Die Schmutz und Schunddebatte im zweiten Deutschen Kaiserreich


Hausarbeit, 2008

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschichtliches und gesetzliche Grundlagen

3. Inhalte von Schundliteratur

4. Vertreter in der Diskussion

5 Argumente in der Diskussion
5.1 Argumente für eine verschärfte Gesetzeslage
5.2 Argumente gegen eine verschärfte Gesetzeslage

6. Zusammenfassung

7. Bibliographie

1. Einleitung

Zu Beginn des Zweiten Deutschen Kaiserreichs begann eine öffentlich ausgetragene Diskussion um Literatur, die sich an eine möglichst breite Schicht in der Bevölkerung richtete und heute als Unterhaltungsliteratur zu bezeichnen ist. Diese Diskussion ist weithin als Schmutz- und Schunddebatte bekannt. Zum besseren Verständnis meiner Arbeit muss dieser Begriff eingeschränkt werden. Die Thematik ist zwar unter dem Schlagwort der Schmutz- und Schunddebatte bekannt, jedoch wird in der Fachliteratur weitestgehend auf Schund, also ästhetisch und "sozialmoralisch Schädliches" (Jäger 1988:173) eingegangen. Schmutz hingegen wird eher als "sexualmoralisch Anstößiges" (ebd.) verstanden und im Zusammenhang mit den Diskussionen um Pornographie behandelt. Dennoch ist festzuhalten, dass das Entstehen von Schmutz und Schund in der Literatur simultan stattfand und daher den Oberbegriff dieser Debatten rechtfertigt. Zentraler Gegenstand der Diskussion war die Frage, welche Literatur und Kunst zugelassen werden durfte, ohne moralisch anstößig und für die Bevölkerung schädlich zu sein. In der Kritik standen vor allem Werke 'niederer' literarischer Qualität, wie die massenangefertigten Kolportagen-[1] und Heftchenromane[2]. Im Rahmen der allgemeinen Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts bildete sich auch in der Literatur eine immer stärker ausgeprägte wirtschaftliche Orientierung heraus (vgl. Link 1). Hierdurch sahen sich viele Intellektuelle veranlasst, einen Werteverfall in der Unterhaltungsliteratur festzustellen und sich für den Erhalt hochwertiger und anspruchsvoller Kunst einzusetzen.

Auf der anderen Seite beobachtete man, ebenfalls in Intellektuellenkreisen, die im Zuge der Debatte ergriffenen Maßnahmen (sowohl gesetzliche als auch einzelne private und Vereinsinitiativen, auf die im Verlauf der Arbeit eingegangen werden soll) als gefährliche Eingriffe in Freiheit und Kunst (vgl. Füssel 1993:57). Die Diskussion manifestiert sich also in Intellektuellenkreisen als Disput Massenkultur versus Hochkultur.

Ziel dieser Arbeit ist es, die Ursachen, Hintergründe und Auswirkungen sowie die Ansichten aller beteiligten Institutionen und Personen der Grundsatzdiskussion um diesen Disput zu erläutern. Die Debatte soll in ihrer ganzen Vielfalt dargestellt werden, um ihrer Komplexität Ausdruck zu verleihen und sie soll ständig von der Fragestellung begleitet sein, ob die Thematik eine Lösung bietet oder ob es sich um eine nicht zu lösende Problematik handelt. Die übergeordnete These dieser Hausarbeit formuliert sich daraus abgeleitet wie folgt: Die Schmutz- und Schunddebatte konnte und kann nicht zu einem finalen Schluss und Ziel kommen, sondern ihr Ziel ist die immer währende kritische Auseinandersetzung über Unterhaltungsliteratur und ihre moralischen Ausprägungen. Durch die stetig ausgeführte Diskussion wird ein Gleichgewicht der verschiedenen Positionen gewahrt und sie ist somit am effektivsten für das Allgemeinwohl.

