Das Parteiensystem der Bundesrepublik - Neue Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl 2009


Magisterarbeit, 2009

97 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kontinuitat und Wandel im deutschen Parteiensystem
2.1. Formierungsphase(1945-1953)
2.2. Konzentrierungsphase (1953-1976)
2.3. Transformationsphase (1976-1990)
2.4. Zentripetale Phase - Das duale Parteiensystem (1990-2002)
2.5. Ankunft im Funfparteiensystem (2002-2009)
2.5.1. Die Entstehung der Partei DIE LINKE
2.5.2. FDP und Grune zwischen den Fronten
2.5.3. Die GroBe Koalition und der langsame Abschied von den Volksparteien
2.5.4. WandelinZahlen

3. Koalitionsbildung in den Landern
3.1. Theoretische Aspekte der Koalitionsbildung in den Landern
3.1.1. Einfluss der Bundespolitik auf Landesebene
3.1.2. Einfluss der Landesregierungen auf Bundesebene
3.2. Bisherige Koalitionsbildung in den Landern
3.2.1. Koalitionen in westdeutschen Bundeslandern - Neue Farbenspiele
3.2.2. Koalitionen in ostdeutschen Bundeslandern - Einbindung von PDS / DIE LINKE
3.2.3. Aktuelle Situation in Zahlen
3.3. Lander als Wegweiser fur den Bund

4. Neue Koalitionsoptionen und die Zukunft des deutschen Parteiensystems
4.1. Die Wahlergebnisse 2005 und 2009 und deren Bedeutung
4.1.1. Die Schwache von CDU/CSU und SPD
4.1.2. Auswirkungen der Bundestagswahl auf Parteien und Parteiensystem
4.2. Ausrichtung der Parteien nach derzweiten Grofien Koalition 2005
4.2.1. Gesellschaftliche Konfliktlinien und Koalitionsbildung
4.2.2. Wordscore-Verfahren und programmatische Veranderungen der Parteien
4.2.3. Competitive Party Behavior
4.3. Ausblick: Koalitionsoptionen in Form von Zweier-, Dreier-, und Grofier Koalition

5. Schlussbetrachtung: Neue Farbenspiele - notwendig, aber unbeliebt

6. Literaturverzeichnis

Abkurzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis und Infoboxen

Tabelle 1: Volatilitat von 1994-2009 nach Pedersen-lndex

Tabelle 2: Zahl der effektiven Parteien im Bundestag von 1990 bis 2009 nach Laakso-Taagepera-Index

Tabelle 3: Koalitionsmoglichkeiten im Bundesrat im Dezember 2009

Tabelle 4: Koalitionstypen der Landerebene (R, 0, M)

Tabelle 5: Zahl der Parteien in den Landtagen der neuen Bundeslander seit 1990

Tabelle 6: Sitzverteilung im 16. und 17. Deutschen Bundestag

Tabelle 7: Bundestagswahlergebnisse der drei kleinen Parteien seit 1998

Infobox 1: Der bundespolitisch dominierte Wahlzyklus

Infobox 2: Kontinuitatsthese und Diskontinuitatsthese im Vergleich

Infobox 3: Situation im Bundesrat seit September 2009

1. Einleitung

Als der FDP-Parteivorsitzende Guido Westerwelle kurz nach der Europawahl 2009 gefragt wurde, ob der Traum der Ampel-Koalition vorbei sei, antwortete Westerwelle: „lch habe die- sen Traum nie getraumt, deswegen muss er nicht beendet werden. Fur mich ist das ein Alp- traum, kein Traum" (2009). Fur Guido Westerwelle und die FDP stand im Vorwahlkampf zur Bundestagswahl 2009 einiges auf dem Spiel: Top oder Flop, in die Regierungsverantwortung gestellt werden, oder weitere vier Jahre auf der Oppositionsbank verbringen? Die FDP speku- lierte auf die Maximierung der Stimmen von Union und FDP. Sie sollte Recht behalten in ihrer Annahme, dass Zweierbundnisse gegen das linke Lager nach wie vor moglich sind. Verkannte Westerwelle dabei die Chance sich fur neue, lagerubergreifende Koalitionen zu offnen? Denn vieles deutete nach der Bundestagswahl 2005 bereits auf konkrete Veranderungen des Par- teiensystems hin. Nicht nur war mit der Umformung von PDS und WASG eine neue Partei entstanden, zusatzlich fehlte es den Volksparteien an Stimmen um Zweierkoalitionen nach altem und bewahrtem Muster durchzusetzen. Die steigende Zahl der Wechselwahler, das Funfparteiensystem, die steigende Fragmentierung und drei gestarkte, kleine Parteien im Bundestag setzten Prozesse in Gang, die als Veranderung des deutschen Parteiensystems be- zeichnet werden konnen. Sie fuhren in ihrer Konsequenz dazu, dass Koalitionsbildungen von nun an nicht mehr so leicht gebildet werden konnen, wie dies vormals nur mit CDU/CSU, FDP und SPD der Fall war. Seit jeher haben sich neue Koalitionsformen in den Bundeslandern an- gekundigt, bevor sie auf die Bundesebene ubertragen wurden. Neue parteipolitische Zusam- mensetzungen sind nun moglich, und angesichts derTatsache, dass sich im deutschen Partei- ensystem nun funf Parteien angesiedelt haben, auch erforderlich um die notwendigen Mehr- heiten zu bilden.

Wenn Westerwelle also die Chance verpasste, seine Partei auf neue Koalitionen vor- zubereiten um sie fur das „linke Lager" salonfahig zu machen, konnte seine Partei gegenuber den Grunen eine strategische Position verlieren. Jahrelang hatte die FDP die Mittelstellung im Parteiensystem inne: Sie war das Zunglein an der Waage. Auch diese Struktur ist langst aufge- brochen, spatestens durch das Einbeziehen der Grunen in der ersten rot-grunen Bundesregie- rung 1998. Seitdem hat sich mit dem Hinzukommen der PDS und der Umformung zur Partei DIE LINKE viel verandert. Alle Parteien mussen sich seitdem um stabile Koalitionsmoglichkei- ten kummern um nicht auf Dauer in der Opposition zu enden. Dabei bestatigte die Bundes­tagswahl 2009 die Entwicklungen, die bereits mit dem Wahlergebnis von 2005 absehbar wa- ren: Schwachung der Volksparteien, gleichzeitige Starke der kleinen Parteien, Problematik bei der Bildung von klassischen Zweierbundnissen durch die Starke der neuen Linken. Zudem sor- gen die gestiegene Wechselbereitschaft der Wahler und eine abnehmende Wahlbeteiligung fur zusatzliche Unsicherheiten bei den Parteien. Sichere Koalitionsmuster scheint es nur noch bedingt zu geben. Diese, und weitere, Entwicklungen deuten auf die Leitfrage, mit der sich diese Arbeit beschaftigt:

Werden sich der Bundesrepublik nach der Bundestagswahl 2009 neuartige Koalitionstypen durchsetzen?

Dabei soll nachvollzogen werden, inwieweit Strukturen und Auspragungen des deut- schen Parteiensystems diesen Wandel pragen. Zudem soll aufgezeigt werden, wie sich politi- sche Lager auflockern und ubergreifende Bundnisse moglich werden. Mussen sich die Parteien in Zukunft inhaltlich neu ausrichten um in alle Richtungen koalitions- und regierungsfahig zu werden oder ist dieser Prozess schon erkennbar? Insbesondere die Regierungskoalitionen der Bundeslander konnen Aufschluss daruber geben. Ebenso konnen theoretische Modelle der politikwissenschaftlichen Koalitionstheorien dabei helfen, die inhaltliche Neuausrichtung zu erfassen und neue Koalitionstypen einzuordnen. In Bezug auf die Veranderungen des Partei­ensystems der vergangenen Jahre, stellt die Arbeit die folgende These auf:

Die deutschen Parteien mussen sich in Zukunft inhaltlich neu ausrichten, um flexibel lager- ubergreifende Zwei- und Dreiparteienkoalitionen zu ermoglichen.

