Liebe als Passion:

Über die von Niklas Luhmann beschriebene 'Codierung von Intimität' als passionierter Liebe und die 'amour passion' in Gottfrieds von Straßburg 'Tristan und Isolde' als Vorläufer und Störfall an König Markes Hof


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Hinführung zum Thema

Teil eins: Zur Codierung von Intimität: Liebe als soziokulturelle „Erfindung“ und als symbolischer Code
1.1 Das Kommunikationsmedium Liebe und Liebe als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium
1.2 Passion und Liebe als Passion (amour passion)

Teil zwei: Die amour passion in Gottfrieds von Straßburg Tristan [und Isolde] als Störfall an König Markes Hof
2.1 Die Idee der höfischen Liebe (amour courtois) als Utopie
2.2 Gottfrieds Liebeskonzept der edelen herzen als Gegenprogramm zur höfischen Liebe
2.3 Die Minnegrotte als allegorischer Ort von Gottfrieds utopischer Liebe
2.4 Gottfrieds Tristan als Ehebruchs-Roman: sind passionierte Liebe und Ehe (maritalis affecto) unvereinbar?

Schlussfolgerungen und Ausblick

Literaturangaben

Hinführung zum Thema

Während wir auch heute zum Großteil noch immer davon ausgehen (und dies schon aus den Konsum stimulierenden Gründen), dass das Phänomen Liebe etwas „Selbstverständliches“ und also Naturgegebenes sei, soll in dieser Arbeit u.a. auf Grundlage der von Niklas Luhmann entwickelten Systemtheorie Liebe als ein kulturell c odiertes Phänomen bzw. Medium behandelt werden. Denn wenngleich es allen Menschen zu allen Zeiten gemein ist, Empfindungen wie Erregung, Verstörung und Verlangen (und laut Luhmann auch plaisir) zu verspüren, so ist doch die jeweilige Interpretation dieser Gefühle eine ganz andere Sache. So ist die Erfahrung, die wir Liebe nennen, als eine in Worte gekleidete und sich durch die Jahrhunderte verändernde Erfindung zu begreifen, die dann wiederum auf die Erfahrung dieser Gefühlszustände abfärbt. In diesem Sinne wird hier das Medium Liebe nicht als ein Gefühl, sondern als ein Kommunikationscode begriffen.[1]

Dies führt zu dem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgeführten Projekt der Systemtheorie[2] des deutschen Soziologen und Systemtheoretikers Niklas Luhmann, der sich insbesondere in den Texten Liebe. Eine Übung (1969) und Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität (1982) mit der Semantik von Liebe auseinandergesetzt hat. Dabei behandelt er Liebe nicht (oder nur abglanzweise) als Gefühl, sondern als einen „symbolische[n] Code, der darüber informiert, wie man in Fällen, wo dies eher unwahrscheinlich ist, dennoch erfolgreich kommunizieren kann.“[3] Sein (laut selbigen bisher von der soziologischen Forschung nur unzulänglich erreichtes) Ziel ist es, theoretische Aussagen über das Phänomen Liebe und insbesondere über Liebe als Passion zu fällen (der Suhrkamp-Verlag wirbt mit dem Luhmann-Zitat Der Weg zum Konkreten erfordert den Umweg über die Abstraktion). Dazu werden von ihm zwei verschiedene Theoriezusammenhänge miteinander kombiniert: Zum einen stehen die beiden Schriften im Kontext wissenssoziologischer Arbeiten, die sich mit der Überleitung von traditionellen in moderne Gesellschaftsformen beschäftigen und die von der These ausgehen, dass der Umbau des Gesellschaftssystems von stratifikatorischer in funktionale Systemdifferenzierung tiefgreifende Veränderungen des Ideenguts der Semantik (etwa auch der von Liebe) erzeugt, so dass sich der Schwerpunkt verlagert, von dem aus Sinnkomplexe (soziale) Operationen steuern und so Ideengut tiefgreifende Veränderungen in den Sozialstrukturen vorbereitet, begleitet und hinreichend schnell plausibilisiert.[4] Der andere Kontext wird mit Ansätzen zu einer allgemeinen Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien gewonnen. Durch dieses Ineinanderfügen von Systemtheorie und Kommunikationstheorie glaubt Luhmann über die bisherige, das Medium Liebe nur ungenügend abstrahierende, Forschung hinauszukommen.[5]

