Immanuel Kants Gottesbeweiskritik

Die Unmöglichkeit eines Beweises der Existenz Gottes allein aus spekulativer Vernunft heraus


Seminararbeit, 2007

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Hauptteil
2.1 Kants Gottesbegriff
2.2 Der natürliche Gang der menschlichen Vernunft
2.3 Der ontologische Gottesbeweis
2.4 Der kosmologische Gottesbeweis
2.5 Der physikotheologische Gottesbeweis

3. Schlussteil

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Liegt mit dem Satz ‘Greifswald existiert.’ ein analytischer oder ein synthetischer Satz vor?[1][2]Wie verhält es sich mit dem Satz ‘Es existiert eine Universität in Greifswald.’?

Es ist so: beide Sätze wären nach Kant synthetische Sätze. Die Existenz eines Gegenstandes, welcher mit einem Begriff vollständig kongruiert ist etwas, dass über die einzelnen Bestimmungen dieses Begriffes hinaus ihm hinzukommt - eben ein Merkmal der Synthese. Die Existenz jenes Gegenstandes ist eine Erkenntnis, die nicht a priori aus seinem Begriff geschlossen oder anderweitig abgeleitet werden kann, da Existenz nicht zu den Bestimmungen von Begriffen zählt. ‘Existenz’ ist nach Kant kein „reales“ Prädikat, was nicht bedeutet, dass es überhaupt keines ist. Der Nachweis der Existenz eines jeden Gegenstandes muss also Kant zu Folge im Bereich möglicher Erfahrung liegen und bedarf mehr als nur der Herleitung a priori aus Begriffen.

Doch würde hingegen mit dem Urteil ‘Greifswald existiert’ ein analytisches vorliegen, was hätte man gewonnen? Man hätte es mit einer bloßen Tautologie zu tun. Eine Bestimmung die dem Begriff dieser Hansestadt bereits zukommt würde ihr prädiziert werden. Unsere Erkenntnis um die Stadt Greifswald würde in keinem Maße erweitert werden. Doch soll an dieser Stelle nichts vorweggenommen werden.

Sicher ist in jedem Fall: Auch der Satz ‘Gott existiert’ unterliegt Kants Ansicht nach der obigen Überlegung. Diese bildet nur einen Auszug aus den scharfen, systematischen Widerlegungsargumenten, derer sich Kant bedient, um seine These von der Unmöglichkeit eines Beweises Gottes aus spekulativer Vernunft heraus zu untermauern.

Die vorliegende Seminararbeit geht den Widerlegungen der - nach Kant - drei möglichen Gottesbeweisarten auf den Grund. Liegt allen Dreien dasselbe Moment zu Grunde, das sie zu Fall bringt? Ich behaupte, dass dem so ist und werde dies begründen indem ich den Kern der Widerlegungsstrategie Kants bei allen drei Gottesbeweisarten freilege.

Die systematisch-argumentative Widerlegung der Gottesbeweise durch Kant vollzieht sich im dritten und letzten Teil der transzendentalen Dialektik. Dieses Kapitel, das sich in sieben Abschnitte unterteilt, von denen drei auf die direkte Abhandlung der Widerlegung der drei Gottesbeweise entfallen, handelt von dem Ideal der reinen Vernunft. Gott, als der Frage nach dem Urwesen, stellt traditionell den Schlussstein und die Krönung aller menschlichen Erkenntnis dar. Somit wird der Beschäftigung mit ihm unter allen metaphysischen Themen ein Vorrang eingeräumt. Es passt also ins Bild, wenn Kant nach der Dekonstruktion der großen Themen der überkommenen Metaphysik im zweiten Hauptstück des zweiten Buch der Kritik der reinen Vernunft jenes Thema ans Ende und somit als Höhepunkt der transzendentalen Dialektik setzt. Zwar liegt bereits mit der vierten kosmologischen Antinomie der reinen Vernunft eine Demonstration der Unmöglichkeit eines Beweises Gottes vor, doch erhält dieses Thema durch die Bezeichnung „Ideal der reinen Vernunft“ eine neue Dignität. Im Zentrum steht hier, dass sich der Gottesbeweis als die Folge des natürlichen Ganges der reinen Vernunft ergibt, wenn eben jene die existierenden Gegenstände in ihrer Einheit oder Zweckmäßigkeit zu denken versucht. Die reine Vernunft versucht also jenseits der gänzlich bedingten phänomenalen Welt das Unbedingte zu erfassen. Diese Versuche der reinen Vernunft den Schritt vom Bedingten zum Unbedingten hin zu vollziehen wird innerhalb des - ins Blickfeld dieser Arbeit gestellten - Kapitels „Ideal der reinen Vernunft“ nachgezeichnet und sein Scheitern aufgezeigt.[3][4]

