Die "Gramática de la lengua castellana destinada al uso de los americanos" von Andrés Bello

Welche politischen, ideologischen und intellektuellen Denkströmungen beeinflussen die Intention des Werks?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

22 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. Die Sprachdebatte nach der Unabhängigkeit Lateinamerikas - Fragen nach Einheit und (nationaler) Identität

II. Andrés Bello - Leben und Bildungsweg
II.1. Venezuela
II.2. London
II.3. Chile
III. La Gramática de la lengua castellana destinada al uso de los americanos
III.1. Spracheinheit
III.2. Sprachrelativität des Denkens, Sprache und Mündigkeit
III.3. el buen uso - Soziokulturelle Aspekte der Normgebung
III.4. Die Polemik zwischen Bello und Sarmiento

Ergebnis

Literatur

Einleitung

Andrés Bello (Venezuela, 1781 - Chile, 1865) ist in mehrfacher Hinsicht einer der bedeutendsten Intelektuellen Lateinamerikas. Sein Einfluss auf den Entwicklungsprozess der lateinamerikanischen Nationalstaaten im neunzehnten Jahrhundert enorm: Als Politiker, Philosoph, Schriftsteller und Sprachwissenschaftler, gleichzeitig interessiert an Naturwissenschaften und verstärkt in der zweiten Lebenshälfte an juristischen Fragestellungen, nimmt Bello an den Diskussionen um adäquate politische, kulturelle und rechtliche Konzepte für das unabhängige Lateinamerika teil.

Diese Arbeit setzt sich mit den von Bello vertretenen Positionen innerhalb der Sprachdebatte auseinander. Diese Diskussion, die bis weit in das zwanzigste Jahrhundert nachzuverfolgen ist, dreht sich um den Status und die Norm der spanischen Sprache in den unabhängig gewordenen Nationalstaaten Lateinamerikas. Forderungen nach kultureller Emanzipation durch den radikalen Bruch mit dem Spanischen und einer Neuorientierung am Französischen stehen Stimmen gegenüber, die die künftige Spracheinheit der spanischsprachigen Länder als weiterhin wichtig und erstrebenswert ansehen.

Für die romanistische Linguistik ist die Gramática de la lengua castellana destinada al uso de los americanos Bellos bedeutendstes Werk. Ihr Ruf als eine der besten Grammatiken der spanischen Sprache ist bis heute ungebrochen. In dieser Arbeit soll die Intention Bellos für das Verfassen der Grammatik in den Fokus rücken und unmittelbar in Zusammenhang mit Bellos Leben und seinem Bildungsweg gebracht werden. Inwiefern lassen sich Bellos zentrale Zielsetzungen der Grammatik in Verbindung bringen mit von ihm studierten Forschungsrichtungen? Welche ideologischen Strömungen bilden die Basis für Bellos Argumentation und Weltanschauung? Welche politischen Haltungen drücken sich außerdem im Werk aus?

Zunächst soll, nach einer kurzen Einordnung der Thematik in die Sprachdebatte allgemein, als erste Annährung an die Fragestellung Bellos Leben und Bildungsweg im Überblick dargestellt werden. Im Folgenden werden dann konkret Bellos Forderung nach Spracheinheit, seine Annahme der Existenz sprachrelativen Denkens und die Orientierung am buen uso diskutiert. Welche argumentativen und ideologischen Konstanten in der Weltanschauung Bellos werden sichtbar?

Die vorliegende Arbeit möchte sich mit den Anfängen der Sprachdebatte beschäftigen und besonders das Anliegen und die Bedeutung Andrés Bellos innerhalb der Sprachdebatte darstellen. Es muss jedoch betont werden, dass sich diese Debatte mitnichten auf Bello und Sarmiento beschränken lässt, sondern sich bis in das zwanzigste Jahrhundert zieht und sich unter anderem in Pamphleten, Stellungnahmen und Debatten von großen spanischen und lateinamerikanischen Philologen, Intellektuellen und Künstlern wie Cuervo und Valera, Menéndez Pidal, Unamuno und Ortega y Gasset verfolgen lässt.

