Sozioemotionale Entwicklung im Schatten der elterlichen Beziehungsqualität


Magisterarbeit, 2009

162 Seiten, Note: 1,15


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

1. Einleitung

2. Emotionen in der Forschung
2.1 Strukturelle Ebene
2.2 Emotionen, Gefuhle und Stimmungen
2.3 Funktionelle Ebene
2.3.1 Motivationale Funktion
2.3.2 Kognitive Funktion
2.4 Zusammenfassung

3. Konzepte emotionaler und sozialer Kompetenz
3.1 Konzept der emotionalen Intelligenz nach Salovey und Mayer
3.2 Fertigkeiten emotionaler Kompetenz nach Saarni
3.3 Konzept der sozialen Kompetenz nach Rose-Krasnor
3.4 Konzept der Affektiven Sozialen Kompetenz von Halberstadt et al
3.5 Modellvergleich
3.6 Zusammenfassung

4. Die emotionale Entwicklung in den ersten 12 Lebensjahren
4.1 Die Entwicklung des Emotionsverstandnis
4.1.1 Emotionswortschatz und verbaler Emotionsausdruck
4.1.2 Bewusstheit Uber den eigenen emotionalen Zustand
4.1.3 Erkennen und empathisches Verstehen von Emotionen anderer Menschen
4.2 Die Entwicklung der Emotionsregulation
4.2.1 Internale und externale Emotionsregulation
4.2.2 Coping
4.3 Die emotionale Entwicklung im Schatten der elterlichen Paarbeziehung
4.3.1 Elterliche Paarkonflikte als Stressoren (.Emotional Security Hypothesis')
4.3.2 Elterliche Paarkonflikte als Interaktionsmodell (Modelllernen)
4.3.3 .Emotional Security' versus Modelllernen
4.3.4 Elterliche Paarkonflikte und die Geschwisterkonstellation
4.4 Zusammenfassung

5. Fragestellung und Methode
5.1 Hypothesen
5.2 Untersuchungskontext und Stichprobe
5.2.1 Untersuchungskontext Familienteam®
5.2.2 Beschreibung der Stichprobe
5.3 Variablen und Erhebungsinstrumente
5.3.1 Beziehungsqualitat (unabhangige Variable)
5.3.2 Elterliche Emotionsregulation
5.3.3 Kindliche emotionale Kompetenz (abhangige Variable)
5.3.4 Verhalten des Kindes (abhangige Variable)
5.3.5 Moderatorvariablen
5.4 Statistische Datenauswertung
5.4.1 Datenauswertung der Haupteffekthypothese (H1)
5.4.2 Datenauswertung der Alternativhypothesen (H2)

6. Ergebnisse
6.1 Haupteffekthypothese (HI)
6.1.1 Kindliche soziale Kompetenz und elterliche Beziehungsqualitat (HI .1)
6.1.2 Kindliches Emotionsverstandnis und elterliche Beziehungsqualitat (HI.2)
6.1.3 Kindliche Emotionsregulation und elterliche Beziehungsqualitat (HI.3)
6.2. Alternativhypothesen (H2.I und H2.2)
6.2.1 Moderatorhypothese
6.2.2 Zusatzhypothesen

7. Diskussion
7.1 Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse
7.2 Methodische Diskussion
7.3 Anregungen fur weitere Forschung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang

Abstract

Das ubergeordnete Thema dieser Arbeit ist der Zusammenhang zwischen der elterlichen Beziehungsqualitat und der kindlichen sozioemotionalen Kompetenz sowie die Frage, welcher Mechanismus diesen Zusammenhang bedingt. Die ,Emotional Security Hypothesis' und die sozial-kognitive Theorie des Modelllernens gelangen dabei in den Blickpunkt des Interesses, da sie im Gegensatz zu anderen Theorien die direkten Auswirkungen auf das Kind thematisieren. Die Daten fur die Analyse stammen aus einer Langsschnittstudie zur Evaluation der Wirksamkeit des Elterntrainings Familienteam" und umfassen 85 Kinder im Alter zwischen 2 und 12 Jahren, sowie deren Mutter und Vater. In einem Emotionsinterview wurde die emotionale Kompetenz der Kinder erhoben und die Eltern gaben in einem Fragebogen unter anderem Auskunft liber die kindliche soziale Kompetenz sowie die elterliche Beziehungsqualitat. Mithilfe von moderierten linearen Regressionsanalysen konnte zunachst gezeigt werden, dass der Zusammenhang zwischen Beziehungsqualitat und sozioemotionaler Kompetenz tendenziell durch Stresseffekte im Sinne der .Emotional Security Hypothesis' zu erklaren ist. Zusatzliche korrelative Analysen konnten diesen Befund jedoch nicht bekraftigen. Es wird das Fazit gezogen. dass kein einzelner Mechanismus den Zusammenhang vollkommen erklaren kann, sondern dass beide Theorien jeweils unterschiedliche Aspekte des Zusammenhangs beleuchten.

1. Einleitung

Freude und Wut, Uberraschung und Angst, Stolz und Enttauschung: Emotionen beeinflussen das (menschliche) Denken und Handeln und sind ein wesentlicher Bestandteil des Lebens. Sie machen es abwechslungsreich. intensiv, lebendig und bisweilen auch kompliziert und beschwerlich. Jungere Kinder haben dabei ihre eigene Art Emotionen unvermittelt und lebhaft auszudriicken. Wer jemals intensiver mit ihnen zu tun hatte. kennt die Begeisterling, mit der sie ihre positiven Emotionen zeigen. Er weiB aber auch, wie anstrengend das spontane und impulsive Ausleben ihrer negativen Emotionen sein kann. Schulkinder und Erwachsene konnen ebenfalls in auBergewohnlichen Situationen besonders starke GefUhle erleben. Sie sind manchmal hingerissen vor Freude, werden von rasender Wut gepackt oder geraten in panische Angst. In der Regel leben sie ihre Emotionen aber nicht mehr so haufig und intensiv aus, wie jungere Kinder es tun. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Emotionen im Alltag nur noch eine unbedeutende Rolle spielen und Menschen ausschlieBlich vom Verstand regiert werden.

In der Vergangenheit wurde die Bedeutung von Emotionen in Folge der Dominanzannahme des Intellekts zurtickgewiesen; moderne Verfahren der Hirnforschung entlarvten dies jedoch als Irrtum und belegen, dass es so etwas wie reine, emotionslose Kognitionen nicht gibt und dass selbst banale Ereignisse vielfaltige Emotionen auslosen konnen (Forgas, 2008). Was sich jedoch im Laufe der Entwicklung andert, ist der Umgang mit Emotionen. Mit zunehmendem Alter sind Menschen in der Lage, sich nicht mehr ausschlieBlich von ihren Gefuhlen leiten zu lassen, sondern das eigene Handeln willentlich zu kontrollieren und auf die Erreichung bestimmter Ziele auszurichten.

Die Fahigkeit zur Emotionsregulation ist dabei aber nur ein Aspekt im Konzept der emotionalen Kompetenz. Der in den letzten Jahrzehnten zu verzeichnende Durchbruch der Emotionen in der Psychologie und in popularwissenschaftlichen Veroffentlichungen hat unumganglich zu der Frage gefuhrt. welche emotionalen Fahigkeiten gebraucht werden. um mit einer sich verandernden Umwelt in einer solchen Weise umzugehen, dass Menschen widerstandsfahig, effektiv und zuversichtlich aus ihr hervorgehen, und zwar nicht auf Kosten anderer. Wird diese Zustandigkeit anerkannt, spricht man der emotionalen Kompetenz eine zentrale Bedeutung fur die Alltags- und Lebensbewaltigung zu. Zu lernen. mit den eigenen und fremden Emotionen umzugehen, sich ihrer bewusst zu werden und ihnen mimisch und sprachlich Ausdruck zu verleihen, wird somit zu einer bedeutenden Entwicklungsaufgabe der Kindheit, zur Grundlage fur Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualitiit sowie Bedingung fur das Zusammenleben in der Gruppe. Ein Mangel an emotionaler Kompetenz kann dagegen im Extremfall zu massiven Kommunikationsproblemen, sozialer Ausgrenzung unci gewalttatigen Auseinandersetzungen fiihren (Goleman, 1995).

Entsprechend sind Entwicklung unci Forderung emotionaler Fertigkeiten auch Thema in der Paclagogik. Geleitet von der Frage, welche Grundlage in der Kinclheit zur Bewaltigung der Zukunft angelegt werden muss, steht die Familie haufig im Blickpunkt der kindlichen emotionalen Entwicklung, da sie eine bedeutende Sozialisationsinstanz darstellt, die auch im emotionalen Bereich wichtige Bildungs- und Erziehungsaufgaben ubernimmt. Zahlreiche innerfamiliare Mechanismen und Gegebenheiten konnten in diesem Zusammenhang bereits identifiziert unci in Studien hinsichtlich ihres Einflusses auf die kindliche emotionale Kompetenz bestatigt werden. Dies sind unter anderem der Erziehungsstil (vgl. Baumrind, 1971; Blomeyer, Schmidt & Laucht, 2008; Cohn, Cow an, Cowan & Pearson, 1992; Cow'an & Cowan, 1994; Hardy, Power & Jaedicke, 1993), die Eltern-Kind-Beziehung (vgl. Bell & Ainsworth, 1972; Belsky, 1991), Misshandlung oder Vernachlassigung (vgl. Poliak, Cicchetti, Hornung & Reed. 2000; Wolfe, 2007) sowie die Qualitiit der elterlichen Paarbeziehung (vgl. Cox, Paley, Payne & Burchinal, 1999; Cummings & Keller, 2006; Weindrich, Laucht, Esser & Schmidt, 1992). Naturlich gibt es neben familiaren auch andere Einfliisse auf die Entwicklung kindlicher emotionaler Kompetenz. Dies ist im Hinblick darauf, dass Kinder auch in andere soziale Beziehungen eingebettet sind (z.B. Peergruppe, Schule) nicht weiter verwunderlich. Wir konnen jedoch annehmen, class der Familie aufgrund ihres im Leben des Kindes friih einsetzenden, umfassenden und bestandigen Einflusses besonclere Bedeutung zukommt. die auch auf andere soziale Beziehungskontexte ausstrahlt.