Im Zentrum dieser Seminararbeit stehen die einzelnen Gottesbeweisarten und ihre Widerlegung unter dem Gesichtspunkt der oben aufgestellten Fragen. Es ist also nicht Zweckmäßig die einzelnen sieben Abschnitte in die das Kapitels „Ideal der reinen Vernunft“ unterteilt ist unsystematisch Stück für Stück durchzugehen und auszuführen. Vielmehr wird es folgendermaßen gehalten: Jeder der Abschnitte rückt nur soweit ins Interesse der Betrachtung, wie er Begriffe enthält, die für die Erhellung der vorgenommenen Untersuchung unabdingbar sind. Es kommt zu der Klärung von Schlüsselbegriffen wie: „Ideal“, „durchgängige Bestimmung“ und „allerrealstes Wesen“, um nur einige an dieser Stelle anzuführen. Diesem Vorhaben folgt der Aufbau der Arbeit. Zuerst kommt es zur Klärung der, für das Verständnis des Hauptpunktes notwendigen Begriffe, die als Komponenten in der Explikation des Begriffes Gott münden. Anschließend kommt es zur Auseinandersetzung mit dem Phänomen des natürlichen Ganges der menschlichen Vernunft und schließlich zur Auseinandersetzung mit den drei Gottesbeweisarten selbst und der Analyse der Widerlegungsargumentation durch Kant.

2. Hauptteil

2.1 Kants Gottesbegriff

Bevor ich zu der Beantwortung der Frage ‘Was ist der Begriff Gott nach Kant?’ übergehen kann bedarf es der Klärung mehrerer vorausgehender Fragen. Ich wende mich zuerst der Frage zu, was Kant unter dem „Ideal“ versteht.

Kant stellt das „Ideal“ ans Ende einer Reihe, die mit den „Kategorien“ beginnt und über die „Ideen“ zum „Ideal“ fortschreitet. Die Steigerungsform dieser Reihe steht in Verbindung mit der jeweiligen Entfernung des Gegenstandes von der objektiven Realität. Objektive Realität meint hier den Gegenstandsbezug, in sofern er durch Erfahrung gegeben ist; Voraussetzung hierfür ist also die Transzendentale Analytik. Während zu den „Kategorien“ - welche zwar von der objektiven Realität entkoppelt sind - sich noch Erscheinungen finden, an denen sie sich in concreto vorstellen lassen, trifft dies für die „Ideen“ nicht zu. „Sie enthalten eine gewisse Vollständigkeit, zu welcher keine mögliche empirische Erkenntnis zulangt [...]“[5]Somit sind die „Ideen“ - nach Kant - noch weiter von der objektiven Realität entfernt als die „Kategorien“. Da sich das „Ideal“ allein aus der Bestimmung durch „Ideen“ ergeben kann, also ein nur durch sie bestimmtes Ding ist, folgert Kant, dass das “Ideal“ seinerseits noch weiter von der objektiven Realität entfernt sein muss als die „Ideen“.[6]

Kant führt als Beispiel für ein „Ideal“ den Weisen, den Stoiker, an, der, obschon er ein Mensch ist, der nur in Gedanken existiert, völlig mit der „Idee“ der Weisheit kongruiert. Hier erkennt man gut, inwiefern die „Idee“ mit dem „Ideal“ zusammenhängt: „So wie die Idee die Regel gibt, so dient das Ideal in solchem Falle zum Urbilde der durchgängigen Bestimmung des Nachbildes [...]“[7]Sowohl die „Ideen“ als auch die „Ideale“ enthalten eine praktische Kraft in Form von regulativen Prinzipien, indem sie der Möglichkeit der Vollkommenheit gewisser Handlungen zu Grunde liegen. Wir, als Menschen, bedürfen dieser „Ideen“ und „Ideale“ als Richtmaß für unsere Vernunft, um den Grad der Mängel der Vollständigkeit an den Gegenstände abschätzen zu können.

