Via Internet in eine neue Demokratie?

Chancen und Risiken der E-Demokratie


Examensarbeit, 2009

72 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALT

1. EINLEITUNG

TEIL I: FACHWISSENSCHAFTLICHE BETRACHTUNG

2. DER DEMOKRATIEBEGRIFF IM WANDEL DER ZEIT

3. DER SIEGESZUG DES INTERNETS
3.1. DIE ANFÄNGE
3.2. DIE IDEE FINDET VERBREITUNG
3.3. WEB 2.0: DAS INTERNET WIRD INTERAKTIVER

4. INFORMATIONEN IM INTERNET
4.1. DIE HERKÖMMLICHE INFORMATIONSBESCHAFFUNG
4.2. ONLINE-JOURNALISMUS VERSUS PRINTMEDIEN
4.2.1. Die Qualität der Online-Zeitungen
4.2.2. Blogs: Bürgerjournalismus versus prof. Journalismus
4.3. WIKIPEDIA VERSUS BROCKHAUS
4.4. YOUTUBE VERSUS FERNSEHEN

5. POLITISCHE KOMMUNIKATIONSPLATTFORMEN IM NETZ
5.1. SOZ. ONLINE-NETZWERK VS. KLASSISCHE SOZ. NETZWERKE
5.2. DOL2DAY VERSUS ROLLEN- / PLANSPIEL
5.3. ABGEORDNETENWATCH.DE VERSUS BRIEF AN POLITIKER

6. ONLINE-WAHLKAMPF VERSUS KLASSISCHER WAHLKAMPF

7. ELEKTRONISCHE PARTIZIPATION
7.1. E–VOTING VERSUS WAHLURNE
7.2. E–ACTIVISM VERSUS KLASSISCHER AKTIVISMUS

8. EXKURS: SOZIALE SCHERE DURCH DAS INTERNET?

9. SCHLUSSBETRACHTUNG

TEIL II: FACHDIDAKTISCHE BETRACHTUNG

10. EINLEITUNG

11. DIDAKTISCHE ANALYSE
11.1. DER BEUTELSBACHER KONSENS
11.2. WEITERE DIDAKTISCHE PRINZIPIEN
11.2.1. Die Schülerorientierung
11.2.2. Die Exemplarität
11.2.3. Die Problemorientierung
11.2.4. Die Handlungsorientierung
11.3. BEDEUTUNG „DEMOKRATIE“ UND „INTERNET“
11.3.1. Die Bedeutung der Demokratie für SuS
11.3.2. Die Bedeutung des Internets für Heranwachsende
11.4. BEZUG ZUM BILDUNGSPLAN
11.5. LERNZIELE
11.5.1. Richtziel
11.5.2. Grobziele
11.5.3. Feinziele

12. METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN UND ABLAUF
12.1. EINFÜHRUNG UND THEMENWAHL - KARIKATUR
12.2. INTERNETRECHERCHE - PARTNERARBEIT/KLEINGRUPPEN
12.3. KOMMUNIKATION VIA ABGEORDNETENWATCH.DE
12.4. PRÄSENTATION

13. SCHLUSSBEMERKUNG

14. QUELLENNACHWEIS
14.1. LITERATUR
14.2. INTERNETQUELLEN
14.3. ABBILDUNGSVERZEICHNIS

1. Einleitung

„Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen."1

Dieses Zitat aus der Rede über die Funktion des Rundfunks Berthold Brechts aus dem Jahre 1932 wird zu seiner Zeit mit Sicherheit als sehr utopisch aufgefasst worden sein, liest man allerdings seine Worte mit den Augen des 21. Jahrhunderts, dem Zeitalter der Technologisierung und der unter anderem daraus resultierenden Globalisierung, so vermag dieses Zitat weitaus mehr auszusagen als nur die Vision eines unerreichbaren Ideals. Das Radio hat sich, so muss man konstatieren, seit seiner Erfindung nicht grundlegend geändert. Sender sind nach wie vor die Rundfunkanstalten, während der Empfänger nur zwischen den verschiedenen Angeboten wählen, sich aber selbst nicht einbringen kann. Ähnlich verhält es sich mit dem Fernsehen, welches seine Zuschauer, von Call-in-Shows einmal abgesehen, ebenfalls in der passiven Rolle lässt. Doch vor allem in den 1990er Jahren hat ein Medium seinen Siegeszug eingeläutet, das den Forderungen Brechts gerecht werden könnte: der Computer. Mit der Möglichkeit der weltweiten Vernetzung aller Rechner, dem Internet, und den polydirektionalen Kommunikationswegen, welche durch verschiedenste Technologien ermöglicht werden, könnte unsere Demokratie bald neue Wege gehen. Oder hat ein neues Volksherrschaftszeitalter bereits begonnen?

