Civic Education – Eine neue Form des Lernens für zivilgesellschaftliche Kompetenz

"Tu` was für andere und lern` was dabei!"


Diplomarbeit, 2009

112 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Kinder und Jugendliche
1.1 Die Situation von Kindern und Jugendlichen heute
1.1.1 Individualisierung und Pluralisierung der Lebensentwürfe
1.1.2 Verinselte Kindheit
1.1.3 Entscheidungskompetenz
1.2 Die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen
1.2.1 Entwicklung kognitiver Leistungen
1.2.2 Kognitive Defizite im Kindes- und Jugendalter
1.2.3 Die Rolle der Schule für die Entwicklung kognitiver Kompetenzen
1.3 Zusammenfassung

2. Zivilgesellschaft und Engagement
2.1 Was ist eine "Zivilgesellschaft"?
2.1.1 Das Konzept der Zivilgesellschaft
2.1.1.1 Gesellschaft und Individuum in der Zivilgesellschaft
2.1.1.2 Politik in der Zivilgesellschaft
2.1.1.3 Bildungswesen und Schule in der Zivilgesellschaft
2.1.2 Zivilcourage
2.1.3 Zwischenfazit
2.2 Bürgerschaftliches/ Zivilgesellschaftliches Engagement
2.2.1 Motive für zivilgesellschaftliches Engagement
2.2.2 Wirkung von zivilgesellschaftlichem Engagement

3. Partizipation und Politik
3.1 Was ist "Partizipation"?
3.2 Partizipation von Kindern und Jugendlichen
3.3 Partizipation in der Gemeinde
3.3.1 Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Kommunen
3.3.2 Pädagogische Begleitung der Beteiligungsangebote
3.3.3 Zusammenfassung
3.4 Politische Partizipation
3.4.1 Politische Partizipation Jugendlicher
3.4.2 Zusammenfassung

4. Demokratie und Schule
4.1 Was ist "Demokratie"?
4.2 Der demokratische Bürger
4.2.1 Personale Verhaltensnormen
4.2.1.1 Interesse
4.2.1.2 Skepsis
4.2.1.3 Anteilnahme
4.2.2 Soziale Verhaltensnormen
4.3 Schule in der Demokratie
4.3.1 Autonomie von Schule in der Wissensgesellschaft
4.3.2 Schule in der Modernisierungskrise
4.3.2.1 Die Rolle des Lehrers
4.3.2.2 Zusammenfassung
4.3.3 Das deutsche Konzept »Öffnung der Schule«
4.3.4 Politische Bildung in der Schule

5. Civic Education
5.1 Was ist "Civic Education"?
5.2 Konzepte und Methoden von Civic Education
5.2.1 Konzepte der Civic Education in den USA und Kanada
5.2.1.1 Kontraktualistischer Ansatz
5.2.1.2 Tugendethischer Ansatz
5.2.2 Methoden der Civic Education in den USA und Kanada
5.2.3 Konzepte der Civic Education in England
5.2.4 Methoden der Civic Education in England
5.3 Die Bedeutung von Civic Education
5.3.1 Die aktuelle Situation in Deutschland
5.3.2 Die Bedeutung einer Civic Education für Deutschland
5.4 Praxisansätze einer Civic Education in Deutschland
5.5 Elemente einer Civic Education
5.5.1 Kooperatives Lernen
5.5.2 Demokratisches Sprechen
5.5.3 Jugendführungstrainings (Youth Leadership Trainings)
5.5.4 Verantwortung lernen (Service Learning)

6. Service Learning
6.1 Was ist "Service Learning"?
6.1.1 Ablauf der Service Learning Projekte
6.1.1.1 Recherche-Phase
6.1.1.2 Ideen-Phase
6.1.1.3 Planungs-Phase
6.1.1.4 Reflexions-Phase(n)
6.1.1.5 Feedback
6.1.2 Der Aspekt der Teamarbeit in Service Learning Projekten
6.2 Ziele von Service Learning
6.3 Wirkungen von Service Learning
6.3.1 Wirkung von Service Learning auf die Schüler
6.3.2 Wirkung von Service Learning auf benachteiligte Kinder und Jugendliche
6.3.3 Wirkung von Service Learning auf Schule und Schulklima
6.3.4 Wirkung von Service Learning auf die Gesellschaft
6.3.5 Zusammenfassung

Schlusswort

Quellenverzeichnis
Literatur
Internetquellen

Einleitung

"Tu` was für andere und lern` was dabei!" Unter diesem Motto könnte ein Projekt in einer beliebigen deutschen Schule stattfinden: Schülerinnen und Schüler kochen im Zeitraum eines Schuljahres einmal in der Woche für Obdachlose ein Essen. Die bedürftigen Menschen der Stadt bzw. Region bekommen im Rahmen des schulischen Engagements eine warme Mahlzeit. Die Schülerinnen und Schüler lernen dabei wie man eine gesunde Speise zubereitet und serviert. Gleichzeitig erfahren sie aber auch mehr über Obdachlosigkeit und Armut in Deutschland. Mögliche Erfolge, die aus den gesammelten Erfahrungen der einzelnen Projektteilnehmer/-innen erzielt werden können, sind darüber hinaus der Abbau von Schranken, Vorurteilen und Vorbehalten.

Da so ein Projekt nicht ohne die Unterstützung und Hilfe (karitativer) Einrichtungen des regionalen Umfeldes zu finanzieren ist, lernen die Schülerinnen und Schüler durch den Kontakt und Austausch mit den kommunalen Institutionen wie beispielsweise der Caritas, der Diakonie, dem Sozialamt und lokalen Lebensmittelgeschäften die Einrichtungen selbst und deren Funktionen kennen.

Diese Projektvorstellung ist um vielfältige Ideen ergänzbar und kann beispielsweise auch in Zusammenarbeit mit einem Seniorenwohnheim oder einem Behindertenheim stattfinden, in dem die Schülerinnen und Schüler einmal in der Woche für Senioren bzw. für Menschen mit Behinderung kochen. Dabei können sie mehr über Seniorenwohnformen, Behindertenwerkstätten, senioren- oder behindertengerechte Ernährung erfahren.

Werden diese vielfältigen und praktischen Erfahrungen mit schulischer Wissensvermittlung (gesunde Ernährung in Biologie, Mengenberechnungen und Kostenkalkulationen in Mathematik, das Verfassen von Spendenbriefen im Deutschunterricht, die Aneignung von Hintergrundwissen über Armut, den Sozialstaat, die demokratische Staatsform, Solidarität und Barmherzigkeit im Sozialkunde-, Ethik- bzw. Religionsunterricht) verbunden spricht man von einem "Service Learning Projekt". Das Prinzip von Service Learning lautet: "Lernen durch Engagement".

Die wenigsten Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern haben schon einmal von "Service Learning" gehört, geschweige denn an einem solchen Projekt teilgenommen.

Auch ich bin erst zum Ende meines Hochschulstudiums mit der Thematik "Service Learning" als Teil einer "Civic Education" in Berührung gekommen.

Die vorliegende Diplomarbeit will das breite Feld des schulischen Engagements untersuchen. Die zentrale Fragestellung der Arbeit lautet dabei: »Was kann die Schule dazu beitragen, aus Schülerinnen und Schülern zivilgesellschaftlich verantwortungsvolle, an der Gesellschaft und Politik partizipierende Bürger zu machen?«

Im ersten Kapitel "Kinder und Jugendliche" steige ich in die Problematik der Arbeit ein und skizziere die gegenwärtige Situation von Kindern und Jugendlichen1. Herausgestellt wird dabei die Besonderheit ihrer Lebenssituation in der heutigen Zeit.

