Integration durch Sport!? Eine empirische Untersuchung türkischstämmiger Fußballspieler im Großraum München


Diplomarbeit, 2007

106 Seiten, Note: 1.7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

1 Sport und Integration
1.1 Sport als gesellschaftliches Teilsystem
1.2 Begriffsdefinitionen
1.2.1 Integration
1.2.2 Akkulturation und Assimilation
1.3 Interpretation der Begriffe
1.4 Theorien der Integration
1.4.1 Theorien der Integration nach Shmuel Eisenstadt
1.4.2 Theorien der Integration nach Hartmut Esser
1.4.3 Schlussfolgerung und Interpretation

2 Arbeitsmigration und Integration
2.1 Arbeitsmigration in Europa
2.2 Arbeitsmigration in der Bundesrepublik Deutschland
2.3 Integration der Türken in Deutschland
2.3.1 Türken in Deutschland: Forschungsstand
2.3.2 Situation der Deutschtürken in der Literatur
2.3.3 Eindrücke zur Situation der Türken in Deutschland
2.4 Schlussfolgerungen

3 Integration durch Sport
3.1 Integrative Elemente des Sports
3.2 Phänomen Fußball
3.3 Sport-Projekte als sozial-integratives Instrument der Politik
3.3.1 „Sport - durch - Integration“
3.3.2 „Soziale Integration von Mädchen durch Fußball“
3.3.3 ,,Sport ohne Grenzen"
3.4 Fazit

4 Methodik
4.1 Definitionen und Ziele der Befragung
4.2 Formen und Verfahren der Befragung
4.3 Das persönlich-mündliche „face to face“ Interview
4.3.1 Vorteile der persönlich-mündlichen Befragung
4.3.2 Nachteile der persönlich-mündlichen Befragung
4.4 Fazit

5 Untersuchungsdesign
5.1 Organisatorischer Rahmen der Untersuchung
5.2 Ziel der Befragung
5.3 Untersuchungsablauf

6 Auswertung der Ergebnisse
6.1 Vorgehensweise
6.2 Eisbrecherfrage und Gründe für die Vereinswahl
6.3 Sprache
6.4 Privates Umfeld
6.5 Bildung
6.6 Diskriminierung und Religiosität
6.7 Soziodemographische Merkmale

7 Fazit
7.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
7.2 Ausblick

Anhang

Literaturverzeichnis

Internetverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Gründe für Vereinswahl

Abb. 2: Sprache, Platz

Abb. 3: Sprache, zuhause

Abb. 4: Sprachvermögen

Abb. 5: Herkunft, Mannschaft

Abb. 6: Herkunft, Freunde

Abb. 7: Staatsbürgerschaft des Partners

Abb. 8: Herkunft des Partners

Abb. 9: Herkunft der Eltern/Großeltern

Abb. 10: Schulabschluss

Abb. 11: Diskriminierung durch Gegner und Zuschauer

Abb. 12: Grad der Religiosität

Abb. 13: Staatszugehörigkeit, Spieler

Einleitung

Am 09.06.2007 wird in der Kreisliga A in Bremen kurz vor dem Schlusspfiff ein Spiel zwischen dem SV Mardin und dem 1. FC Mahndorf abgebrochen. Ein Spielabbruch an sich ist im Fußball keine Besonderheit. Immer wieder kommt es unabhängig von Land und Liga zu vorzeitigen Beendigungen von Fußballspielen. Diese werden meist durch den Schiedsrichter beschlossen, sobald er der Annahme ist, dass die Sicherheit für die Teilnehmenden nicht mehr gewährleistet ist. Im negativen Sinne ist dieser Spielabbruch jedoch etwas Besonderes, da der Schiedsrichter kurz zuvor durch einen Faustschlag niedergestreckt und dann, am Boden liegend, mit Tritten traktiert wurde.

Politische Brisanz erhält dieser Fall dadurch, dass nicht etwa ein Spieler die Nerven verlor, sondern ein Trainer mutmaßlicher Haupttäter war. Dazu kommt, dass der Trainer des SV Mardin diplomierter Sozialpädagoge und Integrationsbeauftragter beim Deutschen Sportbund und in seinem Stadtbezirk ist. Seine Mannschaft, der SV Mardin, besteht fast ausschließlich aus Kurden aus dem Südosten der Türkei. Vereine wie den SV Mardin gibt es überall in Deutschland. Die Idee, dass sich ethnische Minderheiten wie beispielsweise Türken, Kurden oder Kroaten zu Vereinen zusammenschließen, um gemeinsam am Wettbewerb des jeweiligen Fußballverbandes teilzunehmen, spricht für die Emanzipation jener Gruppen in der deutschen Gesellschaft. Dennoch bleibt offen, ob diese Zusammenschlüsse ethnischer Minderheiten auf Vereins- und Verbandsebene einem Zusammenleben mit den Deutschen und den in der Bundesrepublik lebenden Ausländern förderlich sind. Weist eine solche Eigenständigkeit, wie zum Beispiel die Gründung von eigenen Vereinen, nicht eine durchaus positive Tendenz auf? Ist sie nicht ein Zeichen für eine erfolgreiche Integration und für eine gesellschaftliche Gleichstellung, zumindest im Bereich des Sports?

Dennoch führen solche Fälle, wie der des SV Mardin, immer wieder zu kontroversen, öffentlichen Diskussionen. Denn die Meinung, dass es bei Fußballspielen mit Beteiligung „ausländischer“ Vereine, vermehrt zu Provokationen und Ausschreitungen kommt, ist weit verbreitet und leider nicht ganz unbegründet.

Laut einer Studie von Gunther A. Pilz (2006), werden zwei Drittel aller Spielabbrüche in deutschen Ligen durch nicht-deutsche Spieler verursacht. Dabei handelt es sich überwiegend um Spieler türkischer beziehungsweise kurdischer Herkunft. Ist diese Tatsache eine Konsequenz auf die, ebenfalls in der Studie von Pilz dargestellten, häufigen Provokationen und das allgemeine fremdenfeindliche Verhalten gegenüber ausländischen Sportlern? Sehen ethnische Minderheiten den Fußballplatz, stellvertretend für gesellschaftliche Missstände und Ungerechtigkeiten, als Chance, für soziale Gleichbehandlung zu kämpfen und treten daher mit einem Ehrgeiz auf, der dem sportlichen Niveau des Amateurfußballs unangemessen ist?

