Azteken und Spanier

Das Aufeinandertreffen zweier Großmächte


Wissenschaftliche Studie, 2008

46 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Vorbemerkungen

2. Die präkolumbianischen Kulturen in der Hochebene von Mexiko

3. Die spanische Eroberung

4. Die Herrschaft der Spanier in Nueva España

5. Schlussbemerkungen

Zitate

Literaturliste

1. Vorbemerkungen

Als Hernándo Cortés 1519 in der Bucht von Campeche auf der Halbinsel Yucatan mit seinem kleinen Expeditionskorps landete, konnten sie gleich ihre Überlegenheit beweisen, denn sie mussten ihre Schusswaffen einsetzen. Der Ablauf dieses Ereignisses prägte die Vorstellungen von dem Aufeinandertreffen der Großmacht Spanien mit den verschiedenen Völkern auf dem Gebiet des heutigen Mexikos. Ganz anders dagegen die zweite Landung in der Nähe des heutigen Vera Cruz. Dort wurden sie von einem Gesandten der Azteken empfangen. Hier fand eher eine Begegnung zwischen zwei Großmächten statt, die durch entwickelte Hochkulturen gekennzeichnet waren. Was ereignete sich also in Jahren nach 1519 auf der mexikanischen Hochebene? Die allgemein verbreitete Anschauung, es wäre eine Geschichte der Eroberung durch die völlig überlegenen Spanier gewesen, kann nicht mehr vertreten werden. War es ein gewaltsames Aufeinandertreffen von zwei Großmächten, der katholischen Schutzmacht Spanien mit dem aztekischen Imperium? Auch diese Vorstellung erfasst nicht die Ereignisse in geeigneter Weise. Eine Rolle spielte auch die Begegnung von zwei Hochkulturen, denn in der Zeit des 16. Jahrhunderts wurde in dem genannten Gebiet nicht nur Krieg geführt, sondern es gab lange Friedenszeiten, in denen sich die beiden Kulturen in einer besonderen Weise vermischten. Dabei spielte die spanischen Vorstellungen natürlich eine dominante Rolle, doch die Rahmenbedingungen entfalteten eine besondere Dynamik, die dann zu einer Vermischung führte.

Es sind also auf den genannten drei Ebenen differenzierte Überlegungen notwendig. Wir sind heute durch die Forschung und die Archäologie in der Lage, den recht komplexen Prozess angemessen darzustellen. Das bedeutet aber nicht, dass es keine offenen Fragen mehr gibt.

Es ist geradezu schmerzlich, dass die Spanier in der Zeit der kriegerischen Eroberung so viele schriftliche Überlieferungen der mesoamerikanischen Kulturen zerstört haben(V 1). Was hat eigentlich die Spanier getrieben, als sie diese Zerstörungen vorgenommen haben? Auch das kann man nicht so einfach beantworten. Den historischen Hintergrund im Mutterland muss man aber woanders nachlesen(V 2). Der lange Prozess des Wiederaufbaus der aztekischen Kerngebiete wird hier in auch in den Grundzügen dargelegt. Dabei werden widersprüchliche Tendenzen aufgezeigt, die dann zu dem spezifischen mexikanischen Resultat geführt haben.

Wenn man die vorliegende Abhandlung gelesen hat, dann sieht man die Ereignisse der spanischen Eroberung völlig anders. Außerdem kann man dann die archäologischen Ausgrabungen in Mexiko in einer neuen Weise würdigen. Das Staunen, das einen auf den großen Pyramiden, z.B. in Teotihuacán erfasst, wird dann noch vertieft. Wer aber nicht nach Mexiko reisen will oder kann, der bekommt einen Eindruck auch im Museo de América in Madrid oder im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem.

2. Die präkolumbianischen Kulturen in der Hochebene von Mexiko

Als die Spanier mit Hernando Córtes am 12.3.1519 in der heutigen Campeche Bay im mexikanischen Bundesstaat Campeche landeten, fanden sie hochentwickelte und differenzierte Gesellschaften vor, die sich über einen längeren Zeitraum entwickelt hatten.