Ein weiterer Punkt dieses Kapitels ist die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, da sie für deren Partizipationsfähigkeit relevant ist.

Das zweite Kapitel "Zivilgesellschaft und Engagement" geht auf das Konzept einer Zivilgesellschaft ein und verdeutlicht die Relevanz von zivilgesellschaftlichem Engagement. Der Schwerpunkt liegt auf dem Bildungswesen in der Zivilgesellschaft und es stellt sich die Frage: »Welche Veränderungen und Reformen müssen in der Institution Schule vollzogen werden, damit sie dazu beiträgt aus den Schülerinnen und Schülern zivilgesellschaftlich verantwortungsvolle, an der Gesellschaft und Politik partizipierende Bürgerinnen und Bürger zu machen?« Möchte man die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Schule angemessen beurteilen, „muss man bedenken, dass die Schule nicht unabhängig ist von den komplizierten, ebenso chancenreichen wie riskanten gesellschaftlichen Transformationsprozessen der Modernisierung, sondern als Medium und Faktor der Veränderungen selbst ein wichtiger Teil dieser Prozesse ist“ (Edelstein/ Fauser 2001: 20).

"Partizipation und Politik": so lautet der Titel des dritten Kapitels, in dem – im Sinne des in Kapitel Fünf behandelten Konzepts der "Civic Education" – der erste Schwerpunkt auf Partizipation in der Gemeinde liegt. Behandelt werden die Möglichkeiten, Chancen und Grenzen der Beteiligungsangebote.

Der zweite Schwerpunkt liegt auf der politischen Partizipation, deren theoretische Bedeutsamkeit und praktische Wirklichkeit dargestellt wird. Aus den Ergebnissen werden die pädagogischen Konsequenzen gezogen.

„Die demokratische Ausgestaltung einer Gesellschaft ist ein nicht endender Prozess“ (Ogrzall 2004: 31). Das bedeutet, dass Demokratie kein unverlierbarer Besitz ist. Eine Demokratie muss aktiv erhalten und gestaltet werden (vgl. ebd.).

Das vierte Kapitel "Demokratie und Schule" widmet sich der Frage: »Wie kann die Institution Schule dazu beitragen, dass sich Jugendliche zu mündigen Bürgern entwickeln, die aktiv ihre Rechte und Pflichten wahrnehmen?« Im Zentrum der Ausführungen steht dabei die Schule und deren Modernisierungsbedarf. Abschließend wird das deutsche Konzept »Öffnung der Schule« vorgestellt.

Das fünfte Kapitel befasst sich eingehend mit schulischer Bürgerbildung, gemeint ist "Civic Education". In den USA, in Kanada und in England hat das Konzept eine lange Tradition. Ich gehe der Frage nach, inwieweit eine Civic education für Deutschland bedeutsam ist und welche Ansätze es hierzulande bereits gibt. Untermauert werden die Ausführungen durch ein Praxisbeispiel: das BLK-Programm »Demokratie lernen und leben – Schule in der Zivilgesellschaft«.

Das Lehr-Lernkonzept "Service Learning" wird im sechsten Kapitel ausführlich beschrieben. Relevant ist die Frage: »Inwieweit trägt Service Learning dazu bei, aus der heranwachsenden Generation verantwortungsbewusste, zivilgesellschaftlich aktive und demokratische Bürger zu machen?« Der pädagogische Nutzen dieses Konzepts steht im Mittelpunkt der Analyse.

1. Kinder und Jugendliche

1.1 Die Situation von Kindern und Jugendlichen heute

Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist vor allem durch eines geprägt: Vielfalt.

Die Pluralisierung der Lebenslagen meint, dass den Heranwachsenden immer mehr Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ihr Leben und ihren Alltag zu gestalten (vgl. Knauer 1998: 72). Um die dafür benötigte Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu erlangen, bedarf es der vielfältigen Möglichkeit eigenständig Erfahrungen zu sammeln und ihr Handeln eigenverantwortlich zu erproben.

Die Entscheidung Kinder und Jugendliche an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben zu lassen, muss auf verschiedenen Ebenen getroffen werden. Auf gesellschaftlicher Ebene ist von entscheidender Bedeutung, welche Rolle die Gesellschaft der heranwachsenden Generation zugesteht. Auf der politischen Ebene werden die Rahmen abgesteckt, welche die Partizipationsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen maßgeblich bestimmen und auf pädagogischer Ebene ist von Bedeutung, welche Möglichkeiten und Rechte ihnen in der pädagogischen Arbeit zugestanden werden. Maßgeblichen Einfluss auf die ihnen zugestandenen Handlungsfreiheiten hat die Pädagogik selbst. Basiert sie auf der Annahme, dass Kinder unfertige Menschen sind, die erst der Erziehung bedürfen, bevor sie mitbestimmen können oder baut sie auf der Annahme auf, dass sie als gleichberechtigte Partner mit gleichen Rechten gelten (vgl. Knauer 1998: 77f.). Raingard Knauer lässt in seinem Werk »Kinder können mitentscheiden« die Frage offen, ob sich die Pädagogik auch in den oben genannten gesellschaftlichen und politischen Bereichen einmischen darf und ob sie sich an der Diskussion beteiligen darf, welche konkrete politische und gesellschaftliche Bedeutung Kindern und Jugendlichen zukommt (vgl. Knauer 1998: 78).

Im Zusammenhang mit dem Thema der Arbeit sind jene Bereiche von kindlichen bzw. jugendlichen Lebenswelten interessant, die mit Partizipation in Verbindung stehen. Die zunehmende Bedeutung der Beteiligung der heranwachsenden Generation an sozialen und politischen Prozessen hängt mit den zwei gesellschaftlichen Entwicklungen "Individualisierung" und "Pluralisierung" zusammen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2002: 44f.). Analog dazu wird die Fähigkeit zur Teilhabe und Teilnahme an gesellschaftlichen und politischen Prozessen immer bedeutsamer und muss Teil der pädagogischen Arbeit werden (vgl. Knauer 1998: 72).

1.1.1 Individualisierung und Pluralisierung der Lebensentwürfe

Die Freiheit zwischen unterschiedlichen Möglichkeiten wählen zu können birgt eine Vielzahl an Chancen, aber auch viele Risiken (vgl. Holtkamp/ Bogumil/ Kissler 2006: 93). Denn wenn man sich für etwas entscheidet impliziert das, dass man sich gegen etwas anderes entscheidet. Ein eigener Lebensentwurf muss erst von den Jugendlichen entwickelt werden – hier spricht man von einer Individualisierung der Lebensführungen (vgl. Knauer 1998: 72). Ulrich Beck versteht Individualisierung als „Auflösung und Ablösung industriegesellschaftlicher Lebensformen (Klasse, Geschlechterrolle, Familie). Die Individuen müssen nach Beck ihre Biografie selbst herstellen“ (Holtkamp/ Bogumil/ Kissler 2006: 93). Einflussnehmende Faktoren sind bei diesem Prozess die Familie, die Gleichaltrigengruppe und die Medien.

Die Pluralisierung biografischer Lebensentwürfe zeichnet sich durch eine Zunahme individueller Lebensstile aus. Kinder und Jugendliche haben vielfältige Möglichkeiten ihr Leben auszugestalten.

