Die Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg

Lettow-Vorbeck und die Askari


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2008

16 Seiten

Stefan Erminger (Autor:in)


Leseprobe


Inhalt

1. Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg

2. Kriegsausbruch in Ostafrika

3. Nach dem Sieg von Tanga

4. Die Schutztruppe in der Defensive

5. Deutsch-Ostafrika nach dem Ersten Weltkrieg

Literatur

1. Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg

Die Entstehungsgeschichte der Kolonie Deutsch-Ostafrika ist eng mit dem Namen Carl Peters (1856-1918) verbunden. Der damals 27jährige Historiker und Geograph gründete am 28. März 1884 in Berlin die «Gesellschaft für deutsche Kolonisation». Bismarck hielt wenig von ehrgeizigen Kolonialplänen in Übersee und schon gar nicht in Konkurrenz mit Großbritannien. Im Sommer 1884 ließ er daher Peters mitteilen, dass er «alles Land südlich des Sambesi als britische Interessensphäre» betrachte[1]. Mittlerweile war diesem aber die private Finanzierung seines Vorhabens gelungen. Unbeirrt setzte er sich mit einer kleinen Expedition nach Sansibar, dem Tor zur Ostküste Afrikas, in Marsch. Am 9. November 1884 erreichte er das Festland. Sein Motto: «Vorwärts mit der sinkenden Sonne». Seine Leitlinie für die Kolonisation war: Abtretungsverträge mit den Häuptlingen der Eingeborenen und Hissung der deutschen Flagge.

Die erste Expedition dauerte vier Monate und endete mit dem Erwerb von Gebieten deren Größe etwa der Süddeutschlands gleichkam[2]. Aus der «Gesellschaft für deutsche Kolonisation» wurde im März 1885 die «Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft Carl Peters und Genossen». Überzeugt durch den Erfolg, erteilte ihr die Reichsleitung nunmehr einen Schutzbrief. Deutsch-Ostafrika wurde zum «Schutzgebiet». Eine Flottendemonstration bewog am 14. August den Sultan von Sansibar, den Tatbestand anzuerkennen. Ein deutsch-englisches Abkommen («Sansibar-Vertrag») grenzte am 1. November 1886 die Interessensphäre ab.

Wegen seines skrupellosen Vorgehens in Afrika musste sich Peters nach seiner Rückkehr nach Deutschland vor Gericht verantworten; sowohl die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) als auch die Reichsregierung trennten sich daraufhin von ihm.

Deutsch-Ostafrika war fast doppelt so groß wie das damalige Deutsche Reich, ein Land in den Tropen mit ozeanischer Randlage, im Westen begrenzt durch den Zentralafrikanischen Graben. Über der Savanne erhob sich im Norden das majestätische Kilimandscharo-Massiv mit seinem 5895 m hohen Gipfel Kibo. Umgangssprache der mehrheitlich aus Bantus bestehenden Bevölkerung war Suaheli. Die Erforschung des noch weithin unbekannten Landes konnte aber erst nach Niederwerfung des Araber-Aufstandes aufgenommen werden.

Die DOAG bestätigte am 28. April 1888 den Sansibar-Vertrag und übernahm die Verwaltung des Küstengebietes auf dem Festland. Es folgte ein Abkommen zwischen DOAG und dem Reich[3], das so zum eigentlichen Besitzer der Kolonie wurde. Die Überlassung der Küste durch den Sultan von Sansibar an eine fremde Macht löste jedoch einen Aufstand der dort ansässigen, vorwiegend arabischen Bevölkerung aus, der zur Vertreibung oder sogar zur Ermordung der bereits im Lande befindlichen Deutschen führte.

In dieser Lage ernannte Bismarck den 36jährigen Hauptmann Wissmann zum «Kaiserlichen Reichskommissar zur Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutz der deutschen Belange in Ostafrika». Wissmann erhielt volle Bewegungsfreiheit und durfte eine Polizei- und Schutztruppe aufstellen.