Ziel der vorliegenden Evaluationsstudie ist es, die Einfliisse der elterlichen Paarbeziehung auf die Entwicklung der kindlichen sozioemotionalen Kompetenz zu untersuchen. Dabei soli insbesondere auf die Mechanismen, die diesen Einfliissen zugrunde liegen, eingegangen warden. Um dieses Vorhaben zu bewerkstelligen, geht Kapitel 2 zunachst auf wichtige Aspekte von Emotionen im Allgemeinen ein, darunter die Problematik einer allgemeingtiltigen Emotionsdefinition und funktionelle Gesichtspunkte. Im Anschluss wird das Konstrukt .emotionale Kompetenz6 inhaltlich konkretisiert und unterschiedliche Konzepte sozioemotionaler Kompetenz, die wichtige emotionale Schllisselaspekte enthalten, vorgestellt (Kapitel 3). In Kapitel 4 werden relevante Erkenntnisse aus der Emotions- und Entw'icklungspsychologie sowie der Piidagogik zusammengetragen. Dadurch soil ein umfassendes Bild von der Entwicklung emotionaler Kompetenz in den ersten zwolf Lebensjahren entstehen. Es geht vor allem darum, bedeutsame Etappen in der emotionalen

Entwicklung des Kindes aufzuzeigen. Die Betrachtung der Kindheit in dieser Arbeit beruht auf der Annahme, dass in diesem Altersbereich entscheidende (emotionale) Erfahrungen gesammelt und wichtige Weichen fur den Umgang mit Emotionen gestellt werden. Der zweite Teil des 4. Kapitels beschaftigt sich abschlieBend mit der Entwicklung der emotionalen Kompetenz im Schatten der elterlichen Paarbeziehung, wobei sowohl forderliche als auch hemmende Einflussfaktoren aufgezeigt werden. Es werden zwei Mechanismen vorgestellt. von denen jeweils angenommen wird, dass sie fur den Zusammenhang zwischen der elterlichen Beziehungsqualitat und der kindlichen emotionalen Kompetenz verantwortlich sind. Relevante Studien werden herangezogen um die Bedeutung dieser beiden Mechanismen zu untermauern. Auf diese theoretische Grundlage folgen im empirischen Teil der Arbeit die Vorstellung der drei Haupthypothesen und die Beschreibung der Methodik. Diese enthalt Informationen liber die Datenerhebung, die Stichprobe, die Datenauswertung sowie die dafur verwendeten Skalen und Variablen (Kapitel 5). Darauf folgt eine differenzierte Darstellung der Untersuchungsergebnisse (Kapitel 6), welche abschlieBend in Kapitel 7 interpretiert und diskutiert werden.

2. Emotionen in der Forschung

Everyone knows what an emotion is. until asked to give a definition. Then, it seems, no one knows" (Feher & Russell, 1984. S. 361). Diese Aussage hat auch noch 25 Jahre spater Aktualitat und lasst bereits vermuten. dass es nicht einfach sein wird eine adequate Emotionsdefmition zu finden, der jeder zustimmen wiirde. Um dennoch einen Uberblick liber dieses psychologische Kernkonzept zu erhalten, wird im Folgenden der Unterschied zwischen Emotion. Gefuhl und Stimmung erlautert und auf die strukturellen sow'ie funktionellen Aspekte von Emotionen eingegangen.

2.1 Strukturelle Ebene

In der Literatur lassen sich zahlreiche Emotionsdefinitionen finden, die jedoch meist nur einen Einzelaspekt des Phanomens ,Emotion' in den Vordergrund stellen. etwa den Erlebensaspekt, den Verhaltensaspekt, kognitive Bewertungsprozesse oder physiologische Vorgiinge. Durch jene Einzelkomponenten des Emotionsprozesses sind die zugrunde liegenden Emotionstheorien haufig auf ahnliche Weise bestimmt (Reisenzein, Meyer & Schiitzw'ohl, 2001). Eine exakte und umfassende Definition des Begriffs .Emotion* gibt es bisher nicht. Grund daflir ist sicherlich auch die Tatsache, dass es sich bei Emotionen um innere, subjektive Zustande handelt, die sich der direkten Beobachtung, und damit einer Hypothesenpriifung entziehen. Beobachtbar sind lediglich verschiedene Phanomene, von denen angenommen wird. dass sie ein mehr oder weniger direkter Ausdruck von Emotionen sind (Goller, 1992; Otto, Euler & Mandl, 2000).

Reisenzein. Meyer, und Schtitzwohl (2001) sind der Meinung, dass eine „exakte Definition von Emotionen (...) nicht die Voraussetzung, sondern vielmehr ein Resultat der wissenschaftlichen Analyse** (S. 23) ist, weshalb sich zur groben Abgrenzung des Forschungsgebietes zunachst eine vorlaufige Arbeitsdefinition anbietet. Eine solche Arbeitsdefinition kann z.B. das Ergebnis einer Integration mehrerer konkurrierender Definitionen darstellen. Kleinginna und Kleinginna versuchten 1981 genau dies und stellten 92 Definitionen aus der englischsprachigen emotionspsychologischen Fachliteratur zusammen, die sie analysierten. anhand der inhaltlichen Schwerpunkte (siehe Tabelle 1) kategorisierten und schlieBlich zu folgender Arbeitsdefinition integrierten:

Emotion is a complex set of interactions among subjective and objective factors, mediated by neural/hormonal systems, which can (a) give rise to affective experiences such as feelings of arousal, pleasure/displeasure; (b) generate cognitive processes such as emotionally relevant perceptual effects, appraisals, labeling processes; (c) activate widespread physiological adjustments to the arousing conditions; and (d) lead to behavior that is often, but not always, expressive, goal directed, and adaptive. (S. 355)

Tabelle 1: Schwerpunkte der Arbeitsdefinition nach Kleinginna & Kleinginna (1981)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Arbeitsdefinition von Kleinginna und Kleinginna (1981) versucht umfassend genug zu sein, um die traditionell signifikanten Aspekte der 92 zugrunde liegenden Emotionsdefinitionen zu einem gemeinsamen Konstrukt zu biindeln. Daraus folgt zwangslaufig, dass sich unterschiedliche Emotionstheorien in der Definition widerspiegeln. Im Folgenden werden die vier zentralen Emotionskomponenten und die ihnen zugrunde liegenden Emotionstheorien beschrieben.

Emotionserleben

Das Emotionserleben umfasst die erlebten Befindlichkeiten und Gefuhlszustande, die im Alltagsgebrauch haufig als Emotionen bezeichnet werden (Goller, 1992). Wundt (1902) unterscheidet drei Hauptdimensionen von Gefuhlen, die seiner Meinung nach das emotionale Erleben beschreiben und einteilen, namlich Lust-Unlust, Erregung-Beruhigung und Spannung Losung. Rein erlebnisphanomenologisches Denken weist jegliche Funktionalitat von Emotionen zuruck und stellt die affektive Erfahrung als sich selbstgenugend in den Vordergrund (Lazarus, Averill & Opton, 1977).

Phvsiologische Eniotionskomponente

Neuro- und psychophysiologische Ansatze beschaftigen sich mit den korperlichen Reaktionen, die gemeinsam mit Emotionen auftreten. Theorien, die diese Sichtweise vertreten, betrachten Emotionen als Erlebenszustand, und zwar ein Erleben korperlicher Reaktionen, die auf die Wahrnehmung eines Stimulus folgen. Die korperlichen Veranderungen sind demnach keine Folge des Gefiihls, sondern dessen Ursache. Man fiihlt, nachdem der Korper reagiert (Reisenzein et al., 2001; Zimbardo & Gerrig, 2004). William James (1884) formulierte es vor liber 100 Jahren folgendermaBen:

My thesis (...) is that the bodily changes follow directly the perception of the exciting fact, and that our feeling of the same changes as they occur is the emotion. (...) we feel sorry because we cry, angry because we strike, afraid because we tremble, and not that we cry, strike, or tremble, because we are sorry, angry, or fearful. (S. 13)

Diese Sichtweise hat unter Forschern eine bis heute andauemcle Kontroverse hervorgerufen. Strittig ist dabei, ob physiologische Prozesse allein Emotionen hervorrufen konnen und situative Aspekte des eigentlichen Emotionsauslosers vernachlassigbar sind, oder ob zusatzlich Kognitionen liber die Situation notwendig sind (Ulich, 2003).

Kognitive Emotionskomponente

Kognitive Bewertungstheorien gehen davon aus, dass eine Emotion ein Erlebenszustand ist. der aus bestimmten kognitiven Bewertungen und Interpretationen resultiert und auf deren Basis bestimmte Handlungen erfolgen. Kognitionen werden als zentral fiirdie Vielfaltigkeit des emotionalen Erlebens gewertet, da sie eine qualitative Differenzierung zwischen den einzelnen Geftihlen zur Folge haben. Aus kognitionstheoretischer Sicht reicht das Erleben einer korpeiiichen Reaktion nicht aus, um von einer Emotion zu sprechen. Vielmehr geht eine Emotion aus der Integration von Erregungsempfindungen und bestimmten Kognitionen hervor. (Schachter & Singer, 1962; Zimbardo & Gerrig, 2004). Mil Bernard Weiners (1986) Worten ausgedriickt: „How we think influences how we feel“ (S. I 19). Unklar bleibt jedoch, ob es tatsachlich die kognitiven Prozesse sind, die Emotionen bestimmen oder ob Emotionen auch ohne vorherige kognitive Vorgange entstehen konnen, weil sie durch Sinnesreize ausgelost werden. Es gibt bisher keinen liberzeugenden Grund zu folgern. dass Handlungsimpulse eine notwendige Komponente von Emotionen sind. Ebenso ware es moglich, dass sie lediglich Begleiterscheinungen von Emotionen sind oder dass sie durch Gefuhle verursacht werden. Dafur spricht, dass es auch innere Zustande gibt, die mit keiner Handlungstendenz verbunden scheinen, z.B. Hoffnungslosigkeit oder Depression (eher die Abwesenheit von Handlungstendenzen) (Reisenzein. Meyer & Schiitzwohl, 2003). Emotionales Ausd rucksverhalten

Aus evolutionspsychologischer Sicht gibt es keinen Zweifel daran, dass Emotionen eine genetische Grundlage haben: sie sind im Sinne Darwins „adaptive reactions that are functional for survival^ (Plutchik, 1980. S. 335). Evolutionspsychologische Ansatze erforschen die universellen. angeborenen Mechanismen zwischen Emotionen und Ausdrucksverhalten bzw. Verhaltensreaktion. Sie gehen der Frage nach, warum diese Mechanismen in der Phylogenese entstanden sind, bzw. welche Funktion ihnen im Rahmen der Anpassung an die Umwelt zukommt (Euler, 2000). Evolutionstheoretiker befassen sich vor allem mit deni mimischen Ausdruck und gehen bezugnehmend auf Darwin davon aus, dass reflexartige Gesichtsausdrucke mit bestimmten Emotionen verbunden sind und

Ruckschliisse auf diese zulassen. Der mimische Ausdruck von Emotionen besitzt demnach eine Mitteilungsfunktion und entstand im Laufe der Evolution, um eine optimale Anpassung an die Umwelt zu ermoglichen (Meyer, Schtitzwohl & Reisenzein, 2001). Evolutionstheoretische Ansatze erklaren jedoch nicht, wie eine Emotion abhangig von einer spezifischen Person und Situation zustande kommt und welche Auswirkungen sie fur die Person und deren Umwelt hat.

