Die neue Aktualität des Foucault'schen Panopticons und ein Versuch der Anwendung auf die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2010


Seminararbeit, 2010

17 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Das Panopticon-Konzept bei Foucault
B. 1 Die Disziplinargesellschaft
B. 2 Die Polizei als Disziplinierungsorgan
B. 3 Ein aufierordentlicher Umstand fuhrt zur Formation der Disziplinargesellschaft

C. Die heutige Informationsgesellschaft
C. 1 Das Grundrecht aus Artikel 10 Grundgesetz und die Moglichkeiten seiner Einschrankung
C. 2 Telekommunikation und die Vorratsdatenspeicherung von Verkehrsdaten
C. 3 PCs, das Internet und die Online-Durchsuchung
C. 4 Das BKA-Gesetz und die Grundrechte

D. Die Anwendbarkeit des Panopticon-Konzeptes anhand dreier Charakteristika
D. 1 Die Terroranschlage des 11.09.2001 als aufiergewohnlicher Umstand
D. 2 Die Polizei als Disziplinierungsmacht
D. 3 Die Formierung der Disziplinargesellschaft

E. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

A. Einleitung

Nach den Terroranschlagen des 11. Septembers 2001 in New York und Washington D.C. wurde sich die westliche Welt der bislang wenig greifbaren und lange verdrangten Bedrohung durch den internationalen Terrorismus bewusst. Als Folge der Anschlage nahm die politische Kultur in vielen Landern eine Wendung vor. Diese Wendung kennzeichnete sich in der Bevolkerung durch das spurbare Verschwinden von Ressentiments gegen eine sich einleitende Politik, welche durch eine Vielzahl von Mafinahmen und Gesetzesinitiativen versuchte, sich den Bedrohungen des internationalen Terrorismus entgegenzustellen und fur die Sicherheit des Landes und seines Volkes Vorsorge zu treffen. So auch in Deutschland. Mit dieser Politik einhergehen weit reichende Befugnisse der deutschen Sicherheitsbehorden zur, auch praventiven, Verbrechensbekampfung. Befugnisse, die ebenso weit reichende Eingriffe in die Grundrechte der Bevolkerung mit sich bringen. Doch mit Zunehmendem zeitlichen Abstand zum letzten Terroranschlag und der in die gleiche Richtung fortschreitenden Gesetzgebung, samt den einhergehenden Ermittlungspraktiken der ,Sicherheitsbehorden’, breitet sich in Teilen der Bevolkerung Unbehagen uber die derzeitigen Entwicklungen aus. Dem Foucault’schen Konzept des Panopticons ist eine neue Aktualitat verliehen.

Im Kern beschaftigt sich diese Arbeit mit der Frage, ob und in wie weit das theoretische Konzept des Panopticons auf unsere Gesellschaft ubertragbar ist, genau so wie mit der Frage, welche Prozesse die Entwicklung hin zu einer panoptischen Gesellschaft eingeleitet haben. Einhergehend mit dieser Frage bildet sich ein zweiter, in einigen Teilen dominierender, weil zur abschliefienden Beantwortung der Fragestellung grundlegender, Kernpunkt der Arbeit heraus. Die staatsbezogene rechtlich-politische Realitat im Umgang mit den Kommunikationsmedien in der heutigen Gesellschaft. Das Konzept der Kamerauberwachung findet, trotz ihrer Bedeutung fur das Panopticon-Konzept, aufgrund ihrer bislang, im Sinne des Panopticon-Konzept als sehr lokal anzusehenden Umsetzung, keine Betrachtung in dieser Arbeit.

Zuerst wird grundlegend das Konzept des Panopticons vorgestellt. Bereits hier werden drei Merkmale dieses Konzeptes erarbeitet, welche gleichzeitig Charakteristika und Voraussetzungen fur eine Panoptische Gesellschaft darstellen. Als Vorbereitung auf den dritten Schritt wird im zweiten Schritt ein Uberblick uber die heutige Gesellschaft der BRD als Auspragung einer Informationsgesellschaft gegeben. Gleichzeitig werden die Hauptinformationswege, sowie einige Beispiele der Moglichkeiten zur staatlichen Einflussnahme auf diese anhand von Gesetzen erlautert, welche als Reaktion auf die veranderte Bedrohungslage durch den internationalen Terrorismus zu verstehen sind. Der dritte Schritt bildet den Versuch der Ubertragung des Panopticon-Konzeptes auf die heutige Gesellschaft der BRD, bevor es abschliefiend zu einer relativierenden Schlussbetrachtung kommt.

In deutlicher Abgrenzung zu dem in dieser Arbeit betrachteten Thema sind Eingriffe in Grundrechte der Burger zu sehen, welche nicht vom Staat herruhren. Diese erfahren hier keine Betrachtung.

B. Das Panopticon

Mit dem Begriff des Panopticons beschreibt Foucault einen Machttyp, welcher sich ab dem 17. Jhd. zu institutionalisieren beginnt und eine Abkehr von dem bisherigen, monarchischen Machttyp markiert (vgl. Foucault, 269).