In der Studie von Pilz wird außer Acht gelassen, ob es sich bei den ausländischen Verursachern dieser Konflikte um Mitglieder deutscher oder eigenethnischer Vereine handelt. Und genau auf diese Frage soll im Verlauf dieser Arbeit eingegangen werden. Wozu führt die in den letzten Jahren stark ansteigende Tendenz zur Gründung „eigenethnischer Vereine“ (vgl. Pilz, 2006, S.3). Wirkt sie sich positiv auf das Verhalten auf dem Platz aus, da sich die ethnischen Minderheiten in ihren eigenen Vereinen nicht mehr ungleich behandelt fühlen? Stärkt der eigene Verein das Selbstbewusstsein und gibt den Spielern die Möglichkeit, durch die sozial zufriedenstellende Situation in der Mannschaft, ausgeglichener und weniger aggressiv aufzutreten? Oder führt ein gesteigertes Selbstbewusstsein zum Gegenteil? Verleitet eine solche „verschworene“ Gemeinschaft nicht dazu, sich erst recht profilieren zu wollen? Wird der Fußballplatz dann doch, wie oben erwähnt, in Stellvertreterfunktion für Gesellschaft und Privatleben gesehen? Kommt durch den Zusammenschluss einer ethnischen Gruppe nicht auch schnell ein zwanghafter Nationalstolz auf sowie das Gefühl für ein ganzes Land oder eine Nationalität einzutreten?

Die Summe dieser Fragen beziehungsweise die Schlussfolgerung daraus, führt zu der zentralen Fragestellung, die anhand der hier vorliegenden Studie zumindest teilweise beantwortet werden soll: Unterstützt die Gründung eigenethnischer Vereine die Integration von ethnischen Minderheiten in die Aufnahmegesellschaft oder wirkt sie dieser entgegen? Genauer: Trägt die Gründung türkischer Vereine in Deutschland zur Integration der in Deutschland lebenden Türken bei oder verstärkt sie eher den jetzigen Zustand der Parallelgesellschaften?

Die Gründung eines solchen eigenethnischen Vereins kann sowohl positive als auch negative Konsequenzen mit sich führen. Beide Extreme existieren, müssen sich jedoch nicht zwingend auf gesellschaftlicher Ebene äußern. Der Fokus dieser Arbeit soll sich ausschließlich auf türkischstämmige Spieler deutscher und türkischer Vereine richten. Mit der Befragung soll ein Vergleich gezogen werden, zwischen Türken beziehungsweise Deutschtürken, die sich für einen türkischen Verein entschieden haben und denen, die in einem deutschen Verein Fußball spielen. Im Anschluss an die Auswertung der erhobenen Daten wird die Diskussion geführt, ob die Gründung eigenethnischer Vereine eher eine anti-integrative Wirkung hat oder ob sie für die Mitglieder eines solchen Vereins, in Bezug auf deren soziale Integration, förderlich sein kann. Daher soll die Hypothese als Ausgangspunkt dieser Studie folgendermaßen formuliert werden:

„Deutschtürken, die in türkischen Vereinen Fußball spielen, sind schlechter integriert als Deutschtürken, die in deutschen Vereinen Fußball spielen. “

Die genaue Bedeutung des Wortes Integration, soll im Verlauf dieser Arbeit näher definiert und eingegrenzt werden. Es sollen anhand der bestehenden Literatur Indikatoren für eine erfolgreiche Integration bestimmt werden. Diese werden dann im Zuge der Auswertung der erhobenen Daten untersucht und Bezug nehmend auf die zentralen und konkreten Fragestellungen bestätigt oder verworfen. Da für die befragte Stichprobe keine konkrete Definition der Gesamtpopulation existiert, werden anhand des Fragebogens lediglich Tendenzen untersucht, die den Indikatoren für eine erfolgreiche Integration entsprechen.

Um dem Rahmen einer Diplomarbeit gerecht zu werden, wurde als Untersuchungsbereich der Großraum München des Bayrischen Fußballverbandes ausgewählt. Dieser Bereich besteht aus 256 Vereinen, von denen über ein Fünftel eigenethnische Vereine sind. Die anfängliche Idee, deutsche mit nicht-deutschen Vereinen zu vergleichen, wurde aufgrund dieser großen Anzahl verworfen. Die türkischen Vereine und die Türken beziehungsweise Deutschtürken in deutschen Vereinen als Objekt dieser Untersuchung heranzuziehen, liegt nahe, da diese mit knapp zwei Millionen die größte Gruppe der in Deutschland lebenden ethnischen Minderheiten ausmachen. Diese, bis auf wenige Ausnahmen, sehr festgefahrene Parallelgesellschaft ist nach wie vor von aktueller politischer Brisanz, und es bedarf weiterer Diskussionen und politischer Handlung, um diesen Zustand zu verbessern. Das ist nur möglich, wenn sich beide Seiten größte Mühe geben, die Kultur der Anderen zu respektieren und deren Lebensgewohnheiten und Wertvorstellungen zumindest nachvollziehen zu können. Das Thema Integration wurde in den achtziger Jahren umfangreich behandelt und ist nach wie vor ein viel diskutiertes Thema in der Politik. Die Beziehung der Deutschen und Deutschtürken weist immer noch starke Tendenzen der bereits erwähnten Parallelgesellschaft auf und ist weit von einem interagierenden Zusammenleben entfernt.

In Kapitel 1 sollen die Bedeutung des Sports in der Gesellschaft sowie die Begrifflichkeiten und Theorien der Integration geklärt und in Bezug auf in Deutschland lebende Ausländer definiert beziehungsweise interpretiert werden. Kapitel 2 befasst sich mit der Geschichte der Arbeitsmigration in Europa und in Deutschland und deren Auswirkungen auf die deutsch-türkischen Beziehungen in der Bundesrepublik. In Kapitel 3 werden die sozialen Funktionen und integrativen Möglichkeiten des Sports erläutert. Im 4. Kapitel soll die Methodik der Datenerhebung vorgestellt und begründet werden. Anhand der darauf folgenden Analyse der Ergebnisse des empirischen Teils dieser Arbeit, Kapitel 5 und 6, soll die Situation der Deutschtürken im bayrischen Fußballverband beschrieben und auf Unterschiede zwischen den türkischstämmigen Spielern in deutschen und türkischen Vereine untersucht werden. Im abschließenden Kapitel 7 folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