2.2 Emotionen, Gefuhle und Stimmungen

Um auf dem Gebiet der Emotionsforschung tiitig zu werden, erscheint es sinnvoll die Begriffe ,Emotion4, .Gefuhl4 und ,Stimmung‘ voneinander abzugrenzen. Aufgrund der unscharfen Konturen dieser Begriffe erweist sich dies jedoch als schwieriger als ursprunglich angenommen. Im All tags gebrauch vermischen sich Emotionsbegriffe haufig mit Begriffen fUr Gefuhle (z.B. Angst haben) und Stimmungen (z.B. Hoffnungslosigkeit, Angstlichkeit), die im eigentlichen Sinn keine Emotionen darstellen. Wenn man sich auf die Arbeitsdefinition von Kleinginna und Kleinginna (1981) bezieht, so ist die Unterscheidung von Emotionen und Geftihlen durchaus legitim. Gefuhle sind danach lediglich die Erlebniskomponente von Emotionen (Tischer, 1993). Auch Stimmungen, als Ausdruck der menschlichen Gesamtbefindlichkeit, sind von Emotionen unterscheidbar: Wahrend erstere langer andauern, nicht unbedingt objektgebunden sind und Kognitionen beeinflussen, indem sie die Informationsverarbeitungsprozesse lenken, sind letztere eher voriibergehend, auf einen bestimmten Reiz oder ein Ereignis bezogen, erscheinen recht komplex bzw. differenziert zu sein und haben die Funktion auf Handlungen einzuwirken (Davidson, 1994; Schulze et al., 2006). Frijda (1994b) ist der Meinung, dass die Vermischung von Emotionsausdrucken mit Stimmungen und Geftihlen daher ruhrt, dass sie bestimmte Eigenschaften teilen. Sie beziehen sich alle auf Bewertungsstrukturen (objektgebunden und auf tatsachlichen Erfahrungen beruhend oder nicht objektgebunden und auf kognitiven Schemata beruhend) und ihnen konnen unterschiedliche Formen der Handlungsbereitschaft zugeordnet werden (tatsachliche Handlungsbereitschaft oder in Form von Neigungen und Zielen, die dieser Bereitschaft unterliegen). Dariiber hinaus entsteht diese Unscharfe aus den direkten Verbindungen der drei Begriffe: Emotionen konnen in Stimmungen iibergehen und umgekehrt; Gefuhle sind die Begleiterscheinungen von Emotionen und unterliegen definitionsgemaG ihrem Aufkommen (Frijda, 1994b).

Leider sorgt die inadequate Verwendung der einzelnen Begriffe, insbesondere des Gefuhlsbegriffs in Abgrenzung zum Emotionsbegriff, noch immer fur Verwirrung. Auch die Studien, die fur diese Arbeit herangezogen wurden, liefern kein einheitliches Bild; daher wird im Folgenden darauf verzichtet, die Begriffe .Emotion4, ,Gefuhl‘ und .Stimmung4 voneinander abzugrenzen. Sie werden austauschbar verwendet, um den inneren Zustand einer Person zu charakterisieren.

2.3 Funktionelle Ebene

In der Vergangenheit wurde die mittlerweile anerkannte funktionelle Sichtweise von Emotionen weitestgehend abgelehnt. Um es mit den Worten des bekannten Behavioristen Skinner (1948) zu fonnulieren, „emotions are useless and bad for our peace of mind and our blood pressure44 (S. 92). Die Meinung. dass Emotionen nicht nut nutzlos, sondern geradezu dysfunktional sind, ist in der Gegenwart der Auffassung gewichen, dass Emotionen nicht zufallig auftreten, sondern ein bestimmtes Ziel verfolgen. Sie sind darauf ausgerichtet, positive Effekte innerhalb eines relevanten Umfeldes zu bewirken. Die Frage nach der Funktion von Emotionen lasst sich jedoch letztendlich nur in Bezug auf die zugrunde liegende Emotionsdefinition beantworten. Wird die Arbeitsdefinition von Kleinginna und Kleinginna (1981) vorausgesetzt, so stehen Emotionen in direkter Verbindung mit dent (Sozial-) Verhalten, indent sie es in einer komplexen Wechselwirkung mit dent jeweiligen situativen Kontext sowie vielfaltigen kognitiven und motivationalen Vorgangen beeinflussen. Oatley und Jenkins fassen den Sachverhalt folgendermaBen zusammen:

Emotions or something like them are necessary to bridge across the unexpected and the unknown, to guide reason and to give priorities among multiple goals. ( ) What emotions really are. therefore, are the guiding structures of our lives - especially of our relations with others. (Oatley. Kellner & Jenkins. 2006, S. 123f.) Im Folgenden werden die einzelnen Funktionen von Emotionen genauer betrachtet.

2.3.1 Motivationale Funktion

Emotionen beeinflussen die Handlungsbereitschaft und erfullen somit eine motivationale Funktion. Sie lassen uns in Abhangigkeit von unserem Selbst bestimmte Vorgehensweisen favorisieren bzw. ablehnen, weil sie nutzlich bzw. nachteilig fur uns sind, was sie zum Antrieb unseres Handelns macht (Clore, 1994; Greenberg & Goldman. 2008; Saarni, 1999; Zimbardo & Gerrig, 2004). Tomkins (1984) sieht in Emotionen sogar den primaren menschlichen Motivationsmechanismus, ohne dessen helfende Amplifikationen alles andere keine Wirkung hat. Emotionen verleihen dem Gedachtnis. der Wahrnehmung, dem Denken und Handeln, ebenso wie den Trieben erst die notige Nachdriicklichkeit. Auch Greenberg und Goldman (2008) sind der Meinung: “Emotion and motivation are intrinsically linked.

and without emotions, there would be no motivations” (S. 42). Emotionen konnen ihre motivationale Funktion jedoch nur dann optimal ausnutzen, wenn sie sich auf einem moderaten Niveau bewegen. Sind sie zu stark, uberwaltigt die physiologische Erregung die sie begleitenden Kognitionen, was letztendlich das Handeln beeintrachtigt. Sind sie zu schwach und die physiologische Stimulation zu gering, tritt ebenfalls eine Beeintrachtigung des Handelns auf, weil die Fahigkeit, das eigene Verhalten zu organisieren abnimmt (Teigen. 1994: Yerkes & Dodson, 1908; Zimbardo & Gerrig, 2004).

2.3.2 Kognitive Funktion

Die zweite Funktion von Emotionen ist die Interaktion mit kognitiven Prozessen. Emotionen beeinflussen in diesem Zusammenhang, wie wir uns selbst und andere wahrnehmen. worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, und wie wir bestiinmte Lebenssituationen W'ahrnehmen. interpretieren und erinnern. Emotionen kommt kurz gesagt eine groBe Rolle w'ahrend der Informationsverarbeitung zu (Clark & Watson, 1994; Clore, 1994; Forgas, 2008; Scherer, 1994; Zimbardo & Gerrig, 2004). Wie bereits erwahnt, wurde den Emotionen in der Geschichte der Psychologie diese Rolle zunachst aberkannt. Fortschritte der letzten Jahrzehnte auf den Gebieten Kognition, Neuroanatomie und Psychophysiologie lieBen Forscher jedoch zu dem Schluss gelangen, dass Emotionen oft eine nutzliche und sogar unverzichtbare Rolle bei Wahrnehmungsprozessen und dem Verhalten spielen. Es gibt mittlerweile zahlreiche Studien, die belegen, dass Emotionen eine adaptive und grundlegende Erganzung zu Kognitionen darstellen (Damasio, 2006). Allen voran steht die Erkenntnis, dass es im Gehirn Nervenverbindungen und komplexe, vielfaltige sow'ie bidirektionale Beziehungen zw'ischen Kognition und Emotion gibt (Forgas, 2008).

2.3.3 Soziale Funktion

Die dritte Funktion, die Emotionen erfilllen, ist eine soziale und sie baut auf den motivationalen und kognitiven Aspekten auf. Emotionen regulieren unsere zwischenmenschlichen Wechselbeziehungen, indent sie uns in positiven Interaktionen als anziehender Pol an unsere Mitmenschen binden oder in negativen Konstellationen als abstoBender Pol von ihnen distanzieren. Mit anderen Woilen erfilllen sie auf der sozialen Ebene die Aufgabe der Initiierung, Aufrechterhaltung, Regulierung und Beendigung zwischenmenschlicher Wechselbeziehungen (Levenson, 1994). In Anlehnung an die Arbeiten von Lutz und White (1986) sowie Ekman (1992) beschreiben Keltner und Haidt (1999 ) einen funktionalen Ansatz, der auf den folgenden Postulate!! beruht:

- der Mensch muss seiner sozialen Natur folgen, um sein Uberleben liber die Beziehungen zu anderen Menschen zu sichem;
- Emotionen dienen dabei als ein Mittel zur Koordination sozialer Interaktion, indem sie diese regulieren, aufrechterhalten und benutzen;
- die Eigenschaft der dynamischen Prozesshaftigkeit von Emotionen ermoglicht eine Anpassung an sich kontinuierlich verandemde Umwelten.