Heute geht man von einer ersten Besiedlung seit ca.13 000 a. C. aus und man teilt die Geschichte der Einwanderung in mehrere Abschnitte ein, aber erst ab einer Zeit von 1800 a. C. bzw. 700 a. C. (2.1). Für die Zeit davor hat man nur wenige archäologische Funde, die kein geschlossenes Bild ergeben. Wir wissen aber, dass seit ca. 3500 a. C. Menschen sesshaft wurden und die Landwirtschaft mit Mais und Bohnen entwickelten und die Haustiere Hund bzw. Truthahn kannten. Transporte wurden nur von Menschen durchgeführt. Die frühen Kulturen von Mesoamerika verfügten nicht über das Rad. Mit Funden ist es nur für Kinderspielzeug überliefert (2.2). Pietschmann unterscheidet für Mexiko das Präklassikum (ca. 700 a. C. – 400 p. C.) mit der Kultur der Olmeken in Gebieten der Bundesstaaten Campeche, Tabasco und Veracruz, das Klassikum (ca. 400 – 900 p. C.) mit den Hochkulturen der Maya in Palenque, Tikal, Cobán, Uxmal und Chichén Itzá sowie der Zapoteken in Monte Albán und natürlich von Teotihuacán, außerdem das frühe Postklassikum (900 – 1200 p. C.) bzw. das späte Postklassikum (1200 – 1520 p. C.) (2.3).

Alle Völker von Mesoamerika haben gemeinsame Kulturtechniken entwickelt, wie die recht differenzierte Landwirtschaft, eine Schrift, fundierte Kalender- und Zahlensysteme und Religionen mit einem breiten Pantheon. In der weiteren Entwicklung erkennen wir auch gegliederte Gesellschaften mit einer klaren, abgegrenzten Hierarchie. Die genannten Zentren waren immer auch von Krisen betroffen, die zu einem Niedergang und nach einer Übergangzeit zum Verlassen derselben führte. Die Neugründung von Zentren war dann auch die Folge. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist dies zurückzuführen auf „Klimaanomalien, Kriege, Wanderungsbewegungen und Überbevölkerung“ (2.4). Die mexikanische Hochebene war auch immer ein Ziel von einwandernden Ethnien, die sicherlich auch einen Beitrag dieser Dynamik auslösten. Die Gesellschaften waren also von äußeren Faktoren in einem sehr hohen Maße geprägt. Dadurch hat sich eine Vermischung der Kulturen entwickelt. Die Bewahrung von eigenen Identitäten und die Übernahme fremder Kulturtechniken haben sich in einem Rahmen von praktischer Bewährung, von Machtpositionen und spiritueller Überzeugung entwickelt. Dies führte auch zu einer differenzierten Wahrnehmung des Selbstbewusstseins von sesshaften Gesellschaften und Gruppen von Einwanderern. Besonders gefragt war hier die Einschätzung besonderer Situationen durch die Eliten. Im Norden von Mexiko findet man keine wesentlichen Überreste von Hochkulturen. Dort waren die Ressourcen für das Überleben sehr knapp und man kann davon ausgehen, dass das kulturelle Niveau der Einwanderer unter dem der sesshaften Kulturen in der Hochebene lag. Natürlich gab es Kriege zwischen den verschiedenen Zentren, obwohl die kulturellen Unterschiede nicht sehr groß waren. Neben dem Handel, der zu einem friedlichen Austausch, aber zu einer gegenseitigen Beeinflussung führte, spielte die Eroberung eine große Rolle, wobei Formen der Einflussnahme sich entwickelten, die die Strukturen der eroberten Gesellschaften weitgehend erhalten ließen. Die Eliten der mesoamerikanischen Gesellschaften mussten sich mit vielfältigen, differenzierten Problemen beschäftigen. Als die Spanier in Campeche landeten, fanden sie Gesellschaften mit sehr erfahrenen Eliten vor. Pietschmann schreibt: “Die Verhältnisse erforderten von den Eliten einen hohen Grad von politisch-kultureller Flexibilität, die für den Umgang mit den spanischen Invasoren und das Leben unter deren Herrschaft von großer Bedeutung war“(2.5).

