Soziokulturelle Aspekte der Kollektivierung der Landwirtschaft

Kulturrevolution & Kolchose vs. Bäuerliche Lebenswelt & Bäuerlicher Widerstand


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

32 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Einrichtung der Kolchosen
2.1 Vorgehen und Organisation
2.2 Soziale Folgen der Kollektivierung

3. Der wirtschaftliche Hintergrund der Kollektivierung der Landwirtschaft
3.1 Die Getreidebeschaffungskrise 1928
3.2 Okonomische Erwartungen uber die Totalkollektivierung und die tatsachlichen Resultate

4. Stalins Machtapparat - Ideologische Vorstellungen von Staat und Herrschaft und ihr Zusammenhang mit der Kollektivierung der Landwirtschaft
4.1 Die politischen Ziele Stalins abgeleitet aus der Verfassung der UdSSR vom 5.12.1936
4.2 Der Terror gegen die Kulaken und die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft
4.2.1 rnMafinahmen gegen Kulaken vor 1930
4.2.2 Äufierungen Stalins Uber die Eliminierung der Kulaken als Klasse in einem Zeitungsartikel der Krasnaya Zvezda vom 21. Januar 1930
4.2.3 Die Brandrede Molotovs vom 11. Februar 1930 - Dekulakisierung und Totalkollektivierung als vom Zentralkomitee beschlossene Ziele
4.3 Der allgemeine ideologische Hintergrund - Die Kulturrevolution
4.4 Die isolierte Staatsmacht - Ein weiterer Hintergrund fur die Veranlassung der Kollektivierung

5. Das russische Bauernvolk und die Kollektivierung als Eingriff in die Kernstruktur des bauerlichen Lebens
5.1 Die bauerliche Lebenswelt
5.2 Die Sicht der Bauern uber die Kollektivierung
5.3 Die Formen des bauerlichen Widerstandes gegen die Eingriffe des Staates
5.3.1 Eine Untersuchung des Begriffes „Widerstand“ anhand der Parameter „Motivation“, „Kontext“ und „Quellen -Blickwinkel“
5.3.2 EAktiver Widerstand
5.3.3 Passiver Widerstand

6. Die Kollision von Staat & Volk, Theorie & Praxis, Ideologie & dem tatsachlichen Leben - Die staatliche Gewaltspirale und der Volkswiderstand als sich gegenseitig bedingende Faktoren

7. Fazit

8. Bibliographie

1. Einleitung

„Die Kollektivierung war der letzte Akt in einem Drama, das 1917 begonnen hatte. Sie war der gewaltsame Versuch, jenes Russland der „Ikonen und Kakerlaken“, wie Trockij es einmal genannt hatte, aus der Welt zu schaffen. Die Kolchose war das Instrument, mit dem Unterwerfung vollbracht werden sollte. Sie nahm den Bauern die Fruchte ihrer Arbeit, fuhrte sie in die Leibeigenschaft zuruck, aus der sie der Zar befreit hatte, und unterwarf sie mentaler und materieller Knechtung.1 ‘a Verantwortlich fur all dies war Josef Vissarionovic Stalin (21.12.1879- 5.03.19532 ), der beruhmte sowjetische Diktator, der vor allem fur die Anordnung der systematischen Totung von Millionen Menschen bekannt ist.3 Nach Lenins Tod 1924 ging Stalin aus der Gruppe der konkurrierenden Parteianhanger als Anfuhrer hervor, zerbrach die Opposition und steuerte die Sowjetunion in Richtung Industrialisierung und Kollektivierung,4 die vor allem wahrend der spaten 20er bis Mitte der 1930er Jahre durchgefuhrt wurde. Stalin war der Massenmorder des Staates.5 Er war ein Mann, der von einem extremen und brutalen personlichem Kontrollzwang besessen war.6 Aber er war auch ein Intellektueller, ein Verwalter mit groBem Organisationstalent, ein Staatsmann und Parteifuhrer.7 Zudem war er Schriftsteller, Herausgeber und ein engagierter, wenn auch gereizter, Ehemann und Vater.