Die These zielt darauf ab, dass es in Zukunft durch die Gegebenheiten des Funfpartei- ensystems immer wieder zu Wahlergebnissen kommen wird, in denen die klassischen Bund- nisse aus Union und FDP, bzw. SPD und Grunen nicht mehr moglich sein werden. Dahinter verbirgt sich ein Strukturwandel, der die Verlasslichkeit von klassischen Zweierbundnissen in Frage stellt. Schlusselfaktor wird hierbei auch DIE LINKE sein, deren Einbindung in das Koaliti- onsgeschehen auf westdeutscher Landes- und Bundesebene noch bevor steht. Denkbare Moglichkeiten sind dabei schwarz-rote, schwarz-grune, schwarz-gelb-grune (Jamaika), rot-rot- grune Linksbundnisse und rot-gelb-grune Koalitionen (Ampel).

Methode

Bei der Betrachtung von Koalitionsoptionen bedarf es der Analyse vieler verschiedener Fakto- ren, die die verschiedenen Koalitionen beeinflussen. Dazu gehoren geschichtliche Aspekte der Parteiensystementwicklung, die das Miteinander der Parteien seit 1949 gepragt haben. Hier­bei liegt der Fokus auf der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine nahere Analyse uber Zu- sammenhange zwischen Weimarer Republik und bundesdeutschem Parteiensystem findet sich in Rudzio (2003). Ebenfalls wichtig, in dieser Arbeit aber nicht von Relevanz, war die Ent- wicklung in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und spater in der DDR. Einen Uberblick bietet hier von Alemann (2003).

Verschiedene Aspekte bilden die Grundlage fur alle Interdependenzen der Parteien und den Gewohnheiten der politischen Praxis, die sich seit Anfang der Bundesrepublik etab- lierten oder auRere Einflusse, wie das Hinzukommen von Parteien. sowie Theorien, die bei der Erklarung der einzelnen Koalitionen behilflich sein konnen. Dazu eignen sich insbesondere solche Theorien, die die inhaltliche Ubereinstimmung bzw. Distanz der Parteien zueinander analysieren, wie das Wordscore-Verfahren von Michael Laver, Kenneth Benoit und John Garry (2003) oder auch, begrenzt, Konfliktlinientheorie von Seymour Martin Lipset und Stein Rokkan (1967) und Annahmen der competitive party behavior-Theorien, die auf William H. Riker (1962) und Abram de Swaan (1973) sich mit dem Machterwerb der Parteien auseinanderset- zen.

Literatur

Das Parteiensystem der Bundesrepublik ist hinreichend analysiert worden. Die ausfuhrlichen Analysen des Parteiensystems werden zusatzlich und in verstandlicher RegelmaRigkeit, zuerst durch Zeitschriftenartikel zu aktuellen Themen, und spater in Sammelbanden erganzt. Die Basisliteratur (Sammelbande, „Standardwerke") dieser Arbeit ist dabei aufgrund der Aktualitat zeitlich auf die Jahre vor der Bundestagswahl 2009 beschrankt. Fur die Zeit nach der Bundes- tagswahl, d.h. alle erganzende Literatur, die sich auf aktuelle Verschiebungen im Parteiensys­tem nach der Bundestagswahl 2009 beziehen, musste auf Zeitschriftenartikel und Zeitungsar- tikel zuruckgegriffen werden.

Im Bereich der Parteiensystemanalyse finden sich neben ganzheitlich analysierenden Werken auch viele qualitative Untersuchungen, die die Masse an Informationen zum Thema Parteien und Koalitionen in Deutschland erganzen. Fur erstere bieten Ulrich von Alemann (2003), Klaus von Beyme (2000), Frank Decker (2007), Wolfgang Ismayr (2003), Stefan Mar- schall (2007) und Oskar Niedermayer (2006a) einen guten Uberblick. Uwe Jun, Melanie Haas und Oskar Niedermayer (2008) beschaftigen sich zudem mit den Parteiensystemen der einzel­nen Bundeslander.

Im Bereich der Koalitionsbildung, Koalitionsaussagen, der allgemeinen Parteienfor- schung bieten sich Thomas Brauninger und Marc Debus (2007b; 2008), Frank Decker (2009a), Eckhard Jesse (1999), Uwe Jun (2009), Sabine Kropp mit Suzanne S. Schuttemeyer und Roland Sturm (2002) an. Grundlegend zu Koalitionstheorien publiziert Wolfgang C. Muller (2004) und Kaare Strpm (2000). Franz Urban Pappi, Axel Becker und Alexander Herzog (2005). Sie be- schaftigen sich mit der Regierungsbildung im Mehrebenensystem, wahrend sich Wolfgang Rudzio (2002) mit Koalitionen in Deutschland auseinandersetzt.

Zudem wurden alle in dieser Arbeit verwendeten Daten und Zahlen zu Wahlen, falls nicht anders gekennzeichnet, von der Webseite des Bundeswahlleiters entnommen.

Aufbau

Fur die Arbeit ergibt sich der folgende Aufbau: Das zweite Kapitel, beschaftigt sich mit der Geschichte und Entwicklung des deutschen Parteiensystems. Dabei wird die Geschichte des Parteiensystems nach Ulrich von Alemann in funf Phasen unterteilt: Formierungsphase, Kon- zentrierungsphase, Transformationsphase, zentripetale Phase und die Ankunft im Funfpartei- ensystem. Aufgezeigt wird dabei, welche Ereignisse maRgeblich zur Entwicklung des heutigen Parteiensystems gefuhrt haben, das hier zur Debatte steht.

Kapitel 3 dient als Unterstutzung fur die oben aufgestellte These. Hier wird der Zu- sammenhang zwischen Bundes- und Landespolitik und deren Koalitionsbildung untersucht. Dabei werden ausgewahlte und neuartige Koalitionsbildungen der letzten Jahre erortert. Zu­dem werden Ruckschlusse der aktuellen Bundesratssituation auf mogliche Koalitionsbildung im Bund gezogen. Es werden die gegenseitigen Einflusse von Bundes- und Landespolitik und deren Auswirkungen auf die Koalitionsbildung erlautert.

Wahrend Kapitel 2 und 3 als Grundlage fur die zu erorternde These gelten, beschaftigt sich Kapitel 4 mit den neuen Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl 2009. Die Auswir­kungen der letzten beiden Bundestagswahlen fur die funf Bundestagsparteien werden ebenso analysiert, wie die sich daraus ergebenden Konsequenzen fur neue Koalitionstypen. Mithilfe von Koalitionstheorien und inhaltsanalytischen Verfahren wird erortert, wie die Parteien in- haltlich auf die Wahlergebnisse der Bundestagswahl 2005 und 2009 reagiert haben und was die Konsequenz fur zukunftige Koalitionen sein konnte. Am Ende von Kapitel 4 rundet ein Ausblick auf die neuen Koalitionsoptionen die Arbeit ab.

2. Kontinuitat und Wandel im deutschen Parteiensystem

Um die heutige Parteienlandschaft der Bundesrepublik 2009 zu verstehen, wird im folgenden Kapitel ein Blick in die Vergangenheit des bundesrepublikanischen Parteiensystems geworfen. In der Literatur besteht ein Konsens daruber, welche Zasuren das deutsche Parteiensystem pragten und die deutsche Parteienlandschaft zu der machten, die in dieser Arbeit zur Analyse stehen soll. Die unterschiedlichen Abschnitte ergeben sich aus Zasuren, die aus koalitionsthe- oretischer Perspektive relevant sind. Im folgenden Kapitel sollen diese Zasuren aufgezeigt und erlautert werden. Der Fokus liegt bei der Masse an relevanten Ereignissen der Nachkriegszeit insbesondere auf koalitionstheoretischen Aspekten und jenen, die fur das heutige Verstandnis des Parteiensystems und der Koalitionsentwicklungen von Bedeutung sind. Die Grundauftei- lung richtet sich dabei nach Ulrich von Alemanns (2003) Ausdifferenzierung des deutschen Parteiensystems. Von Alemann unterscheidet die Entwicklung dabei in vier Phasen, die von 1945 bis 2002 reichen:

(1) Formierungsphase(1945-1953)
(2) Konzentrationsphase (1953-1976)
(3) Transformationsphase (1976-1990)
(4) Zentripetale Phase (1990-2002)

Zusatzlich wird sie um die Phase von 2002-2009 erganzt, die als Ankunft im Funfparteiensys- tem eingeordnet werden kann. Sie beinhaltet das Aufkommen der Linkspartei, die vorgezoge- ne Neuwahl 2005 und die zweite GroRe Koalition. Sie wird in dieses Schema eingeordnet und erganzt als funfte Phase die von Alemann aufgezeichnete Differenzierung. Diese funf Phasen der Entwicklung werden im folgenden Kapitel erlautert.