1 Sport und Integration

1.1 Sport als gesellschaftliches Teilsystem

Der Sport ist in unserer Gesellschaft tief verankert. Schon immer war er gleichsam für alle Bevölkerungsschichten Mittel zum Zweck: Unterhaltung, Ertüchtigung, Ruhm und Geld, Gesundheit und Schönheit. Das Potential, welches der Sport birgt, ist offensichtlich. Er ist ein mehr oder weniger emotionaler Wettbewerb, wird im kleinen oder großen Rahmen gemeinsam von Sportlern und Zuschauern ausgetragen, und spiegelt so die Gesellschaft in all ihren Facetten wider. Langjährige Freundschaften, tiefgehende Rivalitäten oder einfach nur den Reiz der Gemeinschaft mit Fremden und Bekannten kann der Sport auf einer ernstzunehmenden, nicht aber existentiellen Ebene, bieten. So stellt Klaus Cachay (2000, S. 11) fest:

„...dass sich der Sport heute als außerordentlich komplexer und facettenreicher Bereich der modernen Gesellschaft etabliert hat. So werden unterschiedlichste Variationen von Bewegung und Spiel als Sport bezeichnet. Verschiedene Organisationen bieten alle erdenklichen Bewegungsformen an und bezeichnen sich selbst als Sportanbieter.“

Wobei in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden kann, ob es sich bei allen sportbezogenen Angeboten auch wirklich um Sport im eigentlichen Sinne handelt. Vielmehr steht die Tatsache im Vordergrund, dass sich der Sport im allgemeinen als Teilsystem in der modernen Gesellschaft etabliert hat. Nach Schulze (2005, S. 20) hat sich die Bewegung:

„...in einem historischen Prozess seit dem späten Mittelalter allmählich aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen herausgelöst. Bewegung, Spiel und Sport differenzierten sich zu einem eigenständigen gesellschaftlichen Teilsystem aus. Dieser Prozess ist von systeminternen Differenzierungsprozessen begleitet worden. Dabei hat das Sportsystem durch Leistungen, die es gegenüber anderen Teilsystemen erbringt, gesellschaftliche Bedeutung erlangt und gleichzeitig an Komplexität gewonnen.“

Die Frage, inwieweit Sport als eigenständiges System von der Gesellschaft akzeptiert und angenommen wird soll diskutiert werden, wobei es primär darum geht, welche Möglichkeiten der Sport den Menschen in Deutschland in ihrem Zusammenleben eröffnet. Was hat der Einzelne davon, Teil des „Systems“ Sport zu sein? Geht es den Menschen, die Sport treiben, nur um Bewegung oder ist das Gemeinsame am Sport, die soziale Interaktion, die der Sport unweigerlich mit sich bringt, nicht viel wichtiger? Diese Qualität des Sports, die soziale Zugehörigkeit und die Herkunft zu relativieren, soll im Verlauf dieser Arbeit mehrfach angesprochen werden. Im Folgenden wird etwas genauer auf die Bedeutung des Begriffes Integration eingegangen.

1.2 Begriffsdefinitionen

1.2.1 Integration

Eine einheitliche Definition des Begriffes Integration zu finden, ist aufgrund der unterschiedlichen Verwendung des Wortes, abhängig von Kontext und Autor, nicht möglich. So werden in Psychologie, Soziologie, Pädagogik oder Ökonomie nicht nur verschiedene Interpretationen, sondern auch unterschiedliche Bedeutungen des Wortes verwendet. In der Soziologie wird Integration meistens im Zusammenhang mit entweder ethnischen Minderheiten oder Menschen mit Behinderung, als Objekte der Integration genannt. 1996 beschließt Rheker, dass verschiedene Behinderungsbegriffe für die betroffenen Personen hinsichtlich ihrer Integration unterschiedliche Folgen haben. Dieser Schluss fasst das Problem der Integration knapp und treffend zusammen, da nicht nur die Art und Weise der Integration, sondern vor allem die Voraussetzungen der zu integrierenden Personen im Vordergrund stehen sollten. So können die „verschiedenen Behinderungsbegriffe“, im Bezug auf die Integration von Ausländern durch Sport, mit unterschiedlicher Herkunft oder Religion verglichen werden. Daher gibt es auch bei der Integration ethnischer Minderheiten keine einheitliche Vorgehensweise, da auf die unterschiedlichen Voraussetzungen, Herkunft oder Religion, der einzelnen Personen Rücksicht genommen werden sollte.

Bei der Integration durch Sport sind diese Unterschiede der zu integrierenden Personen allerdings zu vernachlässigen, da bei gemeinsamer sportlicher Betätigung als integrativem Mittel, weitgehend die körperlichen Voraussetzungen eine Rolle spielen und weniger die Herkunft oder die Religionszugehörigkeit. Nur in einzelnen Fällen, wie zum Beispiel bei muslimischen Mädchen im Schwimmunterricht, sollte auf individuelle Voraussetzungen geachtet werden.

In der Soziologie wird die Integration als eine Wiederherstellung des Ganzen durch Prozesse, die das Verhalten und Bewusstsein nachhaltig verändern, bezeichnet. Integration kann sowohl zwischen einzelnen Individuen gegenüber Gruppen als auch zwischen Gruppen, Schichten, Kulturen und Klassen innerhalb einer Gesellschaft untereinander sowie zwischen verschiedenen Gesellschaften stattfinden. Das Wort Integration hat seinen Ursprung im Lateinischen beziehungsweise Griechischen. Integer oder entagros bedeutet wörtlich übersetzt, „unberührt, unversehrt, ganz.“ Davon abgeleitet wird das Subjekt im Deutschen als „Wiederherstellung eines Ganzen“, bezeichnet (vgl. DUDEN, 1997, S. 368). Laut Brockhaus wird die Integration im soziologischen Sinn als "Prozess der bewusstseinsmäßigen oder erzieherischen Eingliederung [...] oder ihre Anpassung an allgemein verbindliche Wert- und Handlungsmuster" definiert (vgl. BROCKHAUS, 2001, S. 435)."

„Es handelt sich dabei nicht nur um eine reine Anpassung an ein bereits bestehendes Ganzes, sondern um die kombinatorische Schaffung eines neuen Ganzen unter Einbringung der Werte und Kultur, der außen stehenden Gruppe in die neue Gesellschaft, bei Erhalt einer eigenen Identität“ (Speck, 1991, S.294).