1. Die Sprachdebatte nach der Unabhängigkeit Lateinamerikas- Fragen nach Einheit und (nationaler) Identität

Auf die Unabhängigkeitsbewegungen (1810-1826) folgend, erreichen die meisten lateinamerikanischen Kolonien Spaniens innerhalb der ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit. Dies führt zur Gründung verschiedener lateinamerikanischer Nationalstaaten. Der postkoloniale Prozess der Staatengründungen muss aufgrund seiner politischen, ökonomischen und soziokulturellen Aspekte als „multidimensional“ (Del Valle/Stheeman 2002:Preface) bezeichnet werden: „In view oft the developmental parameters of nationalism, Spain needed to define itself, not only as an effective unit of political action, but also as a social and cultural unit” (Ebd:7).

Die sprachpolitischen Überlegungen und Debatten über den Status und die Norm des Spanischen in den ehemaligen Kolonien stellt ein Phänomen innerhalb der komplexen Identitätsfindung der Nationalstaaten dar. Während des kontinentalen Revolutionszyklus wird die Sprache der indianischen Bevölkerung zwar im Befreiungskampf strategisch eingesetzt, doch keinesfalls mit einer möglichen Emanzipation dieser Sprachen verbunden. In keiner der ersten Verfassungen wird die Sprachenfrage thematisiert, Bildungsprogramme orientieren sich an der Alphabetisierung in spanischer Sprache:

Das Spanische war die prestigereichere Sprache und vor allem diejenige, die die kreolische Führungsschicht sprach. Darüber hinaus implizierte der zentralistische Staatsaufbau, wie ihn z.Bsp. Simón Bolivar (1783-1830) für die jungen Nationalstaaten forderte, die Durchsetzung einer einheitlichen Nationalsprache als Ausdruck eines starken Nationalgeistes (Bochmann u.a.1993:342).

Im Zuge der fortschreitenden staatlichen Unabhängigkeit bilden sich jedoch deutlich heterogenere Vorstellungen von adäquaten postkolonialen sprachpolitischen Strategien heraus: Ein zentraler Streitpunkt ist die Frage nach Spracheinheit. Zwei diametral entgegengesetzte Meinungen stehen sich hier gegenüber: Zum einen die Forderung nach Spracheinheit, die durch sprachpolitische Maßnahmen geschaffen und erhalten werden soll. Auf der anderen Seite wird die Fragmentierung des Spanischen in verschiedene Dialekte und Sonderentwicklungen, ähnlich dem Schicksal der lateinischen Sprache, erwünscht und als eine ohnehin nicht beeinflussbare sprachliche Entwicklung eingeschätzt. Ist die Forderung und Umsetzung einer spanischen Spracheinheit von höchster Priorität oder ist die Aufspaltung in Dialekte unabdinglich und gar wünschenswert?

Eine weitere Frage stellt sich hinsichtlich einer entweder allgemeingültigen oder nationalsprachlichen Norm der Standardsprache: Kann und soll das Kastilische weiterhin normgebend sein? Oder ist mit dem antiquierten spanischen Gesellschaftsmodell auch die spanische Grammatik unbrauchbar geworden und braucht völlig neue Orientierungen? Und wenn ja, welche Orientierungspunkte könnten dies sein?

2. Andrés Bello - Leben und Bildungsweg

Diese Arbeit untersucht, welche Bildungsideale, intellektuellen Denkströmungen und politischen Haltungen Bellos in seinem sprachwissenschaftlich bedeutendsten Werk Gramática de la lengua castellana destinada al uso de los americanos erkennbar sind. Dies soll die Intention und Zielsetzung Bellos zu seiner bedeutenden Beteiligung an der Sprachdebatte deutlich machen und die wichtigsten Standpunkte seiner Argumentation erklären. Hierfür soll zunächst ein Überblick über die wichtigsten Stationen seines Lebens gegeben werden. Da Andrés Bellos Leben und wissenschaftliches Wirken äußerst vielseitig sind und sich kaum in der Kürze dieser Hausarbeit zusammenhängend aufarbeiten und zusammenfassen lassen, wird sich die Darstellung besonders auf jene Aspekte konzentrieren, welche Einfluss auf die sprachwissenschaftlichen Ansichten und Stellungnahmen Bellos zur Sprachenfrage haben. Die Darstellung orientiert sich zunächst an den drei großen Lebensphasen Venezuela (1781-1810), England (1810-1829) und Chile (1829-1865), wo sich Bello jeweils in verschiedenen Lebensabschnitten und Funktionen aufhielt.