In meiner Arbeit möchte ich dieser Frage nachgehen und überprüfen, ob der Computer tatsächlich der von Brecht geforderte Kommunikationsapparat ist. Beginnend mit der Klärung des Demokratiebegriffs, der für weitere Überlegungen bedeutsam ist, setzt sich dann meine Ausarbeitung kurz mit der Entstehungsgeschichte des Internets auseinander, um danach in den Bereichen Information als Schwerpunkt, dazu Kommunikation, Online-Wahlkampf und Partizipation die Leistung des weltweiten Datennetzes für unsere demokratische Gesellschaft zu überprüfen. Wichtig hierbei ist immer der direkte Vergleich mit den alten Medien oder Situationen (hervorgehoben durch ein “versus“ in den jeweiligen Überschriften), denn er zeigt, was sich durch das Internet verändert hat oder verändern kann.

Dieser fachwissenschaftlichen Betrachtung folgt dann eine fachdidaktische, welche anhand eines Beispiels aufzeigt, wie sich dieses Thema im Unterricht an der Realschule umsetzen lässt.

Da die Computertechnologie ständigen Veränderungen und Weiterentwicklungen ausgesetzt ist, habe ich um der Aktualität willen nahezu ausschließlich Bücher, deren Erscheinung nicht länger als fünf Jahre in der Vergangenheit zurückliegt und darüber hinaus zahlreiche Internetquellen (erkennbar durch ein kursives „ Internetquelle“) und einige Diagramme ausgewählt. Bücher, Internetquellen und Abbildungen sind in jeweils separaten Verzeichnissen zu finden.

TEIL I: FACHWISSENSCHAFTLICHE BETRACHTUNG

2. Der Demokratiebegriff im Wandel der Zeit

Eine Demokratie ist nach ihrer griechischen Wortherkunft die Herrschaft des Volkes.1 Die Legitimation politischer Entscheidungen geschieht also durch den freien Willen der Menschen, welche die Folgen dieser Resolutionen zu tragen haben – die Bürgerinnen und Bürger eines Staates also. Diese Mündigkeit gilt als eine der wichtigsten und kostbarsten Rechte unserer Zeit, was allerdings Regierungen immer wieder dazu veranlasst hat, sich mit den prächtigen Federn der Demokratie zu schmücken, ohne deren Grundsätze zu beachten. Man denke beispielsweise an die Deutsche Demokratische Republik, in der die Bespitzelung der eigenen Bürger an der Tagesordnung war, freie Wahlen nicht stattfanden und Menschen bei der versuchten Flucht aus der DDR erschossen wurden. Um die Demokratie der Gegenwart beurteilen und die Demokratie der Zukunft einschätzen zu können, ist es unerlässlich, sich mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen1, was im Rahmen dieser Arbeit allerdings nur in Form eines kurzen Aufrisses geschehen kann.

Als Geburtsstätte der Demokratie wird zumeist die Staatsform des antiken Athen genannt, deren Beginn auf das 5. – 6. Jh. v. Chr. datiert wird2. Verwirklicht wurde das Mitspracherecht der Bürger in Form einer Volksversammlung. Allerdings kann von Gleichberechtigung aus heutiger Sicht nur bedingt die Rede sein, da anzunehmen ist, dass die Angehörigen der dritten Klasse kaum Zeit für solche Versammlungen hatten und die vierte Klasse (die der Tagelöhner) bei Anwesenheit auf ihren Lohn hätte verzichten müssen.3 Ebenfalls einschränkend im Hinblick auf den Demokratiebegriff muss konstatiert werden, dass weder Frauen, Sklaven, noch Metöken (meist Fremdarbeiter) als Bürger betrachtet wurden und somit über kein Mitspracherecht verfügten.4 Bekanntester zeitgenössischer Kritiker der Athener Demokratie war der 384 v. Chr. geborene Aristoteles. Er forderte unter anderem Freiheit und Gleichheit für das ganze Volk und so zum einen gleiches Stimmrecht und zum anderen das Recht auf politische Teilhabe für alle. Alle Ämter sollten durch alle Menschen besetzt werden können und durch ein Losverfahren zugewiesen werden.5