Sie schließt jedoch soziale Ungleichheit nicht aus. Zwar haben alle Jugendlichen diese Wahlfreiheiten, aber Jugendliche aus ökonomisch gesicherten und sozial stabilen Familien haben mehr Chancen sich die Vielfalt der Möglichkeiten zu nutze zu machen (vgl. Knauer 1998: 73).

1.1.2 Verinselte Kindheit

Unter "Verinselung von Kindheit" wird ein seit längerer Zeit zu beobachtendes Phänomen bezeichnet, welches sich dadurch kennzeichnen lässt, dass Kinder zunehmend eigene "Kinderräume" haben (vgl. Knauer 1998: 74). Diese eigenen Räume, beispielsweise Kinderspielplätze, werden aber in der Regel von Erwachsenen – und nach deren speziellen Bedürfnissen – gestaltet. Gerade bei dem Beispiel Kinderspielplätze kann angeführt werden, dass der Ort an dem ein Kinderspielplatz angelegt wird, meist etwas außerhalb einer Wohnsiedlung liegt. Mit dem Hintergrund, dass durch den "Lärm", den die spielenden Kinder erzeugen, die erwachsenen Anwohner nicht gestört werden. Oder die Tatsache, dass es Kinderspielplätze mit Öffnungszeiten gibt, damit die Erwachsenen Mittagsruhe halten können. So kann das gegenseitige Unverständnis zwischen den Generationen immer größer werden (vgl. Knauer 1998: 74).

Die Kinder erleben ihre Lebenswelt (ihre Wohnung, ihren Kindergarten bzw. ihre Schule, das Einkaufszentrum, Verwandte usw.) selbst als funktionale "Inseln" zwischen denen sie pendeln. Oftmals geht mit der Verinselung der Lebenswelt auch eine Verinselung sozialer Art einher, d.h. sie treffen in den unterschiedlichen Inseln auf unterschiedliche Kinder- bzw. Menschengruppen, die außerhalb der jeweiligen Insel in der Regel nichts miteinander zu tun haben (vgl. Knauer 1998: 75).

1.1.3 Entscheidungskompetenz

Das Gesellschaftssystem verlangt bereits sehr früh von Heranwachsenden die Kompetenz sich entscheiden zu können. Dafür bedarf es der Fähigkeit sich einen Überblick über die verschiedenen Auswahlmöglichkeiten für die Gestaltung des individuellen Lebensentwurfs zu verschaffen. Von Kindern und Jugendlichen wird erwartet, dass sie in der Lage sind anhand von unterschiedlichen Auswahlkriterien eine Entscheidung zu treffen, unter Berücksichtigung und Abwägung der Konsequenzen, die ihre Entscheidung mit sich bringt und unter dem Wissen, dass sie für ihr Handeln und ihre Entscheidung zur Verantwortung gezogen werden (vgl. Knauer 1998: 75).

Es liegt nahe, dass es bei Kindern und Jugendlichen schnell zu einer Überforderung ihrer Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit kommen kann. Aus diesem Grund ist es von Belang, orientiert an ihrem individuellen Entwicklungsstand ihnen Entscheidungsmöglichkeiten einzuräumen und sie dabei in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Eine Entwicklungshilfe welche Erwachsene den Heranwachsenden geben können, ist der Aufbau eines moralischen Kategoriensystems. Moralische Kriterien sollten nicht zufällig, z.B. unter Einfluss von Medien entwickelt werden, sondern bewusst in Auseinandersetzung mit Erwachsenen entstehen2 (vgl. Knauer 1998: 75f.).

Werden Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung ihrer Entscheidungskompetenzen begleitet und unterstützt, können die damit einhergehenden Risiken und Gefahren minimiert werden. Die Entscheidungskompetenzen von Kindern und Jugendlichen bieten reichhaltige Möglichkeiten und Chancen in Bezug auf deren Partizipationsverhalten und erlangen deshalb zunehmend Bedeutung (vgl. Knauer 1998: 79).

1.2 Die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen

Die Partizipationsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen wird nicht nur durch die Entwicklung von sozialen Kompetenzen, sondern auch durch die Entwicklung kognitiver Fertigkeiten geprägt (vgl. Oerter 2001: 37). Im Folgenden werden ausschließlich die für Partizipation und Engagement sowie moralische und politische Urteilsfähigkeit relevanten kognitiven Fähigkeiten genannt.

1.2.1 Entwicklung kognitiver Leistungen

Es existiert ein direkter Zusammenhang zwischen Selbsterkenntnis und Einfühlungsvermögen. Das bedeutet, dass ein Kind erst Empathie entwickeln kann, wenn es sich selbst im Spiegel erkennen kann. Diese kognitive Leistung erlangen Kleinkinder ab dem zweiten Lebensjahr (vgl. Oerter 2001: 37). Das Kind entwickelt ab diesem Zeitpunkt auch ein Grundverständnis für moralisches Verhalten. Es weiß beispielsweise, dass ein anderes Kind Schmerzen empfindet, wenn es ihm weh tut und dass es selbst mit seinem Verhalten den Schmerz verursacht hat.

Formal-logisches Denken ist eine neue Denkstruktur die sich erst im Jugendalter entwickelt (vgl. Oerter 2001: 40). Jugendliche sind in der Lage von einer bestimmten Annahme oder Ausgangsposition auszugehen und sie besitzen darüber hinaus die Fähigkeit deduktiv Schlussfolgerungen zu ziehen (vgl. Oerter 2001: 40).

Das formal-logische Denken ist bereichsspezifisch. Rolf Oerter erläutert, dass es im mathematischen Bereich gut ausgeprägt sei, während es im Bereich der Politik eher schlecht ausgeprägt sei (vgl. Oerter 2001: 40).

Wie man mit Widersprüchen umgeht, die sich logisch nicht auflösen lassen, lernen Individuen im späten Jugendalter. Als dialektisches Denken bezeichnet man Überlegungen, wie man Gegensätze die zusammengehören (wie beispielsweise Tag und Nacht oder Beruf und Familie usw.) zu einer Synthese vereinen kann. Dialektisches Denken hat eine besondere Bedeutung bei der Ausbildung von Wertüberzeugungen und bei divergierenden Lebensplänen (vgl. Oerter 2001: 40).

1.2.2 Kognitive Defizite im Kindes- und Jugendalter

Kognitive Defizite liegen aufgrund des Zusammenhangs von Wissen und Denken vor: „Das Denken nährt sich aus dem Wissen. Je mehr jemand in einem Gebiet weiß, desto besser kann er darin denken. […] Es ist ein enormes Wissen nötig, um richtig denken zu können, um zur richtigen Schlussfolgerung, zum richtigen Urteil kommen zu können“ (Oerter 2001: 42).

Wissenspsychologische Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass Kinder als universelle Novizen bezeichnet werden können. Sie lernen in verschiedenen Bereichen unterschiedlich viel bzw. unterschiedlich wenig. Den Kindern fehlt es noch an Detailwissen in den einzelnen Bereichen. Aus diesem Grund fällt es ihnen schwer richtige Schlussfolgerungen zu ziehen. Erst mit dieser Fähigkeit kann Handlungswissen aufgebaut werden (vgl. Oerter 2001: 42).