2.1. Formierungsphase (1945-1953)

Die Formierungsphase des deutschen Parteiensystems stand in besonderer Abhangigkeit und Pragung der Siegermachte. Der Beginn der Parteiengeschichte in den Besatzungszonen war zwischen Mai und Juni 1945, denn zu dieser Zeit waren faktisch keine Parteien vorhanden. Erst im Laufe des Junis 1945 entstanden in den Besatzungszonen die ersten Parteien, von de- nen sich eine Vielzahl bis Ende der vierziger und Anfang der funfziger Jahre als nicht uberle- bensfahig herausstellten. Es bestand Lizensierungszwang fur alle Gewerkschaften und Partei­en. Deren „Spielraum" war in Zeiten von Not und Elend und eingeschrankter Bewegungsfrei- heit zwischen den Besatzungszonen stark limitiert. Bald schon kristallisierte sich die Sozialde- mokratische Partei Deutschlands (SPD) als erste in allen Besatzungszonen vertretene Partei

heraus - gefolgt von der Christlich Demokratischen Union (CDU). Sie kam dem spateren Typus der Volkspartei bereits sehr nahe, da sie liberate, soziale, gerade aber auch christliche und konservative Elemente im Parteienstammbaum vorweisen konnte (Alemann 2003). Nachdem das Grundgesetz verabschiedet war, konnten die Wahler 1949 erstmals uber die Zusammen- setzung des (west-)deutschen Bundestages entscheiden. Die Union konnte sich bei den ersten Bundestagswahlen durchsetzen und Konrad Adenauer als ersten Bundeskanzler behaupten. Sie leitete in der ersten Legislaturperiode, zusammen mit Freier Demokratischer Partei (FDP) und Deutscher Partei (DP), das politische Geschehen der Bundesrepublik.

2.2. Konzentrierungsphase (1953-1976)

Die Konzentrierungsphase wurde primar von einer neuen Dominanz der Parteien CDU und deren bayrischer Schwesterpartei der Christlich-Sozialen Union (CSU), sowie SPD und FDP gepragt. Bis 1953 hatten sich Regierung und Opposition in ihren Rollen etabliert und stabili- siert. Der CDU/CSU-Fraktion gelang es 1957 die absolute Mehrheit mit 244 von 478 Sitzen zu ubernehmen. Hierbei kam ihr der Staatsgrundungspartei- und Kanzlerbonus zugute. Dennoch verzichtete sie auf eine Alleinregierung und bildete eine Koalition mit der DP. Bis 1953 hatten sich Regierung und Opposition in ihren Rollen verteilt und stabilisiert.

Die neu installierte Funfprozenthurde warf kleine und regionale Parteien zuruck, so- dass sich die „groRen Drei" CDU/CSU, SPD und FDP schnell im Bundestag als einzige Parteien etablierten. Die Funfprozenthurde war 1953 erstmalig auf Landerebene erprobt worden um dann 1957 auch auf Bundesebene angewandt zu werden. Sie sollte einer befurchteten Partei- enzersplitterung entgegen (Rudzio 2002; Marschall 2007). Zur Prozent-Hurde kamen Partei- verbote gegen die Sozialistische Reichspartei (1952) und die Kommunistische Partei Deutsch- lands (1956) hinzu und somit wurde der Zugang zum Parteiensystem fur extremistische, ideo- logische Flugelparteien verwehrt. Regional-, Interessengruppen- und Antisystemparteien konnten somit aus dem Parteienwettbewerb verdrangt werden (Wiesendahl 2006). Zunachst handelte es sich um ein bipolares Vielparteiensystem, in dem viele Konfliktlinien parteibe- grundend wirkten. Besonders dominant war der sozio-okonomische Gegensatz zwischen bur- gerlichen und sozialistischen Parteien. Gleichzeitig pragte der auRenpolitische Konflikt um Westbindung und Wiederbewaffnung (Rudzio 2002).

Alle Parteien bewiesen zwischen 1953 und 1976 gegenseitige Koalitionsfahigkeit in Bund und Landern, wodurch die Adaptionsfahigkeit des politischen Systems zum Machtwech- sel unter Beweis gestellt wurde. Die drei[1] „Kernparteien" des politischen Systems konnten jeweils bei den Bundestagswahlen 1972 und 1976 exakt 99,1 Prozent der Wahlerstimmen auf sich vereinigen (Alemann 2003). Diese Phase kann, was die Anzahl der im Bundestag vertrete- nen Parteien anging, als eine der stabilsten und von Kontinuitat gezeichneten Phasen des deutschen Parteiensystems angesehen werden. Uber 23 Jahre konnten CDU/CSU, SPD und FDP die Regierung unter sich ausmachen. Dies wird auch als deutsches Parteienwunder be- zeichnet, denn es konnte von einer Normalisierung und Internalisierung der Demokratie in Deutschland gesprochen werden, da alle Parteien untereinander Koalitionsregierungen bilde- ten. Internalisierung der Demokratie meint dabei vor allem die enorme Integrationskraft der Parteien, die Fluchtlinge und Heimkehrer eingliederten, gleichzeitig aber auch ehemalige Na- tionalsozialisten rehabilitierten und Kommunisten integrierten. Spater banden sie die protes- tierenden Gruppen der auRerparlamentarischen Opposition (APO) wieder politisch ein (Ale­mann 1982).

In die Konzentrierungsphase fallt die bisher einzige erreichte absolute Mehrheit der Bundestagsmandate mit 277 Stimmen. Diese wurde 1957 von der CDU/CSU mit dem Wahlslo- gan „Keine Experimente" erreicht. Trotz dieser scheinbaren Dominanz der Unionsparteien, fuhr die SPD langsame Zugewinne ein. Durch die Neuerungen der Sozialdemokraten, die sich im „Godesberger Programm"[2] niederschrieben, erlangte die Partei ein moderneres und offe- neres Image und versuchte sich in der Stellung einer linken Volkspartei. Die Parteien glichen sich einander zunehmend an. Sie entwickelten sich zu Massenmitgliederparteien in Struktur und Programmatik und es deutete sich ein Lagerwahlkampf an (Mitte-links gegen Mitte- rechts) (Alemann 2003; Bundeswahlleiter 2009).

Besonderes Augenmerk wurde auf die FDP gerichtet, da sie sich als Zunglein an der Waage als Art „Mini-Volkspartei" (Alemann 2003: 62) etablieren konnte. Sie war die Mehr- heitsbeschafferin in fast allen Koalitionen, mit Ausnahme der GroRen Koalition von 1966 bis 1969. In den Bundeslandern ging die FDP mit beiden Partnern, also sowohl CDU/CSU als auch SPD, Koalitionen ein. Pikant wurde die Situation der FDP 1969, als sie einen Macht- und Sei- tenwechsel mit der SPD vollzog und dadurch von der „Umfallerpartei" die Rede war (Alemann 2003). Das Zusammengehorigkeitsgefuhl des burgerlichen Lagers aus Union und FDP hatte sich schnell aufgelost, nachdem die FDP bei den Bundestagswahlen von 1965 3,3 Prozent- punkte verloren hatte und nach den Wahlen innerhalb der Union „chaotische Zustande aus- brachen" (Losche & Walter 1996: 62). Diese drehten sich primar um die Debatte zur Persona- lie Ludwig Erhards, die das Ansehen der Bundesregierung bei den Wahlern erschutterte. Somit wurde es fur die FDP zusatzlich schwierig eine Weiterarbeit mit der Union zu vereinbaren (Lo­sche & Walter 1996). Da potentielle Machtwechsel kaum an der FDP vorbeifuhrten, kann hier von einem „Turnover-System" (Rudzio 2003: 152) durch die FDP gesprochen werden. Zwar wechselte die FDP ihren Koalitionspartner, einen kompletten Machtwechsel durch Wahler- hand sollte es aber bis 1998 nicht geben. Die FDP postierte sich also als das bewegende und gleichzeitig bewegliche Element im Parteiensystem der Bundesrepublik und konnte mit Recht als Medium fur Machtwechsel bzw. Korrektiv der beiden groRen Parteien angesehen werden (Rudzio 2003).

