Das Parfum oder der Duft der Frauen


Seminararbeit, 2003

18 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I Einleitung

II 1) Grenouille und die symbolische Ordnung
2) Paris – das Superzeichen

III 1) Herr und Knecht

IV 1) Grenouille und der Duft der Frauen
2) La femme n’existe pas

V Schluss

VI Bibliographie

I Einleitung

Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Roman von Patrick Süskind „Das Parfum“.

Der Roman erschien 1985 im Diogenes Verlag. Er wird als einer der wenigen deutschen Romane auch im Ausland als Bestseller gehandelt.

Die Grundlage dieser Interpretation beruht auf dem Werk Jaques Lacans, einer der berühmtesten und zugleich auch umstrittensten Vertreter der Psychoanalyse.

Er schrieb sich mit der Veröffentlichung seiner fast tausend Seiten umfassenden Abhandlungen unter dem Titel „Ecrits“ in die Reihe von Denkern ein, die als Begründer einer neuen geistigen Strömung gelten, die fast alle wissenschaftlichen Disziplinen erfasst hat. Zu ihnen zählen unter anderem Claude Lèvi-Strauss, Michel Foucault, Roland Barthes und Jacques Derridas.

Grundlage aller strukturalistischen Analyse ist das soziale Phänomen der Sprache, das in diesem Kontext als das Element gilt, das Wirklichkeit konstituiert.

Der Mensch wird wahrgenommen als ein von imaginären Zwängen beherrschtes Wesen.

Lacans Lehre beschäftigt sich hauptsächlich damit die imaginäre Struktur des Selbstbewusstseins zu entlarven, das Subjekt und seine Geschichtlichkeit in Frage zu stellen, die „Rede“ des Unterbewusstseins aufzudecken und die exzentrische Sexualität des Menschen zu enthüllen.

Er nahm die Gedanken Freuds wieder auf und stellte sie auf eine wissenschaftliche Basis, unter Verwendung des Linguisten Ferdinand de Saussure, der die strukturalistische Bewegung ins Leben gerufen hatte.

Gegenstand dieser Arbeit ist zunächst die symbolische Ordnung, der der Protagonist im Roman unterliegt. Gezeigt werden soll, dass es nicht notwendiger Weise die Schrift ist, die auf das visuelle zentriert ist, der wir unterliegen.

Es gibt auch eine „Schrift“ der anderen Sinne. Die Schrift von Jean-Baptiste Grenouille ist die synthetische Herstellung von Geruch.

Im nächsten Kapitel ist der Fokus auf das von Lacan publizierte Spiegelstadium gerichtet, dass die menschliche Ichfindung als eine narzisstische entlarvt.

Der Schluss ist seiner Phallustheorie gewidmet, die beschreiben soll auf welcher Grundlage sich geschlechtliche Identität bildet und was der Ausgangspunkt für das menschliche Begehren ist.Die Hauptperson dieses Romans eignet sich für diese Art der Analyse, weil sie in überzeichneter Form eben jene Wirklichkeitsmuster aufdeckt, die das Leben an sich bestimmen.

II Grenouilles symbolische Ordnung

Grenouille, der Zeck, unterliegt einer anderen symbolischen Ordnung, denn sein Wahrnehmungssystem ist nicht auf das Visuelle zentriert, sondern auf das Olfaktorische.

Lacan geht zwar von einer Ordnung der Schrift aus, jedoch lässt sich eine symbolische Ordnung der Düfte analog übersetzen.

Grenouille greift nicht auf Schrift zurück, sondern auf Gerüche, die er in seinem Inneren gespeichert hat. Er „erriecht“ seine Welt, sie erklärt sich als riesiges Duftgebäude vor seiner Nase, nicht vor seinen Augen.

Wenn Lacan davon spricht, dass das Unterbewusstsein wie Sprache strukturiert ist und das autonome Subjekt sich in den Leerstellen, der Verschiebung und Verdichtung zeigt, so kann man einen ganz ähnlichen Prozess an Grenouille fest machen.

„ Erst mit drei Jahren begann er auf zwei Beinen zu stehen, sein erstes Wort sprach er mit vier, es war das Wort „Fische“, das in einem Moment plötzlicher Erregung aus ihm hervorbrach wie ein Echo, als von ferne ein Fischverkäufer die Rue de Charonne heraufkam und seine Wahre aussschrie.“[1]

Das autonome Subjekt äußert sich also in den Lücken und Leerstellen des bewussten Diskurses, dann kann man hier davon ausgehen, dass im Moment größter Erregung,

hervorgerufen durch den Geruch der Fische, eben jenes Subjekt spricht.