Das „Ideal“ ist also ein allein durch die „Ideen“ bestimmbares Ding, das, eben weil es nur durch die „Ideen“ bestimmbar ist, am weitesten von der objektiven Realität entfernt ist. Es wird sich zeigen, dass für Kant ein Wesen mit allerrealster Realität - welches man auch mit Gott gleichzusetzen pflegt - ein solches „Ideal“ und damit von der objektiven Realität am weitesten entfernt ist. Mehr noch: Es ist sogar „[...] das einzige eigentliche Ideal, dessen die menschliche Vernunft fähig ist; weil nur in diesem einzigen Falle ein an sich allgemeiner Begriff von einem Dinge durch sich selbst durchgängig bestimmt, und als die Vorstellung von einem Individuum erkannt wird.“[8]

Doch zuvor gilt es der Frage nachzugehen, was ein „transzendentales Ideal“ meint, deren Klärung aufs engste mit der nach dem Wesen der durchgängigen Bestimmung und der transzendentalen Verneinung (bzw. Bejahung) zusammenhängt.

Kant unterscheidet die Bestimmbarkeit eines Gegenstandes von seiner Bestimmtheit.

1. Das Prinzip der Bestimmbarkeit beruht nach Kant auf dem (Nicht)Widerspruchprinzip: von je zwei einander kontradiktorisch entgegen gesetzten Prädikaten, kann einem Gegenstand nur eines von beiden zukommen.
2. Die Bestimmtheit eines Gegenstandes setzt Kant mit der durchgängigen Bestimmung jenes Gegenstandes gleich. Von allen möglichen Prädikaten der Dinge, sofern sie mit ihren Gegenteilen verglichen werden, muss eines der beiden jenem Gegenstand zukommen. Hierdurch wird er durchgängig bestimmt. Somit kann die durchgängige Bestimmung verstanden werden, als die Summe aller positiven und negativen Bestimmungen jenes Gegenstandes.

Aus diesen Überlegungen heraus ergibt sich für Kant die Unterscheidung der logischen Verneinung von Prädikaten, die sich aus der rein formalen Anwendung eines Negators auf jene Prädikate ergibt, von der spezifischen transzendentallogischen Verneinung, die entsteht, wenn man einem Gegenstand ein bestimmtes Negatprädikat zuspricht, weil dieser einen bestimmten Mangel an Realität aufweist.

Somit ergibt sich ein spezifischer Unterschied zwischen der Anwendung einer logischen Verneinung und der Anwendung einer transzendentallogischen Verneinung. (dies gilt entsprechen konvers für die Bejahung) Im Gegenzug zur transzendentallogischen Verneinung, die einen Mangel an Realität ausdrückt, wird einer transzendentallogischen Bejahung ein Vorhandensein von Realität ausgedrückt. Dementsprechend ist ‘Finsternis’ gegenüber ‘Licht’ ein Begriff, der einen Mangel an Realität ausdrückt.

Nun stellt Kant fest, dass die durchgängige Bestimmung ein Begriff ist, der sich auf einer Idee gründet, denn wir können ihn niemals in concreto seiner Totalität nach darstellen. Für die durchgängige Bestimmung eines jeden Gegenstandes müssten wir über jedes mögliche reale Prädikat verfügen, was nicht der Fall ist. Er selbst drückt es so aus: „[...] um ein Ding vollständig zu erkennen, muß man alles Mögliche erkennen, und es dadurch, es sei bejahend oder verneinend bestimmen“[9]

Wenn nun, erstens, die durchgängige Bestimmung als auf einer Idee beruhend erkannt ist, die ihren Sitz lediglich in der Vernunft hat und, zweitens, dem Prinzip der durchgängigen Bestimmung ein transzendentales Substratum zu Grunde liegt, da wir alle möglichen Prädikate nur transzendental, also nach ihrem Inhalt, der an ihnen a priori gedacht werden kann heranziehen können, verhält es sich, drittens, so, dass wir es bei der durchgängigen Bestimmung a priori eines Gegenstandes, der nun nichts weiter als die Idee von einem All der Realität ist, mit einem Ideal und zwar mit einem transzendentalen Ideal der reinen Vernunft zu tun haben.