Die soziale Funktion von Emotionen lasst sich dabei auf vier unterschiedlichen Analyseebenen beschreiben. Auf der individuellen Ebene kommen Emotionen vorwiegend die Aufgaben der Informationsverarbeitung und der Handlungsvorbereitung in Bezug auf Veranderungen der sozialen Umwelt zu. Auf der Qruppenebene helfen Emotionen Gruppenmitglieder zu identifizieren und tragen somit zu einer Definition der Gruppengrenzen bei. Auf der kulturellen Analyseebene tragen Emotionen dazu bei, eine kulturelle Identitat zu entwickeln (Lutz & White, 1986). Auf der dyadischen Analyseebene kommt die zwischenmenschliche Kommunikation ins Spiel, die sich auf emotionaler Ebene groBtenteils durch nonverbale Botschaften mithilfe von Mimik und Gestik abspielt. Ein weitaus kleinerer Teil wird auf direktem Weg durch die Sprache oder paraverbal durch die Stimme kommuniziert (Levenson, 1994; Zimbardo & Gerrig, 2004). Das emotionale Ausdrucksverhalten dient dazu, einen Interaktionspartner liber die eigenen Motive und Absichten zu informieren sowie den Empfanger zu bestimmten Handlungen anzuregen (Clore, 1994; Frijda, 1994a; Levenson, 1994). Emotionen erfullen also auf der dyadischen Ebene ihre soziale Funktion, indem sie das Ausdrucksverhalten als Kommunikationsmittel nutzen, das sie mithilfe der Emotionsregulation gezielt einsetzen konnen. Damit Emotionen als Kommunikationsmittel genutzt werden konnen, stellt das Emotionsverstandnis sicher, dass emotionale Signale beim Empfanger ankommen und von diesem interpretiert werden konnen. Forschungen ergaben, dass eine Lasion der Amygdala (von der behauptet wird, sie sei der neuron ale Trager der Emotionen) dazu fuhrte, dass die Betroffenen negatives emotionales Ausdrucksverhalten, vor allem Mimik und Sprachklang, nicht mehr oder nur eingeschrankt deuten konnten. Mit dem Verlust dieser Funktion verloren die Versuchspersonen die Fahigkeit, soziale Signale von Gesichtem und Stimmen zu empfangen, was als Voraussetzung gilt, um in der sozialen Welt umfassend zu funktionieren. Die Folge war, dass die betroffenen Personen in ihren sozialen Wechselbeziehungen versagten (Scott, Young, Calder, Hellawell & Aggleton, 1997).

Wie Emotionen letztendlich die Motivation, das Sozialverhalten und Kognitionen beeinflussen, ist stark vom jeweiligen Kontext und unserem Selbst, inklusive der angeeigneten Informationsverarbeitungsstrategien abhangig. Ware dies nicht der Fall, wiirden alle Menschen in der gleichen Situation auch gleich handeln. Die soziale Situation ist eine dynamische Erfahrung. die auf funktioneller Ebene danach variiert. wie eine Person (im Gegensatz zu einer anderen Person) in ihr agiert (Forgas. 2008; Saarni, 1999). Wenn Individuen in emotionsauslosenden Situationen selbstwirksames Verhalten zeigen. das heiBt, wenn sie sich dariiber bewusst sind, dass ihr eigenes emotionales Ausdrucksverhalten die Reaktionen anderer beeinflusst und sie gelernt haben, ihr Verhalten strategisch zu steuern. um gewtinschte Reaktionen hervorzurufen, spricht Saarni (1999) von emotionaler Kompetenz.

2.4 Zusammenfassung

Angesichts einer Vielzahl konkurrierender Emotionstheorien stellt der Versuch, eine allgemein anerkannte Definition fur den Emotionsbegriff zu bestimmen. eine groBe Herausforderung dar. Entsprechend war das Ziel der Begriffsklarung im Rahmen dieser Arbeit nicht die Bestimmung einer solchen Definition, sondern die Darlegung der Vielschichtigkeit und Komplexitat von Emotionen anhand der unterschiedlichen Emotionstheorien. Um dennoch ein gewisses MaB an Ordnung in die Emotionsforschung zu bringen, wurde die Arbeitsdefinition von Kleinginna und Kleinginna (1981) herangezogen, die die Schwerpunkte der unterschiedlichen Emotionstheorien als sich erganzende Komponenten des Emotionsbegriffs versteht. Aufgrund des Fehlens einer allgemein anerkannten Emotionsdefinition konnen jedoch im Alltag und in der Forschung Verstandnisprobleme auftauchen. In Untersuchungen manifestiert sich dies in einem jeweils unterschiedlichen Verstandnis von Emotionen. Ein Vergleich von und eine Bezugnahme auf unterschiedliche Untersuchungen, die Emotionen zum Gegenstand haben, gestaltet sich daher schwierig. Doch trotz der Verwirrung auf dem Feld der Emotionsdefinitionen sind sich Forscher zumindest dariiber einig, dass Emotionen im weitesten Sinn bestimmte Funktionen erfullen und eigene Ziele verfolgen. Emotionen (1) besitzen einen motivationalen Aspekt, indem sie uns Vorgehensweisen ablehnen oder favorisieren lassen, (2) interagieren mit kognitiven Prozessen und beeinflussen dariiber unsere Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, (3) koordinieren und regulieren unsere zwischenmenschlichen Beziehungen und besitzen daher eine soziale Funktion. Personen, die sich diese Funkionen nutzbar machen, um selbstwirksam handeln zu konnen, sind emotional kompetent.

3. Konzepte emotionaler und sozialer Kompetenz

Laut White (1959) “competence will refer to an organism's capacity to interact effectively with its environment” (S. 297). Dementsprechend enthalt emotionale Kompetenz die emotionsbezogenen Kapazitaten und Fahigkeiten, die ein Individuum benotigt. um mit seinem wandelnden Umfeld adaquat umzugehen. Saarni (1999) ftihit diesen Sachverhalt weiter aus, indem sie emotional kompetentes Verhalten folgendermaBen definiert: „When one is emotionally competent, one is demonstrating one's self-efficacy in emotion-eliciting transactions, which are invariably social in nature. Our emotional response is contextually anchored in social meaning64 (S. 2). Mit dieser Definition schlagt Saarni eine Briicke zwischen emotionaler und sozialer Kompetenz. Sie betont, dass emotionale Reaktionen tief im jeweiligen sozialen Kontext verankert sind. was wiederum bedeutet, dass kulturelle Botschaften einen Bezugsrahmen fur emotionale Vorgange und damit auch fur Beziehungen und die jeweilige Selbstdefinition bilden. Saarni (1999) geht weiter davon aus, dass emotionale und soziale Erfahrungen sich wechselseitig beeintlussen und untrennbar miteinander verbunden sind. In einer empirischen Untersuchung versuchten Denham et. al (2003) den vermuteten Zusammenhang von emotionaler und sozialer Kompetenz zu uberpilifen. Sie verglichen die emotionale Kompetenz von drei- und vierjahrigen Kindern mit ihrer aktuellen sozialen Kompetenz sowie mit ihrer sozialen Kompetenz mit fiinf bzw. sechs Jahren. In beiden Fallen konnte gezeigt werden, dass eine hohe emotionale Kompetenz eine hohe soziale Kompetenz begiinstigte. Denham et. al begrlinden dieses Ergebnis folgendermaBen: Kinder, die eine positive Emotionalitat ausstrahlen, aufgrund ihres Emotionsverstandnisses prosozialer eingestellt sind und ihre Emotionen ihren (sozialen) Zielen entsprechend regulieren konnen, sind bei anderen beliebter. Zahlreiche andere Studien bestatigen dieses Ergebnis (fur Ubersicht siehe Petermann, F. & Wiedebusch. 2008, S.20f.). In Folge der Untrennbarkeit von sozialer und emotionaler Kompetenz werden daher nun Konzepte beider Konstrukte in der Reihenfolge ihrer Veroffentlichung vorgestellt.

3.1 Konzept der emotionalen Intelligenz nach Salovey und Mayer Das Konzept der emotionalen Intelligenz (Salovey & Mayer, 1990) lehnt sich an Gardners (1983) Theorie der multiplen Intelligenzen an. Gardner entwickelte die Theorie der multiplen Intelligenzen als Antwort auf bereits existierende Intelligenzmodelle, die seiner Meinung nach zu restriktiv sind. Sein Modell basiert auf der Analyse von Informationen. die er liber hirngeschadigte und auf Teilgebieten auBergewohnlich begabte Individuen sammelte. Insgesamt nennt Gardner zusatzlich zur kognitiven Intelligenz sieben weitere

Intelligenzformen, unter anderem die intrapersonale Intelligenz. deren zentrale Fahigkeit der Zugang zum eigenen Gefuhlsleben ist, und die interpersonale Intelligenz, als die Fahigkeit andere Menschen zu verstehen. Salovey und Mayer (1990) greifen diese beiden Intelligenzformen auf und fassen sie zur emotionalen Intelligenz zusammen, die sie als “ability to monitor one’s own and other's feelings and emotions, to discriminate among them and to use this information to guide one’s thinking and actions” (S. 189) definieren. Die zentralen Komponenten des Konzeptes sind demnach (1) Einotionsregulation (2) Wahrnehmung, Bewertung und Ausdruck von Emotionen sowie (3) Anwendung von Emotionen bei der flexiblen Planung, zum kreativen Denken, zu Motivationszwecken und um die Aufmerksamkeit zu lenken. Salovey und Mayer (1990) gehen zwar davon aus, dass diese Prozesse von jedem ausgefiihrt werden konnen, dies jedoch aufgrund intraindividueller Unterschiede manchmal mehr, manchmal weniger erfolgreich gelingt. So sind Individuen, die ein holies MaG an emotionaler Intelligenz besitzen. in der Lage, Probleme adaptive!* und flexibler zu losen. indem sie emotionale Gesichtspunkte in die Abwagung von Alternativen mit einbeziehen. Das Konzept der emotionalen Intelligenz wurde 1995 von Goleman aufgegriffen. Erst durch sein gleichnamiges Buch gelangte das Konzept der .emotionale Intelligenz6 in den Blickpunkt des offentlichen Interesses (Neubauer & Freudenthaler, 2006). Salovey und Meyer konnen als Pioniere der emotionalen Kompetenz bezeichnet werden. da sie die ersten waren. die die bisher getrennt konzeptualisieiten Bereiche Emotion und Kognition miteinander verbanden. Die Bedeutung dieser Arbeit kann jedoch nicht uber die Schwachen des Konzepts hinwegtauschen. Allen voran sind in diesem Zusammenhang die methodischen Probleme, wie etwa die Fragebogenreliabilitat und konzeptuelle Einwande, z.B. gegen die willkurliche Auswahl der zentralen Komponenten, zu nennen (von Salisch. 2002b).