2. Geschichtliches und gesetzliche Grundlagen

Am Anfang des Wilhelminischen Kaiserreichs lag die Alphabetisierungsquote nach einer Schätzung von Rudolph Schenda bei 90 Prozent mit stark steigender Tendenz (Storim 2002:104). Durch den Bildungsaufschwung hatte sich ein Gesellschaftswandel vollzogen, der es ermöglichte, Literatur einer viel größeren Bevölkerungsschicht anbieten zu können (vgl. Link 1). Aber dieses neue, zu größten Teilen ungebildete Publikum, besaß nicht das Bedürfnis nach Bildungsliteratur und literarisch anspruchsvollen Werken, sondern hatte ein großes Unterhaltungsbedürfnis (vgl. Jäger 1988:168), das durch die Werbung und den Kolporteur[3] erzeugt und geschürt wurde (vgl. ebd. S. 165). Versucht man heute, die Schmutz- und Schunddebatte nachzuvollziehen, so muss man diese Tatsache als entscheidende Grundlage und als Auslöser jener so heftigen Diskussion betrachten. Denn in der Kritik standen vor allem Werke niederer literarischer Qualität wie die massenangefertigten Kolportagen- und Heftchenromane, die sich an eine Leserschaft richteten, die sozial benachteiligt und ungebildet war. An diesem Punkt setzten die Kritiker von der so genannten Schundliteratur an und behaupteten, die schlechten Vorbilder, die in der Unterhaltungsliteratur abgebildet werden, stürzten die Gesellschaft und insbesondere die Jugend in Gewalt (vgl. Jäger 1988:174) und andere unsittliche Handlungen und "zerstör[t] den 'Sinn für Wahrheit und Wirklichkeit' "(Jäger 1988:173).[4] Daher sahen sie es für notwendig an, die einfacheren Bevölkerungsschichten und Jugendlichen zu bevormunden, indem sie die Verbreitung von Literatur als Massenware zu verhindern suchten (vgl. Storim 2002:123).

Seit der Verfassung des deutschen Reiches von 1849 war die Meinungsäußerungsfreiheit in den Grundrechten verankert und eine Zensur in Literatur und Kunst fand nicht mehr im bis dahin gekannten Maße statt. Es existierte zwar keine Vorzensur mehr (Seim 1997:28), es gab aber dennoch ein reichhaltiges Instrumentarium, mit dem es möglich war, Werke zu kontrollieren und durch Nachzensur zu verbieten.[5] Dieser Mittel bedienten sich auch die Gegner von Schundliteratur, um ihre Ziele durchsetzen zu können. Die wichtigsten Gesetze und Artikel, die auf die im Mittelpunkt der Diskussion stehenden Inhalte griffen, waren § 166 und § 95 (vgl. Siemann et al. 2003:95) des Strafgesetzbuches (StGB), § 99 in der Strafprozessordnung und § 56 sowie § 43 der Reichsgewerbeordnung. Die Paragraphen 166 Gotteslästerung und 95 StGB Majestätsbeleidigung waren gebräuchliche Gesetzte, die zu einer Nachzensur und Gefängnisstrafen führen konnten. Wichtiger für den Kampf gegen Schundliteratur war § 99 der Strafprozessordnung, der es ermöglichte, gegen Händler eine Postsperre zu verhängen, die "die Durchforschung aller verdächtigen Sendungen" (Kreyenberg nach Jäger 1988:178) erlaubte. Ebenso effektiv für die Schundbekämpfer war § 43 der Reichsgewerbeordnung: Die umherziehenden Kolporteure benötigten eine Erlaubnis für den Vertrieb ihrer Schriften bei der jeweiligen Ortspolizeibehörde. Die Verleger mussten Probeexemplare an die Ortspolizeibehörden im Vertriebsgebiet aushändigen, um eine Verkaufsgenehmigung zu erhalten (vgl. Siemann et al. 2003:94) Die Behörden waren verpflichtet, die Schriften auf Schmutz und Schund zu prüfen und konnten sie gegebenenfalls beschlagnahmen und verbieten. Dieses Instrument räumte den örtlichen Polizeibehörden einen uneingeschränkten Spielraum ein und wurde wegen seiner möglichen Willkürlichkeit der subjektiven Auslegung oftmals von seinen Gegnern kritisiert (vgl. Siemann et al. 2003:92). Die Willkür verdeutlichte sich in der Art und Weise, wie die meisten Prüfer vorgingen. Sie lasen die Werke selten komplett, sondern stichpunktartig und hatten somit gar nicht die Möglichkeit, anzügliche und zu beanstandende Passagen in ihren Kontext einzuordnen. Diese Verfahrensmethode begründete man damit, dass "Tendenz [...] niemals allgemein [ist] und [...] sich deshalb auch an Stichproben nachweisen [lässt]" (Storim 2002:139).