Der Panoptismus bei Foucault grundet auf der Erfindung des Panopticons durch Jeremy Bentham. Das Grundkonzept des Panopticons bei Bentham besteht in einer neuartigen Raumaufteilung - nicht nur fur Gefangnisse, doch im Folgenden an diesem Beispiel erlautert - welche die Kontrolle der Insassen durch visuelle Uberwachung ermoglicht, ohne dass der Uberwachende dabei gesehen werden kann. Der Entwurf Benthams fur ein Gefangnis nach diesem Prinzip sieht ein kreisformiges Gebaude vor, in dessen Wanden die Zellen der Haftlinge schachtelartig sowohl nebeneinander als auch ubereinander angeordnet sind. Die Zellen reichen in ihrer Tiefe sowohl zur Innen- als auch zur Aufienwand des Gebaudes und haben zwei Fenster. Eines zu Innenhof hin gerichtet, das andere nach aufien. So sind die Zellen lichtdurchflutet. In der Mitte des Innenhofes steht ein Uberwachungsturm, von wo aus die Wachmannschaften jede Zelle einsehen konnen. Von diesem ab gehen grelle Scheinwerfer in Richtung der Zellen, sodass fur die Gefangenen nicht sichtbar ist, ob sie gerade unter Beobachtung stehen, oder nicht. Wichtig ist, dass sie in jedem Moment unter Beobachtung stehen konnten (vgl. Foucault, 256ff). Diese „Maschine zur Scheidung des Paares Sehen/Gesehenwerden“ (Foucault, 259) fuhre durch die Internalisierung des aufgebauten Machtverhaltnisses bei den Insassen zu einem standig regelkonformen Verhalten, ohne dass physische Gewalt, welche uber den Zwang der Inhaftierung hinaus geht, zur Aufrechterhaltung der aufgestellten Regeln notwendig sei. Aus diesem Umstand heraus wird die ausgeubte Macht unkorperlich und kann sich von einer physischen Anwesenheit im uberwachten Raum losen (vgl. Prantl, 91). Die Anwendung der Macht wird automatisiert und entindividualisiert. Durch die nicht langer notwendige physische Anwesenheit der Macht im uberwachten Raum verschiebt sich das Machtverhaltnis zwischen Uberwacher und Uberwachtem zugunsten des Uberwachers derart, dass der gleiche Erfolg wie zuvor mit weniger Aufwand erreicht werden kann. So folgt ein Machtzuwachs des Uberwachers sowohl in quantitativen, als auch in qualitativen Dimensionen (vgl. Foucault, 258ff).

Foucault sieht in diesem Konzept „ein Ei des Kolumbus im Bereich der Politik“ (Foucault, 265), einen idealisierten Machtmechanismus, welcher von seiner ursprunglichen Verwendung losgelost werden kann und als politisches Machtinstrument auf die gesamte Gesellschaft anwendbar sei. „Wann immer man es mit einer Vielfalt von Individuen zu tun hat, denen eine Aufgabe oder ein Verhalten aufzuzwingen ist, kann das panoptische Schema Verwendung finden.“ (Foucault, 264) .

B.1 Die Disziplinargesellschaft

Um die Ubertragung des Konzeptes des Panopticons als System Alles durchdringender und verallgemeinerter Uberwachung durch Sichtbarmachung aller gesellschaftlichen Vorgange auf die gesamte Gesellschaft zu ermoglichen, musse nach Foucault die ,Disziplinargesellschaft’ geformt werden. Die Disziplinargesellschaft fuBt auf institutionalisierten Verhaltensregeln und Normen, den Disziplinen, welche als Techniken verstanden werden konnen, „die das Ordnen menschlicher Vielfaltigkeiten sicherstellen sollen.“(Foucault, 279). Dabei umfasst die ,Disziplinargesellschaft’ sowohl rechtlich- politische als auch okonomische und wissenschaftliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Fur diese Betrachtung ist jedoch nur der erstgenannte der drei Bereiche von Interesse. Im Okzident sind die Disziplinen seit den hochmittelalterlichen Klostern existent. Hier wurde der Tagesablauf der Ordensbruder durch die Klosterdisziplin klar strukturiert und bestimmten Regeln unterworfen (vgl. Sarasin, 134f). Im 17. und 18. Jhd. wurden die Disziplinen verweltlicht und zuerst auf andere, von dem Rest der Gesellschaft noch recht abgeschlossene Orte wie Kasernen, Manufakturen und Schulen ausgeweitet (vgl. Foucault, 268). Die Ausweitung dieser Disziplinarsysteme auf die ganze Gesellschaft und alle Lebensbereiche, in Addition zu ihrer luckenlosen Vernetzung untereinander, bedeutet die Formierung der Disziplinargesellschaft (vgl. Foucault, 268). Ist die Prasenz der Macht „ohne Unterbrechung bis in die elementarsten und feinsten Bestandteile der Gesellschaft“ (Foucault, 267) gegeben, dann sei die Disziplinargesellschaft errichtet. Hier beginnt ein Spannungsfeld, welches nicht nur weit reichende Einschnitte in die Freiheit der Menschen durch die allgegenwartige, auch gegenseitige, Kontrolle und Uberwachung mit sich bringt. Durch die Verinnerlichung des Grundsatzes „Strafbar ist alles, was nicht konform ist“ (Foucault, 231), lasst es sich im Extrem durch belohntes Denunziantentum zum Terror steigern (vgl. Rouff, 149).