So können beispielsweise Menschen mit Behinderung in das Regelschul- und Arbeitssystem integriert werden, genauso wie ethnische Minderheiten in die Kultur der im selben Land lebenden Mehrheit. Allein die Umsetzung dessen macht die Problematik des Integrationsprozesses aus. Denn wie soll die zu integrierende Person die eigene Identität erhalten oder besser behalten, wenn für einen erfolgreichen Anpassungsprozess in die Aufnahmegesellschaft erwartet wird, die eigene Identität zumindest teilweise einzubüßen. Auf den Erwerb einer neuen, beziehungsweise den Erhalt der alten, kulturellen Identität, wird im Verlauf dieses Kapitels mit Bezugnahme auf den Prozess der Akkulturation, noch näher eingegangen. Bingemer, Meistermann-Seeger und Neubert unterscheiden drei Formen der Integration, anhand derer sich die Facetten der Integration abzeichnen, welche diesen Prozess so problematisch machen (vgl. 1970, S. 37):

1. Monistische Integration - „damit ist gemeint eine Integration durch Assimilation, durch Unterwerfung...“
2. Pluralistische Integration - „die Partner behalten ihre Eigenart und leben im Sinne einer Koexistenz mit Notlösungen zusammen...“
3. Interaktionistische Integration - „Minderheit und Mehrheit stehen in einem Prozess ständiger und gegenseitiger Interaktionen...“

Auf die monistische Integration muss sicherlich nicht mehr eingegangen werden, da diese nicht in einem, das Thema der Türken in Deutschland betreffenden, sozialen Kontext aufgefasst und interpretiert werden kann. Die in Deutschland lebenden Minderheiten befinden sich, abhängig von Herkunft und Dauer ihres Aufenthalts, in einem Zustand zwischen der pluralistischen und der interaktionistischen Integration. Wobei die Gruppe, die in dieser Arbeit untersucht wird, die Türken bzw. Deutschtürken, abgesehen von wenigen Ausnahmen, eindeutig in Richtung der pluralistischen Integration tendieren. Diese anfängliche Mutmaßung hat sich im Verlauf dieser Arbeit und durch die vielen Gespräche, die während der Befragung mit Deutschtürken geführt wurden, manifestiert. Darauf soll in Kapitel 3.3 noch genauer eingegangen werden. Die verschiedenen Begriffe und Theorien der Integration werden im Verlauf dieses Kapitels noch genauer behandelt.

1.2.2 Akkulturation und Assimilation

Ein weiterer Begriff, der einhergehend mit der Lektüre der Literatur zum Thema Integration noch zu nennen wäre, ist der Begriff der Akkulturation. Die Akkulturation wird beschrieben als ein Prozess der Einführung von einer ethnischen Minderheit angehörigen Einwanderern in die Kultur der dominanten Mehrheit des Aufnahmelandes. Die allgemeinen Wertvorstellungen und Symbole der Herkunftskultur werden allmählich in die Verhaltensnormen und Wertvorstellungen der Mehrheitskultur adaptiert. Dieser Prozess vollzieht sich im Rahmen einer externen und einer internen Akkulturation (vgl. Han, 2000, S. 195 ff).

Der externe Akkulturationsprozess findet auf einer äußeren Verhaltensebene statt, die eine Annahme der, von der dominanten Kultur als typisch angesehene, Umgangsformen und Verhaltenweisen beinhaltet. Gleichzeitig wird die Alltagssprache erlernt und schrittweise findet ein vertrauter Umgang mit der materiellen Kultur statt. Verbleibt der Prozess der Akkulturation auf dieser äußeren Verhaltensebene, so bleiben auch ethnische Orientierungen im privaten, persönlichen Lebensbereich unverändert. Die interne Akkulturation kann nur in Kraft treten, wenn die Bereitschaft und der Wille der jeweiligen Person vorhanden ist, die dominante Kultur anzunehmen und sie in den täglichen privaten Gebrauch zu übernehmen. So kann nur dann von einer erfolgten internen Akkulturation gesprochen werden, wenn die Wertvorstellungen so übernommen werden, dass die daraus resultierenden typischen Verhaltensweisen als selbstverständlich angesehen und umgesetzt werden (vgl. Han, 2000, S. 195 ff.). In Bezug auf den Akkulturationsprozess können auch Assimilation und Integration verschiedenartig interpretiert werden.

Die Assimilation führt als Resultat der Akkulturation zu einer kulturellen Absorbierung durch die Mehrheitsgesellschaft. Letztendlich wird die eigene kulturelle Identität preisgegeben und geht restlos in der dominanten Mehrheitskultur auf. Die kulturelle Identität wird in der Integration, als Folge des Akkulturationsprozesses, zwar erhalten, jedoch wird sie zu einem integralen Teil der Mehrheitsgesellschaft.

So entstehen innerhalb dieser Gesellschaft ethnische Gruppen, die miteinander kooperieren und existieren. Die Folge ist eine pluralisierte Gesellschaft (vgl. Berry, 1992). Weitere Folgen des Akkulturationsprozesses sind laut Berry, die Marginalisierung oder die Segregation bzw. Separation, die aber in Bezug auf die Situation der in Deutschland lebenden Türken zu vernachlässigen ist.

Auch Hartmut Esser (1980) sieht Integration und Assimilation als Zustände, die als Resultate des Prozesses der Akkulturation angesehen werden können. Er beschreibt die Akkulturation auf individueller Ebene als Prozess, der einen Erwerb kulturell üblicher Eigenschaften nach sich zieht. Individuell gesehen ist für ihn eine kognitive und identifikative Assimilation eine Ähnlichkeit in Fertigkeiten, Orientierungen und Bewertungen. Die Integration definiert er auf individueller Ebene als Gleichgewicht und Spannungsfreiheit des personalen Systems. Auf das Kollektiv bezogen ist die Akkulturation als Prozess der kulturellen Homogenisierung anzusehen, während die Assimilation eine kulturelle Einheitlichkeit eines Kollektivs, in dem institutionalisierte Differenzierungen zur Geltung kommen, darstellt. Die Integration auf kollektiver Ebene definiert sich durch eine latente Gleichgewichtigkeit eines Makrosystems (vgl. Esser, 1980, S. 24-26).