Der Diktator, ein Mann mit krankem Korper und krankem Geist,8 personifiziert die sowjetisch-kommunistische Ordnung, die Diktatur einer einzelnen Ideologie.9 Sein russischer Nationalismus war eine Zusammenstellung von Ideen uber Staat, Technik, Intoleranz, Atheismus, Stadte, Militargewalt und vor allem dem sowjetischen Marxismus, wie er sich seit dem Tod Lenins entwickelt hatte.10

Wie der Titel dieser Arbeit besagt, soll es in der folgenden Untersuchung um die soziokulturellen Hintergrunde der Kollektivierung der Landwirtschaft unter Stalin gehen. Dabei sollen die vom Diktator und seiner Partei vertretene bolschewistische Ideologie und ihr Wertesystem mit dem Wertesystem der Landbevolkerung und ihren bauerlichen Traditionen kontrastiert werden.

In Hinblick auf die Kollektivierung der Landwirtschaft soll gezeigt werden, dass die Bolschewiki mittels der Einrichtung von Kolchosen nicht nur wirtschaftliche Ziele verfolgten, sondem dass sie auch ihre Herrschaft uber die landliche Bevolkerung in ideologisch- kultureller Hinsicht verankern wollten. Neben der Darstellung des Kollektivierungsvorganges selbst und des okonomischen Hintergrundes sollen folglich die parteilichen Ziele im Sinne der stalinistischen Ideologie beleuchtet werden, und schlieBlich der „anderen Seite“, der tatsachlichen Lebenssicht und -praxis der bauerlichen Bevolkerung gegenubergestellt werden. Die Zwangskollektivierung, die das Aufeinanderprallen der verschiedenen Wertesysteme besonders deutlich offenbart, fuhrt zum Widerstand der Bevolkerung gegen die staatlichen MaBnahmen, die meist weitere staatliche Gewalt nach sich zieht. Dieser bauerliche Widerstand im Angesicht der staatlichen Ubermacht soll ebenso erlautert werden. Im Anschluss daran soll diese Kollision von Staat und Volk und ihrer verschiedenen Soziokulturen in einem groBeren Bedeutungsmuster in Zusammenhang gebracht werden. Dieses soll zeigen, wie sich die immer starker werdende staatliche Gewaltspirale und der Widerstand des Volkes gegenseitig bedingten, und so die Sowjetunion unter den Bolschewiki immer starker in einen Sog der Gewalt geriet, aus dem es kein Entrinnen mehr gab, da diese Teil des bolschewistischen Parteiprogramms geworden war.

Bezuglich des Forschungsstandes und der Materiallage ist zu sagen, dass es sehr viele und grundliche Untersuchungen zum angegebenen Themenbereich gibt. Aufgrund der Tatsache, dass viele Quellen aus der Stalin-Zeit erst viele Jahre spater zuganglich gemacht wurden, ist noch langst nicht „alles“ erforscht und neue Erkenntnisse kommen stetig hinzu. Die meisten Archive wurden erst 1991 unter Boris Jelzin fur die Forschung geoffnet.11 Besonders Dank des Vorhandenseins von Quellensammlungen im Internet war es moglich, relativ viel Primarliteratur in deutscher oder englischer Ubersetzung zu nutzen, auf die andernfalls nicht hatte zugegriffen werden konnen. Bei der Verwendung von Sekundarliteratur stutzt sich diese Arbeit vor allem auf Werke von Baberowski, Merl, Viola und Fitzpatrick.

Eine Schwierigkeit in der Nutzung der staatlichen Quellen besteht im Allgemeinen darin, dass diese die stalinistische Perspektive mit ihren Feindbildern und ihrem ideologisch bedingten Verfolgungswahn widerspiegeln, und daher aufgrund ihrer Subjektivitat und ihres einseitigen Blickwinkels die Einschatzung der dargestellten Ereignisse und der daran beteiligten Menschen erschweren. Quellen von der „anderen Seite“, der bauerlichen Welt, konnten aufgrund ihrer in schriftlicher Form sicherlich geringen, wenn uberhaupt vorhandenen Zahl, und ihrer schwierigen Auffindbarkeit fur die Untersuchung nicht hinzugezogen werden; hier wird vor allem auf die Forschungsergebnisse von Viola und Fitzpatrick vertraut.