Noch zudem bricht das Wort wie „ein Echo“ aus ihm heraus, so ist auch der zeitliche Rahmen, in dem sich das Subjekt bewegt, der des „future anterieure“ im Sinne von „wo-es-gewesen-sein-wird“, also in der zukünftigen Vergangenheit.

Der Fischgeruch an sich ist ja nicht unmittelbar vorhanden, sondern kommt nur als Geist seiner selbst die Straße herauf.

Die symbolische Ordnung des Mördermannes kennt keine abstrakte Realisierung von Sprache- keine Schrift- dennoch kann er sprechen.

Seine Sprachfähigkeit beschränkt sich aber auf Wörter, die einen Duft bezeichnen.

Gerüche kann er allerdings „in absentia“ in seinem Inneren verwirklichen, obwohl sie „in praesentia“ nicht vorhanden sind.

So hat ein Geruch - wie ein Buchstabe - zwei Seiten:

- das signifiè : den Inhalt

- das signifiant : den Ausdruck

Er ist in der Lage einen Inhalt in eine gedankliche Form zu binden.

Gleichzusetzen mit den Buchstaben ist ein synthetisch hergestellter Geruch.

Der Eintritt in die symbolische Ordnung erfolgt nach Lacan durch den Vater, denn dieser repräsentiert symbolisch im Mannsein das Gesetz, das dem Jungen verbietet mit seiner Mutter ein inzestuöses Verhältnis einzugehen.

Die Mutter hingegen stellt das Prinzip von Sprache dar: durch das Nicht-vorhanden-sein des Phallus konstituiert sie das Prinzip von Sprache, welches auf der Abgrenzung von einem Symbol zum anderen beruht. Wie auch Mann und Frau sich auf der Ebene der körperlichen Geschlechtlichkeit manifestieren, eben durch ihre Differenz.

Im Gegensatz dazu ist der Weg des Zeck zur symbolischen Ordnung nicht an Vater- oder Mutterfigur gebunden.

Er erhält zuerst das Prinzip von Sprache, nachdem er seinen Geruchskatalog ordnet.

Das Mädchen aus der Rue de Marais – sein erstes Mordopfer – liefert es ihm:

„Ihm schwante sonderbar, dieser Duft sei der Schlüssel zur Ordnung aller anderen Düfte, man habe nichts von den Düften verstanden, wenn man diesen einen nicht verstand, und er, Grenouille hätte sein Leben verpfuscht, wenn es ihm nicht gelänge, diesen einen zu besitzen.“[2]

Dieses Prinzip wird sein weiteres Leben bestimmen. Er begreift die Differenz der Geschlechter nicht über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Geschlechtsmerkmalen, sondern primär über die Differenz des Duftes, vielmehr dem Prinzip, dem beide Geschlechter unterliegen, es aber unterschiedlich realisieren.

Dadurch, dass Grenouille das Prinzip von Duft in sich aufnimmt, kann er sich erst als seiendes und sagendes Subjekt erleben.

„Ihm war als, wurde er zum zweiten Mal geboren, nein, nicht zum zweiten, zum ersten Mal, denn bisher hatte er bloß animalisch existiert, in höchst nebulöser Kenntnis seiner selbst.

Mit dem heutigen Tag aber schien ihm, als wisse er endlich wer er sei…“[3]

Er begreift sich nun als Mensch und darüber hinaus als Genie mit schöpferischem Geist und Freiheit.

Er meint zu diesem Zeitpunkt eine sehr genaue Ahnung von sich selbst zu haben, doch später wird sich erweisen, dass sie noch höchst unvollständig ist.

Die Ordnung, die Grammatik der Düfte, ist symbolisch im Parfumeursmeister Baldini zu sehen.

Er selbst ist durchtränkt vom Duft des Frangipaniwassers: Frangipani hatte den Duft von der Materie befreit – es möglich gemacht, sich eines Duftes synthetisch zu bemächtigen.

Er hatte die „Schrift der Parfümerie“ erfunden.

Nach dem Erlebnis mit dem Mädchen aus der Rue de Marais, beginnt die beste Nase der Welt, die Düfte, die in ihm gespeichert sind nach eben diesem Prinzip zu ordnen.