1.3 Interpretation der Begriffe

Kobi (1994) charakterisiert die Assimilation als ein allgemeines Ähnlichwerden und Verschmelzen, dem ein Angleichungs- oder Anpassungsprozess zu Grunde liegt. Somit wäre zumindest eine ansatzweise Assimilation Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. Eine ethnische Minderheit kann nicht als integriert gelten, wenn sich im Laufe der Zeit keine Gemeinsamkeiten beziehungsweise Ähnlichkeiten entwickelt haben. Die bereits mehrfach erwähnte kulturelle Identität sollte erhalten bleiben, die Wertvorstellungen und Verhaltensweisen aber müssen sich von denen des Herkunftslandes distanzieren und denen des Aufenthaltsortes weichen. So kann ein erfolgreich integrierter Ausländer seine Traditionen und Bräuche weiter pflegen und sie seinen Nachkommen weitervermitteln, ohne darauf zu bestehen, sie nach außen demonstrieren zu müssen. Die kulturelle Identität kann somit auch über Generationen erhalten bleiben, sofern sie nicht als Zwang verstanden wird eine Abgrenzung gegen die Kultur des Aufnahmelandes aufrechterhalten zu müssen.

Daher ist der, in dieser Arbeit oft verwendete Begriff, des Deutschtürken als ein Indiz für eine erfolgreiche Integration anzusehen. Ein Deutschtürke lebt in Deutschland, hat türkische und deutsche Freunde, pflegt türkische Traditionen innerhalb der Familie und lebt und arbeitet als Teil der deutschen Gesellschaft. Allerdings trifft diese Bezeichnung nur auf diejenigen zu, die sich in ständiger Interaktion mit der deutschen Kultur und der deutschen Bevölkerung weiterentwickeln. Aber gerade in der ersten Generation der nach Deutschland übergesiedelten Türken besteht eine weit verbreitete Einstellung (dazu mehr im Kapitel 3.3), Deutschland ausschließlich als Wohn- und Arbeitsplatz anzusehen, ohne sich mit Land und Leuten zu identifizieren, obwohl die Absicht in die Türkei zurückzukehren nicht mehr besteht.

Daran ist auch der fehlende Akkulturationsprozess zu erkennen, der allerdings meistens erst in der zweiten Generation wirklich zur Geltung kommen kann und zu einer Verschmelzung der kulturellen Identitäten führt. Diese Einstellung hat sich teilweise negativ auf das Zusammenleben der nachfolgenden Generationen mit den Deutschen ausgewirkt, da auf die Meinung eines Familien-Ältesten in einer türkischen Familie weitaus mehr Wert gelegt als in einer deutschen. Die zweite und dritte Generation sollten jedoch die Notwendigkeit der partiellen Assimilation, bei gleichzeitiger Beibehaltung einiger Traditionen und Umgangsformen, erkennen und als Teil der Entwicklung zu gesellschaftlich integrierten Deutschtürken akzeptiert haben.

1.4 Theorien der Integration

Im vergangenen Kapitel wurde versucht, den Begriff der Integration anhand schon bestehender Definitionen und verschiedener Interpretation einzugrenzen. Zusätzlich wurden die damit zusammenhängenden Assimilations- und Akkulturationsprozesse in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland erläutert. Im folgenden Kapitel sollen nun verschiedene Theorien zum Thema Integration miteinander verglichen und diese bezüglich des in Deutschland bestehenden Problems der Integration von Asylsuchenden, Aussiedlern und Arbeitsmigranten analysiert werden.

Die Integrationspolitik der Bundesrepublik Deutschland verfolgt bei diesen drei Migrantengruppen unterschiedliche Ziele. Während die Asylsuchenden der restriktiven Asylpolitik unterliegen, werden bei den Aussiedlern eindeutig Eingliederungziele verfolgt. Bei den Arbeitsmigranten werden zwei Ziele angestrebt, die miteinander im Widerspruch stehen und deswegen die Situation der ehemals als „Gastarbeiter“ nach Deutschland geholten Ausländer verkomplizieren. Einerseits werden die Arbeitsmigranten durch staatliche Subventionen motiviert in die Heimat zurückzukehren, andererseits wird durch das, ebenfalls vom Staat unterstützte, Recht auf Familienzusammenführung eine Eingliederung derselben forciert (vgl. Han, 2000, S. 300-303).

1.4.1 Theorien der Integration nach Shmuel Eisenstadt

Der Prozess der Integration wie auch der Akkulturation findet im Rahmen der strukturellen Bedingungen der Aufnahmegesellschaft statt. Eisenstadt unterscheidet vier verschiedene Integrationsprozesse, die während des Prozesses der Integration in der Aufnahmegesellschaft, stattfinden (vgl. Eisenstadt, 1952, S.304 ff.):

1. Adaptive Integration (integration within the adaptive sphere)

Mit der adaptiven Integration ist die Anerkennung der grundlegenden Hauptinstitutionen, wie Familie, Erziehung und Politik gemeint. Die neuen Rollen in der Aufnahmegesellschaft und ihre Ausführung werden erlernt. Eine ansatzweise Identifikation mit den Werten und Strukturen der Aufnahmegesellschaft wird aufgebaut, sowie erste Kontakte mit den Einheimischen. Dabei wird von Seiten der Immigranten die Bereitschaft zur Integration vorausgesetzt und von Seiten der Aufnahmegesellschaft die Bereitschaft, diesem Wunsch entgegenzukommen. Eine wichtige Funktion kommt den Trägern von Führungsrollen in beiden Gruppen zu, da ohne solche Vermittler die Kommunikation zwischen Immigranten und der

Aufnahmegesellschaft nicht funktionieren kann (vgl. Eisenstadt, 1952, S.304 ff.).

2. Instrumentale Integration (integration within the instrumental sphere)

Die Instrumentale Integration setzt die Übernahme von Rollen voraus, die für das Wirtschaftsleben der Aufnahmegesellschaft existentiell sind. Denn in der ersten Phase müssen die Immigranten im Bereich der Wirtschaft aktiv werden, um grundlegende Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Aktivitäten sind erst einmal rein zweckorientiert und dienen dazu, über persönliche Ressourcen zu verfügen und diese zum wirtschaftlichen Vorteil oder dem beruflichen Interesse zu nutzen. Dies bedeutet jedoch noch nicht, dass mit diesen Rollen verbundene Wertvorstellungen ebenfalls übernommen werden (vgl. Eisenstadt, 1952, S.304 ff.).