Wissmann hatte schon als Leutnant in Rostock von sich reden gemacht, bevor er 1879 Urlaub nahm, um den Afrikaforscher Pogge zu begleiten. An dessen Seite durchstreifte er vom Dezember 1880 bis zum November 1882 das riesige Kongo-Becken. Als er im August 1887 nach einer Durchquerung des südlichen Kongo-Beckens nach Sansibar zurückkehrte, lernte er dort Carl Peters kennen.

Im März 1889 traf der frisch ernannte Reichskommissar Wissmann in Sansibar ein. Die DOAG hielt auf dem Festland nur noch die beiden Häfen Bagamojo und Daressalam. Mit einer kleinen Streitmacht von 300 Europäern und etwa 800 nach preußischen Reglement ausgebildeten ägyptischen Söldnern gelang es ihm, am 6. Juni das befestigte Lager, die Boma, der Aufständischen zu stürmen. Nach der Einnahme von Tanga marschierte die «Wissmann-Truppe» nach Westen. Es gelang ihm, den Gegner einzukreisen und zur Auslieferung des Anführers Buschiri zu zwingen, der am 15. Dezember durch den Strang hingerichtet wurde. Wissmann, inzwischen zum Major befördert und geadelt, gelang es, im Laufe des Jahres 1890 die Reste des Aufstandes niederzuschlagen. Er starb im Jahr 1905.

Die grausame Niederwerfung des Madschi-Madschi Aufstandes in den folgenden Jahren musste er nicht mehr miterleben[4]. Ganze Stämme waren in ekstatischen Aufruhr geraten. Erst nach der Niederschlagung wurde es still. Eine Phase der Konsolidation setzte ein. Das Schutzgebiet wurde in 22 Bezirke eingeteilt, die bis auf drei von Beamten geleitete wurden[5]. Bukoba, Ruanda und Urundi waren Residenturen, deren deutsche Residenten den «einheimischen Führern attachiert» waren. Der kaiserliche Gouverneur residierte in Daressalam, das bald Tabora als wichtigste Stadt übertrumpfte. Die Schutztruppe lag landesweit über 15 Stationen verteilt. Ihre Stärke blieb bis zum Ersten Weltkrieg unverändert: 15 Kompanien mit insgesamt 2982 Mann, darunter 250 Polizei-Askaris und 272 Europäer.

Die wirtschaftliche Entwicklung des Schutzgebietes wäre sicherlich schneller vorangeschritten, wenn der Eisenbahnbau zügiger durchgeführt worden wäre, verhinderten doch die Trägerlöhne die kostengünstige Beförderung von Gütern über große Entfernungen. Als Ausweichlösung wurde häufig die britische Uganda-Bahn benutzt, die nördlich der Grenze zu Britisch-Ostafrika von der Küste bis zum Viktoria-See verlief. Dabei mussten die Güter mehrfach umgeschlagen werden, bevor sie das Handelszentrum Tabora erreichten. In einer Phase umfangreicher Investitionen wurde dies als besonders unbequem empfunden. Der Reichstag scheute aber die Bereitstellung der Mittel das Risiko[6], und so dauerte es bis 1912, bis die Kilimandscharo-Bahn fertiggestellt war. Abschreckend wirkte sicherlich das Beispiel des Kongo, der 1908 vom belgischen Staat übernommen werden musste, weil die Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur aus privaten Mitteln die Investoren überforderte. Während bereits 1891 der Bau einer Eisenbahnstrecke von Daressalam nach Westen angeregt wurde, erhielt erst 1904 eine von der Deutschen Bank geführte Gruppe die Konzession für den ersten Abschnitt. Da die Motorisierung des Straßenverkehrs noch in den Kinderschuhen steckte, wurde dem Wegebau keine besondere Aufmerksamkeit zuteil.