Ist das nötige Handlungswissen angeeignet, können Kinder und Jugendliche an verantwortungsvolles Handeln und partizipative Aktivitäten herangeführt werden. Dabei sollen sie sich für ihr Handeln verantwortlich fühlen und sich der Folgen ihrer Taten bewusst werden. „Kinder und Jugendliche verstehen frühzeitig unter Verantwortung das Einstehen für die Konsequenzen des eigenen Handelns“ (Oerter 2001: 47). Die Zeitspanne die zwischen Handlung und Handlungskonsequenzen liegt, spielt für junge Menschen eine besondere Rolle. Handlungskonsequenzen sollten von Kindern und Jugendlichen möglichst rasch erfahren werden, damit der Zusammenhang zwischen Handlung und Folge nicht verloren geht (vgl. Oerter 2001: 48). Diese Erkenntnis sollte vor allem bei partizipatorischen Aktivitäten berücksichtigt werden, wobei zum Beispiel die Mitwirkung am Schulleben, die Teilnahme am politischen Geschehen und die Partizipation an der Dorf- und Stadtplanung Effekte hervorbringen muss, die möglichst bald sichtbar werden.

Die Bildung spielt bei der Entwicklung von kognitiver Leistung und damit auch bei möglichen Defiziten eine zentrale Rolle (vgl. Oerter 2001: 43). Kinder mit niedrigem Bildungsniveau sind bei der Entwicklung kognitiver Kompetenzen benachteiligt. In der Konsequenz lassen sich klare Zusammenhänge zwischen Jugendkriminalität, Jugenddelinquenz und dem Bildungsniveau bzw. dem Schulschwänzen aufzeigen (vgl. Wilmers et al. 2002: 11). Mit wachsendem Bildungsniveau steigt auch der Grad an kognitiven Fertigkeiten und verantwortungsvollem Handeln. Somit kommt der Schule als Bildungsinstitution bei der Entwicklung kognitiver Fertigkeiten von Kindern und Jugendlichen eine wichtige Funktion zu.

1.2.3 Die Rolle der Schule für die Entwicklung kognitiver Kompetenzen

Der Schulbesuch spielt in dreierlei Hinsicht eine Rolle im Zusammenhang mit der Entwicklung kognitiver Kompetenzen. Der erste Aspekt sind die Auswirkungen des Schriftsprachenerwerbs auf die kognitive Entwicklung. Der zweite Aspekt umfasst die Veränderung des Gedächtnisses bei Kindern und Jugendlichen. Durch das Lernen in der Schule wird eine neue Gedächtnisform aufgebaut: das semantische Gedächtnis. Die Gedächtnisinhalte werden gemäß ihrer Logik, gemäß ihrer fachlichen Ordnung und entsprechend ihrer kulturell vorgegebenen Struktur geordnet und gespeichert (vgl. Oerter 2001: 45). Aus dem ersten und dem zweiten Gesichtspunkt resultiert der dritte Aspekt. Dieser betrifft den Aufbau logisch-deduktiver Denkleistungen. „Bereits Piaget fand heraus, dass das formallogische Denken nicht bei allen Jugendlichen auftritt, sondern vorwiegend bei solchen mit höherer Schulbildung“ (Oerter 2001: 45). Sowohl die Dauer als auch die Qualität des Schulbesuchs beeinflussen die Voraussetzungen für bessere Berufschancen und unter dem anthropologischen Aspekt auch die kognitiven Fähigkeiten. Eine optimale kognitive Entwicklung ist im Zusammenhang mit Partizipation besonders wünschenswert (vgl. Oerter 2001: 45f.).

1.3 Zusammenfassung

Im Sinne der Pluralisierungs- und Individualisierungsthese stellt die Gesellschaft enorme Anforderungen an Kinder und Jugendliche. Der bedeutsame Erwerb von Lebensführungskompetenzen, wie Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit oder der Fähigkeit sich entscheiden zu können, kann und muss von den verschiedenen Sozialisationsinstanzen (vor allem der Familie und der Schule) unterstützt werden. Erfordernis hierfür ist die Bereitstellung überschaubarer Proberäume.

Die Schaffung von geeigneten Übungsfeldern, in denen neben kognitiven Fähigkeiten auch partizipatorische Fertigkeiten erprobt werden können, ist wichtige Aufgabe der Schule. Die Vorbereitung der Kinder und Jugendlichen auf das Leben als erwachsener, verantwortungsvoller Bürger bzw. als Bürgerin gelingt am Besten in der Praxis durch eine unter Aufsicht und Anleitung schrittweise Verantwortungsübernahme. Ein Beispiel wie ein solches Konzept aussehen kann bietet Civic Education.

2. Zivilgesellschaft und Engagement

2.1 Was ist eine "Zivilgesellschaft"?

Der Begriff "Zivilgesellschaft" weist eine Doppelkonstruktion seiner Funktion auf: die deskriptive Dimension umfasst die Zustandsbeschreibung der Gegenwartsgesellschaft und die normative Dimension umfasst die Utopie bzw. die Erwartung an gesellschaftliche Verhältnisse, die sich durch das Merkmal "Zivilisierung" kennzeichnen lassen (vgl. Holtkamp/ Bogumil/ Kissler 2006: 51).

Jürgen Nautz definiert "Zivilgesellschaft" normativ als gesellschaftlichen Zustand, „in dem Probleme vor allem und zuerst unmittelbar in der Gesellschaft gelöst werden und nicht überwiegend oder gar ausschließlich vom Staat“ (Nautz zitiert nach Kampits 2006: 45). Jürgen Kocka liefert eine deskriptive und gleichzeitig sozialgeschichtlich inspirierte Definition von "Zivilgesellschaft": „»Zivilgesellschaft« bezeichnet »einerseits den weitgehend selbstregulierten sozialen Raum bürgerschaftlichen Engagements zwischen Staat, Ökonomie und Privatsphäre, andererseits ein immer noch nicht eingelöstes Zukunftsprojekt menschlichen Zusammenlebens in der Tradition der Aufklärung«“ (Kocka zitiert nach Holtkamp/ Bogumil/ Kissler 2006: 51).

Im Wortursprung "zivil" steckt mehr als der Gegenbegriff zu "militärisch"; "zivil" stellt auch das Gegenteil von "wild", "roh", "barbarisch" und "unkultiviert" dar und beinhaltet damit Synonyme wie "kultiviert", "höflich", "nicht gewalttätig" und "respektvoll" (vgl. Kampits 2006: 44).

Hinter dem prinzipiell positiv und fortschrittlich bewerteten Begriff "Zivilgesellschaft" verbergen sich aber auch unterschiedliche entwicklungspolitische Vorstellungen, die zum Teil als nicht fortschrittlich, nicht demokratisch bzw. nicht humanistisch eingestuft werden müssen (vgl. Ruf 2006: 65).

In Bezug zur vorliegenden Arbeit wird "Zivilgesellschaft" sowohl in ihrer deskriptiven als auch in ihrer normativen Funktion verstanden, einerseits als erstrebenswerter gesellschaftlicher Zustand nach der Definition von Nautz, jedoch auch als bereits existierender sozialer Raum nach Kocka.

2.1.1 Das Konzept der Zivilgesellschaft

Der Begriff "Zivilgesellschaft" weist eine große Bandbreite an Bedeutungszuschreibungen auf und wird in der Literatur zum Teil als Passepartoutbegriff bzw. als Leerformel abgetan (vgl. Kampits 2006: 44). Trotz seiner Vielseitigkeit ist der Begriff "Zivilgesellschaft" für eine wissenschaftliche Diskussion nicht unbrauchbar (vgl. Holtkamp/ Bogumil/ Kissler 2006: 51).