Das methodische Vorgehen dieser Arbeit erschlieBt sich bereits aus dem Inhaltsverzeichnis und der obigen Themenbeschreibung. Die Untersuchung verlauft weitestgehend chronologisch und kontrastierend: zunachst wird das staatliche Handeln und Denken in Theorie und Praxis vorgestellt und schlieBlich der bauerlichen Lebenswelt und ihrer Reaktionen auf die MaBnahmen des Regimes gegenubergestellt. Diese Aktionen und Reaktionen, Unterdruckung und Widerstand, Gewalt und Gegengewalt werden abschlieBend in einen groBeren Kontext eingeordnet, der die Dynamik der Ereignisse wahrend der Kollektivierung begreifbarer machen soll. In der Untersuchung wurden soweit moglich zunachst Primarquellen ausgewertet und durch Informationen aus der Sekundarliteratur erganzt.

2. Die Einrichtung der Kolchosen

2.1 Vorgehen und Organisation

Die Totalkollektivierung der bauerlichen Landwirtschaft begann im Winter 1929/30 entgegen des Willens der Bauern. Durchgefuhrt wurde diese von Dorfsowjets12 und zigtausenden stadtischen Kommunisten, Arbeitern und Studenten, die das Regime fur diesen Zweck in die landlichen Provinzen geschickt hatte.13 Laut Fitzpatrick waren viele dieser Personen besessen von der Idee der Kulturrevolution14 und verspurten groBe Verachtung fur die bauerliche Ruckstandigkeit,15 die den Dorfbewohnern ausgetrieben werden sollte.

Die Einrichtung der Kolchosen ging mit der ZwangsschlieBung der Dorfkirche, der offentlichen Zerstorung von Ikonen, der Verhaftung von Priestern und der Enteignung und Deportierung von Tausenden (vermeintlicher)16 GroBbauern/Kulaken einher, wobei nach Angabe Fitzpatricks uber eine Million Bauern auf diese Weise aus den russischen Dorfern entfernt wurden.17 Die Kollektivierung bedeutete die Beschlag- und Wegnahme des bauerlichen Viehbestandes wie Pferden, Kuhen, Schweinen, Schafen und teilweise auch Kleinvieh, Geflugel und Wohngebauden durch staatliche Vertreter, welche sie schlieBlich als Eigentum der Kolchose erklarten.18 Allgemein stellten sich die Kommunisten die Kolchosen als groBe landwirtschaftliche Einheiten vor, in der landwirtschaftliche Prozesse modernisiert und mechanisiert wurden. Auf lokaler Ebene sahen die lokalen Parteifuhrer und stadtischen

Kollektivierungsbrigaden den hochstmoglichen Grad an Kollektivierung an erster Stelle, bei dem die Bauern so wenig Privateigentum wie moglich behalten durften.19 Die Totalkollektivierung war abgesehen von der Zielsetzung der Umstrukturierung der bauerlichen Haushalte in Kolchosen zu Beginn ein relativ leeres Konzept, zu dem es keine systematische Vorbereitung und keine prazise geplanten Inhalte gab.20 Allerdings zeichnete sich laut Merl bei der Einfuhrung der Ablieferungspflicht von Getreide im Jahr 192821 bereits ein sinnvolles Element fur die spatere Kollektivierung der Landwirtschaft ab. Und zwar war dies „die Orientierung auf Vertragsabschlusse mit Landgemeinden, in deren Grenzen man eine gemeinsame Organisation der Produktion und einen gemeinsamen Einsatz des vorhandenen Inventars durchfuhren konnte.“22