So soll im ersten Teil gezeigt werden, dass Liebe im Sinne Luhmanns als ein Kommunikationscode zu behandeln ist „nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit all dem auf die Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikation realisiert wird.“[6] Es wird weiter zu zeigen sein, dass es sich bei solchen Kommunikationsmedien um semantische Einrichtungen handelt, die es ermöglichen, an sich unwahrscheinlichen Kommunikationen trotzdem Erfolg zu verschaffen, wobei „Erfolg verschaffen“ hier meint, die Annahmebereitschaft für Kommunikationen so zu erhöhen, dass Kommunikation gewagt werden kann und nicht von vornherein als hoffnungslos unterlassen wird.[7] Dazu führt Luhmann, für den Liebe nicht „nur eine Anomalie ist, sondern eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit“[8], den Begriff des symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums auch für Liebe ein, das der Steigerung der Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen dienen soll.

Im zweiten Teil wird dann ein Augenmerk auf den diesbezüglich hochgradig signifikanten Tristan -Text des Gottfried von Straßburg geworfen werden, gilt doch dieser berühmte, auch für unser heutiges (wenngleich zunehmend problematisch gewordenes) Liebesverständnis noch immer vorbildhafte mittelalterliche „Liebesroman“ als ein Vorläufer passionierter Liebe, der Europas Verständnis von Paarliebe über Jahrhunderte geprägt hat. Denn wenn es sich bei dem von Gottfried um 1200 bearbeiteten Tristan-Stoff – den der Literatur- und Medienwissenschaftler Friedrich Kittler als paradigmatischen Text dafür bezeichnet, „wie es möglich war auch unter christlichem Vorzeichen die Minne als Wiederkehr der griechischen Aphrodite zu erfinden“[9] – um einen literarischen Text handelt, in dem Gottfried sein ideales, nicht zwingend die damalige soziale Wirklichkeit widerspiegelndes Liebeskonzept der edlen herzen handelt, so lässt sich doch des weiteren mit Luhmanns Behauptung feststellen, dass die „literarische, idealisierende und mythisierende Darstellung der Liebe ihre Themen und Leitgedanken nicht zufällig wählt, sondern damit auf ihre jeweilige Gesellschaft reagiert“ und dass sie somit „angebbare Probleme löst, nämlich funktionale Notwendigkeiten des Gesellschaftssystems in Form bringt“ und so einen Zugang eröffnet „für das Verständnis des Verhältnisses von Kommunikationsmedium und Gesellschaftsstruktur.“[10]

Abschließend sei dann auf durch diese Codierungen und Umcodierungen der Liebes-Semantik als Passion auftretende Folgeprobleme hingewiesen und ausblickend die Frage nach vorhandenen alternativen Liebes-Modellen gestellt in einer sozialen Wirklichkeit, in der leidenschaftliche Liebe und auf Liebe basierende Ehe ganz offensichtlich zunehmend fragwürdig werden und als Konsequenz in Auf- und Ablösung zu befinden scheinen. Damit soll mit dieser Arbeit auch ein kleiner Beitrag zu den „Aufräumarbeiten“ des immer noch oder gerade wieder erzählten Märchens geleistet werden, wonach uns im aufgeheizten Betriebsklima der „Konsumgesellschaft“[11] Liebe (noch immer) als eine natürliche bzw. naturgegebene Selbstverständlichkeit verkauft wird – sehr zum Wohle für die Freizeit- und Unterhaltungsindustrie.

Teil eins: Zur Codierung von Intimität: Liebe als soziokulturelle „Erfindung“ und als symbolischer Code

„Nichts ist dasselbe geblieben. Das eine Wort Liebe, das wir so zeitlos hören, kann den Gegensatz nicht überbrücken und nicht verdecken. Es sind andere Körper mit anderen Gebärden, anderen Organen und anderen Abenteuern, die zu verschiedenen Zeiten zueinander kommen.“[12]