Mit "ziviler Gesellschaft" werden allerhand Merkmale und Unterbegriffe verbunden, einige Beispiele seien genannt: die Idee freier und gleicher Bürgerinnen und Bürger, neben gesellschaftlichen Reformen und Demonstrationen auch zivile Initiativen, Bürgerversammlungen, des weiteren Gemeinschaftswerte, Protest gegen die Bedrohung bürgerlicher Rechte, die identitätsstiftende Zugehörigkeit zu Gesinnungsgemeinschaften, die Zurückdrängung staatlicher Bürokratie und Einflussnahme, aber auch Selbstbestimmung und die freie Gestaltung politischer Rechte gehören dazu (vgl. Kampits 2006: 44).

Die Zivil- bzw. Bürgergesellschaft stellt allgemein formuliert einen Bereich des politischen Lebens dar, der zwischen Staat und Privatsphäre anzusiedeln ist. In ihm nehmen die Gesellschaftsmitglieder ihre persönlichen Anliegen und die ihrer Mitmenschen selbst in die Hand und gestalten die Gesellschaft somit aktiv mit (vgl. Weber-Hejtmanek 2006: 84).

Die zivile Gesellschaft erstarkt besonders in den gesellschaftlichen Sektoren, in denen sich das Bewusstsein entwickelt welche Stärke in gemeinsamer aktiver Selbstorganisation der Gemeinschaft liegt und wo die Grenzen der staatlichen, ökonomischen und familialen Einflussnahme liegen. Die Bedeutung der Zivilgesellschaft wächst, wenn Instanzen wie die Familie und die staatliche Schule ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen (können), weil sie mit der fortschreitenden Globalisierung, Individualisierung und dem Wertewandel nicht mehr umsetzbar sind (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 25).

Der zivilgesellschaftliche Sektor gewinnt infolgedessen an Einfluss. Dazu gehören NGOs (Non-governmental organizations), aber auch Aktionsformen, wie beispielsweise feministische Bewegungen oder Gruppierungen von Minderheiten, in denen Mitglieder der Gesellschaft als Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte einfordern (vgl. Kampits 2006: 44).

Ziel des zivilgesellschaftlichen Konzepts ist es, dass möglichst viele Menschen an der Gesellschaft partizipieren können, während möglichst wenige Menschen ausgegrenzt werden. Das Konzept der Zivilgesellschaft sucht für die Verwirklichung dieses Ziels nach der Antwort auf die Leitfrage: »Wie müssen gesellschaftliche Institutionen verändert werden und welche Veränderungen müssen darüber hinaus geschehen, damit genau diese Einrichtungen die Bürgerinnen und Bürger aktivieren und zu Partizipation und Engagement motivieren?« (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 26).

Für die vorliegende Arbeit lautet die Fragestellung wie folgt: »Welche Veränderungen und Reformen müssen in der Institution Schule vollzogen werden, damit sie dazu beiträgt aus den Schülerinnen und Schülern zivilgesellschaftlich verantwortungsvolle, an der Gesellschaft und Politik partizipierende Bürgerinnen und Bürger zu machen?«3

2.1.1.1 Gesellschaft und Individuum in der Zivilgesellschaft

Das Konzept der Zivilgesellschaft basiert auf dem Verständnis des Menschen als selbstständiges und selbsttätiges Wesen (vgl. Elsen 2000: 108). Die Idee der Zivilgesellschaft funktioniert nicht mit einer Kultur der Abhängigkeit (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und die Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 26). Die zivilgesellschaftliche Struktur bildet folglich aktive Bürgerinnen und Bürger, die in gesellschaftlicher Selbstorganisation die allgemeinen gesellschaftlichen Interessen vorantreiben (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 25).

Der Status des Bürgers beinhaltet aber nicht nur das Recht auf die Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen und die Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand in Form von Absicherungen des Sozialstaates, sondern impliziert auch die Pflicht zur Verantwortungsübernahme (vgl. Elsen 2000: 107).

Die einzelnen Gesellschaftsmitglieder sind auf die Gemeinschaft angewiesen, da jene sie für ein erfülltes Leben benötigen. Aber auch die Gemeinschaft ist auf ihre Mitglieder angewiesen. Beide profitieren voneinander, wenn sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger an öffentlichen Angelegenheiten der Gesellschaft beteiligen. Durch die Partizipation erlangt das Individuum erst den Status eines Gesellschaftsmitglieds. Jedes Individuum hat das Recht auf eine sinnvolle Aufgabe in der Gemeinschaft und die Gesellschaft als Ganzes hat die Pflicht, jene benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 27).

Der Grundgedanke zivilgesellschaftlicher Gestaltung ist eine gesellschaftliche Selbststeuerung durch Netzwerke zivilgesellschaftlichen Engagements. Dieter Filsinger spricht von einer "Vergesellschaftung von unten" (vgl. Filsinger 2000: 55). „Die moderne Zivilgesellschaft wird durch Formen der Selbstkonstitution und der Selbstmobilisierung hervorgebracht“ (Weber-Hejtmanek 2006: 84).

Diese Netzwerke zivilgesellschaftlichen Engagements sind freiwillige Zusammenschlüsse von Bürgerinnen und Bürgern und stellen die kollektiven Akteure der Zivilgesellschaft dar (vgl. Filsinger 2000: 55). Sie erscheinen aber unter demokratietheoretischen Aspekten nicht unproblematisch: denn diese Organisationen bearbeiten meist nur bestimmte gesellschaftliche Problemlagen wie Menschenrechtsfragen und Ökologieprobleme. Sie sind also sehr einseitig ausgerichtet und die politische Durchsetzung der Forderungen und Ziele hängt in hohem Maße von der Stärke der jeweiligen Gruppierung und ihren Unterstützern ab (Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 65f.).

Eine zivilgesellschaftliche Gestaltung der Gesellschaft zielt also auf die Befähigung ihrer Mitglieder sich für eigene Interessen und die der anderen Gesellschaftsmitglieder einzusetzen und an den Abhandlungen von allgemein interessierenden Aufgaben und Problemen teilzunehmen und einen Beitrag zur Lösungsfindung beizusteuern ab. Gemeint sind Aufgaben und Probleme, die dem Anspruch einer Gemeinwohlorientierung standhalten können bzw. der Umsetzung sozialer Gerechtigkeit dienen und keine Einzelinteressen verfolgen (vgl. Filsinger 2000: 55).

Für das Individuum sind zwei Kompetenzen von entscheidender Bedeutung: es muss während des Teilhabeprozesses Orientierungs- und Reflexionswissen erwerben und kompetent anwenden können. In modernen, zivilen und pluralistischen Gesellschaften ist dieses Wissen und die daraus resultierenden Fähigkeiten unabdingbar, um einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten und diesen auch angemessen vertreten zu können. Aber auch um in der Lage zu sein, seinem eigenen Standpunkt kritisch zu begegnen und ihn gegebenenfalls zu relativieren (vgl. Kampits 2006: 53).