Laut Baberowski kam die Idee zur Enteignung und Kollektivierung der Bauern bereits 1928 auf, als Stalin die lokalen Parteifuhrer unter Druck setzte und sie in einen Wettbewerb um die Beschaffung von Getreide und die Einrichtung von Kolchosen zwang, was zu Beginn des Jahres 1930 dann schlieBlich in groBere AusmaBe umschlug.23 Dies hat sicherlich mit dem Plenumsbeschluss des Zentralkomitees vom 17. November 1929 zu tun, bei dem die Opposition eines gemaBigten Bolschewismus endgultig zerschlagen wurde, und der stalinische Weg zur forcierten Kollektivierung und gleichzeitigen Industrialisierung endgultig geebnet worden war.24

In einem Brief von Stalin an Molotov am 5. Dezember 1929 auBert sich Stalin u.a. uber die Kollektivierung von bauerlichen Haushalten und gibt an, dass diese sprunghaft angestiegen ist, wobei es allerdings nicht uberraschend an Maschinen und Traktoren fehle. Doch allein die Zusammenziehung der bauerlichen Gerate habe allein zu einem Anstieg der Aussaatflache gefuhrt, die in manchen Regionen um 50 Prozent angestiegen sei. An der unteren Wolga seien bereits 60 Prozent der bauerlichen Haushalte in Kolchosen umgewandelt worden. Deutlich scheinen fur Stalin hier die Zahlen und der wirtschaftliche und staatliche Kontrollzuwachs von Interesse zu sein, wahrend die eigentliche Enteignung der Menschen keine sonderliche Erwahnung findet.25 Laut Lih sind um den 10. Marz 1929 bereits 58 Prozent der bauerlichen Haushalte in Kolchosen hineingezwungen und viele Bauern verhaftet oder vertrieben worden.26 Obwohl die Kollektivierungsquoten schwindelnde Hohen erreichten, war nach Ansicht Baberowskis das, was als KollektivierungsmaBnahme bezeichnet wurde

„anfangs kaum mehr war als eine ,wilde’ Enteignungs- und Terrorkampagne, die sich nur durch die Anwesenheit der stadtischen Kommunisten und GPU-Truppen27 am Leben erhielt.“28 Wie die Kolchosen intern organisiert sein sollten, wie viel Verdienst und private Besitztumer die Bauern bekommen und haben durften, wie hoch die staatlichen Produktionsabgaben sein sollten und inwiefern der Staat die Kolchosen in schlechten Erntejahren unterstutzen wurde, waren einige der ungeklarten Fragen, die im Interesse der staatlichen, der lokalen Leitung und der Bauern selbst entschieden werden mussten29.

2.2 Soziale Folgen der Kollektivierung

Auf dem Land kam es im Zuge der KollektivierungsmaBnahmen zu massiven Unruhen, deren wahre Dimensionen immer noch unbekannt sind.30 Im GroBen und Ganzen beurteilt Lih die erste Halfte der 1930er Jahre als eine der tragischsten Perioden der russischen Geschichte. Stalins Politik hat nach Angaben des Historikers das Land quasi in einen Burgerkrieg gefuhrt, der Millionen von Opfern forderte.31 Massenverhaftungen, Hinrichtungen durch Exekutionskommandos und Deportationen hatten die Kollektivierungskampagne begleitet.32 Laut Baberowski gingen an der Mittleren Wolga, in der Ukraine und im Kaukasus Einheiten der Roten Armee mit Artillerie und Giftgas gegen rebellische Bauern vor, wobei „[a]llein im Kaukasus [...] bei den Massakern des Jahres 1930 mehrere zehntausend Menschen ihr Leben [verloren].“33 Hunderttausende von Bauernfamilien wurden fur sogenannte „spezielle Umsiedlungen“34 vorgesehen und in abgelegene Teile des Landes gebracht, wo sie schlieBlich ausgesetzt wurden, um dort zu verhungern.35 Diejenigen, die uberlebten, waren unter der Aufsicht der Staatspolizei36 in Arbeitslagem gefangen gehalten worden, wo sie durch harteste Arbeit in der Holz-, Bau-, und Bergbauindustrie ausgebeutet wurden.37