B.2 Die Polizei als Disziplinierungsorgan

Der Polizei kommt nach Foucault die weitaus bedeutendste Rolle bei der Durchsetzung der Disziplin auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu, weshalb er auch von einer „Verstaatlichung der Disziplinarmechanismen“ (Foucault, 273) spricht. Ihre allumfassende Macht bildet den Kern der Disziplinargesellschaft (vgl. Foucault, 276). Die Einsatzbereiche der Polizei sollen sich hierbei an dem gesellschaftlichen Leben orientieren und jeden Lebensbereich der Gesellschaft uberwachen, die bisherigen Disziplinarfunktionen der Gesellschaft jedoch nicht ersetzen. Vielmehr soll die polizeiliche Arbeit die existierenden Funktionen in ihrem Sinne - etwa zur Beschaffung von Informationen - nutzen, sie miteinander vernetzen und dadurch ihre Macht und ihr Wissen uber die Individuen der Gesellschaft erweitern. Somit ist die Polizei nicht mehr nur ausfuhrende Hilfskraft der Staatsanwaltschaft, sondern ubernimmt auch Disziplinierungsfunktionen (vgl. Foucault, 274ff). Die Polizei solle in der Wahrnehmung ihrer vielschichtigen Tatigkeiten nicht als weithin sichtbares Kontrollorgan agieren, sondern ihre Aufgaben moglichst unbemerkt von der Bevolkerung wahrnehmen.

„Zu ihrer Durchsetzung mufi sich diese Macht mit einer ununterbrochenen, erschopfenden, allgegenwartigen Uberwachung ausstatten, die imstande ist, alles sichtbar zu machen, sich selbst aber unsichtbar. Ein gesichtsloser Blick, der den Gesellschaftskorper zu seinem Wahrnehmungsfeld macht: Tausende von Augen, die uberallpostiert sind; [...]. Und diese unaufhorliche Beobachtung mufi in einer Reihe von Berichten und Registern angehauft werden; [...] Im Unterschied zur Gerichts- oder Verwaltungsschreiberei werden hier Verhaltensweisen, Einstellungen, Anlagen, Verdachtigkeiten von Individuen ununterbrochen registriert.“ (Foucault, 275).

B.3 Ein aufierordentlicher Umstand fuhrt zur Formierung der Disziplinargesellschaft

Nach Foucault ist die Errichtung der Disziplinargesellschaft, nach dem Motto ,aufiergewohnliche Umstande erfordern aufiergewohnliche Mafinahmen’, besonders dann wahrscheinlich, wenn ein solcher Umstand die Gesellschaft aus ihrem Gleichgewicht bringt und sie in ihrer Ganze gefahrdet. Einen solchen aufierordentlichen Umstand findet Foucault in der Pestkrankheit, welche sich im 16. Jhd. in Europa ausbreitete. Begann sich die Pest in einer Stadt auszubreiten, reagierte die Stadt mit einem System der Vereinzelung und der luckenlosen Uberwachung der Burger. „Gegen die Pest [...] bringt die Disziplin ihre Macht, die Analyse ist, zur Geltung.“ (Foucault, 254). Aus der Gefahrenlage, hervorgerufen durch die Pest, entwickelte sich bei den Inhabern der Disziplinierungsfunktionen der Wunsch, ihre Macht der Uberwachung bis in das kleinste Detail der Leben der von ihnen zu uberwachenden Burger auszuweiten und untereinander ihr Wissen uber die Burger zu vernetzen, um so eine weitere Steigerung der Macht zu erlangen. Uber dieses Beispiel kommt Foucault zu einer generalisierten Utopie einer „vollkommen regierten Stadt/Gesellschaft.“ (Foucault, 255). Diese grundet auf der Erfassung aller Individuen der Gesellschaft, sowie deren individuell differenzierten Katalogisierung durch eine bis in alle Lebensbereich verzweigte und untereinander vernetzte Uberwachungsmacht (vgl. Foucault, 255).

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die neue Aktualität des Foucault'schen Panopticons und ein Versuch der Anwendung auf die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2010
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Politik und Soziologie)
Veranstaltung
Gesellschaft und Kommunikation - Mediensoziologie
Note
1,0
Jahr
2010
Seiten
17
Katalognummer
V149512
ISBN (eBook)
9783640600519
ISBN (Buch)
9783640600373
Dateigröße
471 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aktualität, Foucault, Panopticons, Versuch, Anwendung, Bundesrepublik, Deutschland, Jahre
Arbeit zitieren
Anonym, 2010, Die neue Aktualität des Foucault'schen Panopticons und ein Versuch der Anwendung auf die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2010, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149512

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