In diesem Zitat des Literatur- und Medienwissenschaftlers Friedrich Kittler kommt zum Ausdruck, dass es Liebe „an sich“ nicht gibt und nicht geben kann. Vielmehr muss sie als ein Produkt von (An-)Ordnungsprozessen und also als ein gesellschaftliches Konzept gedacht werden, das Wandlungen unterworfen ist,[13] d. h. Fühlen und Handeln in Intimbeziehungen sind an kulturellen Imperativen orientiert, wobei die semantischen Codes, die diesen Einfluss steuern, ihrerseits einem historischen Wandel unterliegen. So warnt denn auch der Systemtheoretiker Niklas Luhmann davor, Liebe als eine Art Naturphänomen oder als ewig geltende moralische Idee zu behandeln, denn „die Beanspruchung ihrer Funktion und ihre Ausdrucksmöglichkeiten, die Formen ihrer gesellschaftlichen Integration und deren Folgeprobleme wandeln sich im Laufe der Entwicklung.“

Während noch in den 1930er Jahren der Schweizer Autor Denis de Rougemont in seiner umfassenden Studie Die Liebe und das Abendland (1938) die Liebe in der Tradition des Abendlandes untersucht und diese dabei nicht als eine soziologisch-kulturelle „Konstruktion“ behandelt, sondern die Mythen, Texte und Legenden des Abendlandes so ernst nahm, als handle es sich dabei um zeitlose Aussagen über den Menschen[14], versucht dreißig Jahre später Michel Foucault Anfang der 1970er Jahre in seiner Histoire de la sexualité[15] herauszufinden, wie die Gesellschaft unsere Vorstellungen von Sexualität und unser Selbstverständnis von Lust und Erotik bestimmt. Dabei erteilt er dem Glauben an eine „natürliche“ Sexualität eine Absage und sucht stattdessen nach den Spielregeln oder „Wahrheitsspielen“ der Gesellschaft in der Annahme, dass die Menschen ihre Vorstellungen von außen übernehmen, die ihnen diese als „Sinnangebote“ vorgibt, aus denen man mehr oder weniger stark auswählen könne.[16] So lasse sich beispielsweise aufzeigen, anhand welcher Wahrheitsspiele sich das Menschenwesen als Begehrensmensch erkannt und anerkannt hat[17], oder bezüglich der Liebe die Frage stellen: „Anhand welcher Wahrheitsspiele nimmt sich der Mensch als ein liebender und geliebter Mensch wahr?“ So lassen sich mit Foucault jenseits moralischer Verurteilungen die menschliche Liebe bzw. Sexualität unter dem Einfluss von Herrschaftsstrukturen und Macht erforschen.

So wie bei Foucault erweist sich auch Luhmanns ebenfalls in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden Systemtheorie mit ihren verschiedenen funktional ausdifferenzierten Gesellschaftssystemen als überaus skeptisch gegenüber den herkömmlichen Formen, in denen bisher Geschichte und Gesellschaften beschrieben worden sind. So störte sich Luhmann etwa an der Idee, dass andauernd von der Gesellschaft gesprochen worden sei und nicht von ihren Teilgesellschaften, aus denen sich diese zusammensetze, und entwickelte daraufhin seine Soziologie der unabhängigen gesellschaftlichen Teilsysteme. So beschreibt Luhmann auch die Liebe als Funktionsgröße im gesellschaftlichen System: Er nennt es das System „Intimität“. Damit werden in Luhmanns Systemtheorie auch Liebes-Gefühle verarbeitet, ohne dass diese allerdings explizit untersucht und zur Sprache kommen würden. Demnach können wir ungeachtet der Tatsache, dass heute wieder vermehrt – etwa von der evolutionären Psychologie – die Behauptung aufgestellt wird, dass „Menschen aller Kulturen Gedanken, Gefühle und Taten der Liebe erfahren“[18], getrost davon ausgehen, dass die Erfindung der Liebe die Erfahrung derselben bestimmt und nicht umgekehrt, so dass beispielsweise der Erfindung eines neuen christlichen Menschenbildes eine neue Form der Erfahrung der Menschen entsprungen ist, wobei die Erfahrung dann wiederum Auswirkungen auf die darauf folgenden Neu-Codierungen von Liebe haben kann.