3.2 Fertigkeiten emotionaler Kompetenz nach Saarni

Das Modell der emotionalen Kompetenz (Saarni. 1999) hat gegenuber dem Modell der emotionalen Intelligenz (Salovey & Mayer. 1990) den Vorteil, dass es kontextorientierter ist und die transaktionale Natur emotionaler Kompetenz betont. Das Individuum ist eingebettet in soziale Beziehungen und kulturelle Kontexte, in denen es Fertigkeiten erwirbt und anwendet, die benotigt werden, um besonders in emotionsbelasteten sozialen Transaktionen emotional kompetent zu handeln. Dies ist besonders wichtig fur das Individuum, da in solchen interpersonalen Austauschvorgangen Bedeutsamkeit hergestellt werden kann und die Identitat ausgehandelt wird. Saarni (1999) fasst, ohne Anspruch auf Vollstandigkeit, acht Fahigkeiten unter dem Begriff der emotionalen Kompetenz zusammen: (1) Bevvusstheit liber den eigenen emotionalen Zustand. (2) erkennen und verstehen der Emotionen anderer, (3) Emotionswortschatz, (4) Empathiefahigkeit, (5) Unterscheidung von Gefuhl und Emotionsausdruck, (6) angemessene Bewaltigung unangenehmer Emotionen und Belastungssituationen, (7) angemessene Mitteilung von Gefuhlen und (8) die Fahigkeit zur emotionalen Selbstwirksamkeit. Kinder erwerben die Fahigkeiten. die in ihrer Kultur Giiltigkeit haben und sozial anerkannt sind, in den Beziehungen zu anderen. Die Eltern nehmen dabei eine besondere Rolle ein. Sie fungieren als Modellpersonen. deren Verhaltensweisen Kinder imitieren. als Verstarker, die mit Lob und Tadel wirken. als Diskurspartner. die mit ihren Kindern in einen (non-)verbalen Gefuhlsaustausch treten und als Emotionscoaches, die den Kindern helfen, mit negativen Emotionen umzugehen (Saarni. 1999).

3.3 Konzept der sozialen Kompetenz nach Rose-Krasnor

Rose-Krasnor (1997) stellt ihr Modell der sozialen Kompetenz als Prisma mit drei Ebenen dar (siehe Abhildung 1). Die Spitze beinhaltet als theoretische Ebene die soziale Kompetenz, definiert „as effectiveness in interaction. Effectiveness is broadly conceptualized as the outcome of a system of behaviors, organized to meet short- and long­term developmental needs" (S. 119). Soziale Kompetenz ist laut Rose-Krasnor zudem kontextabhangig sowie transaktional und entsteht somit in der Interaktion mit anderen. Die mittlere Ebene bzw. Indexebene besteht aus einem zusammenfassenden Register sozialer Kompetenzen, aufgeteilt in selbstbezogene (Aspekte sozialer Kompetenz, deren Prioritat das eigene Wohl ist) und andersbezogenen (Aspekte sozialer Kompetenz, deren Prioritat die zwischenmenschliche Verbundenheit ist) Fertigkeiten. Die soziale Kompetenz erhalt auf dieser Ebene ihre soziale Bedeutung, indem sie in verschiedene soziale Kontexte, wie etwa Peerbeziehungen, Elternhaus, Schule etc., eingebettet ist. Das Fundament des Prismas stellt die Fertigkeitsebene dar. Sie besteht aus sozialen, kognitiven und emotionalen Fertigkeiten sowie motivationalen Aspekten, die mit sozialer Kompetenz assoziiert werden und im Individuum lokalisiert sind.

Diese hierarchische Struktur erlaubt differenzierte Hypothesen zur Entwicklung der sozialen Kompetenz im Verlauf von Kindheit und Jugend. Auf der untersten Ebene sind es die emotionalen, motorischen und sprachlichen Fertigkeiten, die sich im Zusammenhang mit den kognitiven Fahigkeiten entwickeln. Auf der Indexebene iindert sich im Laufe der Entwicklung, welche Fertigkeiten fur die soziale Kompetenz von Bedeutung sind, denn die

Beziehungspartner fordern und erwarten mit voranschreitendem Alter i miner differenzierteres und regulierteres Sozialverhalten. Auf der theoretischen Ebene gibt es dagegen kaum Veranderungen, da kompetentes Verbal ten in jedem Alter gleich definiert wild, auch wenn sich sozialer Erfolg oder Misserfolg nur in konkreten. altersangemessenen Aufgaben bzw. Kontexten messen lasst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Prismamodell der sozialen Kompetenz (Rose-Krasnor, 1997. S. 120)

3.4 Konzept der affektiven sozialen Kompetenz von Halberstadt et al.

Halberstadt. Denham und Dunsmore (2001) bauen mit ihrem Modell der affektiven sozialen Kompetenz auf den drei vorhergehenden Modellen von Salovey und Mayer (1990). Rose- Krasnor (1997) sowie Saarni (1999) auf und versuchen den vielfaltigen Verflechtungen emotionaler und sozialer Fertigkeiten gerecht zu werden. Sie sind der Meinung, dass Emotionen einen wesentlichen Bestandteil sozialer Interaktionen darstellen, da sie eine wichtige Informationsquelle flir beide Interaktionspartner bieten. Emotionen sind laut Halberstadt et al. (2001) dynamische Prozesse, die einerseits Beziehungen erschaffen und andererseits in Beziehungen erschaffen werden. Entsprechend definieren sie affektive soziale Kompetenz als ^efficacious communication of one's own affect, one's successful interpretation and response to others' affective communication, and the awareness, acceptance, and management of one’s own affect” (S. 80). Halberstadt und Kollegen differenzieren affektive soziale Kompetenz ausdrucklich von sozialer Kompetenz. “which is well described as 'effectiveness in interaction" (S. 80). Im Detail besteht das Modell der affektiven sozialen Kompetenz (Halberstadt et al., 2001) aus drei grundlegenden Komponenten: dem Senden, Empfangen und Erleben von Geflihlen. Innerhalb dieser Komponenten sind jeweils vier Fahigkeiten angeordnet. die fur eine erfolgreiche soziale Interaktion notwendig sind, namlich (1) die Bewusstheit liber die Notwendigkeit, Gefuhle zu senden, zu empfangen und zu eiieben. (2) die Identifizierung der beteiligten Emotionen, (3) die Abstimmung mil dem sozialen Konlext sowie (4) die Fahigkeit, den jeweiligen Prozess im Hinblick auf die beteiligten Bedurfnisse und Emotionen zu regulieren und zu managen. Im Mittelpunkt der drei Komponenten steht das Selbst, das sowohl liber stabile interindividuell unterschiedlich ausgepragte Merkmale, ein eigenes Selbstkonzept und internale Arbeitsmodelle verfugt, als auch liber Wissensbestande, Motivation und Flexibilitat in der Interaktion.

Das Modell wird als Windrad veranschaulicht (siehe Abbildung 2), dessen Antrieb der Kontext ist, gepragt durch Zeitgeschichte, Kultur, Familie. zwischenmenschliche Beziehungen sowie korperliche und emotionale Bedlirfnisse und Bedingungen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Affektive soziale Kompetenz (Halberstadt et aL 2001, S. 10)

Diese Darstellung soil verdeutlichen, dass es nicht nur eine Ait von Antrieb bzw. Kontext gibt, sondern dass sowohl unterschiedliche Interaktionspartner als auch differierende Kontexte dem Windrad eine einzigaitige Antriebskraft verleihen. Sozial-affektiv kompetentes Verhalten besteht nun in der angemessenen Ubereinstimmung zwischen dem Erleben, dem Senden und dem Empfangen von Emotionen und emotionsbezogenen Botschaften, sowie in der Fahigkeit, den Fluss der Interaktion zwischen Sender und

Empfanger aufrechtzuerhalten. Halberstadt et al. (2001) stellen die These auf, dass sich die vier Fahigkeiten Bewusstheit, Identifikation, Kontextabstimmung und Regulierung in jeder der drei Komponenten in dieser Reihenfolge entwickeln. Damit die nachste Fahigkeit erworben werden kann, muss die vorhergehende zumindest in rudimentarer Form ausgebildet sein. Quantitative Anderungen ergeben sich durch Erfahrung und Ubung auf den einzelnen Gebieten, qualitativer Wandel erfolgt im Zusammenhang mit der kognitiven Entwicklung.

3.5 Modellvergleich

Es wird deutlich, dass die einzelnen Modelle aufeinander aufbauen und viele Gemeinsamkeiten haben. doch gleichzeitig weisen sie auch erhebliche Unterschiede im theoretischen Uberbau auf. Wahrend Salovey und Mayer (1990) sich an der Intelligenzforschung orientieren, betrachtet Saarni (1999) emotionale Kompetenz aus sozial- konstruktivistischer Sicht. Rose-Krasnor (1997) wiederum baut ihr Modell auf empirischen Forschungsergebnissen zur sozialen Entwicklung auf und Halberstadt et al. (2001) gehen von einem Kommunikationsmodell aus. Abhangig vom jeweiligen theoretischen Uberbau unterscheiden sich die Modelle in vier Punkten: (1) Die Auswahl der einzelnen Fertigkeiten wird unterschiedlich begrundet. (2) den Modellen liegen verschiedenen Menschenbilder zugrunde, (3) die Modelle sind unterschiedlich aufgebaut und (4) die Uberlegungen hinsichtlich der Entwicklung der einzelnen Fertigkeiten differieren (von Salisch, 2002b). Doch mogen sich die Modelle auch in diesen Punkten voneinander unterscheiden. so sind die Gemeinsamkeiten, die sich besonders in der Uberlappung der einzelnen Fertigkeiten zeigen, keinesfalls zu vemachlassigen. Die Fahigkeit .Bewertung von Emotionen im SelbsP aus dem Modell von Salovey und Mayer (1990) entspricht beispielsweise der .Bewusstheit Liber den eigenen emotionalen Zustand' bei Saarni (1999) und der .korrekten Identifizierung des eigenen Erlebens' bei Halberstadt et al. (2001). Auch die ubrigen Fertigkeiten lassen sich groBtenteils mit geringem Aufwand ineinander uberfuhren. Die meisten Fahigkeiten der einzelnen Modelle konnen wiederum den drei Komponenten Emotionsausdruck. Emotionsverstiindnis und Emotionsregulation, in die die emotionale Kompetenz haufig unterteilt wird (vgl. Denham, 1998; von Salisch, 2002a). zugewiesen werden. Der Ubersichtlichkeit halber wird diese Einteilung ubernommen und der vorliegenden Arbeit zugrundegelegt. Aufgrund des begrenzten Umfangs sind jedoch nur zwei Komponenten, namlich Emotionsverstandnis und Emotionsregulation. Gegenstand der Untersuchung.