Im vom Adel beherrschten Florenz des 15. und 16. Jahrhunderts lebte Niccolò di Bernardo dei Machiavelli. Dieser Oberschicht traute der Philosoph und Staatssekretär nicht mehr, da er in ihrer Herrschaft den Grund für politische Ungerechtigkeit gefunden zu haben glaubte. Er sah das Volk in seiner Freiheit durch den Adel beraubt. Der florentinische Denker wünschte sich daher eine „republica“ der Rechtsstaatlichkeit und vor allem der sozialökonomischen Gleichheit aller Menschen.6 Er befürwortete die Wiedereröffnung des „consiglio grande“, eine Institution, die es dem Volk ermöglichte, öffentliche Ämter zu verteilen. Der Politiker Francesco Guicciardini, ein Kritiker Machiavellis, lehnte allerdings eine solche Volksherrschaft mit dem Hinweis auf die Unwissenheit der Bürger strikt ab.7

John Locke (geboren 1632 in England) differierte, im Gegensatz zu vielen anderen politischen Philosophen, zwischen vier Gewalten: die Legislative, die Exekutive, die Föderative und die Prärogative. Die Beschlüsse der Legislative sollten stets dem Wohle des Volkes dienen, weshalb Locke Kompetenzüberschreitungen wie z. B. die Willkürlichkeit nannte, welche es zu verhindern galt.

Hervorzuheben ist hier insbesondere, dass das Volk im Falle einer Kompetenzüberschreitung seitens der Legislative von seiner Pflicht zum Gehorsam entbunden wäre.1 Während er für die Legislative völlig demokratisch eine Versammlung vorsah, glaubte er in der Monarchie die idealste Exekutive zu erkennen, da es für diese Gewalt, im Gegensatz zur Gesetzgebung, notwendig sei, eine dauerhafte Amtsbesetzung vorweisen zu können. Somit gilt er als Pionier der konstitutionellen Monarchie.2

Jean-Jacques Rousseau wurde 1712 im Stadtstaat Genf geboren, einem Staat, der auf der Basis der Volkssouveränität aufgebaut war, wo jedoch nur ein geringer Teil der Bevölkerung politisch partizipierte. Im Gegensatz zu Locke wollte er die Legislative nicht in die Hände Weniger geben, sondern sah das gesamte Volk als einzig legitimen Souverän. Somit erteilen die Bürger nach Rousseaus Theorie als gesetzgebende Gewalt der Regierung, welche er als vermittelnde Gruppe und nicht in der Monarchie sah, den Auftrag, nach ihrem Willen und in ihrem Sinne Entscheidungen zu treffen. In Gesetzen wird nach der Meinung des Genfer Philosophen der Gemeinwille verwirklicht, was also nur durch das Volk mit der Gewalt der Legislative geschehen kann. Rousseaus Gedanken gelten deshalb als eine der Grundlagen für die Französische Revolution im Jahre 1789.3

Anhänger der „kopernikanischen Wende“ war der deutsche Philosoph Immanuel Kant, der 1724 in Königsberg geboren wurde Er vertrat eine politische Philosophie, welche sich gegen blinden Gehorsam gegenüber Autoritäten und zur Emanzipation von der Unmündigkeit aussprach.4 Für Kant war die Mündigkeit in erster Linie mit dem Selbstdenken gleichzusetzen, woraus sich das Ziel der Aufklärung ergibt: Die Förderung der Mündigkeit. Kant forderte die Menschen auf, den Mut zu haben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, da er die Unmündigkeit als weit verbreitetes Dilemma betrachtete, dessen Ursprung er in der Faulheit und Feigheit der Menschen sah. Diese Aufforderung zum Selbstdenken ist allerdings nicht mit der Forderung nach Anarchie gleichzusetzen. Dies war nicht Kants Intention. Mündiges Handeln war nach dem Philosophen nicht beliebig, sondern an sittliches Denken gebunden.1 Kants Ansichten stehen somit im beträchtlichen Gegensatz zu Francesco Guicciardini, der den Bürgern die Fähigkeit zum vernünftigen Denken absprach.

Zu den bedeutendsten Theoretikern des Sozialismus und des Kommunismus zählt der 1818 in Trier geborene Karl Marx. Für den Begriff „Demokratie“ fand Marx im Laufe seines Lebens drei differenzierende Definitionen. Er sah die Demokratie zu Beginn seines öffentlichen Wirkens als idealisierte sozialistische Staatsverfassung, während er sie in seinem „Manifest der Kommunistischen Partei“ als politische Diktatur des Proletariats bezeichnete, um diesen Begriff dann in den 1850er Jahren als Synonym für bürgerliche Republiken zu verwenden. Marx entwarf die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft. In der Staatsgewalt seiner Zeit sah er nur die Interessen der Bourgeoisie verwirklicht und nicht die des ganzen Volkes. Der emanzipierte Mensch hat nach seiner Sichtweise die Freiheit, sein Handeln alleine nach eigenem Ermessen und nach Lust und Laune zu gestalten.