Als Cortes mit seinen elf Schiffen am Karfreitag 1519 in dem Gebiet der heutigen Stadt Vera- cruz an Land ging, war seine Landung von Spähern der aztekischen Herrscher beobachtet worden. Die Spanier erfuhren durch direkte Kontakte mit den Boten des Königs

Moctezuma II. (1502 – 1519) sowie mit den Indigenas und ihren Kaziken (lokale Herrscher), dass sie ein bedeutendes Reich betreten hatten. Was sie nicht wussten, dass sie Kontakt mit dem „aztekischen Imperium“ aufgenommen hatten. Das aztekische Reich war zu dieser Zeit kein „homogener Machtblock“(6), sondern ein heterogenes Gebilde, dessen Grenzen in einer Landkarte nicht zu fixieren waren. Innerhalb des Reiches lagen Stadtstaaten, die z.T. durch Allianzen verbunden, die aber von den Azteken noch nicht eingebunden waren, weil der Preis für eine Eroberung zu groß war. Außerdem gab es Gebiete, meist kleinere, deren Status nicht genau definiert war. Nur im Zentrum, im Umkreis der Hauptstadt Tenochtitlán, existierten klare politische und militärische Verhältnisse. An der Peripherie existierten eher die lockeren Formen der Abhängigkeit, wobei die Azteken ein recht gut durchdachtes System von Geben und Nehmen etablieren konnten. Sie erhielten regelmäßig Lieferung von Tributen, also von Gütern, die sie im Zentrum benötigten, dafür unterstützten sie logistisch und militärisch die entsprechenden Interessen der lokalen Herrscher. Durch die Sicherung der Wege von der Peripherie in das Zentrum war also eine Lieferung der Tributleistungen und der gegenseitige Handel möglich (2.7).

Wer waren denn nun die Azteken? Ursprünglich bezeichneten sie sich als die Nachfahren der Bewohner von „Aztlan“, eines mythischen Ortes, von dem die Bewohner der Hauptstadt und der Schwesterstadt Tlatelolco, heute beide Teile von Mexiko-City, abstammten. Zusammen bezeichneten sie sich als „Mexi’ca’“ (2.8) oder als Bewohner der beiden Städte. Den Namen „Azteken“ verwendet man erst seit dem 18. Jahrhundert und er wurde von dem Jesuiten Clavigero eingeführt (2.9).

Die Azteken sind erst recht spät in das Hochland von Mexiko eingewandert und sie wechselten mehrmals ihren Wohnsitz, bis sie sich nach einer Weissagung 1325 auf einer unwirtlichen Insel im Texoco-See niederließen und ihre Hauptstadt dort gründeten. Den Adler, den sie dort sahen, der eine Schlange in den Krallen hielt und auf einem Kaktus saß, spielte dabei eine leitende Rolle. Dieses Symbol finden wir heute noch in der Nationalflagge von Mexiko. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden die Hauptstadt und das Staatswesen aufgebaut und es begann das kurze Zeitalter des Aztekenimperiums.