2.1. Venezuela

Andrés de Jesús María y José Bello López wird am 29. November 1981 in Caracas als ältestes von acht Kindern in einer streng katholischen Familie geboren. Sein Vater Bartolomé, Jurist und Musiker, und seine Mutter Ana sind beide von den Kanaren abstammend. Ihre Urgroßeltern verließen die Kanarischen Inseln zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts: „[…] though of modest means, they were able to provide the young Andrés Bello with a stable upbringing and a solid education.” (Jaksić 2001:1). Bildung ist in Caracas zu dieser Zeit ein die Oberschicht charakterisierendes Merkmal, der junge Bello wird von Steckemetz als „verarmtes Mitglied dieser sozialen Oberschicht“ (1990:31) bezeichnet.

Die Bedeutung der Stadt Caracas und der Wohlstand, der um die Zeit Bellos Geburt von dieser Stadt ausgeht, lassen sich auf die Administrativreformen der bourbonischen Herrscher zurückführen. Diese stärken den im Folgenden florierenden Exportmarkt, vor allem durch Kakaoexporte nach Mexiko und Spanien. Die spanische Krone wird durch verschiedene königliche Institutionen und Verwaltungsapparate verstärkt repräsentiert, ihre Macht gesichert: „[…] there was little reason to predict the bloody struggle for independence that followed a generation later. The creoles of Caracras for the most part willingly sideded with the Crown in its centralization efforts” (Jaksić 2001:3). Zwar wird die politische Stabilität um die Krone mehrfach durch anti-koloniales Aufbegehren, u.a in Coro 1795 und von Francisco Miranda 1806 herausgefordert, doch diese Versuche zur Etablierung neuer Machtverhältnisse bleiben ohne Folgen. Mit Miranda wird Bello später in London zusammentreffen.

Bellos humanistische Erziehung in Caracas prägt in besonderem Maß der katholische Geistliche Fray Cristobal Quesada. Von 1792 bis 1796 lernt Bello von der ihn prägenden Persönlichkeit, wie er später seinem Schüler Amunátegui erzählen wird, Grammatik und Stilistik durch das Studium der lateinischen Klassiker Horaz und Vergil. Quesada macht Bello außerdem mit den Klassikern der spanischen Literatur vertraut: Cervantes, Calderón de la Barca und Lope de Vega. Nach dem Tod Quesadas war Bello so weit im Studium der lateinischen Sprache, dass er die fortgeschrittene Lateinklasse des Fray José Antonio Montenegro im angesehenen Santa Rosa Seminar Caracas besuchen konnte und dort für seine Übersetzungen geehrt wurde (Jaksić 2001:5).

Von 1797 bis 1800 absolviert Bello ein Studium der Philosophie an der Universität Caracas. Gleichzeitig bringt sich Bello das Lesen der französischen Sprache bei, nur wenig später beginnt er mit der autodidaktischen Lehre des Englischen. Mit der Kenntnis der beiden Sprachen wird deutlich, dass sich in Bello großes Interesse an Sprachen mit erheblicher Sprachbegabung vereinte. Außerdem bietet sich Bello nun ein erheblich breiteres Spektrum an rezipierbarer Literatur: unter anderem übt Bello sein Französisch an der Übersetzung Voltaires Zulime (Jaksić 2001:6).

Nach dem Tod Quesadas ist Bello außerdem so weit im Studium der lateinischen Sprache, dass er die fortgeschrittene Lateinklasse des Fray José Antonio Montenegro im angesehenen Santa Rosa Seminar Caracas besuchen kann und dort für seine Übersetzungen geehrt wird (Jaksić 2001:5).

Im Rahmen seines Studiums liest und übersetzt Bello Teile aus Lockes Essay An Essay concerning Humane Understanding und setzt sich intensiv mit Condillacs These „Vim habet sola analysis clara exactasque ideas gignendi“ auseinander (Jaksić 2001:7). Condillac stellt die Sprache ins Zentrum einer Systematik der Entstehung des menschlichen Denkens (Hassler 1984:27ff). Eine universelle Vorstellung von Sprache, die ein konstantes Zeichensystem unabhängig von Einzelsprachen und Kontexten bildet, wird negiert. Diese neuen, aus der Aufklärung entsprungenen Erkenntnistheorien der modernen Philosophie stellen die Lehre der scholastischen Syllogismen in Frage und werden vor allem vom an der Universität lehrenden Baltasar Marerro zum gängigen Diskussionsgegenstand, Bellos intensive Beschäftigung mit ihnen wird in seiner um 1840 realisierten Arbeit Filosofía del Entendimiento deutlich (Weinberg 1993:6).