John Stuart Mill, Sohn des Schriftstellers James Mill, wurde 1806 in London geboren und formulierte Theorien der repräsentativen Demokratie und gilt folglich als einer ihrer ersten Befürworter.2 Er ging von der Freiheit des Volkes bei der Gestaltung politischer Institutionen aus, welcher allerdings drei Grenzen gesetzt seien. Erste Voraussetzung für das Funktionieren einer solchen Demokratie sei die Verfassungsakzeptanz durch das Volk, das zweitens voller Überzeugung bereit dazu sei, alles zu tun, um die Konstitution aufrecht zu erhalten und schlussendlich müssen die Amtsträger ihrer Position und der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden.3 Der Brite lehnte die Regierung eines Volkes durch eine alleinige Mehrheit, so wie dies seiner Ansicht nach bis dato geschehen war, ab und plädierte für eine Repräsentation des ganzen Volkes, also aller Schichten und nannte diese Form der Volksherrschaft eine „reine Demokratie“.

Die Kontrolle der Regierung sollte durch periodische Wahlen von Abgeordneten verwirklicht werden.1

Als einen Kritiker der klassischen Demokratie sah sich der Professor für Nationalökonomie Joseph Alois Schumpeter, der 1883 in Deutschland das Licht der Welt erblickte, später jedoch in die USA emigrierte. Das Volk könne aufgrund seiner eigenen „Dummheit“ und „Unwissenheit“ nicht dazu fähig sein, für sich selbst zum Besten zu entscheiden. Die Demokratie sei nicht die Herrschaft des Volkes, sondern die der Politiker, welche nur ein Ziel verfolgten: das Herrschen.2 Abschließend zu diesen Betrachtungen kann zusammenfassend festgestellt werden, dass der Begriff der Demokratie nicht problemlos zu explizieren ist. Die Herrschaft des Volkes ist also, so scheint es, nicht obligatorisch gleichbedeutend mit einer absoluten Souveränität der Bürger.

3. Der Siegeszug des Internets

Abb. 1: Internetnutzerentwicklung 1998 – 2008, Angaben in Prozent

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das Leben des 21. Jahrhunderts ist ökonomisch, aber in immer stärker werdendem Maße auch gesellschaftlich, insbesondere kommunikationssozial, abhängig von der Nutzung des Computers, namentlich des Internets, was sich in den rapide wachsenden Nutzerzahlen manifestiert (siehe Abb. 1 auf Seite 9). Der viel zitierte Prozess der Globalisierung wäre, zumindest in dieser Qualität und Rasanz, in welcher er sich vollzogen hat, ohne die technischen Fortschritte im Bereich der Informatik undenkbar gewesen.1 Im Folgenden soll nun erläutert werden, wie diese Entwicklung vonstatten ging.

3.1. Die Anfänge

Die Grundidee des Internets, die Entwicklung eines dezentralen Netzwerks, also eines Zusammenschlusses von Client-PCs, bzw. Servern, die untereinander mehrfach miteinander verbunden sind, basiert auf den Überlegungen des Department auf Defense, dem amerikanischen Verteidigungsministerium, das in den 1960er Jahren ein Computernetzwerk erstellen wollte, welches mehrere geographisch weit voneinander entfernte Rechner zum einen miteinander verbinden sollte, zum anderen aber auch vor Angriffen im Falle eines Krieges (man bedenke, dass sich die USA zu dieser Zeit im Kalten Krieg mit der Sowjetunion befunden haben) bestmöglich geschützt sein sollte.2 So entstand im Jahre der ersten Mondlandung, also 1969, das ARPA-Net, ein Netzwerk der Advanced Research Projects Agency, eine militär-wissenschaftliche Einrichtung, bestehend aus vier über Telefonleitungen miteinander verbundenen Rechnern.3 Der Ursprung des weltweiten Netzes ist also militärischer Natur, was zunächst im Widerspruch zu der Vorstellung zu stehen scheint, dass das Internet die Demokratie verändern könne.