Auch die stadtische Bevolkerung litt unter den MaBnahmen des Regimes. So war es in industriellen Zentren ublich, dass Arbeiter in Baracken oder Erd-Bunkern hausten, dort karge Nahrungsrationen erhielten und knochenschwere Arbeit uber viele Stunden am Tag leisten mussten. Infolge der Totalkollektivierung kam es zwischen 1931 und 33 zu einer massiven Hungersnot, bei der Millionen von Menschen starben.38 Trotz anschlieBender groBer Investitionen stieg die industrielle Produktion nur leicht an.39 Durch die extremen Lebensbedingungen wuchsen die sozialen Spannungen, sodass die Menschen auf dem Land immer starker ihrem Unmut Luft machten, die Kolchosen sabotierten oder ganzlich aus ihnen fluchteten. Die Menschen in den Stadten wurden fur Demonstrationen gegen die Regierung immer offener. In der Konsequenz wurde das stalinistische Regime mehr und mehr mit anti- sowjetischem Gedankengut konfrontiert, worauf dieses mit erneuter Gewalt reagierte.40

3. Der wirtschaftliche Hintergrund der Kollektivierung der Landwirtschaft

3.1 Die Getreidebeschaffungskrise 1928

Schon vor dem Beginn der Kollektivierung der Landwirtschaft und ihrer Organisation in Kolchosen seit 1929 versuchte der Staat, massiven Einfluss auf die Produktion und Ablieferung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu nehmen.41 Das wirtschaftliche Gesamtziel des stalinistischen Regimes war eine Zentralwirtschaft, die auf dem XV. Parteitag im Dezember 192742 mit dem „Funfjahrplan fur Industrialisierung des Landes“ auf den Weg gebracht wurde, und die unter anderem eine staatliche Kontrolle uber die Landwirtschaft anregte.43 Hier hat Molotov laut Baberowski das erste Mal von der „Kollektivierung der agrarischen Produktion“ gesprochen, die wenige Jahre spater schlieBlich auf gewaltsame Weise im groBen Stil begann.44

Von der Seite des Regimes war vor 1928 vorgesehen, dass die Bauern ihr Getreide und andere Produkte vorrangig und freiwillig dem Staat verkauften, welcher die Erzeugnisse dann fur die Versorgung der Stadte und den Export verwendete.45 Das okonomische Ziel lag hierbei darin die Industrialisierung der Stadte durch eine derartige Versorgung zu stutzen und weiter voranzutreiben.46 Dafur wurden Vertrage mit Landgemeinden abgeschlossen, in denen Produktion und Abgaben geregelt wurden.47 Diese sogenannte „Kontrahierung“ der landwirtschaftlichen Erzeugnisse sollte zu einer Steigerung der Agrarproduktion fuhren, indem ein „sozialistischer Produktionsaustausch“ hergestellt werden sollte, welcher ohne die Einflusse eines freien Marktes ungestort verlief. Diese „angestrebte AuBerkraftsetzung der Marktgesetze beruhte auf dem voluntaristischen Verstandnis, dass im Sozialismus keine objektiven okonomischen Gesetze gelten“.48 Die Bereitschaft zu einem freiwilligen Produktionsaustausch mit dem Staat war auf Seiten der Bauern allerdings so nicht vorhanden. Fur sie waren die staatlichen Ankaufpreise zu gering, sodass ein Verkauf auf dem freien Markt letztendlich mehr einbrachte.49 So wollten die Bauern die Marktgesetze also ganz und gar nicht zugunsten eines sozialistischen Staates freiwillig „auBer Kraft gesetzt“ sehen.50 In der Konsequenz bildete sich ein nicht kontrollierbarer Schwarzmarkt fur Getreide heraus.51