Grundsatzlich kann zu jener Zeit aber von einem eingespielten Zweieinhalb[3] - Parteiensystem gesprochen werden (Rudzio 2003). Dieses war gepragt durch eine „grundle- gende Zweiteilung" (Rudzio 2003: 150) zwischen den standigen Vertretern im Bundestag (CDU/CSU, SPD, FDP) und einer wechselnden Anzahl kleiner Parteien, die als Herausforderer jener „parlamentarisch-gouvernmental etablierten Parteiengruppe und partiell auch des poli- tischen Systems insgesamt auftraten" (Rudzio 2003: 150). Die geringe Fraktionalisierung, also Zersplitterung, des Parteiensystems erleichterte die politische Mehrheitsbildung ungemein. Das Zweieinhalbparteiensystem, welches das geringere Gewicht der FDP verdeutlichte, sorgte fur klare Koalitionsmoglichkeiten und Mehrheitsfindungen. Gleichzeitig, und sicherlich unter- stutzend, kristallisierten sich im deutschen Parteiensystem zwei dominante Konfliktdimensio- nen heraus: (1) Auf der einen Seite die sozial-okonomische Konfliktlinie, auf der sich Union und FDP gegenuber der SPD positionierten. (2) Auf der anderen Seite die traditionell-religiose Konfliktlinie auf der sich die Union gegenuber FDP und SPD positionierte. Jede Partei zeigte sich hier mit jeder anderen koalitionsfahig, was die Mehrheitsbildung entsprechend verein- fachte (Rudzio 2003). Zusammenfassend lasst sich fur diese Zeit ein gemaRigt bipolares Par­teiensystem mit langsam zunehmender zentripetaler Tendenz festhalten, das in die Transfor- mationsphase mundete.

2.3. Transformationsphase (1976-1990)

Die Transformationsphase ist dadurch gekennzeichnet, dass die Dominanz der etablierten Parteien kontinuierlich abnahm. Gepragt wurde die Phase zudem durch das Hinzukommen der Partei Die Grunen. Zum Ende der Transformationsphase kam als zusatzliche Kraft 1990 die sich aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) entwickelnde Partei des demo- kratischen Sozialismus (PDS) ins deutsche Parteiensystem.

1980 fuhrte die Kanzlerkandidatur der Union von Franz Josef StrauR, FDP und SPD noch naher aneinander. Scheinbar hatte die FDP mit 10,6 Prozent der Wahlerstimmen den Machtwechsel von 1969 endgultig verkraftet. Koalitionspolitisch gesehen blieb die FDP also in den Armen der SPD. Wirtschaftsliberale Positionen waren schon in Amerika unter Ronald Rea­gan und in GroRbritannien unter Margret Thatcher popular geworden und so machte sich die FDP auf zur liberalen Mitte. Innerhalb der SPD wurde Helmut Schmidts „okonomischer Wachs- tumskurs" bezuglich der Atomkraft kritisch betrachtet. Massiv verscharft wurde die Situation durch die Neugrundung einer rein okologisch orientierten Partei, den Grunen. Erste Erfolge konnten die Grunen 1979 bei der Europawahl mit 3,2 Prozent der Stimmen sowie auf Landes- ebene erreichen, bevor sie sich 1980 als Bundespartei in Karlsruhe grundete. Dies sollte das deutsche Parteiensystem auf lange Zeit verandern und pragen. Bei der Bundestagswahl im Marz 1983 wurde zwar Helmut Kohls konstruktives Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt wunschgemaR durch das Abstimmungsverhalten der Burger bestatigt, dennoch sorgten vor allem die Grunen mit 5,6 Prozent der Zweitstimmen fur ein weiteres Ausrufezeichen. Das Zweieinhalbparteiensystem mit CDU/CSU, SPD und der Mehrheitsbeschafferin FDP, wie es bis dato seit 20 Jahren bestanden hatte, war nunmehr passe. Zudem hatten die etablierten Par­teien ihr Monopol auf parlamentarische Reprasentation verloren (Saalfeld 2000). Dennoch hatten die Grunen einen schweren Stand, wurden als „illegitimer Eindringling" (Alemann 2003: 63) und als nicht koalitionsfahig gesehen. Auch wenn die Geschichte der Grunen nicht direkt mit der der Linkspartei zu vergleichen ist, so sind doch gewisse Ahnlichkeiten bezuglich der skeptischen (und dann sich wandelnden) Koalitionsbereitschaft erkennbar.

Mit ihrem Einzug in den Bundestag brachten die Grunen eine neue Dynamik in das Parteiensystem. Sie sorgten fur neue, vorerst nur rechnerische, spater auch politische Koaliti- onsmoglichkeiten. Zudem wurde das uber zwei Jahrzehnte hinweg stabilisierte Zweieinhalb- Parteiensystem aufgebrochen. Das Parteiensystem wurde durch die okonomisch-okologische Konfliktlinie bereichert. Regierungswechsel sollten jetzt nur noch durch Stimmverlust der Re- gierungsparteien moglich sein. Es bildeten sich zwei Lager rechts und links von der politischen Mitte (CDU/CSU und FDP gegenuber SPD und Grune). Marschall spricht hierbei von einem „Parteienlagersystem" (2007: 117). Lagerwechsel waren nicht ohne den erheblichen politi- schen Image- und Wahlerverlust vorstellbar. Die FDP verlor somit ihre koalitionspolitische Schlusselrolle (Rudzio 2003).

Die Grunen etablierten sich aus vormals drei Gruppierungen: (1) Reste aus der APO aus der Zeit der GroRen Koalition und der Studentenbewegung. (2) Unterstutzer der Burger- initiativbewegung der siebziger Jahre, dabei insbesondere der Anti-Atomkraft-Bewegung (An- ti-AKW), ebenso aus Bildungs-, Kultur-, Frauen-, Friedens- und Alternativokonomie- Bewegungen. (3) Ebenso fanden sich enttauschte Parteiwechsler aus SPD, FDP und Union in den Reihen der Grunen wieder, die Politikstile und -inhalte ihrer ehemaligen Parteien nicht mittragen wollten (Alemann 2003). Die Grunen fuhrten dabei neue Prinzipien ein, wie das imperative Mandat, das die einzelnen Mandatstrager an die Entscheidungen der Parteibasis und die Bundestagsfraktion an die Auftrage der ubrigen Partei, Parteivorstand und Parteitag bindet. Zudem galt das Rotationsprinzip, das den Wechsel der Mandate nach einer oder gar einer halben Legislaturperiode vorsah. Dies ging einher mit der strikten Trennung von Partei- amtern und offentlichem Mandat, sowie einer Frauenquote von 50 Prozent in allen Spitzen- amtern.

Innerparteilich wurde lange zwischen „Realos" und „Fundis" uber den zu vertretenden Politikstil debattiert. Wahrend Realos fur eine Umgestaltung von Politik und Gesellschaft durch Mitgestaltung pladierten, setzten die Fundis auf antikapitalistische und radikalokologi- sche Systemopposition, die keine Koalitionen mit anderen Parteien vorsah. Letztlich setzten sich Realos durch und der Weg fur rot-grunes Zusammenarbeiten nahm seinen Lauf. Erste Regierungsbeteiligungen der Grunen gab es 1985 in Hessen unter SPD-Ministerprasident Hol- ger Borner und in Berlin 1989 unter dem Regierenden Burgermeister Walter Momper. Beide scheiterten fruhzeitig. In Niedersachsen (1990-1994), Hessen (1991-1995) und NRW (1995­2005) konnten SPD und Grune die volle Dauer der Legislaturperioden gemeinsam regieren (Jun 2007).

Mit dem Zusammenbruch des politischen Systems der DDR und der Zusammenlegung der Parteiensysteme, kam die Sorge vor einer starkeren Polarisierung und Fragmentierung auf. Die Angst vor Weimarer Verhaltnissen sollte aber unbegrundet bleiben (Alemann 2003). Aus den Verwirrungen des Wiedervereinigungsprozesses uberlebte das Bundnis 90 als einzige Burgerbewegung die politische Szenerie und sicherte den westlichen Grunen mit dem Zu- sammenschluss einige Bundestagsmandate, wahrend Letztere im Westen an der Funfpro- zenthurde scheiterten.