3.6 Zusammenfassung

Ahnlich vielschichtig wie der Emotionsbegriff erscheint der Begriff der emotionalen Kompetenz, der in die Einzelkomponenten Emotionsausdruck, Emotionsverstandnis und Emotionsregulation untergliedert werden kann. In der Zusaramenschau der vorgestellten Konzepte vvird deutlich, dass emotionale Kompetenz nur im Zusammenhang mit dem sozialen Kontext, und damit auch nur in Verbindung mit der sozialen Kompetenz, betrachtet werden kann, da emotionale Reaktionen in der sozialen Interaktion entstehen und der jeweilige Kontext ein bestimmtes Emotionsverstandnis und eine entsprechende Regulation erfordert.

4. Die emotionale Entwicklung in den ersten 12 Lebensjahren

Emotionale Kompetenz entwickelt sich zwar uber die gesamte Lebensspanne, doch bereits in den ersten sechs Lebensjahren erzielen Kinder wichtige Fortschritte in der emotionalen Entwicklung und erwerben eine Reihe von Fertigkeiten, die es ihnen ermoglichen, angemessen mit ihren Emotionen umzugehen und sich in sozialen Interaktionen emotional kompetent zu verhalten. Abbildung 3 gibt einen Uberblick Uber die Entwicklung verschiedener emotionaler Fertigkeiten in diesem Zeitraum. Von der Geburt bis zum sechsten Lebensjahr lernen Kinder eine Reihe unterschiedlicher Emotionen auszudrUcken. sowie ihre eigenen Gefuhlszustande und die anderer Personen zu erkennen, voneinander zu unterscheiden und flussig daruber zu sprechen. Des Weiteren beginnen Kinder in diesem Zeitraum ihre Emotionen in Abhangigkeit von ihren Zielen eigenstandig zu regulieren (Denham. 1998; Petermann, F. & Wiedebusch, 2001). Diese Fiihigkeiten benotigen Kinder, um wichtige Prozesse der sozialen Kompetenz zu ermoglichen, namlich die erfolgreiche Initiierung und Aufrechterhaltung von Peerbeziehungen (Howes, C., 1987). Da sich die emotionale Kompetenz in einem langeren Entwicklungsprozess ausbildet, konnen je nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes einige Schlusselfertigkeiten bereits vorliegen. wahrend gleichzeitig in anderen Bereichen noch entsprechende Fertigkeiten fehlen (Walden & Smith, 1997).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Emotionale Entwicklung in den ersten sechs Lebensjahren (Petermann. F. & Wiedebusch, 2001, S. 28)

Bis zum Eintritt in die Schule erzielen Kinder bereits groBe Fortschritte in der emotionalen Entwicklung, doch auch in den folgenden Lebensjahren treten erhebliche Veranderungen auf. In der weiteren Ausfuhrung soil daher genauer auf die Entwicklung emotionaler Kompetenz bis zum zwolften Lebensjahr eingegangen werden. Dabei ist zu bedenken. dass es sich bei den Altersangaben nur um grobe Richtwerte handelt, die anlage- und umweltbedingt von Kind zu Kind anders ausfallen konnen.

4.1 Die Entwicklung des Emotionsverstandnis

Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen dem kindlichen Abschneiden bei Aufgaben zum Emotionsverstandnis und Schltisselaspekten der sozialen Interaktionen mit Familienmitgliedern und Peers existiert. Dazu zahlen Konfliktverhandlungen mit Familienmitgliedern (Slomkowski & Dunn, 1992). die kommunikative Kompetenz (Manstead & Edwards, 1992), gemeinsame Fantasiespiele (Youngblade & Dunn, 1995), Peerinteraktionen im schulischen Kontext (Denham, Zoller & Couchoud, 1994) und Akzeptanz bei Gleichaltrigen (Cassidy, Parke, Butkovsky & Braungart, 1992). Kinder, die ein gutes Emotionsverstandnis haben, sind demnach sozial kompetenter. Das Emotionsverstandnis umfasst laut Denham (1998) die Fahigkeit, Emotionsvokabular bei der Kommunikation liber Geflihle angemessen zu benutzen, die Bewusstheit uber den eigenen emotionalen Zustand sowie die Fahigkeit Emotionen andere Menschen zu erkennen und zu verstehen. Im Folgenden werden diese drei Schltisselfertigkeiten und ihre Entwicklung im Kindesalter genauer betrachtet.

4.1.1 Emotionswortschatz und verbaler Eniotionsausdriick

Die Moglichkeit emotionale Erfahrungen durch Sprache zu kommunizieren, befahigt Menschen die eigenen emotionalen Erfahrungen zeit- und ortsunabhangig auf verschiedene Arten mitzuteilen und ermoglicht ihnen den Zugriff auf die Reprasentationen von emotionalen Erfahrungen. Ohne diese beiden Zugange zu den eigenen Emotionen ware die soziale und emotionale Realitat von Beziehungen undenkbar. Unsere Sprache gibt uns also zum einen das Werkzeug, um unsere emotionalen Erfahrungen angemessen abzubilden, und zum anderen formt und reguliert der Gebrauch von Emotionssprache die Qualitat unserer zwischenmenschlichen Beziehungen (Saarni, 1999; Saarni, Campos, Camras & Witherington, 2006). Unterstiitzt wird diese Behauptung durch Studien, die belegen, dass Kinder, die einen ausgepragten Emotionswortschatz haben. auf der sozialen Ebene erfolgreicher sind (vgl. Denham et al., 1994; Gottman, Katz & Hooven, 1997; Slomkowski & Dunn, 1992). Soziale Zwiesprache ist dabei das wichtigste Medium, liber das Kinder eine emotionsbeschreibende Sprache und ihren gezielten Einsatz erlemen (Saami, 1999). Tabelle 2 gibt einen Uberblick liber die Entwicklung und zunehmende Differenzierung des sprachlichen Emotionsausdrucks vom zunachst passiven Erkennen einzelner Basisemotionen hin zum aktiven Benennen komplexer Emotionen.

Tabelle 2: Entwicklung des sprachlichen Emotionsausdrucks (Petermann, F. & Wiedebusch, 2008, S.44)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bis zum Ende des ersten Lebensjahres entwickelt sich zunachst ein passives Verstandnis fiir Emotionsworter. Kinder sind in diesem Alter zwar bereits in der Lage Emotionsworter zu verstehen, sie konnen sie jedoch noch nicht selbst verwenden (Ridgeway, Waters & Kuczaj, 1985). Zwischen dem 18. und 20. Lebensmonat lemen Kinder Basisemotionen wie Freude, Trauer oder Angst zu verbalisieren; der aktive Wortschatz ist jedoch noch weitaus geringer als das passive Verstandnis von Emotionswortem (Bretherton, Fritz, Zahn-Waxler & Ridgeway, 1986; Michalson & Lewis, 1985; Saami, 1999; Underwood, 1997). Bis zum Ende des zweiten Lebensjahres erwerben Kinder einen Emotionswortschatz, der es ihnen ermoglicht rudimentare Gesprache liber Emotionen zu ftihren (Petermann, F. & Wiedebusch, 2008). Kinder beginnen nun vermehrt einfache Gefuhlszustande, die sie selbst oder andere haben, verbal mitzuteilen (Bretherton et al., 1986; Mumme, Femald & Herrera, 1996).Vom zweiten bis zum flinften Lebensjahr nimmt das Emotionsvokabular von Kindem deutlich zu. Wahrend Zweijahrige von insgesamt 28 ausgewahlten positiven und negativen Gefuhlswortem nur 15 in einer Studie verwendeten, gebrauchten Vierjahrige bereits 24 (Wellmann, Harris, Banerjee & Sinclair, 1995). Der Umfang des Emotionswortschatzes von Vierjahrigen ist bereits groB genug, um auch ausfuhrlichere Gesprache liber Emotionen zu ermoglichen. Dies ist zudem das Alter in dem Kinder beginnen, haufiger auf die Emotionen anderer Bezug zu nehmen (Petermann, F. & Wiedebusch, 2008). Zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr entwickeln Kinder schlieBlich einen Emotionswortschatz fur komplexe selbstbezogene und soziale Emotionen wie Stolz, Eifersucht Oder Schuld (Lewis, 1998; Petermann, F. & Wiedebusch, 2008; Thompson. 1998), der sich bis zum neunten Lebensjahr verdoppelt (Wellmann et al.. 1995). Die weitere Entwicklung des sprachlichen Emotionswortschatzes besteht in einer zunehmenden Differenzierung. So eignen sich Kinder z.B. Synonyme fur bereits bekannte Emotionsworter an (Petermann. F. & Wiedebusch. 2008).

Von diesen Erkenntnissen lasst sich ableiten, dass Kinder mit zunehmendem Alter einen groBeren und differenzierteren Emotionswortschatz aktiv nutzen konnen. Einen generellen Geschlechterunterschied scheint es bei jlingeren Kindern bezuglich des sprachlichen Emotionsausdrucks nicht zu geben. Bei der Durchsicht der relevanten Forschungsliteratur kommt Saarni (1999) zu dem Ergebnis, dass sich jungere Madchen und Jungen nicht hinsichtlich ihres Emotionswortschatzes unterscheiden. Erst altere Kinder weisen auf diesem Gebiet je nach Geschlecht Unterschiede auf. Madchen scheinen im Allgemeinen motivierter zu sein liber ihre Emotionen zu sprechen und erlangen dadurch auch mehr Erfahrung darin. Dies konnte zum Teil daran liegen, dass das Geschlecht des Kindes unterschiedliche Kommunikationsmuster in den Bezugspersonen hervorruft. Madchen erhalten z.B. im Allgemeinen mehr Bemerkungen und Nachfragen bezuglich ihrer Gefiihle als Jungen (Dunn. Bretherton & Munn, 1987).

