteht ein hoher Frauenanteil, und die Disziplin wird durch eine straffe Organisation mit striktem Alkoholverbot aufrechterhalten (vgl. Der Spiegel 27/94, S. 129). Geleitet wird die EZLN durch den als Generalkommando fungierenden, gemischtgeschlechtlichen „Revolutionären Indianischen Untergrundausschuss“, welcher aus zwölf indigenen Commandantes besteht, wobei Subcommandante Marcos wegen seiner mestizischen Herkunft hier nicht vertreten ist (vgl. Der Spiegel 7/95, S. 148).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

(aus Schmidt 1996, S.11)

Schwarz eingezeichnet in dieser Graphik ist der von der EZLN kontrollierte Bereich zu Beginn des Aufstandes sowie die besetzten Städte.

Der größte Teil der Fläche überdeckt sich mit dem an Guatemala angrenzenden Lacandonen-Urwald.

Die Antwort der Bundesarmee auf den Aufstand ließ nicht lange auf sich warten, und ab dem 2. Januar kam es zu schweren Gefechten mit mehreren hundert Toten, wobei von Exekutionen und Folter seitens der Regierungstruppen berichtet wurde. Sarkastischerweise waren auch die Gefallenen auf Regierungsseite zumeist Indígenas, ein Umstand, der durch die verminderte Möglichkeit armer Unterschichtgruppen zur Freistellung vom Militärdienst mittels eines Bestechungsgeldes erklärt werden kann. Nach diesen offenen Gefechten in der Anfangsphase der Rebellion wandten die zapatistischen Kämpfer vermehrt eine Guerillataktik an, bevor es am 12. Januar schließlich zu einem Waffenstillstand kam (vgl. Schmidt 1996, S. 22f).

Als stärkste Waffe der Zapatisten erwies sich hier deren geschickte Öffentlichkeitsarbeit, die sie von Anfang an konsequent betrieben. Durch Interviews, Presse-Kommuniqués und humorvolle Erklärungen, sowie durch den mit Hilfe der Maskierung blitzschnell aufgebauten Mythos und die Aura des Geheimnissvollen hatte die EZLN im Handumdrehen die Meinung der Weltöffentlichkeit auf ihre Seite gebracht. Eine militärische Niederschlagung des Aufstandes, welche der Armee sicherlich ein leichtes gewesen wäre, jedoch auch unzählige Opfer auf beiden Seiten gefordert hätte, wurde der mexikanischen Regierung aus diesem Grund als Option genommen.

3. Die Symbolik des Aufstandes

Vom ersten Tag des Aufstandes an legte die EZLN großen Bedacht auf historische Bezüge und eine populäre Symbolik. So ist nicht nur ihr Leitspruch „Land und Freiheit“ der ursprünglichen Zapata-Bewegung der Mexikanischen Revolution entliehen - womit der Anspruch auf eine direkte Nachfolge mit damit verbundener entsprechender Legitimation verbunden ist - auch ihr Gegner wird mit Hilfe historischer Bezüge charakterisiert. Eine diesbezügliche Grundsatzerklärung der Zapatisten macht dies deutlich: "Es sind dieselben, die sich Hidalgo und Morelos entgegenstellten, und die Vicente Guerrero verrieten; es sind dieselben, die mehr als die Hälfte unseres Landes an ausländische Eindringliche verkauften; es sind dieselben, die die Diktatur von Porfirio Díaz und seinen Technokraten bildeten.“ (Kampkötter 1996, S. 144) Als Erklärung kann hier zweierlei dienen. Einerseits ist die Präsenz der nationalen Geschichte in nahezu allen Lebensbereichen wohl in kaum einem anderen Land Lateinamerikas so ausgeprägt wie in Mexiko. Kaum ein politischer Vortrag wird gehalten ohne einen wie auch immer gearteten geschichtlichen Bezug, und auch der einfachen Bevölkerung ist schon alleine durch die omnipräsenten Fresken des Muralismus ihre eigene Geschichte stets gegenwärtig, was die Aussagen der EZLN auch weniger gebildeten Schichten nachvollziehbar werden lässt.