Die Zeit der Parteienzusammenlegung und Transformation begann die SPD, die sich als Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP) im Oktober 1989 in Ostdeutschland neu grunde- te und sich Anfang 1990 mit der bundesdeutschen SPD verband, wahrend die West-CDU erst nach einigem Zogern Mitte 1990 die Ost-CDU sowie Teile des Demokratischen Aufbruchs und der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) aufnahm. Die Freien Demokraten ubernahmen die beiden alten Blockparteien Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) und die National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD), wahrend die SED ihren Umbenennungsprozess im Februar 1990 in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) ab- schloss, ihr altes Programm revidierte und sich von nun an dem Demokratischen Sozialismus verschrieb (Jesse & Lang 2008). Rein oberflachlich gesehen anderte sich 1990 mit der Wie- derwahl Kohls nicht viel. Wahrend das Plenum durch eine kleine Gruppe der ostdeutschen Grunen (Bundnis 90/Grune - Burgerlnnenbewegung) erganzt wurde (die westdeutschen Gru- nen verpassten den Einzug), war als neue Partei lediglich die PDS zu sehen, die sich in den ostlichen Bundeslandern als dritte Kraft etablieren konnte und von nun an, mit Unterbrechung 20 02[4] bis 2005, im Bundestag in Fraktionsstarke vertreten sein sollte.

2.4. Zentripetale Phase - Das duale Parteiensystem (1990-2002)

Die Zeit seit der Wiedervereinigung Deutschlands wird als zentripetale Phase des Parteiensys- tems bezeichnet. „Statt zentrifugal zu differenzieren, entstanden eher zentripetale Krafte zur Mitte hin" (Alemann 2003: 69). Warum sich die Parteien zur Mitte hin orientierten und was die Auswirkungen fur heutige Uberlegungen sind, soll im Folgenden erlautert werden.

Im Zuge der Wiedervereinigung erfuhr das deutsche Parteiensystem einen weiteren „Fragmentierungs-, Polarisierungs- und Segmentierungsschub"[5] (Niedermayer 2006a: 119). Insbesondere durch die PDS als SED-Nachfolgepartei entwickelten sich im vereinten Deutsch­land zwei regional unterschiedliche Parteiensysteme. Dual war das bundesdeutsche Parteien­system in dem Sinne, dass sich Ost- und Westdeutschland schnell und eindeutig voneinander unterschieden. Es kam somit im Laufe der Jahre unterschiedlichen Gegebenheiten und Koali- tionen in Ost- und West. In Ostdeutschland entstand kurzfristig auf dem Papier ein Funfpar- teiensystem, gepragt von den beiden Volksparteien CDU und SPD und der schnell als „Ostpar- tei"[6] gebrandmarkten Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Diese trat als dritte Kraft im Parteiensystem in Erscheinung und wurde anfangs als „Reserverad von Rot-Grun" (Rudzio 2003: 154) bezeichnet. Bis sich die PDS allerdings koalitionspolitisch durchsetzen konnte, soll- te noch einige Zeit vergehen[7]. FDP und Bundnis 90/Die Grunen konnten ihre Anfangserfolge im Osten der Republik weder bei Landtags- noch bei Bundestagswahlen halten. Beide verloren Ende der neunziger Jahre an Bedeutung und spielten dementsprechend nur noch eine unter- geordnete Rolle. Dies hatte zur Folge, dass seit Mitte der neunziger Jahre in Bezug auf die neuen Bundeslander von einer Dreiparteienstruktur mit CDU, SPD und PDS gesprochen wur­de. Fragmentiert wurde das ostdeutsche Parteiensystem also insbesondere durch die neue Partei der PDS, denn die dortige Struktur war nicht mit der in Westdeutschland vergleichbar. Grund fur die steigende Polarisierung, also die steigende Distanz zwischen den Parteien, war ebenfalls die PDS, die sich durch anti-westliche Wertorientierungen ins politische Abseits schob. Die steigende Segmentierung wurde dadurch verdeutlicht, dass die PDS unter den etablierten Parteien als nicht kooperationsfahig galt (Neugebauer & Stoss 1996; Niedermayer 2003). Niedermayer (2006a) definiert die Segmentierung eines Parteiensystems anhand von vier Faktoren, die eine wichtige Rolle bei der Ausschau nach neuen Koalitionsmustern spielen: 1. die rechnerische Moglichkeit einer Koalitionsbildung, 2. die Nahe oder Distanz zwischen beteiligten Parteien in Bezug auf politische Inhalte, 3. die Orientierungen der Parteifuhrungen und der Parteibasis gegenuber den anderen Parteien und 4. die Orientierung der Parteianhan- gerschaften gegenuber den anderen Parteien.

Das Parteiensystem der Bundesrepublik wurde also aufgrund des schwachen Ab- schneidens von FDP und Grunen und der gleichzeitigen Starke der PDS in Ostdeutschland durch ein regionales Parteiensystem erganzt. Auf Bundesebene wurde die PDS zunehmend wichtiger fur die Koalitionsarithmetik und verkomplizierte das System ab 1994 zunehmend;

schlieRlich mussten die etablierten Parteien um die Mehrheit ihrer Koalitionen im Parlament bangen, falls die PDS den Einzug in den Bundestag schaffte. Das Hinzukommen der PDS stellte also eine zweite, wenn auch vorsichtige und vorerst nur theoretische Erweiterung der Koaliti- onsoptionen dar. Das Parteiensystem offnete sich koalitionspolitisch nach LinksauRen, blieb aber nach RechtsauRen geschlossen. Dies fuhrte zu der starken Stellung der SPD 1998, die zu jener Zeit mehr Koalitionsoptionen hatte als jede andere Partei (Rudzio 2003).

In den alten Bundeslandern hingegen blieb es vorerst bei der seit den achtziger Jahren vorherrschenden Vierparteienstruktur mit zwei erkennbaren Blocken: das burgerliche Lager bildeten Union und FDP wahrend SPD und die Grunen links von der Mitte den Gegenpol bilde- ten. Die PDS konnte sich im Westen der Republik nicht etablieren und scheiterte mit Regel- maRigkeit an der Funfprozenthurde. Fragmentierungstendenzen gab es aber nicht nur durch die Erscheinung der PDS in Ost und West, so Niedermayer (2006a: 127), sondern insbesonde- re durch die sinkende Mobilisierungsfahigkeit der GroRparteien. Diese konnten nicht mehr an vormalige Ergebnisse anknupfen. Infolgedessen sank der Anteil der Wahler, die die beiden Volksparteien untereinander versammeln konnten (Alemann 2003; Niedermayer 2006a; De­cker 2007). Zudem machte sich das Mitwirken der Grunen und der PDS bezuglich des Frag- mentierungsgrades des Parteiensystems bemerkbar. Dieser war durch die Starkung der klei- nen Parteien gestiegen, wahrend der Stimmenanteil der beiden groRen Parteien schrumpfte (Schmidt 2007).

Trotz der Erfolge der PDS am linken Spektrum in Ostdeutschland orientierten sich die Parteien zunehmend in Richtung der politischen Mitte. Von Alemann (2003) charakterisiert die Zeit nach der Wiedervereinigung bis zur Bundestagswahl im September 2002 als „zentripe- tale Phase". Damit ist die zunehmende Ausrichtung der Parteien zur politischen Mitte ge- meint. Zudem sieht von Alemann insbesondere die Entwicklung der Grunen nach ihrer Wahl- niederlage 1990 als spezifisches Merkmal fur diese These. Diese hatten sich zu einer normalen Partei entwickelt. Spatestens mit der Regierungsbeteiligung 1998 und 2002 hatten die Grunen ihre Entwicklung von einer vormals „systemoppositionellen Haltung" zur „reformorientierten Partei" vollendet (Alemann 2003:75). Als etablierte Partei konnten sich die Grunen 1998 mit ihrer ersten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene zahlen. Nachdem ihnen mit ihrem Bun- destagswahlprogramm 1987 bereits „programmatische Reife" (Japs 2008: 20) bescheinigt wurde, stand nun ein weiterer, wesentlich bedeutender Schritt bevor. Jede Partei, die in ei- nem Parteiensystem FuR fassen will, muss nach Niedermayer (2003) drei Hurden ubersprin- gen. Dazu gehort die Teilnahme an nationalen Wahlen (Inklusion), sowie der Einzug ins natio- nale Parlament (Reprasentation). Diese beiden Schritte hatten die Grunen bereits deutlich fruher vollzogen. Als letzten Punkt gibt Niedermayer die Unterstutzung einer Regierung durch Tolerierung einer Minderheitsregierung oder Beteiligung an einer Regierungskoalition (Macht- teilhabe) an. Dieser letzte Schritt war somit von den Grunen vollzogen worden. Die vormalige Oppositionspartei war nun in der Regierung angekommen, konnte sich also nicht mehr als Alternative zu den herrschenden Parteien prasentieren. Sie trat von nun an als „Korrektiv" von SPD bzw. „Reformmotor der Regierung" (Japs 2008: 74) auf. Letztendlich etablierten sich die Grunen durch Anpassung an die anderen Parteien (Japs 2008).