2.1.1.2 Politik in der Zivilgesellschaft

Es ist unter anderem die Aufgabe der Politik sich für die erfolgreiche Implementierung zivilgesellschaftlicher Prozesse einzusetzen. Politische Konzepte (wie zum Beispiel der »aktivierende Staat«) dienen der Umsetzung politischer Anforderungen, die wiederum der Aktivierung zivilgesellschaftlicher Impulse und Potentiale dienen. In politischen Debatten müssen Fragen der staatlichen Ordnungspolitik immer wieder auf dem Programm stehen, neu beantwortet und deren Ergebnisse umgesetzt werden (vgl. Heinrich- Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 27). „Teilhabe und bürgerschaftliche Verantwortungsübernahme setzt die Ausweitung gesellschaftlicher Beteiligungsmöglichkeiten und die Demokratisierung der Entscheidungsfindung […] voraus“ (Elsen 2000: 109). Denn auch die Zivilgesellschaft benötigt attraktive und fördernde Rahmenbedingungen, die zum Beispiel durch finanzielle Unterstützung des Staates zu schaffen sind. Darüber hinaus gilt es aber auch die regionalen Ressourcen (wie vorhandenes Interesse, bestehende Bedürfnisse, verfügbare Aktivitäten und Kommunikationsformen) zu erfassen und auszuschöpfen (vgl. Weber-Hejtmanek 2006: 84f.).

„Selbstständigkeit und Selbstverwirklichung, gepaart mit sozialem Engagement und Gemeinsinn, entwickeln sich zu allgemein geteilten Lebenszielen. Sie bedürfen als solche einer intensiven, staatlichen Unterstützung. Allein schon um die Motivation aufrecht zu erhalten, sich in diesem Kontext zu engagieren und zu lernen, ist es angemessen, die für Bildung bereitgestellten Ressourcen lokal, bürgernah und auch privat verfügbar zu machen“ (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 29).

Abschließend bleibt anzumerken, dass Zivilgesellschaften eine Erneuerung des demokratischen Miteinanders anstreben (vgl. Kampits 2006: 46). Dafür ist es notwendig, dass die Politik ihre derzeit angewandte Methodik ändert, wenn sie die Bürgerinnen und Bürger dazu motivieren will an politischen Entscheidungen teilzuhaben. Die Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung spricht in ihren Empfehlungen von ganzheitlichem Denken der Politik, anstelle der Perspektive einzelner Zuständigkeiten oder Förderpläne und bringt somit die Idee einer Politik der "Moderation" und weniger der "Steuerung" in die Diskussion um die Zivilgesellschaft ein (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 27).

Das Konzept einer zivilen Gesellschaft spielt gerade im Zeitalter zunehmender Globalisierung, Individualisierung und Privatisierung, bei gleichzeitigem Rückzugs des Staates aus gesellschaftspolitischer Verantwortung eine entscheidende Rolle (vgl. Ruf 2006: 67). „Die zivilgesellschaftliche Forderung „Weniger Staat – Mehr Gesellschaft“ heißt auf der einen Seite ein Zurückdrängen staatlich-institutioneller Eingriffe, Kontrollen und Reglementierungen, auf der anderen Seite die Erweiterung individueller und kollektiver Freiräume zum Aufbau neuer Strukturen dezentraler Steuerung“ (Elsen 2000: 111). Aber Zivilgesellschaften können kein Ersatz für formale Politik in demokratischen Systemen sein, sondern Zivilgesellschaften müssen sich in erster Linie für die Stärkung demokratischer Kontrolle und rechtsstaatlicher Verfahren einsetzen (vgl. Ruf 2006: 67).

2.1.1.3 Bildungswesen und Schule in der Zivilgesellschaft

Da das Konzept der Zivilgesellschaft ihren Bürgerinnen und Bürgern eine sehr hohe Selbstständigkeit abverlangt und damit ein hohes Maß an Eigenverantwortung voraussetzt, muss gesichert werden, dass alle Individuen die Chance erhalten diese Fähigkeiten zu erlangen.

Der Staat, der den Rahmen einer Zivilgesellschaft bildet, kann die Ungleichheit zwischen Bürgerinnen und Bürgern zwar nicht aufheben, aber der Sozialstaat wird in dem Moment benötigt, wenn von den Bürgerinnen und Bürgern die Mitgestaltung und das Mittragen der zivilen Gesellschaft und der Demokratie verlangt wird. „Sozialbürgerschaft ist Voraussetzung für ziviles Engagement“ (Elsen 2000: 106).

Bildung ist also ein bedeutsamer Kontext der zivilgesellschaftlichen Gestaltung und damit wesentliche Voraussetzung für die Ermächtigung der Bürgerinnen und Bürger sich für ihre eigenen Interessen und Belange sowie für die ihrer Mitmenschen aktiv einzusetzen und in dieser Hinsicht (wieder) Handlungsfähigkeit zu erlangen (vgl. Filsinger 2000: 56). Dabei vollzieht sich das Lernen in einer und für eine zivile Gesellschaft sowohl als individueller, aber auch als gemeinschaftlicher Prozess. Ein Prozess „der Ermächtigung, der Wiedergewinnung von Handlungsfähigkeit und der Erschließung von Handlungsoptionen“ (Elsen 2000: 115).

Erfordernis und Bedingung einer Zivilgesellschaft sind Freiräume für Denken, Reflexion, Kritik, Besinnung und Freiheit (vgl. Kampits 2006: 53).

Der Begriff "Bildung" ist jedoch ähnlich unscharf wie jener der "Zivilgesellschaft". Aus diesem Grund muss Bildung im Zusammenhang mit der Gestaltung einer zivilen Gesellschaft neu definiert werden. Die Grundpfeiler der Bildung, die in Beziehung mit der Entfaltung der Fähigkeiten zur Erkenntnis, Reflexion, Wissenserwerb, Kritikfähigkeit, Wahrheitssuche und Freiheit stehen, müssen ebenfalls neu ausgerichtet werden (vgl. Kampits 2006: 52).

Die Individuen sollen im Lernprozess zur selbstverantwortlichen Organisation eigener und gemeinsamer Belange befähigt werden. Dabei ist Bildung weniger ein qualifikations- und wissensbezogener Prozess, sondern vielmehr ein problembezogener Prozess. Der Lernende soll während der Lernaktivitäten zur kollektiven Bewältigung lebenspraktischer Probleme ermächtigt werden. Wissensvermittlung ist immer ein Teil von Bildung, aber nur in Kombination mit erfahrbarem und reflexivem Lernen sinnvoll (vgl. Elsen 2000: 114).

In der sozialen Wirklichkeit ist Bildung jedoch meist ein reiner qualifikations- und wissensbezogener Prozess, bei dem die Verknüpfung zum gesellschaftlichen Kontext fehlt.

Das Bildungssystem hat noch eine weiter Schwachstelle: es kann den Lernenden keine Chancengleichheit gewähren. Die Möglichkeiten zur Gestaltung der eigenen Bildungsbiographie sind nach Einschätzung der Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung sehr ungleich verteilt (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 27). Auch Dieter Filsinger spricht von der ungleichen Verteilung des ökonomischen und kulturellen Kapitals (Besitz und Bildung) im Raum des zivilgesellschaftlichen Engagements. Er verweist darauf, dass unter den ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern der Anteil, der aus höheren Bildungsschichten stammenden und mit einer soliden materiellen Basis ausgestatteten Bürger deutlich größer ist (vgl. Filsinger 2000: 56).

Die Ursache für die ungleiche Verteilung der Bildungschancen wird in Individualisierungs- und gesellschaftlichen Differenzierungsprozessen gesehen, welche die Gesellschaft zu einem stark heterogenen, pluralen und multikulturellen Gebilde machen (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 28).