3.2. Die Idee findet Verbreitung

Bald schon erkannte man das ungeheure Potenzial eines solchen Netzwerkes, da es nicht nur, der ursprünglichen Intention folgend, für die Synchronisation sondern auch für den Austausch von Daten nutzbar war. So schlossen sich immer mehr wissenschaftliche Einrichtungen dem Netzwerk an, um Forschungsergebnisse miteinander auszutauschen. Es dauerte nicht lange bis das Interesse für diese neue Technologie auch bei den Studenten dieser Institutionen geweckt wurde. Sie nutzten das Netz allerdings aufgrund ihrer ganz eigenen Bedürfnisse wiederum auf eine andere Weise. Sie erstellten ein digitales schwarzes Brett, das ihnen dazu diente, Mitfahrgelegenheiten, Jobs, Wohnmöglichkeiten und Reisepartner zu finden, aber auch über diverse Themen zu diskutieren. Das Usenet, Vorreiter der heute populäreren Foren, war geboren.1 Immer mehr entwickelte sich das Netzwerk zu einem Erfolgsmodell, so dass 1973 die ersten internationalen Verbindungen entstanden, was maßgeblich durch das neue Übertragungsprotokoll TCP/IP gelang, welches es verschiedenartigen Rechnern möglich machte, sich in das Computernetz einzuklinken. Somit bestand keine Dependenz mehr von einer bestimmten Konfiguration oder von einem bestimmten Betriebssystem.2 Im Grunde lässt sich hier im weitesten Sinne bereits die Umsetzung der Forderung Aristoteles nach Gleichheit3 finden. Man stelle sich aus heutiger Sicht das Internet in der Vielfalt der Betriebssysteme (diverse Microsoft Windows-Versionen, Linux und seine unzähligen Derivate, MacOS, etc.) und der unterschiedlichen PC-Konfigurationen vor, man denke nur an die Anzahl der Netzwerkkartenhersteller ohne die Entwicklung eines einheitlichen, für alle Systeme nutzbaren Standards. In den 1980er Jahren wuchs das ARPA-Net, das zu Beginn dieses Jahrzehnts immer häufiger mit dem Begriff „Internet“4 bezeichnet wurde, und breitete sich auch international immer mehr aus. Während in den USA die National Science Foundation (NSF) dafür sorgte, dass alle wissenschaftlichen Rechenzentren zusammengeschlossen wurden, gab es einige Jahre später in Europa ähnliche Entwicklungen mithilfe des Réseaux IP Européens (RIPE).5 1992 zählte das Internet bereits eine Million angeschlossene Rechner und am Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN) in Genf wurde ein Netzwerkstandard mit grafischer Benutzeroberfläche kreiert, welcher die Navigation durch das weltweite Datennetz erheblich erleichterte und somit einen regelrechten Boom auslöste. Der Name dieser Neuerung: World Wide Web (WWW). Wichtiger Bestandteil des weltweiten Datennetzes war das Hypertext Transfer Protokoll (HTTP), das mithilfe des TCP/IP – Protokolls sichere Datenübertragung ermöglicht. Darüber hinaus schafft es die Möglichkeit, via Hyperlinks Internetseiten miteinander zu verknüpfen.

Diese neue Entwicklung führte dazu, dass im Jahre 1997 bereits 40 Millionen Computer online waren.1

3.3. Web 2.0: Das Internet wird interaktiver

Kaum ein Begriff wurde in den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Entwicklungsprozess des Internets häufiger genannt, als der des „Web 2.0“.2 Doch welchen Hintergrund hat diese Bezeichnung, die vor allem mit der normalerweise bei Software üblichen Versionsbezeichnung „2.0“ eine große Innovation erwarten lässt?

Dale Dougherty gilt als „Erfinder“ dieses Fachwortes, da er es im Rahmen einer Konferenz als Erster in der Öffentlichkeit verwendete. „Web 2.0“ ist allerdings nicht als eine Erfindung zu verstehen, welche über Nacht stattfand, sondern ist vielmehr als Sammelbegriff für eine jahrelange Entwicklung zu sehen.3

Tim O’Reilly, Gründer des O’Reilly Verlages, dem auch Dougherty angehörte, veröffentlichte 2005 den Artikel „What is Web 2.0?“4 in dem er den Begriff definierte. Ihm zufolge umfasst das Web 2.0 folgende Prinzipien:

- Das Web ist eine Plattform, das heißt, Dienste werden nicht auf einem lokalen Rechner, sondern von Servern bereitgestellt, welche für alle erreichbar sind.
- Eine „Kollektive Intelligenz“, unter anderem ermöglicht durch die Verlinkungsmöglichkeiten der Hypertext-Technologie und dem Mitwirken aller, ist für alle Nutzer abrufbar.
- Große Datenbanken stellen spezialisiertes Wissen bereit.
- Software wird im Internet ständig aktualisiert und erweitert. Ein Webservice ist also kein fertiges Produkt, sondern ein dynamischer, sich ständig erneuernder und erweiternder Prozess.
- Einzelne Komponenten, wie beispielsweise HTML, die Open-Source-Skriptsprache PHP oder der Webservice RSS, lassen sich miteinander kombinieren und zu einem Dienst verschmelzen.
- Das Web 2.0 ist an keine bestimmte Geräteplattform gebunden, was allen PC-Nutzern einen uneingeschränkten Zugang zu den Internetdiensten ermöglicht.
- Web-Anwendungen sind sehr vielseitig und nicht auf nur wenige Funktionen beschränkt.