3. Solidarische Integration (integration within the solidary sphere)

Bei der solidarischen Integration werden die zentralen Wertvorstellungen der Aufnahmegesellschaft übernommen. Es kommt zu einer aktiven Partizipation am sozialen Leben der Aufnahmegesellschaft, und ein Gefühl der Zugehörigkeit entsteht. So werden die zu Beginn der Integrationsphase aufkommenden Unsicherheiten geringer und die adaptierten Wertvorstellungen dienen den Immigranten als Orientierungshilfen. Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit unterstützt die Orientierung an diesen vorgegebenen Wertvorstellungen den Prozess des assimilativen Lernens (vgl. Eisenstadt, 1952, S.304 ff.).

4. Kulturelle Integration (integration within the cultural sphere)

Als Hauptmerkmal der kulturellen Integration wird die Übernahme von emotionalen Ausdrucksformen und Symbolen der Aufnahmegesellschaft bezeichnet. Diese Phase erfolgt erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Eingliederung, da vorher im privaten Lebensbereich noch Symbole und Verhaltensmuster Bedeutungen haben, die sich von denen der

Aufnahmegesellschaft unterscheiden (vgl. Eisenstadt, 1952, S.304 ff.). Ohne eine parallel laufende oder schon abgeschlossene solidarische Integration ist dies allerdings nicht möglich, da die kulturelle Integration die Annahme gewisser Symbole und Verhaltensmuster voraussetzt. Allerdings müssen nicht alle genannten bereichsbezogenen Integrationsprozesse durchlaufen werden, da die Immigranten zwar vor unzulänglichen Lebensbedingungen geflohen sind, nicht aber in allen Bereichen ihres Lebens unzufrieden gewesen sein müssen. Daher ist die Notwendigkeit, bestimmte Verhaltensmuster oder Wertvorstellungen im Sinne der Aufnahmegesellschaft zu ändern, nicht in allen Bereichen gegeben (vgl. Eisenstadt, 1954).

1.4.2 Theorien der Integration nach Hartmut Esser

Hartmut Esser beschreibt die Theorien Eisenstadts als die bis heute am besten entwickelten und systematischsten Fassungen des Problems der Eingliederung. Diese migrationssoziologischen Fragen werden von Esser im deutschsprachigen Raum am ausführlichsten behandelt. Für Esser bedeutet Integration „ein Zustand des personalen Gleichgewichts“ (vgl. Esser, 1980, S,23). Diesen Zustand unterteilt Esser in drei Dimensionen: in personale, soziale und systemische Integration (vgl. Han, 2000, S. 70 ff.):

1. Personale Integration

Die personale Integration versteht er als Spannungsfreiheit und Zufriedenheit, die als Veränderung des gesamten Wahrnehmungs- und Beurteilungssystem in Erscheinung tritt. Sie wird als ein Gleichgewicht zwischen empfundenen Bedürfnissen und erfüllten Ansprüche erlebt, die als psychische Stabilität im Sinne einer stabilen personalen Identität zum Ausdruck kommt. Wenn keine Spannungen, Widersprüche oder Dissonanzen innerhalb der verschiedenen Orientierungen bestehen, liegt eine personale Integration vor.

2. Soziale Integration

Die soziale Integration bedeutet, dass die Person in Interaktionen mit den Einheimischen involviert ist. Der Immigrant spielt innerhalb der institutionellen Normen und Erwartungen seine soziale Rolle. Die soziale Integration liegt somit vor, wenn sich die sozialen Beziehungen zwischen Einwanderer und Einheimischen im Gleichgewicht befinden.

3. Systemische Integration

Die systemische Integration äußert sich, wie bereits im vergangenen Kapitel bezüglich der Akkulturation erwähnt, als ein im Gleichgewicht stehendes Makrosystem. Hier befinden sich unterschiedliche Gruppen in einem gleich­gewichtigen Interdependenzverhältnis zueinander (vgl. Han, 2000, S. 70 ff.).

Esser weist ebenfalls darauf hin, dass ein solcher Ablauf der verschiedenen Integrationsphasen nur erfolgt, wenn ein Zustand des psychischen Gleichgewichts und eine Stabilität in der Orientierung vorhanden ist. Diese seien als Folge des vor der Integration stattfindenden Akkulturationsprozesses notwendig, um die Phasen der Integration durchlaufen zu können. Die eben beschriebenen drei Phasen der Integration sind wiederum Voraussetzung für eine erfolgreiche Assimilation. Esser definiert somit eine feste Abfolge der Eingliederung eines Einwanderers in die Aufnahmegesellschaft. Auf die Akkulturation folgt die Integration, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Assimilation schafft. Dann durchlaufen die um Integration bemühten Immigranten diverse Phasen einer identifikativen Assimilation, dem eine Herausbildung einer ethnischen Identifikation folgt (vgl. Esser, 1990, S. 73-77). Eine detailliertere Analyse dieser Prozesse würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

1.4.3 Schlussfolgerung und Interpretation

Petrus Han zieht aus dem Vergleich dieser beiden Theorien folgende Schlüsse (vgl. Han, 2000, S. 312/313): Die Eingliederung der Immigranten besteht aus einer prozesshaften und stufenweisen Adaption der unterschiedlichen strukturellen Bereiche der Aufnahmegesellschaft. Er stimmt mit Esser überein, dass der Integration die Akkulturation vorausgeht, da ohne sie die strukturelle Eingliederung nicht möglich wäre. Die Einwanderer müssen zwar nicht zwingend alle Wertvorstellungen und Normen der jeweiligen strukturellen Bereiche übernehmen, müssen sich jedoch zweckorientiert und instrumental anpassen können.

Zu einem erfolgreichen Integrationsprozess gehören demnach ein persönlicher Lernprozess und die institutionelle Bereitstellung von Opportunitäten. Da von individuellen Lern- und Anpassungsfähigkeiten auszugehen ist, erfolgt die Eingliederung auf unterschiedliche Art und Weise. Das heißt, dass einzelne Immigranten unterschiedliche Probleme mit unterschiedlichem Erfolg überwinden müssen. So geht Esser davon aus, dass dem Integrationsprozess nicht zwingend eine Assimilation folgen muss, sondern dass es auch zu Komplikationen und einer Pluralisierung der Aufnahmegesellschaft führen kann, die sowohl positive als auch negative Konsequenzen nach sich ziehen (vgl. Han, 2000, S.312/313).