Der Schwerpunkt lag von vornherein auf der Produktion von «Kolonialwaren». Der Abbau und die Verwertung von Erzen – falls welche gefunden werden sollten – lagen ohnehin nicht im Bereich des Möglichen. Nach einem Misserfolg der Kaffeeplantagen galten neben Sisal und Kautschuk der Anbau von Baumwolle und die Nutzung der Kokospalme als zukunftsträchtige Kulturen. Auch Elfenbein und Bienenwachs wurden schnell zu Exportartikeln. Zu bemerken ist, dass bereits 1907 auf die Notwendigkeit der Einrichtung von Tierreservaten hingewiesen wurde. Die laufende Zunahme des Handels zeigte sich in einer Steigerung des Umsatzes während des Jahrzehnts von 1897 bis 1907 von 14 auf 36 Millionen Reichsmark.

Dennoch blieb die Gesamtentwicklung hinter den Erwartungen zurück, weil man allgemein die Bereitwilligkeit der Eingeborenen, sich in den Arbeitsprozess einzugliedern, überschätzt hatte. Trotz Ermunterung, Belehrung und Saatverteilung sowie Prämien gingen sie nur mühsam dazu über, mehr als den Eigenbedarf zu produzieren. Auch standen den rund 50 deutschen Handelsgesellschaften, die um 1910 tätig waren, nicht genügend Arbeitskräfte zur Verfügung. Unter Vermeidung der von Carl Peters vorgeschlagenen, in Afrika durchaus üblichen Arbeitsdienstpflicht versuchte Gouverneur von Liebert mit geringem Erfolg, durch Einführung einer Hüttensteuer die Eingeborenen zur Arbeit in den wirtschaftlichen Unternehmen zu veranlassen[7]. Andere Kolonien hatten es mit der Kopfsteuer versucht. Der «Wirtschaftliche Landesverband Deutsch-Ostafrika» war eher für Steuernachlässe, hatte aber keine Gelegenheit mehr, die Richtigkeit seiner Theorie zu beweisen.

2. Kriegsausbruch in Ostafrika

Als der neue Kommandeur der Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika, Oberstleutnant von Lettow-Vorbeck, am 17. Januar 1914 in der Hauptstadt Daressalam ankam, fand er eine aufstrebende Kolonie vor, die sich auf eine große Ausstellung und glanzvolle Festlichkeiten anlässlich des 30. Jahrestages ihres Bestehens und des 25jährigen Jubiläums der Schutztruppe vorbereitete. Die knapp 6000 Weißen inmitten der acht Millionen Eingeborenen machten sich nichts aus der drohenden Kriegsgefahr in Europa und fühlten sich durch die Kongo-Akte von 1885 vollkommen geschützt. Die Kolonialmächte, die sich in den Besitz des weiten Kongobeckens teilten, hatte damals erklärt, dass dieser Raum im Falle eines Krieges neutral bleibe[8]. Im Vertrauen darauf, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäer einen Kampf unter Einsatz schwarzer Truppen gegen Weiße ohnehin nicht zulassen würde, waren in Deutsch-Ostafrika Polizeikräfte und Schutztruppe nur so stark gehalten worden, dass sie Ruhe und Ordnung gewährleisten konnten.

Anfang 1914 bestand die deutsche Schutztruppe aus 14 über die ganze Kolonie verteilten Feldkompanien. Alle Küstenorte waren offene Plätze. Lediglich im Innern des Landes waren an wichtigen Stellen sogenannte Bomas angelegt worden. Diese festungsartigen Stützpunkte zur Bekämpfung möglicher Unruhen besaßen aber nur geringen Wert für die Kriegführung. Im Frieden wie im Krieg lag die Gesamtverantwortung für die Kolonie nach einer kaiserlichen Verordnung von 1896 beim Gouverneur, dem auch die Schutztruppe unterstand. Wohl war im Krieg ihr Kommandeur für die Operationsführung allein zuständig. Dessen ungeachtet hatte der Gouverneur Schnee in einer Denkschrift von 1912 an das Reichskolonialamt die Vorstellung entwickelt, dass bei drohender äußerer Gefahr die Küste geräumt und die Verteidigung ins Landesinnere verlegt werden sollten. Für irgendeine offensive Kampfhandlung hielt er die Schutztruppe für ungeeignet und zu schwach.