Dies führt dazu, dass er den Entschluss fällt bei einem Parfumeur anzulernen, er will sich die Fähigkeit aneignen sich Gerüche dinglich zu bemächtigen.

Von Baldini – „dem Vater“ - lernt er die Sprache der Parfümerie.

Die Destillation beherrscht er bald perfekt – doch es stellt sich heraus, dass diese nur einen sehr beschränkten Zugang zur Welt der Düfte zulässt, denn nicht jeder Gegenstand will sich die duftenden Seele vom Alambic rauben lassen:

„Er wusste ja nicht, dass die Destillation nichts anderes war als ein Verfahren zur Trennung gemischter Substanzen in ihre flüchtigen und weniger flüchtigen Einzelteile und dass sie für die Parfümerie nur insofern von Nutzen war, als sie das flüchtige ätherische Öl gewisser Pflanzen von ihren duftlosen oder duftarmen Resten absondern konnte. Bei Substanzen, denen dieses ätherische Öl abging, war das Verfahren der Destillation natürlich völlig sinnlos.“[4]

Das drohende Scheitern macht ihn krank, lebensbedrohlich krank, erst die Versicherungen Baldinis, es gäbe noch feinere Methoden der Duftgewinnung lassen ihn wieder ins Leben zurückkehren.

Sein Lebenssinn wäre dahin gewesen, seine vermeintlich frisch gefunden Existenz nichtig.

In Grasse lernt er die Sprache der Parfümerie bis zur Vollendung und fasst den Plan selbst zum Prinzip der Sprache zu werden, in dem er ein Duftdiadem schmiedet.

II 2) Paris – das Superzeichen

In Süskinds Projekten findet sich immer wieder das Motiv vom Superzeichen.

In „Monaco Franze“ ist München, mit seinen Straßennamen und Stadtteilnamen, als Zeichenkette das Superzeichen.

Im Parfum, ist die Struktur des Zeichens wesentlich komplexer, obwohl auch es eine Stadt – Paris – als Superzeichen hat.

Die Zeichenkette besteht hier nicht aus einzelnen Buchstaben, sondern entsprechend der symbolischen Ordnung der Grenouille unterliegt, aus Düften.

Einzelne Duftatome setzen sich zu Dutkomponenten zusammen, die zu Duftstoffen und schließlich zum „Superduft“ werden.

In der Zeit in der der Duftkünstler lebt, hat das absolutistische System Frankreich noch fest im Griff. In diesem zentralistischen System laufen in Paris die Fäden aus dem ganzen Königreich zusammen.

Alles hat seinen festen Platz, weil Fixpunkte existieren, die dem System den Rahmen geben, in dem es funktionieren kann. Ohne solche festen Bezugspunkte, würde es sich auflösen.

Grenouille verlässt Paris und je weiter er sich von der Stadt entfernt, desto mehr schwindet der Geruch des Superzeichens, dass auf der Basis des Menschheitsbrodems existiert.

Er zieht sich in die absolute Menschenferne zurück, auf den Plombe du Cantal, der seinerseits ein Superzeichen darstellt.

Paris symbolisiert die Kultur und Gesellschaft, der Plombe du Cantal die Natur und Einsamkeit.

Natur und Kultur liegen sich auf einer bipolaren Oppositionsachse gegenüber. Sie schließen sich gegenseitig aus.

Grenouille kann aber weder in dem einen noch in dem anderen leben.

Die Natur wirft ihn auf sich selbst zurück, obwohl er an und für sich nicht ist.

Die Kultur verweist ihn an andere Menschen, für die er nicht existiert und die er nicht will, weil er nicht „für-andere-ist“.

[...]


[1] Patrick Süskind: Das Parfum; Zürich, 2002 (S.35)

[2] Patrick Süskind: Das Parfum; Zürich, 2002 (S. 57)

[3] Patrick Süskind: Das Parfum; Zürich, 2002 (S. 65)

[4] Patrick Süskind: Das Parfum; Zürich, 2002 (S. 148)

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Das Parfum oder der Duft der Frauen
Hochschule
Universität Mannheim  (Germanistik)
Veranstaltung
Proseminar Patrick Süskind. Wahrnehmen wahrnehmen
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V14878
ISBN (eBook)
9783638201643
Dateigröße
376 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parfum, Duft, Frauen, Proseminar, Patrick, Süskind, Wahrnehmen
Arbeit zitieren
Anna Roscoe (Autor:in), 2003, Das Parfum oder der Duft der Frauen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/14878

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