Jede Art der Eingliederung von Einwanderern führt zwangsläufig zu einer Pluralisierung der Gesellschaft. Eine vollständige Assimilation der Personen käme einer kompletten Adaption der vorhandenen Normen gleich, wobei nur wenige Menschen fähig beziehungsweise bereit sind, diese einzugehen. Eine solche Übernahme aller Umgangsformen und Wertvorstellungen würde zu einem vollständigen Verlust der eigenen kulturellen Identität führen und ist somit nicht im Sinne einer erfolgreichen Integration. Die in Kapitel 1.2.1 kurz beschriebene Unterteilung der Integration in drei Zustände von Bingemer, Meistermann-Seeger (vgl. 1970), kann auf das Zusammenleben der Deutschen, Türken und Deutschtürken in der Bundesrepublik bezogen werden. Auch wenn diese Gemeinschaft eher durch pluralistische Merkmale geprägt ist, so sind gewisse interaktionistische Tendenzen nicht zu übersehen. Wenn also eine ethnische Minderheit mit der Aufnahmegesellschaft in einem Status der pluralistischen Integration leben kann, die zudem noch gewisse interaktionistische Elemente in sich trägt, so ist eine der bestmöglichen Formen eines interkulturellen Zusammenlebens erreicht.

2 Arbeitsmigration und Integration

2.1 Arbeitsmigration in Europa

Nach dem zweiten Weltkrieg setzte in den westlichen Industrieländern, allen voran in den westeuropäischen Ländern, eine so große Nachfrage nach Arbeitskräften ein, dass sie durch den heimischen Arbeitsmarkt nicht abgedeckt werden konnte. So wurde durch gezielte Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer aus südeuropäischen und mediterranen Ländern, wie z. B. Spanien, Portugal, Marokko, Italien, Algerien, Tunesien und der Türkei, der Bedarf an Arbeitskräften ausgeglichen. In den traditionellen Aufnahmeländern von Migranten in Europa wie Belgien, Deutschland, Luxemburg, Holland, Schweden und der Schweiz wurden in der Zeit von 1950 bis 1982 insgesamt rund 8.2 Millionen Immigranten aufgenommen (vgl. Han, 2000, S. 66).

Die aus dem wirtschaftlichen Aufschwung resultierenden Anwerbeabkommen mit den oben genannten südeuropäischen und mediterranen Nationen, erwirkte in den Industrienationen einen verstärkten wirtschaftlichen Boom, der aber nur bis in die späten sechziger Jahre hielt. Beeindruckt durch Rezessionen in den wirtschaftlich erholten Ländern in Mitteleuropa, kamen ab 1966 immer weniger Gastarbeiter und immer mehr kehrten in ihre Heimat zurück. Nach dem Ende der Rezessionen setzte noch einmal ein kurzer, jedoch bislang der intensivste Anstieg der Zuwanderung ein (vgl. Koch-Arzberger, 1985). In dieser Zeit holten viele der in Mitteleuropa lebenden Arbeitsmigranten ihre Familie nach, da ein weiterer Arbeitsstellenzuwachs nicht abzusehen war. Diese Entwicklung und die im Jahr 1973 beginnende Energiekrise führten eine radikale Wende in der Arbeitsmarkt- und Ausländerpolitik der europäischen Industrieländer herbei. So wurde im selben Jahr ein genereller Anwerbestopp verhängt, die Grenzen wurden in Bezug auf unkontrollierte Einwanderung mehr oder weniger dicht gemacht und die westlichen Industrienationen gingen zu einer restriktiven Ausländer- und Arbeitsmarktpolitik über. Die Einwanderung von Arbeitsmigranten ist, abgesehen von wenigen Ausnahmen, seitdem nicht mehr erlaubt (vgl. Han, 2000).

Das Ende der sechziger Jahre und der Beginn der Siebziger waren somit die entscheidenden Jahre bezüglich des heute auftretenden Problems des Zusammenlebens der „Gastarbeiter“ und ihren „Gastgebern“. Als die mitteleuropäischen Länder bemerkten, dass die Zuwanderung die vorher beabsichtigten Ausmaße bei weitem übertreffen werde und ein Großteil der Immigranten nicht in ihre Heimatländer zurückkehren wollte, waren die richtungsweisenden Entwicklungen bereits abgeschlossen. Zurückkehren, wollten natürlich nur diejenigen, die in ihrem Heimat- bzw. Herkunftsland eine politisch halbwegs entspannte Situation vorfinden oder zumindest wirtschaftlich und politisch sich weiterentwickelnde Systeme in der Heimat erwarten konnten. So kehrten viele Spanier, Portugiesen und Italiener nach rund zehn Jahren zurück. Ethnische Gruppen wie Türken oder Marokkaner versuchten jedoch eher, aufgrund der meist miserablen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in ihrem Heimatland, ihre Familienangehörigen nachzuholen als dorthin zurückzukehren (vgl. Koch- Arzberger, 1985).

So blieben eben jene zurück, die auch in ihrem Herkunftsland als „unterste Bevölkerungsschicht“ eingestuft wurden: Arme und oft ungelernte

Landbevölkerung, die Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre von den Regierungen ihrer Länder empfohlen bekamen, das Land aufgrund zu hohen Bevölkerungswachstums (Türkei) oder wirtschaftlicher und sozialer Missstände (Marokko) zu verlassen und den Möglichkeiten, die ihnen das Anwerbeabkommen mit den mitteleuropäischen Industrienationen eröffnen sollte, zu folgen (vgl. Koch-Arzberger, 1985, S. 11 ff.).

Die angeworbenen Südeuropäer hingegen waren zwar auch zum überwiegenden Teil einfache Bauern und ungelernte Arbeiter, denen aber aufgrund der moderneren politischen Entwicklung ihrer Heimatländer der Weg zurück leichter fiel. Die Verdienstmöglichkeiten waren zwar meistens nicht vergleichbar mit denen in Deutschland, die Chance auf Weiter- oder Wiederbeschäftigung jedoch waren durch die in Deutschland gesammelten Ehrfahrungen gestiegen.

Die Anzahl der in Deutschland lebenden Türken stieg durch konstant höhere Zu- als Fortzugszahlen, meistens durch das bereits erwähnte Recht auf Familienzusammenführung. Gleichzeitig wurde die Anzahl der Arbeitsmigranten anderer Nationalitäten kontinuierlich weniger. So etablierten sich die Türken als konstant größte ethnische Minderheit in Deutschland (vgl. Koch-Arzberger, 1985, S. 7).