Das allerrealste Wesen kann man sich nun folgendermaßen vorstellen: es ist ein, bezüglich des Universums aller möglichen Prädikate, der Art durchgängig bestimmter Gegenstand, dass ihm alle Prädikate der transzendentallogischen Bejahung zukommen. Somit weist dieses Wesen kein Mangel an Realität auf. Wir haben hierdurch (zumindest) den Begriff des ‘allerrealsten Wesens’ erhalten. Wichtig zu bedenken ist allerdings, dass wir nur den Begriff des ‘allerrealsten Wesens’ erhalten haben, aber noch kein reales Wesen selbst, das unter diesen Begriff fällt. Doch allein als Begriff kommt diesem bereits eine Funktion zu: er ist ein Ordnungsbegriff für ein Begriffssystem. Nun wird das, was alle Realität in sich einschließt als ursprünglich, alle anderen Dinge aber, die in ihrer Möglichkeit nur als von jenem abgeleitet gelten können, als bedingt angesehen. Dem gemäß wird der bloß in der Vernunft bestehende Gegenstand, das allerrealste Wesen (entis realissimi), auch als das Urwesen (ens originarium) genannt. Hierbei ist zu beachten, dass hiermit eben kein objektives Verhältnis eines wirklichen Gegenstandes zu anderen wirklichen Gegenständen gemeint sein kann, sondern nur jenes der Idee zu Begriffen.[10]

Nun kann ich zur Beantwortung der Leitfrage dieses Kapitels übergehen, nämlich: Was ist der Begriff Gott (nach Kant)?

Der Begriff des allerrealsten Wesens, in seiner unbedingten Vollständigkeit keinen Mangel an Realität aufweisend, ist der von Gott. Gott bleibt somit auch im kantischen Licht durchaus der höchste Gegenstand, jedoch wird er nicht mehr als ein transzendentes Wesen, sondern als ein transzendentales Ideal neu konstituiert. Der Begriff Gottes steht somit - gemäß dem Wesen des Ideals - auf der höchsten Abstraktionsstufe, er ist am weitesten von der objektiven Realität entfernt.

[...]


[1]aus moderner, sprachphilosophischer Sicht würde man eher davon ausgehen, dass man es hier mit einer Aussage zu tun hat. Doch für Kant liegt ein Satz vor.

[2]Vgl. Kant, KrV A 598/B 626.

[3]Vgl. Höffe, Otfried: Immanuel Kant, 1. Aufl. 1983, 7., überarb. Aufl., München 2007, S. 155.

[4]Vgl. Ferrari, Jean: Das Ideal der reinen Vernunft, in: Mohr, Georg/ Willaschek, Marcus (Hrsg.): Immanuel Kant - Kritik der reinen Vernunft (Klassiker Auslegen, Bd. 17), Berlin 1998, S. 491-492.

[5]Kant, KrV A 567/B 595.

[6]Vgl. Kant, KrV A 567/B 595 - A 569/B 597.

[7]Kant, KrV A 569/B 597.

[8]Kant, KrV A576/B 604.

[9]Kant, KrV A 573/B 601.

[10]Vgl. Kant, KrV A 578/B 606 - A 579/B 607.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Immanuel Kants Gottesbeweiskritik
Untertitel
Die Unmöglichkeit eines Beweises der Existenz Gottes allein aus spekulativer Vernunft heraus
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
Kant, Kritik der reinen Vernunft
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
20
Katalognummer
V147856
ISBN (eBook)
9783640578764
ISBN (Buch)
9783640578719
Dateigröße
447 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Immanuel, Kants, Gottesbeweiskritik, Unmöglichkeit, Beweises, Existenz, Gottes, Vernunft
Arbeit zitieren
Hermann Sievers (Autor:in), 2007, Immanuel Kants Gottesbeweiskritik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147856

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