Ebenso suchte die SPD ihren Weg zur „neuen Mitte" - beflugelt von den Erfolgen Bill Clintons in den USA und Tony Blairs New Labour in GroRbritannien. Mit dem Slogan „lnnovati- on und soziale Gerechtigkeit" traten Gerhard Schroder und Oskar Lafontaine mit der SPD in eben diese „neue Mitte". Eine elektorale Allianz aus Traditionswahlerschaft aus Arbeiter- und Gewerkschaftsmilieu und „modernisierungsorientierten burgerlichen Wahlerschichten" (Nie­dermayer 2006a: 121) katapultierte Rot-Grun in die Regierung. Die Bundestagswahl 1998 wurde somit zur Zasur im Parteiensystem: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde ein kompletter Regierungswechsel[8], eine Wachablosung, durch Wahlerhand vollzogen (Niedermayer 2006a; Decker 2007). „Nahezu funfzig Jahre nach ihrer Grundung praktizierte die Bundesrepublik erstmals alternative government'" (NiclauR 2002: 58). Zum ersten Mal gelang es der Opposition uber Wahlen einen vollstandigen Regierungswechsel herbeizufuh- ren, der die Regierungsparteien auf die Oppositionsbank schickte. Dieser Regierungswechsel bedeutete fur die FDP ein neues und einschneidendes Erlebnis: Nicht nur war sie zum ersten Mal seit 29 Jahren in die Opposition geschickt worden, sie hatte auch die Rolle der „Schar- nierpartei", der Mehrheitsbeschafferin verloren. Besonders einschneidend fur Union und FDP war der Fakt, dass der SPD eine massive Wahlermobilisierung gelungen war, die rund drei Millionen Wechsel- bzw. Neuwahler fur sich gewinnen konnte (Schonhoven 2008). Letztend­lich konnte sich die FDP also weder als „Konigsmacher noch als Korrektiv in einer Koalition in Szene setzen" (Vorlander 2007: 279). Dies sollten die Grunen fur die zwei kommenden Legisla- turperioden ubernehmen.

Niedermayer (2006a) sieht in der Wahlniederlage der Unionsparteien von 1998 eine tiefgreifende Veranderung in der Struktur des Parteiensystems. Die vorherige strukturelle Asymmetrie zugunsten der CDU/CSU schmelze „aufgrund der sozio-kulturellen Wandlungs- prozesse" der letzten Jahrzehnte zusehends. Dies betreffe insbesondere die traditionelle Kernwahlerschaft der CDU/CSU - die kirchengebundenen Katholiken. Decker sieht die Mehr- heitsfahigkeit der beiden Volksparteien auch dann nicht gesichert, wenn sie eine programma- tische Offnung vollzogen, da die Gefahr bestehe „die getreuen Stammwahler weiter zu ver- prellen" (Decker 2007: 33). Von Alemann (2003) argumentiert, dass der Parteienwettbewerb durch die Stabilisierung der kleineren Parteien FDP, Grune und PDS nach der Bundestagswahl 1998 gestiegen sei. Zudem, so von Alemann, konkurrierten SPD, Grune und PDS links von der Mitte um dasselbe Wahlerpotenzial, wahrend die SPD gleichzeitig mit ihrer Strategie der „neuen Mitte" im Zentrum der Parteienlandschaft um die Stimmen von Union und FDP kamp- fe.

Zusammenfassend waren die neunziger Jahre durch zwei Bewegungen charakterisiert: Zum einen durch die Eingliederung der PDS in das gesamtdeutsche Parteiensystem, und damit der Etablierung eines „neuen" Parteiensystems in den ostdeutschen Bundeslandern mit der PDS als drittstarkster Kraft. Zum anderen durch den Wahlsieg von Rot-Grun 1998, der den ersten von Wahlerhand ausgelosten Regierungswechsel begrundete. Dieser ging einher mit einer Neuorientierung der Parteien hin zur politischen Mitte und der Auflosung der vorheri- gen Asymmetrie des Parteiensystems zugunsten der Union. Die SPD konnte nach langer Absti- nenz von der Regierung endlich wieder Mehrheiten mit Grunen oder FDP bilden, wahrend dies der Union mit keiner der beiden kleineren Parteien gelingen sollte. Zudem naherten sich SPD und PDS - zumindest im Osten - auf Landerebene an (Rudzio 2002).

2.5. Ankunft im Funfparteiensystem (2002-2009)

Mit der Regierungsubernahme von Rot-Grun 1998 kundigte sich fur die deutsche Parteien­landschaft eine Reihe maRgeblicher und entscheidender Veranderungen an. Der Union fallt es seit den neunziger Jahren immer schwerer, politische Mehrheiten zu bilden, die sich auch bei Bundestagswahlen im Ergebnis niederschlagen.[9] Sowohl Union als auch SPD vereinigen zu- nehmend weniger Stimmen unter dem Schirm der Volksparteien. Waren es 1990 noch 77,3 Prozent, so sank die Zustimmung bis 2005 auf 69,4 Prozent[10] und sank 2009 ein weiteres Mal, bedingt durch die Schwache der SPD, auf 56,8 Prozent - der bisherige Tiefstwert. Erklaren lasst sich dies insbesondere durch die abnehmende Parteienbindung, die folglich zu einer steigen- den Volatilitat fuhrte. Die daraus resultierende offene Wettbewerbssituation der Volkspartei­en fuhre laut Niedermayer dazu, dass „politische Stimmungsschwankungen weit dramatischer ausfallen als in der Vergangenheit" (Niedermayer 2006a: 128). Fur diese wechselwilligen Wah- ler ist eine steigende Bedeutung der rationalen und gegebenenfalls sogar irrationalen Kriteri- en und situativen Faktoren anzunehmen (Marschall 2007), was in Zukunft zu spontaneren Wahlergebnissen fuhren konnte. Daraus resultierten die spannenden Wahlabende der Bun- destagswahlen von 2002 und 2005. Eine Neuorientierung bei Wirtschaftsfragen (Agenda 2010, Globalisierung, Lasten des Wohlfahrtsstaats) wurden von SPD und Union „lange Zeit ignoriert" (Niedermayer 2006a). Die Konsequenz der angegangenen Reformen, insbesondere der Sozial- reformen (Hartz IV), war eine zunehmende Unzufriedenheit in der Bevolkerung und eine wei- ter steigende Politikverdrossenheit. Wachsende Wahlabstinenz muss dabei nicht zwangslaufig Ausdruck von wachsendem Protest oder Unzufriedenheit sein, sondern signalisiert auch, wie wichtig die Burger das entsprechende Parlament (noch) finden (Marschall 2007). Politikver­drossenheit kann gerade als Grund fur das „Wechselklima" bei der Bundestagswahl 2002 gel- ten (Neu 2004). Wahlprognosen hatten lange Zeit eine burgerliche Mehrheit fur die Bundes­tagswahl 2002 vorausgesagt. Stoss fasst das Bundestagswahlergebnis dem Wahlkampf und Ergebnis entsprechend zusammen: „Bei der Bundestagswahl ist die rot-grune Koalition um Haaresbreite einer Niederlage entgangen. Mit Verweis vor allem auf die Flutkatastrophe, die Irak-Debatte und Mollemanns antijudische bzw. antiisraelische Postwurfaktion lautete der Tenor der meisten Deutungen des Wahlausgangs daher ,Gluck gehabt' (SPD, Grune), ,Pech gehabt' (CDU/CSU) oder ,selbst schuld' (FDP, PDS)"[11] (2004: 183). Bei der Union hingegen standen andere Probleme im Mittelpunkt: Die Anhangerschaft der Union ging mehr und mehr auseinander und somit gelang es der Union nicht mehr, eine haltende Klammer um ihre Stammwahlerschaft zu schlieRen (Walter 2006).[12]

2.5.1. Die Entstehung der Partei DIE LINKE

Weitaus geringer erscheinen die Probleme der Union, wenn man einen Blick auf die 2005 ent- standene Situation der SPD wirft. Die Entstehung der Partei DIE LINKE[13] erscheint ruckblickend auf die Bundestagswahl 2002 aus Sicht der PDS wie ein Wunder, wahrend sich die Sozialde- mokraten fur die nachsten Jahre wenig an der neuen Konkurrenz von links erfreuen durften. Bei der Bundestagswahl 2002 war die PDS noch an der Funfprozenthurde gescheitert und konnte nur zwei Direktmandate fur den Bundestag gewinnen - war somit nicht mal mit Frak- tionsstarke im Bundestag vertreten und wurde „endgultig als regionale Partei Ostdeutsch- lands zuruckgestuft" (Alemann 2003: 79), da ihr Ansehen im Westen nach dem Abgang Gregor Gysis weiter abnahm. Stoss (2004) kreidete der PDS nach dieser Wahl an, dass sie ihre Grund- satzdebatte auf Eis gelegt habe und damit die Frage unbeantwortet lieRe, ob sie sich eher als sozialistische Opposition verstehe oder ob sie durch konkrete Reformpolitik um gesellschaftli- che Anerkennung ringen wolle.