Die umherziehenden Kolporteure erreichten ihren Verkaufserfolg zum Einen durch ihre Rede- und Werbekünste, mit denen sie ihre Hintertreppenromane[6] anpriesen. Zum Anderen warben die Verleger mit hohen Prämien, die nach Ende eines Abonnements zwischen den treuesten Lesern verlost werden sollten, de facto aber nie ausgehändigt wurden. Diesem Prämienschwindel wurde 1883 durch den Paragraphen 56 der Reichsgewerbeordnung ein Riegel vorgeschoben. Dieser Paragraph untersagte "das Feilbieten im Umherziehen aller Druckschriften, [...] 'die mittels Zusicherung von Prämien oder Gewinnen vertrieben werden'" (Jäger 1988:166 und S.178). Dies verhinderte jedoch nicht das übliche und sehr effektive Verfahren der Kolporteure, Probeexemplare kostenlos zu verteilen, um die Leser dann beim Wiedereinsammeln zu einem Abonnement zu überreden (vgl. Jäger 1988:165). Diese Methode war so effizient, da dem Leser der "mühsame Weg zur Bibliothek und die noch schwierigere Mühe der Auswahl" abgenommen wurde (Fränkel nach Jäger ebd.).

[...]


[1] Kolportage: sich fortsetzender Sensationsroman, der geschickt und spannungserzeugend in Einzelteile

zerlegt vertrieben wird. Die einzelnen Ausgaben kosten meist 10 Groschen. Die Kosten des

Gesamtwerkes werden somit undurchsichtig und schwer abschätzbar (vgl. Jäger 1988:164).

[2] Heftchenromane: meist 64 Seiten umfassende, farbig illustrierte Heftserie, deren Titelfiguren gleichbleibend waren. Bekannte Serien waren u.a. Buffalo Bill und Nick Carter (vgl. Jäger 1988:164).

[3] Kolporteur: Als Kolporteur bezeichnet wird der Verkäufer von Kolportagenheften. Er zieht von Tür zu Tür und preist die Werke mit seiner redegewandtheit und verkäuferischem Geschick an. (vgl. Jäger 1988:165).

[4] Die Ausmaße dieses Glaubens zeigen sich exemplarisch an einer Statistik, die das Amtsgericht Düsseldorf 1910 veröffentlichte. Das Gericht führte "bei ca. 8% der Jugendlichen, für die Fürsorgeerziehung angeordnet wurde oder die sich gegen Strafgesetze vergangen hatten 'Schundliteratur als Ursache[...]' (an)"(Jäger 1988:175).

[5] In Diesem Abschnitt beziehe ich mich, sofern nicht anders vermerkt, auf Jäger 1988:178.

[6] Hintertreppenroman: In der Debatte benutztes Synonym für Heftchenroman.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Die Schmutz und Schunddebatte im zweiten Deutschen Kaiserreich
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
Politische und ökonomische Kontrolle im Printbereich
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
14
Katalognummer
V148177
ISBN (eBook)
9783640588121
ISBN (Buch)
9783640588015
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schmutz-und Schunddebatte, Lex Heinze, Kaiserreich
Arbeit zitieren
Stephan Jung (Autor:in), 2008, Die Schmutz und Schunddebatte im zweiten Deutschen Kaiserreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148177

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