Andererseits konstruiert sich der Neo-Zapatismus auf diesem Weg die Legitimation, für das gesamte Land zu sprechen: Durch die Verbindung von nationaler Vergangenheit mit den regionalen Forderungen und Anklagen der EZLN wird die Parallele der nationalen Geschichte mit derjenigen der indigenen Rebellion demonstriert und untermauert (vgl. Rajchenberg 1998, S. 27f).

Neben anderen geschichtlichen Bezügen ihrer Rhetorik stellen die Zapatisten besonders eine Person in den Vordergrund: Emiliano Zapata, während der Mexikanischen Revolution Bauernführer im südlichen Bundesstaat Morelos und Namensgeber der EZLN. Man kann sagen, dass das Symbol „Zapata“ regelrecht von der regierenden Klasse „zurückerobert“ werden musste, da auch er – wie viele andere Revolutionshelden – seit jeher von der Regierung für ihre Programme und Ziele eingespannt wurde, wobei dessen eigentliche Ideologie nicht selten ins Gegenteil umgekehrt wurde. Der zur Zeit des Indio-Aufstandes amtierende Präsident Carlos Salinas de Gortari z.B. hatte sowohl seinen Sohn als auch sein Flugzeug nach dem Bauernführer benannt, und ein Porträt Zapatas hinterlegte seine Ansprache zur Reform des Verfassungsartikels 27 – eine Reform, die in der Praxis das Ende der von Zapata geforderten Agrarreform bedeutete. Auffallend ist, dass sich Präsident Salinas ab dem 1. Januar 1994 einen neuen Hintergrund für seine im Fernsehen übertragenen Erklärungen wählte: das Porträt Venustiano Carranzas, des ehemaligen Präsidenten Mexikos, welcher die Ermordung Emiliano Zapatas angeordnet hatte (vgl. ebd., S. 23f).

Es werden jedoch nicht nur die Programmatik und Rhetorik der Indio-Rebellen mit den Zielen der Zapata-Bewegung verglichen, auch ihr bekanntester Sprecher, der Mestize mit dem Alias-Namen Subcommandante Marcos, erinnert manchen an den morelensischen Alt-Rebellen. So zeigte sich Marcos desöfteren auf dem Rücken eines Pferdes mit vor der Brust gekreuzten Patronengurten, was nach Rajchenberg bei den Mexikanern das Erwachen einer kollektiven Erinnerung auslöste, welche durch den Neoliberalismus betäubt und fast in Vergessenheit geraten war (vgl. Rajchenberg 1998, S. 19f). In Mexiko stellt das Pferd das ultimative Zeichen eines Helden dar und wurde im Muralismus oft als didaktisches Symbol der nationalen Geschichte eingesetzt. In seinem Fresko am Palast des Cortés in Cuernavaca beispielsweise ersetzt Diego Rivera sogar Zapata vollständig durch das Symbol des weißen Pferdes (vgl. ebd., S. 21). Da Marcos seine eigene, individuelle Identität durch seine Strumpfmaske verbirgt, war die Öffentlichkeit verständlicherweise umso empfänglicher für eine entsprechende Assoziation, was wohl durchaus in dessen Absicht gelegen haben mag.

Doch Marcos verbindet noch mehr mit dem Morelenser, so distanziert sich der Subcommandante nachdrücklich von ihm nachgesagten Machtambitionen. Auch Zapata kehrte kurz nach der Einnahme der Hauptstadt wieder zurück in seinen Heimatstaat Morelos. Ihm war nach Ansicht Rajchenbergs und Héu-Lamberts sogar der berühmt gewordene gemeinschaftliche Fototermin mit seinem Mitkämpfer Pancho Villa im Präsidentensessel des Regierungspalastes aufs höchste unangenehm gewesen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Der Aufstand der (Neo-)Zapatisten in Chiapas - Fortsetzung der Mexikanischen Revolution?
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt  (Lehrstuhl für Geschichte Lateinamerikas)
Veranstaltung
Die Mexikanische Revolution und ihre Folgen (Proseminar)
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
17
Katalognummer
V15003
ISBN (eBook)
9783638202503
Dateigröße
645 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aufstand, Chiapas, Mexiko, Mexico, Guerilla, Mexikanische Revolution, Zapatisten
Arbeit zitieren
Florian Dittmar (Autor:in), 2002, Der Aufstand der (Neo-)Zapatisten in Chiapas - Fortsetzung der Mexikanischen Revolution?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15003

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