Die Expansionspolitik wurde durch ein auf die jeweiligen Bedingungen angepasstes und differenziertes System der Machtausübung erfolgreich durchgesetzt. Grundsätzlich mussten die unterworfenen Gebiete Tribute leisten, die je nach Interessen und Bedingungen in unterschiedlicher Höhe festgesetzt wurden. Die Eliten dieser Gebiete wurden möglichst bestätigt, wobei ihre Funktionen und Privilegien nur wenig modifiziert wurden. Wenn dies nicht möglich war, hat man kooperationswilligere Gruppen eingesetzt. Die unterschiedlichen geographischen Bedingungen der eroberten Gebiete erlaubten den Anbau unterschiedlicher Produkte und so kam es in dem aztekischen Imperium zu einem großen ökonomischen Aufschwung, der bei allen beteiligten Gruppen zu einem Bevölkerungswachstum führte. Wichtig ist dabei noch, dass die problematischen naturräumlichen Bedingungen des Hochlandes von Mexiko, die kurze Vegetationsperiode, das verspätete Einsetzen der Regenzeit u.a. ausgeglichen werden konnten. Dabei muss man allerdings bemerken, dass die Azteken in ihrem Kerngebiet nicht viele Tauschgüter zur Verfügung hatten, um nur auf friedlichem Wege ihr Zentrum zu entwickeln. Die Kriegsgefangenen, die auch für die Opferzeremonien benötigt wurden, spielten bei dem Ausbau der Hauptstadt als Arbeitskräfte eine wesentliche Rolle. Dabei ging es nicht nur um die Paläste und Tempel, sondern auch um den Bau der arbeitsintensiven Kanäle, der Bewässerungsanlagen, der Dämme u.a.m. (2.10). Die Güter der tropischen Gebiete spielten eine wesentliche Rolle, der Kakao, die Federn der tropischen Vögel, besonders des Quetzals, das Salz, die Jade, Gewürze und die Felle von Tieren, besonders des Jaguars. Diese wurden von der einfachen Bevölkerung kaum benötigt, hatten aber auch bei den höheren Gesellschaftsschichten und in der Religion bzw. der Politik eine wichtige Funktion.

Die Gesellschaft der Azteken war in einem sehr hohen Maße von der Religion geprägt. Wenn man ihr Leben, ihre Auseinandersetzungen mit und ihr Verhalten gegenüber den Spaniern verstehen will, muss man sich damit gründlich beschäftigen, es werden dabei aber immer noch Fragen offen bleiben, was auch ein Erbe der europäischen Säkularisierung ist (2.11). Man kann sagen, bei den Azteken und ihren Nachbarvölkern spielte die Religion im Alltag

und in der Politik eine grundsätzliche Rolle. Die kosmische Ordnung hatte nach Ansicht der Azteken einen allumfassenden Einfluss, dem selbst die Götter unterworfen waren. Danach lebten die Menschen im fünften Zeitalter. Sie hatten also vier hinter sich und die Übergänge mit fundamentalen Katastrophen überlebt. Eine sehr schöne Darstellung findet man dazu in dem „Sonnenstein“, der auch „Kalenderstein“ genannt wird (Abb. 1), d.h. die lebensspendende Sonne ist bei den Übergängen jeweils in Gefahr, es drohte nach der Vorstellung der Azteken immer die ewige Finsternis. In der Mythologie der Azteken existierte die Vorstellung, dass sich in solch einer Phase zwei Götter in der Dunkelheit im Feuer geopfert haben, um das Leben in der Helligkeit zu ermöglichen, danach erschienen sie täglich als Sonne und Mond. Daraus haben die Azteken die Notwendigkeit von Opfern, sprich Menschenopfern, abgeleitet. Ob dies gleichzusetzen ist mit „zahlreichen Menschenopfer[n]“ ist meines Erachtens fraglich (2.12).