Bildung steht nicht nur für Humankapital auf dem Arbeitsmarkt, sondern stellt auch eine der bedeutsamsten Ressourcen für die Bewältigung des Lebens dar. Bildung und Erziehung befähigen erst zur Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und an gesellschaftlichen Prozessen (vgl. Filsinger 2000: 57) und werden damit zur grundlegenden Bedingung für ein funktionierendes soziales Leben in einer Gesellschaft. Demnach ist die zivilgesellschaftliche Gestaltung einer Gesellschaft und damit die humane Gestaltung des menschlichen Zusammenlebens als ein Bildungsprojekt zu bezeichnen, zu dessen Umsetzung sich die Schulen verpflichtet haben (vgl. Filsinger 2000: 57).

Die Umsetzung zivilgesellschaftlicher Ambitionen gelingt nicht ohne Veränderungen in den Sektoren des Bildungswesens und damit nicht ohne eine Neu- bzw. Umgestaltung in der Schule bzw. in den Schulen selbst4.

2.1.2 Zivilcourage

Eine Zivilgesellschaft lebt von Bürgerinnen und Bürgern mit sozialem Mut. Sozialen Mut zu besitzen bedeutet „Nein“ zu sagen, auch wenn das Unrecht „von oben“ kommt. Es bedeutet einem anderen Menschen beizustehen, wenn sie benachteiligt, gedemütigt oder verletzt werden und es bedeutet generell einzugreifen, wenn die Menschenwürde angetastet wird (vgl. Singer 2006: 73). Sozialer Mut bedeutet Zivilcourage zeigen. Dabei stellt Zivilcourage nicht nur eine Handlung, eine Reaktion oder ein Verhalten dar, sondern sie ist eine Tugend. Der zivile Mut veranlasst Menschen dazu nicht wegzuschauen, sondern Hilfsbereitschaft zu leisten. Diese Kraft Gutes zu tun erwächst aus humanen Wertvorstellungen (vgl. Singer 2006: 76).

Es sind Vorbilder, die Menschen zu Zivilcourage ermutigen. Was die heranwachsende Generation in der Schule lernt sind aber eher gegenteilige Handlungsmuster und Wertvorstellungen. Anstatt Mut lernen sie Autoritätsangst und Ohnmacht gegenüber der Obrigkeit (vgl. Singer 2006: 80). „Diese Diskrepanz zwischen moralischen Idealen und dem Mangel an Mut und Engagement im Alltag verfestigt sich […], wenn Zivilcourage oder sozialer Mut nicht schon in der Kindheit gelernt und geübt wurden. Kinder müssen lernen, ihre Meinung zu vertreten, und es ertragen können, wenn sie damit nicht immer auf die Zustimmung von anderen stoßen“ (Dambach 2005: 9f.).

Es ist Aufgabe der Schule die Bürgerinnen und Bürger von morgen zu sozialer Verantwortung zu erziehen. Eine Schulklasse stellt ein durchaus geeignetes Übungsfeld für das Erlernen und Erproben von Zivilcourage dar.

Neben der Schule sind auch die Eltern für das Erlernen von sozialem Verhalten ihrer Kinder gefordert. Ethische Grundlagen des Sozialverhaltens sind von den Eltern zu vermitteln, um damit die Zivilcourage zu fördern.

Eine Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule bietet sich beim Kampf gegen soziale Gleichgültigkeit und bei der Erziehung zur couragierten Menschen an. Zivilcourage kann nach Karl E. Dambach spielerisch im Kindes- und Jugendalter in der Gruppe erlernt werden (vgl. Dambach 2005: 7). Dabei versteht er "Zivilcourage" nicht als große Heldentat, „sondern [als] den alltäglichen Mut, mit dem man sich gegen Diskriminierung durch andere Personen oder gegen Gruppen wehrt“ (Dambach 2005: 7).

Die Autoren des Buches »Zivilcourage lernen in der Schule« Karl E. Dambach und die Mitarbeiterinnen Claudia Tauscher und Nicole Wilhelm haben ein Konzept entwickelt, mit dem man Zivilcourage bei Kindern und Jugendlichen im Schulunterricht lernen und erproben kann. Es ist ein Training gegen soziale Gleichgültigkeit (vgl. Dambach 2005: 7). Die Unterrichtsreihe kann in den Fächern Deutsch, Ethik/ Religion und bzw. oder Sozial-/ Gemeinschaftskunde eingesetzt werden und ist sehr variabel angelegt, denn umsetzbar sind auch fächer- oder jahrgangsübergreifende Projektwochen. Karl E. Dambach gibt an, dass das Konzept für Kinder ab zwölf Jahren geeignet ist und mindestens zehn Unterrichtsstunden eingeplant werden sollten. „Die Entwicklung der Zivilcourage hemmt oder verhindert Mobbing in der Klasse. Doch diese Entwicklung braucht Zeit. Es gibt eine Reihe von Programmen, die das soziale Lernen fördern und sich in der Schule bewährt haben“ (Dambach 2005: 73).

2.1.3 Zwischenfazit

Die allgemeinbildende Schule ist die einzige gesellschaftliche Institution, die alle Mitglieder einer Gesellschaft durch die Schulpflicht erreicht. Damit wird die Schule zu einem Ort, an dem alle sozialen Schichten und die verschiedenartigen Milieus einer Gesellschaft zusammenkommen. Alle Individuen, mit ihren jeweiligen unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen, erhalten über den Erfahrungsraum Schule die Möglichkeit Haltungen, Kompetenzen und Fähigkeiten zu erwerben und zu erproben, welche sie zu zivilgesellschaftlich kompetenten Bürgerinnen und Bürgern machen. Der entscheidende Faktor bei diesem Prozess ist, dass es vorab zu keiner Differenzierung zwischen Privilegierten und Benachteiligten kommt, bzw. dass es keine Aus- oder Abgrenzungen gibt (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 27).

2.2 Bürgerschaftliches/ Zivilgesellschaftliches Engagement

Um das bürgerschaftliche bzw. das zivilgesellschaftliche Engagement näher zu bestimmen, müssen angesichts der Vielfalt und Heterogenität der Beteiligungsformen, die Kernpunkte dieser Aktivitäten aufgezeigt werden.5

Zu den zentralen Merkmalen des bürgerschaftlichen Engagements zählt, dass sie nicht marktorientiert sind und keine bürokratisch und professionell organisierten sozialen Dienstleistungen darstellen und somit klar von bezahlter Erwerbstätigkeit zu trennen sind (vgl. Filsinger 2000: 55). Bürgerschaftliches Engagement ist des Weiteren über die Freiwilligkeit und Kontinuität der Tätigkeitsausübung zu definieren, wird zumeist in einer Organisation ausgeübt, dient in erster Linie dem Interesse anderen Menschen bzw. allgemein dem Wohle des Gemeinwesens und wird von den Beteiligten in ihrer Freizeit ausgeübt (vgl. Hofer/ Buhl 2000: 96).

Zivilgesellschaftliches Engagement bewegt sich im Raum der Öffentlichkeit und „beinhaltet politische Aktivierung, Konfliktaustragung und Partizipation“ (Filsinger 2000: 55).

Die Heterogenität des Engagements zeichnet sich auch in den vielfältigen Betätigungsformen ab. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat die Möglichkeit in Gesundheitsgruppen, in der Nachbarschaftshilfe, in Selbsthilfegruppen oder Initiativgruppen aktiv zu werden oder sich gemeinnützigen Vereinen oder Verbänden anzuschließen bis hin zur aktiven Partizipation in Umweltgruppen oder kulturellen Projekten (vgl. Weber-Hejtmanek 2006: 84). „Bürgerschaftliches Engagement und zivilgesellschaftliche Gestaltung sind zwar nicht auf das Gemeinwesen im engeren Sinne (Stadtteil, Quartier) beschränkt, jedoch ist dort der primäre (Bewährungs-) Ort“ (vgl. Filsinger 2000: 68).