Nicht nur bei der Ablieferung selbst, sondern auch in der Organisation der Kontrahierung gab es Schwierigkeiten, da z.B. weder der Umfang noch die vorhandenen Bezugsquellen fur landwirtschaftliche Produkte hinreichend bekannt waren.52 So konnten die materiellen Voraussetzungen der Produktion nicht wie erhofft verbessert werden, wodurch eine Produktionssteigerung auch aus diesem Grund nicht bewirkt werden konnte.53 Durch das Zuruckhalten des Getreides durch die Bauern und die Tatsache, dass die Ernten in den Jahren 1927/192854 nur mittelprachtig ausfielen55, kam es schlieBlich zu einer Getreidebeschaffungskrise, sodass im Winter 1927/28 schlieBlich eine Ablieferungspflicht von Getreide an den Staat eingeführt wurde.56

[...]


1 Baberowski, Jorg: Der Rote Terror, Die Geschichte des Stalinismus, bpb-Schriftenreihe (Bd. 681), Bonn 2007, S. 123.

2 Service, Robert: Stalin. A Biography, London 2004, S. 13 u. 568.

3 Vgl. ebd. S. 3.

4 Vgl. ebd.

5 Vgl. ebd. S. 12.

6 Vgl. ebd. S. 10.

7 Vgl. ebd. S. 12.

8 Vgl. ebd.

9 Vgl. ebd. S. 3.

10 Vgl. ebd. S. 9.

11 Vgl. Service, S. 6.

12 Anm. d. Verf.: Anhanger der bolschewistischen Partei auf der untersten Ebene, namlich des Dorfes.

13 Vgl. Fitzpatrick, Sheila: Resistance and Survival in the Russian Village After Collectivization, Oxford 1994, S. 3.

14 Anm. d. Verf.: Vgl. hierzu Kapitel 4.3 in dieser Arbeit.

15 Vgl. Fitzpatrick, a.a.O., S. 3.

16 Anm. d. Verf.: Vgl. Kap. 4.2 zu diesem Thema.

17 Vgl. Fitzpatrick, a.a.O., S. 3-6.

18 Vgl. ebd. S. 4.

19 Vgl. ebd. S. 8.

20 Vgl. Fitzpatrick, a.a.O., S. 7 und Davies, Robert W. und Stephen G. Wheatcroft: The Years of Hunger: Soviet Agriculture, 1931-1933, New York 2004, S. 348.

21 Anm. d. Verf.: vgl. hierzu Kapitel 3.1.

22 Merl, Stephan: Die Anfange der Kollektivierung in der Sowjetunion. Der Ubergang zur staatlichen Reglementierung der Produktions- und Marktbeziehungen im Dorf (1928-1930), Wiesbaden 1985, S. 53.

23 Vgl. Baberowski, Jorg: Die Kollektivierung der Landwirtschaft und der Terror gegen die Kulaken, in: Themenportal Europaische Geschichte (2007), URL: http://www.europa.clio-online.de/2007/Article=102, 18.12.2008, S. 2.

24 Vgl. Uber die Gruppe des Genossen Bucharin. BeschluB des Plenums des Zentralkomitees der VKP(b), 17. November 1929 in: 100(0) Schlusseldokumente der russischen und sowjetischen Geschichte (1917-1991), URL:http://mdzx.bib-bvb.de/1000dok/dok_0016_buc.pdf, 08.03.2009.

25 Vgl. Lih, Lars T. et al.: Stalin’s Letters to Molotov 1925-1936, New Haven/London 1995, Brief 53, S. 183.

26 Vgl. ebd. S. 187.

27 Anm. d. Verf.: Die GPU bzw. OGPU war der Geheimdienst der Polizei.

28 Baberowski, Die Kollektivierung, a.a.O., S. 2.

29 Vgl. ebd. S. 7/8.

30 Vgl. Lih, a.a.O., S. 187. Anm. d. Verf.: Grunde fur die Unbekanntheit der AusmaBe haben sicherlich u.a. mit der Quellenlage zu diesem Thema zu tun, da Quellen von Seiten des Regimes vom stalinistischen Blickwinkel gepragt waren und die Darstellung der Ereignisse subjektiv verzerrt oder absichtlich ubertrieben oder verharmlost sein konnen. Mehr dazu in Kap. 6.