4. Informationen im Internet

„Wissen ist Macht.“, 1 wusste bereits der im 16. und 17. Jahrhundert in London lebende Philosoph Francis Bacon. Dabei griff er ein Argument auf, das in der Diskussion um die Einflussmöglichkeiten des Volkes bei der aktiven Politik immer wieder als Für oder Wider verwendet wurde. Man denke nur an den Machiavelli-Kritiker Francesco Guicciardini, der den „consiglio grande“ mit dem Hinweis auf die Unwissenheit des Volkes ablehnte2. Im Rückschluss könnte man deduzieren, dass bei wachsendem Wissen mehr Demokratie, also eine höhere Beteiligung des Volkes möglich ist. Dies sollte immanentes Ziel einer jeden demokratischen Gesellschaft sein. Der mündige Bürger, wie ihn Kant sich wünschte3, muss also immer die Möglichkeit haben, sein Wissen zu erweitern und Zugriff auf aktuelle, vor allem politisch relevante, Informationen zu erhalten. Doch in welcher Form war dies vor dem Internetzeitalter möglich?

4.1. Die herkömmliche Informationsbeschaffung

Gewiss: Die Möglichkeit der Informationsbeschaffung ist kein Geschenk der Neuzeit, sondern hat ihre Wurzeln bereits in der Antike. Als älteste bekannte Bibliothek gilt unter Historikern die des Assyrer-Königs Assurbanipal (auch: Aššur-bani-apli), welcher von 669-639 v. Chr. lebte4. Dem Anspruch der Öffentlichkeit wird diese allerdings wohl nicht gerecht geworden sein. Diese Leistung erbrachten hingegen die Römer, die eine Vielzahl an Schriften dem Volk zugänglich machten.1 Bücher und auch Flugblätter gewannen ab dem 15. Jahrhundert durch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg immer mehr an Bedeutung.2 Welcher politische Stellenwert diese Entwicklung hatte, zeigt z. B. das Wirken Martin Luthers, der mit der Veröffentlichung kirchenkritischer Schriften, u. a. der 95 Thesen, das damalige Deutschland nachhaltig veränderte, was sich beispielsweise in den Bauernkriegen manifestierte.3 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewann dann, nicht zuletzt wegen weiterer Neuerungen in der Drucktechnik, die Zeitung immer mehr an Popularität.4 Im 20. Jahrhundert übernahm der Rundfunk, zunächst mit dem Radio, später dann auch mit dem Fernsehen, die Spitzenposition in der Medienlandschaft. Doch die alten Medien haben mit dem Internet Konkurrenz bekommen. Dieses hat laut einer Studie bereits die Zeitung in der Rangliste der Informationsquellen bei der Gruppe der 20- bis 39-Jährigen mit Fach- bzw. Hochschulreife abgelöst (siehe Abb. 2).

Abb. 2: Informationsquellen der 20- bis 39-Jährigen mit Fach- bzw. Hochschulreife

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Eine Entwicklung von 29% auf 51% innerhalb von vier Jahren lässt die Vermutung zu, dass auch bald das Fernsehen vom Internet überflügelt wird. Es stellt sich in Anbetracht dieser Zahlen die Frage, welche Folgen diese Entwicklung für unsere Gesellschaft, beziehungsweise für unsere Demokratie, haben wird oder bereits hat. Beginnen möchte ich in meiner Betrachtung bei den Printmedien.