Wie falsch diese Annahme sein sollte, zeigte sich im Laufe der rot-grunen Regierungs- jahre. Aus Protest gegen die Arbeitsmarktreformen der Sozialdemokraten entstand 2004 der Verein „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG). Teils aus SPD-Abspaltern und Gewerkschaftlern gegrundet, kristallisierte sich zunehmend eine Konkurrenz links von der SPD heraus, die sich als Alternative zum „neoliberalen Mainstream" der anderen Parteien sah (Moreau 2007). Mit der Ankundigung fur vorgezogene Bundestagswahlen 2005 uberraschten Gerhard Schroder und Franz Muntefering nicht nur die Union, ihre Absicht war es sicherlich auch die „Abspaltungstendenzen am linken Parteiflugel zu bekampfen und das sich abzeich- nende Bundnis von WASG und PDS zu vereiteln" (Decker 2005). Verhindert werden konnte das Bundnis nicht, und so traten PDS und WASG unter einer gemeinsamen offenen Liste unter dem Namen Linkspartei.PDS zur Bundestagswahl 2005 an. Dabei stellte sich zwangslaufig die Frage, ob die Neugrundung einen weiteren Versuch der Partei darstellen sollte, sich endgultig aus ihrer Ostorientierung zu losen. Entgegen dieser Annahme verstand sich die Linke zur Bun­destagswahl 2005 weiterhin als Partei der Ostinteressen, aber ebenso als Friedenspartei und Partei der sozialen Gerechtigkeit. Dabei zielte ihre Strategie darauf ab, sich langfristig als dritt- starkste Kraft im Bundestag zu etablieren (Neugebauer & Stoss 2008). Am 16. Juni 2007 kam es dann auf dem Fusionsparteitag in Berlin auch formal zur Grundung der Partei DIE LINKE aus Linkspartei.PDS und WASG. Zuvor hatten Linkspartei und WASG die Fusion mit 96,9 bzw. 83,9 Prozent Zuspruch besiegelt (Jesse & Lang 2008).

Letztendlich bot die Symbiose aus Ostpartei und Westgruppierung eine „win-win- Situation". Wahrend die WASG auf Stimmenunterstutzung aus dem Osten angewiesen war, erhoffte sich die PDS eine Uberwindung des puren Ostpartei-Stigmas, das ihr so lange ange- haftet hatte. Zudem fand man in Gysi und Lafontaine jeweils bekannte Fuhrungspersonen fur Ost und West, die es schafften, das Protestpotenzial einer Wahlergruppe anzusprechen, die von den etablierten Parteien nicht mehr angesprochen wurde (Decker 2005). Dabei wollte die Linke vor allem die Lucke fullen, die die SPD im gewerkschaftlichen Milieu hinterlassen hatte (Neugebauer & Stoss 2008). Insbesondere die PDS hatte den Zusammenschluss vorangetrie- ben, wahrend in der WASG die Sorge vor einer Einverleibung durch den „groRen Bruder im Osten" stets aktuell war (Jesse & Lang 2008: 96).

Viola Neu analysierte nach der Bundestagswahl 2005 die Sozialstruktur der Wahler- schaft der Linkspartei in Ostdeutschland und fand heraus, dass insbesondere Wahler mit nied- riger und mittlerer Bildung sowie Arbeiter zu der Gruppe der „alten Eliten der DDR" (Neu 2006: 27) hinzukamen. Die Linkspartei schaffte es auf der einen Seite also, ihre Wahlerbasis massiv auszubauen, was mit einem sozialstrukturellen Wandel der Wahlerschaft einherging. Ihre politische Positionierung wurde aber dadurch nicht wesentlich verandert. Interessanter- weise, so schlussfolgert Niedermayer, musse die Linkspartei fur die Mobilisierung ihrer Wah- lerklientel bei kunftigen Wahlen keinen „Spagat mit unterschiedlicher politischer Ansprache der beiden Wahlersegmente vollbringen", sondern konne sich darauf konzentrieren, ihre „Stellung als Reprasentantin des Sozialstaatspols (...) des Parteiensystems konsequent zu kommunizieren" (2006b: 538). Ziel war es von vornherein gewesen, ein breites demokrati- sches Linksbundnis zu formen (Meves 2005: 30), und so gelang ihr bei der Bundestagswahl 2005, was der PDS 2002 noch verwehrt geblieben war. Im Westen erlangte sie 4,9 Prozent der Stimmen, im Osten der Republik 25,3 Prozent. Ruckblickend auf 2005 wurde die Linke als die „bevorzugte Adresse des sozialen Protests" angesehen (Neu 2007: 321). Dies machte sie mit bundesweiten 8,7 Prozent zur viertstarksten Kraft - vor den Grunen - im Deutschen Bundestag (Niedermayer 2006b). Bis zur Bundestagswahl 2009 setzte sie ein erstes Ausrufezeichen als populistische Linke und schaffte wiederholt den Einzug in den deutschen Bundestag. 11,9 Prozent sicherten der Linken wiederum ein besseres Abschneiden als den Grunen und zum wiederholten Mal den sicheren Einzug in den Bundestag. Fur den Moment scheint sich die Linke sowohl auf Bundes- als auch Landesebene fest verankert zu haben. So gelang ihr seit 2005 der Einzug in mehrere, auch westdeutsche, Landesparlamente. In Bremen zog DIE LINKE erstmals in ein westdeutsches Parlament ein. Auch in Hamburg, im Saarland und in Schleswig- Holstein gelang der Einzug, wahrend nacheinander in Sachsen-Anhalt, Berlin, Mecklenburg- Vorpommern, Sachsen, Thuringen und Brandenburg die Position etabliert werden konnte (Jesse & Lang 2008). In Brandenburg reichte es sogar fur einen Koalitionswechsel und somit zur Regierungsbeteiligung und rot-roten Koalition unter Ministerprasident Matthias Platzeck, wahrend in Thuringen und im Saarland ein rot-rot-grunes Bundnis nicht zu Stande kam, zur Enttauschung der Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine und Bodo Ramelow.

2.5.2. FDP und Grune zwischen den Fronten

Was geschah mit den anderen beiden kleinen Parteien, FDP und Grunen? Die FDP schlug mit Guido Westerwelle ab 2001 einen Kurswechsel ein, nachdem sie 1998 erstmalig die Rolle der Konigsmacherin verloren hatte. Die Liberalen versuchten sich das Image einer „jungen, dyna- mischen und unverbrauchten" (Vorlander 2007: 280) Partei zu geben. Dies wurde mit dem Ziel verbunden, bei der Bundestagswahl 2002 ein Ergebnis von 18 Prozent zu erhalten. Die FDP versuchte mit allen Mitteln die alte „Scharnierfunktion" zuruckzugewinnen um wieder in eine Regierungsposition zu gelangen - dies sollte als „Partei fur das ganze Volk" (Vorlander 2007: 280) gelingen. Bekanntlich scheiterte das Projekt aufgrund von verschiedenen wahlkampfpoli- tischen Fehlern: Zum einen wurde die Imagekampagne uber sachpolitische Themen gesetzt und zum anderen erlaubte sich Jurgen Mollemann mit antisemitischen und antiisraelischen AuRerungen einen Fauxpas kurz vor der Wahl. Das Projekt scheiterte, aber die FDP konnte sich „uberraschend schnell konsolidieren" (Vorlander 2007:281). Das Image der ,,SpaRpartei" wurde von nun an durch Seriositat ersetzt. Dem Ruf einer „Wackelpartei" widersetzte sich Westerwelle nach der Bundestagswahl 2005 erfolgreich und verhinderte eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grunen. Grunde fur dieses Widersetzen sieht Walter (2006: 202) in den beiden „fundamentalen Regierungswechseln" zu Willy Brandt und spater zuruck zu Helmut Kohl und dem daraus resultierenden Verlust groRer Teile der Wahlerschaft. Trotz eines last- minute swing von CDU-Wahlern hin zur FDP konnte diese weder die GroRe Koalition verhin- dern, noch erreichte sie ihr Primarziel einer Regierungsbeteiligung (Niedermayer 2006a).