Lettow-Vorbeck, den man in Deutsch-Ostafrika kaum kannte, während Schnee als erfahrener Kolonialbeamter galt, hatte bald nach seinem Eintreffen eine abweichende Haltung bekundet. Er gedachte durch die Zusammenfassung aller Kräfte in einem offensiven Einsatz möglichst viel Feind auf sich zu ziehen, wodurch wiederum der europäische Kriegsschauplatz entlastet werden sollte[9]. Er befand sich auf einer Inspektionsreise weit weg von der Hauptstadt Daressalam, als dort am 29. Juni 1914 die Nachricht vom Attentat in Sarajewo in die festliche Hochstimmung platzte.

Im Augenblick wurde jedoch diesem historischem Ereignis keine größere Bedeutung beigemessen. Die spätere Zuspitzung der Lage kam umso unerwarteter. Am 9. Juli lief ein Telegramm ein, wonach «eine kriegerische Verwicklung zwischen Österreich und Serbien möglich und das Hineinziehen des Dreibundes nicht ausgeschlossen» sein. Am 25. Juli hieß es: «Österreich-Ungarn hat am 23. Juli eine Note an Serbien gerichtet. Entwicklung lässt sich noch nicht übersehen.» Am 27. Juli begann der unter britischer Kontrolle stehende Kabelverkehr über Sansibar unregelmäßig zu arbeiten. Am 30. Juli wurde noch aufgenommen: «Krieg ist ausgebrochen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien, politische Spannung zwischen Dreibund und Großbritannien, Frankreich, Russland.» Am 1. August gelang es der Funkstation Daressalam, einen Spruch «Drohende Kriegsgefahr» aufzufangen.

Gouverneur Schnee ließ erste Mobilmachungsmaßnahmen anlaufen[10]. Dann folgte der Spruch «2. August = 1. Mobilmachungstag». Der Gouverneur verfügte jetzt die Einziehung der Reservisten der Schutztruppe sowie die Bildung einer zusätzlichen Kompanie aus Polizei-Askaris. Das Kommando der Schutztruppe ließ alle Feldkompanien planmäßig Mobilmachen und formierte eine weitere Kompanie aus dem Rekrutendepot. Am Abend des 3. August traf, übermüdet und über die Lage völlig im unklaren, Lettow-Vorbeck in der Hauptstadt ein.

[...]


[1] Zitiert nach Graudenz, Die deutschen Kolonien, S. 100

[2] ebd., S. 103

[3] Staatsvertrag vom 1. Januar 1891; ebd., S. 137

[4] Noske, Kolonialpolitik, S. 123, berichtet, dass bei dem Aufstand 150.000 Menschen ums Leben gekommen

seien.

[5] Graudenz, Die deutschen Kolonien, S. 151

[6] 1893 war eine private Gesellschaft mit der von ihr in Betrieb genommenen «Kaffeebahn» Tanga-Muhesa in

Schwierigkeiten geraten; das Reich hatte die Bahn übernehmen müssen. Graudenz, Die deutschen Kolonien, S. 156

[7] Die Hüttensteuer wurde bald zur Haupteinnahmequelle des Fiskus im Schutzgebiet, Petschull, Der Wahn vom

Weltreich, S. 183

[8] Lettow-Vorbeck und Askaris, S. 517

[9] Birnstiel, General von Lettow-Vorbeck, S. 127

[10] Der Weltkrieg 9, S. 461

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg
Untertitel
Lettow-Vorbeck und die Askari
Autor
Jahr
2008
Seiten
16
Katalognummer
V148046
ISBN (eBook)
9783640579594
ISBN (Buch)
9783640579020
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lettow-Vorbeck, Askari, Schutztruppe, Deutsch-Ostafrika, I. Weltkrieg, Kolonialreich
Arbeit zitieren
Stefan Erminger (Autor:in), 2008, Die Schutztruppe von Deutsch-Ostafrika im Ersten Weltkrieg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/148046

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