4.2. Online-Journalismus versus Printmedien

Die Zeitung hat, das ist der Statistik in Abb. 2 auf Seite 14 zu entnehmen, in den letzten Jahren, vor allem bei der jüngeren Generation, merklich an Popularität verloren. Ein wichtiger Grund für diesen Trend dürfte mit Sicherheit monetärer Natur sein. Während das Abonnement einer Tageszeitung zwischen 20 und 30 Euro zu Buche schlagen kann, erhält man in dieser Preisklasse bereits eine DSL-Flatrate, die ein ständiges Surfen rund um die Uhr zu einem Festpreis ermöglicht und über die reine Informationsgewinnung hinaus ungleich mehr Leistungen, auf die in den folgenden Punkten noch näher eingegangen wird, erbringt als es eine Zeitung vermag. Anders ausgedrückt: Einen Internetanschluss besitzt heutzutage in dieser Altersklasse nahezu jeder. Dieser Tendenz können sich inzwischen keine Tageszeitung und keine Zeitschrift mehr entziehen. Längst ist bei vielen Internetauftritten zu erkennen, dass das WWW nicht mehr nur zur Ergänzung des gedruckten Blattes dient, sondern diesem den Rang abläuft und als eigenständiges Informationsmedium für Nachrichten, Klatsch und Tratsch aus aller Welt fungiert. Signifikant für diese Entwicklung sind die wachsenden Besucherzahlen auf den Nachrichtenseiten im Internet, wie in Abb. 3 auf der folgenden Seite deutlich zu erkennen ist.

Abb. 3: Benutzerzahlen ausgewählter Online-Zeitungen von 1998 - 2008

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Ein weiterer Vorteil des Online-Journalismus liegt in seiner Schnelligkeit. Der deutsche Volksmund hat bereits erkannt, dass nichts so alt sei wie die Zeitung von gestern, doch in Bezug auf die Aktualität, kann man dieses im Vergleich des gedruckten Mediums mit seinem Internet-Pendant wohl auch von der Zeitung von heute behaupten. Während das Printmedium den langen Weg vom Computer des Journalisten über die Druckerei bis zum Kiosk oder Abonnenten gehen muss, reichen der Internetnachricht nach der Fertigstellung des Artikels wenige Mausklicks bis die ganze (computerisierte) Welt diesen dann studieren kann.

4.2.1. Die Qualität der Online-Zeitungen

Doch bei aller Euphorie über diese unschlagbare Aktualität liegt die Mutmaßung nahe, die Qualität und die Länge der Artikel könnten dem hohen Tempo der „Cyberautobahn“ zum Opfer fallen. Beispielswiese meldeten viele Medien, so auch Spiegel Online 2006: „Bund Deutscher Juristen fordert Aussagen unter ›leichter Folter‹ – Offene Diskussion und Bruch von Tabus verlangt“. Die Information kam von der Internetseite www.bunddeutscherjuristen.org. Allerdings handelte es sich hierbei um eine Falschmeldung, verursacht durch einen unbekannten „Witzbold“, der auf dieser Seite die Meldung verbreitet hatte, dass Dr. Claus Grötz die Folter gefordert habe. Weder die Forderung nach dieser unmenschlichen Bestrafung, noch der Name des angeblichen Vorsitzenden des Bundes Deutscher Juristen entsprachen bei dieser Meldung der Wahrheit.1

Die Hypothese der schlechteren Qualität war für Thorsten Quandt Anlass, 2005 eine Studie durchzuführen, die Zeitungen aus Papier und Druckerschwärze mit den Gazetten aus Bits und Bytes vergleicht.2 Analyseobjekte waren auf Seiten der Printmedien die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und die Süddeutsche, deren gedruckte Angebote mit den Angeboten ihrer Onlineauftritte und zusätzlich mit Spiegel Online, der Netzzeitung und den Stern Shortnews3 im Zeitraum eines Monats in den Bereichen „Beitragstypen und Multimedia-Angebote“, „Verfasser, Interaktion, Verlinkung“, „Themen und Akteure“ und „Berichterstattungstendenzen“ verglichen wurden. Insgesamt wurden 2.684 Artikel, davon 2.193 Online-Artikel, miteinander kollationiert. Bei der Untersuchung der durchschnittlichen Länge eines Artikels kann die Studie bereits das Urteil, das Internet biete nur kurze Informationen, widerlegen. Während die Süddeutsche Zeitung im Schnitt 241,8 und die Frankfurter Allgemeine 305,2 Wörter pro Artikel publizieren, bieten Sueddeutsche.de 568,7 Wörter, FAZ.NET 609,1 Wörter, Spiegel.de 611,3 Wörter und netzeitung.de 315,6 Wörter. Einzige Ausnahme bildet shortnews.de mit 87,8 Wörtern, bei dem der Name allerdings auch gewollt Programm ist und somit ausgeklammert werden kann. Da gedruckte Medien meist auf einen bestimmten Seitenumfang begrenzt sind, während die Kapazität eines Servers deutlich mehr Wörter zulässt, fallen die Artikel in den klassischen Zeitungen wohl aus diesem Grunde deutlich kürzer aus.