Die Anzahl der Götter in den mesoamerikanischen Kulturen ist erheblich. Sie sind meist mit den konkreten Lebensverhältnissen verbunden oder mit verehrten Personen in der Geschichte der verschiedenen Ethnien. Bei den Azteken standen in der Frühphase der Kriegsgott Huitzilopochtli, der ihren Aufstieg zu einer dominierenden Macht vorhergesagt hatte, und der Regengott Tlaloc, der für den Regen verantwortlich war, und für eine ausreichende Wachstumsphase verehrt wurde, im Vordergrund. Beide Gottheiten wurden in dem Haupttempel in Tenochtitlán, einem Doppelttempel, in den Vordergrund gestellt. Daneben gab es noch männliche und weibliche Gottheiten für Mais, Pulque, Fruchtbarkeit, Geburt, Unterwelt und Tod. Für viele von ihnen mussten Opfer gebracht werden. So wurden für den Gott Xipe Totec, der die Fruchtbarkeit sichern sollte, den Opfern die Haut abgezogen und einem Priester übergestreift. Jede Bevölkerungsgruppe verehrte außerdem noch spezielle Gottheiten. Die zentralen Gottheiten in den meisten mesoamerikanischen Kulturen waren und mit einem komplexen Kalendersystem, d.h. mit der Sonne und dem Mond verbunden. Diese waren schon in der Kultur in Teotihuacán dominierend.

Die Azteken knüpften an zwei Kulturen an und übernahmen deren Vorstellungen bzw. aktivierten wieder deren kultische Hauptorte. Das gilt für Teotihuacán, einer Hochkultur, die zwischen 100 und 750 p.C. in Zentralmexiko domierend war, und die durch ihre gewaltige Anlage heute noch die Besucher magnetisch anzieht. Da keine schriftlichen Überlieferungen vorhanden sind, wissen wir wenig über die Erbauer und ihre Sprache bzw. Vorstellungen. Die Kenntnisse aus der Archäologie sagen uns aber, dass dieser Ort wahrscheinlich einmal

200 000 Einwohner hatte und sein Einfluss bis nach Oaxaca, ins Maya-Tiefland und bis in das Hochland von Guatemala reichte. Die Azteken verwendeten wieder diese Pyramiden für ihre sakralen Veranstaltungen und gaben dem Ort den heutigen Namen, „der Ort, an dem man zu Gott wird“. Für sie war das ein mystischer Ort, der von Riesen erbaut wurde (2.13). Die große Sonnenpyramide mit einer Basis von 222 m auf 225 m und einer Höhe von 63 m macht heute noch einen gewaltigen Eindruck.

In ähnlicher Weise spielte der Ort Tollan, in der Nähe des heutigen Tula, eine wichtige Rolle für die Selbsteinschätzung der Azteken. Dieser Ort wird in den uns vorliegenden Quellen als „Stadt [der] Verkörperung der höchsten Vervollkommnung“ (2.14) bezeichnet. Die Bevölkerung dieser Stadt war nicht einheitlich, aber die Tolteken galten als die dominierende Gruppe. Ihnen sagte man legendäre Weisheiten nach, sie galten als hoch entwickelt in den Künsten, den Wissenschaften, der Medizin. Sie entwickelten einen Kalender und begründeten die Sternenkunde der Mesoamerikaner. Malerisch wurden natürlich auch die Bauwerke von Tollan beschrieben. Jeder, der sich also auf die Kultur von Tollan bzw. der Tolteken berief, erhielt etwas von ihrem legendären Ansehen. Die Stadt wurde wahrscheinlich um 950 p.C. von den Tolteken, zu denen sicherlich auch frühere Bewohner von Teotihuacán gehörten, gegründet und Ende des 12. Jahrhunderts wieder verlassen. Spuren der toltekischen Kultur findet man später in Maya-Gebieten, besonders in Chichén Itzá.

In Tollan verehrte man besonders die Gottheit Quetzalcoatl, dargestellt mit der „gefiederten