31 Vgl. ebd.

32 Vgl. ebd.

33 Vgl. Baberowski, Jorg: Der rote Terror, a.a.O., S. 123.

34 Vgl. Lih, a.a.O., S. 224. Anm. d. Verf.: Im Englisch von Lih als„special resettlements’* bezeichnet.

35 Vgl. ebd.

36 Anm. d. Verf.: Bei Lih mit OGPU abgekurzt.

37 Vgl. ebd.

38 Vgl. ebd.

39 Vgl. S. 225.

40 Vgl. ebd.

41 Vgl. ebd.

42 Vgl. Merl, Die Anfange, a.a.O., S. 52.

43 Anm. d. Verf.: Vgl. Stalin, Josef. V.: The Fifteenth Congress of the C.P.S.U.(B.), December 2-19, 1927, in: J. V. Stalin, Internet Library, URL:http://www.marx2mao.com/Stalin/FC27.html#s4, 09.03.2009.

44 Vgl. Baberowski, Der rote Terror, a.a.O., S. 60.

45 Vgl. ebd. S. 60/61.

46 Vgl. Baberowski, Jorg: Die Kollektivierung, a.a.O., S. 1.

47 Vgl. Merl, Stephan: Bauern unter Stalin. Die Formierung des sowjetischen Kolchossystems 1930-1941, Berlin 1990, S.21. Anm. d. Verf.: Dieses Ziel wurde aus Preobrazenskijs „Theorie der ursprunglichen sozialistischen Akkumulation“ entlehnt, welche Wege zur Beschleunigung der Industrie zum Inhalt hatte und zu deren Gelingen eine Ausbeutung der Bauern vorgesehen war. Vgl. hierzu Beyme, Klaus von: Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien 1789-1945, Wiesbaden 2002, S. 932 ff. Evengy Preobrazenskij war der fuhrende Okonom der der Opposition um Leo Trotzki; seine Theorie wurde 1926 vorgestellt. Vgl. Daniels, Robert V.: A Documentary History of Communism. Volume 1. Communism in Russia, 2. uberarb. Auflage, Hanover 1985, S. 175.

48 Vgl. Merl, Die Anfange, a.a.O., S. 53.

49 Ebd. S. 52.

50 Vgl. Baberowski, Die Kollektivierung, a.a.O., S. 1.

51 Vgl. Merl, Die Anfange, a.a.O., S. 89.

52 Vgl. ebd. S. 53.

53 Vgl. ebd.

54 Anm. d. Verf.: Die bereits greifenden ZwangsmaBnahmen bei der Getreidebeschaffung Anfang 1928 verschuldeten sogar selbst einen Verlust an Wintergetreide in diesem Jahr, da regional ein Mangel an Saatgut verursacht wurde. Vgl. Merl, Die Anfange, a.a.O., S. 53.

55 Vgl. ebd. S. 53.

56 Vgl. ebd. S. 31.

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Soziokulturelle Aspekte der Kollektivierung der Landwirtschaft
Untertitel
Kulturrevolution & Kolchose vs. Bäuerliche Lebenswelt & Bäuerlicher Widerstand
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal  (Neuere und Neueste Geschichte)
Veranstaltung
Sozialismus in einem Land. Die Sowjetunion im Stalinismus.
Note
1,3
Autor
Jahr
2009
Seiten
32
Katalognummer
V148715
ISBN (eBook)
9783640593415
ISBN (Buch)
9783640593736
Dateigröße
654 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Themenbereich "Stalinismus", 32 Seiten.
Schlagworte
Soziokulturelle, Aspekte, Kollektivierung, Landwirtschaft, Kulturrevolution, Kolchose, Bäuerliche, Lebenswelt, Bäuerlicher, Widerstand
Arbeit zitieren
Christina Gieseler (Autor:in), 2009, Soziokulturelle Aspekte der Kollektivierung der Landwirtschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148715

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