a) Beitragstypen und Multimedia-Angebote

In diesem Teilbereich wurden sowohl die Beitragstypen (Standard-Nachricht, Interview, Reportage, etc.) als auch die Multimedia-Angebote (Dia-Show, Video-Stream und Audio-Stream) gegenübergestellt. Eine höhere Diversifikation in ihren Darstellungsformen der Artikel können die Gazetten des weltweiten Datennetzes vorweisen. Deutlich manifestiert sich diese in den Bereichen „Interview“ (Printmedien: 0% - Online-Medien: ca. 3,5%), „Hintergrund/Analyse“ (Printmedien: ca. 2,6% - Online-Medien: ca. 6,1%) und „Reportage“ (Printmedien: ca. 2,5% - Online-Medien: ca. 6,3%). Im Gegensatz dazu liegt der Anteil der Standardnachrichten bei ca. 82,1% auf Seiten der herkömmlichen Zeitungen, während diese im Internet bei ca. 76,2% liegen.

[...]


1 Brecht 1932, zit. n. Neumann-Braun / Müller-Doohm 2000: S. 26

1 vgl. Kost 2008, S. 17

1 vgl. Sutor 1997: S. 103

2 vgl. Vorländer 2003, S. 14

3 vgl. Mittermaier / Mair 1995: S. 5 - 8

4 vgl. Vorländer 2004: S. 10

5 vgl. Mittermaier / Mair 1995: S. 27 - 36

6 vgl. Mittermaier / Mair 1995: S. 76 - 80

7 vgl. Huber 2004: S. 130-131

1 vgl. Held 2006: S. 96 - 98

2 vgl. Mittermaier / Mair 1995: S. 87 - 89

3 vgl. Mittermaier / Mair 1995: S. 98 - 109

4 vgl. Mittermaier / Mair 1995: S. 109

1 vgl. Detjen 2007: S. 211 - 213

2 vgl. Mittermaier / Mair 1995: S. 149 - 150

3 vgl. Rinderle 2000: S. 95 + 96

1 vgl. Mittermaier / Mair 1995: S. 150 - 156

2 vgl. Mittermaier / Mair 1995: S. 172 - 179

1 vgl. Schweigler 2003: S. 7 - 12

2 vgl. Münz / Nefzger 2005: S. 30

3 vgl. Henning 2007: S. 303

1 vgl. Münz / Nefzger 2005: S. 31

2 vgl. Mertin 2000: S. 28

3 vgl. Punkt 2

4 vgl. Armin/Banse/Hennen/Leonhard/ Coenen 2006: S. 32: Internet = interconnected Networks, dt: untereinander verbundene Netzwerke

5 vgl. Münz / Nefzger 2005: S. 30 + 31

1 vgl. Mertin 2000: S. 28

2 Zu dieser Ansicht gelangt man, da man bei der Internetsuchmaschine „Google“ 334.000.000 Suchergebnisse zu diesem Begriff erhält (Stand: Februar 2009).

3 vgl. Kienitz 2007: S. 12 + 13

4 vgl. Internetquelle: O'Reilly, Tim 2005

1 vgl. Francis Bacon zit. n. Krohn 2006: S. 87

2 vgl. Punkt 2

3 vgl. Punkt 2

4 vgl. Sandermann 1997: S. 17

1 vgl. Internetquelle: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG: Bibliothek

2 vgl. Chronik Verlag 2008: S. 306 + 307

3 vgl. Chronik Verlag 2007: S. 128 - 131

4 vgl. Faulstich 2002: S. 43 + 44

1 Ude / Zeit Online 2008

2 Quand 2008: S. 131 - 153

3 Hierbei handelt es sich im Gegensatz zu den restlichen Online-Zeitungen um eine User-Generated-Content-Zeitung. Die Besonderheit dieses Genres wird in Punkt 4.2.2 im Zusammenhang mit dem Bürgerjournalismus noch näher erläutert.

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Via Internet in eine neue Demokratie?
Untertitel
Chancen und Risiken der E-Demokratie
Hochschule
Pädagogische Hochschule in Schwäbisch Gmünd
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
72
Katalognummer
V147686
ISBN (eBook)
9783640586721
ISBN (Buch)
9783640587216
Dateigröße
1381 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
E-Demokratie, E-Poltik, Web 2.0, E-Democracy, E-Voting
Arbeit zitieren
Simeon Knauß (Autor:in), 2009, Via Internet in eine neue Demokratie?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/147686

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