Schlange“ und brachte ihm dort angeblich keine Menschen-, sondern nur Tieropfer, Schlangen und Schmetterlinge, dar. Dieser Gott war der „Herr des Heilens und der Zauberkräuter, Symbol der Gelehrsamkeit, der Dichtkunst und aller schönen Dinge, Herr der Hoffnung und glänzender Herr des Morgensterns, [er] war der Geist, der am Morgen die Sonne in den Himmel holte und damit allen Menschen, Tieren und Pflanzen die segensreiche Macht des Sonnengottes brachte. Als eine der bedeutendsten Gestalten in der Religion des präkolumbianischen Mexiko war Quetzalcoatl … sowohl eine wirkliche Person wie ein Mythos“ (2.15). Der Name bezieht sich auf einen der 10 legendären toltektischen Könige, der sich Ende des 10. Jahrhunderts den Beinamen Quetzalcoatl gab. Auf ihn beziehen sich die Sagen gleichermaßen wie auf den Gott. Es lässt sich dabei keine saubere Trennung vornehmen. Eine Sage erzählt von dem ersten König Quetzalcoatl, der vom Himmel kam und als vorbildlicher Priester dort lebte, bis es zu einem Streit kam. Er erhielt einen Trank mit einem Pilz und in dem folgenden Rausch paarte er sich während eines Festes mit einer Göttin. Nach dem Aufwachen verließ er Tollan in Richtung Karibisches Meer, wo er mit einem Floß aus Schlangenhäuten in den Sonnenaufgang segelte. Das Boot wurde entzündet und sein Herz erhob sich zur Sonne (2.16). In einer anderen Darstellung hat er sich mit seiner Tochter gepaart und am Strand vom Golf von Mexiko selbst verbrannt und ist zum Morgenstern geworden oder über das Meer fortgezogen (2.17). In einer mehr weltlichen Erzählung ist er von einer Seeschlange nach Osten, nach Yucatan geführt worden, dort habe er die Stadt Chichén-Itzá gegründet und den Titel Kukulcán geführt, was ebenfalls gefiederte Schlange bedeutet.

Die zentrale Bedeutung der Verehrung des Gottes Quetzalcoatl im atztekischen Imperium wird bei der Interpretation des Untergangs eine wichtige Rolle spielen. Ob damit das Verhalten der Elite der Azteken erklärt werden kann, ist eine ganz andere Frage. Recht populär ist bis heute der Vergleich zwischen diesem Gott, seiner Rückkehr und den Vorstellungen der Spanier. Dabei muss man aber beachten, dass wir uns heute sehr stark auf

Quellen stützen, die nach der Konquista entstanden sind. So etwa der „Florentiner Codex“, der von jungen aztekischen Gelehrten unter Anleitung von Franziskanern vierzig Jahre nach der Eroberung entstand (2.18).

Im Jahr 2004 waren wir in Guatemala und haben in Tikal, vielleicht dem bedeutendsten Zentrum der Maya-Kultur, den Dschungel durchstreift, um die archäologischen Reste der Häuser der einfachen Bevölkerung zu erkunden. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung haben dort wahrscheinlich 50 000 Menschen gewohnt. In dem Bereich der Tempelanlagen haben nur die Eliten ihre Wohnräume gehabt. Man kann für die mesoamerikanischen Gesellschaften von einer Zweiteilung sprechen, etwa 10 % der Gesellschaft gehörte der Elite an, die durchaus dem Geburtsadel in den europäischen Geschichte entsprach, und der Rest der Bevölkerung stand diesen gegenüber. Es stellt sich natürlich die Frage, ob zwischen den beiden Schichten eine Mobilität vorhanden war? Prem ist der Meinung, dass es bei den Azteken praktisch kaum eine „soziale Mobilität“ zwischen den „beiden großen Schichten als auch deren Unterteilungen“ gegeben habe. Ausgenommen sind soziale Aufstiege durch „besondere kriegerische Leistungen“ und im Bereich der „Priesterschaft“. Angehörige der unteren Schicht konnten dadurch „Tributfreiheit und Zuweisung von Land“ erreichen, allerdings mit einigen Einschränkungen. Es entstand also neben dem Geburtsadel ein „nichterbliche[r] Verdienst- oder Dienstadel“ (2.19).