Das gemeinsame Ausüben einer zivilgesellschaftlichen Aktivität interpretiert Ursula Weber-Hejtmanek als eine Form von Stärkung der Demokratie (vgl. Weber-Hejtmanek 2006: 84). Durch das gemeinsame zivile Engagement wird das Bewusstsein dafür geweckt, dass das Gemeinwesen auf die Tatkraft der einzelnen Gesellschaftsmitglieder angewiesen ist und dass soziale Probleme mit Hilfe und Unterstützung vieler freiwilliger Bürgerinnen und Bürger und deren Initiative und selbstaktives Handeln überwunden werden können (vgl. Weber-Hejtmanek 2006: 84).

Wenn ein Staat, wie beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland, eine hohe Quote an freiwillig engagierten Bürgerinnen und Bürgern aufweist6, widerlegt das die These es gäbe eine "Kultur des Egoismus" oder eine "Ellenbogengesellschaft" (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 26).

2.2.1 Motive für zivilgesellschaftliches Engagement

Zivilgesellschaftliches Engagement gründet sich aus verschiedenen Motiven: zum einen das gewandelte Selbstverständnis der Menschen in einer Gesellschaft, die spürbaren Leistungsgrenzen des Sozialstaates, bis hin zum Verdruss über staatliche Planungs- und Entscheidungsprozesse (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 25).

Die Gründe warum sich Menschen zivilgesellschaftlich engagieren sind sehr vielfältig. Die Werteerhebungen der Heinrich-Böll-Stiftung zeigen, dass verschiedene Werte bzw. Tugenden in direktem Zusammenhang mit der Motivation zum Engagement stehen. Die Gründe, die von den Befragten angegeben wurden, waren unter anderem der Wunsch „anderen Menschen zu helfen“ und „Nächstenliebe“, aber auch Gründe, die für einen ausgeprägten Gemeinsinn sprechen, wie „Gemeinwohl“ und „Zusammenhalt“ (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 26).

Die ichbezogenen Motive zum Engagement spiegeln unter anderem den Wunsch der heranwachsenden Generation nach einer guten Einbindung in soziale Netzwerke wider. Verknüpft damit ist der Wunsch, für andere Menschen mehr Zeit zu haben. Dieses wiederum spiegelt den Wunsch nach mehr „Lebenssinn“ wider.

Neben den altruistisch geprägten Motiven, gaben die befragten Jugendlichen aber auch selbstentfaltungsbezogene Gründe für zivilgesellschaftliches Engagement an. Der bedeutsamste Faktor ist der, dass die Aktivität „Spaß macht“. Danach folgen Beweggründe wie das „Einbringen der eigenen Stärken und Fähigkeiten“, der Wunsch sich selbst „weiterzuentwickeln“ und über die Aktivitäten „neue und interessante Leute kennen zu lernen“ (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 26).

„Gerade die Verbindung von traditionellen Dienst- und Pflichtmotiven mit neuen Möglichkeiten der Selbstentfaltung macht das zivilgesellschaftliche Engagement für viele so interessant“ (Heinrich-Böll-Stiftung und Bildungskommission der Heinrich-Böll-Stiftung 2004: 26).

2.2.2 Wirkung von zivilgesellschaftlichem Engagement

Empirische Befunde konnten belegen, dass die Ausübung einer freiwilligen sozialen Tätigkeit bei der heranwachsenden Generation positive Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung hat (vgl. Hofer/ Buhl 2000: 95). Durch das Aktivsein im Rahmen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten wird den Engagierten das Gefühl vermittelt, etwas Gutes zu tun und gebraucht zu werden. Dieses Gefühl kann im Individuum das Empfinden höherer Lebenszufriedenheit erzeugen7 (vgl. Holtkamp/ Bogumil/ Kissler 2006: 84).

Gemeinnützige Tätigkeit bietet die Chance „[…] Jugendliche in die Welt der politischen Probleme, ihrer Wurzeln und möglichen Lösungen einzuführen. […] Im Prozeß der gemeinnützigen Tätigkeit können Jugendliche ihre Möglichkeiten als politisch Handelnde erfahren, mit anderen gemeinsam Probleme erkennen und daran arbeiten, sie zu lösen […]“ (Youniss 2000: 282).

[...]


1 Jugendliche befinden sich in der Lebensphase zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter. Laut dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) §7 ist ein Jugendlicher zwischen 14 und 17 Jahren alt. Tatsächlich dauert die Jugendphase aufgrund verlängerter Schul- und Ausbildungszeiten häufig über das 18. Lebensjahr hinaus.

2 Otfried Höffe ist der Ansicht, dass man die „zur autonomen Moral gehörende freie Anerkennung […] letztlich nicht nur durch Vor- und Nachmachen lernen [kann], weder durch hilfreiche und abschreckende Vorbilder noch durch Lob und Tadel oder andere Sanktionen. All diese Lernarten mögen eine Vorstufe bilden, auf der Hauptstufe verlieren sie ihr Recht. Für die Achtung des Moralgesetzes genügt keine Nachahmung; eine Selbstbindung aus moralischer Einsicht schöpft nicht aus fremden, sondern aus eigenen Quellen“ (Höffe 2007: 353).

3 Anregungen und damit eine mögliche Antwort auf die Frage liefert die vorliegende Arbeit in Kapitel 4.3; 5.4 und 6.3.3.

4 Wie solche Veränderungen aussehen können, lesen Sie in Kapitel 4.3; 5.4 und 6.3.3.

5 In dieser Arbeit wird kein Unterschied zwischen „bürgerschaftlichem“ und „zivilgesellschaftlichem“ Engagement gemacht, die Begriffe werden synonym verwendet und auf eine differenzierende Begriffsbestimmung wird verzichtet, da es für die Bearbeitung der Fragestellung der Arbeit nicht relevant ist.

6 Der Anteil freiwillig engagierter Deutscher, die das vierzehnte Lebensjahr vollendet haben, stieg zwischen 1999 und 2004 von 34 Prozent auf 36 Prozent (vgl. Gensicke 2006: 10).

7 An dieser Stelle ist aus pädagogischer Sicht anzusetzen, um mögliche Potentiale zu nutzen. Noch fehlt aber theoretisch fundiertes Wissen darüber, welche Kriterien für die erfolgreiche Programmgestaltung erfüllt sein müssen (vgl. Hofer/ Buhl 2000: 95).

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Civic Education – Eine neue Form des Lernens für zivilgesellschaftliche Kompetenz
Untertitel
"Tu` was für andere und lern` was dabei!"
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Philosophische Fakultät II)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
112
Katalognummer
V148351
ISBN (eBook)
9783640589470
ISBN (Buch)
9783640589852
Dateigröße
826 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Service Learning, Civic Education, Zivilgesellschaft, Engagement, Schule, Lernen, Bildung, Kinder, Jugendliche, Partizipation, Schüler, Gemeinde, Beteiligungsangebote, Demokratie, Öffnung der Schule, BLK-Programm, Demokratie lernen und leben – Schule in der Zivilgesellschaft, Demokratie lernen und leben, Schule in der Zivilgesellschaft
Arbeit zitieren
Katharina Glaser (Autor:in), 2009, Civic Education – Eine neue Form des Lernens für zivilgesellschaftliche Kompetenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148351

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