Begleitend zu seinen vielseitigen Studien, Bello beschäftigt sich auch mit Medizin und Jura, besucht so genannte tertulias, von angesehenen Familien der Oberschicht organisierte Haussitzungen, in denen auf Französisch über neue literarische Werke und Musik diskutiert wird. In diesen Kreisen stellt Bello erste literarische Werke vor und kommt erstmals mit Simón Bolívar in Kontakt, dem er von 1797 bis 1799 Unterricht in Geographie und Literatur gibt (Jacsik 2001:8). Ebenfalls begleitet er Alexander von Humboldt auf seinen Expeditionen in Venezuela. Sicherlich stärkt dieser Kontakt Bellos Interesse an den Naturwissenschaften. Ob er durch Alexander Humboldt von den sprachwissenschaftlichen Forschungen Wilhelm Humboldts erfährt, ist zwar wahrscheinlich, jedoch nicht nachgewiesen (Steckemetz 1990:32, Jaksić 2001:9).

Von 1802 bis 1810 arbeitet Bello für das spanische Generalkapitanat Venezuelas. Hier schlägt er eine Beamtenlaufbahn ein und ist vor allem für administrative Aufgaben zuständig: „He was extremely diligent in his tasks, writing official documents and translating articles from English and French journals“ (Cussen 1992:7). Bello ist in politische und administrative Vorgänge eingeweiht und arbeitet als integrer Funktionär der spanischen Krone. 1802 wird er zum zweiten Staatssekretär ernannt und steigt nach einer Zeit als Kriegskommissar zum ersten Staatssekretär auf.

Nach der Einführung des Buchdrucks in Caracas 1808 wird Bello erster Redakteur der offiziellen Zeitung „Gazeta de Caracas“. Er ist desweiteren aktiv mit dem Verfassen literarischer Arbeiten, die sich am Sprachvorbild des spanischen siglo de oro orientieren, beschäftigt. Deutlich wird, dass sich Bellos literarische und linguistische Beschäftigung mit Sprache in den letzten Jahren in Venezuela auf einem ersten Höhepunkt befindet:

In dieser Lebensphase sind auch seine ersten Arbeiten über Sprache entstanden. Die linguistische Arbeit „Análisis ideológica de los tiempos de la conjugación castellana” stammt aus dieser Zeit, ist jedoch erst viel später (1841) veröffentlicht worden. Von seiner spanischen Bearbeitung „Arte de escribir“ nach der französischen Vorlage von Condillac und von der Arbeit über die konsekutiven Konjuktionen „que, porque y pues“ weiß man nur durch die Gebrüder Amunátegui. Auch für deine Grammatik muss Bello hier schon Vorarbeiten geleistet haben. (Steckemetz 1990:34).

1808 übesetzt Bello die Nachricht eines französischen Gesandten von der Abdankung Carlos IV und der Übergabe der Krone an Josef Bonaparte, die Kolonien sollten sich verpflichten dem französischen Herrscher von nun an Gehorsam zu leisten. Eine provisorische Komission vertritt im Folgenden jedoch weiterhin die Interessen der spanischen Regierung. Kurz darauf, mit dem Gobierno Revolucionario de Venezuela setzen sich vor allem Kreolen, auch mithilfe gewaltsamer Auseinandersetzungen, für die Unabhängigkeit Venezuelas ein.

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Details

Titel
Die "Gramática de la lengua castellana destinada al uso de los americanos" von Andrés Bello
Untertitel
Welche politischen, ideologischen und intellektuellen Denkströmungen beeinflussen die Intention des Werks?
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2009
Seiten
22
Katalognummer
V148720
ISBN (eBook)
9783640589531
ISBN (Buch)
9783640589838
Dateigröße
546 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gramática, Andrés, Bello, Welche, Denkströmungen, Intention, Werks
Arbeit zitieren
Sarah Pfeffer (Autor:in), 2009, Die "Gramática de la lengua castellana destinada al uso de los americanos" von Andrés Bello, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148720

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