Recht heterogen war die Schicht des Geburtsadels bei den Azteken. Eine Unterscheidung wurde nach Stellung in der Machthierarchie, nach Besitz, nach Herkunft und nach Abstammung vorgenommen. An der Spitze einer Großfamilie stand in der Regel eine männliche Person. Es gab aber auch Adelshäuser, wo weibliche Nachkommen die Führung übernommen haben. Grundsätzlich wurden solche Positionen nicht nur vererbt, sondern die Männer mussten ihre Eignung durch die Bewährung in öffentlichen Ämtern oder durch überdurchschnittlichen Einsatz bei kriegerischen Konflikten nachweisen. Außerdem war die

öffentliche Anerkennung durch andere Adelshäuser, durch die politische Elite und u.U. auch durch die Abhängigen von großer Bedeutung. Landbesitz hatten bei den Azteken nur die Adligen, der Rest der Bevölkerung war von ihnen abhängig. Das galt insbesondere für die Bauern, die Abgaben leisten mussten, aber auch für die Handwerker. Das Leben fand also in Familienverbänden statt, die von Adelshäusern angeführt wurden. So sind für die Stadtteile von Technochtitlán eigene religiöse Zeremonien überliefert, die solchen Verbänden zugeordnet werden können. Das Oberhaupt einer Adelsfamilie führte damit auch einen Wirtschaftsverband an. Wenn man die drei zentralen gesellschaftlichen Funktionen einer solchen Person sieht, dann machte dies eine ausreichende Bildung notwendig. Für die jungen Adligen, natürlich nur die männlichen, gab es in den Tempelanlagen entsprechende Schulen, wo sie militärische, religiöse, verwaltungstechnische, rhetorische und dichterische Kenntnisse erwerben konnten. Solch eine schulische Einrichtung haben wir in Uxmal gefunden (2.20).

Die Nichtadligen bei den Azteken waren fast ausschließlich Bauern, die aber auch oft handwerkliche Fähigkeiten besaßen. Sicherlich gab es auch ausschließlich Handwerker, besonders in den Städten. Die Bauern lebten in Mehrgenerationenhaushalten, bewirtschafteten das Land und gaben dem adligen Landbesitzer festgelegte Anteile der Ernte ab. Daneben gab es noch Gemeinschaften mehrerer Familien, die in einer Genossenschaft den Boden bearbeiteten und an den lokalen Herrscher Abgaben leisteten. Eine besondere Gruppe waren die Fernkaufleute. Sie lebten in eigenen Wohnvierteln und hatten besondere Zeremonien. Einen Teil ihrer Waren gaben sie dem Herrscher als Tribut. Besonders hoch angesehen waren die Kaufleute, die bis über die Grenzen des aztekischen Reiches Handel trieben. Sie beschafften Güter, die zum Teil wesentliche symbolische Funktionen hatten, wie etwa Gold und Silber, aber auch Federn und Jaguarfelle.

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Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Azteken und Spanier
Untertitel
Das Aufeinandertreffen zweier Großmächte
Autor
Jahr
2008
Seiten
46
Katalognummer
V149733
ISBN (eBook)
9783640604869
ISBN (Buch)
9783640605118
Dateigröße
553 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In der vorliegenden Studien wird die Eroberung des Aztekenreiches durch die Spanier im 16. Jahrhundert im Licht der heutigen Forschung differenziert dargelegt.
Schlagworte
Spanien, Mexiko, Hernan Cortes, Montezuma, Moctezuma, Azteken, spanische Eroberung des Aztekenreiches, Tenochtitlán, Teotihuacán, Quetzalcoatl, Kukulcán, Maya, aztekisches Imperium, Juan de Gijalba, Jerónimo de Aquilar, Malinche, la noche triste, Nueva España, encomienda, encomenderos, Kaziken, Hidalgos, Bartolomé de Las, Muerte a los galupines, Schwarze Madonna von Guadalupe, Virgen de Guadelupe, Mexikanität, historisches Bewusstsein der Mexikaner, nación mexicana
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Peter Sandmaier (Autor:in), 2008, Azteken und Spanier, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149733

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