4.1.2 Bewusstlieit liber den eigenen emotionalen Zustand

Das Bewusstsein liber den eigenen emotionalen Zustand, also die Fahigkeit. die eigenen Gefiihle zu erkennen, steht in engem Zusammenhang mit dem Verstandnis fur das eigene Selbst sowie mit der Fahigkeit, einer Emotion einen situativen Ausloser zuzuschreiben (Dunn & Hughes, 1998; Strayer, 1986). Bereits Kleinkinder im Alter von zwei Monaten haben unterscheidbare Gefiihlszustande und reagieren emotional (Von Salisch, 2000); sie erfahren und erkennen diese Gefiihlszustande jedoch nicht bewusst, da ihnen die kognitive Reprasentationsfahigkeit fehlt. um zu wissen, dass sie es sind, die in Verbindung zu ihrer Umwelt etwas bestimmtes fiihlen. Erst das Wissen, dass der Grund fur den veranderten Korperzustand die eigene emotionale Reaktion auf ein Ereignis ist, flihrt zu Erkenntnissen liber die individuelle emotionale Erfahrung (Saarni, 1999). Wahrend Kinder sich entwickeln. werden sie einer wachsenden Anzahl von emotionsausldsenden Kontexten ausgesetzt, wodurch sich schrittweise sowohl ihre konzeptionelle Erkenntnis liber die Natur dieser Ereignisse als auch ihre emotionale Reaktion darauf erweitert. Kinder zeigen daher im Laufe ihrer Entwicklung eine immer groBer werdende Bandbreite an Emotionen und auch ein wachsendes Verstandnis liber ihre Ausloser (Gordon, 1989). Tabelle 3 gibt einen Uberblick liber die Entwicklung der kindlichen Fahigkeit, den eigenen emotionalen Zustand zu erkennen.

Tabelle 3: Entwicklung der Bewusstheit liber den eigenen emotionalen Zustand

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ab einem Alter von sechs Monaten sind Kleinkinder bereits in der Lage ihre Geftihle der eigenen Person zuzuschreiben und Geftihlszustande bewusst zu erfahren (Haviland & Lelwicka. 1987; Lewis & Brooks, 1978). Die vorherrschende Strategic, uni die richtige emotionale Reaktion zu bestimmen, ist in diesern Alter der soziale Ruckschluss, also das Abschauen der emotionalen Reaktion von der Bezugsperson, uni sich ein emotionales Bedeutungssystem anzueignen. Mit ca. zwei Jahren wild der soziale Ruckschluss nur noch selten angewendet und Kinder richten sich nur noch in neuen und unsicheren Situationen nach anderen, uni einen emotionalen Sinn zu schaffen (Munime et al., 1996: Walden, 1991). Etwa ab vier Jahren beginnen Kinder Zusammenhange zwischen situationsbezogenen Ursachen und Emotionen zu verstehen und zu benennen sowie ein verlassliches Verstandnis von emotionalen Erfahrungen zu entwickeln (Bretherton et al., 1986; Denham & Couchoud, 1990: Strayer, 1986); dies impliziert auch das Wissen, dass Uberzeugungen, Erwartungen. Wtinsche und Bewertungen ebenfalls eine Rolle bei der Vorhersage von Emotionen spielen. Dabei nennen Kinder unterschiedliche Ursachen fur die Emotionen Freude, Trauer. Arger und Angst. Als Ursachen fur Freude und Furcht werden uberwiegend nicht-soziale Ausloser genannt. Bei Freude ist dies allem voran der Gewinn oder Verlust materieller Gliter, wahrend bei Furcht groBtenteils Fantasieursachen genannt werden. Als Ursachen fur Arger und Trauer werden dagegen besonders haufig soziale Ursachen genannt (Strayer, 1986). Wobei Studien zeigten, dass Kinder erst ab flint Jahren zwischen Auslosern fur Arger (z.B. von einem Freund gehauen werden) und Trauer (z.B. Verlust eines Freundes) unterscheiden (Smiley & Huttenlocher, 1991). Insgesamt geben altere Kinder signifikant haufiger als jiingere Kinder soziale Ursachen und Leistungsthemen als Ausloser von Emotionen an (Strayer, 1986). Dariiber hinaus nimmt mit dem Alter die Nennung von Peers und Geschwistern als Emotionsausloser auf Kosten der Nennung der Eltern zu (Hughes & Dunn. 2002). Zwischen dem dritten und funften Lebensjahr beginnen Kinder zu verstehen, dass emotionale Reaktionen eher auf kognitive Interpretationen als auf die Situation selbst zuruckzufuhren sind (Banerjee, 1997). In mehreren Studien zeigten Lagutta, Wellman und Flavell (1997), dass Vorschulkinder den Zusammenhang zwischen Kognitionen und Emotionen zunehmend besser verstehen. Uber ein Drittel der Vierjahrigen und die Mehrheit der Flint- und Sechsjahrigen verstand, dass Kognitionen (z.B. die Erinnerung an vergangene Ereignisse) emotionale Zustande hervorrufen konnen. Etwa zwischen dem sechsten und zehnten Lebensjahr beginnen Kinder zu begreifen, dass ihr mentaler Zustand zentral fur die Gefiihle bezuglich eines Zielobjekts ist und dass andere Menschen (mit anderen Sichtweisen) differierende Gefiihle in Bezug auf dasselbe Objekt erfahren konnen (Harris, 1989).

Neben der Einsicht, dass Emotionen auch durch Kognitionen ausgelost werden konnen, erfordert das Verstandnis fur komplexe Emotionen. wie Stolz. Eifersucht und Schuld, zusatzlich die Kenntnis von sozial anerkannten Verhaltensstandards und -regeln sowie die Fahigkeit das eigene Verhalten zu diesen Regeln in Beziehung setzen zu konnen und sich selbst die Verantwortung fur das erfolgreiche oder misslungene Einhalten dieser Regeln zuzuschreiben (Denham, 1998; Saarni, 1999). Tabelle 4 zeigt ein Stufenmodell, das die Entwicklungsschritte im Verstandnis komplexer Emotionen verdeutlichen soil.

Tabelle 4: Stufenmodell der Entwicklung komplexer Emotionen (Harter & Whitesell, 1989)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Zvvar wurde nachgewiesen, dass bereits Zwei- und Dreijahrige komplexe Geflihle wie Stolz. Eifersucht und Schuld nonverbal auBern konnen (vgl. Denham, 1998), ein Verstandnis fur diese Emotionen wird jedoch erst ab dem flinften Lebensjahr erworben (Lewis, 1998; Petermann, F. & Wiedebusch, 2008; Thompson, 1998).

Bei einem Vergleich unterschiedlicher Studien zur kindlichen Bewusstheit liber den eigenen emotionalen Zustand hinsichtlich eines Geschlechterunterschieds kommt Saarni (1999) zu dem Ergebnis, dass sich aufgrund unterschiedlichster Befunde kein einheitliches Bild ergibt.

Zur Bewusstheit tiber den eigenen emotionalen Zustand gehort auch das Wissen liber die Moglichkeit multi pier Emotionen. Voraussetzung fur dieses Wissen ist die Erkenntnis, dass unterschiedliche Merkmale in einer Situation oft miteinander interagieren. Erst diese Einsicht erlaubt eine facettenreiche Beurteilung der Situation und eine komplexe emotionale Erfahrung (Saarni. 1999). Tabelle 5 gibt einen Uberblick liber die Entwicklung des kindlichen Wissens liber multiple Emotionen.

Tabelle 5: Entw icklung des Wissens liber multiple Emotionen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Prinzipiell absolvieren Kinder dabei vier Entwicklungsschritte. Zunachst erlangen sie im Alter zwischen fiinf und sechs Jahren die Erkenntnis, dass gleichwertige Emotionen, bezuglich desselben Aspekts oder zwei verschiedener Gesichtspunkte, als sequenzieller Prozess nacheinander auftreten konnen, bei dem die Kinder zunachst auf die eine, dann auf die andere Emotion fokussieren (Carroll & Stew'art, 1984; Harris, 1989; Harter. 1986; Harter & Whitesell, 1989; Stein, Trabasso & Liwag, 2000; Wintre & Vallance, 1994). Im zweiten Entwicklungsschritt, der etwa ab sieben Jahren einsetzt, entwickeln Kinder ein Bewusstsein liber multiple Emotionen gleicher Valenz bezuglich des gleichen Objekts, die in einer Situation gemeinsam auftreten (Carroll & Stewart. 1984; Harter, 1986; Harter & Whitesell, 1989; Wintre & Vallance, 1994). Im dritten Entwicklungsschritt, der im neunten Lebensjahr stattfindet, sind sich Kinder dariiber im Klaren, dass sie gleichzeitig Emotionen unterschiedlicher Valenz bezuglich unterschiedlicher Objekte empfmden konnen (Harter. 1986: Harter & Whitesell. 1989; Wintre & Vallance, 1994). Erst ab einem Alter von zehn Jahren sind Kinder in der Lage. widerspitichliche Emotionen in Bezug auf dasselbe Objekt gleichzeitig zu integrieren (Donaldson & Westerman, 1986; Harter & Whitesell, 1989; Wintre & Vallance. 1994). Harris (1995) relativiert diese Entwicklungsfolge, indem er in einem Experiment bereits sechsjahrigen Kindern erfolgreich beibrachte, eine Situation nach gegensatzlichen Emotionen zu scannen.

Bei einem Vergleich unterschiedlicher Studien zum kindlichen Wissen Ober multiple Emotionen hinsichtlich eines Geschlechterunterschieds kommt Saarni (1999) zu dem Ergebnis. dass es generell keinen Unterschied gibt. Lediglich Wintre und Vallance (1994) kommen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass Madchen mehr unterschiedliche Emotionen miteinander verbinden konnen als Jungen.