Als dritte Kraft im Parlament loste die FDP 2005 wieder die Grunen ab, die nach An- tritt der Regierungskoalition 1998 zum Teil herbe Verluste bei Landtagswahlen einfuhren - Hessen, Bremen, Berlin, Baden-Wurttemberg. Als politischer Wendepunkt der Grunen erwies sich dann die Bundestagswahl 2002, bei der die Grunen mit 8,7 Prozent die Regierung im Amt halten konnten, dabei aber sicherlich auch von den Verlusten der SPD profitieren konnten. Der Zugewinn an Stimmen hing aber nicht mit der abgemachten Zusammenarbeit mit der SPD zusammen. Im Gegenteil: Die Grunen gingen bei der Bundestagswahl 2005 ohne konkrete Koalitionsaussage in die Wahl und verfehlten ihr vorheriges Ergebnis mit 8,1 Prozent nur knapp. Dennoch stellen sie im folgenden Bundestag die kleinste Fraktion (Probst 2007). The- matisch standen bei dem vorangegangenen Wahlkampf insbesondere die Auslandseinsatze der Bundeswehr auf dem Programm und fuhrten zunehmend zu innerparteilichen Auseinan- dersetzungen. Insbesondere der Ruckzug Joschka Fischers 2005 aus der Partei „markierte in personeller Hinsicht eine tiefgreifende Zasur" (Probst 2007: 178), nicht nur aufgrund seiner enormen Beliebtheit in der Bevolkerung, sondern auch durch das Wegbrechen der Fuhrungs- person der Partei.

Aufgrund des Parteiverstandnisses der Wahler hatten die Grunen insbesondere im Os- ten der Republik schwere Zeiten vor sich. Geschwacht wurden sie durch das ihr anhaftende Image der „reinen Westpartei" (Niedermayer 2006a: 126). Prinzipiell waren die Grunen bereit mit der SPD und den Liberalen eine Ampel-Koalition zu bilden, dies scheiterte jedoch, wie bereits erwahnt, am Widerstand der FDP. Auch nach vier Jahren Oppositionsarbeit haben sich die Grunen nicht in allen ostdeutschen Landesparlamenten etabliert. Zwar gab es bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern leichte Zugewinne, den- noch scheiterte die Partei eindeutig an der Funfprozenthurde. Im Gegenzug feierte die Partei in Brandenburg, Sachsen und Thuringen den Einzug in die Parlamente, wurde aber in allen Regierungsbeteiligungen auRer Acht gelassen. In Hamburg kam es nach vielen Diskussionen zur ersten Schwarz-Grunen Koalition, mit der sich sowohl Grune als auch die Unionsparteien zukunftige Machtoptionen offen halten. Hier wurde zumindest fur die Landesebene von einer Enttabuisierung gesprochen (Lau 2009).

2009 war es dann aus Sicht der Union gerade der Starke der FDP zu verdanken, dass eine burgerliche Mehrheit im Bundestag zustande kam. Die FDP hatte im Wahlkampf stets die Nahe zur Union betont und Westerwelle hatte ein Zusammengehen mit SPD und Grunen ka- tegorisch ausgeschlossen, obwohl Frank-Walter Steinmeier und Franz Muntefering massiv um die FDP buhlten, da dies ihre einzige realistische Machtoption war. Mit 14,6 Prozent der Stimmen erlangte die FDP 93 Sitze - das beste Bundestagswahlergebnis der FDP bei Bundes- tagswahlen bislang.

Auch die rechten Parteien mussen hier, aufgrund vereinzelter Erfolge bei verschiede- nen Landtagswahlen, erwahnt werden. Sie konnten sich auf Bundesebene nicht etablieren, kamen jedoch, gerade in Ostdeutschland, bei den Landtagswahlen in Sachsen 2004 auf 9,2 Prozent (NPD) und in Brandenburg auf 6,1 Prozent (DVU).[14] Wahrend die DVU den Wiederein- zug in den brandenburgischen Landtag 2009 mit 1,1 Prozent verpasste, gelang der NPD in Sachsen jedoch die Wiederwahl mit 5,6 Prozent.

[...]


[1] Der Fraktionszusammenschluss der Unionsparteien wird hier als eine Partei gewertet.

[2] Dieses wurde im November 1959 verabschiedet und bildete bis 1989 das Parteiprogramm der SPD.

Mit diesem Programm wurde der Wandel der SPD von sozialistischer Arbeiterpartei zu Volkspartei be- siegelt.

[3] Aufgrund der kleineren FDP variierte die Zahl der effektiven Parteien zwischen 2,24 und 2,52 (Saalfeld 2000).

[4] Dort konnte die PDS nur zwei Direktmandate in Berlin erreichen und scheiterte mit 4,0 Prozent an der Funfprozenthurde.

[5] Niedermayer (2006a) definiert die Segmentierung eines Parteiensystems anhand von vier Faktoren, die eine wichtige Rolle bei der Ausschau nach neuen Koalitionsmustern spielen: Erstens die rechneri- sche Moglichkeit einer Koalitionsbildung, zweitens die Nahe oder Distanz zwischen beteiligten Parteien in Bezug auf politische Inhalte, drittens die Orientierungen der Parteifuhrungen und der Parteibasis gegenuber den anderen Parteien und viertens die Orientierung der Parteianhangerschaften gegenuber den anderen Parteien.

[6] Neugebauer und Stoss (1996) weisen darauf hin, dass es sich bei der PDS um die einzige Partei hande- le, die maGgeblich den Ost-West-Konflikt in sich trug.

[7] Bereits 1994 konnte die PDS im sogenannten „Magdeburger Modell" die rot-grune Minderheitsregie- rung stutzen, dann 1998 im Schweriner Landtag erstmals eine Koalition mit der SPD eingehen und im Folgenden sowohl in Berlin als auch Brandenburg als Regierungspartei akzeptiert werden. Etabliert hat sie sich somit zumindest in Ostdeutschland.

[8] Also der Austausch beider Regierungsparteien durch zwei Parteien der vorherigen Opposition.

[9] Ausfuhrlicher zu den CDU/CSU-spezifischen Grunden: (Niedermayer 2007: 127-129).

[10] 1994: 77,9 Prozent; 1998: 76,0 Prozent; 2002: 77 Prozent

1 Neu (2004) kommt in ihrer Analyse zudem auf das Ergebnis, dass 2002 die Wechselstimmung im Land nicht positiv (genug) fur Union und FDP waren, wie dies zum Beispiel 1998 bei Rot-Grun der Fall gewe- sen ist. Die Zufriedenheit mit der amtierenden Bundesregierung war also groRer als die Vorfreude auf eine neue schwarz-gelbe Regierung.

[12] Zudem nennt Walter (2006) als Grunde fur den Schwund des Burgertums das Wegbrechen des sozia- listischen Gegners durch die Wiedervereinigung, und das Verschwinden von traditionellen Werten und Orientierungen wie Familie, Heimat, Nation und Religion.

[13] Im Folgenden „Die Linke" oder „Linkspartei". Die Linkspartei gab sich in Ostdeutschland in Erinnerung an „alte Zeiten" den Namenszusatz „.PDS", trat also dort also vorerst als „Linkspartei.PDS" auf.

[14] Ausfuhrliche Analysen zum Stand der rechten Parteien in Deutschland liefern Decker (2004b), Meck­lenburg (2002), Pfahl-Traughber (2006) und der Sammelband von Schubarth et al. (2001).

Ende der Leseprobe aus 97 Seiten

Details

Titel
Das Parteiensystem der Bundesrepublik - Neue Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl 2009
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie)
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
97
Katalognummer
V149844
ISBN (eBook)
9783640608386
ISBN (Buch)
9783640608041
Dateigröße
6446 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parteiensystem, Koalitionsoptionen, Bundestagswahl 2009
Arbeit zitieren
Pascal Rossol (Autor:in), 2009, Das Parteiensystem der Bundesrepublik - Neue Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl 2009, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149844

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