2.2 Arbeitsmigration in der Bundesrepublik Deutschland

Als am Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre in Deutschland das sogenannte „Wirtschaftswunder“ begann, existierte eine Situation auf dem Arbeitsmarkt, die es so nie wieder gab. Es standen mehr Arbeitsplätze zur Verfügung als es Arbeitslose gab. Die Anzahl der offiziell gemeldeten Arbeitstellen bewegte sich 1961 um 500.000, während nur rund 180.000 Deutsche arbeitslos gemeldet waren. Anfänglich wurden durch die private Initiative einiger deutscher Unternehmen billige Arbeitskräfte aus den Nachbarstaaten angeworben. Das wurde auf staatliche und damit offizielle Ebene verlagert, indem in rascher Abfolge Anwerbeabkommen mit süd- und osteuropäischen sowie nordafrikanischen Staaten geschlossen wurden. 1955 wurde der erste offizielle Anwerbevertrag mit Italien unterzeichnet. Danach folgten 1960 Griechenland, 1961 die Türkei, 1963 Marokko, 1964 Portugal, 1965 Tunesien und abschließend 1968 Jugoslawien (vgl. Sen, Goldberg, 1994, S. 9). Im Folgenden soll ausschließlich auf die Gruppe der als „Gastarbeiter“ in die Bundesrepublik gekommenen Türken eingegangen werden.

Schon Jahrzehnte zuvor, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, existierten wirtschaftliche, kulturelle und politische Verbindungen zwischen Deutschland und der Türkei. 1912 gab es in Berlin rund 1500 Türken, die vorwiegend Geschäftsleute oder Studenten waren. Zu einer umfangreichen Migration der Türken nach Deutschland kam es allerdings erst am Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre. Ab 1957 kamen die ersten Türken als Arbeistmigranten nach Deutschland.

Der große Zuwanderungsstrom kam allerdings erst nach Beschluss des oben erwähnten Anwerbeabkommens im Jahr 1961 (vgl. Sen et al., 1994). Am 31. Oktober wurde das „Abkommen zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt“ zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet. In den darauf folgenden Jahren verließen zehntausende Türken ihr Land. Gelockt von dem im vorangegangenen Kapitel angesprochenen wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland und vertrieben von der durch hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne geprägten, schwierigen Situation in der Türkei (vgl. Schnalz-Jacobsen, Hansen, 1997).

Bis Ende 1973 entsandte die türkische Arbeitsvermittlung mehr als 780.000 Arbeitskräfte nach Westeuropa, von denen mehr als 80% nach Deutschland gingen (vgl. UNHCR, 2003). Die Zeitspanne zwischen dem Anwerbeabkommen und dem Anwerbeschluss kann als Immigrationsphase beschrieben werden. In diesen Jahren stiegen die Zuwanderungszahlen der Türken nach Deutschland stetig und betrugen bereits im Jahr 1972 über eine halbe Million. Auch nach dem Jahr 1973 erhielten die Türken in Deutschland trotz des Anwerbestopps erheblichen Zuwachs. Diese, im Folgenden näher erläuterte Phase, kann als Phase der Familienzusammenführung bezeichnet werden (vgl. Schnalz- Jacobsen et al., 1997, S. 165).

1973 kam die offizielle Anwerbung von Arbeitskräften zu einem abrupten Stillstand. Die internationale Ölkrise und ihre wirtschaftlichen Nachwirkungen führten einen politischen Wandel herbei. Die westeuropäischen Länder beendeten die Anwerbung von Arbeitsmigranten aus Staaten, die nicht Teil der Europäischen Gemeinschaft waren, gewährten jedoch jenen, die bereits in ihrem Staatsgebiet arbeiteten und lebten, eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis und das Recht auf Familienzusammenführung. Da ein erneuter Zugang zum westeuropäischen Arbeitsmarkt für viele türkische Staatsbürger unmöglich geworden war, entschieden sie sich, in ihren Gastländern zu bleiben und ihre Familien nachziehen zu lassen.

Der nun folgende Prozess der Familienzusammenführung veränderte die demographische Struktur der Migration grundlegend: Frauen und Kinder zogen zu den überwiegend männlichen Gastarbeitern, und diese Familien wurden zu dauerhaften Einwohnern westeuropäischer Länder. Obwohl es zu diesem offiziellen Anwerbestopp kam, versiegten die Migrationsströme aus der Türkei nach Europa nicht etwa, sondern veränderten sich vielmehr. Teilweise geschah dies aufgrund des anhaltenden Prozesses der Familienzusammenführung, worauf im nächsten Kapitel noch näher eingegangen wird (vgl. Schnalz- Jacobsen et al., 1997, S. 165 ff.).

Ebenso bedeutsam war jedoch die Anzahl irregulärer Arbeitsmigranten, die in den 80er und 90er Jahren in der Türkei durch enorme Flüchtlingsbewegungen entstanden. Verantwortlich für diese Flüchtlingsbewegungen war der Staatsstreich im Jahr 1980 und der Ausbruch militärischer

Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der ehemals separatistischen Partiya Karkeren Kurdistan (PKK). Diese

Auseinandersetzungen fanden in den östlichen, überwiegend von Kurden bewohnten, Provinzen der Türkei, statt. (vgl. UNHCR, 2003).

Einen kleinen Einbruch erlitten die Zuwanderungszahlen lediglich im Jahr 1984 als Konsequenz des 1983 verabschiedeten „Rückkehrförderungsgesetzes“. Dieses Gesetz sollte Arbeitsmigranten zu einer, vom Staat subventionierten, Rückkehr in ihre Heimatländer bewegen. Warum dieses Gesetz insbesondere den Türken, verglichen mit anderen ethnischen Minderheiten in Deutschland, kaum Perspektiven bot, soll im folgenden Kapitel näher erläutert werden. Die Jahre nach dem Rückkehrförderungsgesetz können als Phase der Niederlassung auf Dauer bezeichnet werden (vgl. Schnalz-Jacobsen et al., 1997).

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Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Integration durch Sport!? Eine empirische Untersuchung türkischstämmiger Fußballspieler im Großraum München
Hochschule
Technische Universität München
Note
1.7
Autor
Jahr
2007
Seiten
106
Katalognummer
V149117
ISBN (eBook)
9783640593552
ISBN (Buch)
9783640593705
Dateigröße
1435 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sport, Integration, Soziologie, Migration, Deutschtürken, Fußball, München, Bayern, Kultur, Ethnische MInderheiten, Deutschland
Arbeit zitieren
Moritz Kaup (Autor:in), 2007, Integration durch Sport!? Eine empirische Untersuchung türkischstämmiger Fußballspieler im Großraum München, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/149117

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