4.1.3 Erkennen und empathisches Verstehen von Emotionen anderer Menschen

In einer Langzeitstudie fanden Barth und Bastiani (1999) heraus, dass vierjahrige Vorschulkinder, die nicht in der Lage waren die Emotionen Gleichaltriger zu erkennen und richtig einzuschatzen, weniger beliebt bei Klassenkameraden und. aus Sicht ihrer Lehrer, weniger sozial angepasst waren. Um die Emotionen anderer Menschen zu erkennen, mussen Kinder in der Lage sein (1) einen Zugang zum Ausdrucksverhalten anderer zu bekommen. (2) allgemeine situative Emotionsausloser zu verstehen und (3) begreifen, dass andere Menschen Gedanken, Ziele. Uberzeugungen und Gefiihle haben, die von den eigenen abweichen konnen (Saarni, 1999; Saarni et al., 2006). Tabelle 6 gibt einen Uberblick Liber die Entwicklung der Wahrnehmung des emotionalen Ausdrucksverhaltens anderer im Kindesalter.

Tabelle 6: Erkennen und Verstehen des emotionalen Ausdrucksverhaltens anderer in der Entwicklung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bereits wenige Monate nach der Geburt reagieren Kinder auf das emotionale Ausdrucksverhalten anderer. Sie konnen positive und negative Emotionen im mimischen und stimmlichen Emotionsausdruck voneinander unterscheiden und reagieren differenziert auf unterschiedliche Gesichtsausdriicke ihrer Bezugspersonen (Saarni. 1999). Dies wird besonders deutlich, vvenn das emotionale Ausdrucksverhalten anderer als Grundlage fur die eigenen emotionalen Reaktionen verwendet wird. Die sogenannte Strategic des sozialen Ruckschlusses wird bereits von Kleinkindern ab vier Monaten angewendet und lasst darauf schlieBen, dass bereits ein rudimentares Verstandnis fur die Emotionen anderer vorhanden ist (Mumme et al., 1996). Mit zwei Jahren verstehen Kinder Emotionsbezeichnungen. die fur emotionales Ausdrucksverhalten verwendet werden, konnen diese jedoch noch nicht selbst benennen (Denham, 1998; Michalson & Lewis, 1985). Diese Fahigkeit erwerben Kinder erst mit ca. vier Jahren. Gestellte emotionale Gesichtsausdriicke konnen in diesem Alter bereits benannt werden, mit leichten Irritationen bei negativen Ausdrucken (Camras, 1985). Eine mogliche Ursache fur die Schwierigkeiten bei der Unterscheidung negativer Emotionen ergibt sich aus einer Studie zur Wahrnehmung des mimischen Emotionsausdrucks: Cunningham und Odom (1986) zeigten, dass sowohl ftinf- als auch elfjahrige Kinder bei der Beurteilung mimischer Emotionsausdriicke zuerst auf den Mund. dann auf die Augen und zuletzt auf die Nase achteten. Den jungeren Kindern unterliefen bei der Zuordnung anhand der Augen jedoch mehr Fehler als den alteren. Offensichtlich erlaubt die Stellung der Mundwinkel bereits Funtjahrigen die Unterscheidung von positiven und negativen Emotionen. Eine differenziertere Betrachtung negativer Emotionen anhand der Augenpartie ist jedoch erst spater moglich. Die Fahigkeit gestellte Gesichtsausdriicke zu benennen ist etwa ab sechs Jahren sehr gut ausgebildet (Camras, 1985). Es muss jedoch betont werden, dass es im Alltag weitaus schwieriger ist Gesichtsausdriicke zu interpretieren, die weder gestellt, noch idealisiert sind (Saarni, 1999).

Die Grundlage fur das Benennen von Auslosern der eigenen, im Gegensatz zu fremden Emotionen, ist die Erkenntnis gegen Ende des zweiten Lebensjahres, dass auch andere Menschen Wiinsche, Meinungen und Gefiihle haben, die sich unter Umstanden von den eigenen unterscheiden konnen (Harris, 1989). Zwischen dem vierten und dem sechsten Lebensjahr sind Kinder dann in der Lage, angemessene Determinanten fiir die Basis- Emotionen (Freude, Trauer, Angst, Arger) anderer, im Gegensatz zu den Determinanten der eigenen Emotionen. zu benennen (Denham, 1998; Denham et al., 1994; Strayer, 1986; Von Salisch, 2000). In einer Studie von Dunn und Hughes (1998) waren die meisten Vierjahrigen in der Lage. ihre eigenen Emotionen zu begrtinden und daruber hinaus auch Situationen zu benennen, die ihre Mutter oder Freunde frohlich, argerlich, angstlich oder traurig machten. Jungere Kinder beziehen jedoch lediglich aktuelle Informationen in die Bestimmung von Emotionsdeterminanten ein, wahrend altere (ca. ab zehn Jahren) auch Informationen von friiheren Erfahrungen beachten (Saarni. 1999: Strayer. 1986). Im Laufe ihrer Entwicklung kombinieren Kinder immer haufiger Ausdrucks- und Situationshinweise, uni die emotionalen Erfahrungen anderer zu erkennen und zu verstehen (Saarni, 1999). Zwischen sieben und acht Jahren nennen Kinder vermehrt zwischenmenschliche und erfolgsbezogene Themen als Ausloser sowohl fur die Emotionen anderer als auch fur die eigenen Emotionen (Strayer, 1986).

Geschlechterunterschiede im Erkennen der Emotionen anderer scheinen nicht zu existieren; zu diesem Schluss gelangt Saarni nach einem Vergleich der relevanten Forschungsliteratur (1989. 1999). Es ware jedoch denkbar, dass Geschlechterschemata, die die stereotypen Eigenschaften von Mann und Frau definieren, das Verstandnis der Emotionen anderer beeinflussen und die Sichtvveise der eigentlichen Geflihle verzerren. Eine wutende Frau wild beispielsweise tendenziell eher als traurig eingestuft. weil dem stereotypen Glauben nach Wut eher eine mannliche Emotion ist (Ruble & Martin, 2006).

Die Fahigkeit zur empathischen und einflihlsamen Auseinandersetzung mit dem emotionalen Erleben anderer Menschen sorgt dafur, dass die ubrigen Fahigkeiten emotionaler Kompetenz nicht selbstsiichtig und rucksichtslos angewendet werden. Empathie ist die Grundlage dafur, Mitgeflihl zu empfinden und Nachsicht walten zu lassen, da sie es uns ermoglicht, die emotionalen Erfahrungen anderer zu verstehen und zu teilen. Empathie setzt die Fahigkeit voraus, sein Selbst von anderen zu unterscheiden und sich dennoch mit ihren emotionalen Erfahrungen identifizieren zu konnen sowie die Fahigkeit, den Gefuhlszustand anderer zu erkennen (Saarni. 1999). Daruber hinaus setzte Empathie einige kognitive Fertigkeiten voraus, w'ie etwa situatives Wissen Liber Emotionsausloser, die Bewusstheit. dass Kognitionen (z.B. individuelle Uberzeugungen) von besonderer Bedeutung fur die Entstehung von Emotionen sind, die Fahigkeit zur kognitiven Perspektivenubernahme und die Bewusstheit, dass der beobachtbare Emotionsausdruck und das tatsachliche Emotionserleben voneinander abweichen konnen (Petermann, F. & Wiedebusch, 2008; Saarni, 1999).

Hoffmann (1982, 2000) teilt die Entwicklung der Empathiefahigkeit in vier Stadien ein (siehe Tabelle 7) und konzentriert sich dabei auf den prosozialen Aspekt von Empathie. Globale Empathie (Stadium 1) kennzeichnet die unbewusste Reaktion des Kindes auf emotionale Hinweise, die in keinen Zusammenhang mit prosozialem Verhalten gesetzt werden kann. Kinder unterscheiden in diesem Stadium noch nicht zwischen sich selbst und anderen, daher erzeugt die Notlage anderer lediglich eine „Gefuhlsansteckung“ Egozentrische Empathie (Stadium 2) kennzeichnet das Wahrnehmen eines fremden Gefuhlszustandes im Hinblick auf das eigene emotionale Erleben. Das Kind kann sich zwar noch nicht in eine andere Person hineinversetzen, es zeigt jedoch erste Anzeichen fur prosoziales Verhalten. So mag beispielsweise ein 18 Monate alter Junge seine eigene Mutter zu einem weinenden Freund fiihren, um diesen zu beruhigen, obwohl dessen Mutter anwesend ist. Emotionale Empathie (3. Stadium) kennzeichnet eine emotionale Perspektivenubernahme. Das Kind erkennt. das andere von den eigenen unterscheidbare Emotionen und Bedurfnisse aufweisen, was zu prosozialem Verhalten auch aus Sicht der anderen Person fuhrt. Kinder konnen nun auch schon empathisch betroffen werden, indem sie sprachliche Informationen liber emotionale Notsituationen anderer erhalten. Kontextuelle Empathie (4. Stadium) kennzeichnet schlieBlich eine soziale Perspektiviibemahme. Das Kind erkennt nun unterschiedliche Lebenssituationen, Identitaten sowie Kontexte und kann sich an der Stelle anderer in die jeweilige Situation hineinversetzen.

Tabelle 7: Ubersicht zur Entwicklung der Empathiefahigkeit & des prosozialen Verhaltens nach Hoffmann (2000)

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Basierend auf stereotypen Geschlechterrollen wild von Frauen haufig erwartet, empathischer und prosozialer zu sein, wahrend man von Mannern annimmt, sie seien unabhangiger und leistungsorientierter. In verschiedenen Studien wurden zumindest Teile dieses Stereotyps bestatigt (vgl. Carlo, Roesch, Knight & Koller, 2001; Whiting & Edwards, 1973). Nach der Durchsicht zahlreicher Studien zum Thema Geschlechterunterunterschiede im prosozialen Verhalten, kommen Eisenberg. Fabes und Spinrad (2006) zu dem Ergebnis, dass Madchen zwar prosozialer und damit empathischer als Jungen zu sein scheinen, geben aber gleichzeitig zu bedenken, dass dieser Sachverhalt, insbesondere die Hintergriinde seiner Entstehung, noch nicht gelost ist.

[...]

Ende der Leseprobe aus 162 Seiten

Details

Titel
Sozioemotionale Entwicklung im Schatten der elterlichen Beziehungsqualität
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Lehrstuhl Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung)
Note
1,15
Autor
Jahr
2009
Seiten
162
Katalognummer
V149238
ISBN (eBook)
9783640619429
ISBN (Buch)
9783640619818
Dateigröße
39208 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sozioemotionale, Entwicklung, Schatten, Beziehungsqualität
Arbeit zitieren
MA Jasmin Rödig (Autor:in), 2009, Sozioemotionale Entwicklung im Schatten der elterlichen Beziehungsqualität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149238

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