Als Konsequenz daraus wird in dieser Arbeit Liebe nicht „in der konkreten Einzigartigkeit des Phänomens auf sich selbst isoliert, sondern als Problemlösung behandelt, die von Systemstrukturen abhängt und anderen Problemlösungen vergleichbar ist.“[19] Zudem wird Liebe hier als symbolischer Code behandelt, der darüber informiert, wie man in Fällen, wo dies eher unwahrscheinlich ist, dennoch erfolgreich kommunizieren kann.[20] Dieser Code, den Luhmann mit Ansätzen zu einer allgemeinen Theorie symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien gewinnt, ermutigt die Menschen, entsprechende Gefühle überhaupt zu bilden, da die meisten ohne diese Orientierung wohl gar nicht erst zu solchen Gefühlen finden würden, die dann Liebe genannt werden. Der Code soll demnach der Steigerung der Wahrscheinlichkeit des Unwahrscheinlichen dienen, wie im nun Folgenden explizit aufgezeigt wird.

[...]


[1] Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, S. 23

[2] In einfachen Worten lässt sich dieses Luhmann`sche Programm wie folgt auf den Punkt bringen und zugleich in die Nähe des französischen Großprojektes von Michel Foucault rücken:Alles was ist – die Macht, die Liebe etc. – ist mehr oder weniger zufällig, die Dinge geschehen wie sie geschehen; wir können dann (etwa mit Foucault oder Luhmann) aufzeigen – und das ist das eigentlich interessante an der ganzen Geschichte – wie sie geschehen bzw. dazu „gemacht“ werden, was sie dann für uns in unserer jeweiligen Zeit sind

[3] ebd.

[4] vgl. Luhmann: Liebe als Passion, S. 9

[5] vgl. ebd., S. 27

[6] ebd., S. 23

[7] ebd., S. 21

[8] ebd., S. 10

[9] Zitat von Friedrich Kittler aus dem Vortrag: „Liebe: Minne“, gehalten am 30.04.2004 im Literaturhaus Stuttgart anlässlich einer von Kittler konzipierten dreiteiligen Vortrags-Reihe zum Thema Liebe (die beiden anderen Vorträge lauteten: „Liebe griechisch: Dionysos und Ariadne“ (03.06.2003) und „Liebe: romantisch“ (31.05.2006)

[10] Luhmann: Liebe. Eine Übung, S. 27f

[11] vgl. Peter Sloterdijk: Unruhe im Kristallpalast, S. 118

[12] Friedrich A. Kittler: Autorschaft und Liebe, S. 145

[13] vgl. Richard David Precht. Liebe. Ein unordentliches Gefühl, S. 263

[14] Des weiteren wird das Mittelalter von Rougemont so dargestellt, als hätte es sich durchgängig und ausschließlich mit dem einen Konflikt beschäftigt: jenem zwischen Leidenschaft und Ehe; vgl. Precht: Liebe. Ein unordentliches Gefühl, S. 264

[15] Der deutsche Titel lautet: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I

[16] vgl. ebd., S. 262

[17] Zur Klärung einer solchen Frage begibt Foucault sich u.a. zurück zu den Ursprüngen der christlichen Weltanschauung und beschreibt – entgegen der geläufigen Historiker-Meinung – das Christentum nicht einfach als eine autoritäre Macht, die die Sexualität der Menschen durch Gesetz und Verbot einschränkt, sondern begreift die Sexualmoral des frühen Christentums vielmehr als eine neue Form von „Selbstbildung“ und als eine Anleitung zu neuen „Lebenstechniken“; vgl. Precht: Liebe, S. 261

[18] David Buss: Evolutionäre Psychologie, S. 175

[19] Luhmann: Liebe. Eine Übung, S. 10

[20] Niklas Luhmann: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität, S. 9

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Liebe als Passion:
Untertitel
Über die von Niklas Luhmann beschriebene 'Codierung von Intimität' als passionierter Liebe und die 'amour passion' in Gottfrieds von Straßburg 'Tristan und Isolde' als Vorläufer und Störfall an König Markes Hof
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Kultur- und Kunstwissenschaften)
Veranstaltung
Zur Kulturgeschichte der Liebe
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
26
Katalognummer
V149470
ISBN (eBook)
9783640599790
ISBN (Buch)
9783640600052
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Liebe, Passion, Gottfried, Straßburg, Luhmann, Systemtheorie, Tristan, Isolde, Liebesroman, Kittler, Aphrodite, Sloterdijk, Kristallpalast, Medien, Medium, Medienwissenschaftler, Kommunikationscode
Arbeit zitieren
Christian Finger (Autor:in), 2009, Liebe als Passion:, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149470

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